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Packende Schicksale, aufregende Familiendramen und zu Herzen gehende Bekenntnisse: in diesem modernen Erlebnismagazin ist alles enthalten! Diese Online-Zeitschrift enthält: - Spätes Glück - Partnertausch - Im Zwiespalt - Der unsichtbare Hund - Intimes Bekenntnis - Betrogener Mann - Meine letzte Reise - So gemein - Wegen Facebook und Twitter - Verratene Liebe - Darf diese Liebe sein? - Verzweifelt und einsam
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Meine Wahrheit Digital
Reise-Tipp: Frühling im Allgäu
Spätes Glück
Partnertausch
Im Zwiespalt
Der unsichtbare Hund
Intimes Bekenntnis
Betrogener Mann
Meine letzte Reise
So gemein
Wegen Facebook und Twitter
Verratene Liebe
Darf diese Liebe sein?
Verzweifelt und einsam
Im Herzen des Allgäus liegt der Luftkurort Nesselwang auf
fast 900 Höhenmetern, eingebettet in eine beeindruckende
Bergkulisse zwischen Seen, Wiesen und
Wäldern. Direkt vor der Haustür starten die
schönsten Wanderwege durch die unberührte
Voralpenlandschaft, dabei sind die Städte
Kempten, Füssen und Marktoberdorf nur
rund 20 Kilometer entfernt. Der Aufstieg
von Nesselwang zu den beiden Hausbergen
Alpspitze und Edelsberg lohnt sich,
denn das Panorama reicht bis zu den
höchsten Gipfeln Bayerns und Tirols, zur
Zugspitze und auch zum Schloss Neuschwanstein.
Es gibt aber auch einfache Touren, etwa
die sechs Kilometer kurze Runde zum Attlesee
und Kögelweiher: Auf breiten Wegen
durchs Naturschutzgebiet lässt sich sogar ein
Kinderwagen schieben. Unterwegs sind in geschützten
Feuchtbiotopen seltene Bergblumen wie Enzianund Orchideen sowie schillernde Libellen zu beobachten.
An Sommertagen ist der Höhepunkt der Tour dann ein
erfrischendes Bad im glasklaren Bergsee.
Größere Herausforderungen warten beispielsweise
auf einer sportlichen Tageswanderung
über die Reuterwanne: Auf gut elf Kilometern
sind 740 Höhenmeter zu bewältigen,
der Gipfel bietet mit 1.541 Metern eine
atemberaubende Aussicht. Der Aufstieg
führt fast ausschließlich über abwechslungsreiche
Bergpfade.
Fürs Wandern auf eigene Faust emp ehlt
sich die Nesselwanger Wanderkarte im
Taschenformat, in der die schönsten Touren
verzeichnet sind. Im Tourenportal unter
www.nesselwang.de sind weitere Themen- und
Fernwanderwege, Nordic-Walking-Strecken und
auch Mountainbike-Routen zu nden. Sie können
mitsamt Kartenausschnitt und Höhenprofil ausgedruckt
oder als GPS-Track heruntergeladen werden.
Nachdem mein Mann völlig unerwartet an einem Herzinfarkt verstarb, verzog ich mich
in mein Schneckenhaus. Erst meine alte Schulfreundin Gerda holte mich zurück ins
Leben. Doch als ich einen netten Herrn kennenlernte, musste ich den Widerstand
meiner Tochter erleben.
Achtundvierzig Jahre war ich
mit meinem Benno verheiratet.
Heutzutage trennen sich
Paare schon nach dem ersten kleinen
Streit. Aber in unserer Generation war
es üblich, das einmal gegebene
Versprechen nicht mehr zu brechen.
Natürlich gab es Höhen und Tiefen in
unserer Ehe. Die Zeit als Benno aufgrund
von Stress auf der Arbeit zu
viel Alkohol trank. Oder als er in seiner
Midlife-Krise mit der Mutter der
besten Freundin unserer Tochter
anbandelte. Damals hätte ich ihn am
liebsten vor die Tür gesetzt. Doch
wenn es drauf ankam, konnte ich
mich auf Benno verlassen. Ich weißnicht, ob ich ohne ihn meine
Krebserkrankung durchgestanden
hätte.
Die Zeit flog dahin und ehe wir uns
versahen, hatten wir die Siebzig überschritten.
In einem Jahr wollten wir
Goldene Hochzeit feiern. Ich steckte
schon mitten in den Vorbereitungen,
machte mir bereits Gedanken über die
passende Lokalität und wen wir alles
zu diesem Fest einladen sollten.
»Du weißt doch gar nicht, ob wir
diesen Tag noch erleben«, grummelte
Benno, wenn ich über meinen Notizen
grübelte. Ich nahm diesen Einwand
nicht sehr ernst. Klar, in unserem
Alter sollte man sich schon ab und an mit dem Tod auseinandersetzen. Aber
ich fühlte mich nicht anders als mit
Anfang fünfzig. Aber ging es Benno
genauso?
Zu Beginn unserer Rentenzeit bereisten
wir ferne Länder und genossen
die neu gewonnene Freiheit. In den
letzten zwei Jahren spürte ich jedoch,
dass Bennos Interesse dafür spürbar
nachließ. Selbst für Theater- und
Museumsbesuche in unserer Stadt
konnte ich ihn nicht mehr begeistern.
»Lass mal, zu Hause ist es doch
auch schön«, sagte er dann. Zunächst
maß ich dem keine Bedeutung bei.
Doch wenn ich ihn heimlich beobachtete,
fiel mir auf, wie seine Energie
immer mehr verloren ging. Ich hielt
dies für den natürlichen Alterungsprozess,
der bei dem einen eher und bei
dem anderen später einsetzte.
Benno war stets ein Frühaufsteher.
Jeden Morgen um sechs Uhr sprang er
aus dem Bett, während ich noch mindestens
eine Stunde liegen blieb.
Stand ich dann endlich auf, hatte mein
Mann bereits das Frühstück vorbereitet
und die Zeitung geholt. Auch an
jenem Morgen, der mein Leben verändern
sollte, vernahm ich im Halbschlaf,
wie Benno sich aus dem Bett
wühlte. Er beugte sich über mich und
gab mir einen Kuss auf die Wange.
Dann schnappte er sich ein Handtuch
aus dem Schrank und verließ unser
Schlafzimmer. Ich hörte das Plätschern
der Dusche und dämmerte
weg. Wie lange, weiß ich nicht mehr
genau. Das Wasser plätscherte immer
noch, als ich nach dem Wecker tastete.
Mit Erstaunen stellte ich fest, dass
es schon nach sieben Uhr war. Sollte
mein Mann über eine Stunde geduscht
haben? Ein merkwürdiges Gefühl
überkam mich. Schnell stand ich auf,
fuhr in die Pantoffeln und eilte ins
Badezimmer. Als ich die Tür aufmachte,
schlug mir Wasserdampf ent-die Beine meines Mannes. Mit einem
Schrei stürzte ich zu ihm. Benno lag
nackt auf den Fliesen und rührte sich
nicht. Ich drehte ihn um und sah, dass
seine Augen bereits gebrochen waren.
Trotzdem versuchte ich ihn wiederzubeleben.
Doch weder ein Mund-zu-
Mund-Beatmung noch eine Herzmassage
brachten ihn ins Leben zurück.
Wie lange mochte er so dagelegen
haben? Ich hatte weder einen Hilferuf
noch das Geräusch eines stürzenden
Körpers bemerkt. Was sollte ich jetzt
tun? Die Polizei rufen, den Krankenwagen
oder gleich den Bestatter? Völlig
kopflos sprang ich auf und rannte
ins Wohnzimmer. Ich griff nach dem
Telefonhörer und wählte die Nummer
unserer Tochter. Es dauerte eine
Weile, bis sie den Hörer abnahm.
»Papa ist tot.« Ich merkte, wie
meine Tochter am anderen Ende der
Telefonleitung etwas Zeit brauchte,
um diese Nachricht zu verarbeiten.
Schließlich sagte sie, dass sie sofort
käme und beendete das Gespräch.
Jetzt erst bemerkte ich, dass ich vollkommen
durchnässt war. Ich zitterte am ganzen Körper.
Die Diagnose lautete Herzinfarkt.
Aber diese Nachricht
drang gar nicht richtig zu mir
durch. Ich war vollkommen gelähmt.
Die Welt um mich herum schien unter
einer Watteschicht verborgen. Meine
Tochter kümmerte sich um das
Erledigen sämtlicher Formalitäten,
den Besuch beim Bestatter, das
Aussuchen der Grabstelle. Obwohl
ich sonst ihre Art, alles an sich zu reißen,
nicht mochte, war ich jetzt dankbar
dafür. Ich konnte es immer noch
nicht fassen, dass mein Benno nicht
wiederkehren würde. Zwar war das
Bett neben mir leer und auch sein
Platz im Fernsehsessel, trotzdem
redete ich den ganzen lieben Tag mit
ihm und bat ihn bei Entscheidungen
um Hilfe.
Die Beerdigung lief für mich wie in
einem Film ab. Der Pfarrer fand anerkennende
Worte über meinen Ehemann.
Aber der Mann, den er da
schilderte, hatte mit meinem Benno
nur die Daten gemein. Was ihn auszeichnete,
konnte der junge Pfarrer
nicht im Geringsten nachvollziehen. Vielleicht war dies ein Generationsproblem.
Sabine, meine Tochter,
führte mich zu dem offenen Sarg, in
dem Benno aufgebahrt war. Ich begriff
nicht, dass der wächserne Körper
mein Mann war. Mir wurde schwindlig.
Ich griff nach einer Hand. Ich
brauchte eine Weile, bis ich erkannte,
dass es die Hand meiner Enkelin
Maike war und nicht die von Benno.
Hinterher erzählten mir Freunde und
Verwandte, was für eine würdevolle
Beerdigung es gewesen sei. Ich nickte
zustimmend, hatte jedoch die ganze
Zeit ein Gefühl der Leere.
Diese Empfindung ließ auch in den
folgenden Wochen nicht nach. Natürlich
bemühte sich meine Tochter sehr
um mich. Aber auch Sabine stand
noch unter Schock. Schließlich war
sie von klein auf ein Papakind. Während
ich mich immer wieder mit ihr heftig stritt, fand sie bei meinem
Mann ein verständnisvolles Ohr. Sie
brauchte ihn nur mit ihren dunklen
kullerrunden Augen anzusehen, und
schon wurde er schwach. Verbot ich
ihr den Diskobesuch, rannte sie zu
Benno, und nach nicht einmal fünf
Minuten bekam sie ihren Willen.
Wahrscheinlich waren wir uns zu ähnlich,
und deshalb flogen ständig die
Fetzen.
Erst als Maike zur Welt kam, verstanden
wir uns besser. Aber ein
inniges Mutter-Tochter-Verhältnis hatten wir nie. Trotzdem hatte sie
wohl jetzt das Gefühl, dass sie sich
um mich kümmern muss. Durch ihre
Doppelbelastung als Mutter und
erfolgreich Anwältin war dies
bestimmt nicht einfach für sie. Aber
als ich sie daraufhin ansprach, wehrte
sie immer ab. Doch eines Tages rückte
sie mit ihrer Vorstellung von meinem
Leben heraus. Inzwischen war ein
Vierteljahr vergangen. Sabine hatte
Apfelkuchen gebacken und wir
tranken gemeinsam Kaffee.
*
Ich habe die letzten Tage hin- und
her überlegt. Aber das Beste wird
sein, wenn du zu uns ziehst. Dann
bist du nicht mehr so alleine.«
Natürlich traf ihr Angebot einen
wunden Punkt. Zwar fand ich mich inzwischen in meinem Alltag zurecht,
dagegen nahm mir die Einsamkeit die
Luft zum Atmen. Ich vermisste Bennos
schlurfenden Gang, sein leises
Schnarchen und sein falsches Singen
unter der Dusche. Jetzt war es nur
noch still in der Wohnung. Schon
wollte ich dem Plan meiner Tochter
zustimmen. Doch dann musste ich
daran denken, wie oft wir uns früher
gestritten hatten. Inzwischen war sie
erwachsen, aber ihre Dominanz hatte
sie nicht verloren. Alles musste immer
nach ihrem Kopf gehen. Sie würde versuchen, mein Leben zu bestimmen.
Das würde ich nicht ertragen.
»Dein Angebot ist ganz lieb«, sagte
ich schließlich zu ihr. »Aber wir würden
uns ständig in die Haare kriegen.
Ich will nicht unser gutes Verhältnis
zerstören.« Es brauchte ein paar
Sekunden, bis es aus meiner Tochter
herausbrach: Ich wäre doch gar nicht
in der Lage, alleine zu leben. Letztendlich
habe sich der Papa um alles
gekümmert. Ich würde schon sehen,
was ich von meiner Sturheit hätte. Ein
Schwall wütender Worte ergoss sich
über mich. Sie gab mir gar keine
Möglichkeit, ihr meine Argumente
darzulegen. Als sie fertig war, packte
sie ihren Apfelkuchen wieder ein und
verließ türenschlagend meine Wohnung.
*
Hinterher fragte ich mich, ob es
eine gute Idee war, ihr Angebot
auszuschlagen. Natürlich hätte
mich unterordnen müssen. Aber war
dies so schlimm? Nun war es zu spät.
Wochenlang sprach Sabine kein einziges
Wort mit mir. Danach besuchte sie
mich wieder, aber äußerst selten.
Unser Verhältnis hatte sich fast so
abgekühlt wie in den Zeiten ihrer
Pubertät. So versuchte ich zunächst,
mit meiner Trauer allein zurechtzukommen. Ich verschloss mich auch vor
unserem alten Freundeskreis. Zwar
realisierte langsam mein Kopf, dass
Benno nicht wiederkommen würde,
aber das machte es nicht besser. Wie
sollte ich dies einem befreundeten
Ehepaar erklären, das glücklicherweise
noch nicht in dieser Situation war.
Ehrlich gesagt, ich beneidete diese
Paare um ihr Glück der Zweisamkeit.
So reagierte ich harsch auf ihre mitleidsvollen
Bekundungen. Die Folge
war, dass sich meine Freunde immer
mehr von mir zurückzogen. Wer
wollte schon mit einer trauernden
Witwe zu tun haben, die um sich biss,
wenn man ihr zu nahe kam.
Nur Gerda ließ sich von meiner
abweisenden Art nicht beeindrucken.
Obwohl wir so verschieden waren,
hatte unsere Freundschaft seit der
Schulzeit gehalten. Gerda war eine
kleine, rundliche Person, die auch mit
Anfang siebzig die reinste Lebensfreude
ausstrahlte. Sie war insgesamt dreimal verheiratet, und auch jetzt
ließ sie nichts anbrennen, wie Benno
sich immer auszudrücken pflegte. Er
hatte Gerda nie gemocht.
Nach Bennos Tod wollte ich Gerda
ebenfalls nicht sehen. Immer wieder
hatte sie mich angerufen und gefragt,
ob wir nicht zusammen etwas unternehmen
könnten. Regelmäßig lehnte
ich dies ab. Doch meine Freundin ließ
sich nicht so leicht abwimmeln.
Eines Mittags klingelte es Sturm.
Als ich die Tür öffnete, blickte ich in
Gerdas strahlendes rundes Gesicht.
»Ich will dich zurück ins Leben
holen!« Sie fiel gleich mit der Tür ins
Haus und knallte eine Flasche Sekt
auf den Tisch. Ich sah sie verdutzt an.
Im nächsten Moment fing sie an zu
lachen. Obwohl mir nicht danach zu
Mute war, konnte ich mich ihrer
ansteckenden Fröhlichkeit nicht entziehen
und stimmte mit ein. Das sei
doch schon mal ein guter Anfang,
erklärte Gerda zufrieden. Dann
musterte sie mich kritisch von der
Seite.
»Willst du den Rest deines Lebens
als schwarze Trauerkrähe herumlaufen?
Du hast noch bestimmt gut und
gerne fünfzehn Jahre vor dir. Genieße
die Zeit.« Sie nahm meine Hand,
zerrte mich zu meinem Kleiderschrank
und holte ein paar frische
Sommerkleider hervor. Sie forderte
mich auf, diese anzuprobieren. Als
ich mich dagegen sträubte, sagte sie,
dass Benno es bestimmt nicht gut
finden würde, wenn ich mich so in
mein Schneckenhaus verkrieche.
Wahrscheinlich war es diese
Bemerkung Gerdas, die mich dazu
brachte das erste Kleid anzuziehen.
Währenddessen ließ Gerda den Korken
der Sektflasche knallen. Mit
jedem Schluck des prickelnden
Getränks wurde ich lockerer. Ich
fand Spaß daran, mich vor Gerda zu
präsentieren. Diese bombardierte
mich mit Komplimenten, befand
allerdings: »Du brauchst dringend
ein paar neue Klamotten!«
Ich hatte kaum Zeit zu widersprechen,
denn Gerda bestellte flugs ein
Taxi, und ehe wir uns versahen,
waren wir im Zentrum der Stadt.
Gerda bummelte mit mir durch die
bekannten Boutiquen, und ich probierte
die verschiedensten Kleider
an. Schließlich entschieden wir uns
für zwei, die mir besonders gut standen Glücklich kam ich nach zwei
Stunden wieder zu Hause an. Ich sah
auf das große Porträtfoto von Benno.
Er lächelte.
*
Tatsächlich hätte ich ohne
Gerdas Hilfe nicht so leicht
den Schritt zurück ins Leben
geschafft. Immer wieder animierte
sie mich, etwas zu unternehmen.
Zunächst sträubte ich mich. Ich hatte
Angst vor dem Gerede der Nachbarn.
Ich wollte nicht als ›lustige Witwe‹
in Verruf geraten. Aber mit der Zeit
mochte ich die gemeinsamen
Nachmittage mit meiner Jugendfreundin
nicht mehr missen. Wir
bummelten durch die Stadt, trafen
uns im Café, gingen ins Kino oder
besuchten Ausstellungen.
Ich weiß nicht mehr, wer von uns
beiden zuerst diese Anzeige entdeckte.
Jedenfalls beugten wir uns
über die Annonce in einem Stadtmagazin
und mussten kichern. In dicken
Buchstaben stand da: ›Auch mit
Anfang siebzig kann das Leben noch
Spaß machen. Besuchen Sie unseren
Tanzkursus für die reifere Generation.‹
Gerda stieß mir in die Seite und
fragte: »Mischen wir noch einmal die
Männerwelt auf?«
»Na, zumindest den etwas reiferen
Teil davon«, erwiderte ich grinsend.
Lachend sahen wir uns schon über
das Parkett schweben, in den Armen
eines älteren Gentlemans.
Kurzentschlossen rief ich bei der
angegebenen Nummer an. Auf meine
Fragen, ob denn der Kurs auch etwas
für eine alleinstehende Witwe sei,
erklärte mir die freundliche Frauenstimme,
dass hier schon so mancher
sein Glück für den letzten Lebensabschnitt
gefunden habe. So weit sollte
es ja nicht kommen, trotzdem hatte
ich ein wenig Herzklopfen, als ich
zusammen mit Gerda eine Woche
später den Tanzsaal betrat. Es war
bestimmt dreißig Jahre her, dass ich
zum letzten Mal das Tanzbein
geschwungen hatte. In meiner Jugend
war ich eine leidenschaftliche Tänzerin.
Doch als ich Benno kennenlernte,
hörte dies schlagartig auf.
Mein Mann war ein ausgesprochener
Tanzmuffel. Die wenigen Male, die
wir zum Tanzen gingen, waren für
mich eine Qual. Benno war total unrhythmisch und trat mir ständig
auf die Füße.
*
Kaum hatten Gerda und ich den
Tanzsaal betreten, kam eine
Frau in den Vierzigern strahlend
auf uns zu und begrüßte uns als
Neuankömmlinge. Es war Melanie,
unsere Tanzlehrerin. Erleichtert stellte
ich fest, dass der Anteil der Frauen
und Männer doch ausgeglichen war.
Alle waren so in unserem Alter und
hatten sich herausgeputzt. Die Männer
trugen Anzug und die Frauen schicke
Kleider. Als Melanie zur ersten
Tanzrunde aufrief, musterten die älteren
Herren uns ältere Damen. Ich
fühlte mich mit einem Schlag in meine
Tanzschulzeit zurückversetzt. Die
Angst davor, als Einzige nicht auserwählt
zu werden, beschlich mich.
Dies erwies sich als vollkommen
überflüssig. Zwei Herren, der eine
etwas fülliger, der andere ein hochgewachsener
Mann mit graumelierten
Schläfen, steuerten direkt auf mich
zu. Letzterer erreichte mich als Erster
und bat um den Tanz. Ich war darüber
nicht unglücklich, denn der Herr war
durchaus attraktiv. Ich warf dem
Fülligeren eine entschuldigende Geste
zu und folgte dem Sieger bereitwillig
auf das Tanzparkett.
Herbert war ein hervorragender
Tänzer. Er schwebte mit mir geradezu
über das Parkett. Ich genoss es, in den
Armen dieses fremden Mannes zu
liegen. Natürlich tanzte ich an diesem
Abend nicht nur mit Herbert. Aber
war es nun bewusst oder unbewusst,
jedenfalls suchten und fanden wir uns
an diesem Abend immer wieder. Zwischen
uns gab es so eine gewisse
Schwingung. So wunderte es mich
nicht, als er im Anschluss der Tanzstunde
mich und Gerda fragte, ob wir
nicht Lust auf ein Gläschen Wein hätten,
beim Italiener gleich um die Ecke.
Eigentlich wollte ich ablehnen. Bennos
Tod lag gerade mal ein Jahr
zurück, und mich jetzt schon wieder
zu vergnügen, kam mir falsch vor.
»Gegen ein Gläschen Wein kann
niemand etwas haben«, erwiderte
Gerda, ehe ich etwas sagen konnte.
Mir blieb also nichts anderes übrig
und ging mit. Mein schlechtes Gewissen
verstummte bald. Es blieb nicht
nur bei dem einen Glas. Herbert konnte wunderbar pointiert erzählen und
nahm dabei sich und sein Alter nicht
so ganz ernst. Trotzdem erfuhr ich
auch etliches Privates über ihn. Er war
drei Jahre älter als ich. Früher besaß
er eine Tierarztpraxis, die nun sein
Sohn übernommen hatte. Seit Frau
war vor drei Jahren an Brustkrebs
gestorben. Zunächst habe ihn dies
völlig aus der Bahn geworfen. Doch
irgendwann wurde ihm klar, dass das
Leben zu kostbar sei, um es einfach
verstreichen zu lassen. Seitdem versuche
er, jeden Tag zu genießen. Seine
Worte trafen mich tief ins Herz. Herbert
hatte recht. Auch ich wollte mich
nicht mehr länger verkriechen.
Auf dem Nachhauseweg, Herbert
hatte sich bereits von uns verabschiedet,
sah mich Gerda auf einmal an.
»Na, zwischen euch hat es ja mächtig
gefunkt.«
Entsetzt sah ich Gerda an und fragte
sie, wie sie darauf käme.
»Ich habe doch Augen im Kopf.
Jedenfalls freue ich mich für dich.«
Ich erklärte ihr, dass sie wohl nicht
ganz richtig im Kopf sei. Niemals hätte
ich die Absicht, nach Bennos Tod eine
neue Beziehung anzufangen. Gerda
nahm mich einfach in die Arme.
»Lass es zu, wenn es passiert. Es
gibt nichts Schöneres, als sich zu verlieben,
egal wie alt man ist.« Wenige
Augenblicke später verabschiedete sie
sich von mir. Als ich im Bett lag,
dachte ich über ihre Worte nach. Ein
Körnchen Wahrheit steckte wohl
darin. Tatsächlich gefiel mir Herbert
wirklich. Aber war es nicht absurd,
sich in meinem Alter noch einmal zu
verlieben? Schließlich war ich ja
keine siebzehn mehr.
*
Der Besuch des Tanzkurses
gehörte inzwischen für mich
zum Höhepunkt der Woche.
Mittlerweile tanzte ich nur noch mit
Herbert, und Melanie kürte uns zum
idealen Tanzpaar. Auch Gerda hatte
einen festen Tanzpartner gefunden.
Winfried, ein ehemaliger Winzer, der
genauso lebenslustig wie Gerda war.
Sie passten wirklich perfekt zusammen.
Derweil gehörte es zu unserer
wöchentlichen Routine, dass wir im
Anschluss ein Gläschen Wein trinken
gingen. Winfried kannte sich naturgemäß
da besonders gut aus. Ich liebtediese Abende, und mit Herbert kam ich
mir immer näher. Ich mochte seine
charmante Art, sein Lächeln. Wenn
sich unsere Blicke trafen, verspürte ich
dieses berühmte Kribbeln in der
Bauchgegend. Ich hätte es nicht für
möglich gehalten, dass ich dies noch
einmal erleben würde. Inzwischen
unternahmen wir bereits auch Sachen
ohne Gerda und Winfried. Wir gingen
gemeinsam ins Theater und ins
Museum. Herbert konnte wunderbar
Dinge erklären, und ich hörte ihm gerne
zu. Jedes Mal brachte er mich mit seinem
Auto nach Hause. Bevor ich dann
in meine Wohnung ging, umarmten wir
uns. Jedoch hatten wir uns bis jetzt noch
nie geküsst, ganz zu schweigen davon,
dass ich Herbert in meine Wohnung
gebeten hätte. Für den letzten Schritt
war ich noch nicht bereit.
*
Dass sich dies änderte, lag ausgerechnet
an meiner Tochter.
Herbert und ich hatten an einem
Samstagvormittag eine Matinee im
Museum besucht. Er brachte mich nach
Hause und wir verabschiedeten uns.
»Mutter!« Hinter meinem Rücken
hörte ich einen empörten Schrei. Ich
erkannte sofort die Stimme meiner
Tochter. Erschrocken fuhr ich herum
und blickte in ihre vor Zorn sprühenden
Augen. Obwohl ich mir keiner
Schuld bewusst war, fühlte ich mich
ertappt.
»Das ist Herbert, und das ist meine
Tochter Sabine«, stotterte ich etwas
verlegen. Meine Tochter würdigte
Herbert keines Blickes. Stattdessen
packte sie mich am Arm und zerrte
mich einige Meter von ihm weg.
»Wie soll ich das verstehen. Wer ist
dieser Kerl?«, zischte Sabine, dabei
bebte ihr Busen voller Wut.
»Herbert ist ein guter Freund, mit
dem ich ab und an einmal etwas
unternehme.«
»Ein guter Freund!« Ihre Stimme
überschlug sich fast vor Empörung.
Dann brach es aus ihr heraus: Dass
Benno gerade einmal ein Jahr unter
der Erde sei und ich mich schon mit
irgendwelchen fremden Kerlen
herumtreiben würde. Dabei sah sie
mich an, als wäre ich eine Hure. Ich
war fassungslos über die Worte meiner
Tochter und noch viel fassungsloser
über ihre Blicke. »Ich habe auch noch ein Leben nach
deinem Vater«, rief ich voller Wut.
Sabine musterte mich kalt. »Ich
weiß nicht mehr, ob du noch Herr
deiner Sinne bist. Jedenfalls scheint
dich dieser feine Herr ganz schön um
den Finger gewickelt zu haben. Ich
werde für dich einen Termin bei einem
Psychiater machen.« Dann wandte sie
sich von mir ab und stöckelte mit
ihren hochhackigen Schuhen in Richtung
ihres Wagens.
»Willst du mich etwa für verrückterklären lassen?«, schrie ich ihr hinterher.
Inzwischen hatte ich bereits
bemerkt, dass unsere Nachbarn neugierig
die Gardinen dezent beiseiteschoben.
Aber dies war mir egal.
Sollten sie glauben, was sie wollten.
Sabine drehte noch einmal den Kopf
zu mir um und antwortete mit kalter
Stimme: »Jedenfalls benimmst du
dich so!« Dann fuhr sie mit ihrem
modischen Schlitten davon.
Ich war bestimmt fünf Minuten wie
erstarrt. Meine Tochter hielt mich für
unzurechnungsfähig, bloß weil ich versuchte,
mein eigenes Leben zu führen.
Wahrscheinlich würde sie jetzt alles in
die Wege leiten, um mich zu entmündigen.
Auf einmal spürte ich, wie sich eine
zärtliche Hand auf meine Schulter legte.
»Geht es dir gut?« Es war Herberts
dunkle, beruhigende Stimme. Ich
schüttelte energisch den Kopf. Dann
drückte ich mich schluchzend an seine
Brust und meine Tränen purzelten nur
so über die Wangen.
»Was hab ich denn Unrechtes
getan?«, schluchzte ich. Herbert strich
mir immer wieder sanft über die Haare, so lange, bis ich mich ein
wenig beruhigt hatte. Ich sah furchtbar
aus. Meine Wimperntusche war
total verschmiert. Trotzdem nahm ich
meinen ganzen Mut zusammen und
fragte Herbert, ob er nicht mit hineinkommen
möchte. Ich konnte und
wollte jetzt nicht allein sein. Nicht
nachdem mich meine Tochter für verrückt
erklärt hatte.
Zum Glück hatte ich noch eine Flasche
Wein im Haus. Zunächst hatte
ich das Gefühl, ich müsste das Bild von Benno, welches auf dem Schreibtisch
stand, umdrehen. Doch Herbert
hielt mich davon ab.
»Jeder von uns hat sein Leben
gelebt.«
Der Wein lockerte mir die Zunge.
Ich erzählte Herbert von dem immer
recht komplizierten Verhältnis zu
meiner Tochter, mit all seinen Höhen
und Tiefen. »Aber dass sie mich jetzt
sogar für verrückt erklären will, ver
stehe ich nicht.« Ich brach sofort wieder
in Tränen aus. Herbert nahm mich
in seine Arme. Er vermutete, dass es
vielleicht ihre Art zu trauern sei. »Sie
hat wohl den Tod ihres geliebten
Vaters noch nicht verarbeitet. Jetzt
greift sie dich an, weil du in ihren
Augen das Andenken ihres Vaters
beschädigst.«
Das leuchtete mir ein. Obwohl es
nicht der Tatsache entsprach. Meine
Trauer um Benno hatte nichts mit meinen
Gefühlen für Herbert zu tun. Oder
machte ich mir etwas vor? Ich blickte
zu Herbert auf. Mich überkam ein
Gefühl der Geborgenheit, welches ich