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Ihre Autos sind schnell und schnittig, ihre Kleidung ist teuer und entspricht der neuesten Mode, ihre Freundinnen sind attraktiv und sexy. Sie sind Polizisten – Polizisten in Zivil. Sie arbeiten im Untergrund... für Miami Vice. Ihr Rhythmus ist hart und gewalttätig wie das Leben auf den Straßen von Miami. Sie machen Jagd auf die Dealer, die großen und die kleinen, die eine friedliche Stadt blutrot färben...
Jetzt sind sie dem Kolumbianer auf der Spur. Er hat das ganz große Geschäft fest in seiner Hand. Seine Ware: Kokain, der heiße Schnee von Florida. Seine Spezialität: Mord.
Crockett und Tubbs, die Männer von Miami Vice, warten darauf, dass die Falle zuschnappt. Ihr Köder: große Scheine – das Eintrittsgeld zum Rendezvous mit dem Schneekönig. Eine todsichere Sache, doch für wen? Schon hat der heiße Atem des Schneekönigs zwei Polizisten das Leben gekostet. Ein Feuersturm von Betrug, Gefahr und Tod bricht über Crockett und Tubbs herein...
MIAMI VICE – die legendäre TV-Crime-Serie (1984 – 1989) von Michael Mann hat wie kaum eine andere TV-Produktion das Bild der 1980er Jahre geprägt. Die Roman-Adaptionen von Stephen Grave fangen diese Atmosphäre und das düstere Neon-Noir-Feeling der Serie perfekt ein, die bis heute Kult-Status innehat.
Der Apex-Verlag veröffentlicht die Roman-Serie als durchgesehene Neu-Ausgabe.
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STEPHEN GRAVE
MIAMI VICE 1:
Heißes Pflaster Florida
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
HEISSES PFLASTER FLORIDA
1.
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Ihre Autos sind schnell und schnittig, ihre Kleidung ist teuer und entspricht der neuesten Mode, ihre Freundinnen sind attraktiv und sexy. Sie sind Polizisten – Polizisten in Zivil. Sie arbeiten im Untergrund... für Miami Vice. Ihr Rhythmus ist hart und gewalttätig wie das Leben auf den Straßen von Miami. Sie machen Jagd auf die Dealer, die großen und die kleinen, die eine friedliche Stadt blutrot färben...
Jetzt sind sie dem Kolumbianer auf der Spur. Er hat das ganz große Geschäft fest in seiner Hand. Seine Ware: Kokain, der heiße Schnee von Florida. Seine Spezialität: Mord.
Crockett und Tubbs, die Männer von Miami Vice, warten darauf, dass die Falle zuschnappt. Ihr Köder: große Scheine – das Eintrittsgeld zum Rendezvous mit dem Schneekönig. Eine todsichere Sache, doch für wen? Schon hat der heiße Atem des Schneekönigs zwei Polizisten das Leben gekostet. Ein Feuersturm von Betrug, Gefahr und Tod bricht über Crockett und Tubbs herein...
MIAMI VICE – die legendäre TV-Crime-Serie (1984 – 1989) von Michael Mann hat wie kaum eine andere TV-Produktion das Bild der 1980er Jahre geprägt. Die Roman-Adaptionen von Stephen Grave fangen diese Atmosphäre und das düstere Neon-Noir-Feeling der Serie perfekt ein, die bis heute Kult-Status innehat.
Der Apex-Verlag veröffentlicht die Roman-Serie als durchgesehene Neu-Ausgabe.
Für Tom Struck,
mir immer neuen Stoff schickt und unzählige interessante vices kennt
Vice: Moralische Abartigkeit oder Verdorbenheit, perverses Verhalten, das der Gesundheit oder der Leistungskraft schadet: sexuelle Unmoral, insbesondere Prostitution.
Vice Squad: Polizeieinheit, die damit beauftragt ist, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, die Glücksspiele, Pornographie, Prostitution und den illegalen Konsum von alkoholischen Getränken und Drogen betreffen.
Der Deal läuft wie geschmiert, dachte Tubbs, aber der Deal war ihm völlig gleichgültig.
Alles erinnerte ihn an seinen Bruder und wie es ihn erwischt hatte. Was sollte der Unsinn? Versuch mal einen rosa Elefanten zu vergessen. Er versuchte es, versuchte nicht daran zu denken, wie Rafael gestorben war. Er versuchte sich vorzustellen, dass Rafael nicht tot war. Es war dumm, es funktionierte nie. Rafael hatte ihm das mit dem rosa Elefanten erzählt, als Tubbs fünfzehn war. Es war eine dieser Scherzgeschichten, die irgendwie ein ganzes Leben lang hängenblieben - er hatte sie nie vergessen. Und so zu tun, als ob, würde nichts an der Tatsache ändern, dass Rafael tot war.
Draußen blies ein eisiger Wind, in den Kurven lag kniehoch grauer Schneematsch. Die Straße war nass, schmierig und schwarz. Die tiefen Rillen im Asphalt bildeten ein eigenartiges Muster, das sich in die Ferne hinzog, um sich irgendwo in der Unendlichkeit, wohin sein Blick nicht reichte, zu kreuzen. Tubbs hasste Queens. Der Bogota-North-Bezirk von Jackson Heights war wie ein ausgebombtes Sperrgebiet - die Geschäfte vom Feuer geschwärzt und mit Brettern zugenagelt, tote Tiere steifgefroren unterm Schnee, Mietshäuser aus Backstein, die langsam zerfielen, in blinder Wut zerstörte Straßenlaternen, hier und da das Gerippe eines vom Feuer verzehrten Autowracks. Die Autos schienen sich selbst in die Luft gesprengt zu haben, so als wollten sie lieber Selbstmord begehen, als in diesem Stadtteil zu bleiben. Der Wagen, in dem Tubbs saß und wartete, gehörte Rafael - hatte Rafael gehört, ein schwarz schimmerndes Chrysler-Kabriolett mit Naturleder-Polster. Der harte Winter hatte dem Wagen schon ein wenig von seinem Glanz genommen. Innen aber roch das Auto noch so neu wie damals, als Rafael es zum ersten Mal nach Hause gelenkt hatte. Tubbs hatte die Scheinwerfer und die Beleuchtung am Armaturenbrett abgeschaltet. Er saß allein in der Dunkelheit, ein Schattenriss in der ausgestorbenen, unheimlichen Straße.
Er schaute auf seine Seiko-Digitaluhr. Lieber Himmel, war es wirklich drei Uhr morgens? Er stieß einen Seufzer aus und rieb sich die Augen.
Zwei Häuser weiter versuchten ein paar puertoricanische Fixer vergeblich, ihre schmierigen, mageren Hände über einem stinkenden Mülltonnenfeuer zu wärmen. Hübscher Platz für'n Picknick, dachte Tubbs, während er die flackernden Reflexe des Feuers in den Wassertropfen auf der Windschutzscheibe und der Kühlerhaube des Chryslers beobachtete. Er zog seine behandschuhten Hände unter der Jacke hervor und tastete nach der Thermoskanne mit Kaffee. Er hatte sich einen starken Kaffee mit einem Schuss Alkohol zusammengebraut; der würzige, anregende Duft erfüllte das Innere des Wagens. Auf dem Boden der Kanne hatte sich Kahlualikör abgesetzt. Tubbs schüttelte die Kanne und goss sich einen halben Becher ein. Das Getränk war jetzt lauwarm.
Die ausgebrannten Typen, die im Mülleimerfeuer herumstocherten, belaberten einander, unzusammenhängendes Zeug, von Angel Dust in Stimmung gebracht. Vielleicht hatten sie auch nur ein paar Schluck Vergaserreiniger genommen. Wer konnte schon wissen, was in der Tüte war, aus der sie sich bedienten. Billiger Portwein, mit Aftershave gemixt? Ein Schuss Holzalkohol mit Flugzeugleim-Verdünner?
Er trank den Plastikbecher aus und richtete sein Augenmerk wieder auf den stahlgrauen, repräsentativ aussehenden Mercedes, der anderthalb Blocks weiter unten auf der anderen Straßenseite stand - der Traum eines jeden Autodiebs. Tubbs war sicher, dass ihn der Fahrer des anderen Wagens nicht sehen konnte; er hatte schon früher bei Beschattungen mit Rafael zusammengearbeitet und wusste, wie man außer Sicht blieb. Zwanzig Meter weiter sah das Chrom an seinem Chrysler nur noch wie Schnee aus, und außerdem war das Feuer der Junkies zwischen ihnen. Der Mercedes stieß in regelmäßigen Abständen Wolken von Abgas aus, die in die frostige Luft stiegen. Der Fahrer hatte seine Heizung eingeschaltet. Tubbs stampfte mit den Füßen gegen die Wagenwand. Sein Hintern begann ihm einzuschlafen. Er bildete sich ein, Musik zu hören.
Moment mal - er hörte tatsächlich Musik. Er erkannte den Refrain aus Miss You von den Stones. Jagger ließ sich darüber aus, wie es ist, ganz allein zu schlafen. Das war wirklich ein Witz.
Die Musik war hinter ihm. Im Rückspiegel sah er eine Bewegung. Zwei - nein, drei Macker, die im Dunkel herumstrolchten. Militärjacken, verbeulte Mützen, schwere Armeestiefel für harte Tritte. Der Spiegel fing das Glitzern eines koffergroßen Kassettenrecorder-Radios ein, aus dem die Musik kam. Tubbs drehte sich nicht um.
Die Musik wurde lauter und kam der Fahrerseite näher. Im nächsten Augenblick klopfte eine Hand in abgeschnittenen Handschuhen so hart mit dem Knöchel gegen die Scheibe, dass kleine Wasserbäche herunterliefen.
»Hallo, Bruder!«
Noch ein bisschen lauter, du Mistkerl, dachte Tubbs, und der im Mercedes wird aufmerksam! Die Typen waren auf Streit aus. Hier draußen auf den Straßen waren sie die Herren, und er musste mit ihnen fertig werden.
Eine Faust schlug gegen die Scheibe: »He, Mann!« Tubbs drehte die Scheibe herunter und starrte sie an wie jemand, der gerade eine tote Fliege auf seinem Wurstbrot gefunden hat.
Der vorderste Bursche zeigte ein übles Grinsen und legte seine Hände auf den Fensterrahmen. Alle drei waren Lati- nos. Der mit der Stereoanlage hielt am meisten Abstand, die Beine aggressiv gespreizt. Der bescheuerte Kerl hat zu viele Rock-Videos gesehen, dachte Tubbs. Der zweite hatte die Hände in der Tasche. Er war wohl der, der aufpassen musste, während der erste das Reden besorgte. Tubbs kannte die Nummer. Während er mit der Linken das Fenster herunterkurbelte, schob seine Rechte die Thermosflasche beiseite und glitt unter eine Strickdecke, die die andere Hälfte des Vordersitzes bedeckte.
»Hast du nicht 'n paar Zwanziger für mich, Bruder?«
»Ich bin nicht dein verdammter Bruder«, sagte Tubbs, leise und ohne besonderen Nachdruck.
»Was du nicht sagst!« Der erste Strolch nickte mit dem Kopf, und sein Kumpan beugte sich vor und spuckte gegen die Windschutzscheibe. Die schlierige Spucke glitt langsam nach unten. »Also, wie ich schon gesagt habe, wir brauchen die Zwanziger für die Wagenwäsche, Mann!«
Bei dem Mercedes hatte sich nichts gerührt. Aber Tubbs konnte es sich nicht erlauben, hier herumzuspielen. Er sah dem Anführer direkt ins Gesicht: »Verschwindet!«
Die drei brachen in das übertriebene Gelächter von absoluten Machojünglingen aus.
»Dieser Kerl hier denkt, er ist Michael Jackson oder so was Ähnliches. Ha - ha - ha!«
Dann war der Schläger an der Reihe, der unter seinem Mantel hervor ein Armeebajonett aufblitzen ließ. Die Klinge war tiefschwarz, mindestens dreißig Zentimeter lang.
Tubbs war darauf vorbereitet und riss die abgesägten Läufe der 12er Flinte hoch, die er sich bereitgelegt hatte. Das Entsichern erzeugte das Geräusch zersplitternder Zähne, und der Bursche mit dem Messer wurde plötzlich trotz der Kälte käsebleich. Die Doppelläufe waren nicht mehr als zehn Zentimeter von der Magengrube des Großmauls entfernt. »Hat es noch etwas Zeit, Bruder!«, fragte Tubbs. »Ich bin gerade beschäftigt.« Das Bürschchen hatte jetzt beide Arme mit geöffneten Händen nach oben gestreckt, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Das Messer verschwand. Alle drei wichen mit eingefrorenem, leichenhaftem Grinsen zurück. »Oh, ganz bestimmt!«
Die Stones-Kassette lief quietschend aus.
»Nice rappin' with you, my man...«
Dann waren sie fort, in der Nacht verschwunden, nahmen sorgsam den gleichen Weg zurück, den sie hergekommen waren. Ja nicht zu schnell, denn sie mussten das Gesicht wahren.
Einen Moment lang fragte sich Tubbs, ob der Bursche im Mercedes ihn wohl bemerkt hatte. Offenbar nicht. Er gestattete sich einen kurzen Anfall von Verfolgungswahn: Konnte es sein, dass die Junkies am Feuer Calderones Wachhunde waren? Einer von ihnen schwankte, fiel auf einen Matschhaufen, blieb liegen. Sein Kumpel ging zu ihm, nahm die Flasche in der braunen Tüte und kehrte zum Feuer zurück. Diese Burschen waren keine Aufpasser. Wenn, dann hätte Calderone sie ganz sicher an den Straßenecken postiert. Es wären eher Typen wie die Latino-Punks gewesen, nur dass sie Emst gemacht hätten.
Das dunkle Gebäude spuckte eine kleine Gruppe von Leuten aus. Kostspielige Mäntel. Ein mittelgroßer Luxus-Aktenkoffer, getragen von einem hochbezahlten südamerikanischen Killer. Ein weiterer ebenso hässlicher Gorilla in teurer Kleidung, bloß um zu beeindrucken. Und in der Mitte Francisco Calderone. Lockige, silberschwarze Haare, von einem spitzen Haaransatz aus zurückgekämmt, der von zwei kahlen Stellen eingerahmt wurde. Seine Augen waren dunkel wie schwarzer Kaffee und ausdruckslos, ihr Glanz wie mexikanisches Silber, irgendwie künstlich. Wie viele kleine Männer hatte Calderone das, was ihm an Körpergröße fehlte, kompensiert, indem er in anderer Hinsicht groß zu werden versuchte. Der Koffer war voll mit Bargeld oder mit Drogen oder mit beidem. Calderone war ein großer Mann im Drogenhandel, hatte Rafael seinem Bruder einmal erzählt.
Das war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Calderone, der abstoßende kleine Mann mit dem pockennarbigen Gesicht: Sein Name stand für den Großteil des Drogenhandels an der Ostküste, New York inbegriffen. Die ganze Gegend wimmelte von Leuten, die darauf brannten, großes Geld auszuspucken im Austausch für weißes Pulver, das sie sich in die Nase stopften oder in die Venen pumpten. Eine dumme Art, »in« zu sein, dachte Tubbs.
Der Killer ohne Koffer spielte den Chauffeur und half Calderone auf den rechten Rücksitz des Wagens - mit einer Hand. Die andere Hand hatte er in die Manteltasche gesteckt, wahrscheinlich eine Magnum fest im Griff. Oder noch wahrscheinlicher hatte er sie durchs Mantelfutter gesteckt und hielt damit den Griff einer Uzi-Maschinenpistole. Erinnerungen überfluteten ihn.
Der Deal lief wie geschmiert. Rafael und sein Partner, ein weißer Bursche namens Jake Bartamas, spielten die Käufer. Am Ufer von Brooklyn hatten sie alles in Szene gesetzt, um Calderone endgültig auffliegen zu lassen. Rafael trug Gianni-Versace-Klamotten und sah super aus, ein Dealer von Format. Dazu ein paar Kolumbianer, einer mit Luxus-Aktenkoffer.
Rafael zeigte das Geld vor, eine Kalbsleder-Brieftasche voll mit gebündelten Fünfzigern, fünfzig in einem Bündel. Rafael hatte Calderone seit Monaten beschattet.
Tubbs beobachtete die Szene aus zwanzig Metern Entfernung. Er und zwei Mann Unterstützung waren hinter Holzkisten mit einer Ladung südamerikanischen Haschischs verborgen. Er konnte Calderone auf dem Rücksitz einer Flughafen-Limousine sitzen sehen. Das Fenster auf seiner Seite war geöffnet, er überwachte den Deal. Tubbs sah, wie er bedeutungsvoll nickte. Die Kolumbianer öffneten den Koffer. Wenn Rafael und fake die verborgenen Schätze gesehen hatten, würden sie alle verhaften, und Tubbs und seine Leute und eine weitere Gruppe mit Unterstützung würden dazu stoßen und aufräumen.
Dann geschah es. Die Kolumbianer zogen entsicherte Uzis hervor. Tubbs stieß einen Warnruf aus, doch der wurde im ohrenbetäubenden Knattern der automatischen Waffen ausgelöscht. Rafael bekam eine volle Ladung in die Brust, sein neuer Anzug war ruiniert. Einzelteile von fake Bartamas landeten im Atlantischen Ozean. Rafael brach im Strom seines eigenen Blutes zusammen und rührte sich nicht mehr.
Tubbs war aus seinem Versteck herausgerannt. Die Kolumbianer sprangen in ihre Limousine, als die Kugeln gegen den gepanzerten Wagen prasselten. Die Limousine verschwand in der Nacht.
Tubbs warf sich über den leblosen Körper seines Bruders. Er nahm seinen Kopf zwischen die Hände, die sofort feucht und klebrig wurden. Rafaels Blick begegnete dem seinen: »Sieht aus, als ob ich die Sache vermasselt hätte!«, schien er ausdrücken zu wollen, ohne jedes Selbstmitleid.
Rafael versuchte Tubbs' Hände zu umklammern, aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Seine Hand zuckte wie ein vom Speer getroffener Fisch und lag dann still. Rafaels Augen wurden glasig. Er stieß einen letzten Atemzug aus und war tot. Tubbs blieb bei ihm, wiegte sanft den Kopf seines toten Bruders, bis die überflüssig gewordenen Krankenwagen kreischend heranrasten.
Calderone hatte mit dem Kopf genickt - und Rafael war nur noch ein Stück Vergangenheit. So war das Leben.
Der Mercedes versuchte eine scharfe Kurve, schaffte es aber wegen des Eises am Straßenrand nicht ganz, setzte zurück, fuhr los. Tubbs schaute einen Moment lang den Rücklichtern nach, bevor er seinen eigenen Wagen startete.
In dem Augenblick, als sein Wagen den Platz am Bordstein verlassen hatte, stürzte eine mindestens 40 Pfund schwere Mülltonne auf die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte, die Ghettoversion einer Interkontinentalrakete. Beim Aufprall platzte sie und verstreute Abfall über die Straße. Tubbs schaute zurück und sah, dass die Latino-Punks ihm vom Dach des Nachbarhauses aus mit hochgerecktem Finger einen obszönen Gruß nachschickten.
Y tu, vatos!, dachte er und fuhr davon.
Calderones Fahrzeug nahm die Atlantic Avenue und fuhr in Richtung der Brücke an der 59. Straße. Tubbs folgte ihm auf die andere Seite und hielt zwei Blocks Abstand, als sie in die Bronx kamen.
Noch mehr verslumte Wohnblocks. Es schien immer so weiterzugehen, feucht und grau und unbarmherzig. Das war die von Schlaflosigkeit erschöpfte, von Drogen betäubte, aller Hoffnungen beraubte, die üble Kehrseite der Stadt New York. Tubbs war selbst geborener New Yorker. Er liebte diesen aufgeblähten lärmenden Müllhaufen voll mit Menschen, die der letzte Dreck waren, diesen Boxring, in dem jeder zu Boden ging. Man erwartete dieses Gefühl von jedem Sohn der Stadt. Vielleicht war dieser Stadt jeder Sinn für Proportion verlorengegangen, aber hier gab es einfach alles - da konnte keine noch so nette Provinzstadt mithalten. Das Problem war nur, dass in einer solchen Riesenstadt auch Abschaum wie Calderone blühte und gedieh, Schmarotzer, die sich vom Blut der Stadt ernährten.
Für sein frühmorgendliches Ess- und Trinkvergnügen hatte sich Calderone ein Etablissement namens Hugo Tommy's ausgesucht, das mitten in der übelsten Gegend lag. Es war ein klotziges Warenhaus aus dem vergangenen Jahrhundert, das in einen Spät-Club verwandelt worden war. Tubbs wusste, dass die Tür buchstäblich bombensicher war. Ein Angestellter, der die Wagen der vorfahrenden Gäste auf den Parkplatz fuhr, fror sich den Hintern ab und hüpfte im blauen Flutlicht vor dem Eingangsbaldachin von einem Fuß auf den anderen. Calderones Limousine hielt hinter einem unanständig teuer aussehenden, langgezogenen Corsair-Schlitten - dreihundert große Scheine auf Rädern, komplett mit Mahagoniausstattung. Der Corsair rollte vor den Eingang und spuckte eine Horde reicher Iraner aus, die genauso aussahen, wie man sie sich immer vorstellte, Guccischuhe für mindestens zwei Riesen an den Füßen und in einer Aufmachung, die gegen alle Grundregeln des guten Geschmacks verstieß. Typische Söhne eines reichen Scheichs, dachte Tubbs. Arme kleine reiche Jungs auf der Suche nach den Slum-Abenteuern.
Ihr Wagen rollte davon, und der von Calderone fuhr vor. Calderone sprang heraus, beweglich wie ein kubanischer Tänzer, und betrat den Club, flankiert von seinen Gorillas. Tubbs stellte den Motor ab und versteckte seine abgesägte Kanone unter dem Vordersitz, die Decke stopfte er hinterher. Aus dem Handschuhfach holte er eine Polizeiwaffe, eine .357er Magnum, mit Wadcutters geladen, und steckte sie in das Schnellfeuerholster, das er schon trug.
Ohne weitere Umstände bewegte er sich in Richtung der Bunkertür und nickte dem Türsteher zu, der mit den Augen rollte und wegschaute. Die Tür schwang nach innen auf, und eine Schockwelle lautdröhnender Synthesizermusik durchfuhr ihn. Die Inneneinrichtung glitzerte wie ein Juwelierladen, alles blitzend und blinkend, und dazu hochgepowerte, schädelsprengende Synthesizermusik, die seine
Knochen zum Vibrieren brachte. Ungläubig identifizierte Tubbs die Musik als Rockmutation von Rod Stewarts Do Ya Think I'm Sexy.
Er spazierte in die Menge und ließ sich mittreiben, hielt sich dann an der Bar fest, die die ganze Länge der einen Wand einnahm. Die Farben waren vom glitzernden Neon eines Mandraxrausches. Die Gerüche stammten von sündteurem Parfüm und dem erdigen Schweiß des Paarungstanzes.
Die Bar schien aus einem kilometerlangen Stück soliden italienischen Marmors gemacht. Im ganzen Raum wurden nackte Haut und Hundert-Dollar-Noten mit kalkulierter Nonchalance zur Schau getragen. Krösusse mit smarten Designer-Jeans flatterten erschöpft umher und versuchten, sich ein gelangweilt aussehendes Mäuschen an Land zu ziehen, bevor die Sonne aufging. Verkokste Dämchen der Gesellschaft nahmen Maß bei den flotten Hechten, die um sie herumschwammen, und wählten ihre Beute aus. Supercoole Herren mit Handtäschchen prosteten Huren zu, die vier Jobs pro Nacht machten. Galgenvögel in schwarzem Leder rauchten Gauloises und schielten umher, auf der Suche nach einem Kick. Fanden sie keinen, so nahmen sie alles, was sich anbot. Aufstrebende Drogenschieber betonten ihren Mangel an Stil, indem sie Budweiser aus der Flasche schlürften. Tubbs schaute über die Schulter und bestellte Martell beim nächsten Barkeeper. Als Antwort klirrte ein Cognacschwenker auf dem Marmor. Tubbs roch daran, bevor er einen Schluck nahm.
Während er das Glas vors Gesicht hielt, erspähte er Calderones Tisch, von dem sich gerade ein Kellner entfernte. Tubbs folgte der weißen Jacke mit dem Blick, bis der Kellner sich durch die Menge bis an die Bar gedrängt hatte, wo er ein Tablett mit sechs Sektflöten, einer Christal-Magnum und einigen Mixgetränken voller Eis belud. Tubbs lenkte die Aufmerksamkeit des Burschen auf sich, als er auf seinem Weg zurück an ihm vorbeikam.
Tubbs beugte sich nahe zu ihm, und sein Flüstern war sogar gegen den Lärm der Menge und die dröhnende Musik zu verstehen. Der Kellner nickte und steckte den 100-Dollar-
Schein in die Tasche, den Tubbs ihm in die Hand drückte. Eine Frau mit nabeltiefem Dekolleté und rosablondem Haar brüllte Tubbs etwas ins Ohr.
»Was?«, schrie Tubbs zurück.
Einladend hielt sie ein winziges Silberröhrchen hoch.
»Ich muss mir die Nase pudern«, sagte sie augenzwinkernd, sie war so high, dass es für die ganze Nacht reichte. »Auf meinem Rücksitz ist Platz für zwei! Kommst du mit?« Der Kellner zog seine Show ab. Nachdem er die Magnum und die Sektflöten auf Calderones Tisch gestellt hatte, machte er eine falsche Bewegung und schüttete die Mixgetränke dem Drogenkönig in den Schoß. Völliges Desaster. Calderone sprang mit einer Flut spanischer Schimpfworte auf, die gegen den Kellner gerichtet waren, der sich verbeugte und katzbuckelte und früh genug vom Boden aufsah, um eine Ohrfeige zu bekommen. Der kleine Kolumbianer schäumte vor Wut über diesen grauenhaften gesellschaftlichen Lapsus. Und das alles auch noch vor Gästen - in diesem Fall zwei mittelalterliche Unternehmer von fragwürdiger Seriosität und ein Trio nicht mehr taufrischer, von Stoff benebelter, in Seide eingepackter Aerobic-Schönheiten.
Als der Kellner einen Packen Papierservietten ergriff und versuchte, Calderones Seidenanzug abzutupfen, rasten die beiden Bodyguards, die ein paar Schritte rechts und links neben der auserwählten Nische standen, ihrem Herrn mit der Geschwindigkeit und Wildheit von Dobermännern zu Hilfe. Tubbs grinste in sich hinein. Allein dieses hektische Durcheinander zu sehen war die 100 Dollar wert. Die Gorillas schnappten sich den Kellner und schoben ihn beiseite. Er glättete sich die Rockaufschläge, zog an seinen Manschetten und glitt zurück an die Bar, nachdem er sein Extra-Trinkgeld voll und ganz verdient hatte.
Mehr aufgeregtes Geschnatter. Wie Tubbs gehofft hatte, bot sich jeder an, Calderone zu helfen. Mit übertriebener Handbewegung wischte er sie beiseite. »Nein, nein, wirklich, es ist alles in Ordnung, es ist okay. Ich muss nur mal in den Waschraum gehen, sonst nichts!« Er verließ die Gruppe. Die Leibwächter sahen zu, dass die Nische wieder in Ordnung kam. Die übergewichtigen Nullen aus der Provinz setzten sich wieder und fuhren fort, die Girls zu betatschen. Calderone schlängelte sich durch die Menge in Richtung auf den neonbeleuchteten Ausgang, der in zwei Sprachen mit »Toiletten - Telefon - Notausgang« gekennzeichnet war. »Spinne ich, oder hörst du mir überhaupt nicht zu?«, fragte die Rosablonde mit den spitzen Brüsten. Sie zwinkerte gespielt unschuldig und zeigte ihr Zahnfleisch.
»Du bist wunderbar, Schätzchen«, versicherte Tubbs, »aber ich muss einen Mann treffen, wegen einer Giraffe.« Er tätschelte ihre Wange und schob sich ins Gedränge. Calderones Leibwächter waren ihm nicht zur Toilette gefolgt.
Tubbs verschwand schnell im Gang. Zu prüfen, ob seine Waffe geladen war, war idiotisch: Er wusste, dass sie geladen war, und er wusste auch, was diese Ladung bewirkte. Wadcutters schlagen bei einem Treffer mit der stumpfen Spitze ein und nehmen 'ne Menge Fleisch mit.
Zwölf Schritte bis zur Herrentoilette. Tubbs wartete ab, während zwei voluminöse Wonnebällchen Arm in Arm in seine Richtung rollten.
»Oh, ein kleines Schokoladenhäschen!«, sagte die mit der ausgebleichten Punk-Aufmachung. »Komm mit uns, du bist niedlich, Schätzchen.«
»Und was ist mit Ramon?«, fragte ihre Freundin, deren Augen unter Schichten von Kleopatra-Make-up sichtbar waren.
»Zum Teufel mit Ramon«, sagte die erste und verschlang Tubbs mit den Augen.
Hinter Tubbs sagte eine Stimme: »Ihr beide, flattert los, und zwar ganz fix.« Er war zu dicht hinter Tubbs, um bloß ein zufälliger Passant zu sein.
Tubbs zog blitzschnell seinen Revolver und duckte sich, während ein gewaltiger Schwinger die Luft zerschnitt, wo eben noch sein Kopf gewesen war. Er machte mit der ..357er eine Bewegung, als wolle er etwas mit einem Messer zerschlitzen, und schlug damit die Nase des Störenfrieds zu Brei.
Blut spritzte aus beiden Nasenlöchern nach vorn und formte auf seinem Gesicht den Buchstaben A, mit dem Mund als Querstrich. Seine Augen hatten eine Sekunde Zeit, Erstaunen zu zeigen, bevor sie ins Traumland schauten. Wie Tubbs vorher gesehen hatte, war er einer von Calderones Gorillas. Was er nicht vorhergesehen hatte, war der zweite, der durch die Tür stürzte und auf ihn losging wie ein Stier. Die beiden Punk-Dämchen kreischten. Der Gorilla benutzte seinen Kopf als Rammbock und stürzte sich auf Tubbs. Der landete auf seinem Hintern und rutschte rückwärts, während ihm der Atem wie abgeschnitten war. Seinen Revolver hatte er fallen lassen. Der Gorilla war immer noch damit beschäftigt, seine eigene Pistole hervorzuzerren. Die Dämchen kreischten weiter.
Tubbs erhob sich vom Boden und trat den Gorilla hart gegen das Handgelenk, so dass er herumschleuderte und dabei die Pistole in hohem Bogen davonflog. Eine Riesenfaust zielte nach seinem Gesicht, und er duckte sich. Der Gorilla schwankte vorbei. Tubbs landete zwei harte Treffer in seinen Nieren. Der Gorilla grunzte und wandte sich erneut zum Angriff um.
Calderone schaute dem Kampf von der Tür der Herrentoilette aus zu. Tubbs wurde klar, dass seine Zeit ablief.
Er schlug dem Gorilla mit der flachen Hand ins Gesicht, sprang ihn an und umklammerte seinen Kopf mit den Armen, drückte ihn auf den Boden und trat ihn so lange, bis er Blut spuckte. Tubbs war auf den Straßen von New York aufgewachsen und hatte dabei allerlei pfiffige Kampftricks gelernt. Schließlich warf er den Gorilla auf seinen leblosen Kollegen. Calderone hatte sich längst durch den Notausgang davongemacht. Zischend schloss sich die Hydraulik der Tür, und Tubbs warf sich dazwischen, bevor sie ganz zugehen konnte.
Die Tür schlug zurück und knallte klirrend gegen die Hauswand. Von Calderone keine Spur.
Tubbs hatte seine Waffe vergessen. Verdammt! Er wirbelte um die eigene Achse. Nirgendwo auch nur die kleinste Bewegung. Mit der Schnelligkeit einer Küchenschabe hatte sich Calderone seiner Umgebung angepasst. Tubbs dachte: Ich Idiot! Starrsinnig einen Mann zu jagen, der wahrscheinlich bewaffnet ist, wenn man selbst seine Waffe verloren hat!
Tubbs tat es trotzdem. Er rannte die Gasse entlang, wobei seine Lederschuhe Matschfontänen in die Höhe spritzen ließen. Zu seiner Linken hörte er ein Geräusch und erstarrte in der sicheren Erwartung, gleich eine Kugel in den Bauch zu bekommen.
Ein ausgemergelter Hund mit hervorstehenden Rippen war gerade dabei, sich über den Abfall aus einer umgekippten Mülltonne herzumachen. Der Hund warf Tubbs einen Blick zu, knurrte und kehrte dann zu seinem späten Abendessen zurück.