Mein wunderbares Gartencafé - Carole Matthews - E-Book
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Mein wunderbares Gartencafé E-Book

Carole Matthews

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Beschreibung

«Ich bin vermutlich der treueste und zuverlässigste Mensch auf der Welt. Manchmal denke ich, dass das nicht gut ist.» Fays größter Traum ist es, das alte Hausboot ihres Vaters am Kanal wieder fahrtüchtig zu machen. Doch sie hat alle Hände voll damit zu tun, ihre bettlägerige, schlechtgelaunte Mutter zu versorgen, das Café zu führen, das sie in ihrem Elternhaus eröffnet hat, und jeden Abend ihre Dauerbeziehung Anthony mit einer warmen Mahlzeit zu beglücken. Dann macht eines Tages ein weiteres Hausboot am Anleger fest. An Bord ist nicht eins der üblichen Touristenpärchen, sondern Danny: zehn Jahre jünger als Fay, sehr gutaussehend und auf der Suche nach Arbeit ... «Ein herrliches, kluges, modernes Märchen.» (Sunday Mirror) «Eine wundervolle Geschichte über Freundschaft und Liebe.» (Katie Fforde) «Geistreich, lustig und sehr berührend - perfekt gegen Trübsal.» (Heat)

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Carole Matthews

Mein wunderbares Gartencafé

Roman

Aus dem Englischen von Barbara Ostrop und Elvira Willems

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«Ich bin vermutlich der treueste und zuverlässigste Mensch auf der Welt. Manchmal denke ich, dass das nicht gut ist.»

 

Fays größter Traum ist es, das alte Hausboot ihres Vaters am Kanal wieder fahrtüchtig zu machen. Doch sie hat alle Hände voll damit zu tun, ihre bettlägerige, schlechtgelaunte Mutter zu versorgen, das Café zu führen, das sie in ihrem Elternhaus eröffnet hat, und jeden Abend ihre Dauerbeziehung Anthony mit einer warmen Mahlzeit zu beglücken. Dann macht eines Tages ein weiteres Hausboot am Anleger fest. An Bord ist nicht eins der üblichen Touristenpärchen, sondern Danny: zehn Jahre jünger als Fay, sehr gutaussehend und auf der Suche nach Arbeit ...

 

«Ein herrliches, kluges, modernes Märchen.» (Sunday Mirror)

 

«Eine wundervolle Geschichte über Freundschaft und Liebe.» (Katie Fforde)

 

Über Carole Matthews

Inhaltsübersicht

Brief an die LeserinWidmung· 1 ·· 2 ·· 3 ·· 4 ·· 5 ·· 6 ·· 7 ·· 8 ·· 9 ·· 10 ·· 11 ·· 12 ·· 13 ·· 14 ·· 15 ·· 16 ·· 17 ·· 18 ·· 19 ·· 20 ·· 21 ·· 22 ·· 23 ·· 24 ·· 25 ·· 26 ·· 27 ·· 28 ·· 29 ·· 30 ·· 31 ·· 32 ·· 33 ·· 34 ·· 35 ·· 36 ·· 37 ·· 38 ·· 39 ·· 40 ·· 41 ·· 42 ·· 43 ·· 44 ·· 45 ·· 46 ·· 47 ·· 48 ·· 49 ·· 50 ·· 51 ·· 52 ·· 53 ·· 54 ·· 55 ·· 56 ·· 57 ·· 58 ·· 59 ·· 60 ·· 61 ·· 62 ·· 63 ·· 64 ·· 65 ·· 66 ·· 67 ·· 68 ·· 69 ·· 70 ·· 71 ·· 72 ·· 73 ·· 74 ·· 75 ·· 76 ·· 77 ·· 78 ·· 79 ·· 80 ·· 81 ·· 82 ·· 83 ·· 84 ·· 85 ·· 86 ·· 87 ·· 88 ·· 89 ·· 90 ·· 91 ·· 92 ·· 93 ·· 94 ·· 95 ·Dank

Hallo! Ganz herzlichen Dank, dass Sie dieses Buch ausgewählt und sich dafür entschieden haben, in die Welt rund um Fay’s Cakes einzutauchen, ein kleines Café mit Kuchenverkauf, das meine Heldin Fay im wunderschönen Garten ihres Hauses am Grand-Union-Kanal betreibt. Es ist ein idyllisches Fleckchen, und seit ich es erfunden habe, suche ich die Internetseiten der Immobilienmakler nach einer Gelegenheit ab, dem nahezukommen! Wie gern ich dort leben würde.

Ich bin ein großer Fan des britischen Kanalnetzes. Für diese wundervollen Wasserstraßen, die sich durch unsere Städte und Dörfer schlängeln, können wir wirklich dankbar sein. Der Grand-Union-Kanal fließt durch Milton Keynes, die «Costa del Keynes», wo ich lebe, und ich liebe Spaziergänge entlang des Kanals. Hier zu sein ist meine größte Freude. Ich hatte immer Lust auf einen Kanal-Urlaub, aber mein Liebster, mein Lebensgefährte Kev, beharrte eisern darauf, dass das nichts für ihn sei. Er steht eher auf Wildwasser-Rafting als auf gemächlich dahinfließende Kanäle.

Dann erhielt ich urplötzlich eine E-Mail über Hotelschiffe auf dem Kanal – bisher hatte ich nicht einmal gewusst, dass es so etwas gibt. Das schien mir genau das Richtige für mich. Jemand anderes würde Essen kochen, das Boot führen und notfalls auch die Schleusen managen, falls man sich nicht die Hände schmutzig machen wollte. Man konnte buchstäblich so viel oder so wenig tun, wie man wollte. Könnte irgendetwas besser sein?

Und so überredete ich meine liebe Freundin Sue, mich zu begleiten, und wir haben es unheimlich genossen. Ich hatte gar nicht vorgehabt, die Handlung eines Buches am und auf dem Kanal spielen zu lassen, aber sobald ich den Fuß an Bord gesetzt hatte, war mir klar, dass mir so ein Roman viel Spaß machen könnte. An jeder einzelnen Schleuse begegneten wir interessanten Menschen und manchmal auch echten Originalen. Ich war in meinem Element. Es ist eine wunderschöne Art, unser Land zu betrachten, und inzwischen bin ich richtig süchtig nach Kanalbootfahrten.

Und mein Liebster Kev? Er hat uns auf der zweiten Reise begleitet.

Ich hoffe also, dass Ihnen die Lektüre Spaß macht und dass Sie, falls das nicht schon längst geschehen ist, vielleicht einmal Zeit finden, die wundervollen Kanäle in unserem Land kennenzulernen. Vielleicht stoßen sie ja auf ein kleines, verborgenes Juwel wie mein wunderbares Gartencafé.

Carole J XX

Für meine liebe Freundin Sue Davie, die auf meinen Recherche-Ausflügen in die Freuden des Kanallebens die perfekte Gefährtin war. Wunderschöne Erinnerungen.

· 1 ·

Ich sitze auf Mums Bettkante und atme einmal tief durch. «Ich hab dich für eine Woche Kurzzeitpflege angemeldet», verkünde ich.

Sie starrt mich entsetzt an. «Aber ich will nicht, dass du einen Kurzzeiturlaub von mir nimmst.»

«Die Lage ist im Moment ein bisschen schwierig, Mum. Du weißt doch, wie es läuft. Das Frühjahr steht vor der Tür, und ich brauche Zeit, um das Café für die Saison startklar zu machen.»

Sie verschränkt uneinsichtig die Arme vor der Brust.

In der Hoffnung, sie nachgiebiger zu stimmen, habe ich ihr schon eine Tasse Tee und ein Stück von dem neuen Kuchen gebracht, den ich gerade ausprobiere, aber meine liebe Mutter hat beides verschmäht.

«Ich geh hier nicht weg.» Mum reckt herausfordernd das Kinn. «Auf keinen Fall, mein Fräulein.»

Für eine Frau, die angeblich pflegebedürftig ist, hat meine Mutter die beste Gesundheit und den stärksten Willen, die mir je begegnet sind. Schon als ich den Platz für sie reservierte, war mir klar, dass ich übertrieben optimistisch an die Sache heranging. Meine Mutter lässt sich nicht einmal von einem frischgebackenen Kuchen erweichen.

«Ich muss noch einen Riesenberg Sachen erledigen, Mum. Dafür könnte ich einfach ein paar Tage gebrauchen. Das ist alles.» Ein paar Tage, in denen sie nicht alle fünf Minuten von oben an die Küchendecke hämmert, weil sie dies oder jenes oder auch gar nichts will. Eigens zu diesem Zweck steht ein Gehstock neben ihrem Bett.

Meine Familie hat das Glück, seit der Heirat meiner Eltern Miranda und Victor Merryweather in einem wunderschönen Haus am Grand-Union-Kanal zu leben. Sowohl meine Schwester Edie als auch ich sind hier geboren und aufgewachsen. Eine von uns ist damit zufriedener als die andere. Das Haus liegt in dem hübschen Dorf Whittan, das einmal ein Vorort von Milton Keynes war, inzwischen aber von den Ausläufern der wuchernden Stadt, die sich alles einverleibt, was ihr in den Weg kommt, erreicht worden ist.

Als ich Mums Vollzeitpflegerin wurde, habe ich meine feste Stelle aufgegeben und mir einen neuen Verdienst geschaffen, indem ich einen kleinen Kuchenladen mit Café und Teestube eröffnete – Fay’s Cakes. Schon vorher hatte ich angefangen, Kuchen zu verkaufen, von unserem heruntergekommenen Kanalboot aus. Die Maid of Merryweather liegt am Steg hinter dem Garten. Damals war das so eine Art Hobby, eine Gelegenheit, die sich einfach ergab. Auf diese Weise konnte ich die Kuchen, die ich so gern buk, und die Marmelade, die ich so gern kochte, einer nützlichen Verwendung zuführen. Inzwischen betreibe ich das Ladencafé als Vollzeitjob, und es hat auch das Esszimmer, die Veranda und den Garten unseres Hauses erobert. Das einzige Problem mit dieser Arbeit zu Hause ist, dass ich die Hälfte meiner Zeit damit vertue, die Treppe rauf und runter zu rennen, um Mum irgendwelche Dinge zu bringen, während ich gleichzeitig das Café unten am Laufen halten muss. Nicht, dass mir das etwas ausmacht … Nur brauche ich eben ab und zu eine Unterbrechung meiner pflegerischen Pflichten, damit ich mich auch mal darauf konzentrieren kann, ein wenig Geld zu verdienen, das ich dringend brauche.

«Dann setzen sie mich zu den Tattergreisen und Sabberomas in die Ecke», beschwert sich Mum.

«Bestimmt nicht. Es ist ein gutes Haus.» Ich halte ermutigend den fröhlichen Prospekt des Sunnyside Kurzzeitpflegeheims hoch, aber sie wendet demonstrativ den Blick ab. «Es ist kein Krankenhaus», beharre ich. «Du bekommst dein eigenes Zimmer. Ich hab mir das im Internet ganz genau angeschaut.»

«Pah!»

«Es ist eher wie ein Hotel – sogar genau wie ein Hotel –, nur eben mit Pflege. Sie werden sich um dich kümmern.»

«Sag es einfach, wenn ich dir zur Last falle, Miss Fay Merryweather.» In Mums Stimme liegt ein Schluchzen, und sie betupft sich theatralisch die Augen unter ihrer Lesebrille.

«Du fällst mir nicht zur Last.» Wieder einmal gibt sie mir das Gefühl, die schlechteste Tochter der Welt zu sein. «Natürlich nicht.»

Sie schiebt den Kuchenteller von sich, offensichtlich zu sehr von ihren Gefühlen überwältigt, um etwas essen zu können.

«Ich liebe dich. Das weißt du doch. Nur habe ich eben im Café unheimlich viel zu tun.» Die Liste ist endlos. Schon allein beim Gedanken daran wird mir irgendwie schwindelig.

«Ach.» Sie verdreht die Augen. «Das Café hier, das Café da. Du denkst doch immer nur daran. Nie höre ich etwas anderes.»

«Nur so kann ich unsere Rechnungen bezahlen, Mum.» Und auch das nur so gerade eben. Die lösen sich nämlich nicht einfach in Luft auf, weil ich zu Hause bleibe und mich um dich kümmere, füge ich im Geist hinzu, wage aber nicht, es laut auszusprechen.

Im Winter vor vier Jahren musste meine Mum mit einer schlimmen Grippe ins Bett. Die Grippe ging in eine Lungenentzündung über, und es ist keine Frage, dass es ihr damals furchtbar schlecht ging. Aber auch als die Lungenentzündung nach der Behandlung mit Antibiotika abgeklungen war, hatte sie es nicht eilig mit dem Aufstehen. Dann rutschte sie im Bad aus und brach sich die Hüfte. Vom Krankenhaus zurückgekehrt, machte sie die Übungen nicht, die der Physiotherapeut ihr zusammengestellt hatte, sondern legte sich ins Bett. Dort richtete sie sich sehr gemütlich ein, und seit damals weigert sie sich einfach aufzustehen.

Mum ist überzeugt, dass sie weiterhin krank und schwach ist, egal wie oft der Arzt ihr erklärt, dass es ihr bestens geht. Sie hat sich seit damals nicht von der Stelle bewegt, und niemand kann sie in Schwung bringen. Ich habe sie ermutigt und gedrängt. Ärzte kommen und reden ihr gut zu. Psychotherapeuten und Psychiater tauchen an ihrem Bett auf, versuchen, ihr Ratschläge zu erteilen, und werden in ihre Schranken verwiesen. Man hat ihr Antidepressiva gegeben, die ich anschließend zwischen der Matratze und dem Kopfbrett ihres Bettes gefunden habe. Kurz, meine Mutter hat beschlossen, dauerhaft bettlägerig zu sein, und sie genießt, offen gesagt, diesen Zustand.

Jetzt sitzt Miranda Merryweather Tag für Tag zwischen flauschigen Kissen und unter einer kuscheligen Daunendecke in ihrem Bett und hält Hof wie die Königin eines sehr kleinen Landes. Inzwischen lässt sie allerdings kaum mehr jemanden in ihr Reich. Gelegentlich gewährt sie unserem reizenden Hausarzt Dr. Ahmed widerstrebend eine Audienz. Zu Beginn hat ihr wohl die Aufmerksamkeit gefallen, die ihr zuteilwurde. Im Laufe der Monate hat sie sich dann so sehr ans Bett gewöhnt, dass sie schließlich Angst davor hatte, aufzustehen und hinauszugehen. Und nun ist es einfach zu ihrer Lebensweise geworden.

Ihre früheren Freundinnen sind nach und nach alle weggeblieben, bis zum Schluss nur noch ich da war, um nach ihrer Pfeife zu tanzen. Ich koche, putze und führe das Café. Mum schafft es zwar noch allein durch den Flur zur Toilette, braucht aber zum Duschen meine Hilfe, und ich wasche ihr auch das Haar, wenn sie mich darum bittet. Selbst wenn mir an manchen Tagen nicht die Zeit bleibt, mein eigenes Haar zu waschen. Es gibt einen stetig wachsenden Vorrat von Tabletten, die ihr in regelmäßigen Abständen verabreicht werden müssen – blutdruck- und cholesterinsenkende Medikamente, Entwässerungstabletten und Schlafmittel. Die Liste geht noch weiter. Je länger meine Mutter im Bett bleibt, desto mehr Medikamente braucht sie. Ich wechsele ihr Nachthemd täglich und ihre Bettwäsche einmal in der Woche.

«Deine Schwester würde mich niemals so behandeln», sagt Mum.

«Garantiert nicht», stimme ich zu. «Du würdest verhungern, bevor Edie dir Tee und Kuchen brächte.»

Mum zuckt zurück, als hätte ich sie geschlagen, wendet das Gesicht ab und starrt beharrlich aus dem Fenster auf den Garten und die Kanalschleife dahinter. Die Bäume am Ufer sind voller Knospen, und bald wird der Weißdorn einen prachtvollen Blütenschleier tragen. Es ist so schön da draußen. Und doch wird sie hier im Zimmer bleiben und nichts davon haben.

«Von Edie könntest du noch einiges über Fürsorge lernen, Madame.»

Das könnte ich nicht. Mit Sicherheit nicht.

Edie, meine jüngere und einzige Schwester, ist das Goldkind der Familie. Edie, die arbeitslose Alkoholikerin, die gelegentlich auch Drogen nimmt und derzeit von einem verheirateten Mann ausgehalten wird, kann in Mums Augen nichts verkehrt machen. Da sie in New York lebt, hat Mum von alledem nicht die geringste Ahnung. In ihrer Vorstellung feilt Edie eifrig an einer großartigen Karriere und ist mit einem sagenhaft reichen Anwalt zusammen. Aus dieser Perspektive ist sie eine weit bessere Tochter als ich. Meine Schwester ist mit Einzelheiten über ihr Leben sehr sparsam, wenn sie mit meiner Mutter telefoniert, und Mum sieht Edie nur durch die rosarote Brille. Während sie mir oft genug die Rolle der bösen Tochter zugedenkt.

In Wahrheit ist es so, dass Edie kaum jemals anruft, wenn sie nicht irgendetwas braucht, und inzwischen überhaupt nicht mehr nach Hause kommt. Seit Mum bettlägerig ist, war sie noch kein einziges Mal da – und sie ist nicht einmal gekommen, als Mum tatsächlich krank war. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: New York liegt doch heutzutage praktisch um die Ecke. Man kann für ein Wochenende hinfliegen. Es ist ja nicht so, als wäre Edie in Australien oder Neuseeland oder irgendwo am anderen Ende der Welt.

Obwohl Edie ein ziemliches Miststück sein kann, vermisse ich sie schrecklich. Ich wünschte, sie wäre hier, und nicht nur, weil ich mit Mum ein bisschen Hilfe gebrauchen könnte. Obgleich die Aufgabe, ein Elternteil allein zu pflegen, belastend und undankbar sein kann, wäre es schön, Edie einfach nur als Freundin hierzuhaben, eine, die wüsste, was ich durchmache. Dann könnten wir diese emotionale Bürde vielleicht gemeinsam schultern.

Ich lege noch einmal nach, obgleich mir allmählich klarwird, dass meine Mission erfolglos sein wird. «Ich dachte, ich könnte dein Zimmer neu tapezieren, während du weg bist.»

«Ich gehe nicht weg, kleine Miss-Tomaten-auf-den-Ohren. Das habe ich dir doch schon gesagt.»

Das Zimmer könnte wahrhaftig eine Verschönerung gebrauchen. Hier ist wohl seit etwa 1972 nichts mehr gemacht worden. Die rosafarbene Blümchentapete wellt sich an manchen Stellen, und an der Decke zeichnet sich ein feuchter Fleck ab, der darauf hinweisen könnte, dass das Dach darüber undicht ist. Das wäre nicht die erste lecke Stelle. Inzwischen wage ich es schon gar nicht mehr, auf den Speicher zu steigen. Ehrlich gesagt, könnte das ganze Canal House eine fürsorgliche Hand gebrauchen. Seit Jahren hat niemand mehr Geld dafür ausgegeben, einfach weil keines übrig war.

Ich bin einundvierzig Jahre jung, und hier ist das einzige Zuhause, das ich jemals gekannt habe. Ich bin in ebendiesem Zimmer hier geboren, und wenn es in meinem Leben so weitergeht wie bisher, werde ich höchstwahrscheinlich auch hier sterben.

«Ich könnte dir ein paar Tapetenmuster besorgen.»

«Ich hör nicht zu.» Mum steckt sich die Finger in die Ohren. «La, la, la. Ich hör nicht zu.»

Mir würde das alles nichts ausmachen, wenn Mum tatsächlich uralt wäre, aber sie ist erst siebzig, mehr nicht. Siebzig ist doch das neue Fünfzig. Sie sollte draußen rumlaufen und die beste Zeit ihres Lebens haben. Doch den Verlockungen eines Seniorenstudiums hat sie leider nie etwas abgewinnen können. Es ist enorm frustrierend, dass sie sich anscheinend aufgegeben hat und sich damit zufriedengibt, hier herumzuliegen. Noch frustrierender ist die Tatsache, dass sie in diesem Zustand zu schwelgen scheint: Sie verbringt ihre Tage in matter Erschlaffung und sieht sich Seifenopern und Quiz-Shows im Fernsehen an. Oder Doku-Soaps rund ums Einrichten, die niemals auf unser eigenes Zuhause abfärben werden.

Bevor ich ihr noch weiter zusetzen kann, höre ich, wie die Hintertür aufgeht, und eine Stimme schallt aus dem Flur zu uns herauf:

«Ich bin’s!»

Das ist meine Mitarbeiterin Lija. Das Café macht erst in ein paar Stunden auf, aber Lija ist heute früher gekommen, um mir beim Scheuern der Tische und Stühle zu helfen, die über den Winter im Garten standen. Der erste Punkt auf einer langen Liste von äußerst reizvollen Aufgaben, die wir abarbeiten müssen, bevor die geschäftige Sommersaison beginnt. Dann werden wir nämlich keine Minute Zeit für so etwas haben.

«Ich muss los», sage ich.

«Mein Tee ist kalt geworden», murrt Mum.

Manchmal könnte ich schwören, dass sie den ganzen Tag damit zubringt, sich kleine Quälereien für mich auszudenken. Wenn sie in einer besonders streitlustigen Stimmung aufgewacht ist, wartet sie oft ab, bis ich am Fuß der Treppe angekommen bin, und ruft mich dann zurück, um mir irgendeine unwichtige Anweisung zu geben, die sie angeblich vorher vergessen hat, oder damit ich ihre Kissen aufschüttele.

Ich nehme ihre Tasse. «Ich bringe dir einen schönen neuen.»

«Aber diesmal mit weniger Milch. Er schmeckt wie Reisbrei, wenn du ihn machst.»

Ich könnte ihr nahelegen, dass sie durchaus fähig wäre, aufzustehen und sich ihren Tee selbst aufzubrühen. Dann bräuchte sie sich nicht zu beschweren. Aber ich halte den Mund. Damit würde ich nur meine Zeit verschwenden, denn in diesem Punkt habe ich den Kampf schon längst verloren. Stattdessen hebe ich die Wäsche auf – das Bettzeug, das ich gestern gewechselt habe, und das Nachthemd, das ich heute früh durch ein frisches ersetzt habe – und mache mich auf den Weg nach unten.

Dies hier ist mein Leben, ob mir das nun gefällt oder nicht. Und ich muss einfach meine Frau stehen und weitermachen.

· 2 ·

Als ich in die Küche gehe, hat Lija bereits ihren Mantel abgelegt und nimmt ein paar Eier aus dem Kühlschrank.

«Morgen», sage ich, stopfe die Wäsche in die Waschmaschine und schalte sie ein. Bügeln kann ich heute Abend und mir dabei die Folge der Doku-Serie Escape to the Country anschauen, die ich aufgenommen habe. Mein kleines Laster. «Sollten wir nicht erst mal rausgehen und die Möbel schrubben, solange das Wetter noch schön ist? Für nachher ist Regen angekündigt, und dann können wir immer noch zum Backen ins Haus gehen.»

Wenn alles nach Plan läuft, werden wir heute Nachmittag ein paar neue Rezepte ausprobieren.

«Immer dieser verdammt Regen», knurrt meine Mitarbeiterin. «Regen, Regen, nichts als Regen.»

Lija Vilks ist eine junge, schlanke Lettin. Sie ist vielleicht nicht ganz die Idealbesetzung für einen Betrieb mit Kundenverkehr, weil sie ziemlich grantig sein kann. Und zwar insbesondere gegenüber den Kunden. Andererseits ist sie aber eine tüchtige und loyale Mitarbeiterin, die bereit und fähig ist, bei so ziemlich allem kräftig mit anzupacken. Sie bäckt wunderbare Kuchen, die, ehrlich gesagt, viel besser sind als meine eigenen. Was ein Karottenkuchen ist, begreift man erst, wenn man den von Lija gekostet hat, und ich schwöre, dass sie mit ihren Brownies Preise gewinnen könnte. Sie ist wie die Kochgöttin Mary Berry in Gestalt eines übellaunigen Gruftis.

«Wie geht alter Ziege heute?» Lija wirft einen verächtlichen Blick zur Zimmerdecke hinauf, über der meine geliebte Mutter sich ausruht.

«Nicht so toll», räume ich ein. «Sie will nicht in die Kurzzeitpflege, und wenn ich mich auf den Kopf stelle. Ich muss da anrufen und absagen.»

Lija schüttelt missbilligend den Kopf. Sie ist nicht gerade ein Fan meiner Mutter. Aber meine Mutter ist schließlich auch keiner von ihr.

«Ich habe alles versucht», sage ich. «Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun könnte. Wir werden unser Programm eben durchziehen müssen, obwohl sie da ist.»

«Kannst du Pflegerin kommen lassen?»

«Die kann ich mir nicht leisten, Lija. Es ist einfach nicht genug Geld in der Kasse.» Ich seufze tief. «Ich wünschte, Edie würde zurückkommen und mir helfen. Selbst, wenn es nur für ein oder zwei Wochen wäre. Vielleicht rede ich nachher noch einmal mit ihr.»

«Na, viel Glück dabei.» Lija wirft mir einen Blick zu, der deutlich macht, dass sie da schwarzsieht.

Das ist die Lieblingsfarbe meiner Mitarbeiterin – schwarz. Und das gilt sowohl für ihre vernichtenden Blicke als auch für ihre Kleidung. Heute ist es nicht anders: Sie trägt eine schwarze Jeans mit einem hautengen, schwarzen T-Shirt und hat ihr vollkommen glattes, schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Nur ihr Teint ist kreidebleich.

Lija legt nur selten einen Hauch Make-up auf, aber das hat sie auch gar nicht nötig, da sie auch so bestürzend schön ist, selbst wenn sie etwas von einer Vampirin hat. Ihr Pony hängt wie ein Vorhang vor ihren großen blauen Augen, und manchmal frage ich mich, wie sie da hindurch überhaupt etwas sehen kann. Sie isst morgens, mittags und abends nichts als Kuchen und hat dabei den hagersten, kantigsten Körper, den ich je gesehen habe. Ich bin extrem neidisch auf ihre schmale Figur. Sie liegt nicht im ständigen Kampf mit ihren Brüsten, ihrem Hintern, ihren Hüften, ihren Oberschenkeln und ihrer Cellulitis. Obwohl ich den ganzen Tag treppauf, treppab laufe, wenn ich nach meiner Mutter schaue, neige ich zu Kurven und muss einen Kuchen nur anschauen, um gleich noch eine Rundung draufzupacken.

Noch etwas gefällt mir an Lija, nämlich dass sie so zuverlässig ist wie die Rathausuhr. Sie wohnt nicht weit von unserem Dorf in der Stadt und radelt bei jedem Wetter auf dem Uferweg zur Arbeit. Lija bewohnt ein Zimmer in einem Haus, das sie zusammen mit drei weiteren lettischen Mädchen gemietet hat. Sie alle trinken wie die Bürstenbinder und feiern die Nächte durch, aber in den mehr als zwei Jahren, die sie für mich arbeitet, ist sie noch kein einziges Mal zu spät gekommen. Wenn sie ausnahmsweise einmal einen Tag frei nimmt, springt immer eine ihrer Freundinnen für sie ein, und so brauche ich mir nie über einen Ersatz Gedanken zu machen. Die anderen Mädchen sind ähnlich schwarz und grimmig, aber nicht ganz so ruppig wie Lija.

Ich setze noch einmal Wasser auf. «Mums Tee ist kalt geworden», sage ich. «Möchtest du auch einen?»

Sie nickt. «Ich bring alter Ziege den Tee. Sie macht nicht bumbum gegen Decke den ganzen Tag, wenn sie denkt, dass dann ich komme.»

Das ist noch etwas, das für Lija spricht. Trotz ihrer brummigen Art hat sie nur selten etwas dagegen einzuwenden, mir auch mit meiner Mutter zu helfen. Ich will nicht behaupten, dass sie Florence Nightingale Konkurrenz macht oder so. Ganz im Gegenteil: Dr. Crippen war wahrscheinlich ein Lamm im Vergleich zu Lija. Sie mag sich am Krankenbett ein wenig unkonventionell verhalten, aber sie hat recht: Meine Mutter ist immer viel pflegeleichter, wenn Lija nach ihr schaut. Lija lässt sich von Miranda nichts gefallen. Und das passt mir bestens.

Während Lija mit Mums Tee nach oben stapft, fülle ich einen Eimer mit heißer Seifenlauge und suche zwei Scheuerbürsten. Ich ziehe meine bequeme, alte Strickjacke an, stecke die Bürsten in die Jackentaschen und gehe in den Garten hinaus.

Das hier ist ein großes Haus, mit dicken, robusten Wänden. Es wurde in den 1920er Jahren aus haltbarem rotem Backstein erbaut und ist im Vergleich zu den heutigen Schuhkartons riesig. Wir haben Glück, dass die Küche groß genug ist, um sie professionell nutzen zu können.

Fay’s Cakes ist auch während der Wintermonate geöffnet, aber dann geht das Geschäft ziemlich schleppend. Wir verkaufen zwar auch dann noch Kuchen auf der Maid of Merryweather und direkt aus der Küche, aber nur an hellen, sonnigen Wochenenden haben wir einen steten Strom von Gästen. Ein paar Tische stehen dann noch in dem geräumigen Esszimmer, das ich mit rosa gemusterten Tüchern und selbstgenähten Fähnchen an den Wänden aufgepeppt habe. Es ist ein gemütlicher Raum, der dem gegenwärtigen Trend zum Retro-Schick entspricht, aber nur, weil seine Einrichtung zum größten Teil noch aus der Zeit stammt, als sie zum ersten Mal in Mode war. Die rosa Gläser- und Vasensammlung meiner Mutter erlebt eindeutig eine zweite Blüte.

Entlang der Rückseite des Hauses verläuft eine hübsche Veranda mit einem schmiedeeisernen Rankgerüst. Derzeit ist es von Blauregen überwachsen, dessen Blüten bald schwer wie Weintrauben herabhängen werden. Später im Sommer übernimmt eine rote Clematis die Herrschaft. Es ist ein lieblicher, geschützter Ort, und hier stehen ebenfalls ein paar Tische.

Ich muss sagen, dass der Reiz des Ladencafés, von Lijas Kuchen abgesehen, hauptsächlich in dem wunderschönen Garten liegt. Es ist unbestreitbar ein großes Grundstück, das sich breit und lang bis zum Ufer des Grand-Union-Kanals erstreckt.

Auf beiden Seiten ist es von einer hohen Mauer aus rotem Backstein begrenzt, die es gegen die unmittelbaren Nachbarn abschirmt. Laufkundschaft haben wir hier fast gar nicht, da das Canal House ganz am Ende eines Feldwegs liegt und normalerweise nur von Leuten entdeckt wird, die es wirklich finden wollen. Nicht gerade der ideale Ort für ein Ladencafé, aber man muss eben nehmen, was man hat. Sollte ich versuchen, etwas Vergleichbares anderswo zu finden, würde es mich ein kleines Vermögen kosten. Ein kleines Vermögen, das ich nicht besitze.

Wenn man über das Grundstück zum Kanal blickt, sieht man einen bescheidenen Obstgarten mit knorrigen Apfelbäumen. Er ist durch die hohe Mauer dahinter geschützt, die derzeit von rosa Clematis überwuchert ist, der später im Jahr eine Kletterrose folgen wird. Rechts hinter der Veranda steht eine alte Magnolie, die wirklich prachtvoll ist, wenn der Spätfrost sie nicht erwischt. Die Mauer wird von verschiedenen Blütensträuchern gesäumt, die derzeit alle dringend zurückgeschnitten werden müssten.

Das Wetter war dieses Jahr wirklich schrecklich. Tja, wir sind eben in England. Es war für die Jahreszeit zu kalt und hat seit Januar immer nur geregnet. Der Garten hat zweifellos darunter gelitten. Heute ist es zwar trocken, aber die meisten Büsche lassen ihre schweren, nassen Zweige hängen. Näher beim Kanal haben der Regen und der Sturm der letzten Woche die schönen Kirschbäume mit ihren zarten, rosa Blüten übel zerzaust. Trotzdem ist der Garten ein idyllisches Fleckchen.

Bevor Mum bettlägerig wurde, hat sie den Garten sehr geliebt – auch wenn die harte Arbeit meinem Dad überlassen blieb. Er war derjenige, der den Garten so schön gemacht hat. Dies hier war einmal ein ganz normales, bescheidenes Einfamilienhaus – bis sein Wert durch mehrere Immobilienbooms in astronomische Höhen katapultiert wurde. Ich empfinde es als ein riesiges Glück, dass meine Eltern sich nach ihrer Heirat ein solches Heim leisten konnten, denn sonst bestünde für mich nicht die geringste Hoffnung auf etwas Vergleichbares. Und ich liebe es hier. Wirklich und wahrhaftig. Dies hier ist mein Elternhaus, und es ist voll von meinen Erinnerungen. Nennen Sie mich ruhig langweilig, aber das hier ist mein eigenes, kleines Scheibchen vom Paradies, und ich möchte niemals irgendwo anders wohnen.

Es lässt sich allerdings nicht abstreiten, dass ich ein zweites Paar Hände gebrauchen könnte, um mir bei der Gartenpflege zu helfen. Für eine einzige Person ist das ein überwältigendes Arbeitspensum. Bei den Stürmen im Februar sind mehrere dicke Äste abgebrochen, und entlang der Grundstücksmauern liegen kniehohe Blätterhaufen. Zum Glück haben die Kirschblüten den Regen überstanden. Allerdings könnte das ganze Haus einen neuen Anstrich gebrauchen. Was vor ein paar Jahren noch als charmante Patina durchgehen mochte, kann inzwischen nur noch schmuddelig genannt werden. Heute ist der erste richtig sonnige Tag seit einer Ewigkeit. Es ist zwar noch kühl, und für nachher ist Regen angesagt, aber ich bin sehr froh, an der frischen Luft zu sein. Ostern ist spät in diesem Jahr, erst Ende April, und wie immer soll an diesem Wochenende das gesamte Ladencafé für die Saison eröffnet werden. Wenn wir bis dahin fertig sein wollen, müssen wir einen Zahn zulegen.

· 3 ·

Ich stelle den Eimer bei den Tischen ab und schlendere durch den Garten zu meinem absoluten Lieblingsplätzchen auf dem kleinen Anleger am Kanalufer. Mein Vater war gern am oder auf dem Wasser, und dies war auch der Ort, wo er am liebsten saß.

Victor Merryweather wurde in der Küstenregion von Pembrokeshire geboren, und obwohl ihn die Arbeit in diesen Teil des Landes verschlug – und weiter kann man sich in England wohl kaum vom Meer entfernen –, hat das Wasser ihn niemals losgelassen. Ich habe ihn zwar nie danach gefragt, aber ich glaube, das war der Grund, warum er und Mum nach ihrer Hochzeit genau dieses Haus hier kauften. Okay, das sind hier vielleicht nicht die wilden Küstenstreifen und die krachenden Wellen, die er so liebte, aber so ein englischer Kanal hat einen stillen, sanften, unwiderstehlichen Reiz.

Mein Dad fehlt mir. Er ist inzwischen seit beinahe zwanzig Jahren tot, aber es vergeht kein einziger Tag, ohne dass ich an ihn denke. Er hat den Anleger, der über die ganze Grundstücksbreite am Ufer entlang verläuft, selbst aus Balken und Planken gebaut, und ich bemühe mich, jeden Tag wenigstens für ein paar Minuten hierherzukommen, mich hinzusetzen und aufs Wasser hinauszuschauen. Genau wie mein Vater und ich, als ich klein war. Meine frühesten Erinnerungen handeln davon, wie wir hier zusammensaßen, ich mit über dem Wasser baumelnden Beinen, und den bunt gestrichenen Kanalbooten nachschauten oder den Entenfamilien zusahen, die immer einen Blickfang bilden. Dad hat mich die Namen der vielen Vögel gelehrt, die am Kanal leben – Seeschwalben, Reiher, Teichhühner und, wenn man Glück hat, blitzt vielleicht auch einmal irgendwo das blaue Gefieder eines Eisvogels auf.

So schwierig meine Mutter ist, so sanftmütig war Dad. Mum war immer fordernd, Dad großzügig. Ich weiß nicht, wie ihre Beziehung funktionierte, aber irgendwie schien es zu klappen. Was immer Mum wollte, er stimmte zu. Er war nie für Streit zu haben. Er war wohl das Yin zu ihrem Yang. Nach seinem unerwarteten Herztod war sie nie wieder ganz die Alte. Keine von uns war das.

Ich ziehe einen der hölzernen Gartenstühle heran und gönne meinen Füßen eine Pause, während ich zuschaue, wie ein ängstliches Teichhuhn nervös hin und her schießt, um seine winzigen, flaumigen Küken am Ufer entlangzudirigieren. Auf dem gegenüberliegenden Uferweg steht reglos ein Reiher und hält in der Hoffnung auf einen leckeren Happen, ein unglückseliges Fischchen, den Blick aufs Wasser gerichtet. Hier passiert niemals viel. Das Leben geht Jahr für Jahr ohne große Veränderungen seinen Gang. Der Kanal ist immer so ruhig und friedlich, dass man ohne weiteres glauben könnte, es gebe gar keine andere Welt. Zwei Enten flattern aus dem Wasser und schütteln auf dem Anleger ihr Gefieder aus, bevor sie im Gleichschritt in den Garten watscheln. Dies hier ist mein eigenes kleines Universum.

Ein in knalligen Farben gestrichenes Kanalboot tuckert vorbei. Es ist eines der hiesigen Boote – die Floating Paradise. Mr. und Mrs. Fenson, die darauf leben, kommen oft auf ein Sandwich oder einen Tee mit ein paar Scones zu mir ins Café.

«Hi, Fay!» Ralph, der hinten an der Ruderpinne steht, hebt grüßend die Hand.

Ich winke zurück.

«Hast du geöffnet?»

«Wie immer», rufe ich. «Ich freu mich auf euch.»

«Setz schon mal den Teekessel auf! Wir kommen nachher vorbei», ruft er zurück. «Wir müssen die Sonne genießen, solange sie scheint.»

Ralph und Miriam haben ihr Kanalboot vor ein paar Jahren gekauft, als sie in Rente gingen. Sie haben hier in der Nähe im Bootshafen einen Hausboot-Liegeplatz gemietet, und außerdem besitzen sie noch eine Wohnung in der Stadt, in die sie sich zurückziehen können, wenn es zu kalt ist. Was für eine wunderbare Art, seinen Ruhestand zu verbringen. Nur schade, dass Dad nicht lange genug gelebt hat, um es genauso zu halten. Er hätte es unglaublich genossen.

Leider ist ihr Boot in diesem Bereich des Kanals auch unter dem Namen «Schwimmende Katastrophe» bekannt. Ich glaube nicht, dass Ralph und Miriam die Regeln des Kanallebens wirklich verinnerlicht haben oder ganz über die auf dem Wasser erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen. Ich habe schon oft Beschwerden gehört, dass sie die Schleusen offen lassen, sodass der Wasserstand im Kanal sinkt. Oder dass sie die Tore der Schleusenkammern nicht schließen. Oder dass sie – Ralph mit seiner Kapitänsmütze auf dem Kopf und Miriam in einem ihrer vielen blau-weiß gestreiften Pullis oder T-Shirts – schneller als erlaubt durch den Kanal brettern und alle anderen Boote zum Schaukeln bringen. Einmal haben sie auf dem Boot für alle ihre Freunde eine riesige Party geschmissen und beinahe ihr eigenes Fahrzeug versenkt, weil es so überladen war. Ich glaube nicht, dass sie mit ihrer Floating Paradise weit fahren, denn normalerweise sieht man sie immer ganz in der Nähe des Bootshafens, und das ist wohl auch ganz gut so. Viele eingefleischte Kanalschiffer meckern über sie, aber sie sind ein wunderbar spleeniges Paar und im Ladencafé immer willkommen, weil sie für großartig gute Laune sorgen.

Hier, wo der Garten am Kanal endet, liegt die Maid of Merryweather vertäut. Sie ist ein zwanzig Meter langes traditionelles Kanalschiff. Dads ganzer Stolz. Er war richtig vernarrt in sie. Kein einziger Tag verging, an dem er nicht irgendwann hierherkam und nach ihr schaute. Er hatte immer den Plan, im Ruhestand mehr Zeit auf ihr zu verbringen.

Mum hat das Kanalboot natürlich gehasst. Eifersüchtiger hätte sie auch auf eine Geliebte nicht sein können. (Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mum manchmal tatsächlich mit der Maid of Merryweather um den ersten Platz in Dads Herzen wetteifern musste.) Ganz ähnlich wie die Fensons fuhren auch meine Eltern niemals weit mit ihrem Boot – obgleich Dad sich das immer wünschte. Er hätte nur zu gern seinen Job an den Nagel gehängt und wäre stattdessen durch die Kanäle Englands geschippert. Doch Mum sah das anders. Auch nur eine Nacht auf dem Boot zu bleiben, kostete sie Überwindung, weil sie es zu eng fand. Obwohl uns alle Wasserwege Englands offen standen, fuhren wir nie weiter als bis Berkhamsted in der einen Richtung und Stoke Bruerne auf halbem Wege nach Northhampton in der anderen. Das muss Dad wahnsinnig gemacht haben, aber er protestierte nie. Er genoss einfach nur jeden einzelnen Moment, den er auf dem Boot verbrachte.

Diese Familienurlaube waren auch für mich der Höhepunkt des Jahres. Ich liebte die Maid genauso wie Dad und empfand sie nicht als eng, sondern als gemütlich. Wenn ich allerdings – insbesondere bei Regen – mit der kleinen Edie in der Kajüte hocken musste, kam es auch mir eng vor. Meine Schwester bekam nach ein, zwei Stunden einen Koller. Diejenige, die sich ruhig mit einem Buch hinsetzen konnte, war immer ich.

Das Kanalboot war Dads Projekt, und er steckte viel Liebe hinein. Er war nie glücklicher, als wenn er an seinem Schiff herumwerkelte. Tagsüber arbeitete er als Büroangestellter in einer der vielen neuen Firmen, die sich in den 1980er Jahren in Milton Keynes niedergelassen hatten, doch sobald er zu Hause war, zog er Anzug und Krawatte aus und eilte zum Kanal hinunter. Abends und an den Wochenenden steckte er immer in seinen Arbeitsjeans und einem marineblauen Pullover, hatte Schmieröl an den Händen und ein Lächeln im Gesicht. Seit seinem Tod ist die Maid of Merryweather nicht mehr auf Fahrt gewesen, und das macht mir ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich glaube sogar, dass der Motor inzwischen gar nicht mehr funktioniert. Als ich ihn das letzte Mal anlassen wollte, hat er nicht einmal mehr Piep gemacht. Dad würde das schrecklich finden.

Außen ist das Boot in den hier am Kanal üblichen Farben gestrichen – dunkelgrün und rot, und es ist mit Rosen bemalt, wie sie in historischen Zeiten die Kanalboote schmückten. Von außen sieht es inzwischen vielleicht ein bisschen verwittert aus, aber drinnen ist es tipptopp. Um das Hausboot bewohnbar zu machen, wäre viel Arbeit nötig, aber oberflächlich gesehen ist alles ganz in Ordnung. Die Hauptkajüte – Sitzbereich und Kombüse – ist mit Eichenschränken und einem Holzofen eingerichtet, der derzeit nicht benutzt wird. In den Fenstern hängen gehäkelte Spitzenvorhänge.

Die Maid of Merryweather ist zwar nie auf Fahrt, hat aber dennoch ihren Nutzen. Inzwischen ist sie ein wichtiger Bestandteil von Fay’s Cakes. Die Leute kommen ins Haus, um unsere Erzeugnisse zu kaufen, aber ich glaube, dass sie auch das malerische Kanalboot lieben. Es bildet sowohl für die Touristen als auch die Stammkundschaft auf dem Kanal einen wichtigen Anziehungspunkt. Ich habe immer einen ordentlichen Vorrat an selbstgebackenen Kuchen, Pies, Keksen und hausgemachter Marmelade. Im Sommer biete ich außerdem noch selbstgemachte Limonade an, die sehr beliebt ist. Ein Mann aus dem Dorf, Graham Lovett, malt hübsche Aquarellbilder von der Gegend hier, und ich verkaufe sie als Postkarten oder kleine Drucke, da auf diesem Teil des Kanals viele Urlauber unterwegs sind. Der große Bootshafen ganz in der Nähe vermietet Boote, und wir sind häufig die erste Anlegestelle.

Wie schon gesagt, waren das die bescheidenen Anfänge von Fay’s Cakes. Ich sah all die Boote vorbeifahren, die Hausbootleute, die hier leben, und die Touristen in ihren Urlaubsbooten, ich beobachtete die Familien, die den Uferweg entlangspazierten oder -radelten, und mir war bewusst, dass all diese Menschen in einen der Pubs am Kanal einkehren mussten, wenn sie eine Tasse Tee trinken oder ein Stück Kuchen essen wollten. Und man hat ja nicht immer Lust auf einen Pub, oder?

Mein Job als Verwaltungskoordinatorin war nicht gerade der Hammer. Die Stelle war nicht schlecht bezahlt, aber ich kann nicht behaupten, dass die Arbeit mich vor Begeisterung umgehauen hätte. Ich hatte schon eine ganze Weile über einen Neuanfang nachgegrübelt, nur war mir nichts eingefallen, wofür nicht mehr als meine beschränkten Fähigkeiten erforderlich gewesen wären. Als Mum dann entschied, dass sie nun hinfällig war und es auch bleiben würde, konnte ich einfach nicht auf meiner Vollzeitstelle weiterarbeiten und mich gleichzeitig auch noch um sie kümmern. Dann wäre ich irgendwann neben ihr im Bett gelandet. Ich versuchte es mit einer bezahlten Pflegekraft, die mir etwas von der Last abnehmen sollte, aber Mum ließ niemanden an sich heran. Außerdem war das unglaublich teuer. Alles allein machen zu müssen war aber ungeheuer anstrengend. Schließlich musste ich meine Kündigung einreichen, und da kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht das Haus und den Garten nutzen könnte, um das Geschäft auf eine breitere Basis zu stellen.

Und nun sorgen also sowohl Fay’s Cakes als auch die Maid of Merryweather dafür, dass ich nicht durchdrehe, und sind gleichzeitig ein Fulltimejob. Ich habe mein Herz an das hübsche Kanalboot gehängt und begreife nicht, wie meine Mutter immer so dagegen sein konnte. Was wäre nicht liebenswert daran? Selbst jetzt, da das Boot zumindest etwas Geld einbringt, stichelt meine Mum ständig dagegen.

Wenn es nach Mum ginge, wäre die Maid of Merryweather schon seit Jahren fort, aber in diesem einen, einzigen Punkt habe ich mich durchgesetzt. Die Maid of Merryweather ist alles, was mir von Dad geblieben ist, und ohne mich wird sie nicht von hier verschwinden, nur über meine Leiche.

· 4 ·

Lija kommt zu mir in den Garten. Sie stapft in gelben Gummistiefeln und mit finsterer Miene auf den Anleger.

«Sie ist alte, böse Hexe», sagt sie. «Wenn sie meine Mutter wäre, würde ich ihr Kissen auf Gesicht drücken.»

«Manchmal ist mir ganz danach», pflichte ich ihr bei.

«Nächsten Tee, den ich ihr bringe, spucke ich rein.»

Ich halte mich nicht gerade für eine Naturbegabung als Pflegerin, aber verglichen mit Lija bin ich Mutter Teresa.

«Sollen wir mit den Tischen anfangen?» Ich hänge hier schon viel zu lange meinen Gedanken nach, und wir sollten uns ranhalten, bevor der vorhergesagte Regen fällt. Ich schwenke hoffnungsvoll die Scheuerbürsten.

Leider gibt es hier nicht besonders viel Lagerraum, und so müssen die Tische und Stühle den ganzen Winter über draußen bleiben. Ich stapele sie auf und werfe eine alte Plane darüber, um sie vor den schlimmsten Witterungseinflüssen zu schützen, aber wenn ich sie im Frühjahr wieder aufdecke, sind sie immer mit Schmutz und grünem Moder überzogen.

Lija und ich gehen zu den Tischen. Das Wasser im Eimer ist inzwischen etwas abgekühlt, aber damit muss es jetzt gehen, weil ich keine Zeit damit verschwenden kann, wieder neues heiß zu machen. Und so fangen wir gemeinsam mit dem Scheuern an.

Die Tische hier draußen sind hübsch bunt, alle in unterschiedlichen Pastelltönen. Ich habe sie damals vor der Eröffnung billig bei Ikea erstanden, und sie hießen Twonk oder Splat oder so ähnlich. Ganz offiziell habe ich Fay’s Cakes vor drei Jahren an den Start gebracht, und das erste davon verging wie im Flug, da ich keine Erfahrung hatte und alles lernen musste. Diesen Sommer fühle ich mich so, als würde ich jetzt richtig Fahrt aufnehmen. Da das Café sich eher organisch entwickelt hat und nicht einem ausgeklügelten Masterplan entsprungen ist, bin ich ehrlich gesagt ganz schön froh, dass es gleich im ersten Jahr besser gelaufen ist, als ich es mir hätte vorstellen können, insbesondere in den Sommermonaten. Ich bekam zunehmend Stammkundschaft, Leute, die am Kanal spazieren gingen oder mit dem Kanalboot kamen. Sie kauften meist etwas in der Maid of Merryweather – einen Kuchen, ein Glas Marmelade oder eine Flasche Limonade – und blieben dann noch, um eine Tasse Tee zu trinken. Der einzige Nachteil war, dass der Tag zu Hause mit Mum nicht nur eine Herausforderung bedeutete, sondern auch einsam sein konnte. Ich vermisste tatsächlich das Büro, da ich niemanden zum Reden hatte, und die Kunden waren meine Rettungsleine.

Im zweiten Jahr stellte ich, beflügelt von meinem bescheidenen Erfolg, noch ein paar zusätzliche Tische in den Garten und bot als Spezialität, einfach weil ich sie so gern mag, kleine Mahlzeiten zum Nachmittagstee an. Die erwiesen sich als so beliebt, dass ich bald eine Mitarbeiterin einstellen musste. Ich setzte eine Anzeige in die Lokalzeitung, wurde von fünfzig Bewerberinnen angerufen und lud drei zum Vorstellungsgespräch ein. Lija mochte ich auf Anhieb. Ich weiß nicht warum, denn die anderen beiden wirkten viel umgänglicher. Aber sie war die Einzige, die einen selbstgebackenen Kuchen mitbrachte – eine Kaffee-Walnuss-Torte –, und das war einfach der beste Kuchen, den ich jemals gekostet hatte. Seitdem ist also Lija mit von der Partie.

Im selben Jahr habe ich unser Esszimmer in einen kleinen Gastraum verwandelt – unter großem Gemecker meiner Mutter, die selbst heute noch dagegen protestiert, dass das Haus der Allgemeinheit offen steht. Ich sage ihr immer: Was für die Queen okay ist, ist es auch für uns.

Das Esszimmer hat sich bei schlechtem Wetter als nützliche Erweiterung erwiesen, obgleich nur vier kleine Tische hineinpassen. Im Sommer können wir die Verandatür zum Garten hin aufmachen. Abgesehen von den paar Tischen unter dem Verandadach ist der Rest unserer Sitzplätze den Elementen ausgesetzt. Das bedeutet, dass das Geschäft sehr wetterabhängig und damit ein bisschen unberechenbar ist, aber irgendwie funktioniert es, und wir kommen gerade so über die Runden.

Ende letzten Jahres habe ich zwei neue Sonnenschirme gekauft, die auch vor einem Regenschauer Schutz bieten würden, bin aber noch nicht dazu gekommen, sie aufzustellen. Ich brauche einen Mann, der mit einem Schraubenzieher umgehen kann, und mein Lebensgefährte Anthony mag ja alles Mögliche sein, aber ein Handwerker ist er nicht.

Lija scheuert und schrubbt – mit mehr Begeisterung als ich, wie ich zugeben muss. Die Sonne lugt hinter den Wolken hervor und scheint warm auf meinen Rücken. Ich hoffe, dass dieses Jahr gut wird und ich etwas Geld beiseitelegen kann. Ich spare, um die Maid of Merryweather in Schuss bringen zu lassen, denn ich weiß, dass das Dad gefallen hätte. Ich denke mir, dass sie zumindest einen neuen Motor brauchen wird, und der ist bestimmt nicht billig.

Als ich mich aufrichte und recke, entdecke ich ein Kanalboot, das auf unseren Anleger zusteuert. Ich kenne es nicht, und über neue Kunden freue ich mich immer besonders. Letztes Jahr habe ich auf der Kanalseite ein Schild aufgestellt, und das zieht viel bootsfahrende Kundschaft an. Aber dieses Boot hier habe ich noch nie gesehen.

Ich beschirme die Augen mit der Hand und sehe zu, wie es hinter Dads Kahn anlegt. «Wer ist denn das?»

Die Dreamcatcher. Wahrscheinlich der beliebteste Name für Kanalboote, das ist also wenig spektakulär. Das Boot wirkt traditionell und ist, genau wie die Maid of Merryweather, alt und ein bisschen verwittert. Aber zumindest der Besitzer scheint mir ein junger Mann zu sein, zumindest aus der Entfernung. Er springt mit der Achterleine in der Hand auf den Steg und wirkt dabei äußerst sportlich.

«Sieht so aus, als würden wir gleich einen Kunden bekommen», sage ich zu Lija.

Das Café ist eigentlich noch gar nicht geöffnet. Alle frischgebackenen Kuchen, die heute verkauft werden sollen, stehen noch in Frischhaltefolie eingeschlagen in der Küche. Am besten läuft das Geschäft normalerweise nachmittags, wenn die Leute eine Leckerei für den Tee oder zum Abendessen haben wollen. Auch wenn wir, wie ich ehrlich einräumen muss, dem Supermarkt Tesco mit unseren Verkaufszahlen niemals Konkurrenz machen werden.

«Ha», knurrt Lija, die noch immer mit ihrer Scheuerbürste schrubbt. «Sag ihm, dass wir zu tun haben.»

«Unsinn. Wir brauchen den Umsatz, und es dauert doch gar nicht lang, mal schnell Teewasser aufzusetzen.» Eigentlich könnte ich gerade auch eine Tasse Tee vertragen. «Er kann sich auf die Veranda setzen, wenn ihm das recht ist. Die Tische dort sind schön sauber.»

Ich lege die Scheuerbürste weg und bemühe mich, wie eine propere Wirtin auszusehen. Was in einer Strickjacke gar nicht so einfach ist. Der Mann vertäut das Boot mit geübter Hand hinter der Maid of Merryweather, und ein paar Minuten später liegt es am Anleger fest. Ein kleiner Hund, vielleicht ein Jack-Russell-Mix, schiebt den Kopf über die Reling. Er ist weiß mit schwarzen und braunen Flecken und trägt ein rotes Halstuch, was unglaublich süß aussieht.

«Los, komm, Diggery.» Der Mann schnipst mit den Fingern, und der Hund springt vom Boot und trottet gehorsam hinter ihm her.

Das Kanalvolk teilt sich im Großen und Ganzen in zwei Lager: Ruheständler und Hippies. Doch dieser Mann ist weder das eine noch das andere. Als er zielstrebig durch den Garten marschiert, fällt mir auf, dass er groß ist, sehr groß, und schlank. Ich bin zwar derzeit nicht auf dem Laufenden, was Männermode angeht, aber es kommt mir so vor, als sähe er ziemlich cool aus. Er trägt eine enganliegende schwarze Jeans und eine ausgebleichte, graue Jeansjacke. Sein Haar ist rabenschwarz und an den Seiten kurz, aber oben bildet es einen wuscheligen Schopf, der vorn in einer Art Stirntolle ausläuft.

Ich hätte auch gern eine Frisur, die ein Statement ist, so wie Lija oder auch dieser Mann. Stattdessen trage ich mein Haar blond und kurz, vor allem, weil dieser Stil pflegeleicht ist, im Gegensatz zu der kühnen, wildgelockten Mähne, nach der ich mich insgeheim sehne. Als ob ich jemals die Zeit hätte, mich um die zu kümmern.

Als er näher kommt, sehe ich, dass er insgesamt ein recht einnehmendes Äußeres hat. Ohne nachzudenken sage ich: «Meine Güte!»

Selbst Lija steht auf und unterbricht ihr Schrubben. «Jeans mit Jeans», ist ihr verächtliches Urteil.

Als er unmittelbar vor uns steht, sagte er: «Hi, Ladys», und schenkt uns das herzlichste Lächeln, das ich seit langem gesehen habe. Oder überhaupt jemals.

Mit diesem Lächeln könnte er Herzen brechen. Und zwar viele.

«Hi», bringe ich heraus.

Er registriert, dass der Garten noch ziemlich nach Wintermodus aussieht und dass wir gerade eifrig Tische scheuern. «Haben Sie geöffnet?»

Sein Akzent ist weich, irisch und ziemlich sexy.

«Oh, ja», antworte ich und habe zum ersten Mal in meinem Leben Herzflattern.

· 5 ·

Ich zeige diesem ziemlich gutaussehenden Mann also einen Tisch auf der Veranda, und er setzt sich und streckt seine langen Beine aus. Normalerweise plaudere ich gern mit meinen Gästen, aber jetzt bin ich ganz durcheinander, und mir fällt nichts ein. Ich halte ihn für jung, vielleicht Anfang dreißig – er ist mindestens zehn Jahre jünger als ich. Dann wird mir bewusst, dass ich ihn anstarre.

Vielleicht ist er daran gewöhnt, angestarrt zu werden, denn es scheint ihm gar nicht aufzufallen.

«Ich bin Danny», sagt er, als klarwird, dass ich kein Wort herausbringe. «Danny Wilde.» Mit seinen klobigen Doc Martens und seinem zerschlissenen T-Shirt sieht er ein bisschen ungehobelt aus, aber seine Stimme klingt kultiviert und höflich.

Er zeigt auf den kleinen Hund, der es sich zu seinen Füßen bequem macht. «Das ist Diggery.»

Endlich finde ich meine Stimme wieder. «Hallo Diggery.» Ich bücke mich, um den Hund am Hals zu kraulen, und er drückt sich begeistert gegen meine Hand. «Ich heiße Fay. Ich hole Ihnen die Speisekarte.»

«Nicht nötig. Ich möchte einfach ein Bacon-Brötchen», antwortet er lächelnd. «Und zwar ein riesengroßes. Davon träume ich schon den ganzen Vormittag. Mir sind auf dem Boot sowohl das Brot als auch der Bacon ausgegangen, und so habe ich Qualen erlitten.»

«Das steht zwar nicht auf unserer Karte, aber ich habe Bacon im Kühlschrank. Ein Roggen- oder ein Weizenbrötchen?»

«Weizenbrötchen. Mit viel Ketchup. Wenn man schon sündigt, dann richtig.» Seine Augen funkeln.

«Tee oder Kaffee?»

«Einen Becher ordentlich starken Tee mit Milch und Zucker.»

Ich sage ihm nicht, dass wir normalerweise feine Vintage-Sammeltassen verwenden. Wenn dieser Mann einen Becher möchte, soll er den auch bekommen. Ich sehe, dass Lija uns genau beobachtet und mich keinen Augenblick aus den Augen lässt.

«In ein paar Minuten ist es so weit.»

Als ich gehe, lehnt er sich zurück, schließt die Augen und streckt sein Gesicht in die Sonne. Das verwirrte Herzflattern hat zum Glück aufgehört. Aber leider ist es jetzt in wildes Hämmern übergegangen.

Es ist lächerlich, aber meine Hände zittern tatsächlich, als ich den Bacon unter den Grill schiebe. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass bei uns nicht allzu oft gutaussehende Unbekannte hereinspazieren. Normalerweise haben wir es mit brummigen Ruheständlern und Familien zu tun, deren hyperaktive Kinder am liebsten alle meine Blumen köpfen würden. Da stellt Danny Sowieso eine willkommene Abwechslung dar.

Ich bereite einen Becher starken Tee zu und suche einen Wassernapf für den kleinen Hund.

Danny nimmt seinen Tee lächelnd entgegen, und ich stelle dem Hund das Wasser hin. Diggery wedelt dankbar mit dem Schwanz.

«Das ist lieb von Ihnen», sagt Danny.

«Ich hätte unheimlich gern einen Hund», antworte ich. «Aber, na ja …»

Ich erzähle ihm nicht, dass meine Mum Haustiere in jeder Form ablehnt und ich als Kind noch nicht einmal einen Goldfisch haben durfte. Anthony hasst Hunde, Katzen und Kinder ebenfalls. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

«Ich könnte nicht ohne ihn sein», gibt Danny zurück. «Nicht wahr, Digs?»

Bei diesen Worten lässt der kleine Hund sein Wasser stehen, hüpft auf Dannys Schoß und wird dafür liebevoll umarmt. Als Danny den Hund genug geknuddelt hat – glücklicher Hund –, schaut er mich wieder mit seinen dunklen, schalkhaften Augen an. «Sind Sie die Besitzerin des Cafés?»

«Ja – na ja, nein … gewissermaßen.» Hör auf zu brabbeln, Frau, du klingst wie eine bekloppte Fasel-Liese. Ich hole tief Luft. «Das Haus gehört meiner Mutter, aber ich betreibe das Ladencafé.»

«Hübsch», sagt er mit einem Blick auf den Garten. Dann richtet er seinen Blick wieder auf mich und lächelt spitzbübisch. «Und der Garten auch.»

Ich erröte bis zu den Haarwurzeln. Mit mir flirtet nie jemand. Insbesondere keine jungen, gutaussehenden Männer. Und schon gar nicht, wenn ich eine dicke Strickjacke trage.

Sein Blick wird weicher, als er meine Verlegenheit bemerkt. «Entschuldigung. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.»

«Alles bestens», antworte ich. «Alles wunderbar.» Dann fällt mir auf, dass ich mir mit der Speisekarte Luft zufächele.

«Das ist viel Arbeit», merkt er an. «So einen großen Garten in Schuss zu halten. Haben Sie Hilfe?»

«Nein», sage ich. «Eigentlich nicht. Das meiste mache ich selbst.» Gelegentlich kann ich Anthony dazu überreden, mal eine Runde mit dem Rasenmäher zu drehen. Aber meistens muss eben doch montags gemäht werden, weil wir dann geschlossen haben, und da ist Anthony bei der Arbeit. Ansonsten kommt nur der Abend in Frage, und da spielt Anthony Golf. «Wir machen gerade alles für die Saison bereit», erkläre ich. «Und wir sind mit der Arbeit ein bisschen in Verzug, da müssen wir uns jetzt wirklich ranhalten.»

«Könnten Sie ein zusätzliches Paar Hände gebrauchen?»

«Immer», antworte ich lachend.

«Das meine ich ernst», erwidert er. «Ich bin derzeit auf der Suche nach einem Gelegenheitsjob. Ich bin handwerklich geschickt. Mit Pflanzen und Blumen habe ich es nicht so, aber ich kann Hammer und Pinsel schwingen. Und mit einem Rasenmäher oder Rasentrimmer kann ich auch umgehen.»

«Wirklich?» Mir fällt der Bacon unter dem Grill wieder ein, und ich bekomme einen Riesenschreck. «Himmel, der Bacon! Ich hole schnell Ihr Brötchen, und dann können wir weiterreden.»

Während ich zur Küche zurückhaste, denke ich an all die kleinen Arbeiten, die sich angesammelt haben. Danny könnte sich für ein paar Tage als wirklich nützlich erweisen. Erst einmal könnte er die Blätter zusammenrechen und die Äste wegräumen. Der Rasen muss mal wieder gemäht werden, auch wenn es derzeit zu nass dazu ist. Und vielleicht könnte Danny auch diese Sonnenschirme aufstellen. Außerdem habe ich letztes Jahr ein paar hübsche Emaille-Schilder gekauft, mit so lustigen Sprüchen wie: Glauben Sie nicht, Schokolade wäre ein Ersatz für Liebe! Die Liebe ist ein Ersatz für Schokolade! Oder: Ruhe bewahren und Muffins essen. Na ja, sie liegen seit damals in ihrer Schachtel. Die könnte er aufhängen. Und an manchen Stellen muss der Zaun repariert werden. Aus ein paar Tagen ließen sich tatsächlich Wochen machen, wenn ich das Geld dafür auftreiben kann. Ich hätte bestimmt kein Problem, ihn eine Weile auf Trab zu halten. Also, so meine ich das nicht. Natürlich nicht. Sie wissen schon, was ich meine. Es gibt hier massenhaft Arbeit, mit der er alle Hände voll zu tun hätte. Das wollte ich sagen.

Wie gewünscht kippe ich einen dicken Klecks Ketchup auf den Bacon und bringe das Brötchen zu ihm nach draußen. Danny beißt heißhungrig hinein. Diggery macht winselnd klar, dass er ebenfalls gern Bacon hätte, und Danny reißt ein Stückchen ab und füttert ihn damit.

«Ich könnte schon jemanden gebrauchen, der die Knochenarbeit im Garten erledigt», sage ich. «Aber leider kann ich nicht viel bezahlen.»

«Vielleicht können Sie meinen Lohn ja mit Bacon-Brötchen aufbessern», sagt er grinsend. «Das hier ist super.»

«Die Kost bekommen Sie gern dazu, solange Sie hier sind.»

«Das klingt doch wie ein Angebot. Wann soll ich anfangen?»

«Könnten Sie … könntest du vielleicht einfach gleich hierbleiben und uns zur Hand gehen? Lija und ich haben eine lange Liste, die wir abarbeiten müssen.» Und die erledigt sich nicht von selbst, während ich hier stehe und schwatze. «Wenn genug Zeit bleibt, wollen wir nachher noch backen, da wäre es toll, wenn du schon mal loslegst.»

«Backen? Hmm. Kuchen wäre auch kein schlechter Lohn», räumt er ein.

Ich sehe, wie er Lija von oben bis unten mustert. Na ja, das liegt auch nahe. Sie ist jung und schön. Und jetzt einmal geradeheraus gesagt: er auch.

«Das ist Lija», sage ich und folge seinem Blick. «Sie arbeitet hier ebenfalls in Vollzeit. Ihre Kuchen sind unvergleichlich.»

Darüber muss er lachen. «Dann ist es abgemacht. Du hast einen neuen Helfer, Fay.»

«Wunderbar.» Ich staune noch immer, wie schnell das gegangen ist. Er hat sich in rasantem Tempo von einem Gast in einen Mitarbeiter verwandelt. Aber einem geschenkten Gaul soll man nicht ins Maul schauen. «Wenn du mit essen fertig bist, könntest du uns vielleicht helfen, die letzten Tische zu scheuern.»

«Bin schon dabei.» Danny wischt sich mit dem Handrücken Ketchup vom Mundwinkel. «Was bekommst du für das Brötchen?»

«Das geht aufs Haus», antworte ich. Dann riskiere ich ein Lächeln. «Ich werde dafür sorgen, dass du es dir verdienst.»

«Danke. Das klingt gut, Fay», sagt er. «Das klingt sehr gut.»

Dann sieht er mich mit seinen Augen an, die von einem so tiefen Braun sind, dass sie fast schwarz wirken. Sie leuchten vor Aufrichtigkeit, und gleichzeitig funkelt in ihnen der Schalk. Wenn ich nicht aufpasse, stockt mir gleich wieder der Atem.

«Du wirst es nicht bereuen», sagt Danny.

Aber irgendwo in den Tiefen meiner sehr empfindsamen Seele frage ich mich, ob er sich da nicht irrt.

· 6 ·

«Stinke-Stan ist da», sagt Lija.

«Nenn ihn nicht so», schelte ich sie. «Das ist nicht nett.»

«Er stinkt aber.»

«Nur ein bisschen», gebe ich zu. «Er müffelt ein wenig, das ist alles. Wenn du einmal dreiundneunzig bist, wirst du auch etwas Körpergeruch haben. So ist das nun mal bei alten Leuten.»

«Dann werde ich niemals alt», verkündet Lija ihre Lösung.

Ich habe weit mehr mit Stan gemein als Lija, da ich mich viel zu oft vorzeitig gealtert fühle. Ich bin keine dieser jungen, coolen Mittvierzigerinnen, die man im Fernsehen und in den Hochglanzmagazinen sieht. Ich bin weder mit Botox aufgespritzt noch sonnenstudiogebräunt. Ich bin eine Einundvierzigjährige, an der der Trend zu Designerklamotten vorbeigegangen ist.

Natürlich, unser treuester Stammkunde Stan Whitwell kommt wie jeden Tag um diese Uhrzeit durch das Seitentor des Gartens herein. Stan lebt allein in einem der Cottages an unserem Weg. Es ist ein winziges Häuschen mit zwei Zimmerchen oben und zwei unten, aber es ist sehr hübsch. Die Haustür ist von Rosen umrankt, und das handtuchgroße Gärtchen wird von Stan immer mit duftenden Blumen bepflanzt.

«Ich mache Stan heute Mittag das Essen», sage ich zu Lija. «Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass der Mann dort drüben, Danny, uns im Garten helfen wird.»

Bei dieser Ankündigung zieht sie eine Augenbraue hoch. «Er könnte ein Axtmörder sein.»

«Ich glaube, dass er in Ordnung ist», versichere ich ihr. «Er wirkt sehr nett.»

«Du bist zu weich.»

«Es gibt so viel zu tun, Lija, und ich schaffe es einfach nicht.» Tatsächlich hatte ich, als Danny sagte, er könne eine Weile als Helfer bleiben, eine Welle der Erleichterung verspürt. «Er war auf der Suche nach einem Gelegenheitsjob. Ich sehe mir mal ein paar Tage an, wie er sich macht.»

Sie zuckt mit den Schultern. «Ist ja dein Laden hier.»

«Zeigst du ihm, was zu tun ist?»

«Ja, klar.»

«Ich schicke ihn gleich zu dir rüber.»

Mit der kompetenten, wenn auch etwas unwirschen Lija wird er schon zurechtkommen, denke ich. Wo Normalsterbliche vor Lijas spitzer Zunge zurückschrecken würden, macht Danny Wilde den Eindruck, als käme er mit so etwas klar. Ich überlasse sie also sich selbst und gehe zum Haus, um Stan zu begrüßen.

«Hallo», sage ich. «Wie geht es dir heute?»

«Ich kann nicht klagen», antwortet Stan.

Und das tut er auch nicht. Nie. Ich wünschte, er würde meiner Mutter Unterricht im Niemals-Klagen geben.

«Was möchtest du gern essen?»

Stan kommt unweigerlich jeden Mittag zum Essen hierher, und zwar seit dem Tag, an dem ich das Café eröffnet habe. Er ist vor ungefähr zehn Jahren in sein kleines Cottage gezogen, und seitdem sind wir gute Freunde. Inzwischen ist er eben außerdem noch Stammgast, was ich gut verstehe, da es in diesem Alter allmählich mühselig werden muss, für sich selbst zu kochen.

Trotz des reifen Alters von dreiundneunzig Jahren ist Stan noch sehr rüstig und vollkommen klar im Kopf. Ich kann nur hoffen, dass ich mich genauso gut halte, wenn ich alt werde. Wenn Stan einen schlechten Tag hat, geht er mit einem Stock und setzt sich lieber auf die Veranda, als den Weg in den Garten auf sich zu nehmen. Er hat eine Putzfrau, die einmal die Woche für ein paar Stunden im Cottage vorbeikommt, damit die Hausarbeit ihm nicht über den Kopf wächst, aber davon abgesehen braucht er keinerlei Unterstützung. Ehrlich gesagt ärgere ich mich, wenn ich darüber nachdenke, wie gut Stan alleine zurechtkommt und wie hilflos meine eigentlich vollkommen gesunde Mum im Vergleich dazu geworden ist. Wenn sie Krebs oder irgendeine andere schreckliche Krankheit hätte, wäre ich bestimmt viel mitfühlender. Aber sie hat sich ja freiwillig dazu entschieden, so zu leben. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum sie nicht aufsteht: Sie hat keine Lust mehr dazu.

«Habt ihr Suppe?», fragt Stan. Da er ein bisschen schwerhörig ist, spricht er ziemlich laut.

«Tomate mit Basilikum, lecker und ganz frisch.» Ich spreche ebenfalls laut mit ihm.

«Meine Leibspeise», sagt er und schnalzt mit der Zunge.

«Möchtest du dich heute an den Kanal setzen?» Das ist Stans Lieblingsplätzchen, genau wie meines. Obwohl er auch gern einmal unter den Kirschbäumen sitzt.

«Das fände ich sehr schön.»