Mein Stiefbruder der Dämon - Janette Altinsoy - E-Book

Mein Stiefbruder der Dämon E-Book

Janette Altinsoy

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Beschreibung

Was ist... ...wenn du eine Hexe bist und dein Stiefbruder ein böser Dämon? ...wenn du plötzlich Fähigkeiten hast, von denen du nie gewusst hast? ...wenn der Tod deines Vaters vielleicht gar kein Unfall war? ...wenn Gut und Böse plötzlich zusammenhalten müssen? ...wenn dich Geister heimsuchen? ...wenn du dich unwiderruflich in das Böse verliebst? Dann vertraue deinem Schicksal und finde Antworten!

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Seitenzahl: 297

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Ich liebe dich mit der gesamten Dunkelheit meines Herzens. – Im Geheimen, zwischen den Schatten meiner Seele.

Gastrolle (Gewinnspiel-Verlosung)

Wiebke Ostermann

Seiten 154-161, 252-256, 269-278

 Laufende Gewinnspiele, und aktuelle News zu den Veröffentlichungen, findet ihr auf meiner Facebook-Seite: Janette Altinsoy Autorin

 Buchtrailer und Vorlesungen sind auch bei YouTube online: janettealtinsoy4090

 Instagram: altinsoyjanette

© 2024 Janette Altinsoy

Druck und Distribution im Auftrag

Der Autorin Janette Altinsoy

tredition GmbH, Halenreie 40-44

22359 Hamburg, Deutschland

ISBN

Paperback ISBN: 978-3-384-08479-8

e-Book ISBN: 978-3-384-08480-4

Hardcover: 978-3-384-16050-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige Zustimmung und Erlaubnis des Herausgebers in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verbreitet, oder übertragen, oder in einer Datenbank, oder einem Abrufsystem gespeichert werden.

Für meinen Ehemann

Janette Altinsoy

wurde 1991 geboren und lebt mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in Deutsch Kaltenbrunn. Nachts, wenn die Kinder schlafen, wird geschrieben und es entstehen wunderbare Orte und Geschichten. Janette liebt Fantasy und fühlt sich in diesem Genre richtig angekommen. In ihrer Freizeit geht sie ehrenamtlich in Altenheime und liest den Bewohnern vor, denn ihre Lebensmoral lautet: „Bedürftige alte Menschen brauchen dieselbe Zuwendung wie kleine Kinder.“ – Liebe und Geborgenheit!

 

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Janette Altinsoy

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Mein Stiefbruder der Dämon

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 32

Mein Stiefbruder der Dämon

Cover

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1

Kim

England 2024

Ich wollte es eigentlich vermeiden. Vermeiden, wieder hier her zu gehen. Doch ich muss. Vielleicht schickt mir Papa eine Botschaft aus dem Himmel. Oder vielleicht hat er einen Rat für mich. Der Friedhof ist nur noch wenige Schritte entfernt. Graue Wolken verdunkeln den Himmel und der Regen hat große Wasserpfützen auf dem Gehsteig zurückgelassen. Langsam marschiere ich an der hohen weißen Friedhofsmauer entlang und frage mich immer wieder, was ich mir eigentlich erhoffe. Papa ist tot und was soll es bringen, ihn um Rat zu fragen? Er könnte mir ohnehin nicht helfen. Ich gehe weiter. Nebel hüllt mich ein und ich ziehe meinen grauen Mantel etwas fester zusammen. Es ist kühl. Nein… es ist saukalt. Was habe ich mir bloß dabei gedacht, bei diesem Wetter hier her zu kommen? Aus Versehen trete ich in eine Pfütze.

»Mist!«

Ich spüre, wie meine Zehen bereits nass werden und ärgere mich über mich selbst. Mein Atem hinterlässt große weiße Wolken und ich verfluche diesen verdammten Winter. Nur noch wenige Schritte. Das wuchtige schwarze Eisentor glänzt noch immer nass vom Regen und viele kleine Wassertropfen hängen noch an den Efeublättern, die um die einzelnen Stäbe gewachsen sind. Ich ziehe meinen Handschuh aus und greife nach der Schnalle. Es reicht, dass meine Socken bereits vollgesaugt sind. Knarrend öffne ich das Tor und lasse es hinter mir wieder ins Schloss fallen. Mein Blick kreist und natürlich bin ich die Einzige hier. Kein normaler Mensch würde bei diesem Wetter hierherkommen. Die kleinen Kieselsteine knirschen unter meinen Schuhsohlen und in der Ferne höre ich Krähen. So beginnen Horrorfilme. Aber ich habe keine Angst. - Zumindest nie, wenn ich weiß, dass Papa in der Nähe ist. Naja, seine Seele zumindest. Zügig gehe ich an den vielen großen Gruften vorbei und folge dem Pfad Richtung Papas Grab. Ein plötzlicher Windstoß wirbelt meine schwarzen Haare auf und einzelne Strähnen umspielen meine Wange. Wie zarte Federn streicheln sie meine Haut. Ich streife sie mir wieder aus dem Gesicht und ziehe meine Mütze ein Stück weiter nach unten. Noch zwei Mal abbiegen. Papas Grab ist ganz schlicht im Vergleich zu den anderen. Ein schwarzer Stein mit goldener Schrift und keine Grabeinfassung. Mama meinte immer "Das reicht schon.". So, als ob sie ihn nie wirklich geliebt hätte. Ich schiebe meine unsinnigen Gedanken beiseite und konzentriere mich wieder auf das Wesentliche. Ich will ihn einfach nur um Rat fragen. - Auch wenn ich weiß, dass es vermutlich nicht viel bringt.

Ich spüre seine Anwesenheit. Seine Seele ist hier, und doch fühlt es sich so an, als wäre er tausende Kilometer von mir entfernt.

»Was mache ich mir hier eigentlich vor?«

Ich lecke über meine trocknen Lippen und unterdrücke meine Tränen. Jedes Mal ist es so schwer, vor seinem Grab zu stehen. Zu wissen, dass er nie wieder zurückkommen wird. Wie konnte er nur… Wie konnte er mich hier allein zurücklassen… Ich atme tief durch. Die kalte Luft brennt förmlich in meinem Hals, aber es fühlt sich irgendwie befreiend an. Als ich ein weiteres Mal tief Luft hole, höre ich ein rumpelndes Geräusch in der Ferne. Ich richte meinen Blick auf und sehe einen Arbeiter, der eine Mülltonne hinter sich her rollt. Er bemerkt mich gar nicht. Die Vögel krähen erneut laut auf. Dieses Mal etwas näher als beim ersten Mal. Ein Schauder läuft mir über den Rücken und ich schließe für eine Sekunde die Augen. Der Mann ist inzwischen hinter einem Gebäude verschwunden und soweit ich sehen kann, bin ich wieder allein. Allein mit Papa. In meinen Gedanken fegt ein Wirbelsturm. Meine Emotionen sind durcheinandergewühlt und ich kann mich nicht mehr länger zurückhalten. Tränen laufen über meine Wangen und ich spüre, wie meine Beine langsam nachgeben. Fast ruckartig sinke ich auf meine Knie. Es ist mir in dem Moment egal, ob ich nass werde. Meine Gefühle überrollen mich. Ich hatte schon oft so ähnliche Gefühlszustände, aber noch nie haben sie mich so eingenommen wie in den letzten Tagen. Ich ziehe ein Taschentuch aus meiner Manteltasche und beginne zu weinen. Ich kann es nicht kontrollieren. Im Gedanken spreche ich zu ihm. Zu Papa. Zu dem einzigen Menschen, der mich bis jetzt immer verstanden hat. Vielleicht ist meine Situation nicht der Rede wert und vielleicht ist das für manche gar nicht so schlimm, aber für mich beginnt gerade der schlimmste Albtraum. Mama heiratet. Es ist schon schlimm genug, dass sie so kurze Zeit nach Papas Tod einen neuen Mann gefunden hat, aber warum muss sie mich da mithineinziehen? Nächsten Monat werden wir zu ihm ziehen. Ob ich das auch will, ist ihr eigentlich komplett egal. Es dauert nur noch ein Jahr. Ein verdammtes Jahr, bis ich endlich achtzehn werde. Warum kann sich nicht warten? Warum zwingt sie mich mitzukommen?

»Ach Papa… Wie soll ich das alles einfach so akzeptieren? Sie liebt diesen seltsamen Mann, der irgendwo ein Haus auf dem Land hat und zwingt mich zu ihm zu ziehen. Ich will das alles nicht. Ich kann das nicht. Er lebt vier Autostunden entfernt. Ich werde alles aufgeben müssen. Die Schule, meine Freunde, meine Heimat, mein LEBEN. Ich will nur noch weglaufen. Sie kann doch nicht einfach so über mein Leben entscheiden.«

Meine Tränen laufen weiter unkontrolliert über mein Gesicht und jetzt wird mir ein weiterer Punkt in meiner imaginären Liste bewusst. - Wenn wir umziehen, kann ich auch Papa nicht mehr besuchen. Ein lautes Schluchzen entweicht meiner Kehle und in diesem Moment hasse ich meine Mutter. Ich war noch nie sehr mit ihr verbunden, aber jetzt ist der Moment gekommen, wo ich wirklich sagen kann, dass ich sie nur noch hasse. Sie wird mir Papa nehmen… Allein die Aura dieses neuen Liebhabers ist zum Kotzen. Er hat nichts an sich, was in irgendeiner Weise Liebenswürdigkeit verkörpern würde. Nein. Er ist einfach nur kalt und ich finde ihn abstoßend. Ich verstehe nicht, was sie bloß an ihm findet. Papa war das komplette Gegenteil. Warmherzig, geduldig, liebevoll… und immer für mich da. Oh, ich vermisse ihn so sehr.

»Ach, Papa… Wenn du bloß hier sein könntest.«

Eine innere Stimme sagt mir, dass er hier ist. Ich fühle es. Ja. Er ist immer bei mir. - In meinem Herzen. Und niemand auf der Welt wird es schaffen, mir dieses Gefühl zu nehmen. Auch nicht Mama oder ihr neuer Boss - so wie ich ihn immer nenne. Denn im Grunde ist er das ja. Sie macht alles, was er sagt, und ist ihm in jeder Sache hörig. Mama hasst es, wenn ich ihn so nenne, aber das hat mich bis jetzt noch nicht davon abgehalten. Immer wieder ermahnt sie mich, dass ich ihn doch bei seinem Namen nennen muss. Ich "muss" gar nichts. Dieser Leopold kann mich mal. Es ist schon schlimm genug, wenn ich Mama am Telefon mit ihm reden höre. - Wie sie ihn doch liebevoll Leo-Schatz nennt. Bäh. Zum kotzen. Für mich oder Papa hatte sie nie irgendwelche Kosenamen. Paul und Kim. Fertig. Da gab es kein "Pauli" oder "Kimi" oder "Schatzi". Ich darf nicht länger darüber nachdenken, denn es regt mich nur unnötig auf. Eine Weile kniee ich noch vor Papas Grab und schütte ihm mein Herz aus. Ich erzähle ihm von meiner Woche und was mich sonst noch alles aufregt. Auch wenn er mir nicht helfen kann… er ist ein guter Zuhörer. Als kleine zarte Schneeflocken vom Himmel fallen, richte ich mich langsam auf. Ich mache einen Schritt in Richtung Grabstein. Dann küsse ich meine Fingerspitzen und berühre anschließend die goldene Schrift.

»Mach's gut, Papa.« sage ich und mache mich auf den Weg.

2

Zu Hause herrscht ein einziges Chaos. Wie lange war ich weg? Ich könnte schwören, dass diese vielen Kartons vor einer Stunde noch nicht hier gestanden haben. Verwundert hänge ich meinen Mantel auf und schiebe mich durch die plötzliche Unordnung. Alles ist vollgeräumt und wen sehe ich da? Meine Mutter. Gutgelaunt steht sie zwischen den ganzen Kisten und Kartons und singt zu einem Song im Radio mit. Hat sie sie noch alle? Meine Traurigkeit von vorhin wechselt zur Wut. Diese Frau schafft es tatsächlich immer wieder, dass sie mich aus der Fassung bringt. Sie steht mit dem Rücken zu mir und wickelt gerade eine alte Vase mit Zeitungspapier ein. Sie merkt überhaupt nicht, dass ich hier bin. Ich schnaufe und gehe zielbewusst auf das Radio zu. Als ich den Stecker ziehe, dreht sich Mama erschrocken zu mir um. Noch bevor sie etwas sagen kann, ergreife ich das Wort.

»Was wird das hier?«

Einen Moment lag sieht sie mich verwundert an. Hat sie die Frage etwa nicht verstanden?

»Mama! Was machst du hier? Das ganze Zeug? Die Kisten?«

Sie lacht aufgesetzt. »Ach das meinst du.«

Boah, ich hasse es, wenn sie so lacht und ebenso hasse ich es, wenn sie sich immer so ahnungslos stellt. Was glaubt sie, wie alt ich bin? Zehn?

»Nun sag schon! Was wird das hier?«

Mein Puls beschleunigt sich und in meinem Unterbewusstsein kenne ich die Antwort bereits. Mama streicht sich verlegen eine dunkelbraune Locke hinters Ohr und beginnt zu murmeln.

»Nun ja… Kim, du weißt ja von unseren Plänen.«

»Es sind deine Pläne!« fahre ich dazwischen.

Sie braucht hier keine Tatsachen zu verdrehen. Mein Plan war es, dass sie diesen Mann in den Wind schießt. Oder dass sie ihn wenigstens noch ein Jahr zappeln lässt. Aber nein. - Meine Mutter muss natürlich wieder alles überstürzen. Sie kennt ihn doch kaum. Acht Monate vielleicht – wenn´s hochkommt.

»Wie auch immer. Diese Pläne haben sich nun etwas verändert.« erklärt sie.

»Was bedeutet „verändert“?«

Veränderungen waren bis jetzt immer negativ. Und es konnte viele Bedeutungen haben. Mein Herz hofft zwar noch immer, dass wir hierbleiben, aber mein Kopf ahnt bereits Böses.

»Wir fahren bereits morgen.«

»Was? Ist das dein scheiß Ernst? So kurz vor Weihnachten? Was soll das? Und wann wolltest du mir das eigentlich sagen?«

Ich spüre wieder diese Tränen in mir. Aber dieses Mal sind es Tränen der Wut. Ich unterdrücke sie. Ich werde vor meiner Mutter bestimmt keine Schwäche zeigen. Und wenn ich darüber nachdenke, wie sie gerade eben noch fröhlich zu dem Song gesungen hat, gibt es mir den letzten Rest. Ich versuche mich zu kontrollieren, aber die Wut in mir kocht bereits. Sie steigt immer weiter an und ich gebe mich ihr hin. Ich greife nach dem Radio und schmettere es auf den Boden. Plastikteile fliegen in alle Richtungen und eine kleine Erleichterung macht sich bemerkbar. Meine Mutter schaut mich fassungslos an und findet, wie so oft, keine Worte.

»Das alles hier… es bedeutet dir nichts! Nichts! Es hat dir nie etwas bedeutet! Wir haben dir nie etwas bedeutet!« schreie ich, greife nach dem Bild neben mir und werfe es voller Wucht gegen die Wand.

Das Glas zerbricht in tausend Scherben und das Bild von Mama und Papa ist nun endgültig gefallen.

Ihr Blick ist abstoßend. »Du bist gleich wie dein Vater!«

Entsetzt verdaue ich ihre Worte. Ich hatte also immer recht mit meiner Vermutung. Ich sehe aus wie er und ich verhalte mich wie er. Genau das stört meine Mutter. Sie kann es nicht ertragen. Obwohl er tot ist, hat sie ihn durch mich nie ganz verloren.

»Ich hasse dich!« schreie ich.

Sie soll jedes Wort verstehen, denn dieser Satz kommt aus der Mitte meines Herzens. Nach ihrer geschockten Reaktion laufe ich in mein Zimmer. Es ist jetzt definitiv der falsche Zeitpunkt, über Einzelheiten zu reden. Die Stimmung muss sich erst wieder beruhigen. Kurz denke ich daran, dass es noch nicht zu spät ist, wegzulaufen, verwerfe den Gedanken aber wieder. Wo sollte ich denn hin? Ich werfe mich auf mein Bett und denke über alles nach. Mama, Papa, den Boss, den Umzug und über alles andere. Aussichtslos drücke ich mein Gesicht in das Kissen und liege regungslos auf dem Bauch. Ich hasse diese verdammte Situation. So viel ich auch darüber nachdenke, es wird sich nichts ändern. Wir werden morgen umziehen. - Mit oder ohne meine Zustimmung.

Noch eine halbe Stunde liege ich so auf dem Bett. Es ist bereits Nachmittag und auch wenn ich mit Mutters Plänen nicht einverstanden bin, bleibt mir hier nicht mehr viel Zeit. Ich muss die wichtigsten Dinge zusammenpacken. Zumindest die für morgen. Alles andere übernimmt vermutlich diese eine Umzugsfirma, die dieser blöde Leopold organisiert hat. Nach einer Weile raffe ich mich endlich auf und sehe den Tatsachen ins Gesicht. Ich habe keine andere Wahl. Ich ziehe eine Sporttasche aus dem Schrank und packe die nötigste Kleidung ein. Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild von Papa und mir. Wir waren angeln. Papa war überglücklich, weil er einen so großen Fisch gefangen hatte. Wir hielten den Moment fest. Papa kniete auf der Wiese und ich stand total überfordert neben ihm. - Und vor uns hielt er den riesigen Fisch in den Händen und präsentierte ihn stolz der Kamera. Mein Gesichtsausdruck - unbezahlbar. Aber ich liebe sein Lachen auf dem Foto. Schade, dass ich es nie mehr hören werde. Ich drücke das Bild gegen meine Brust und küsse anschließend das Glas. Dann packe ich es ebenfalls in die Tasche. Noch einige Kleinigkeiten, so wie Ladekabeln, Laptop und so weiter kommen noch dazu. Zu guter Letzt kümmere ich mich um Frodo. Das Terrarium muss umzugsbereit gemacht werden. Vorsichtig greife ich unter seine acht orangeschwarzen - Beine und setze ihn in eine kleine Transportbox. Frodo hasst es, wenn er herumgetragen wird. Er kann den Stress absolut nicht leiden. Aber morgen haben wir beide keine andere Wahl. Und dass ich meine Vogelspinne trotz Mamas ausdrücklichem "Nein" doch mitnehme, versteht sich doch wohl von selbst. Er gehört zur Familie. Zumindest zu Papa und mir. Wir waren es, die ihn damals im Park gefunden haben, nachdem er aus dem nahegelegenen Reptilienzoo ausgebüchst war. Meine Mutter wollte sofort, dass wir ihn wieder dorthin zurückbringen und meinte "So ein Vieh kommt mir nicht ins Haus.". Aber Papa liebte alle Tiere. Auch die mit acht Beinen. Wir haben ihn behalten. Natürlich durfte das niemand erfahren und das war eins der unzähligen Geheimnisse zwischen Papa und mir. Dass meine Mutter auch davon Wind bekam, ließ sich dann irgendwann nicht mehr vermeiden. Spätestens als ich mit einem riesigen Terrarium und einer Wärmematte zu Hause ankam, wusste sie Bescheid. Gedankenversunken leere ich Frodos Zuhause und beobachte ihn nebenbei, wie er seine kleine Box erkundet. Bis morgen Abend hält er das schon aus. Die Terrarien im Zoo sind auch nicht viel größer. Und gegessen hat er auch schon. Als ich fertig bin, schnappe ich mir alles und trage es nach draußen zum Wagen. Der Kofferraumdeckel ist bereits offen und einige kleine Schachteln sind schon im Auto. Vorsichtig schiebe ich das Glas hinein und verstaue auch das restliche Zubehör. Den Terrariummist habe ich bereits in einer Plastiktüte verpackt. Ich gehe nochmal ins Haus und bringe ihn zur Mülltonne. Als ich den Deckel öffne, durchströmt mich erneut die Wut und gleichzeitig fühle ich Empörung. Mama hat doch tatsächlich das Bild weggeworfen. Das Bild das eben noch in tausend Scherben im Wohnzimmer lag. Sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Hochzeitsfoto aus dem Rahmen zu nehmen, um es zu behalten.

»Es tut mir leid.« flüstere ich in den Himmel und schließe den Deckel.

3

Die Nacht war schrecklich und ich habe kaum geschlafen. Zu viele Gedanken marterten meinen Verstand. Ich kenne diesen Leopold doch kaum. Bis jetzt habe ich ihn erst einmal gesehen. Es verdreht mir den Magen, wenn ich bloß daran denke, ab jetzt mit ihm unter einem Dach wohnen zu müssen. Müde krieche ich aus dem Bett, ziehe die dunklen Vorhänge etwas auf und schaue aus dem Fenster. Es hat geschneit. Nur das fehlte noch. Draußen ist es noch recht dunkel, aber der Lärm in der Küche hatte mich geweckt. Mutter muss es ja ziemlich eilig haben, endlich von hier wegzukommen. Vermutlich kann sie es vor lauter Vorfreude kaum noch erwarten. Träge gehe ich zu Frodo und vergewissere mich, dass es ihm gut geht. Er hat sich über Nacht doch tatsächlich einen kleinen Kokon zurechtgemacht und sich darin eingekuschelt.

»Aufstehen du Faulpelz. Heute fahren wir in die Hölle.« flüstere ich ihm zu und muss ungewollt schmunzeln.

Ich bin mir sicher. - Es wird die Hölle für uns sein. Für mich zumindest. Ich atme durch und ziehe mich an. Jeans und ein weißer Pulli. - Das reicht. Was kümmert es mich, was Boss von mir hält. Ich umschließe den Griff der Schranktür und streife mit den Fingerspitzen über das dunkle Holz. Ich darf einfach nicht zu viel nachdenken. Die Straßenlaterne, die eben noch durchs Fenster in mein Zimmer geleuchtet hat, erlischt und im selben Moment schließe ich die Tür. Perfektes Timing. Ich muss ins Badezimmer. Ein letztes Mal… Alles hier ist das letzte Mal. Vermutlich wird Mama das Haus verkaufen und wir kommen nie mehr hierher zurück. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals und bleibe vor dem Waschbecken stehen.

Ein Blick in den Spiegel verschlimmert meinen Gefühlszustand nur noch mehr. Ich sehe tiefe dunkle Ringe unter meinen graublauen Augen und meine Haut ist kreidebleich. Schneewittchen auf Drogen könnte man meinen. Wo fange ich am besten an? Ich will zwar keine Aufmerksamkeit erregen, doch etwas menschlicher sollte es schon werden. Nicht so zombiemäßig. Na, ganz toll… Zombieschneewittchen auf Drogen. Ich schüttle den Kopf. Meine blödsinnige Fantasie geht schon wieder mit mir durch. Ich wasche mein Gesicht, putze die Zähne und kämme meine Haare. Dann binde ich sie zu einem lockeren Pferdeschwanz, der mir fast bis zur Taille reicht. Das muss genügen sage ich mir. Zum Glück finde ich in der hintersten Ecke des Spiegelschranks noch einen Abdeckstift und etwas Powder. Die beiden Bro's retten mir heute den Tag. Fertig zwinkere ich meinem Spiegelbild wie einer Zwillingsschwester zu.

»Wir schaffen das!«

Eine echte Schwester wäre jetzt ein Traum. Vielleicht wäre ich dann nicht so alleine mit meinen Gefühlen. Dann überkommt mich der Gedanke, dass diese imaginäre Schwester auch Mutter ähnlich sein könnte, und ich finde es plötzlich wieder ganz gut, doch ein Einzelkind zu sein. Ich will es mir gar nicht vorstellen mit zwei von der Sorte unter einem Dach zu leben. Mama allein ist schon schlimm genug.

Zurück im Zimmer schultere ich meine Tasche und schnappe mir Frodo. Ein letztes Mal betrachte ich mein Zimmer und denke zurück an all die schönen Erinnerungen, die ab nun endgültig der Vergangenheit angehören. Mama wühlt gerade in einer der Kisten im Wohnzimmer und sucht etwas. Als sie mich hört, richtet sie sich auf und wünsch mir einen guten Morgen. Mehr hatte sie vermutlich auch nicht zu sagen. Da ich noch vier Stunden mit ihr im Auto verbringen muss, versuche ich die Stimmung von gestern etwas aufzulockern. Vorsichtig stelle ich Frodo ab und frage Mama, ob sie etwas sucht.

»Meine Dokumentenmappe. Ich kann sie nirgends finden. Hast du sie gesehen?«

Ich schüttle den Kopf. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wo sie sein könnte, aber mir wird sofort bewusst, warum sie sie unbedingt finden will. Ohne Papiere keine Hochzeit. Ich verhalte mir eine dumme Bemerkung und helfe ihr stattdessen bei der Suche. Zumindest sieht es so aus, als würde ich helfen. Es ist mir eigentlich relativ egal, ob sie diesen Kerl früher oder später heiraten kann. Mich hat doch sowieso niemand nach meiner Meinung gefragt. Drei Kisten später hat sie die Mappe endlich gefunden und packt sie sorgfältig in einen ihrer Koffer, die sie heute mitnimmt. Ich helfe ihr bei den restlichen Sachen und kurze Zeit später sind wir startklar. Ich schnappe mir Frodo und lasse mich auf den Beifahrersitz sinken.

Meine Mutter schreit plötzlich laut auf. »Nimm das Vieh hier weg! Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?«

»Er ist doch in seiner Box. Du siehst ihn nicht mal. Dass du immer wegen allen Dingen ein Drama machen musst. Ich habe dir klar und deutlich gesagt, Frodo wird mitkommen!«

»Frodo, Gandalf, Gollum… mir egal, wie dieses Vieh heißt. Mach, dass es von hier verschwindet!«

Ich verdrehe die Augen und stelle die Box hinunter zu meinen Füßen.

»Besser?«

Sie atmet tief durch, gibt jedoch keine Antwort. Ich werte das als ein Ja. Als sie sich wieder gesammelt hat, legt sie den Gang ein und lenkt unseren alten Jeep von der Einfahrt auf die Straße. Ich blicke in den Seitenspiegel und sehe, wie unser Haus immer kleiner darin wird. Es ist gerade einmal sieben Uhr am Morgen und die halbe Nachbarschaft ist noch wie ausgestorben. Fast alle Lichter in den Fenstern sind noch aus und niemand ist draußen zu sehen. Kein Wunder. Weiter vorne führt jemand seinen Hund an der Leine. Armer Kerl - denke ich mir. Draußen hat es bestimmt nicht mehr als ein Grad. Tja, solche Tiere sollte man sich halt immer gut überlegen. Diese Sorgen habe ich mit Frodo nicht, lache ich im Gedanken.

Wir nähern uns dem Stadtende und blitzartig fällt mir etwas ein. Papa!

»Könntest du nur kurz beim Friedhof halten? Ich würde Papa gerne auf Wiedersehen sagen.«

Meine Mutter krallt die Finger um das Lenkrad und schaut mich mit einem seltsamen Ausdruck an.

»Du warst doch gestern dort. Heute beginnt dein neues Leben. Und außerdem ist es fast noch dunkel und eiskalt.«

»Aber Mama…«

»Nichts aber. Dein Vater ist seit zwei Jahren tot. Du musst endlich damit abschließen. Das kommt überhaupt nicht in Frage.«

»Abschließen? So wie du, meinst du? Bestimmt nicht! Ich bin nicht wie du!«

»Du warst nie wie ich.«

Sie hat recht. Und zum ersten Mal freue ich mich darüber. Ich war und bin nicht so wie sie und das will ich auch niemals werden.

»Ich weiß.« sage ich trocken und schlucke hinunter, was ich mir denke.

Vielleicht gibt es ja eine Busverbindung oder einen Zug in Leopolds Dorf. Sobald es eine Möglichkeit gibt, werde ich Papa wieder besuchen. Sie kann mir nicht verbieten, zu seinem Grab zu gehen. Diese Macht hat sie nicht.

4

Die Fahrt kommt mir unendlich vor. Plötzlich so viel Zeit mit meiner Mutter zu verbringen, ist neu für mich. Und ich bin nicht sonderbar erfreut darüber. Das Navi meldet sich und sagt »Noch zwei Kilometer bis zum Ziel.« Ja, Mutters Ziel. Mein Ziel ist das ganz bestimmt nicht. Frodo hat sich bis jetzt keinen Millimeter in seiner Box bewegt. Auch ihm ist das alles suspekt hier. Am liebsten baue ich mir ebenfalls einen großen Kokon und komm nie wieder raus.

Der graue Morgen hat sich bereits in einen schönen Wintertag verwandelt. Sonnenstrahlen fallen durch die Windschutzscheibe und kitzeln meine Haut. Frostbedeckte Wiesen, soweit das Auge reicht. Mutter verringert die Geschwindigkeit. Ganz sorgfältig studiert sie jede Kurve der Landstraße und schaut immer wieder auf das Navi. Wir nähern uns einem Waldstück. Kahle Bäume wachsen links und rechts neben der Straße und führen uns leicht bergauf. Wenige Meter später stehen nur noch Tannen und Fichten, wohin man sieht. Der Wald wird dunkel. Unheimlich. Düster. Die Straße hat sich verändert. Sie wurde zur Zufahrt der Hölle. Weit und breit keine Häuser. Nur Wald. Das Navi zeigt noch fünfhundert Meter bis zum Ziel, aber der Wald scheint endlos zu sein. Wo bin ich hier bloß gelandet? Es gleicht einem Horrorfilm immer mehr. Wenn sie uns hier ermorden würden - es würde uns nie jemand finden. Wobei… nach uns würde auch niemand suchen. Der finstere Wald lockert sich wieder etwas auf und vom Weiten erkenne ich ein Haus. Nein. Wohl eher eine Villa. Das muss es sein. Das Haus von Boss. Mutter hat nie erwähnt, dass er zu den Reichen gehört. Naja, das ändert aber trotzdem nichts an der Tatsache, dass ich nicht hier sein will. Wir kommen näher. Ein schwarzer hoher Eisenzaun umfasst das riesige Anwesen und ein großes schmiedeeisernes Tor befindet sich weitgeöffnet direkt vor uns. Er erwartet uns bereits. War auch irgendwie klar. Erst jetzt wird mir bewusst, dass diese zwei kilometerlange Straße einzig und allein zu diesem Haus führt. Ob der ganze Wald auch ihm gehört? Ich schlucke. Ganz oben am verschnörkelten Tor zieren sich prunkvolle goldene Spitzen und sehen gefährlich anmutig aus. Zu gefährlich. Meine Fantasie geht schon wieder mit mir durch. Als wir hindurchfahren, schließt sich das Höllentor automatisch hinter uns. Es muss so eine Art Bewegungssensor haben. Mit einem lauten Knarzen fällt es ins Schloss. Jetzt ist es endgültig. - Ich bin gefangen. Der Zaun ist bestimmt drei Meter hoch. Ich komme hier also nie mehr wieder weg. Ein asphaltierter Weg führt uns geradeaus zum Haus. Es ist ein riesiges weißes Gebäude mit einer Garage, die so groß ist, wie unser altes Haus. Träum ich? Alles hier wirkt wie in einem Film. Die schmale Zufahrtsstraße endet in einer Schlinge, die um einen großen Springbrunnen führt und verschmilzt dann mit dem Weg zurück. Hollywood-reif. Und hier soll ich wohnen? Abgeschottet vom Rest der Welt? Na super.

Wir halten direkt vor dem Treppenaufgang der Villa und mir wird augenblicklich kotzübel. Mama stellt den Motor ab und noch bevor ich aussteige, sehe ich bereits, wie sich die große braune Doppeltür des Hauses öffnet. Leopold steht im schwarzen Anzug am oberen Ende der Stufen und hat ein breites Lächeln im Gesicht. Seine dunklen Haare sind auf Millimeter frisiert und er wirkt beinahe anmutig. Langsam kommt er zu uns herunter und nähert sich dem Wagen. Mama ist inzwischen ausgestiegen und fällt ihm gleich innig in die Arme. Es folgt ein Kuss, der mich die Augen verdrehen lässt und dann lässt er sie wieder los. Leopold beugt sich nun etwas hinunter und schaut durch die Fahrerseite zu mir ins Auto.

»Na, wen haben wir denn da? Möchtest du nicht aussteigen?« sagt er mit einer freundlichen Stimme, aber ich mag ihn trotzdem nicht.

Ich nicke und hebe kurz die Hand zum Gruß. Sollen die nur machen, was die wollen. Ich will bloß meine Ruhe haben. Als ich aussteige, traue ich meinen Augen kaum. Boss hat doch tatsächlich einen Dienstboten, der sich gerade dem Kofferraum nähert. Soll das alles ein schlechter Scherz sein? Wo arbeitet dieser Typ? Bei der Mafia? Alles hier kommt mir so unwirklich und aufgesetzt vor. Das kann doch unmöglich wirklich gerade passieren. Der Dienstbote kümmert sich gerade um das Gepäck im Kofferraum und marschiert bereits mit den ersten Kisten ins Haus. Leopold legt die Hand in Mutters Rücken und führt sie Richtung Treppen. Kurz bleibt er stehen und schaut mich eindringlich an.

»Komm doch bitte.« sagt er.

Wieder nicke ich, da ich nicht viel zu sagen weiß, schnappe mir Frodo und folge den beiden. Noch bevor ich die Tür erreiche, höre ich eine Krähe in der Ferne. Mein Blick wandert in den Himmel. Nichts. Langsam werden mir diese Vögel unheimlich. Ich halte inne. Fühle in mich hinein. Meine Augen schließen sich für Sekunden. Mein Herz rast.

»Ach Papa…« flüstere ich.

Die Luft ist kalt. Zu kalt. Es ist seine Aura. Leopolds Aura. Die Aura dieses Orts. Alles hier lässt mich innerlich erzittern. Ich fühle mich hilflos. Ausgeliefert von der eigenen Mutter. Gezwungen zu meiner Zukunft und alleingelassen mit meiner Vergangenheit. Der Vogel kräht erneut. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, in der ich innehalte, aber ich weiß, es sind nur Sekunden. Sekunden, in denen meine Vergangenheit endgültig an mir vorbeizieht und mich schutzlos meiner Gegenwart überlässt. Allein mit diesen Gefühlen, die wie hungrige Wölfe auf mein Versagen warten. Allein mit diesen Scherbenhaufen meines Herzens. Wenn Papa nicht gestorben wäre und Mama damals im Unfallwagen gewesen wäre…

Wie würde mein Leben jetzt wohl aussehen? Dieser Gedanke kam mir oft. Zu oft. Er kommt aus der dunkelsten Ecke meines Herzens. Ich weiß, dass es mit Papa besser gewesen wäre. Alles wäre besser gewesen… Ich öffne die Augen. Meine Finger sind wie versteinert und umklammern Frodos Box. Ich atme tief ein und langsam wieder aus. Ein Schritt. Wieder bleibe ich kurz stehen. Ich drehe meinen Kopf zum Wagen. Da sehe ich sie. - Die Krähe. Sie fliegt tief über den Vorgarten und krächzt erneut. Ich beneide den Vogel. Er ist frei. Meine Finger lockern sich allmählig und mein Puls beruhigt sich wieder. Also gut. Jetzt oder nie.

Das Innere trifft mich mit voller Wucht. Hier sieht es aus wie in einem Schloss. Zumindest vermute ich, dass es in einem Schloss so ähnlich aussehen muss. Ein weißer Marmorboden erstreckt sich unter meinen Füßen und eine lange geschwungene Treppe führt in den oberen Bereich. An den gold-weiß tapezierten Wänden hängen unzählige große Gemälde, die die unterschiedlichsten Dinge präsentieren. Ein Schiff, den letzten König, eine traumhafte Landschaft und sogar ein Portrait von Leopold befinden sich darunter. Hohe Fenster erhellen den gesamten Innenbereich und feine Sonnenstrahlen bringen das Kristall des Kronleuchters zum Funkeln. Schwere rote Samtvorhänge runden das Gesamtbild ab und passen perfekt zu dem dunkelroten Perserteppich. Ein breiter Gang führt nach links und geradeaus steht ein schwarzer Flügel. Leopold spielt also Klavier.

»Entschuldigen Sie, Madam. Dürfte ich bitte vorbei.«

Der Dienstbote mit grau-meliertem-Haar und Oberlippenbart holt mich zurück in die Realität.