Menschenversuche - Michael Lindenberg - E-Book

Menschenversuche E-Book

Michael Lindenberg

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Beschreibung

An der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf wurde ein Biologieprofessor brutal gefoltert und hingerichtet. Dr. Johannes Schwarz wird von seiner guten alten Bekannten Ariel Brunner gebeten, herauszufinden was dahintersteckt. Widerwillig nimmt er den 'Auftrag' an. Seine Weggefährtin, Hauptkommissarin Phoebe Zoe Walker - genannt Bi -, die ins LKA versetzt wurde, kann ihm diesmal nämlich nicht helfen. Hilfe bekommt er aber von Ashkan Horri, der für die Kriminalpolizei in Düsseldorf arbeitet und Karim El-Samarany, den Johannes schon als Experten für künstliche Intelligenz kennen-gelernt hatte. Die ersten Ermittlungen zeigen, dass Terroristen Anschläge mit völlig neu designten Krankheitserregern planen, die weltweite Pandemien auslösen können. Auf ihrer Suche nach den Terroristen stoßen sie auf eine Verschwörung, an die zu denken, sich noch niemand getraut hat. Doch diesmal macht jemand Ernst damit. Aber es kommt noch wesentlich schlimmer. Hinter den Anschlägen steckt ein perfides 'Geschäftsmodell'.

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Michael Lindenberg

__________

Menschenversuche

Michael Lindenberg hat an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf Philosophie, Sozialwissenschaften und Geschichte studiert und dort in diesen Fächern auch promoviert.

Er arbeitet als Personal- und Unternehmensberater und hat Lehraufträge an mehreren Hochschulen.

Unter anderem lehrt er Wirtschaftsethik an der Heinrich-Heine-Universität, der Rheinischen Fachhochschule in Köln sowie Soziale Arbeit an der Fachhochschule für Oekonomie in Düsseldorf.

Bisher hat er wissenschaftliche Bücher und Aufsätze veröffentlicht, bis er das Experiment wagte, einen ersten Roman zu schreiben. Er plant eine Trilogie. Nach ‚Tödliche Zeichen‘ ist ‚Menschenversuche‘ der 2. Band.

Michael Lindenberg

Menschenversuche

Ein Roman

Die hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist völlig unbeabsichtigt. Die Beschreibung einiger Örtlichkeiten entspricht nicht immer den Originalschauplätzen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.“

© 2021 Michael Lindenberg

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Trotz sorgfältigen Lektorats können Rechtschreib- oder Grammatikfehler vorhanden sein.

Umschlagentwurf: Im Schlepptau

Umschlagbild: Freepik Company

Verlag: Tredition, Hamburg, 2021

ISBN: 978-3-347-23642-4 (Paperback)

ISBN: 978-3-347-23643-1 (Hardcover)

ISBN: 978-3-347-23644-8 (e-Book)

Für meine liebe Frau Monika, meinen lieben Sohn Maximilian und meine liebe Schwiegertochter Widad

»Der Mensch ist ein leidendes Wesen, daran besteht kein Zweifel.«

Hans Peter Dreitzel

»Was nämlich ein gestörtes Rollenspiel sei, wenn man es nicht am Leidensdruck des Rollenspielers ermitteln kann und am Urteil der Mitspieler nicht messen will.

Könnten doch diese selbst mit ‚gestörten’ Normen urteilen, mit anderen Worten, ein falsches Bewusstsein haben, jener aber seiner eigenen Entfremdung vielleicht nicht gewahr werden, weil er darin von anderen sich nicht unterscheidet.«

Hans Peter Dreitzel

»Wenn Freiheit irgendetwas bedeuten soll, dann muss sie gewiss das Wissen um die unsichtbaren Kräfte einschließen, die uns binden und blenden.«

Eva Illouz

INHALT

VORWORT

ES IST AUS

BEGONNEN HAT SIE DAMALS

DAS SCHLIMME AN DER SACHE

DAS WUSSTEN SIE NOCH NICHT

DIE PLEITE

EPILOG FÜR BI

NACHWORT

VORWORT

Es gibt ja nicht wenige Schriftsteller, die sich auf das Gebiet der Philosophie begeben. Schon in meinen ersten Roman ‚Tödliche Zeichen‘ habe ich mir die spannende Frage gestellt: Wie schreibt vielleicht ein Philosoph einen Roman?

Nach dem ersten Versuch wollte ich das in diesem Thriller ein zweites Mal versuchen.

Das Thema war schnell gefunden. In ‚Menschenversuche’ sollte es nicht um die digitale Welt, sondern um die völlig unterschätze analoge Welt gehen. Die Welt der Krankheitserreger, die globale Pandemien auslösen können.

Mit dem Thriller habe ich vor der Corona Pandemie angefangen. Ohne jede Vorahnung, wie schnell die Wirklichkeit die Fantasie zu überholen vermag. Die Arbeit an ihm hat sich dadurch verlangsamt, weil ich zunächst Zweifel hatte, ob sich jemand in und nach Covit 19 für das Thema interessieren wird. Ich habe es dann trotzdem gewagt.

Angefangen damit habe ich ein paar Monate vor der Corona Pandemie. Das Thema hat mich auch interessiert, weil ich an der FOM, Fachhochschule für Oekonomie und Management, Kurse in Gesundheitsmanagement und Gesundheitssoziologie veranstalte.

Ich konnte damals noch nicht wissen, welche Verschwörungstheorien in der Corona Pandemie ihr Unwesen treiben würden. Aber auch das hatte ich für den Roman schon geplant. Es gibt Verschwörungstheorien und es gibt Verschwörungen. Aber so ist das frei nach Umberto Eco: »Die Wirklichkeit übersteigt das Erfundene, und darum reicht keine Erfindung an sie heran.«1

Was also, wenn es Verschwörungen gibt, an die noch niemand gedacht hat? Eine Idee, die den sogenannten Verschwörungstheoretikern noch überhaupt nicht gekommen ist? Wie sagte der grandios kongeniale Science-Fiction-Autos Douglas Adams: »Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. – Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.«2

In diesem Fall keine Theorie, sondern einen Thriller.

1 Eco, Umberto, Nullnummer, München, 2015, S. 227

2 Adams, Douglas, Das Restaurant am Ende des Universums, Berlin, 1994, S. 9

ES IST AUS

Ludwig Hirsch: Die gottverdammte Pleite

Als die Kinder Kröten nach Hause brachten

und im Zirkus nicht mehr lachten,

als sie ihr Brot nicht mehr aßen

und statt dessen die Kröten fraßen,

als sie Teddybären zerrissen

und in Autoreifen bissen,

als schließlich Kindergärten brannten

und Lehrer um ihr Leben rannten,

da wussten wir, es ist aus.

Sie trafen sich im Weise.

Der Tag verlief für Johannes nicht so, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Der Flieger aus München hatte sich verspätet. Es hatte einige Turbulenzen gegeben, die selbst dem Airbus einiges abverlangten. Die Landung war hart, weil der Pilot das Flugzeug in dem heftigen Seitenwind schräg aufsetzen musste, um nicht die Landebahn zu verfehlen. Beim Aufsetzen richtete der Pilot die Nase mit einem heftigen Ruck in Rollbahnrichtung. Aber Johannes beachtete das kaum, weil er nichts anderes im Kopf hatte, als zum Termin mit Bi pünktlich zu erscheinen.

Mit gewohnter Routine verließ er den Flughafen und fuhr auf Richtung Café Weise. Noch konnte er es schaffen. Es sah eigentlich sehr gut aus, bis er die Dorotheenstraße erreichte. Diese Dorotheenstraße, die unendlich langweilig war mit ihren toten Fenstern und kargen Bäumen. Gerade hier musste es jetzt einen Stau geben. Die Zeit läuft aber auch in einem Stau weiter. Eben nur unendlich langsam. Er würde nicht rechtzeitig durchkommen, das wusste er, denn dazu war er die Strecke zu oft gefahren. Mehr denn je erschien sie ihm als ein Tunnel, eng und ohne Ende.

Fahrig hielt er an irgendeiner Toreinfahrt an und parkte dort halb quer ein, weil ein blauer Container ihm nicht mehr Platz ließ. Das Hupen der dadurch behinderten Fahrzeuge drang nicht zu ihm durch. Er wollte nur kurz Bi Bescheid geben. Er rief sie über das Display seines neuen Jaguars an und ließ es geduldig klingeln. Aber sie nahm das Gespräch nicht an. Er versuchte es nochmal, sein Anruf wurde angenommen aber auch sofort beendet. Danach bekam der die Standardnachricht wegen Nichterreichbarkeit.

Er beruhigte sich mit dem Gedanken, sie könne ja in einem Einsatz sein, womit er so falsch nicht lag.

Er hinterließ ihr schnell und fahrig noch eine Whatsapp-Nachricht und hoffte genervt, dass es bald zügig weitergehen würde.

Zügig war übertrieben, er würde es aber innerhalb des akademischen Viertels schaffen, wenn er vor dem Café Weise schnell einen Parkplatz finden würde, und er hatte sogar Glück. Sein Gesichtsausdruck löste sich und wechselte in erwartungsfreudig, als er die Außenanlage des Cafés erreichte. Seine Augen scannten die Gäste. Er fand keine Frau mit blonden Haaren, wie Bi sie hatte. Er wollte sich schon auf den Weg in Innere machen, um sie dort zu suchen, nicht ohne auf dem Display seines Smartphones zu checken, ob sie ihm per WhatsApp geantwortet hatte. Aber es gab keine Nachricht. Vielleicht war sie auch nur kurz aus irgendeinem Grund verhindert.

Eine Frau winkte ihm zu und als er zu ihr hinschaute, gab sie ihm durch Kopfnicken zu verstehen, dass die Johannes meinte. Die Unbekannte trug einen nicht zu kurz geschnittenen Bob aus tiefschwarzen Haaren, der mit ihrem hellhäutigem und dezent geschminktem Gesicht kontrastierte. Zu ihrem silbergrauen Kostüm mit einem Hauch von Grün trug sie rehbraune Stiefel.

Johannes zwängte sich durch die eng zusammenstehenden Tische und Stühle zu ihr durch, nicht ohne sich in alle Richtungen schauend, zu vergewissern, ob Bi nicht doch da war. Sein dunkelblaues Leinensakko trug er wegen der Wärme über den Schultern. Er strich sich schnell noch seine zerzausten schwarzen Haare aus dem Gesicht. Er war etwas schlanker geworden. Seine Entschlossenheit, die seinem Gesicht Prägnanz verlieh, verlor sich allerdings diesmal leicht in seiner Mimik. Er war irritiert.

Die schwarzhaarige Frau erhob sich zur Begrüßung mit den Worten:

»Guten Tag Herr Dr. Schwarz.«

»Guten Tag Frau …«, entgegnete Johannes ihr ersichtlich etwas durcheinander.

»Ihre Freundin wird nicht kommen, Herr Dr. Schwarz.«

»Woher …?«

Sie viel ihm ins Wort.

»Erkennen Sie mich nicht?«

Ihre Geste machte ihm unmissverständlich klar, dass er sich setzen sollte.

»Frau Walker liegt im Krankenhaus und ist gerade notoperiert worden.«

»Woher wissen Sie das alles und wer sind Sie.«

»Sie erkennen mich immer noch nicht?«

»Neeiin.«

Und nach einer Schaltsekunde wusste er, wer sie war.

»Sie sind ????«

Sie hatte ihre Haarfarbe geändert. Jetzt erkannte er sie an den oberen Eckzähnen, die leicht spitz geformt waren. Und jetzt konnte er sich auch an ihr Kostüm erinnern. Etwas scheu und ernst schaute sie ihn an.

»Und was glauben Sie, wer ich bin?«

»Frau Ariel Brunner, alias Henrichs oder Frau Henrichs alias Ariel Brunner. An den zweiten Vornamen kann ich mich nicht erinnern.«

»Linda.«

»Ja, mein Gott, ich erkenne Sie wieder. Wir hatten schließlich schon mal das Vergnügen, da hatten Sie noch lange feuerrote Haare.«

Ihr war nicht nach Vergnügen. Etwas ungelenk achtete sie darauf, dass die Ärmel ihres Kostüms ihre Handgelenke verdeckten. Ein helles Make-up verdeckte eine kleine Verletzung am Hals.

»Frau Walker geht es sehr, sehr schlecht. Sie hat einen Lungenriss und ist vor ein paar Stunden minimal invasiv operiert worden. Sie liegt auf der Intensivstation der Uni Klinik. Sie stand kurz vor einem Erstickungstod.«

Erschrocken fragte Johannes:

»Was ist passiert?«,

»Gleich. Es kam noch schlimmer. Sie hat sich eine Staphylokokken-Infektion zugezogen, die zu einer schweren Lungenentzündung geführt hat …«

»Scheiße!!!«

»Das kann man laut sagen.«

»Das geht bei diesen Bakterien rasend schnell. Ich hoffe, dass sie durchkommt«, versuchte Ariel ihn zu beruhigen.

»Aber es gibt noch ein Problem. Aber einen Augenblick.«

Die Kellnerin servierte den beiden Kaffee und besorgte vom Nebentisch einen Aschenbecher.

Johannes fummelte seine Zigaretten und sein Feuerzeug aus dem Sakko, zündete sich aufgeregt eine an und schaute ihr fragend in die Augen.

»Die Bakterien sind multiresistent! Sie stammen wahrscheinlich aus Indien oder Pakistan.«

»Um Gottes willen!«

»Man hat ihr Tigezyklin verabreicht. Das ist ein Reserveantibiotikum. Viele Möglichkeiten gibt es sonst nicht mehr bei diesen Bakterien.«

Ariel versuchte, ihre sichtliche Betroffenheit sehr konzentriert zu überspielen.

Johannes drückte seine Zigarette halb aufgeraucht nervös im Aschenbecher aus.

»Man hat sie erst mal in ein künstliches Koma versetzt«, fuhr sie fort.

»Scheiße. Ich fahr sofort hin!«

Johannes stand auf, wurde von Ariel aber abgehalten.

»Nein! Bitte nicht!«

»Doch!«

»Lassen Sie das. Setzen Sie sich wieder«, befahl sie im mit leiser, aber bestimmter Stimme.

»Sie können sie nicht sehen. Man wird Sie nicht zu ihr lassen. Sie sieht auch nicht gut aus. Sie liegt unter einem Sauerstoffzelt.«

Johannes versuchte, sich mit einer zweiten Zigarette zu beruhigen.

»Sie möchten sicher wissen, was passiert ist, und woher ich das alles weiß?«

Johannes quittierte die rhetorische Frage mit einem Schweigen und ließ Ariel fortfahren.

»Danke. Frau Walker war zu einem Einsatz in der Biologie in der Heinrich-Heine-Uni. Sie hatte Herrn Horri an ihrer Seite. Ich denke, sie sind im Einsatz wegen eines Mordes an einem Biologieprofessor gewesen. Bei der Durchsuchung einiger Laboratorien kam es erst zu einer Schießerei. Bei der Verfolgung trafen sie in einem anderen Gebäude auf den Widerstand der Täter. So lässt sich jedenfalls vermuten. Danach ereignete sich in dem Gebäude eine schwere Explosion. Dass dabei die Trommelfelle reißen ist nicht das Problem. Sie hat auch jede Menge Prellungen, Abschürfungen und Schnittwunden. Aber das kriegen die wieder super hin. Die Explosion war aber stark genug, um ihre Lunge reißen zu lassen. Sie können sich nicht vorstellen, wie schrecklich das ist. Kaum Luft zu bekommen unter unsäglichen Schmerzen. Sie hatte Glück, dass das in der Uni passiert ist. Schneller war sie nirgendwo in guten Händen. Und die haben da jede Technik. Wenn die das nicht hinkriegen, dann kann das keiner. Aber sie ist noch in Lebensgefahr und noch lange nicht über dem Berg.«

Johannes schien wie auf der Flucht zu sein, deshalb wartete Ariel seine Fragen auch gar nicht ab und fuhr fort:

»Sie möchten sicher wissen, woher ich das weiß.«

»Wäre ja mal ne Frage« antwortete Johannes auf eine Art, die normalerweise nicht seine war. Er war völlig neben sich und antwortete mechanisch.

»Danke. Ich war dabei.«

»Sie waren …«

»… Dabei. Ja.«

»Bei was dabei?«

»Habe Ihnen doch gerade erzählt.«

Johannes blickte Ariel fassungslos an. »Wieso war die dabei?«, dacht er.

»Sie hat mir das Leben gerettet.«

»Wie schön für Sie«, antwortete er nüchtern, nicht ohne diese Bemerkung wegen Bi sofort zu bedauern. Ihm blieb jetzt nichts anderes übrig, als seine stets gelassen wirkende Beherrschung wiederzugewinnen.

Sie schluckte kurz und zeigte Verständnis: »Ich weiß Ihre Beziehung zu Frau Walker zu schätzen, Dr. Schwarz. Deshalb sollten Sie an mir umso mehr vertrauen?«

Sie fixierte ihn und ließ seinen Blick nicht los.

Johannes konnte sich ihrem Flair nicht entziehen. Wollte er das überhaupt? Er hatte sie ja schon einmal kennengelernt. Wollte er ihrer kultivierten Weiblichkeit entfliehen? Aber davon abgesehen, war sie damals nicht von allen die Cleverste?

»Aber Sie haben doch sicherlich irgendetwas mit mir vor? Sonst wäre Sie doch nicht hier?«, entgegnete er ihr mit charmantem Lächeln, durch das aber auch eine gewisse Härte zu spüren war.

»Schön erst mal, dass Sie da sind? Ja, ich habe einen Auftrag für Sie.«

»Auftrag?«

»Ja, Auftrag.«

»Ich kann Ihnen gerne ein Angebot machen«, antwortete Johannes, ohne das wirklich ernst zu nehmen.

Ariel lachte kurz auf.

»Dr. Schwarz, ich möchte Ihnen das ‚Du‘ anbieten. Ich glaube, Ihre Freundin hätte nichts dagegen.«

»Na, ja?«

»Ihre Frau?«

»Ich werde mich jederzeit ihres Vertrauens und Ihrer Liebe würdig erweisen. Unsere Liebe heiligt unsere Ehe für immer.«

Betreten antwortete Ariel: »Gut Johannes. Ich möchte, dass Du einen Mediziner oder Biologen suchst, der an irgendeiner gewaltigen Schweinerei arbeitet, die wir selber noch nicht ganz kennen. Die aber alles in den Schatten stellen dürfte, was wir bisher erlebt haben.«

»Ich bin mir nicht sicher, was das mit dem ‚Projekt‘ von damals zu tun hat.«

»Nicht sicher?«

»Nicht wirklich sicher. Ich habe einen schlimmen Verdacht.«

»Verdacht … Klingt vielversprechend.«

»Ja, aber dafür müssen wir einen Mediziner oder Biologen finden. Für Bi – ich darf sie doch so nennen – und für Dich, Deine Familie – und wenn, Dir das was bedeutet – für mich, von der möglichen Katastrophe für die Menschheit ganz zu schweigen.«

Ihm war nicht unbedingt nach Weltuntergang. Aber ihre Stärke und ihr offensichtlicher Mut steckten langsam an und holten ihn aus seiner eher skeptischen Haltung heraus. Also macht er ihr versteckt ein Angebot.

»Aber Ariel, was hab ich denn überhaupt mit Biologie zu tun. Naturwissenschaften sind nicht mein Hauptthema. Und in dem Fach kenne mich doch überhaupt nicht aus. Du weißt doch, was ich kann«, entgegnete er.

»Ich weiß, Deine Stärke ist die Philosophie.«

»Genau!«

»Aber hier geht es darum, jemanden zu finden und darin bist Du doch Meister. Bist Du nicht einer der besten Personalberater?«

Aus lauter Verlegenheit zündete er sich eine Zigarette an und blies den Rauch – ihm nachdenklich nachblickend – langsam in die Höhe.

»Geht so …«, spielte er ihr Kompliment herunter und fuhr fort: »… Aber Super. Solche Aufträge mag ich.«

»Geld spielt keine Rolle.«

»Das spielt in diesem Fall keine Rolle für mich. Aber meinetwegen. Ich kann Dir ja gerne ein Angebot mit ‚Aufwand unbekannt‘ zusenden. Das hatte ich noch nie. Aber das kriegen wir schon hin.«

»Gut. Mach das.«

»Ach komm Ariel. Lassen wir die Späße. Ich möchte nur eines wissen. Du garantierst meine Sicherheit?«

»Johannes, was denkst Du? Ja. Deine, die von Lizzie – so heißt sie doch – die Deiner Tochter, die von Bi und Deine. Habe ich jemanden vergessen?«

»Ja.«

»Ach so. Natürlich: auch für Deinen Kollegen Ashkan Horri. Für den gilt das auch.«

»Du kannst verstehen, dass ich Bedenkzeit brauche, denn bisher war das ja eher voll daneben.«

»Natürlich. Es ist Deine Entscheidung.«

Johannes musste nicht lange nachdenken. Wohl war ihm aber nicht dabei. Aber hatte er eine Garantie dafür, dass ihm nichts passierte, wenn er diesen ‚Auftrag‘ nicht annahm. Er wusste dunkel, dass er nicht wusste, was sie wirklich wusste. Unter diesem Schleier der Unwissenheit richtig zu entscheiden, war fast unmöglich. Und Bi war ja weiterhin in Gefahr.

Er rang sich durch: »Gut, ich mach es.«

»Ich danke Dir. Weitere Informationen sind auf diesem Stick«, den sie aus der Jackentasche ihres Kostüms zog und ihm in die Hand drückte, die sie fest umschloss: »Ich bin Dir unendlich dankbar, Johannes. Ich weiß, dass ich das nur mit Deiner Hilfe schaffe.«

Er schaute ihr in die Augen und auf ihre Lippen.

Mehr als ratlos fuhr er nach dem Gespräch mit Ariel nach Hause … hatte sie ihm alles erzählt?

Er hatte heute noch einige Abendtermine mit Bewerbern im Interconti auf der Kö, deshalb wollte er sich morgen früh den Stick anschauen.

Er musste stark blinzeln. Die Straßen dorthin kamen ihm im Zwielicht fremd vor. Er dachte an das Gedicht von Eichendorf. Ja die Ruhe war tückisch …

So war es dazu gekommen …

Im Polizeipräsidium war es verhältnismäßig ruhig. Bi und Ashkan hatten Dienst. Sie hatten Nachtschicht. Sie langweilten sich wie so oft an solchen Tagen.

Phoebe Zoe Walker – genannt Bi – und Ashkan Horri waren ein eingespieltes Team, und sie hatten schon einige Abenteuer miteinander durchstanden. Bi’s Tage waren allerdings bei der Kripo in Düsseldorf gezählt. Sie wollte in sechs Wochen beim LKA anfangen, dass ihr eine attraktive Stelle angeboten hatte.

Sie saßen beide in der Kantine und daddelten ein bisschen auf Ihren Smartphones.

»Sag mal Bi, man hat ja intern so einiges von Deinem neuen Chef im LKA gehört. Ist der wirklich so ein Brain?«

»Da hast Du mich kalt erwischt. Ich glaube, ich bin nicht schlecht in der Fallanalyse. Aber die haben ein ziemlich neues Programm dafür. Das haben wir bei uns noch nicht. Ich werde Euch auf jeden Fall vermissen. Aber der Job ist schon cool. Die haben in der Fallanalyse die beste Ausstattung in Deutschland und vor allem haben die ziemlich moderne Methoden der vorhersagenden Polizeiarbeit. Im LKA arbeiten die mit SKALA.«

»Ich weiß. SKALA soll prognostizieren, wo es Kriminalitätsbrennpunkte beim Wohnungseinbruch gibt und wir können den Tätern zuvorkommen, bevor sie einbrechen. Klingt wie Tom Cruise …«

»… in Minority Report.«

»Und Du machst dann Wohnungseinbrüche«, bemerkte Ashkan sarkastisch.

»Nein, aber behalte es für Dich. Die rüsten das System mit K.I. auf und wollen die Morde der Zukunft voraussehen. Lass mich raten, das wird dann SKALA 4. 0.«

»Also doch Tom Cruse.«

»Nein, nur wir Superheldinnen werden mehr.«, musste Bi unweigerlich grinsen.

»Aber ich denke, das hat Potential. Das ist die Zukunft.«

»So habe ich Dich noch nie gehört.«

»Du hast recht; ich laber Scheiße. Aber was soll ich machen? Den technischen Fortschritt verpennen?«

»Welchen technischen Fortschritt. Die machen irgendeinen Homebrew-Quatsch, der sowieso nicht funktioniert.«

»Da kannst Du recht haben.«

»Die Algorithmen nehmen uns doch nur läppische Lästigkeiten in der Arbeit ab und nachher richten sie dabei Kollateralschäden an, für die keiner was kann.«

»Soll ich Dir noch ein Geheimnis verraten? Aber bitte schweig für immer.«

»Mein Ehrenwort Bi.«

»Ich muss ein bisschen zur Ruhe kommen, was meine Arbeit angeht.«

»Geht es Dir nicht gut?«

»Nein, im Gegenteil. Flo macht bald Abitur, Frederik wird demnächst fast nur noch in Düsseldorf sein, und wir werden im nächsten Jahr umziehen. Wir haben eine schöne Wohnung in der Lindemannstraße gefunden. Ein sehr schöner Altbau mit einer tollen Terrasse. Und die Gegend ist ja auch sehr schön mit dem Zoo Park um die Ecke und der Rethelstraße in der Nähe. Du bist auch mit der Rheinbahn schnell in der Innenstadt.«

»Ich weiß. Mit einem tollen Eiscafé.«

Bi schaute Ashkan von oben bis unten an. Das Eiscafé hatte an ihm ein paar Spuren hinterlassen. Ansonsten war er von äußerst kräftiger Statur wie ein Ringer. Er war aber auch von seinem Wesen eher gemütlich, wie viele Ringer das sind, denn sie müssen im Kampf gut beobachten und trotz ihrer Masse blitzschnell zugreifen können. Er wusste seine Masse physikalisch so einzusetzen, dass sie seine Bewegungen immens beschleunigten.

Ashkan warf einen Blick auf die kümmerlichen Reste seiner asiatischen Nudelpfanne mit Wok-Gemüse, Hähnchenfleisch und Ei und stocherte lustlos weiter, während sie entschlossen den letzten Rest Kaffee aus ihrem Becher trank.

»Schöne Neuigkeiten. Ich kann Dich sehr gut verstehen. Vielleicht komme ich ja nach?«, antwortete Ashkan melancholisch, denn für ihn gab es im Augenblick nur den Job. Privat hatte er seit Ewigkeiten Pech.

»Ne, bleib lieber. Du fühlst Dich doch sehr glücklich im Team und ob der neue Vorgesetzte so toll ist wie Schumann …?«

Sie plauderten noch eine Zeitlang über ihre gemeinsamen Abenteuer und die Arbeit mit den Kollegen.

»Hast Du schon das Neueste von Lena gehört?«

Bevor Bi eine neugierige Rückfrage stellen konnte, ging das Telefon. Es war Lena Dobberke, ihre Kollegin im Polizeipräsidium.

Bi ging dran und machte sich ein paar Notizen. Ihr Blick, den sie zwischendurch Ashkan zuwarf, wurde immer rätselhafter.

»Gut Lena, ich übernehm das mit Ashkan.

Sie erklärte Ashkan, dass es einen Vorfall in der Heinrich-Heine-Universität gegeben hat. Es hatte Schreie gegeben und Geräusche, die nach Schüssen klangen. Ein Hausmeister hatte angerufen.

»Warte. Ich drucke noch schnell den Lageplan der Uni aus. Auf nem Smartphone findest Du auf dem Plan nichts.«

Sicherheitshalber hatte er noch ganz schnell die App der Uni installiert, damit sie die Gebäude auch auf diesem Weg finden konnten.

»Los jetzt. Beeil Dich. Wir nehmen meinen, dann kann ich anschließend direkt nach Hause fahren und Dich zwischendurch bei Dir absetzen.«

»Schon fertig.«

Wenig begeistert machten sie sich auf den Weg, nicht ohne vorher noch ihre Waffen zu checken. Wenigsten macht Bi's knallroter Alpha mit der sagenhaften Ferrarimaschine Ashkan Spaß.

Sie sollten ins BMFZ. Das war das Biologisch-Medizinische Forschungszentrum, eine Technologieplattform, der Medizinischen und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät.

Es lag in einem hochmodernen Neubau, der die sanierungsbedürftigen Gebäude drumherum in ihren Baugerüsten noch maroder aussehen ließ, als sie es schon waren. Niemand in der Uni konnte sich daran erinnern, wann mit der Sanierung dieser Bauten begonnen worden war, und niemand konnte sagen, wann sie dann fertig werden würden. Selbst die Hinweisschilder der Baufirmen, die ein Ende der Arbeiten verkündeten, waren schon in einem desolaten Zustand.

Aber dieses Gebäude war ein Glanzstück und erstrahlte tagsüber in kalkweiß.

Die Uni war inzwischen fast Tag und Nacht geöffnet. Eigentlich erschienen die Gebäude nachts leblos. Aber in einigen Räumen schien das Licht nicht auszugehen, ohne dass man von außen erkennen konnte, welchen wissenschaftlichen Sinn das Leuchten in den Zimmern ergab.

Vorsichtshalber stellte Bi das Fahrzeug im Sichtschatten des Gebäudes ab und beschloss, sich zunächst auf den Weg zum Hausmeister in einem Nachbargebäude zu machen. Ashkan hatte zur Sicherheit zwei schusssicherer Westen in seinen Rucksack gepackt.

Erstaunlicherweise war der diensthabende Hausmeister mit dem Namen Schmitz hilfsbereiter, als sie dachten. Wenn etwas an der Hochschule funktionierte, dann waren es die Hausmeister und besonders die mit dem Namen Schmitz.

Er erklärte ihnen, dass er bei seinem Rundgang Schreie gehört hatte und andere merkwürdige Geräusche, so als wenn Glas in Scherben fiel.

Er entschuldigte sich, dass er alleine auf Nachtschicht war. Seine Erzählungen, wie lange er hier schon arbeitete, und wie man das Personal gekürzt hatte, und wie man immer mehr zu tun hatte wegen der ganzen Beamer und der vielen Wlan-Technik, und dass man keine jungen Leute mehr bekam und, und, und … Bi musste sehr höflich abbrechen.

Er bot ihnen an, sie zu begleiten, was sie allerdings ablehnten, nicht ohne sich für das Angebot zu bedanken.

Für den Notfall gaben Sie ihm aber noch eine Telefonnummer für das Präsidium.

Sie zogen ihr Schutzwesten an und machen sich auf den Weg.

Bi hatte ihre Walther P99 griffbereit im Schulterholster als sie ins Innere des Biologisch-Medizinisches Forschungszentrum vorrückten.

Der Bau besaß ein großzügiges dreigeschossiges Atrium mit kühn geformten Treppen aus Glas und Stahl. Die Wände aus Sichtbeton wurden von kleinen Lampen gegliedert. Von der Decke hingen lange röhrenförmige Leuchten herab. Die runden Aufzüge waren grün lackiert in der Farbe, die zahlreiche Applikationen in dem Gebäude zierten. Sie bestimmten das ‚Markenimage‘ des Gebäudes. Umkränzt waren die Aufzüge mit Ringen aus LEDs, die sie wirkungsvoll inszenierten.

Unübersehbar stand im Eingangsbereich die Skulptur ‚Großer Steinkeil – Rhythmus des Wachstums‘ vom Düsseldorfer Zero-Künstler Heinz Mack.

Mack hatte sie aus hellem ockerfarbigem türkischem Muschelkalk gemeißelt. Das zum Teil poröse Gestein war organischen Ursprungs. Durch seinen Beinamen stellt die Plastik eine archaische und dennoch direkte Beziehung zum Gebäude her, das sich die Erforschung der Lebensvorgänge verschrieben hat.

Bi und Ashkan hatten aber wenig Zeit, die Ästhetik des Kunstwerkes wahrzunehmen. Bi speicherte die massive Steinskulptur für andere Zwecke.

Ansonsten war im Foyer nichts los. Ruhe war eingekehrt. Kein Mensch war zu sehen. Es war absolut still. Ausgestorben.

»Du nimmst den Aufzug in die erste Etage, ich nehm die Treppe.«

Sie brauchte nicht zu erklären, dass sie sich gegenseitig zu sichern hatten.

Sie durchsuchten die beiden oberen Etagen, ohne auf irgendeine Auffälligkeit zu stoßen.

»O.k. Ashkan, lass uns abziehen. Hier ist nichts. Lass uns einen Bericht schreiben, dann können die Kollegen morgen noch mal gucken.«

»Mir ist auch nichts aufgefallen, also ziehen wir ab. Kann ich Dich noch zu einem Kaffee einladen?«

Bi kannte diese Frage. Er war irgendwie kein Frauenheld. Sich mit Bi sehen zu lassen, war für ihn schon der Himmel auf Erden, obwohl er sich bei der Frage natürlich nichts anmerken lassen wollte. Auch das wusste Bi. Manchmal hatte sie sich nicht ohne einen Hauch von Mitleid mit dem Vorsatz darauf eingelassen, ihm ernsthaft ein paar Tipps von Frau zu Mann zu geben. Immer, wenn sie den Versuch machte, wiegelte er ab. Probleme hatte er angeblich nicht. Nur im Augenblick und der dauerte schon, solange sie ihn kannte.

Sie wusste, dass sie jene Mischung aus perfekter Schönheit und wacher Intelligenz gepaart mit psychischer Energie war, die sie nicht verheimlichen konnte.

So wirklich Lust auf das Angebot hatte sie allerdings heute nicht und suchte nach einem Ausweg.

»Meinetwegen …«

Freude zeigte sich ins Ashkans braunen Augen nicht ohne einen Hauch von Enttäuschung, denn er kannte sie zu gut und ihre Ablenkungsmanöver.

»Lass und das Gebäude noch mal von außen absuchen.«

Ungerührt ließ er die kalte Dusche auf sich herniedergehen, nicht ohne noch einen Funken Hoffnung zu haben.

»Gute Idee.«

Als Mann wollte er ihr bei diesem Vorschlag nicht widersprechen.

»Du gehst links- und ich rechtsrum. Einverstanden?«

Er widersprach nicht und trottete los.

Das Institut sah auch von der Rückseite perfekt aus. Einige äußere Jalousien waren in willkürlicher Ordnung herabgelassen.

Das Mondlicht war so hell, dass sie einigermaßen sehen konnten. Sie konnten aber nichts entdecken. Links entdeckten sie ein Souterrain, zu dem eine Treppe hinunterführte, die Ashkan neugierig machte. Mit dem starken Lichtstrahl seiner Lampe durchsuchte er von oben sorgfältig Bahn um Bahn den Steingarten vor den Fenstern. An einem niedrigwüchsigen Gebüsch blitzte es kurz auf. Hatte es was gefunden?

Er gab Bi ein kurzes Lichtsignal und empfing sie, indem er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Stelle zeigte.

»Das sieht nach Glas, nach Glassplittern aus.«

»Das ist hier doch noch ne halb Baustelle.«

In der Tat war die Rückseite des Instituts noch etwas ‚unaufgeräumt‘. Einige Container mit Bauschutt standen hier noch herum und die Grünanlagen warteten noch auf ihre Vollendung.

»Aber gut, wir können uns das ja mal anschauen.«

Nach kurzem Suchen fand Ashkan das, was im Licht gefunkelt hatte.

»Und wie kommt da Blut dran?«, kommentiere er seinen Fund.

Bevor sie Anstalten machen konnte, das Glas näher zu betrachten, ergänzte er:

»Eins der Außenrollos in der ersten Etage sieht auch etwas merkwürdig aus.«

»Volltreffer!!!«

Was seinen Beruf anging, war Ashkan schon ein Ass. Er hatte Gespür oder das, was man einen untrüglichen Riecher nannte.

»Gut. Prägen wir uns die Außenfassade ein und gehen noch mal rein. Aber Vorsicht.«

Das Gebäude war in der Grundstruktur symmetrisch aufgebaut. So wie sie es von außen gesehen hatte, mussten sie in den linken Trakt.

Beide zückten Ihre Waffen. Ashkan nahm seine Taschenlampe vom Gürtel, denn der Gang war ziemlich dunkel. Sie konnten sich ausrechnen, dass es sich um höchstens drei Räume handeln konnte. Sie drückten sich links und rechts von der ersten der Türen an die Wand. Ashkan versuchte, die Türklinke herunterzudrücken. Sie war verschlossen.

Bi gab ein Zeichen mit dem Kopf, das hieß:

»Nächste.«

Schussbereit positionierten sie sich an der zweiten Tür. Links Bi rechts Ashkan.

»Die ist nicht zu«, signalisierte Ashkan und hielt seinen Zeigefinger vor den Mund.

»Pst!!«, hieß das.

Bi bestätigte.

Sie wandte Ihren Kopf mit einer kurzen Bewegung nach links und er stimmte durch ein kurzes Nicken zu. Bi kam auf seine Seite.

Ashkan trat gegen die Tür und Bi fingerte nach einem Lichtschalter, nachdem die Tür aufflog.

Das gelang ihr gerade noch, bevor erste Schüsse fielen.

»Zurück, zurück!!!«, rief sie.

Drei vermummte Männer flüchteten aus dem Raum an ihnen vorbei und feuerten auf sie. Die Schüsse gingen aber vorbei und nur Ashkan wurde getroffen. Er taumelte zwar ein bisschen, die schusssichere Weste fing die beiden Schüsse aber ab und brachten ihn lediglich ins Taumeln. Was ihn dann nicht davon abhalten konnte, die Männer zu verfolgen, die das Treppenhaus herunterliefen. Auf seine Rufe antworteten sie mit ihren Waffen. In vollem Lauf rückwärts zu feuern ist aber nicht besonders effektiv.

Ashkan hielt kurz an und schoss auf einen der Männer, der Schutz hinter der Plastik von Mack suchte. Ashkan verfehlte ihn und traf dreimal den großen Steinkeil. Die Kugeln hinterließen hässliche Narben in dem weichen Kalkstein, nachdem der Staub heruntergerieselt war.

»Schumann wird mich kreuzigen. Er liebt Kunst. Na ja, jetzt sieht man dem Keil wenigstens an, wo wir heute evolutionär gelandet sind …«, sinnierte er.

Er rannte weiter zum Haupteingang und konnte gerade noch schemenhaft erkennen, dass ein alter weißer Lieferwagen das Gebäude verließ. Eine Aufschrift, geschweige denn ein Nummernschild waren nicht zu erkennen, denn er machte sich ohne Fahrlicht in Bewegung.

Zurück zu Bi nahm er einen der grünen Auszüge.

Wortlos zeigte Sie auf ein grauenhaftes Bild.

Auf dem Boden des Labors, als das sich der Raum entpuppte, lag ein nackter Mann auf ein paar umgedrehten Paletten gefesselt in seinem Blut. Die Lache vergrößerte sich immer noch und rann durch die Bretter auf die Erde. Er war in den Kopf und in der Brust getroffen.

Während Bi das Präsidium anrief und Fahndungsalarm gab, versuchte Ashkan sich um den am Boden Liegenden zu kümmern. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, bis sein Blick signalisierte:

»Tot. Scheiße.«

Bi fuhr die Rollläden hoch und schaute aus dem Fenster, um zu sehen, in welche Richtung die Drei flohen.

Sie konnte aber niemanden entdecken.

»Schau mal, kannst Du Dir das Loch in der Scheibe erklären?«

»Lass mal sehen.«

Neben der Leiche nicht weit vom Fenster lag eine Stahlflasche, mit der irgendein medizinisches Gas transportiert wurde.

»Was schließen wir daraus?«

»Jemand hat versucht, das Fenster einzuschlagen.«

»Hast Du ne Idee warum?«

»Um zu fliehen« schloss Ashkan ziemlich bestimmt, war sich dann aber doch nicht sicher.

Und er fuhr fort:

»Sein Gesicht ist total schmerzverzerrt.«

Und erst jetzt sahen sie, welche Folterqualen er ausgehalten hatte. Merkwürdig verdreht lag er da. Diese Verbrecher hatten ihm systematisch die Unterschenkel, Oberschenkel, Oberarme und einen Unterarm zerschmettert. Das konnten nur Profis, die die mechanisch physikalischen Eigenschaften menschlicher Knochen genau kannten und mit präzisen Schlägen so zertrümmern konnten, dass die Knochen nicht so splitterten, dass sie das Fleisch nach außen durchbohrten. Es waren nach allen Regeln der Kunst trainierte Folterknechte.

Selbst für einigermaßen abgebrühte Kriminalbeamte war das zu viel.

Bi fragte sich nur, warum sie einen Unterarm verschont hatten.

»Sind die von uns überrascht worden oder hatten sie ihr Folterziel erreicht und ihn auf die Schnelle exekutiert? Was glaubst Du?«, war ihre Frage an Ashkan.

Der zuckte nur mir den Schultern: »Sieht nach was Mittelalterlichem aus. Erinnert mich an Rädern. Obwohl, in der Neuzeit wurde mehr gefoltert. Die Hexen wurden doch erst in der Zeit der Inquisition verbrannt. Die Letzte glaube ich im 18. Jahrhundert.«

»Woher weißt Du das denn alles?«

»Lesen bildet.«

»Wir sollten trotzdem mal in unseren Datenbanken nachsehen, ob es so was schon mal gegeben hat.«

Bi dacht laut nach:

»Mafia, Rechtsradikale, Sekten – egal was für welche – oder auch nicht, die üblichen Verdächtigen – Islamisten – Terroristen, wen haben wir noch?«

»Ich kann mich an irgendeinen Film im Fernsehen erinnern, da gab es das auch. Der spielte in Irland und handelte von der IRA. Der war echt hart. Wir sollten tatsächlich in die Datenbanken schauen«, kürzte Ashkan den Monolog ab.

Sie konnten noch nicht einmal vermuten, was tatsächlich passiert war, und wandten sich entsetzt ab, als sie den Holzbalken hinter seinem Schreibtisch sahen.

»Rufen wir die Kollegen an. Wir müssen eine Fahndung auslösen und die KTU informieren. Wobei die Lieferwagen ohne irgendwelche Anhaltspunkte sind, die hast Du in Düsseldorf zu Tausenden.

»Wenn die KTU hier nichts Konkretes findet.«

»O.k. was machen wir jetzt?«

»Bestimmt keinen Kaffee trinken«, antwortete Ashkan.

»Und wenn wir den Hausmeister fragen?«

»Hausmeister wissen viel, fast alles. Wenn Du nem Hausmeister was sagst, ist die klassische Antwort 'Da wissen se mehr als ich'.«

»Du meinst, wir müssen ihn dazu bringen, sein Wissen preiszugeben.«

»Ist das ein Problem für Dich?«

»Wofür hältst Du mich?«, und setzte nach: »Traust Du mir zu, dass ich es mit Hausmeistern kann?«

»Wofür hältst Du Hausmeister?«

»Für schlauer als Du denkst? Aber lass mich ruhig mal machen.«

Das beredete Schweigen von Ashkan daraufhin, war ein Argument, das sie nicht widerlegen konnte.

Also machten sie sich auf den Weg in das Gebäude, wo sie den Hausmeister vermutetet, wenn er nicht unterwegs war.

War er aber nicht, denn er schaute Fußball, wie immer um diese Uhrzeit.

»Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ich konnte auch Schüsse hören.«

Natürlich war der Hausmeister mehr als neugierig. Es war ja sein Revier und außerdem musste er ja morgen vor einen Kollegen prahlen und glänzen.

Also erzählte ihm Bi alles, was er morgen sowieso in der Zeitung lesen würde. Und dann lobte sie – sichtlich sehr zu seiner Freude – seine Insiderkenntnisse aus dem ersten Gespräch, obwohl sie seinen Redeschwall im ersten Gespräch so abrupt abgebrochen hatte. Sie entschuldigte sich hierfür ganz artig, wie ein kleines Mädchen und dem Hinweis, dass sie ja in Eile gewesen war. Voll des Lobes redete er dann, nicht ohne darauf hinzuweisen, wie sympathisch er Bi fand und wie wichtig er doch an dieser Hochschule sei, ohne dass sie es ihm jemals gedankt hatte.

»Jemals!«, wiederholte er, um dann aber – wie er es, als seine Pflicht verstand – fortzufahren:

»Einen Lieferwagen suchen Sie?«

»Unbekanntes Fabrikat, so weiß oder so.«

»Diese alte Karre? Ja da gibt es einen, der hier ab und zu aufkreuzt. Aber wir kontrollieren Lieferwagen nicht, auch wenn die da parken, wo andere Fahrzeuge nicht parken dürfen. Hier wird so viel gebaut. Und glauben Sie, wir werden darüber informiert? Wir doch nicht.«

»Ja, aber das geht doch gar nicht.«

Geschmeichelt entgegnete er:

»Endlich mal jemand, der das auch so sieht, gute Frau.«

Bi warf Ashkan einen kurzen Blick zu, der in etwa bedeutete:

»Musste ich dafür eine Frau sein?«

Der Blick von Ashkan kam ungerührt und feixend zurück:

»Bilde Dir ja nichts darauf ein oder glaub dran.«

»Herr Schmitz, haben Sie ne Ahnung, wo der sich herumtreiben könnte?«

»Ja. Ich meine, ob der jetzt da steht, weiß ich natürlich nicht. Der steht öfter in einem Innenhof. Was der da macht? Kein Plan. Wir haben auch noch nie jemanden gesehen. Kennen Sie sich auf dem Gelände aus?«

»Ein bisschen« antwortete Bi.

»Sie wissen, wo die Brücke über die Universitätsstraße ist?«

Schmitz warte die Antwort erst gar nicht ab: »Da fahren Sie drunter her. Und dann biegen sie rechts ab. Stören Sie sich nicht an den Baustellen. Sie kommen dann in einen ersten offenen Hof, der einen Durchgang zu dem eigentlichen Innenhof hat. Links sehen Sie dann das Gebäude mit blauen Fenstern. Seit Urzeiten eingerüstet. Da waren die früher drin.«

Bi verstand nicht: »Wer war da drin.«

»Dieselben, die jetzt hier sind. Da ist aber jetzt alles zu. Da sollen irgendwann die Geistesheinis – sorry, die Philosophen oder wer immer – rein. Dazu müssen aber noch die Labore ausgebaut werden, die da noch drin sind. Das ist auch ein Entsorgungsproblem. Aber das soll uns ja nichts angehen. Das macht ne Spezialfirma.«

Bevor Bi wieder eine Frage stellen konnte, setzte er nach: »Wie gesagt, ich weiß nicht, ob er jetzt da ist. Und eigentlich weiß ich gar nichts.«

»Das bleibt völlig unter uns. Niemand wird davon erfahren. Da können Sie sicher sein.«

Das war im insgeheim jetzt auch nicht ganz recht, denn er hoffte, irgendwie zum Helden zu avancieren.

»Laufen oder Fahren?«

»Fahren«, antwortete Ashkan sehr eindeutig aber auch mit einem Anflug von Müdigkeit.

Sie hielten in dem Vorhof, um sich auf den Weg zu dem Gebäude zu machen. Er war etwas verwildert. Rechts sahen sie einen Verschlag mit Gasflaschen hinter verschlossenen Eisengittern. Aus keinem Fenster drang Licht. Selbst die Treppenhäuser waren nur sehr schummerig beleuchtet, soweit man das von außen sehen konnte. Einen schäbigen Lieferwagen konnten sie aber nicht identifizieren.

»Gehen wir rein?«, wollte Ashkan wissen.

»Ein Lieferwagen steht hier nicht. Wir schauen mal. Sieht ja harmlos aus.«

Der Eingang sah schon trostlos genug aus, ein Eindruck, der sich innen fortsetzte. Das fahle Licht ließ die Flure noch grauer erscheinen, als sie vielleicht bei Tageslicht aussahen. Schwer zu begreifen war, dass hier einmal hochkarätige Forschung stattgefunden hat. Nun galten die Naturwissenschaftler auch nicht gerade als Ästheten. Bi und Ashkan inspizierten jede Tür auf Geräusche und Licht in den Spalten zwischen Tür und Fußboden. Bei einigen Türen legte Ashkan sich auf den Boden, um genauer nachzusehen. Er fand aber nichts.

So ging es dann auf die zweite Etage, in der sie ebenfalls nichts fanden.

»Wie viele noch?«

»Drei, gibt's ein Problem?«, wollte Bi wissen.

»Nö, aber was soll es hier schon geben?«

»Stell keine Fragen, setzen wir es einfach um.«

Die nächste Etage hatten sie schnell durch und nahmen die Treppe zur vierten.

»Irgendwie muss es hier doch einen Fuchsbau geben.«

»Fuchsbau? Eh?«

»Wenn Du mir schon nicht glaubst, dann wenigsten dem Hausmeister«, flüsterte Bi.

Der Gang nach links sah nicht nach einer Überraschung aus. Altes Gerümpel stand in dem Gang und auf dem Boden lagen ein paar Gasflaschen. Eine Tür sah allerdings anders aus als die, die sie bisher gesehen hatten. Sie hatte eine Art Bullauge, das die beiden sofort interessierte. Das Glas war von der Rückseite zugeklebt. Aber nicht sorgfältig genug, um nicht einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Schimmer Licht durchzulassen.

Mit zwei Handzeichen wies Bi ihren Kollegen an, Stellung zu beziehen und die Waffe zu ziehen. Ashkan stand links von der Türklinke an der Zarge und Bi rechts. Langsam uns sehr gelenkig hob er sein Bein in Richtung Türklinke. Als er sie erreichte, macht Bi sich bereit. Als die Tür durch einen kräftigen Fußtritt auf die Klinke aufflog, wurden sie mit kräftigem Feuer empfangen.

»Zurück!!!«

Sie rannten im Zickzack Richtung Treppenhaus und konnten den Schüssen ausweichen. Was sich wegen der herumliegenden Gasflaschen mehr nach Hürdenlauf aussah. Doch das Unheil nahm seinen Lauf.

Fast gleichzeitig hatte Ariel sich fertig gemacht, zog eine schwarze Jeans, ein enganliegendes langarmiges schwarzes Top an und stülpte sich ihre schweren schwarzen Stiefel über.

Sorgfältig und lautlos schraubte sie den Schalldämpfer auf ihre Beretta APX und probierte den Laserpointer an der Waffe aus … Sie lächelte dabei kalt. Das Magazin war mit 17 Kaliber 9 mm Luger Patronen gefüllt. Zwei Ersatzmagazine hatte sie an ihrem Gürtel neben einer Sturmmaske befestigt. Insgesamt 51 Schuss, das musste reichen. In ihrem kleinen schwarzen Tornister hatte sie ein kleines Notebook und ein paar Werkzeuge verstaut. Ihren Schulterholster hatte sie so nach hinten geschoben, dass er halbverdeckt durch den Rucksack kaum auffiel. Dennoch war die Waffe leicht zu zücken.

Sie lief runter zur Garage und stieg in ihren schwarzen Mercedes EQC, der sich lautlos in Bewegung setzte. Es war schon dunkel, nur der Vollmond warf sein fahles Licht durch die leicht diesigen Wolken auf die Stadt. Voller böser Zornesfalten zwischen den Augen steuerte sie ihr Auto Richtung Universität. Sie musste sich nicht beeilen, deshalb versuchte sie, sich innerlich runterzuschalten. Sie kannte ihr Ziel genau, denn sie hatte es bereits ausspioniert.

Auf der Fahrt von Kaiserswerth hatte sie genügend Zeit, ihre sie quälenden Erinnerungen, die sich ihr aufdrängten und ihr in der Stille Angst machten zu verarbeiten.

Sie wusste, dass sie mit der Angst sprechen musste: »Hallo Angst, da bist du also wieder. Erdrück mich nur. Schnür mir die Luft ab. Aber Du besiegst mich nicht.« Nur so hatte sie gelernt, die Selbstkontrolle wiederzuerlangen.

»Ich darf nicht gegen diese Bilder und Gefühle kämpfen. Ich muss sie zu ertragen, ja zulassen.«

Sie hatte nach dem Untergang von OVERLORD und der Exekution von Fuchs beschlossen, Karim El-Samarany in Marokko zu treffen. Sie war einfach neugierig auf diesen Menschen, der ihr Schicksal so geprägt hatte. Insgeheim wollte sie aber auch wissen, was für ein Mann er war.

Sie wusste: Seine künstliche Intelligenz funktionierte offensichtlich immer noch perfekt. Sie musste aber auch gar nicht nach Marokko. Sie musste lachend daran denken, wie sich ‚Homerisches Gelächter‘ bei ihr mit einem Cheat meldete. Er teilte ihr mit, dass er anlässlich der MEDICA in Düsseldorf sein würde und sie gerne treffen würde. Was sie nicht zu diesem Zeitpunkt wusste, war, warum er sie in Düsseldorf treffen wollte. Aber sie ließ sich darauf ein, weil sie ihm vertraute. Und damit begann fast die größte Pleite ihres Lebens.

Ihr Blick glich einer Rachegöttin.

»Ich bringe ihn um. Ich töte ihn! Ich schlachte ihn!«

Sie trommelte wütend auf ihr Lenkrad.

»Jemand hat uns beide reingelegt, Karim, was hast du gemacht?«

Sie atmete tief durch.

»Aber ich bin ja auch darauf reingefallen. Ich könnte mich dafür hassen. Ich habe gelernt, perfekt zu funktionieren und bin doch in entscheidenden Momenten naiv und bescheuert! Boah. Ich hasse mich!«

Doch einige Zeit vorher hatte Ariel noch ein Rendezvous …

Sie plante schnell und präzise ihr Äußeres. Der Lippenstift einen Hauch kralliger, ihre Haare einen Touch strähniger und ihr Kleid in Zartgrün, passend zu ihren schwarzen Haaren, die aber noch nicht die volle Länge erreicht hatten. Das Kleid passte perfekt und war so lässig im Schnitt, dass man jede Fantasie in Männerblicken, die es erregte als völlig unbeabsichtigt dementieren konnte. Sie wusste nicht genau, wie groß er war. Sollte sie High Heels oder Sneakers tragen. Sie entschied sich für Sneakers. Sie hatte nur Weiße, fand sie aber passend. Sie gefiel sich nach einem erneuten Blick in den Spiegel.

Sie traf ihn im Steigenberger Parkhotel auf der Terrasse. Das gesamte Ambiente war in zartem Weiß und pastellfarbenen Hellgrün gehalten, was perfekt zu dem Spargelgericht passte, das El-Samarany vorschlug. Spargeln gibt es in Marokko nicht, es wächst dort auch schließlich nicht. Ein Wiener Schnitzel wollte er sich auch nicht entgehen lassen, bestand es doch aus Kalbfleisch.

Sie waren viel zu neugierig aufeinander, als dass sie der Weinempfehlung des Obers widersprachen.

Auch das Essen konnten sie kaum genießen, die Story von Karim – sie duzten sich nach dem ersten Anstoßen – war zu unglaublich.

Er erzählte ihr, dass ihre künstliche Intelligenz von irgendjemandem kopiert worden war, bevor Karim sie funktionsunfähig gemacht hatte. Und schlimmer noch. Auch Karims K.I. hatte man kopiert.

Ariel war entsetzt und wollte wissen, was das zu bedeuten hatte. Karim zögerte bei der Antwort: »Digital können sie das geklaute Programm ja einsetzen, nur analog …«

Er gab sich eine Kopfnuss: »… müssen sie es auch verstehen.«

Sie wusste immer noch nicht, worauf er eigentlich hinauswollte. Sie hatte mehr von dem Gespräch erwartet, bis er ihr stolz Fotos von seiner Familie zeigte.

»Scheiße. Wie eitel war ich. Ich traf meiner Meister und er behandelt mich wie eine Schülerin.«

Sie bemerkte nicht, dass Karim in dem Augenblick hoffte, dass man Schülerinnen nicht unterschätzen sollte.

»Aber leider ist Rabea – eh, meine Frau – vor einem Jahr gestorben. Das war kurz nach den Ereignissen, die Du ja kennst. Kein Attentat – wenn Du das denkst – sie hatte nach einer Operation an der Gebärmutter eine Infektion, die sich mit keinem Antibiotikum heilen ließ. Offenbar war es ein multiresistenter Keim. Es war schrecklich. Schrecklich. Ich habe unglaublich gelitten. Aber mein Leiden ist ja eigentlich völlig egal. Glaub mir, ich musste zusehen, wie sie erbärmlich verstarb. Es war schrecklich. Der Mensch, den ich so geliebt habe. Mehr als mich selbst. Und dann wurde ich nach ihrer Patientenverfügung gefragt. Ich war außer mir vor Wut wegen dieser Zumutung. An ihrem Bett stehend, mit Hunderten Schläuchen verbunden, sollte ich eine Entscheidung treffen. Bin ich Gott? Sie starb ohne meine Entscheidung. Ich bin nicht gläubig. Aber ich dankte ihm. Ja verdammt, warum eigentlich.«

Seine Tränen konnte er kaum unterdrücken, deshalb fuhr er fort: »Meine Tochter und mein Sohn haben mich sehr unterstützt, obwohl sie in Vancouver und Genf leben. Sie sind schon groß, weil wir sehr früh geheiratet haben.«

Ariel blieb anteilnehmend und tapfer, aber auch geschäftsmäßig und fragte nach dem wahren Grund des Treffens.

Sie erfuhr, dass sein Programm in die Hände von Bio-Hackern gelangt war. Sie erzählte ihm daraufhin, dass ihre Organisation noch existierte und ihre Möglichkeiten größer waren, als er es sich dachte. Unterkühlt versprach sie ihm, sich darum zu kümmern.

»Ich werde Dir einen Hinweis geben.«

Dieser Hinweis sollte es in sich haben. Sie hatte damals nicht im Entferntesten gewusst, was sich für sie beide daraus entwickeln würde. Und sie wusste auch nicht im Geringsten, wie das alles zusammenhing.

Sie verabschiedete sich kühl und ein bisschen formell mit dem Versprechen, in Kontakt zu bleiben. Er war erfahren genug, um das richtig zu deuten und erfüllte ihre Hoffnung, dass der Funke auch auf ihn übergesprungen war.

Als er ihr zum Abschied die Hand gab und sie anschaute, wusste sie, dass es mehr als ein Funke war. Er war entflammt und sie jubelte innerlich, aber auch völlig überfordert. Sie verließ das Parkhotel mehr als irritiert.

Der Hinweis ließ nicht lange auf sich warten und enthielt den Namen eines Biologen. Der Name war nicht neu für sie. Sie waren pari. Sie hatte Gewissheit.

Ihr Mercedes EQC gab ihr ein bisschen Halt. So eine Art Heimatgefühl. Ihr Navi sagte ihr, dass sie die Uni in neun Minuten erreichen würde. Die letzten Meter fuhr sie nur mit Abblendlicht und völlig lautlos. Kein Soundgenerator. Sie parkte neben einem roten Alpha Julia, ohne dem irgendeine Bedeutung beizumessen. Aber schließlich sind nachts ja auch alle Katzen grau.

Sie schlich leise und jeden Schutz in der Dunkelheit nutzend in das Gebäude, das Bi und Ashkan kurze Zeit später auch erreichen sollten. Sie hatte einen genauen Plan im Kopf und nahm ein Treppenhaus, welches eine Verbindung zu dem Gang hatte, den sie suchte und machte sich zielsicher auf den Weg.

Ihre Pistole gezückt – bereit den Laserpointer einzuschalten – erreicht sie die vierte Etage. An jeder Tür suchte sie Deckung und spähte sorgfältig nach vorwärts und rückwärts.

Ihr Ziel war das Ende des Ganges, von dem sie noch geschätzt zwölf Türen trennten. Sie kannte die Tür. Ihre Augen hatten sich inzwischen so an die Dunkelheit gewöhnt, sodass ihr nichts entging. Die Zwischentüren waren alle offen. Sie wunderte sich. Offenbar wollte sich dort jemand alle Fluchtwege offenhalten. Sie atmete konzentriert und lautlos.

Nächste Tür. Deckung suchen.

Weiter.

Je weiter sie kam, desto muffiger roch es nach abgestandenen Plunder.

Noch zwei Türen.

Sie bereitete sich auf den Gang zur nächsten Tür vor, als sie unvermittelt ein fürchterlicher Schlag gegen ihren Hinterkopf traf …

Als sie wieder zu sich kam, saß sie gefesselt in einem hässlichen und abgewetzten Bürostuhl mit aufgerissenen Polstern. Es war der Raum mit dem Bullauge, den sie gesucht hatte. Ihre Sturmmaske hatte man ihr vom Kopf gerissen. Ihre Kopfschmerzen waren so groß, dass sie sich übergeben musste. Ihr warmes Blut sickerte durch ihre Haare in ihr schwarzes Hemd.

Jemand knipste eine uralte Schreibtischlampe an und richtete sie auf ihr Gesicht. Sie war nicht sonderlich hell, reichte aber aus, dass sie drei Männer hinter dem Schreibtisch erkennen konnte. Ihre Waffen sprachen eine beredte Sprache. Sie hatten Sturmmasken an.

»Na Du Hure, damit hast Du nicht gerechnet. Dein ‚Freund‘ ist schon mit allen Sachen weg. Außerdem will jemand Rache für einen Toten. Und jetzt bist Du an der Reihe. Also, wie hast Du ihn gefunden und was weißt Du, Du Schlampe? Wir wollen alles wissen«, herrschte sie der Mittlere an.

Er drehte auf einem abgeschabten Schreibtisch einen Computerbildschirm in ihre Richtung, der sofort aufleuchtete. Irgendeine undefinierte Seite war zu sehen.

Sie schwieg und machte keine Anstalten, auf den Kerl einzugehen.

»Sie will es nicht anders! Habt Ihr gehört. Sie gehört uns!«

Es schien, als vergaßen sie ihren Auftrag. Aber sie schwieg und wusste selber nicht, ob vor lauter Todesangst oder einem letzten Funken Tapferkeit, um nicht den letzten Rest ihrer Würde zu verlieren. Sie wusste, was auf sie zukommen würde. Ihr Geheimnis preisgeben oder gefoltert zu werden. Erschießen würde man sie anschließend in jedem Fall.

Sie checkte den Raum. Es schien nicht so, dass etwas vorbereitet war. Aber sie wollte auch die Fantasie von drei Männern nicht unterschätzen, deren geile Blicke sie gierig musterten. Wie verabredet gingen sie auf sie zu. Der Mittlere zog seinen Gürtel aus seiner Hose und ein anderer riss ihr ihr Shirt vom Leib. Ihre Fesseln schnitten sie brutal durch, sodass sie an den Handgelenken blutete. Zu zweit warfen sie sie auf den Boden. Sie grölten sich gegenseitig an und ihre Schwänze ragten ekelerregend prall aus ihren Hosen. Sie würden ihr alle Körperöffnungen in einem mörderisch grausamen Gang Bang gleichzeitig …

Sie krümmte sich wie ein Embryo, um Schutz zu suchen, von dem sie wusste, dass es ihn nicht gab. Ein Vieh ergriff mit Händen wie ein Schraubstock ihre Fesseln, das zweite griff ihr brutal in ihren Schritt und machte sich an ihrem Hosenbund zu schaffen. Mit letzter Kraft ihrer Oberschenkel wehrte sie seine Hand. Sie schloss die Augen angesichts des nahenden blutigen Gemetzels …

Dann flog die Tür auf …

Sie bekam mit, dass die drei flohen, und sie hörte mehrere Schusssalven. Ein Schuss, der ihr gegolten hatte, verfehlte sie knapp. Einige Splitter aus dem Einschussloch in der Wand trafen ihren Nacken.

Einen kurzen Augenblick geschah nichts. Sie wollte sich gerade aufrichten, bevor eine gewaltige Explosion das Gebäude erschütterte.

Ariel wurde durch eine gewaltige Druckwelle durch den Raum geschleudert. Neben dem umgekippten Bürostuhl landete sie in der hinteren Ecke des Zimmers, dessen Fenster nach außen geflogen waren. Die Hitze einer Explosion nahm ihr den Atem. Aber trotz ihrer Benommenheit stürzte Ariel benommen aus dem Zimmer, das beinahe ihre Todesfalle geworden wäre. Sie entkam gerade noch den Flammen und rutschte fast auf Glassplittern aus.

Einen kurzen Augenblick vorher …

Bi und Ashkan konnten das Treppenhaus unbeschadet erreichen. Doch dann fiel ein Schuss mit verheerenden Folgen. Er traf eine Sauerstoffflasche, die mit lautem Donnerschlag detonierte, und die sie mit einer gewaltigen Druckwelle die Treppe herunterschleuderte. Der Knall zerriss ihre Trommelfelle. Der Explosion folgte ein Feuerball, denn die Sauerstoffflasche war präpariert. Jemand hatte sie mit Fett präpariert, das sich in reiner Sauerstoffatmosphäre, spontan selbst entzündete. Der Druck ließ die Wände in dem Gang bersten und riss die Deckenverkleidungen aus ihren Verankerungen. Das letzte Licht erlosch, Kabel hingen von der Decke herunter, an denen Reste der Neonlampen hin- und her pendelten. Feuer brach in den umliegenden Räumen aus. Die Zwischentür wurde zurückgeschleudert und flog samt Zarge in Richtung Treppenhaus. Das Sicherheitsglas spuckte sie vorher aus. Die Flammenwand, die folgte, erreichte sie aber nicht mehr, weil sie das Treppenhaus hinuntergeschleudert wurden. Sie überstanden die höllische Hitze ohne Brandverletzungen. Einige Brocken des Glases trafen Bi und fügten ihr ein paar kleinere Verletzungen zu, aus denen ihnen Blut die Arme herunterlief.

Ashkan hatte es nicht gefährlich erwischt. Außer ein paar Prellungen und Abschürfungen ging es ihm ganz gut. Seine Schmerzen ertrug er gelassen.

Dafür sah er, dass es um Bi umso schlimmer bestellt war. Sie konnte kaum noch Atmen. Die Schmerzen waren unerträglich, sie röchelte und konnte fast keine Luft ziehen. Ihr Atem zischte. Sie spuckte Blut. Sie musste unerträgliche Schmerzen haben. Ihre Augen waren vor Panik weit aufgerissen. Das Flehen in Ihrem Blick schien ein letztes Aufbäumen zu sein. Sie wollte Ashkans Hand erreichen. Dann fiel sie in Ohnmacht.

Ashkan rappelte sich entsetzt und hilflos auf, griff zu seinem Handy und rief den Rettungsdienst an, was aber nicht mehr nötig war, denn im Hof erhellten die Blaulichter der Feuerwehr schon die umstehenden Gebäude und ließen sie wie einen in den Himmel ragenden Dom erscheinen.

Zuerst bemerkte Ashkan es nicht. Es knirschte leicht. Er wandte sich um. Aus der Dunkelheit erschien fast unsichtbar eine in schwarz gekleidete weibliche Gestalt mit bloßem Oberkörper und blutigen Handgelenken. Das Blaulicht vom Hof ließ ihren Leib immer wieder blau-weiß und fast außerirdisch rein aufleuchten. Bevor Ashkan überhaupt wusste, was das war, signalisierte sie: »Psst!«

Er zückte seine Waffe und herrschte Sie an: »Weg hier!«

Ohne dass er wusste, ob sie ihn überhaupt verstehen konnte, antworte sie mit zu einem Peace Zeichen geformten Fingern und nahm Bi's Hand in ihre. Gespenstisch, aber auch friedlich war ihr Anblick. Er ließ sie – weiß der Himmel warum – gewähren.

Ashkan konnte nicht hören, sondern nur sehen, dass sie »Danke!«, sagte. Sie küsste Bi's Hand und verschwand wieder in der Dunkelheit, als wäre sie nie erschienen.

Ashkan konnte sich auf das Erscheinen der Unbekannten keinen Reim machen und kümmerte sich erst einmal um Bi.

Endlich wurde es laut und Licht durchdrang die Stille. Zwei Feuerwehrleute – begleitet von einem Notarzt – erreichten das Treppenhaus. Er hörte nur Kommandos. Er wandte sich weg, als sie ihren Oberkörper entblößten.

»Scheiße! Lungenriss!«

»Sauerstoffmaske!«

»Adrenalinspritze!«

»Rettungsdecke!«

Der Notarzt bediente inzwischen das NIDA-Pad, mit dem er die Daten von Bi in die Notaufnahme der Uniklinik senden konnte. Er gab durch, das Bi sofort in ein künstliches Koma versetzt musste.

Die Zeit, in der sie das hinkriegten, war rekordverdächtig.

»Sie kommen klar?«, mit dieser Bemerkung, bei der er Ashkan keines Blickes würdigte, ließen sie ihn in der Dunkelheit zurück.

Völlig allein gelassen setzte er sich auf die Treppenstufe und vergrub sein Gesicht in seinen Händen, bis er wieder Schritte hörte.

Er fingerte nach seiner Waffe. Die Schritte klangen so vernehmlich deutlich, dass sie keine Gefahr verhießen. Dann sah er das flackernde Licht einer Taschenlampe und eine vertraute Polizeimütze.

»Herr Horri, Sie sind in Sicherheit. Wir haben alles im Griff.«

Das Gesicht unter der Mütze strahlte ihn zuversichtlich an.

»Im Griff, wenn der wüsste.«

»Ich bring sie nach Hause und hol sie morgen um elf Uhr ab. Ihr Chef hat mich angewiesen, Sie lange schlafen zu lassen.«

Die Fahrt zu seiner Wohnung reichte aus, damit er seine Geschichte erst mal loswerden konnte. Verdrängen ist nicht das Falscheste bei einem Trauma. Zuhause angekommen fiel er nur noch ins Bett und träumte von der Hölle. Er war aber auch ein Typ, der sich an seine Alpträume nicht mehr erinnern konnte.

Das war auch besser so. Denn die Höllenfahrt sollte erst noch beginnen. Und das war noch untertrieben …

Mit klarem Verstand hatte sie ziemlich schnell den Biologen ausfindig gemacht, dessen Namen El-Samarany ihr genannt hatte und den sie für ihre Zwecke einspannen sollte. Er war sogar in XING zu finden. Der Typ sah lustig bis doof aus in seinem karierten Hemd.

»Einsamer sucht Einsame zum Einsamen«, fiel ihr dazu ein. Egal, wo sie das schon wieder herhatte. Auf den ersten Blick sah er mit seinen straßenköterblonden schütteren Haaren und leicht traurigem Blick so aus, als wollte er Mutterinstinkte in ihr auslösen. Nur damit hatte sie es nicht.

Wo verabredet man sich mit einem doofen Biologen und worum eigentlich. Ein Termin war kein Problem. Sie wusste, wie man so was macht.

Aber wohin zu Teufel: »Mensa? Ne. Weise? Geht gar nicht, das ist unser Café, Scotti´s auf der Christophstraße? Perfekt. Da laufen doch auch jede Menge Mediziner rum.«

Bevor Sie ihr Handy zückte, überlegte sie mit einem Blick auf ihren Kleiderschrank: »Was zieh ich bloß an?«

Mit der Telefonnummer, die El-Samarany ihr gegeben hatte, rief sie ihn an. Eine Legende hatte sie im Kopf, aber es gab auch zur Not eine Homepage ihres ‚Unternehmens‘.

»Ich bin Frau Heinrichs, guten Tag Herr Doktor Feldmann.«

»Andreas Feldmann. Guten Tag? Mit wem habe ich das Vergnügen.«

Immerhin, einen Ansatz von Stil hatte der Typ.

»Ich rufe an von einem amerikanischen Start-up in der Biogenetik. Ich bin gerade auf der MEDICA in Düsseldorf, die ja bald zu Ende geht. Ich hatte dort das Vergnügen, mit Herrn Prof. Dr. – wie hieß der nochmal, sorry ich habe den Namen vergessen – gesprochen und der hat mir Ihren Namen gesagt und Sie mir herzlichst empfohlen. Sie arbeiten – so habe ich erfahren – an einem Projekt, das uns sehr gefällt, und wir würden gerne über eine kommerzielle Nutzung mit Ihnen reden. Wir können Ihnen helfen, der Erste zu sein. Sein wissen ja: The Winner Takes It All.«

Sie lachte penetrant aufdringlich auf, was ihr gemäß ihrer Rolle, die sie spielen wollte, auch problemlos sehr ‚authentisch‘ gelang.

»Jaaa, und was wollen Sie von mir?«

»Ihr Professor hat mir gesagt, dass ich Sie vor meinem Rückflug nach Thousand Oaks unbedingt sprechen soll.«

Sie wusste, dass er nicht Rücksprache mit seinem Professor suchen konnte, weil der ja nach der Messe zu einem Kongresstermin nach Genf jetten wollte. Nur eben nicht konnte, wie sie noch erfahren sollte.

Jetzt noch ein Kompliment und sie hatte ihn.

»Ihr Professor hält Sie für einen überaus hervorragenden Wissenschaftler, ohne den sein Institut nicht die internationale Anerkennung bekommen hätte, die es in Fachkreisen genießt.«

Das saß. Er hatte heute noch Zeit. Sie bekam aber nicht mit, dass er hässlich grinste, als das Telefongespräch endete.

Sie entfernte sorgfältig den Nagellack von ihren Fingern und schaute in den Spiegel. Schminken brauchte sie sich nicht, oder? Ein bisschen kann nicht schaden. Aber nur fast unsichtbar. Sie sah auch völlig ungeschminkt fantastisch aus und war sich dessen bewusst.

»Zerrissene Jeans, dazu eine graugrüne Sweatjacke mit kurzen Ärmeln und Reißverschluss? Zu wenig Businesslike. Knielanger schwarzer Rock mit weißem Top und dunkelblauem Blaser. Dünne Goldkette. Passt. Noch ein Hauch von Lippenstift.«

Zufrieden zog sie sich an.

Sie fuhr mit dem Taxi zum Scotti’s, sodass es aussah, als käme sie direkt von der Messe mit genau sechsminütiger geplanter Verspätung und so, damit er sie sah.

Sie erkannte ihn sofort, weil sie sich das XING-Foto eingeprägt hatte und winkte ihm entschuldigend aus der Ferne zu. Immerhin sah er nicht so stoffelig vor, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Er hatte sich etwas aufgebrezelt und trug über einem hellblauen Hemd einen Blazer, der auf den zweiten Blick aber auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ansonsten wirkte er etwas blass mit seiner hellen Haut und seinem dünnen blonden Haaren. Wie in dem Bild auf XING.

»Guten Tag Frau Heinrichs.«

»Henrichs, macht aber nichts. Einen guten Tag Herr Dr. Feldmann. Schön, dass das noch so schnell geklappt hat.«

Er musterte sie schüchtern und nervös. Sein linkes Augenlid zuckte kurz. Sie drehte sich um, um eine Bedienung heranzuwinken und spürte seinen deutlicheren Blick.

»Was möchten Sie trinken, Dr. Feldmann?«

»Eh, bitte ein alkoholfreies Weizen.«

»Ein alkoholfreies Weizen für den Herrn und für mich eine Rhabarberschorle, bitte«, gab sie dem Kellner als Bestellung auf.

»Sehr schön hier. Ich habe früher mal für einige Zeit in Düsseldorf gewohnt, bevor ich in die Staaten gezogen bin,« fing Ariel an.

»Wie hieß der Ort nochmal?«

»Thousand Oaks. Das ist so eine Art Silicon Valley der Biotechnologie. Der Ort liegt im Norden von L.A. ungefähr 360 Meilen von San Francisco.«

Feldmann zuckte bei ‚Thousand Oaks‘ sichtlich zusammen. Aber er ließ sich nicht in die Karten schauen. Er kannte den Ort.

»Und wie sind Sie darauf gekommen?«, fragte er sie mit großen Augen.

»Nach der IT siedeln sich dort zunehmend auch Biotechnologieunternehmen an. Wie wir. Wir sind ein junges Startup und nach knapp sechs Monaten schon börsennotiert, unser Kurs geht durch die Decke. Wir arbeiten an neuen Medikamenten. Sie wissen ja, die Antibiotika gehen uns so langsam aus.«

»Ja das ist ein Riesenproblem. Die Pharmakonzerne investieren zu wenig, weil jedes neue Antibiotikum in der Entwicklung mindestes ne Milliarde kostet. Eigentlich müssten die Regierungen einspringen. Aber die warten die nächste Epidemie ab, damit sie dann mit neuen Investitionsprogrammen Steuererhöhungen durchsetzen können und als Helden gefeiert werden. Wissen Sie, dass durch die spanische Grippe weltweit etwa 70 Millionen Menschen gestorben sind? Na ja, das ist die höchste geschätzte Zahl.«

»Das war aber ein Virus … «