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Vor Wedel treibt ein Chinese tot in der Elbe. Die Behörden vermuten, dass er Schutzgelder erpressen oder schmutziges Geld waschen sollte. Ihr Verdacht richtet sich auf die profitable Umwandlung der „Kampfbahn“ eines Fußball-Traditionsvereins an der Ottenser Griegstraße in ein Wohngebiet. Sie schicken das deutsch-thailändische Ermittlerteam Bangramsan - Kronenberg in den Fernen Osten, wo beide am Mekong in das Fadenkreuz von Geheimbünden und Geheimdiensten geraten. Der Kriminalroman wirft ein Licht auf das verschwiegene Netzwerk der Triaden, das sich erdumspannend verbreitet hat und auch in Hamburg und Umland blutige Tupfer setzt. Er beruht teilweise auf einem Bericht für das US-Justizministerium. Dr. Reiner Gütter ist Scheffelpreisträger, arbeitete für die Städte Chicago, Nürnberg, Köln und als Baudezernent von Hamburg-Altona. 2016 veröffentlichte er zwei Bände der Reihe „Der Pate von Altona“: „Mindanao“ und „Monrovia“. „Immobilien, wertlos gewordene Schiffsbeteiligungen und erzürnte asiatische Investoren – das ist dann die explosive Mixtur, die sogar zu Morden in vornehmen Elbvororten-Kreisen führt – und Hamburger Ermittler bis nach Asien. Das ganze liest sich durchaus spannend.“ Axel Tiedemann, Hamburger Abendblatt, zu „Mindanao“
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Seitenzahl: 380
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Hinweis: Alle Figuren in diesem Roman sind frei erfunden, die zugrundeliegenden Strukturen und Handlungsorte allerdings nicht. Die Organisationsstrukturen der Hamburger Polizei und der Behörden der Volksrepublik Laos sind leicht verändert dargestellt. Namen und Handlungsweisen der Triaden und mit ihnen verbundener Organisationen in Osteuropa entsprechen Tatsachen, im Fall der Ukraine einem veröffentlichten Bericht für das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika.
HENRY
ALTONA / ADOLF-JAEGER-KAMPFBAHN
OTTENSEN
FALKENSTEINER UFER
WEDEL / ELBE
ALTONA / MÖRKENSTRASSE
KIEL
ALTONA / MÖRKENSTRASSE
OTTENSEN
ALTONA / NEUMÜHLEN
OTTENSEN
HAMBURG / GERHART-HAUPTMANN-PLATZ
KUNMING / YUNNAN
KUNMING / GONG AN
KUNMING / CAMELLIA-HOTEL
MENGLA / SIBSONGPANNA
LUANG PRABANG / LAOS
PHOU KHOUN / LAOS
VANG VIENG / LAOS
VIANG CHANG / LAOS
VIANG CHANG / PHONSAVAN
SAVANNAKHET / LAOS
SAVANG
TRIADEN
SAVANNAKHET
HAMBURG - ALTONA
HAMBURG / JOHANNISWALL
MUKDAHAN / THAILAND
MUKDAHAN / RIVERSIDE HOTEL
MUANG PHIN / LAOS
SAVANNAKHET
MA UND YANG
JIM AND JOE
SAVANNAKHET / DINOSAURIERMUSEUM
NGUYEN TRANH
POIPET / KAMPUCHEA
POIPET RESSORT CASINO
POIPET AIRFIELD
ZWISCHEN POIPET UND SAVANNAKHET
KAIPONE PHOMVIHANE AIRPORT
ROBERTO FRANCETTI
INVADING LAOS
SAVAN CASINO UND HOTEL
TA MOKS ANKUNFT
TA MOK
HAMBURG / JOHANNISWALL
SAVANNAKHET
HAMBURG / JOHANNISWALL
SAVANNAKHET / DINOSAURIER-MUSEUM
MUKDAHAN / THAILAND
HAMBURG / JOHANNISWALL
SAVAN CASINO UND HOTEL
OPERATION OTAKTAY
SUNPASITTIPRASONG HOSPITAL
EIN ANGEBOT FÜR TATONGA MILLER
ALTONA / KÖNIGSTRASSE
FRANKFURT / MAIN
HAMBURG / BERLINER TOR
ALTONA / NEUMÜHLEN
ALTONA / JESSENSTRASSE
ALTONA / DIEBSTEICH
HAMBURG / JOHANNISWALL
SAVANNAKHET
HAMBURG / JOHANNISWALL
SUNPASITTIPRASONG HOSPITAL
ALTONA / MÖRKENSTRASSE
HENRY
OTTENSEN / VEREINSHEIM GRIEGSTRASSE
SAVANNAKHET
EPILOG
DER PATE VON ALTONA III – MEKONG – HANDELNDE PERSONEN
53 Grad 33 Minuten nördlicher Breite, 9 Grad 55 Minuten östlicher Länge: Die Griegstraße ist ein schmales Seitensträßchen beiderseits der Behringstraße in Altona. Gegenüber der ehemaligen Marzipanfabrik liegt inmitten eines rot geklinkerten Häusermeers eine große, pappelumsäumte Grünfläche. Den Eingang überspannt ein Schild, welches das Gelände als »Kampfbahn« ausweist. Die Tribüne dieser »Kampfbahn« ist in die Jahre gekommen, ihre Treppenstufen abgeplatzt, das Holz angemodert. Nichts erinnert mehr an die große Vergangenheit des Namensgebers und des Traditionsvereins, dem das Gelände gehört.
Der kühle Herbstmorgen versuchte vergeblich, die Nässe der regenreichen Nacht wegzudampfen. Über dem Rasen und auf den Treppen lag brauner Blättermatsch, den auch heftige Windstöße nicht mehr verwirbeln mochten. Die aufgehende Sonne glimmte fahl hinter einem grauen Wolkenteppich. Einsetzender Berufsverkehr klang leise von der Hauptstraße herüber.
Henry schloss das Tor des Eingangs zur »Kampfbahn« auf. Die weit über tausend Mitglieder des Traditionsvereins kannten ihn alle, denn Henry war Platzwart und Masseur zugleich.
Eigentlich hieß Henry Heinrich. Aber er mochte diesen Namen nicht, den ihm sein Vater geben ließ, bevor seine Barkasse auf den schlammigen Grund der Elbe gedrückt wurde. Henry wuchs bei seiner Mutter in einem der rot verklinkerten Mietshäuser östlich der »Kampfbahn« auf. Seine Mutter ernährte sich und ihren Sohn kärglich als Kassiererin in einem nahen Supermarkt. Henry flog früh von der Schule, weil er sich mit sechzehn nicht nur eine Rockerkluft angeschafft hatte, sondern sich auch entsprechend benahm. Nachdem ihn die Kontrolleure der S-Bahn vierzigmal beim Schwarzfahren erwischt hatten, kam er erstmals in den Knast; zwei Monate nur, aber genug, um neue Freunde zu gewinnen.
Auf der Schanze schlug er sich danach vor den Spelunken am heute schicken Schulterblatt als Kleindealer durch. Nach einer Schlägerei mit einigen der afrikanischen Mitdealer ging´s in die Jugendhaftanstalt Hanöversand – mitten in der Elbe. Weil einer der Afrikaner schwer verletzt wurde, gab es keine Bewährung und gleich zwei Jahre.
Seinen zweiten Beruf lernte Henry bei der Bundeswehr. Sein Spieß wusste von der Vorstrafe und nahm sich des Rekruten fast väterlich an. Der Spieß hatte selbst eine rockige Vergangenheit und sympathisierte mit den Fetischen der Gewalt. Er ließ Henry den Lkw-Führerschein machen und brachte ihn in einer Transporteinheit unter: »Logistik ist das einzige, was die Bundeswehr kann«, pflegte der Spieß zu sagen.
Nach dem Wehrdienst heuerte Henry bei einer Möbelspedition in Bahrenfeld an. Der Niederlassungsleiter – ein Harley-Davidson-Fahrer – mochte ihn aus denselben Gründen wie der Spieß beim Bund. Außerdem war er einer der jüngeren Fans des lokalen Traditionsvereins und schickte Henry zum Plakatekleben. So wurde Henry schließlich Vereinsmitglied.
Nach einem schweren Lkw-Unfall, nach dem er mit einem Splitterbruch aus der Fahrerkabine gezogen wurde, war Henry für die Möbelspedition nicht mehr zu gebrauchen. Obendrein verließ ihn seine Freundin, die nicht mit einem Krüppel in die Zukunft gehen wollte.
Nur seine Mutter und sein Chef hielten zu ihm: »Ich besorg´ dir einen neuen Job, auch, wenn der nicht so viel einbringen wird wie dein bisheriger«, sagte der Niederlassungsleiter. »Beim Verein wirst du aber bleiben.«
Kurz darauf wurde Henry als Platzwart für die »Kampfbahn« eingestellt. Weil er davon kaum leben konnte, machte ihm der Vereinsvorsitzende den Vorschlag, sich als Masseur ausbilden zu lassen: »Du weißt, der Hermann Rieger ist beim HSV eine Ikone geworden, hat sogar ´nen eigenen Fanclub. Und bescheiden ist er dabei geblieben! Ich will, dass du so wirst wie er – nur eben ´ne Nummer kleiner.«
Also lernte Henry schwedische, chinesische und thailändische Massage. Sein vierter Job sollte fürs restliche Leben taugen. Die Spieler des Traditionsvereins dankten es ihm selbst dann, wenn der Rasen einmal nicht so kurz wie nötig geschnitten war. Das aber kam selten vor. Die »Kampfbahn« wurde Henrys Revier, das er trotz bröckelnder Stufen und modernden Holzes wie seinen Augapfel hütete.
Henry ging vom Eingang an der Griegstraße die Tribüne entlang bis zur südöstlichen Ecke der »Kampfbahn«. Er würde das nasse, schwere Laub wegpusten und danach den Motormäher übers nasse Gras fahren müssen. Das war gar nicht gut, wusste Henry. Hier in Hamburg konnte man sich das Wetter nun mal nicht aussuchen. In zwei Tagen sollte das nächste Spiel stattfinden. Auch, wenn der Verein nur in der Oberliga spielte, sollte der Rasen erste Klasse sein.
Henry ging zurück zum Vereinshaus. Dieses Haus war ein gedrungener, zweigeschossiger Würfel mit einem Pultdach drüber. Manchmal wurden dort Feste gefeiert, vor allem dann, wenn sich der Verein bereits vor der Regionalliga wähnte. Keines der Feste führte zum gefeierten Erfolg.
Auf der Rückseite des Hauses erspähte Henry einen länglichen Haufen nassen Laubs. Er war sich sicher, dass das nicht seiner Arbeit entsprungen war. Wie stets leicht humpelnd, näherte er sich dem Haufen, wischte dort mit seiner rechten Hand die oberste Laubschicht weg. Die Hand stieß auf etwas Glitschig-Festes. Nach dem nächsten Wisch erstarrte Henry und fiel fast auf die Knie: Er blickte in das nasse Gesicht eines Chinesen. Ein Viertel der Schädeldecke war weggeplatzt, schwarze Haarsträhnen klebten in einem blutigen Krater.
Henry war keine Memme. Nach der ersten Schreckminute schob er das Laub vom Leib des Chinesen. Schwarzer, schlecht sitzender Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte und dunkelblaue Schuhe. Die Schuhe mussten teuer gewesen sein, dachte Henry. Er fasste in die Taschen des Toten und zog aus der Tiefe der linken Innentasche des Sakkos einen in Plastik eingeschweißten Zettel, auf dem chinesische Buchstaben und eine achtstellige Zahl standen, dahinter das Euro-Zeichen. »Verdammt viel Geld«, murmelte er, steckte den Zettel in die Innentasche zurück und schloss die Tür zum Vereinsbüro auf. Er rief den Vereinsvorsitzenden an, der innerhalb einer Stunde eintraf.
»Das müssen wir wegschaffen«, schnaufte der Vorsitzende schwer.
»Aber wollen Sie nich´ die Bullerei verständigen?«, antwortete Henry entgeistert.
»Dann könnte ich auch gleich das Hamburger Abendblatt anrufen. So was können wir gerade jetzt nicht gebrauchen.«
»Was sollen wir denn tun? Ihn einfach liegen lassen und wieder mit Laub bedecken?«
»Sei nich´ so einfältig, Henry. Du mähst jetzt den Rasen und heute Abend fahren wir den Corpus zum Falkensteiner Ufer in Blankenese. Dort, wo der Strandweg wegen Krötenwanderung gesperrt ist, schleifen wir ihn zur Elbe – und rein damit. Zuvor stecken wir ihn noch in einen Blaumann, damit jeder, der ihn entdecken sollte, glaubt, das sei ein über Bord gegangener Matrose. Verstanden?«
Henry nickte ergeben, wurde jedoch nochmals lebendig: »Warum kann sich der Verein meinen Fund gerade jetzt nich´ leisten?«
»Erstens, weil ein Fußballverein sowieso keine Leichen brauchen kann und zweitens, weil wir in zwei Tagen um den Einzug in die Regionalliga kämpfen werden. Außerdem kann sich Hamburg keinen toten Chinesen leisten. Dafür ist unsere Stadt für China zu wichtig.«
»Wenn Sie es meinen, Chef«, zog sich Henry zurück. Von der Antwort des Vereinsvorsitzenden war er dennoch nicht überzeugt.
Gemeinsam häufelten sie nasses Laub auf die Leiche und zogen eine weiße Plastikplane darüber.
Emmy wohnte im siebten Geschoß eines achtgeschossigen Wohnhochhauses an der Nordwestecke der »Kampfbahn«. Ihr Mann war bereits vor zwanzig Jahren bei einem Unfall in der Werft von »Blohm & Voss« gestorben. Sie lebte als ehemalige Wäscherin gerade mal eben von ihrer Kargrente und der noch kärglicheren Witwenrente. Ihre beiden Söhne wohnten in London und Singapur. Von beiden erhielt sie nur zu Weihnachten regelmäßige Kartengrüße, ansonsten nichts. »Undank ist der Welt Lohn«, stand auf einer Karte, die auf der Innenseite ihrer Wohnungstür klebte.
Emmy konnte nachts nicht schlafen. Sie wurde regelmäßig erst gegen 9 Uhr vormittags müde und legte sich dann ins Bett. Für die langen Nächte, die sie nicht vor dem Fernseher verbrachte, sparte sie sich Kriminalromane vom Mund ab. Diese Bücher zeigten ihr, dass es viel Elend auf der Welt gibt, und dass selbst in wohlhabenden Schichten das Glück ein seltener Gast ist.
Emmys Wohnung hatte einen Südbalkon, den sie regelmäßig zum Rauchen nutzte. Das Rauchen war zum Luxusgut geworden – eine der Sünden, welche die Regierung noch zuließ, dafür aber heftig abkassierte. Emmy verzichtete tageweise aufs Essen, um sich das Rauchen erlauben zu können.
An diesem kühlen Herbstmorgen, an dem das Gras noch nass war und die Sonne nur als blasse Scheibe am östlichen Horizont auftauchte, stand Emmy mehrmals auf dem Südbalkon. Sie beobachtete, wie Henry den südlichen Rand der »Kampfbahn« auf- und abging, danach in einem Laubhaufen hinter dem Vereinsheim herumkramte. Sie erkannte, dass unter dem Laubhaufen etwas Längliches lag und Henry fast in die Knie ging. Sie sah, wie der Platzwart schnell humpelnd um das klobige Vereinsheim ging und nach einer Stunde mit dem Vereinsvorsitzenden zurückkehrte, den sie vom Sehen kannte.
Emmy fühlte sich fast mitten in einem ihrer Kriminalromane. Nur, dass sich nach dem Rückzug der zwei Männer nichts mehr tat. Als wäre nichts gewesen, lag hinter dem Vereinsheim ein länglicher Laubhaufen, allerdings jetzt mit weißer Plane drüber. Emmy war zu müde, um ihre Wohnung verlassen und zum Haufen gehen zu können. Sie legte sich auf ihr weißbedecktes Sofa und schlief kurz darauf ein.
Am späten Abend rief der Vereinsvorsitzende bei Henrys Mutter an, in deren Wohnung Henry nach wie vor lebte. Er bat Henry binnen einer viertel Stunde auf die »Kampfbahn«. Henrys Mutter war erstaunt: »Junge, es is´ doch schon dunkel.«
»Mach nichs, Mama. Der Vorsitzende persönlich und ich müssen da was erledigen. Is´ wichtig.«
Im schwachen Licht einer Außenleuchte des Vereinsheims entfernten sie das Laub vom Corpus des Chinesen und trugen ihn zum Daimler des Vorsitzenden, der die Heckklappe öffnete.
»Nur jetzt keine Verkehrskontrolle! Bete dafür!«, stieß der Vorsitzende hervor. Henry wusste nicht, wie man beten sollte.
Der Vorsitzende fuhr über die Walderseestraße, die Reventlowstraße, die Elbchaussee und die Blankeneser Landstraße zum Falkensteiner Ufer. Eine dort vom Bezirksamt aufgebaute Straßenschranke lag zerbrochen im seitlichen Krötengraben. An einer leichten Kurve hielt der Vorsitzende zwischen zwei weit voneinander entfernten Straßenlaternen an: »Jetzt raus, umkleiden und ab ins Wasser.«
Henry weigerte sich, den Chinesen im Kofferraum zu entkleiden. Sein Vereinsvorsitzender war wütend und entkleidete die Leiche selbst: »Jedenfalls diesen Blaumann kannst du ihm jetzt überziehen«, zischte er ihn an.
»Warum haben wir das nich´ hinterm Vereinsheim getan?«
»Weil das Spuren hinterlässt, du Dummkopf. Also mach mal zu!«
Henry steckte das nackte, tote Fleisch in einen blauen Overall, an dem chinesische Buchstaben angenäht waren. Den eingeschweißten Zettel in der Innentasche des Saccos schob er in die Brusttasche des Overals, deren Reißverschluß er zuzog. Dann streifte er dem Toten die Schuhe über und verknotete die Bändel. Er und der Vorsitzende hievten den Leichnam aus dem Kofferraum und trugen ihn über eine Wiese zum Elbufer. Sie stolperten über Steine im seichten Wasser bis der Vorsitzende innehielt: »Auf drei!«
Der neu eingekleidete Leichnam klatschte auf dunkles Wasser. Die beiden Männer, die ihn dorthin geschwungen hatten, atmeten tief auf.
Das Boot der Wasserschutzpolizei in Wedel hielt gerade mal so weit gegen den Strom, dass es an derselben Stelle verharrte. Es wartete auf ein chinesisches Containerschiff, das schon im Hafen von Hamburg mit Schweröl gefahren sein soll. Die schwarzen Rauchschwaden hätten das gesamte Elbufer überzogen, gaben die Kollegen aus Hamburg durch. Das sei »schwere Körperverletzung«.
»Warum habt ihr den dann nicht gestoppt?«, fragte der Kapitän des Boots vor Wedel.
»Der war schon auf voller Fahrt«, antwortete sein Hamburger Kollege.
»So, so, auf voller Fahrt. Darf der gar nicht. Und du glaubst, dass er vor Wedel auf halbe Fahrt oder ganz herunter geht?« Der Funkverkehr verstummte. Elbaufwärts näherte sich ein Koloss mit schwarzer Fahne über dem Schornstein.
»Sieh mal, backbord. Sieht aus wie ein menschlicher Körper. Lass uns das mal rausangeln«, rief der Steuermann. Das Boot näherte sich in leichter Rückwärtsfahrt der Wasserleiche. Es war das erste Mal seit langem, dass die Wasserschutzpolizei in Wedel etwas wirklich Bedeutsames in der Elbe entdeckte. Der stark rusende Containerriese zog unbeachtet weiter.
Der Amtsarzt des Landkreises Pinneberg erschien nach einer Stunde am Wedeler Hafen: »Wissen Sie eigentlich, dass heute das Wochenende begonnen hat? Keine Schweinepest, keine Vogelseuche, nur ein Leichnam, der auch noch bis Montag hätte warten können. Verdammt noch mal, ich habe eine fünfköpfige Familie!«
Der Kapitän des Polizeiboots wies wortlos auf die Wasserleiche, der ein Viertel des Gehirns fehlte: »Das war kein Huhn, kein Vogel, sondern ein Mensch. Außerdem ist heute erst Freitag.«
»Kein Anzeichen von einer Seuche, nicht wahr?«, forschte der Amtsarzt zurück, bevor er sich mit einem Wattestab über das Gesicht des Toten beugte. »Dem hat man mit einer großkalibrigen Waffe einen Teil des Gehirns weggepustet. An seinem Gesicht und Hals kleben Fetzen faulen, nassen Laubs. Ganz sicher ist der nicht in der Elbe gestorben, sondern irgendwo stromaufwärts. Meine Kollegen in Altona, Hamburg-Mitte oder Geesthacht sind zuständig. Würden Sie mich jetzt entschuldigen?«
Die Wasserschutzpolizei in Wedel kontaktierte jene in Hamburg mit der Bitte, einen Amtsarzt zu schicken. Es kam kein Amtsarzt aus Hamburg, weil die Leiche in Wedel gefunden wurde. Als der Leichnam zu faulen begann, schaltete sich das Landeskriminalamt Kiel ein. Das lag hundert Kilometer nordwärts.
Udo Kronenberg langweilte sich in seiner überschaubaren Bürozelle an der Mörkenstraße in Altona-Altstadt. Altstadt war ein Euphemismus für wenige Gründerzeithäuser und eine Menge Wideraufbauschrott, der sich um einen zentralen Grünzug gruppierte, dem der kleine Hamburger Feuersturm von 1944 Platz geschaffen hatte. Seitdem die Billigländer Rumänien und Bulgarien in die Europäische Union einbezogen waren, lagerten in diesem Grünzug regelmäßig Südosteuropäer, koteten die Liegewiesen und Parkecken zu, prügelten sich manchmal lautstark und überspannten alles mit Plastikplanen. Am Nobistor standen ihre Kleinbusse und Personenwagen, in denen auch übernachtet wurde. Daneben das nette Holzhaus der »Alimaus«, in dem sie und andere Obdachlose kostenlos verköstigt wurden. Pater Karl war eine katholische Legende unter den orthodoxen Bulgaren, die jeden auf dem Arbeiterstrich verdienten Cent lieber nach Hause schickten, als ihn hier auszugeben. Darin waren sie allen früheren Einwanderern ähnlich: Zuhause der reiche Onkel, vor Ort die arme Maus.
Kriminalhauptkommissar Udo Kronenberg fühlte sich jedes Mal genervt, wenn das Bezirksamt erneut um Räumung seiner Grünanlage bat. Er wusste, dass die Südosteuropäer nach jeder Räumung verlässlich zurückkehrten. Sie hatten sogar erkannt, dass eine Wiese südlich der Holstenstraße keine öffentliche Grünanlage war, also nicht der Grünanlagenverordnung unterlag, welche das nächtliche Lagern untersagte. »Die sind zwar ohne große Schulbildung, aber nicht blöd«, hatte er vor kurzem seiner Assistentin Katharina Esbjerg zugeraunt. »Hart im Nehmen und vollkommen rückständig«, hatte die zurückgeraunt.
Am Telefon war ein Kumpel von der Wasserschutzpolizei: »Die Wedeler haben eine deformierte Wasserleiche gefunden. Ist offensichtlich ein Chinese. Du hast doch Verbindungen nach Asien. Willst du dich mal drum kümmern?«
»Nur, weil´s ein Chinese ist? Weißt du, wie viele es davon gibt?«
»Eins Komma drei Milliarden, habe ich gelesen. Für die Wedeler ist der aber ein Exot.«
»Na gut, ich schau mir den mal an. Haben die Wedeler eine Identität?«
»Iwoh! Ich hätte dich sonst nicht angerufen. Du musst eine Dienstreise nach Kiel beantragen.«
»Kiel – das Ziel meiner Urlaubsträume! Wieso denn Kiel?«
»Das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein hat den Fall übernommen.«
»Das Landeskriminalamt? Dann bitte doch meinen sehr geschätzten Kollegen Schröder vom hiesigen Landeskriminalamt um die Dienstreise ins sehr geschätzte Kiel.«
»Wir wissen beide, dass der Kollege Schröder mehr eine Rotznase als eine Spürnase ist, oder?«
Kriminalkommissar Udo Kronenberg willigte widerwillig ein und fuhr in das vom Bombenkrieg noch stärker als Altona zerstörte und billig wieder aufgebaute Kiel.
»Großkalibrig und aus der Nähe abgefeuert«, stellte er in der Pathologie vor der Leiche des Chinesen fest.
»Nicht ertrunken, sondern an Land umgebracht, vielleicht auf einer baumgesäumten Wiese. Wir haben Blätterreste gefunden«, antwortete der spindeldürre Amtsarzt.
»Was für Blätter?«
»Pappeln und Ahorn.«
Udo Kronenberg stöhnte: »Tatort also überall und nirgendwo. Jedenfalls nicht die Elbe.«
Der Pathologe nickte verdrossen, ging ans untere Ende der Schublade, auf welcher der Tote lag. Aus der dort hängenden Tasche zog er einen verschweißten Plastikbeutel heraus: »Das hier haben Ihre Kollegen einfach liegen lassen. Neben einigen chinesischen Zeichen steht auf dem Zettel eine Zahl, dahinter das Euro-Symbol. 12,7 Millionen Euro, wenn ich es richtig interpretiere. Und dann ist hier noch etwas.
Etwas theatralisch hob der Gerichtsmediziner zwei blaue Lederschuhe aus der Tasche: »Armani-Schuhe,. teuer, teuer.«
»Und wo gekauft?«
»Bin ich ein Hellseher? Überall dort, wo´s richtig teuer ist.«
»Oder in Metzingen.«
»Wo, bitteschön?«
»Kennen Sie das nicht? Eine kleinbürgerliche Kleinstadt in Württemberg, die sich Outlet-City nennt. Mode von gestern für angebliche Schnäppchenpreise. Fast alle Chinesen, die sich legal in Deutschland aufhalten, fahren dorthin. Etwa eine Million jedes Jahr.«
»Sie meinen, Markenware für unsere Gehaltsklasse?«
»Die Gehaltsklasse lassen wir mal außen vor. Schotten, Schwaben und Chinesen gelten als geizig. Typische Schnäppchenjäger also. Fragen Sie mal beim Armani-Shop in Metzingen nach, ob und wann solche absurdfarbigen Schuhe verkauft wurden.«
»Und dann?«
»Dann wissen wir in etwa, seit wann der Chinese unter uns weilte. Vielleicht hat er die Schuhe mit einer Kreditkarte bezahlt. Das wäre ein Volltreffer.«
»Ich bin Arzt. Werde es aber Ihren Kollegen hier weitergeben.«
»Sie betrachten sich also nicht als Kollege?«
»Mit Verlaub, ich bin promovierter Arzt. Für die von Ihnen angeregte Recherche benötigt man keinen Doktortitel.«
Udo Kronenberg fühlte sich unsanft an die Tatsache erinnert, dass er trotz bestandenen Abiturs keine Hochschule besucht hatte. Er verlor ob der Arroganz des Pathologen jedoch sofort die Lust, an diesem in Schleswig-Holstein liegenden Fall mitzuwirken. »Doktortitel ersetzen keine Weltsicht«, schnappte er zurück.
Jetzt fühlte sich der Forensiker gefordert: »Die Weltsicht der Hamburger reicht noch nicht einmal bis zur Elbmündung. Weshalb die Elbvertiefung auch nicht klappen wird. Bereiten Sie sich mal auf die Zukunft als Museumsstadt vor – wie Brügge.«
»Was, bitteschön, hat Hamburg mit Brügge zu tun?«
»Nach der Hansezeit ließ Brügge seinen Kanal zur Nordsee versanden. Daraus entstand dann der Seehafen Zeebrugge und Brügge wurde zum lebenden Museum.«
»Sie meinen, dass Cuxhaven Hamburg über kurz oder lang den Rang ablaufen könnte?«
»Oder Wilhelmshaven. Aber nur Hamburg hat ein chinesisches Generalkonsulat.«
*
Udo Kronenberg überbrachte das Porträt der Visa-Abteilung des Generalkonsulats, die in einer schäbigen Bude neben einer großen, kitschigen Villa in Fachwerkstil an der Elbchaussee ressortierte. Danach rief er seinen alten Freund Vichaj Bangramsan an, als Polizeioberst von der Anti-Korruptions-Kommission zur Touristenpolizei in Bangkok weg beförderter Weggefährte bei früheren Einsätzen auf Mindanao und in Sierra Leone: »Vichaj, ich scanne dir das Bild eines malträtierten Chinesen und bitte dich darum, über deine Kontakte in Ostasien seine Identität zu ermitteln.«
»Weißt du, wie viele Chinesen es gibt?«
»Schon gut, eins Komma drei Milliarden. Aber der hier trug dunkelblaue Armani-Schuhe. Die können sich vielleicht dreizehn Millionen Chinesen leisten. Sollten die Schuhe echt sein, dann vielleicht ein paar weniger.«
»Sollten die Schuhe echt sein, dann sind sie nicht in Thailand gekauft worden. Auch nicht in Indien, Laos oder Vietnam.«
»Weiß ich, Vichaj. Schau dich dennoch nach ihm um.«
»Chance ist eins zu mehreren Millionen, das ist dir doch geläufig. Etwa so, als wenn du im Lotto einen Millionengewinn erwarten solltest.«
»Ist es. Ich suche diesen Chinesen auch über das Generalkonsulat der Volksrepublik China und über die Outlet-City Metzingen.«
Polizeioberst Vichaj Bangramsan hackte den Namen Metzingen in seinen Computer: »Dort ist euer Baudezernent geboren worden«, triumphierte er.
»Mag schon sein, aber der verkauft keine Armani-Schuhe. Schon gar keine echten.«
»Also, sollte ich bei eurem Chinesen einen Treffer landen: Ist dann eine Dienstreise nach Hamburg drin?«
»Ich denke, du hasst das Wetter in meiner Stadt.«
»Momentan ist noch Regenzeit. Selbst bei euch wird es trockener sein als in Bangkok. Hier trieft alles.«
»Solltest du einen Treffer landen, gehe ich über Interpol. Wird schon klappen.«
*
Keine zwölf Stunden später erhielt Kronenberg eine E-Mail mit Foto im Anhang: »Der tote Chinese trägt den Allerweltsnamen Li Ping, aber den Künstlernamen Tanatus. Ist altgriechisch und bedeutet »Der sanfte Tod«. Er ist ein hier bekannter Gangster, geboren in Kunming/China, gemeldet in Nong Khai / Thailand. Das Foto stammt von der Einwanderungsbehörde. Vergleiche den Leberfleck oberhalb der Lippe der Person.«
Udo Kronenberg setzte sich an die Tastatur: »Und was sind die Vergehen des Li Ping?«
»Alles, was der Mekong hergibt: Schmuggel, Drogenhandel, Menschenhandel, Mord. Tanatus gehört zu einer der chinesischen Triaden.«
»Warum residiert er in Nong Khai?«
»Wichtigster Grenzübergang nach Laos. Nong Khai liegt fast gegenüber der Hauptstadt Viang Chang – Vientiane haben die Franzosen die Stadt genannt. Seitdem Thailand bei Grenzübertritten über Land nur noch für zwei Wochen Visa erteilt, hat sich die internationale Rentnerszene von Nong Khai nach Viang Chang verlagert. Ihre speziellen Wünsche werden aber noch aus Nong Khai und Korat bedient: Sex, Drugs, Rock´ n Roll. Li Ping war so etwas wie der lokale Logistiker für diesen Handel.«
»Was könnte er in Hamburg zu tun gehabt haben?«
»Keine Ahnung. Eigentlich handelt er mit lokalen Waren. Die Ware Sex war eher russischen Ursprungs. Die Kollegen der Anti-Korruptions-Kommission vermuteten ihn deshalb eher in Moskau oder Wladiwostok. Habt ihr keine weiteren Hinweise?«
»Nur einen Zettel mit ein paar chinesischen Schriftzeichen und einer achtstelligen Millionensumme darauf – in Euro.«
»Was sagen die chinesischen Zeichen?«
»Sie sagen: Hamburg schuldet Urumchi diese Summe. Darunter eine unleserliche Unterschrift.«
»Urumchi – das ist doch die Hauptstadt der westlichen Wüstenprovinz Sinkiang in China. Warum sollte Hamburg dieser Provinzhauptstadt so viel Geld schulden?«
»Eben. Deshalb glaube ich, dass Urumchi eine Metapher ist. Dieser Tanatus sollte die Summe eintreiben und hat dabei selbst den Tod gefunden. Also Vichaj: Interpol wird dein Innenministerium ersuchen, dich nach Hamburg abzuordnen. Urumchi werden wir vielleicht auch besuchen müssen. Hoffentlich noch im Herbst. Soweit ich weiß, sind die Winter dort brutal kalt – minus zwanzig bis minus dreißig Grad Celsius.«
»Nur mit Raumfahreranzug und Kältezulage! Für einen Thai ist das der Vorhof zur Hölle, kurz vor dem Styx. Außerdem will ich eine Überweisung meines Gehalts auf die Bangkok-Bank, nicht auf die HSH-Nordbank haben.«
»Was bedeutet Styx?«
»Das müsstest du als Europäer doch wissen: Der Todesfluss nach altgriechischer Mythologie.«
»Und warum keine Überweisung auf die HSH-Nordbank?«
»Weil diese Bank in Schiffsfinanzierungen verwickelt ist. Geschätzte tausend Pleiteschiffe können schon mal eine Bankpleite auslösen.«
Polizeioberst Vichaj Bangramsan machte sich auf den Weg zum Flughafen Suvarnabhumi von Bangkok, der auf Sumpfland gegründet ist, und verließ fünfzehn Stunden später den Flughafen Frankfurt/ Main, dessen Startbahn West in einen Stadtwald geschlagen wurde. Wie schon bei der ersten Landung in Frankfurt überkam ihn der Gedanke, dass nicht nur beim Bau von Suvarnabhumi Korruption im Spiel gewesen sein musste, die in seinem Land »ungewöhnlicher Reichtum öffentlicher Personen« genannt wurde.
In der Frankfurter Ankunftshalle erwartete ihn Kriminalhauptkommissar Udo Kronenberg. Sie umarmten sich. Im ICE nach Hamburg-Altona feierten sie ihr drittes Wiedersehen als transkontinentale Freunde.
Li Ping, genannt Tanatus, lag noch im Kühlfach der Kieler Gerichtsmedizin. Das chinesische Generalkonsulat in Altona sah sich außerstande, den Mann als Staatsbürger der Volksrepublik zu identifizieren. Die königlich-thailändische Botschaft in Berlin hatte lapidar erklärt, ein Staatsbürger dieses Namens und Aussehens sei nicht bekannt. Noch im Speisewagen des ICE bekam Vichaj ob dieser Nachricht einen Lachanfall, der ihm ein Stück Schweineschnitzel in die Luftröhre trieb. Nur die Unterstützung Kronenbergs und des herbeieilenden Kellners verhinderten den Erstickungstod oder einen Luftröhrenschnitt, der bei schneller Fahrt wahrscheinlich unprofessionell ausgefallen wäre.
»Kaum in Europa, wäre ich fast schon über die Klippe gesprungen. Weder auf Mindanao, noch in Afrika war das so«, kommentierte Vichaj lakonisch.
Vichaj verglich das wächserne Gesicht des toten Chinesen im Kieler Kühlfach mit einem scharfen Foto, das ihm seine Kollegen von der Anti-Korruptions-Kommission mitgegeben hatten: »Die Gesichtszüge und der Leberfleck stimmen überein. Weist der Corpus sonstige Spuren von Verletzungen auf?«
Der kahlköpfige, hagere Rechtsmediziner, der das Kühlfach geöffnet hatte, blätterte im Befund, der am Fußende des Fachs in einer Plastiktasche steckte: »Oh ja, eine ganze Reihe verheilter – ich meine vernarbter – Wunden, soweit das nach mindestens 12 Stunden im Brackwasser der Elbe noch feststellbar ist. Das Gewebe weist am Oberkörper mehrere Anomalien auf. Der hier könnte ein professioneller Schläger, vielleicht ein Mafioso gewesen sein.«
»Mit dieser Vermutung dürften Sie ganz richtig liegen. Kompliment!«, griente Vichaj. »Nur heißen die bei uns etwas anders.«
Kronenberg und Vichaj schlenderten bei nachsommerlichem Wetter über die mit braunen Blättern übersäte Fußgängerzone zurück zum Hauptbahnhof von Kiel. »Ich muss morgen meiner Amtsleitung Bericht erstatten«, sagte Kronenberg bekümmert.
»Dann weiß es übermorgen die ganze Stadt«, kicherte Vichaj. »Sag denen doch einfach, dass vor dem Ergebnis der Untersuchungen noch hundert Schiffe den Hamburger Hafen verlassen werden – vielleicht hundert Schiffe nach Shanghai.«
Udo Kronenbergs Miene hellte sich auf: »Das mit den weiteren Untersuchungen ist gut. Die hundert Schiffe würden eher stören. Es fahren sowieso immer weniger. Was ist mit der Vermutung, dass wir einen Mafioso gefunden haben könnten?«
Vichaj lachte: »Chinesischer Mafioso auf dem laotischen Markt? Deine Kollegen sollen doch mal versuchen, einen Polizisten aus Laos hier her zu bekommen. Bis zu eurem grimmigen Winter werden sie das nicht schaffen – garantiert!«
»Und wenn sie es doch schaffen würden?«
»Dann würde ihnen der Kollege aus Laos bestenfalls auf Französisch erklären, dass die tote Triaden-Maus in Nong Khai gelebt und gewirkt hat – also jenseits des Mekongs. Schachmatt.«
»Warum auf Französisch?«
»Laos war ein französisches Protektorat. Eigentlich wollten die Franzosen diese Berglandschaft gar nicht, weil außer Kohle dort nichts zu holen war. Ich meine – keine Francs. Sie wollten lediglich einen Puffer gegen die nicht kolonialisierbaren Bergstämme an den Grenzen ihres geliebten Indochine errichten. Das war Vietnam. Und natürlich gegen uns Thai, die Laos und Kambodscha ohnehin als Teil unseres Königreichs betrachten. In Laos sprechen sie nicht »Laotisch«, sondern Thai. Gleiche Sprache, gleiche Kultur, gleiches Land.«
»Du bist doch nicht etwa ein Nationalist?«
»Alle Thai sind Nationalisten. Thai rak Thai.«
»So viel verstehe ich inzwischen auch: Thai können nur Thai mögen.«
»Lieben! Wär´s aber wirklich so, dann hätte ich dort nichts mehr zu tun.«
Die Erfolgsmeldung des nächsten Tages war, dass es keine Erfolgsmeldung gab. Stattdessen genehmigte der Staatsrat der Hamburger Behörde für Inneres zwei Dienstreisen nach Urumchi / Sinkiang. Der Versuch eines Widerspruchs von Kronenberg war zwecklos. Die Vorzimmerdame des Staatsrats erklärte ihm lediglich, dass Lufthansa Urumchi nicht anfliege und er sowie sein asiatischer Kollege deshalb mit der staatlich chinesischen Fluggesellschaft Vorlieb nehmen müssten. Sie werde ihm deshalb ein Formular zusenden, auf dem er sich damit einverstanden erklären müsse.
»Ich denke nicht, dass die Lösung unseres Falls in Urumchi liegen wird«, sagte Kronenberg.
»Das müssen Sie schon mit Herrn Staatsrat besprechen. Der hat aber in den nächsten zwei Wochen keinen Termin frei.«
»Sagen Sie ihm bitte, dass meines Erachtens die Lösung eher in Südwestchina oder in Laos liegt, aber nicht im nördlichen China.«
»Nach Südostasien würde ich auch gerne ein Gratis-Ticket bekommen«, antwortete die Vorzimmerdame schnippisch.
»Ich meine nicht die schönen Strände in Thailand, sondern Vientiane oder Kunming. Dort ist das Mordopfer wahrscheinlich geboren.«
»Ich bin in Balingen geboren und habe mit Balingen ansonsten nichts mehr zu tun«, schnippte die Vorzimmerdame zurück.
»Schwäbische Hausfrau, das Ideal der Merkel-Republik«, dachte sich Kronenberg und sagte: »Dieses Mordopfer hatte mit vielfältigem Handel entlang des Mekong zu tun. Der Mekong entspringt in Quing Hai / China. Deshalb Kunming, das ist die Provinzhauptstadt von Yunnan am Oberlauf des Mekong. Meinetwegen auch Jinhong in Yunnan an der Grenze zu Burma, wo wir aber kaum auf kompetente Gesprächspartner stoßen dürften. Oder Vientiane, das ist die einzige Hauptstadt, die am Mekong, aber nicht in China liegt.«
Die Vorzimmerdame war gnadenlos: »Mekong hin oder her. Ich habe hier Urumchi stehen, und das liegt wahrscheinlich nicht am Mekong. Ist ja auch nicht meine Gehaltsklasse, darüber Bescheid zu wissen. Sie fliegen also nach Urumchi – und leider nicht mit Lufthansa.«
Kronenberg legte entnervt auf: »Gib mir eine Zigarette«, bat er Vichaj, der am anderen Ende des Tisches saß. »Die wollen uns mit der staatlich chinesischen Luftfahrtgesellschaft unbedingt in die Wüste schicken. Ich weiß nicht, was wir dort tun sollen.«
»Dann buchen wir einfach um, sobald wir die Flugtickets haben«, grinste Vichaj.
»Das merken die doch. Am Ende bezahlen wir die Flüge selber.«
»Nicht, wenn wir innerhalb Chinas umbuchen. Bei Viang Chang schon, denn das liegt außerhalb der Volksrepublik, bei Kunming nicht.«
»Denn man tau.« Udo Kronenberg zog einen kurzen Polizeibericht vom kleinen Stapel des Falls »Toter Chinese«, überflog das Papier. »Da ist noch etwas, das wir in Hamburg zu erledigen haben.«
Emmy empfing die beiden Polizisten, weil sie Abwechslung vom eintönigen Alltag wollte. Drei Personen machten ihr deutlich, wie klein ihre Wohnung nordöstlich der »Kampfbahn« war.
»Darf ich rauchen?«, fragte Vichaj ungeniert.
»Ich mach´ uns Kaffee und wir rauchen gemeinsam auf meinem Balkon. Von dort aus habe ich die Laubleiche gesehen.«
»Die Laubleiche?«
»Ja, da war ein länglicher Laubhaufen hinter dem Vereinsheim. Henry hat darin herumgewühlt und dann kam etwas zum Vorschein, das ihn sichtbar erschreckte.«
»Henry?«
»Ja, Henry, der Platzwart der »Kampfbahn«. Den kennt jeder hier. Wohnt ganz in der Nähe.«
»Danke für das Angebot eines Kaffees. Wir wollen jetzt aber gerne mit Henry sprechen. Wie lautet sein ganzer Name?«
»Weiß ich nich´. Alle nennen ihn Henry. Fragen Sie doch beim Verein nach«, antwortete Emmy Riefenstahl enttäuscht, bevor die beiden Polizisten sich entfernten. »Is´n Traditionsverein, mehr als hundert Jahre alt«, rief sie ihnen nach.
*
Der Vereinsvorsitzende reagierte erschrocken auf den Anruf der Polizei: »Ich hatte noch nie in meinem Leben mit Ihnen zu tun.«
»Mit mir sicher nicht«, antwortete Kronenberg. »Sonst würden wir uns ja kennen. Wann können wir uns sprechen?«
»Einen Moment, ich konsultiere meinen Terminkalender. … Also, in den nächsten zwei Wochen wird das nich´s, wie ich sehe.«
»Ich kann Sie morgen früh um sieben Uhr ins Präsidium einbestellen, wenn Sie das bevorzugen.«
»Präsidium? Lieber nich´.Ich könnte das meiner Frau nich´ erklären. Worum geht es eigentlich?«
»Leichenfund auf Ihrem Vereinsgelände.«
»Aber wir …«. Der Vereinsvorsitzende schluckte den Rest die Kehle hinunter und fing sich erst nach mehreren Sekunden: »Wir haben keine Leiche gefunden.«
»Wir haben die Leiche aber – sie liegt seit Wochen in der Pathologie.«
»Das verstehe ich nich´«, haspelte der Vereinsvorsitzende.
»Dann lassen Sie es uns gemeinsam verstehen. Ich bringe einen Kollegen aus Asien mit, der aber Deutsch spricht. Wo treffen wir uns?«
»Spätnachmittag im Indochine auf Neumühlen. Das ist so teuer, dass uns dort zu dieser Uhrzeit niemand stören wird. Außerdem gut für Ihren Kollegen. Warum eigentlich ein Polizist aus Asien?«
»Weil der Leichnam ein Chinese ist. Mehr darüber morgen.«
Der Vereinsvorsitzende tat in der Nacht kein Auge zu. Er telefonierte mit Henry und schärfte ihm ein, kein Wort über ihren nächtlichen Transport gegenüber Irgendjemandem zu verlieren. Möglicherweise seien sie beide in Lebensgefahr.
Das Indochine liegt im östlichen Bürogebäude einer Gebäudekette, die in Hamburg gern »Perlenkette an der Elbe« genannt wird. Dem Vereinsvorsitzenden war stets verborgen geblieben, warum diese auf einem Polder liegende Ansammlung profaner Bürohäuser mit Perlen verglichen wurde. Aus seiner Sicht sahen Perlen anders aus. Von den südlichen Plätzen des Restaurants hat man jedoch einen hervorragenden Blick auf die Elbe und den von ihr getragenen, regen Schiffsverkehr.
Wie vermutet, weilten am Spätnachmittag nur sehr wenige Gäste in dem sehr großen Gastraum. In der südwestlichen Ecke saßen ein älterer, drahtiger Europäer mit ungekämmtem, ergrautem Haupthaar und ein jüngerer Asiate. Der Vereinsvorsitzende eilte auf sie zu: »´Tschuldigen Sie die Verspätung.«
»Keine Verspätung. Wir machten uns das Vergnügen, schon etwas früher diesen dollen Blick zu genießen«, begütigte Kronenberg. »Darf ich vorstellen: Polizeioberst Bangramsan.«
Der Vorsitzende verbeugte sich leicht, wie er es bei den Japanern gesehen hatte. Der Polizeioberst war aufgestanden, legte beide Handinnenflächen aneinander und hob sie bis zur Oberlippe.
»Sie sind also unser Gast aus Asien, den Herr Kronenberg mir gestern telefonisch avisierte«, gab sich der Vereinsvorsitzende jovial. Er war gewohnt, auf Menschen zuzugehen.
Vichaj lächelte dünn: »Gast ist gut. Ich bin hierher abgeordnet worden.«
»Der Volksrepublik China ist Hamburg keine Unbekannte, nicht wahr?«
»Der Volksrepublik China wahrscheinlich nicht. Ich bin jedoch kein Chinese.«
»Ach ja, bevor ich das vergesse: Könnte ich bitte Ihre Ausweise sehen? Man weiß ja nie, wem man so unverhofft gegenüber sitzt, nich´ wahr?«
Sie setzten sich. Kronenberg wies die herbeieilende Kellnerin mit einer winkenden Handbewegung ab und legte seinen Ausweis auf den Tisch. Vichaj tat es ihm gleich.
Der Vereinsvorsitzende blickte viele Sekunden auf die Ausweise: »Das hier, Herr Bangramsam, vermag ich nicht zu lesen. Ist das eine Art Chinesisch?«
»Sanskrit ist das, Sir. Ich verstehe, dass Sie das nicht lesen können. Sehen Sie sich bitte das an.« Vichaj legte seine Abordnung von Interpol auf den Tisch.
Der Vereinsvorsitzende sah erstaunt auf das zerknitterte Stück Papier: »Interpol – in was für einen großen Fall bin ich da hinein geraten?«, flüsterte er.
»Kann man wohl sagen«, antwortete Kronenberg trocken. Angesichts des Entsetzens im Gesicht des Vereinsvorsitzenden stand für ihn das Ergebnis der Vernehmung bereits fest.
»Auf dem Gelände Ihres Vereins wurde die Leiche eines Chinesen gefunden. Der Mann war ein bedeutendes Mitglied einer der Triaden. Wissen Sie, was die Triaden sind?«
»Mafia glaube ich. Oder so.«
»Die Mafiosi sind im Vergleich dazu Seelsorger. Chinesische Triaden handeln weltweit und unterhalten sich in chinesischen Dialekten, die kaum einer außer ihnen versteht – also auch wir nicht. Normalerweise murksen sie sich nur gegenseitig ab. Und ihre Schuldner.«
Kronenberg tat so, als ob er weiterreden wollte, schwieg aber. Das machte auf seine Gegenüber fast immer großen Eindruck.
Der Vereinsvorsitzende sah ihn mit flackerndem Blick an: »Ich bin kein Schuldner.«
»Das hat niemand hier am Tisch behauptet«, stellte Kronenberg fest. Er zog einen Zettel aus der Innenbrusttasche: »Kennen Sie das?«
Der Vereinsvorsitzende schüttelte heftig mit dem Kopf: »Ich kann das nich´ mal entziffern. Was ist das?«
»Schauen Sie bitte einmal die Zahlen an. Sagt Ihnen das etwas?«
Der Vereinsvorsitzende sah erstaunt auf das eingeschweiste Stück Papier: Die Zahl vor dem Eurozeichen entsprach exakt der Summe, für die der Vereinsvorstand sein Stadion an ein Wohnungsbauunternehmen verkauft hatte.
»Aber das ist … das ist völlig unmöglich. Das kann nich´ sein. Nein, völlig unmöglich.«
»Was ist unmöglich?«
»Das ist die Summe, die uns ein Bauunternehmen für das Vereinsgelände geboten hat. Das Unternehmen ist von hier und völlig seriös. Mit Chinesen hat es absolut nich´s zu tun.«
Jetzt schaltete sich Vichaj ein: »Wir sprechen nicht von Chinesen allgemein, Sir. Wir sprechen von einer der Triaden. Die Triaden sind weniger in der Volksrepublik China tätig, als vielmehr in Ländern, in die Chinesen ausgewandert sind: Indonesien, Singapur, Nordamerika, Holland zum Beispiel. Länder, aus denen man leicht nach Deutschland kommen kann.«
»Aber sie sind eben nich´ in Deutschland.«
»Na ja, so langsam wird´s auch hier was, wie man sieht. Was also hatte dieser Mann mit Ihrem Verein zu tun?«
Vichaj legte das gestochen scharfe Bild des Toten auf den Tisch. Der Vereinsvorsitzende atmete schwer, griff sich an die Herzgegend: »Ich weiß es nich´«, stieß er hervor. »Bei Gott, ich weiß es nich´. Ich bin doch nich´ lebensmüde.«
»Das wird sich weisen«, antwortete Kronenberg kühl. »Vielleicht haben Sie sich da auf etwas eingelassen, was Sie nicht überblickt haben. Bei einer solche hohen Summe greift man gerne zu, oder?«
Der Vereinsvorsitzende schüttelte heftig mit dem Kopf: »Bei Gott, ich habe mich auf nich´s eingelassen. Der lag da einfach.«
Kronenberg hatte gewusst, dass er während dieses Gesprächs wenigstens die halbe Wahrheit erfahren würde. Aus seiner Sicht erzählte der Vereinsvorsitzende die volle Wahrheit und gab die Adresse von Henry preis.
Henry öffnete nach abendlichem Klingeln die Tür zur kleinen Wohnung seiner Mutter. Vor ihm standen ein etwa gleichaltriger, etwas ungepflegt wirkender Europäer und ein jüngerer Asiate. Sie hielten ihm ihre Dienstmarken entgegen und erklärten ihm, wer sie sind. Henry trat beiseite und machte den beiden den Weg frei. Er beeilte sich, seine ungewaschene Kleidung des Tages von den Sesseln im Wohnzimmer wegzuräumen.
»Darf ich nochmals Ihre Ausweise sehen?«, fragte er betont höflich.
Kronenberg und Vichaj legten ihre Ausweise auf den Couchtisch, Vichaj auch die Abordnung von Interpol: »Falls Sie das auf dem Ausweis nicht lesen können – ist nicht lateinisch.«
»Lateinisch hab ich auch nich´ gelern´. Was is´ es denn?«
»Sanskrit, Sir.«
»Wie ein Inder sehen Sie mir aber nich´ aus.«
»Ich bin Thai, Sir. Früher schrieben wir Thai Chinesisch, weil wir aus Südchina kommen. Seit Einführung des Buddhismus als Staatsreligion schreiben wir Sanskrit – die Schrift des indischen Prinzen, der seit 2.600 Jahren Buddha genannt wird.«
»Na, eigentlich haben wir hier in Ottensen eher für den Dalai Lama Sympathien. Was schreiben die Tibeter eigentlich?«
»Seit dem Siegeszug des Buddhismus auch Sanskrit, heute zunehmend Chinesisch.«
»Sie meinen, dass die Thai die alten Schriften der Tibeter lesen können, die Chinesen eher nich´?«
»So etwa ist es, Sir. Die Römer haben ja auch das Christentum übernommen, weshalb die Bibel nicht nur auf Hebräisch, sondern auch auf Lateinisch geschrieben wurde und so ab dem 4. Jahrhundert ihren Siegeszug durch die westliche Welt antrat.«
»Die Bibel war doch immer für uns lesbar geschrieben, wenn auch bis Martin Luther nich´ verständlich. Die Buchstaben sind geblieben, nur die Sprache nich´.«
»Das macht den Unterschied zwischen Ost und West aus. Meine Sprache ist für einen Chinesen noch entfernt verständlich, meine Schrift ist religiös bedingt ganz anders geworden.«
»Dann unterhalten wir uns mal von Lateinern zu Lateinern miteinander«, warf Kronenberg ein. »Henry, Ihr Vorstrafenregister ist uns bekannt und Ihr Vereinsvorsitzender hat voll gestanden. Was haben Sie mit dem Mord an diesem Chinesen zu tun?«
»Mein Vereinsvorsitzender hat mich angerufen. Ich weiß, was er Ihnen gesagt hat. Ich habe nich´s weiter zu sagen.«
»Sie haben die Leiche gemeinsam in der Elbe versenkt.«
»Hauptkommissar, Sie bluffen. Ich fand die Leiche hinter dem Vereinsheim, habe gleich danach meinen Vorsitzenden benachrichtigt. Wie es meine Pflicht ist.«
»Entweder, die Leiche lag da und Sie haben ihr einen Scheck abgenommen, oder Sie haben den Mann wegen des Gelds umgebracht, das er bei sich trug. Die Chance Ihres verpfuschten Lebens.«
Henry richtete sich kerzengerade auf: »Wenn Sie so eine Kindheit erlebt hätten wie ich, dann wären Sie in der Gosse gelandet. Ich nich´, weil meine Mutter war, wie sie ist. Von so einem wie Ihnen muss ich mir so was nich´ sagen lassen. Machen Sie sich vom Acker!«
Vichaj senkte seine Hände begütigend: »Henry, ich bin auch nicht in Milch und Honig gebadet worden, glauben Sie mir das einfach. Der Mann, den Sie gefunden haben, wahrscheinlich auch nicht. Im Unterschied zu uns allen war er jedoch ein Mitglied der chinesischen Triaden. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Mein Vorsitzender hat es mir gesach´ und ich habe im Internet nachgeschaut. Hab nich´ alles begriffen, aber das Eine schon: Die sind ganz schön gefährlich. In Deutschland gibt es jedoch keine Triaden.«
»Wie können Sie das behaupten, wenn Sie hier in Ottensen einen von denen gefunden haben – mindestens gefunden, wenn nicht umgebracht?«
»Hab keinen umgebrach´, mein Leben nie!«
»Aber die Triaden werden denken, dass Sie ihn umgebracht haben. Sie schweben in Lebensgefahr, Henry.«
»Wer sagt mir, dass Sie nich´ auch einer von denen sind? Vielleicht steckt die Polizei in Thailand mit denen unter einer Decke.«
»Jetzt seien Sie bitte vernünftig und kooperativ: Sie haben den Mann in Notwehr getötet, nicht wahr?«
»Gefunden habe ich den, nich´s weiter.«
»Sollten Sie nicht kooperieren, können wir Sie auch nicht schützen. Sie haben die Wahl.«
»Vor der Mafia kann mich keiner schützen. Sie selbst sagten meinem Vorsitzenden, dass die Triaden schlimmer als die Mafia sind. Also, was wollen Sie? Wenn die Triaden mich töten sollten, dann is´ es eben mein Schicksal. Das müssten Sie als Buddhist doch begreifen.«
»Es ist nicht unsere Bestimmung, Opfer des Bösen zu werden.«
Henry verabredete mit den Polizisten, sich in Ottensen, Altona und – soweit seine Kontakte reichten – in Hamburg über den toten Chinesen zu informieren. Dafür erhielt er von Vichaj die Kopie eines gestochen scharfen Portraits.
»Wenn ich was Entscheidendes herausfinden sollte, will ich aber ´ne Belohnung haben.«
»Und die wäre?«
»Ein halbes Jahr Urlaub gratis auf Kho Samui, mit Frauen, freier Kost und Logie und natürlich Freiflügen.«
»Gleich mehreren Freiflügen?«
»Sagen wir mal von hier nach Thailand, dort nach Chiang Mai und nach HongKong.«
»Warum HongKong?«
»Ich würde die Triaden gern mal live erleben.«
»Flüge in den Tod bezahlt auch die königlich-thailändische Polizei nicht. Ich werde jedoch schaun, was sich machen lässt«, erwiderte Vichaj erheitert.
Vor dem rot geklinkerten Mietshaus warteten Kronenberg und Vichaj auf das gerufene Taxi. »Haben wir den jetzt schon in den Tod geschickt oder nicht?«, fragte Kronenberg.
»Mal sehen. Bestenfalls erfahren wir, in welchen Kneipen sich der Tote aufgehalten hat, sofern er überhaupt öffentliche Orte aufsuchte. Ich glaube, der wurde ohne große Sprachkenntnisse nach Hamburg gesandt, um Geld einzutreiben oder zu töten. Danach sollte er Hamburg sofort wieder verlassen. Es ist etwas dazwischen gekommen. Unsere Frage ist, was dazwischen kam. Lass uns zunächst die »No-Shows« für Flüge nach Ostasien durchgehen.«
Als sich Vichaj am folgenden Mittag im Polizeikommissariat an der Mörkenstraße in Altona-Altstadt einfand, war nur Katharina Esbjerg anwesend. »Der Udo hat mich in aller Herrgottsfrüh angerufen. Für eure Chinesen-Sache hat er eine Kneipentour gemacht. Er rief aus einer Bar an, die sich »Goldener Handschuh« nennt.«
»Goldene Handschuhe trugen nicht einmal die Kaiser von China. Was für ein Unsinn. Wo also trieb sich Udo rum?«
»Ich kenn ja auch nur den »Goldenen Handschlach´« oder wie das heißt.«
»Und was bedeutet »Goldener Handschlag«, soweit du das weißt?«
»Ein Unternehmen verlässt Hamburg und will sein Betriebsgelände versilbern. Wohnungsbau möglichst mit sehr vielen Stockwerken.«
»Und warum sollte Hamburg dem zustimmen?«
»Hör mal, Vichaj, du warst doch schon einmal hier. Damals warst du zwar noch Trainee. Aber du hast schnell begriffen: Weil die Kommunalpolitik permissiv oder korrupt ist. Manche von denen nehmen für jeden zusätzlichen Quadratmeter Bruttogeschoßfläche Geld.«
»Ich erinnere mich: Keiner weiß von nichts, einer von denen wird nach Mindanao in der Südchinesischen See verschleppt und für 10 Millionen US-Dollar von Anonym aus Altona freigekauft.«
»Um wieviel geht es jetzt?«
»Um knapp 13 Millionen Euro zum Tauschwert von 2009. Inzwischen ist der Euro gegenüber dem US-Dollar gefallen, also wird in Dollar gerechnet.«
»Die Grundstückspreise in Ottensen sind aber gestiegen.«
»Ich denke, dass das der Kaufpreis für die »Kampfbahn« ist oder wenigstens war.«
»In Altona gibt es eine ganze Reihe spekulativer Immobilienprojekte, bei denen viel Geld für papiernes Planungsrecht fließt. Die »Kampfbahn« ist nur eines unter vielen. Versteift euch nicht nur darauf.«
»Auf welche Projekte sollten wir auch noch achten?«
»Zum Beispiel auf das sogenannte »Kolbenschmidt-Gelände«: Ehemaliges Industriegebiet eines Tochterunternehmens des Rüstungskonzerns »Rheinmetall«, der von diversen Bundesregierungen ohnehin Milliarden in den Hintern gesteckt bekommt. Als das Unternehmen vor ein paar Jahren geschlossen wurde, haben die ihren 180 Arbeitern nicht etwa ordentlich gekündigt, sondern sie von einem Tag auf den anderen über den Werkschutz ausgesperrt. Auch als Beamtin fand ich das damals unanständig.«
»Und jetzt sollen die mit 13 Millionen Euro ihr Betriebsgelände versilbert bekommen?«
»Wenn das mal ausreicht! Jeder schaut zu oder wirkt aktiv daran mit. Du verlierst den Glauben an die Zivilgesellschaft und beginnst, an »Monopoly« oder an »Sin City« zu glauben – ich meine im nicht-körperlichen, rein platonischen Sinn.«
»Exportiert der Rüstungskonzern auch nach Thailand?«
»Keine Ahnung, ist geheim. Bei Rüstungsexporten steht Deutschland an dritter Stelle weltweit – und »Rheinmetall« mischt dabei kräftig mit.«
Unbemerkt war Kronenberg eingetreten und hatte dem letzten Teil der Unterhaltung still zugehört: »Nach Sinkiang exportieren die wahrscheinlich keine Waffen, weil China die Waffen mindestens ebenso gut herstellen kann. Ich hab hier zwei Flugtickets nach Urumchi.«
In der Hamburger Zentrale der HSH-Nordbank östlich des schattigen Platzes am Thalia-Theater schrillten einmal wieder die Alarmglocken. Der Vorstandsvorsitzende, Nicolai von Bulgarien, bestellte seine Kollegen binnen einer Stunde in seinen piekfeinen Besprechungsraum ein, in dem seit Jahren Belegschaften geschlachtet und Geschäftsfelder verschoben wurden. Das hatte strafrechtlich keinem seiner Vorgänger geschadet.
»Ich bin dabei, diesen Laden zu konsolidieren«, schnappte Nicolai. »Aber welche Ecke auch immer neu beleuchtet wird, es zeigt sich ein Dreckhaufen nach dem anderen. Kaum, dass wir mit dem Abschreiben weltweiter Beteiligungen an der Finanzierung überflüssiger Schiffsneubauten begonnen haben, liegt mir jetzt eine 13-Millionen-Forderung des Mitglieds einer chinesischen Triade auf dem Tisch. Hat denn dieses Institut seinen Verstand verloren?«
»Worauf bezieht sich denn diese Forderung?«, fragte ihn ein abgebrühtes Mitglied der alten Garde.
»Darauf, dass wir Urumchi etwas schulden.«
Die Vorstandsrunde lachte oder blickte ungläubig: »Was sollten wir denn dieser Firma schulden?«, fragte der Abgebrühte.