Meraki ‒ Verliebt auf Griechisch - Julia Schöning - E-Book

Meraki ‒ Verliebt auf Griechisch E-Book

Julia Schöning

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Beschreibung

Der neue Posten als Managerin des Meraki Beach Club auf Kreta führt Eleni wieder auf die Insel zurück, die sie eigentlich nie mehr betreten wollte. Zu den verdrängten Erinnerungen gesellt sich der desolate Zustand des Resorts: Negative Bewertungen häufen sich, Buchungen gehen zurück. Einziger Lichtblick ist Animateurin Johanna, und obwohl sie beide unterschiedlicher nicht sein könnten, fühlen sie sich doch seit ihrer ersten Begegnung zueinander hingezogen. Eine heimliche Affäre beginnt, wohl wissend, dass sie nicht von Dauer sein wird. Während sie sich immer weiter im Strudel der Gefühle verfangen, kommt Eleni dahinter, warum die Qualität im Club den Bach runtergeht. Aber tun kann sie nichts dagegen, denn Erpressung fesselt ihre Hände – und dann taucht auch noch Johannas Ex auf, die alles zu zerstören droht . . .

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Seitenzahl: 343

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Julia Schöning

MERAKI – VERLIEBT AUF GRIECHISCH

Roman

© 2024édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-387-6

Coverfoto:

1

Eleni atmete einmal tief durch, ehe sie ihren Gurt löste. Jetzt war sie also hier. In Heraklion. Zurück auf Kreta. Zurück auf der Insel, die sie niemals wieder betreten wollte.

Sie quetschte sich aus ihrer Sitzreihe und fischte ihren kleinen Koffer aus der Handgepäckablage. Alle anderen hatten das Flugzeug bereits verlassen, als sie als Letzte auf die Treppe trat. Heiße, stickige Luft umfing sie. Sie roch die vertraute Mischung aus Meersalz und Kerosin, die so typisch für den Flughafen der Inselhauptstadt war.

Leichte Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, für Mitte Juni war es sehr warm. Ihre Finger klammerten sich um den Griff ihres Koffers. Bei jedem Schritt die Treppe zum Rollfeld hinunter drohten ihre Beine nachzugeben.

Ein Bus brachte sie mit den anderen Touristen zum Flughafengebäude. Sofort fielen Eleni dort die vertrauten griechischen Buchstaben auf. Lange hatte sie ihre zweite Muttersprache nicht mehr gesprochen. Erst als klar war, dass sie die Leitung des Ferienclubs an der Südküste in Triopetra übernehmen würde, hatte sie ihre Griechischkenntnisse wieder aufgebessert. Denn dass sie Halbgriechin war, war einer der hauptsächlichen Gründe gewesen, warum man ihr die Stelle als neue Hotelmanagerin angeboten hatte.

Obwohl noch keine Hochsaison war, war es bereits jetzt schon sehr voll an den zu wenigen Gepäckbändern für die immer zahlreicher anreisenden Touristen. Kein Wunder, dass es bald einen neuen Flughafen auf Kreta geben sollte.

Eleni zwängte sich durch die Menschenmenge nach vorn in die erste Reihe, als sie ihren Koffer auf dem Band auf sich zukommen sah. Sie spürte, wie ihr heiß wurde, ihr Herz raste. Das Stimmengewirr der aufgekratzten Urlauber dröhnte in ihren Ohren.

Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und versuchte, sich auf ihren Atem zu konzentrieren.

War es die richtige Entscheidung gewesen, herzukommen und den Job anzunehmen? Hätte sie nicht besser in ihrem vertrauten Club in Österreich bleiben und das großzügige Angebot ausschlagen sollen? Hätte sie nicht doch ihrem ersten Impuls vertrauen sollen?

Die Umgebung drehte sich, der Boden unter ihren Füßen schwankte. Was tat sie hier? Sie musste von allen guten Geistern verlassen sein.

Einatmen. Ausatmen.

Hätte sie doch bloß darauf beharrt, die Stelle abzulehnen, anstatt sich von ihrem Chef, ihrer Familie und ihrer besten Freundin bequatschen zu lassen.

Ihr roter, prall gefüllter Koffer kam immer näher. Sie versuchte, ihn zu fokussieren.

Mit ihren dreiunddreißig Jahren und der recht wenigen Berufserfahrung war es eine einmalige Chance, dass der Konzern sie mit der Leitung des erst im Jahr zuvor eröffneten Clubs betrauen wollte. So eine Gelegenheit gab es nicht alle Tage. Dass sich der Club ausgerechnet auf Kreta befand, hatte man ihr erst mitgeteilt, als sie schon beinahe zugesagt hatte. Im ersten Überschwang ihrer Euphorie hatte sie dieses entscheidende Detail gar nicht richtig mitbekommen. Ihren plötzlichen Rückzieher wollte dann niemand mehr akzeptieren. Aber wie auch? Natürlich wusste niemand, warum sie nicht mehr nach Kreta wollte.

Nicht mehr nach Kreta konnte.

Eleni griff nach ihrem Koffer und zerrte ihn vom Band. Er prallte gegen ihr Schienbein. Ein scharfer Schmerz durchfuhr sie. Das würde einen ordentlichen blauen Fleck geben.

Jetzt war sie also hier auf der Insel. Nach vielen schlaflosen Nächten und endlosen Diskussionen, auch mit ihren Eltern, hatte sie die Stelle doch angenommen. Und nun musste sie das Beste daraus machen. Sie würde sich in die Arbeit stürzen, ganz egal, ob das Hotel auf Kreta lag. Es würde sie ablenken.

Mit einem Koffer in jeder Hand ging sie unter dem großen Schild, das den Ausgang markierte, hindurch. Dahinter standen diverse Taxifahrer und Autovermietungen, die auf Pappschildern die richtigen Gäste suchten. Auf einem dieser Schilder entdeckte Eleni ihren Namen. Sie winkte dem grauhaarigen Mann zu und bahnte sich durch das Gewusel den Weg.

»Jassas, hallo«, begrüßte sie den Mann freundlich.

»Ah, Sie sprechen Griechisch«, freute sich der Taxifahrer. Er lächelte breit. »Mavridakis.« Er tippte auf das Schild mit Elenis Nachnamen. »Hätte ich mir denken können. Kretische Wurzeln?«

Eleni wusste, dass ihr Name die typisch kretische Endung trug, die vermutlich durch die türkische Besatzung damals allen Bewohnern angehängt wurde – als Verniedlichungsform. Um sie klein zu machen, ihren Stolz zu brechen.

Als sie dem Taxifahrer nicht antwortete, sagte er: »Kommen Sie.« Er nahm ihr den großen Koffer ab und Eleni folgte ihm mit ihrem Handgepäck.

Vor dem Gebäude schlängelten sie sich zwischen den unzähligen Ankommenden und Abreisenden hindurch. Es grenzte an ein Wunder, dass am Ende des Tages alle Reisenden in diesem Chaos an ihr Ziel kamen. Die Tourismusbranche auf Kreta boomte. Es war keine Überraschung, dass immer mehr große Hotels entstanden.

»Sie sind nicht das erste Mal auf Kreta, oder?«, riss der Taxifahrer Eleni aus ihren Gedanken und versuchte es erneut mit etwas Small Talk. Er sprach weiter Griechisch mit ihr, der kretische Akzent klang zu vertraut in Elenis Ohren.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, bin ich nicht.«

Der Taxifahrer öffnete den Kofferraum seines Wagens, den er abenteuerlich zwischen den anderen Autos auf dem viel zu kleinen Parkplatz geparkt hatte. Er wuchtete beide Koffer hinein. »Für eine Griechin sind Sie aber nicht besonders gesprächig.« Er grinste.

»Halbgriechin«, korrigierte Eleni ihn. Sie seufzte und zuckte mit den Schultern. »Es tut mir leid, ich muss erst mal richtig ankommen. Das war eine anstrengende Reise.« Sie setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Wollen Sie ein Wasser? Ich bin übrigens Stavros.« Er hielt ihr eine gekühlte Flasche stilles Wasser entgegen, die er aus einer Kühlbox in seinem Kofferraum geholt hatte.

»Eleni.« Sie nahm Stavros die Flasche ab. »Danke.« Ihre Finger wischten über das feuchte Etikett. Zaros stand darauf. Das Wasser aus einer der Quellen im Gebirge. Und ein stiller Ort mit einem schönen See, den ihre Mutter liebte. Dahin hatte sie sich immer gern zurückgezogen, wenn sie mal ihre Ruhe gebraucht hatte.

Sie nahm einen großen Schluck. Wenn jemand behauptete, Wasser würde nicht schmecken, würde Eleni ihm widersprechen. Dieses Wasser schmeckte wie Nachhausekommen. Auch wenn es nicht mehr ihr Zuhause war.

Stavros ließ sein Fenster herunter und startete den Motor. Dann pfiff er laut. »Hey«, rief er einem Kollegen zu, während er hektisch mit seinem linken Arm aus dem Fenster winkte. »Mach mal Platz.« Einige lautstark ausgetauschte Worte später, die für Leute, die kein Griechisch verstanden, wie ein Streit geklungen haben mussten, manövrierte er das Taxi geschickt auf die Straße.

Wenig später bogen sie auf die Nationalstraße 90 ein. Die Straße im Norden von Kreta, die irgendwann von der sich im Bau befindlichen Autobahn Aftokinitodromos 90 ersetzt werden soll. Das und alles zum Bau des neuen Flughafens hatte Eleni vor ihrem Abflug nachgelesen, beides waren wichtige Faktoren, um auch den Tourismus auf der Ferieninsel weiter zu stärken.

»Machst du hier Urlaub?« Übergangslos wechselte Stavros ins Du.

Wieder schüttelte Eleni den Kopf. Doch dieses Mal fügte sie hinzu: »Ich werde hier arbeiten.« Sie bewunderte die unzähligen weiß und rosafarben blühenden Oleanderbüsche, die die Straße säumten. »In dem Hotel, in das wir fahren.«

»In einem dieser großen Bunker?« Seine Stirn legte sich in tiefe Falten. »So wichtig der Tourismus ist, aber diese überdimensionierten Anlagen zerstören unsere kostbare Natur.« Er schnalzte mit der Zunge. »Schau dir nur hier die Küste an. Ein Ferienort neben dem anderen.« Sein Blick verdüsterte sich. »Und gerade dort in Triopetra, wo dein Hotel steht, gab es sehr großen Widerstand gegen den Bau des Hotels.« Er beschleunigte und überholte eine Reihe von Lieferwagen, die in Deutschland dem Aussehen nach niemals durch den TÜV gekommen wären.

»Davon habe ich gelesen.« Eleni umklammerte den Haltegriff über ihrem Sitz. Die griechische Fahrweise hatte sie definitiv nicht vermisst. »Aber das Hotel bringt doch auch was Gutes. Viele neue Arbeitsplätze. Vielleicht entstehen ein paar neue Geschäfte, eine bessere Infrastruktur.«

Stavros lachte höhnisch. »Durch ein All-inclusive-Hotel? Da verlässt doch niemand die Anlage. Und was machen die Insulaner im Winter, wenn das Hotel keine Saison hat? Dann bleibt wieder nur das Arbeiten in den Olivenhainen und beten, dass man über die Runden kommt. Und die ganze Kohle schaufeln sich die Konzerne in den Rachen.«

Eleni schloss kurz die Augen. Tief im Inneren wusste sie, dass Stavros nicht unrecht hatte. Sie liebte ihren Job, sie liebte es, Gastgeberin zu sein, Gäste glücklich zu machen. Aber sie wusste natürlich auch um die Schattenseiten des Tourismus.

»Aber jetzt lass dir nicht von mir deinen ersten Tag auf unserer wunderschönen Insel vermiesen.« Stavros griff in die Ablage der Fahrertür und zog eine Bäckertüte hervor. »Ganz frische Kalitsounia.«

Eleni öffnete die Tüte. Ein verlockender Duft stieg ihr in die Nase. Sie fischte eines der mit süßem Frischkäse gefüllten Mürbeteiggebäcke heraus. »In Deutschland bekommt man einfach nicht die richtigen Zutaten dafür. All meine Versuche, Kalitsounia selbst zu backen, sind gescheitert.« Sie lachte leicht, brach ein kleines Stückchen ab und ließ es sich regelrecht auf der Zunge zergehen. »Wirklich lecker.«

»Vom besten Konditor der Gegend.«

»Lass mich raten: ein Cousin von dir? Oder vielleicht ein Schwager?« Eleni grinste.

Stavros lachte laut auf. »Woher weißt du das nur?« Er bog von der Hauptstraße auf eine deutlich engere Straße ab, die durch die Berge in den Süden zu Elenis Hotel führte. Auch wenn sie schon eine Stunde im Taxi saß, so würde die Fahrt etwa noch mal so lange dauern.

Kleine Bergdörfer säumten ihren Weg. Und Olivenbäume, so weit das Auge reichte.

»Hier hat sich die letzten zwanzig Jahre nichts geändert.« Eines aufkommenden Glücksgefühls konnte Eleni sich nicht erwehren.

»Ja, hier oben gibt es das ursprüngliche Kreta noch«, stimmte Stavros ihr zu. »Man könnte fast glauben, die Uhren sind stehengeblieben. Aber warte noch ein paar Kilometer, dann werden die Touristenbusse das landschaftliche Bild prägen.«

Nach fast zwei Stunden war es endlich so weit: Vor ihnen lag die Bucht von Triopetra. Aber noch war es ein ganzes Stück von der Anhöhe hinunter zum Meer.

Der Ausblick war fantastisch. Vor ihr das tiefe Blau des Meeres, am Horizont rechts die kleine Insel Gavdos, der südlichste Punkt Europas, links die zwei kleinen Inseln Paximadia, benannt nach einem traditionellen trockenen Brot, dem die Felsen ähnlich sehen sollen.

Das war also ihr neuer Arbeitsplatz. »Kannst du kurz anhalten?«

Stavros trat auf die Bremse und lenkte den Wagen auf einen Schotterplatz neben der Straße. »Von hier aus kannst du auch das Wahrzeichen von Triopetra sehen. Drei plattenförmig geschichtete Felsen, die ins Meer reichen.«

Eleni hatte die beeindruckende Gesteinsformation natürlich längst entdeckt. Früher war sie mehrmals dort und immer wieder aufs Neue fasziniert gewesen.

Die hoch am Horizont stehende Sonne spiegelte sich goldglänzend in der Oberfläche des Wassers. Der Wind zerzauste Elenis dunkle Locken, nur mühsam konnte sie sie mit ihren Händen bändigen.

Gleich war es so weit. Ihr neues Leben begann. Sie würde ein für alle Mal mit der Vergangenheit abschließen müssen.

Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus.

2

Eleni steckte die Zimmerkarte in die Tasche ihres Blazers. Frisch geduscht war sie bereit, ihre neuen Mitarbeiter und die Hotelanlage kennenzulernen.

Ihr Koffer lag geöffnet und dessen Inhalt zerwühlt auf dem Bett, sie hatte nur das Nötigste herausgesucht, um sich präsentabel herzurichten und ihr Outfit zu wechseln.

Sie strich die schwarze Hose glatt. Lieber wäre sie bei der bequemen Stoffhose vom Flug geblieben, aber für den ersten Eindruck musste es definitiv etwas Passenderes sein.

Gerade als sie die Türklinke herunterdrücken wollte, ließ ein Geräusch auf der Terrasse Eleni innehalten. Was war das? Es klang wie ein Miauen. Eigentlich hatte Eleni keine Zeit mehr, sie war in fünf Minuten mit Giorgos Stammatakis, dem Assistent General Manager des Hotels und somit ihrem direkten Stellvertreter, verabredet. Noch mal ein beinahe elendig klingendes Miauen. Eleni ließ den Türgriff los. Sie musste nachsehen.

Sie zog den Vorhang zur Seite. Davor saß ein schwarz-weißes Fellbündel, das sie mit großen Kulleraugen ansah. Vorsichtig schob Eleni die Terrassentür auf und beugte sich zu dem kleinen Wesen.

»Wer bist du denn?« Sie hielt ihre Hand behutsam in die Richtung der Katzennase. Die Kleine begann sogleich, daran zu schnuppern und ließ sich dann bereitwillig streicheln. Als Eleni durch das Fell fuhr, bemerkte sie, wie abgemagert die Katze war.

»Komm rein.« Eleni gab den Zugang zu ihrem Appartement frei. Sofort schlüpfte die Katze durch den Spalt und rollte sich auf dem Teppich ein.

Eleni hatte beschlossen, in der Hotelanlage zu wohnen. Das war deutlich einfacher, als eine Wohnung in der Umgebung zu suchen. Und wahrscheinlich würde sie ohnehin so viel arbeiten müssen, dass sie kaum Zeit zu Hause verbringen würde. Daher hatte sie eines der Appartements bezogen, die aus einem Schlafzimmer, einem kleinen Wohnzimmer und einer Küchenzeile bestanden.

»Hast du Durst?«, fragte Eleni die Katze, wohlwissend, dass sie keine Antwort erwarten konnte.

In dem Küchenschrank suchte sie eine Schüssel, füllte sie mit Wasser und stellte sie vor das Kätzchen. Umgehend machte sich das Tier über das Wasser her, als hätte es seit Ewigkeiten nichts mehr getrunken.

Eleni kniete sich neben das kleine Wesen. Sie wusste, dass es unzählige streunende Katzen auf Kreta gab und dass die Einheimischen sie eher als Plage denn als Haustiere sahen. Das Verhältnis zu Katzen und auch Hunden war ein ganz anderes, als sie es aus Deutschland gewohnt war. Aber wie konnte man ein so süßes Tier einfach seinem Schicksal überlassen? Hunger, Durst, Gefahren durch die Autos. Eleni wollte gar nicht daran denken.

»Ich würde dir auch gern etwas zu Essen anbieten, aber außer ein paar übriggebliebenen Keksen habe ich nichts hier.« Eleni kraulte das Kätzchen unter dem Kinn, was mit einem wohligen Schnurren erwidert wurde. »Aber ich werde dir ganz bald etwas besorgen. Versprochen.« Als hätte die Katze sie verstanden, sah sie Eleni mit ihren grünen Augen an. »Ich glaube, ich nenne dich Gataki, für Kätzchen.« Sie lächelte und strubbelte der Kleinen durchs Fell. »Ich muss jetzt leider ganz dringend los. Ich bin schon etwas spät dran.«

Sie ließ die Terrassentür einen Spaltbreit offen, damit Gataki wieder hinauskonnte, wenn sie wollte. Eleni hoffte, dass das Kätzchen in ihrem Zimmer kein Chaos anrichten würde. Ansonsten lag ihr Appartement so weit abseits, dass hoffentlich niemand unerlaubt das Zimmer betreten würde.

Als sie in der Hotellobby ankam, wartete dort ein großgewachsener muskulöser Mann mit dunklen Haaren und Dreitagebart, der kein besseres Klischee eines Griechen hätte abgeben können.

Eleni straffte die Schultern und ging auf den Mann zu. »Sie müssen Giorgos Stammatakis sein«, sprach sie ihn auf Griechisch an. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.

Er nickte und ergriff überrumpelt ihre Hand.

»Ich bin Eleni Mavridakis. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Ah.« Er setzte ein gekünstelt wirkendes Lächeln auf. »Und ich dachte, die Deutschen wären immer so pünktlich.«

»Entschuldigen Sie. Ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Eleni sah ihm fest in die Augen. »Aber von mir aus können wir jetzt los. Ich bin gespannt auf den Club. Der erste Eindruck ist zumindest schon mal sehr positiv.«

Um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, ließ Eleni ihren Blick durch die lichtdurchflutete Lobby gleiten. Verschiedene Grautöne und helles Holz versprühten ein modernes, maritimes Flair. Dekorelemente in typisch griechischem Blau setzten Akzente.

»Der Rest wird Ihnen auch gefallen.« Giorgos nickte Eleni zu. »Gegenüber der Rezeption ist unser Hauptrestaurant.« Er deutete auf eine geschlossene Tür. »Vielleicht gehen wir hier zuletzt vorbei.« Dann ging er auf eine Treppe zu. »Hier hinunter kommen wir zum Poolbereich. Wir haben drei Pools, das Highlight ist sicherlich der Infinity Pool mit Meerwasser.«

Eleni versuchte, sich so viel wie möglich von der Anlage einzuprägen, was angesichts der Größe nicht leicht war.

Während sie einen Weg entlang gingen, der zum westlichen Ende des Clubs zu führen schien, schallte ihnen lauter werdende Musik entgegen. Die Wegweiser verrieten bereits, dass sie sich auf dem Weg zum Fitnessbereich befanden, wo täglich bis zu sieben Sportkurse für die Gäste angeboten wurden.

»Dieser Bereich liegt am Ende des Clubs. Wegen der lauten Musik sind hier keine Zimmer mehr«, erklärte Giorgos. »Der vorhin erwähnte Infinity Pool befindet sich daher am anderen Ende, speziell in einem Ruhebereich.«

Am Fitnessbereich angekommen, fiel Elenis Blick sofort auf die sportliche Blonde auf der Bühne, die offensichtlich den Kurs leitete. Im Rhythmus lateinamerikanischer Klänge bewegte sie sexy ihre schmalen Hüften.

Eleni zog scharf die Luft ein. Wie konnten sich die teilnehmenden Frauen bei diesem reizvollen Anblick darauf konzentrieren, die Übungen nachzumachen?

»Und jetzt gebt noch mal alles!«, motivierte die junge Frau ihre Tänzerinnen.

Ihr blonder Pferdeschwanz hüpfte auf und ab. Sie strahlte so mitreißend, dass Eleni, die mit Zumba nichts am Hut hatte, Lust bekam, mitzumachen.

Die Musik verklang. »Jetzt habt ihr euch eine kleine Pause verdient. Trinkt was, es ist heiß heute«, forderte die junge Frau ihre Teilnehmerinnen auf.

»Schöner Meerblick, nicht wahr?«, sagte Giorgos, der Elenis Blick missdeutet haben musste.

Eleni, die immer noch von der blonden Frau wie hypnotisiert war, räusperte sich. Erst jetzt bemerkte sie, dass man als Teilnehmer tatsächlich einen atemberaubenden Meerblick hatte. Hinter der Bühne konnte man sehen, wie die Wellen sich auftürmten und auf den Strand zurollten. So machte Sport deutlich mehr Spaß.

Die Animateurin drehte Eleni kurz den Rücken zu und beugte sich nach ihrer Wasserflasche. Eleni fächerte sich Luft zu. Wenn man vom Sport so verführerische Beine bekam, sollte sie Bewegung vielleicht doch etwas regelmäßiger in ihren Tagesablauf einbauen.

Als sich die Frau in Elenis Richtung umdrehte, trafen sich ihre Blicke. Nur für einen kurzen Moment, dann setzte die Musik wieder ein. Das Programm ging weiter.

»Sollen wir los?«, fragte Giorgos, der Elenis Begeisterung für den Fitnesskurs offensichtlich nicht teilte.

»Wer ist diese Animateurin?«, fragte Eleni auf dem Weg zurück, dabei um einen möglichst neutralen Tonfall bemüht. Sie musste diese Frau schnellstmöglich kennenlernen. Vielleicht hielt der neue Job doch mehr als nur Arbeit für sie bereit.

»Johanna Henk heißt sie. Glaube ich. Sie ist noch nicht lange hier.«

»Die Gäste scheinen sie zu mögen.«

Giorgos zuckte mit den Schultern. Für ihn war das Thema damit erledigt. »Möchten Sie sonst noch etwas sehen?«

»Das Restaurant und die Küche. Das kann ich aber auch gern allein machen«, erwiderte Eleni. Großes Interesse schien Giorgos an seiner Aufgabe ohnehin nicht zu haben.

»Wie Sie möchten.«

»Ist für heute Abend alles arrangiert?« Eleni hatte gebeten, ein kleines Kennenlernevent zu organisieren, damit sie sich bei allen Mitarbeitern vorstellen konnte.

Giorgos nickte. »Es sollte alles nach Ihrem Plan vorbereitet sein.«

»Sehr gut. Danke. Und noch etwas . . .« Eleni blieb vor der Tür zum Restaurant stehen. »Könnten Sie vielleicht organisieren, dass ich in den nächsten Tagen jeden Mitarbeiter persönlich in meinem Büro sprechen kann?«

Für einen winzigen Moment hatte Eleni den Eindruck, Giorgos würde die Augen verdrehen, bevor er antwortete: »Dafür haben Sie eine Sekretärin. Dionysia wird das sicherlich gern arrangieren. Sie müsste auch gleich kommen. Ich werde sie bitten, sich umgehend bei Ihnen zu melden.«

Eleni nickte. Sie hatte noch nicht ganz verinnerlicht, dass sie nun die Chefin war und selbstverständlich eine Sekretärin für sie zu dieser Aufgabe gehörte. »Apropos. Ich würde dann auch gleich gern mein Büro sehen.«

Giorgos schnalzte mit der Zunge. »Natürlich, wenn wir mit dem Restaurant fertig sind, zeige ich Ihnen auch gern noch Ihr Büro.«

»Hallo.« Ein Mann in weißer Kochkleidung, der dabei war, Speisen auf dem Buffet zu arrangieren, blickte zu Eleni hoch, als sie das Restaurant betrat. Er ließ ihr keine Zeit, sich über Giorgos Art zu ärgern, denn er lächelte freundlich. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Eleni Mavridakis«, stellte sie sich vor. Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Er schien sofort zu wissen, wen er vor sich hatte.

»Das freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Alexandros Kourkataki, der Chefkoch hier.« Er deutete mit einer Geste über das ausladende Buffet. »Ich hoffe, wir können hier in Zukunft gemeinsam noch einiges optimieren.«

Eleni strich eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr. »Dafür bin ich hier. Wenn Sie konkrete Wünsche oder Ideen haben, freue ich mich immer, davon zu hören.«

Alexandros nickte. »Sagen wir mal so: Oft machen es mir die eingekauften Lebensmittel nicht leicht, aus der minderen Qualität etwas Großartiges zu zaubern.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Über die letzten Monate hat da einiges nachgelassen.«

In ihrem Geiste machte sich Eleni sofort eine Notiz, dass sie das überprüfen musste. Die Rezensionen der letzten Monate deuteten ebenfalls darauf hin, dass das Essen an Qualität nachgelassen hatte. Ganz bestimmt ein Punkt, der verbessert werden musste.

»Möchten Sie vielleicht schon etwas essen?« Alexandros nahm einen der Teller, die sich neben dem Buffet stapelten.

Beim Anblick der Speisen kam Eleni ihre kleine Besucherin von heute Morgen in den Sinn. »Ich würde gern ein bisschen was mitnehmen.«

»Gern, was darf ich Ihnen denn zusammenstellen?«

»Haben Sie etwas ungewürzten Fisch oder Hähnchen?«

Alexandros legte den Kopf schief. »Selbstverständlich. Sonst noch etwas?«

»Frisches Obst und Gemüse. Dann kann ich von allem den puren Geschmack probieren.« Dass Eleni den Fisch und das Fleisch für Gataki brauchte, verschwieg sie natürlich. Aber sie musste dem Kätzchen ja etwas zu essen mitbringen, und Katzenfutter konnte sie heute nicht mehr kaufen. »Ich würde dann alles abholen, wenn wir mit unserem Rundgang fertig sind.«

»Selbstverständlich.«

»Und ich werde mir zeitnah die Unterlagen der Einkäufe ansehen«, fügte sie hinzu.

Alexandros lächelte. »Das würde mich freuen. Für den Empfang heute Abend habe ich ein paar besondere Häppchen vorbereitet und einen köstlichen Nachtisch.« Er zwinkerte ihr zu. »Lassen Sie sich überraschen.«

Als sie wieder in das Foyer kamen, wartete dort bereits eine kleine Frau mittleren Alters.

»Darf ich vorstellen? Dionysia Daskalakis, Ihre Sekretärin«, stellte Giorgos vor.

»Freut mich sehr.« Eleni streckte ihr ihre Hand entgegen.

Dionysia ergriff sie beherzt. »Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Ich habe schon für Ihren Vorgänger gearbeitet, wenn Sie also Fragen haben, kann ich Ihnen bestimmt weiterhelfen.« Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht.

Eleni war schnell sicher, eine loyale Mitarbeiterin in ihr zu haben. »Vielen Dank. Für heute wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir kurz mein Büro zeigen würden, damit ich morgen früh direkt starten kann.«

»Natürlich.« Dionysia nickte.

»Dann lass ich Sie beide jetzt allein«, verabschiedete sich Giorgos ganz offensichtlich erleichtert darüber, dass er von seiner Aufgabe endlich entbunden war.

3

»Rate, wer vorhin bei meinem Zumbakurs war.« Johanna warf ihre Tasche mit dem verschwitzten T-Shirt auf ihr Bett und sah erwartungsvoll zu Mirena.

»Wer?« Ihre Mitbewohnerin runzelte die Stirn.

»Die neue Chefin.« Johanna grinste breit. »Übrigens eine ziemlich attraktive Chefin.«

»Hat sie mitgemacht?« Mirenas Interesse war geweckt. »Wie alt ist sie? Wie sieht sie aus?«

Johanna lachte, während sie sich ein Glas Wasser eingoss. »Natürlich hat sie nicht mitgetanzt, auch wenn sie bestimmt eine gute Figur gemacht hätte. Sie war mit diesem schleimigen Giorgos Stammatakis dort. Wahrscheinlich hat sie sich das Hotel angesehen.« Sie nahm einen großen Schluck. »Aber zumindest hat sie mir interessierte Blicke zugeworfen. Und alles andere wirst du ja gleich bei dem Empfang sehen.« Es war Johanna nicht entgangen, dass sie ziemlich eingehend gemustert worden war.

»Du willst doch nicht deine neue Chefin verführen.« Mirena sah Johanna mit geweiteten Augen an.

Johanna stellte ihr Glas in die Spüle. »Keine Sorge. Ich werde in nächster Zeit ganz sicher niemanden mehr verführen.« Die Leichtigkeit, die sie bis eben gespürt hatte, war plötzlich wie weggeblasen. Zu schnell kamen all die Erinnerungen wieder. »Ich habe erst mal keinerlei Interesse an Beziehungen oder irgendwelchen Verwicklungen.« Diesen Fehler würde sie sicher kein zweites Mal begehen.

Mirena nickte. Sie hatte sich oft Johannas Liebeskummer in den letzten Wochen, seit sie auf Kreta war, anhören müssen, auch wenn Johanna ihr keine Details erzählt hatte. »Aber wenn sie was fürs Auge ist, hat sie dem ehemaligen Chef definitiv schon mal was voraus.«

»Ich dachte, du stehst auf Männer.« Johanna griente leicht.

Mirena zuckte mit den Schultern. »Stimmt.« Sie lachte. »Blind bin ich trotzdem nicht. Und ich hoffe sehr, dass sie sich nicht nur optisch von unserem alten Chef unterscheidet. Du kannst echt froh sein, dass du ihn nicht mehr kennengelernt hast.«

»Mir reicht Giorgos schon als vorübergehende Leitung des Clubs. Er mag vielleicht optisch ein gutsausehender Kerl sein, aber seine Art ist kaum zu ertragen.« Johanna holte das Shirt aus ihrer Tasche und warf es in den Wäschekorb.

»Ich muss zugeben, Giorgos ist durchaus ansehnlich, ein typischer Grieche eben.« Mirena nickte leicht. »Aber mir ist schon klar, dass du wohl doch eine Griechin bevorzugen würdest. Also, erzähl, wie sieht die Neue aus?«

»Sehr dunkle, lange Haare, wenn ich es richtig gesehen habe, braune Augen, schlank, etwas größer als ich. Reicht das?«

Mirena lachte. »Fürs Erste ja. Hauptsache, sie wird eine gute Chefin.«

»Ich habe ein gutes Gefühl. Sie wirkt sehr nett und umgänglich.«

»Also ich würde mir wünschen, dass sie unsere harte Arbeit anerkennt und uns nicht nur für die Gästeunterhalter hält, die den ganzen Tag in der Sonne sitzen.«

Johanna legte einen Arm um Mirena. Für die rumänische Tänzerin hatte es trotz ihres Talents keine Möglichkeit gegeben, in ihrer Heimat mit ihrem Beruf Geld zu verdienen. Was das anging, hatte Johanna sehr viel mehr Glück gehabt.

Bis . . .

Sie wischte den Gedanken sofort beiseite. »Ich denke, sie wird eine faire Chefin, die die Arbeit aller anerkennt. Das kleine Event heute Abend ist doch schon mal ein gutes Zeichen.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Weißt du schon, was du gleich anziehst?«

»Bevor ich irgendetwas anziehe, muss ich erst mal duschen.«

Mirena warf einen Blick auf die Uhr. »Wenn wir noch was essen wollen, musst du dich aber beeilen.«

»Straffer Zeitplan heute mal wieder.« Johanna seufzte.

Daran hatte sie sich noch nicht gewöhnt. Zwar hatte sie, bevor sie zugegebenermaßen recht überstürzt als Tänzerin und Animateurin nach Kreta gekommen war, auch viel gearbeitet, aber irgendwann hatte sie Feierabend gehabt. Hier war sie von morgens bis abends im Einsatz, denn nach dem Kennenlernevent stand die abendliche Party mit den Gästen an. Und am Morgen musste sie dann wieder ihren Yogakurs geben.

»Ich beeile mich. Die erste Rede unserer neuen Chefin wollen wir doch nicht verpassen.«

4

Als Eleni den großen Konferenzraum betrat, hatten sich bereits zahlreiche Mitarbeiter um die Stehtische versammelt.

Gleich an der Tür wurde sie mit einem »Da sind Sie ja schon« von Giorgos abgefangen, noch ehe sie sich richtig hatte umsehen können.

Zumindest verhinderte er damit, dass Eleni sich überlegen musste, ob und mit wem sie ein Gespräch anfing.

Gemeinsam mit ihm trat sie in den Saal. Stickige Luft empfing sie. Offensichtlich hatte jemand vergessen, die Klimaanlage einzuschalten.

»Es müssten bald alle Gäste anwesend sein«, sagte Giorgos.

Unzählige Beschäftigte sahen sie mal verstohlen, mal unverhohlen an, während sie mit Giorgos zu dem kleinen Podest ging, neben dem zwei Lautsprecherboxen standen. Das Interesse an der neuen Chefin war deutlich erkennbar.

Eleni strich ihren schwarzen Blazer glatt.

Adrett in weißen Hemden gekleidete Kellner liefen durch die Menge und verteilten unter den Anwesenden Gläser mit Sekt sowie die von Alexandros angekündigten Häppchen. Eleni und Giorgos nahmen sich ein Glas, als eine Kellnerin direkt vor ihnen stehenblieb.

»Ist das alles so, wie Sie es sich vorgestellt hatten?« Giorgos biss in eine gefüllte Spinattasche, die er sich ebenfalls vom Tablett genommen hatte.

»Nai, ja. Efchraristo poli, vielen Dank.« Eleni lächelte ihm zu.

Wenn sie ehrlich war, hätte sie die Tische im Raum anders arrangiert und hätte den Saal eher in Blautönen als in Rot geschmückt. Aber hätte sie alles ohne fremde Hilfe organisieren wollen, wäre es unmöglich gewesen, direkt am Abend ihrer Ankunft dieses Event zu veranstalten. Also hatte sie in den sauren Apfel beißen und die Aufgabe Giorgos übertragen müssen.

»Darf ich mich vorstellen?« Eine ältere Dame kam auf Eleni zu. Sie stellte sich als die Leiterin des Housekeepings vor.

Das war der Anfang von mehreren kurzen Gesprächen, die meist nicht über ein paar Belanglosigkeiten hinausgingen. Eleni hatte jetzt schon Mühe, sich alle Namen zu merken.

Irgendwann waren die ersten Tabletts mit Sekt und Häppchen leer. »Ich denke, ich sollte langsam mal meine kurze Vorstellungsrede halten«, sagte Eleni an Giorgos gerichtet. Ihre Schultern schmerzten, und erst jetzt bemerkte sie, wie sehr sie die Muskeln angespannt hatte.

Sie atmete kurz durch und betrat die Bühne.

Souverän hielt sie ihre Rede, die sie mit einem »Auf unsere Zusammenarbeit!«, beendete. Sie hob ihr Glas an und prostete den applaudierenden Mitarbeitern zu. Vorsichtig nippte sie an dem Sekt. Er war bereits schal geworden und schmeckte nicht mehr.

Sie stieg von der Bühne herab und stellte ihr Glas auf einen Stehtisch. Normalerweise trank sie nur sehr selten Alkohol, aber ein Glas eignete sich hervorragend, um sich daran festhalten oder in peinlichen Gesprächspausen einen kleinen Schluck nehmen zu können. Daher entschied sie sich, Nachschub zu holen.

Erst, als sie sich an die improvisierte Bar gestellt hatte, erkannte sie, wer vor ihr stand: Johanna Henk.

Als hätte die Animateurin ihre Gedanken gelesen, drehte sie sich zu Eleni um. Aus der Nähe sah sie noch besser aus. Ihre grünen Augen schimmerten in dem dämmrigen Licht des Konferenzraums.

»Oh«, entfuhr es der jungen Frau überrascht. Offensichtlich hatte sie nicht mit Eleni gerechnet.

»Schön, Sie persönlich kennenzulernen. Ich denke, ich muss mich nicht noch einmal vorstellen.« Eleni bemühte sich um ein unverfängliches Lächeln, aber sie war sich sicher, dass sie, wenn sie sich in diesem Moment im Spiegel gesehen hätte, albern wirkte.

»Das stimmt.« Johanna drückte Eleni ein Glas in die Hand, das sie gerade ergattert hatte. »Ich bin Johanna Henk, Tänzerin und Animateurin hier. Aber das haben Sie ja vorhin schon gesehen.« Sie zwinkerte Eleni zu, die merkte, wie sie rot anlief. »Ich muss leider schon wieder los, auch wenn ich sehr gern noch ein bisschen mit Ihnen plaudern würde. Gleich ist die Gästeparty.«

»Was halten Sie davon, wenn Sie dafür morgen früh um elf Uhr in mein Büro kommen? Dann können wir uns noch ein bisschen unterhalten.« Eleni wurde heiß. Hatte sie das gerade eben wirklich gesagt? Hatte sie Johanna tatsächlich zu sich eingeladen? »Also, zum Mitarbeitergespräch«, fügte sie daher stammelnd hinzu. »Dazu wird die nächsten Tage jeder eingeladen.«

Kleine Grübchen bildeten sich auf Johannas Wangen. »Sehr gern. Ich werde direkt nach meinem Yogakurs kommen. Vielleicht wird es fünf Minuten später. Der Kurs geht bis fünf vor elf.« Sie prostete Eleni zu. »Dann noch einen schönen Abend und bis morgen. Ich freue mich.«

Ehe Eleni etwas erwidern konnte, verschwand Johanna in der Menge.

Die griechische Sonne musste ihr das Hirn vernebelt haben. Oder der Sekt. Sie nahm einen weiteren Schluck. Jetzt war es ohnehin zu spät.

5

Die Zahlen verhießen nichts Gutes. Überhaupt nichts. Eleni starrte auf die geöffnete Exceltabelle und verglich sie mit den Papierausdrucken, von denen sie die Werte weitestgehend übernommen hatte. Die Buchführung war in jedem Fall optimierbar, bisher war alles in verschiedenen Dateien und Ordnern verstreut. Kein Wunder, dass der geschasste Chef keinen Durchblick mehr gehabt hatte.

Zwar hatte man ihr erklärt, dass der Club eine neue Leitung benötigte, da zuletzt die Bilanzen immer schlechter geworden waren. Aber dass die Buchungszahlen so weit in den Keller gegangen waren, das hatte man ihr verschwiegen. Ebenso wie die unzähligen Beschwerden der Kunden.

Natürlich hatte Eleni auf den einschlägigen Bewertungsportalen gesehen, dass auch hier in den letzten Monaten die Meinungen zunehmend ins Negative tendierten. Und es gab unzählige Kunden, die direkt beim Konzern ihren Unmut über den brandneuen Club kundgetan hatten. Nicht mal einem Jahr nach der Eröffnung war dem ehemaligen Hotelmanager bereits alles entglitten.

Dazu kam, dass auf der anderen Seite die Kosten zunehmend gestiegen waren. Natürlich war Eleni bewusst, dass alles empfindlich teurer geworden war. Egal ob die Kosten für Energie, die Kosten für Lebensmittel und natürlich auch für das Personal. Dennoch überstiegen die Zahlen das Erwartete erheblich. Eine Preissteigerung in diesem Maße musste hinterfragt werden, Eleni musste den Gründen genauer auf den Grund gehen.

Sie kaute auf dem Rotstift herum. Es würde deutlich mehr Arbeit auf sie zukommen, als sie erwartet hatte. Sollte sie das wirklich angehen oder jetzt noch einen Rückzieher machen? Die miserable Bilanz war eindeutig ein weiteres Argument, das gegen ihre Anwesenheit auf dieser Insel sprach. Warum hatte sie das Angebot nur angenommen? Sie griff nach ihrer Kaffeetasse. Sie hätte ihrer Intuition vertrauen sollen.

Ein Klopfen an ihrer Tür ließ sie zusammenzucken. Der Kaffee schwappte bedrohlich nah an den Rand. »Ja, bitte?«

Erst in der Sekunde, als ihre Sekretärin die Tür einen Spalt breit öffnete, fiel ihr ihr Termin wieder ein. Die Zeit war so rasant vergangen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass es bereits elf Uhr war.

»Frau Henk sagt, Sie hätte heute einen Termin bei Ihnen«, sagte Dionysia.

»Ja, entschuldigen Sie, das habe ich ganz vergessen, Ihnen heute Morgen mitzuteilen.«

Dionysia öffnete die Tür weiter, sodass Johanna hindurchschlüpfen konnte.

Gedanklich machte sich Eleni eine Notiz, dass sie mit Dionysia besprechen würde, Besuche telefonisch anzukündigen. Dann musste ihre Sekretärin nicht jedes Mal ihren Arbeitsplatz verlassen.

Johanna hatte ihre Haare mit einem Stirnband gebändigt und trug für Elenis Konzentration eindeutig zu enge Sportklamotten.

Ach ja, der Yogakurs, erinnerte sie sich.

»Setzten Sie sich doch«, fand Eleni zu ihrer Professionalität zurück. »Möchten Sie etwas trinken?«

Johanna nickte. »Ja gern, ein Wasser vielleicht.«

Eleni griff nach dem Telefon und bat Dionysia, zwei Gläser Wasser zu bringen.

Immerhin hatte Eleni am Morgen daran gedacht, Johannas Personalakte herauszusuchen. Dass auch das eigentlich Aufgabe ihrer Sekretärin war, musste sie noch verinnerlichen. So einen Komfort war sie bisher nicht gewöhnt.

Nun schlug sie den dünnen Hefter auf. Digitalisierung war in diesem Club in weiten Teilen ein Fremdwort. »Ich habe gesehen, dass Sie hier fast genau so neu sind wie ich. Erst vor drei Wochen gekommen.«

»Ja, das stimmt.« Johanna schlug die Beine übereinander. »Auch wenn es mir schon wie eine Ewigkeit vorkommt.«

Eleni überflog die weiteren Zeilen des Lebenslaufs. Wie hatte sie nur so nachlässig sein können? Warum hatte sie nicht alles vorab studiert? Unvorbereitet in ein Gespräch zu gehen war ganz und gar nicht ihre Art. »Jetzt müssen Sie mir aber mal erklären, wie eine Frau mit Ihren beruflichen Qualifikationen und Ihrem Werdegang in einem Club als Animateurin landet. Das ist ja wie ein Sechser im Lotto für uns.«

Johanna lächelte, aber ihre Augen blieben ausdruckslos. Offensichtlich keine Frage, die sie gern hörte. »Es war eine ziemlich spontane Entscheidung.« Sie verknotete ihre Finger ineinander. »Private Gründe.«

In diesem Moment brachte Dionysia das Wasser.

Als ihre Sekretärin das Büro wieder verlassen hatte, wiederholte Eleni: »Private Gründe.« Sie wartete, ob noch mehr von Johanna kam, doch die fixierte wie gebannt die Hände in ihrem Schoß.

In diesem Moment wirkte sie so ganz anders als am gestrigen Tag. Die Energie, die sie bei ihrem Kurs versprüht hatte, die flirtende Art gestern Abend, waren mit einem Mal verschwunden. Eleni spürte den Drang herauszufinden, was sich dahinter verbarg, welches Geheimnis Johanna hatte. Aber sie spürte auch, dass sie momentan auf diese Fragen keine Antwort erhalten würde.

»Tanz-Studium an der Folkwang Universität der Künste, Athletiktrainerin und Mit-Choreografin am Bundesstützpunkt Eislaufen, zuletzt noch eine Ausbildung zum Mental Coach. Wirklich beeindruckend. Die Ausbildung zum Fitnesstrainer B will ich gar nicht erst erwähnen. Langweilen Sie sich hier nicht?«

Johanna schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Es gibt sehr viel zu tun. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Die Sportkurse, die Bühnenshows und selbstverständlich der Kontakt zu den Gästen.«

Eleni musste schmunzeln. Johannas Worte klangen wie in einem Bewerbungsgespräch. Und wahrscheinlich war es das für Johanna auch in gewisser Weise. »Ich denke, wir können uns mehr als glücklich schätzen, eine so überaus qualifizierte Mitarbeiterin in unserem Team zu haben.« Sie suchte Johannas Blick, und als sie ihn endlich fand, begannen auch Johannas Augen wieder zu strahlen.

»Danke für das Kompliment und das Vertrauen. Ich werde mein Bestes geben.«

Ein vergessenes Kribbeln breitete sich in Elenis Magengegend aus. Was war das? Sie konnte sich kaum von Johannas Augen lösen. Etwas an Johanna zog sie in ihren Bann. Es war nicht nur das Äußerliche, nicht nur die kurzen blonden Haare, die grünen Augen, die zierliche und sportliche Figur. Ohne Frage war Johanna absolut ihr Typ.

Nein, es war etwas anderes. Eleni wollte hinter Johannas Fassade blicken, ergründen, was in dieser Frau vor sich ging.

Doch das war keine gute Idee. Sie hatte hier eine Aufgabe zu erfüllen und damit mehr als genug Probleme. Gefühle zu entwickeln, stand sicher nicht auf ihrer Agenda.

Mit ihrem Finger fuhr Eleni die Zeilen des Lebenslaufs erneut ab, als könnte sie das von dem plötzlichen Herzklopfen ablenken.

Als sie von den Unterlagen aufsah, schaute Johanna sie immer noch an. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Wir hatten alle ein bisschen Sorgen, wie die neue Chefin sein würde. Aber ich denke, das war völlig unbegründet.«

»Warten wir es ab.« Eleni musste lachen.

Auf Johannas Gesicht tanzten vergnügt die Sommersprossen. »Vielleicht möchten Sie ja mal irgendwann in meinen Kurs kommen.«

»Das wollen Sie nicht wirklich. Zum Tanzen habe ich keinerlei Talent.«

Johanna ließ ihren Blick unverhohlen über Elenis Körper gleiten. »Aber zumindest sehen Sie sportlich aus. Da ließe sich bestimmt was machen. Bisher habe ich noch jeder etwas beibringen können.«

Eleni hob eine Augenbraue. Flirtete Johanna mit ihr? »Darüber sollten wir ein anderes Mal reden. Auch wenn ich unser Gespräch sehr genossen habe«, sie klopfte auf den Stapel Papiere, die auf ihrem Schreibtisch lagen, »verlangt mein erster Arbeitstag leider noch sehr viel von mir.«

»Mich hat es auch sehr gefreut.« Schwungvoll sprang Johanna von ihrem Stuhl, sodass er ins Wanken geriet.

Eleni wünschte sich, nicht nur diesen Elan zu haben, sondern auch diese ausgesprochen aufrechte Körperhaltung und diese durchtrainierte Figur. Beneidenswert.

Als Johanna die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, sank Eleni in ihren Stuhl zurück. Was war los mit ihr? Warum waren ausgerechnet jetzt ihre Hormone aus dem jahrelangen Tiefschlaf erwacht?

Das beste Mittel dagegen war, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Das hatte immer funktioniert. Wenn sie nicht in den nächsten Monaten das Hotel retten würde, könnten sie sich ohnehin alle zur neuen Saison einen neuen Job suchen.

Sie schaltete den Bildschirm wieder ein, der zwischenzeitlich in den Stand-by-Modus gewechselt hatte. Die Rettung des Clubs hatte oberste Priorität. Ein erster Schritt war es, den negativen Bewertungen auf den Grund zu gehen, vor allem, was Essen und Service anging.

Eleni griff zum Telefon und wählte die Durchwahl ihrer Sekretärin. »Könnten Sie bitte für heute Nachmittag die Food & Beverage-Managerin und den Restaurantleiter einbestellen? Getrennt voneinander? Und mir die Personalakten heraussuchen?« Die Namen der beiden hatte Eleni vergessen. Wie alle anderen hatte sie sie am letzten Abend kennengelernt, doch es waren einfach zu viele Mitarbeiter gewesen, um sich alle einzuprägen.

6

»Kalimera, Stefanos. Guten Morgen. Kannst du mir bitte ein Wasser geben?« Johanna lehnte sich an die Poolbar. Sie musste gegen die Bässe, die aus den Boxen dröhnten, anschreien.

Der Kellner, der fast jeden Morgen hinter der Bar stand, lächelte ihr zu und schob ihr kurz darauf ein Glas Wasser entgegen.

Bereits zu dieser frühen Stunde saßen zahlreiche Hotelgäste mit einem Bier oder einem Cocktail an den Tischen, die um die Pools verteilt standen. Es würde für Johanna immer ein Rätsel bleiben, wie man schon vor dem Mittagessen Alkohol trinken konnte.

Ihr Kollege David hatte sich unter die Urlauberinnen gemischt und schien mit jeder Frau zu flirten. Johanna wusste, dass er schwul war. Trotzdem beherrschte er das Spiel mit den Gästen perfekt. Alle fühlten sich von ihm angehimmelt, sie lagen David förmlich zu Füßen. Seine Flirts sorgten für Entspannung, Freude und Gelassenheit. Genau das, wofür die Gäste diesen überteuerten Club buchten.

Johanna hätte freiwillig niemals so eine Art von Urlaub gemacht. Sie wäre eindeutig Individualreisende.

Sie nippte an ihrem Wasser, während sie das ausgelassene Treiben im Pool beobachtete. Zwei Teams spielten gegeneinander irgendeine Art Ballspiel, das einer der Animateure schreiend dirigierte. Die Urlauber grölten, das Wasser spritzte. Alle schienen Spaß zu haben.

Johanna war froh, dass sie zu den Tänzerinnen gehörte und für das Sport- und Bühnenprogramm verantwortlich war und nicht für solche dämlichen Spiele.

Die Sonne brannte auf ihren Armen. Sie stellte sich ein Stückchen näher an die Bar, um etwas von dem Schatten abzubekommen.

Hätte sie Eleni mehr preisgeben müssen? Hätte sie ihr von Valentina erzählen sollen und was vorgefallen war? Warum sie tatsächlich ihren Job gewechselt hatte?

Nein, das ging Eleni nichts an. Das ging niemanden etwas an. Sie hatte den Abstand von dem ganzen Trubel gebraucht, den sie verursacht hatte. Alles wieder aufzuwärmen, konnte sie nicht gebrauchen.

Eleni.

Johanna seufzte. Warum musste die neue Chefin so attraktiv sein? Die unfassbaren dunkelbraunen Augen, die so viel Geheimnisvolles ausstrahlten. Die dunklen Locken, die trotz aller Bändigungsversuche mit Haargummis und Haarspangen in alle Richtungen standen und so gar nicht zu der so kontrollierten Art und zu dem Businessoutfit passten.

»Kenne ich dich nicht irgendwo her?« Ein junger Mann mit deutlicher Fahne stand plötzlich neben ihr. Er war mindestens einen Kopf größer und deutlich breiter. Wie die meisten im Club war er Deutscher und machte sich gar nicht erst die Mühe herauszufinden, ob Johanna überhaupt Deutsch sprach. Er legte seine Hand ungefragt auf ihren Unterarm.

»Ich bin Tänzerin und Animateurin hier.« Johanna bemühte sich um ein professionelles Lächeln. Immer höflich zu den Gästen sein. Das wurde ihr vom ersten Tag an eingebläut.

Der Gast schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine, ich kenne dich irgendwo anders her.«

Johanna wurde heiß und kalt gleichzeitig. Jetzt bloß keinen Fehler machen. Sie straffte ihre Schulter und drehte sich so, dass sie die Hand des Mannes abschütteln konnte. »Ich denke nicht.« Dann nahm sie ihr Glas und lief einfach los. Hauptsache weg.

»Hey, warte mal.« Nach wenigen Schritten hatte sie jemand eingeholt. Zu Johannas Erleichterung war es nicht der Gast, sondern David. »Alles okay?«

Johanna nickte. »Ja, alles okay.«

»Ich habe dich beobachtet. Ich weiß, du bist noch neu hier. Vielleicht weißt du noch nicht Bescheid.«

Johanna zog die Stirn kraus. »Was meinst du?«