Milla und der Nashornbus - Jan Strathmann - E-Book + Hörbuch

Milla und der Nashornbus Hörbuch

Jan Strathmann

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Beschreibung

Hier kommt Milla! Mit Milla kann man was erleben! Ein Nashorn bringt sie morgens in die Schule, weil sie den Bus verpasst hat. Für den Trompetenvogel macht sie so viel Krach im Hof, dass sich Hausverwalter Bromski aufregt, und mit einem Kojoten heult sie nachts den Mond an. Milla unterrichtet auch ihren Nachbarn, einen Bären, im Lesen. Wenn er Winterschlaf hält, liegt sie auf seinem dicken Bauch und kuschelt sich in sein Fell. Sogar bis zur Kirchturmspitze fliegt sie. Mit Kusi, dem Wirbelsturm!  Das sind doch alles Hirngespinste, sagen die Leute in Dörfelbach. Sie ist eben fantasiebegabt, sagt Mama. Dabei ist nichts von dem, was Milla erlebt, gelogen. Manchmal bekommt Milla Ärger bei all den Abenteuern, aber immer gewinnt sie neue Freunde.

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Zeit:2 Std. 35 min

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Über das Buch

Ein Nashorn bringt sie morgens in die Schule, weil sie den Bus verpasst hat. Für den Trompetenvogel macht sie so viel Krach im Hof, dass sich Hausverwalter Bromski aufregt. Mit einem Kojoten heult sie nachts den Mond an. Das sind doch alles Hirngespinste, sagen die Leute. Sie ist eben fantasiebegabt, sagt Mama. Dabei ist nichts von dem, was Milla erlebt, geflunkert. Ohne Milla wäre nur halb so viel los im Ort. Und mit jedem Abenteuer gewinnt sie neue Freunde!

 

 

 

 

Für Maya

Der Nashornbus

Es gibt ein kleines Städtchen, das heißt Dörfelbach. Dörfelbach findet man nur ganz schwer auf der Landkarte, und das liegt daran, dass es genau in einer Falte der Landkarte liegt. Man könnte meinen, Dörfelbach hat sich mit Absicht da versteckt, damit keiner nach den kleinen und großen Geheimnissen sucht. Von denen gibt es nämlich einige in Dörfelbach, und das weiß niemand besser als Milla Papke.

Milla ist acht Jahre alt und im Moment ungefähr so groß wie ein Postbriefkasten. Milla sieht eigentlich ganz normal aus. Sie hat eine ganz normale Nase, die immer juckt, wenn es spannend wird, und in Dörfelbach wird es ungewöhnlich oft spannend.

Millas Haare sind braun und lockig, und es sind viele. Sehr viele. Sie stehen nach allen Richtungen ab. Es nützt nichts, sie zu kämmen, sie sehen sowieso immer aus wie ein Vogelnest nach einem wilden Sturm. Total zerzaust. Für Milla ist klar, dass das kein Zufall ist. Als sie geboren wurde, war es eine stürmische Nacht. Draußen hat es wild gedonnert und geblitzt. Einer der Blitze ist neben dem Haus eingeschlagen und hat die alte Kastanie umgehauen. Die lag da wie ein k. o. gegangener Boxer. Milla glaubt felsenfest daran, dass sie etwas von der Blitzenergie abbekommen hat, und deswegen sehen ihre Haare so elektrisiert aus.

Einige in Dörfelbach würden jetzt sagen: »Typisch Milla, das ist doch Quatsch und Unfug. Wieder eine ihrer Lügengeschichten!«

»Sie ist eben sehr fantasiebegabt«, würde Mama dann antworten. Aber es würde so klingen, als habe Milla eine schlimme Krankheit. Milla weiß, dass Mama sie nur gegen die anderen Leute verteidigen will. Sie weiß auch, dass Mama sich immer ganz doll anstrengt, ihr zu glauben.

Dabei ist nichts von dem, was Milla erzählt, gelogen. Sie kann ja nichts dafür, dass ihr dauernd Dinge passieren, die anderen nicht passieren.

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Nashorn.

Milla sitzt an der Bushaltestelle, es ist frühmorgens, der Bus in die Schule ist vor ihrer Nase davongefahren, und ihre gute Laune ist gleich mitgefahren. Nun muss Milla auf den nächsten Bus warten, und sie weiß, dass sie zu spät zum Unterricht kommen wird. Das wird Ärger geben, so viel ist mal sicher, denkt Milla, es sei denn, es geschieht noch ein Wunder. Ich hätte jetzt gerne ein Wunder, und es sollte sehr große Ähnlichkeit mit einem Bus haben.

Und dann passiert tatsächlich ein Wunder, aber es sieht kein bisschen wie ein Bus aus.

Es sieht wie ein Nashorn aus. Wie ein echtes graues, riesiges Nashorn. Milla hat es gar nicht kommen sehen, es steht einfach plötzlich vor ihr am Bordstein. Vielleicht träume ich ja noch, denkt Milla, also kneift sie beide Augen zu, aber als sie sie wieder öffnet, steht das Nashorn immer noch da und blickt Milla mit seinen kleinen Nashornaugen an. Jetzt fängt Millas Nase an zu jucken.

»Kann ich dich irgendwo hinbringen?«, sagt das Nashorn. Es hat eine sehr schöne helle Stimme, die passt so gar nicht zu dem schweren klobigen Nashornkörper.

»Ich … muss in die Schule, und zwar total schnell«, stottert Milla.

»Kein Problem. Bitte aufsitzen«, sagt das Nashorn mit seiner schönen unnashornigen Stimme.

Milla klettert auf den Rücken des Nashorns, und dann geht das Nashorn los. Milla wundert sich, denn sie hätte erwartet, dass die Straße dröhnt und bebt unter den schweren Nashornschritten, so ein Nashorn wiegt doch bestimmt so viel wie ein Lastwagen. Stattdessen hört Milla nur, wie die dicken rundlichen Nashornfüße über den Asphalt schlurfen und dabei ein Geräusch machen, als habe das Nashorn Hausschuhe an.

Ffft, ffft, ffft, fffft.

»Ich heiße übrigens Milla«, sagt Milla.

»Ich heiße Arno«, sagt das Nashorn.

»Und wo kommst du her? Vielleicht aus Kamerun?«

»Nein, aus dem Zoo.«

»Bist du etwa ausgebrochen?!«, ruft Milla überrascht.

Das Nashorn nickt.

»Aber warum?«

»Mir war langweilig. Von meinem Gehege kann man prima auf die Straße gucken. Auf der fährt jeden Tag der Bus vorbei, und in dem sitzen eine Menge Leute, und sie schwatzen und lachen, und manchmal weinen sie auch, oder sie schlafen, oder sie popeln in der Nase, oder sie gucken nur. Da dachte ich, Bus müsste man sein, dann wäre man nie allein. Bei uns Nashörnern muss immer was los sein, weißt du?«

»Ach ja?«, sagt Milla und runzelt die Stirn, »ich dachte immer, ihr Nashörner steht am liebsten rum und fresst Gras.«

»Das denken alle Menschen, ich weiß«, antwortet das Nashorn, »aber man sollte uns nicht unterschätzen.«

Während Arno Milla in die Schule bringt, erzählt Milla ihm von Dörfelbach, schließlich muss er sich hier ja gut auskennen als Nashornbus.

»Siehst du, da hinten, da ist das Postamt von Nepomuk Hicks und da das Kaufhaus Wiesengrund, und daneben ist der Friseursalon von Frau Dübelzack. Ach ja, und da vorne in der Kornblumengasse 3, da wohnen ich und Mama. 2. Stock, links«, sagt Milla und zeigt auf ein altes Haus, bei dem schon hier und da die Farbe abbröckelt. Es sieht zwischen all den anderen feinen Häusern aus wie ein alter grauer Zahn inmitten eines strahlend weißen Gebisses.

»Und dein Papa, wo wohnt der?«, fragt Arno.

»In Kamerun. Papa ist Schmetterlingsforscher. Er sucht im Dschungel nach einem ganz bestimmten Schmetterling. Das macht er schon ziemlich lang. Der Schmetterling ist sehr selten, oder aber er kann sich unheimlich gut verstecken, jedenfalls hat Papa ihn noch nicht gefunden. Aber wenn er ihn gefunden hat, dann kommt er zurück und zeigt ihn mir. Das hat er versprochen.«

»Das ist gut«, sagt Arno.

»Früher, als ich erst so groß war wie Mamas Nähmaschine, habe ich geglaubt, dass Schmetterlinge keine Tiere sind, sondern Blumen, die fliegen können.«

»Du bist sehr fantasiebegabt«, sagt Arno.

»Jaja, ich weiß«, sagt Milla. Sie schaut hinunter zu den Augen des Nashorns, um nachzusehen, ob es auch gerade so sorgenvoll wie Mama guckt, aber die Augen von Arno sind so winzig, da erkennt sie nichts.

»Sag mal, siehst du eigentlich gut?«

»Nein, nicht besonders. Aber riechen und hören kann ich ausgezeichnet.«

»Gute Augen sind aber wichtig, wenn man als Bus am Straßenverkehr teilnehmen will«, sagt Milla und versucht so zu klingen wie Mama, wenn sie einen Vortrag über gefährliche Sachen im Leben hält. »Wenn nämlich ein Auto mit tausend Stundenzentimetern in der Minute auf dich zubraust, dann ist es zu spät, wenn du es riechst. Du brauchst auf jeden Fall eine Brille.«

»Gibt es hier denn ein Brillengeschäft für Tiere?«

»Nee, leider nicht. Aber ich weiß, wo wir trotzdem eine Brille für dich kriegen könnten. Kennst du den Trödelladen von meinem Onkel Geronimo?«

»Nein, kenne ich nicht.«

»Da kriegt man fast alles, was es gibt auf der Welt. Aber es ist kein normaler Trödelladen. Es ist nämlich so: Wenn einer etwas Bestimmtes im Laden haben will, zum Beispiel ein altes Grammofon, dann kann er das nicht einfach mit Geld bezahlen, sondern muss eine Geschichte erzählen. Eine wahre oder eine erfundene, das ist Onkel Geronimo völlig piepegal. Wenn die Geschichte gut ist, kann der Kunde das Grammofon mitnehmen. Wenn die Geschichte nicht so gut ist, muss er sich was Kleineres aussuchen. Eine Mundharmonika zum Beispiel oder ein Weihnachtsglöckchen. Da ist Onkel Geronimo sehr streng. Die meisten Leute kennen aber keine Geschichten, oder sie trauen sich nicht, sie zu erzählen, also kommt so gut wie nie einer. Onkel Geronimo findet das nicht schlimm, er sagt immer, das ist sowieso kein Trödelladen, das ist ein Hotel für alten Plunder, den keiner mehr haben will. Die Sachen können bei ihm in Ruhe vor sich hin trödeln, und keiner stört sie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir dort auch eine Nashornbrille für dich finden.«

»Vielleicht ein anderes Mal. Jetzt bringe ich dich in die Schule.«

»Na gut. Aber du brauchst dir keine Sorgen wegen der Bezahlung machen«, sagt Milla und wedelt mit ihrem Notizbuch, »in meinem Notizbuch stehen eine Menge tolle Sachen, und alles ist garantiert wahr. Kannst gerne mit einer Geschichte von mir bezahlen.«

»Danke. Es riecht sehr gut, dein Buch«, sagt Arno und saugt mit seinen großen dicken Nashornnasenlöchern ganz viel Luft ein.

»Es ist aus Leder. Ich schmiere es manchmal mit Mamas Antifaltencreme ein, dann bleibt es immer so schön weich und biegsam. Onkel Geronimo hat mir das Buch geschenkt, da war ich so groß wie Papas Seesack.

›Aber ich kann doch noch gar nicht schreiben‹, habe ich gesagt, denn ich war ja erst fünf.

›Dann lerne es‹, hat Onkel Geronimo gesagt, und dann hat er mir gezeigt, wie das geht. Mama und Papa dachten, ich bin nicht nur fantasiebegabt, ich bin auch hochbegabt, weil ich schon so früh lesen und schreiben konnte, aber das war ein Irrtum. In Mathe bin ich eine Niete und sonst auch nur so mittelschlecht. Nur schreiben kann ich gut. Ich schreibe meistens mit links. Eigentlich bin ich Rechtshänderin, aber wenn ich mit links schreibe, sind die Buchstaben so schön schief und lustig und struppig. Schön geschriebene Buchstaben sehen aus, als würden sie alle brav hintereinander in einer Warteschlange stehen. Mit links gekritzelte Buchstaben sehen aus wie eine wilde Horde Urzeitmenschen. Das finde ich besser!«

»Was steht denn da drin, in deinem Buch?«, fragt Arno.

»Da steht alles drin, was mir so passiert. Und mir passiert dauernd was, und meistens ist es ein bisschen seltsam. Aber das ist auch kein Wunder, denn ich habe einen Seltsamkeitsmagneten in mir. Das meint jedenfalls Onkel Geronimo. Er hat auch so einen Magneten in sich versteckt. Onkel Geronimo sagt immer: ›Es gibt Menschen, die ziehen das Glück an, dann gibt es Menschen, die ziehen das Pech an, und dann gibt es Menschen, die ziehen das Seltsame und Wunderliche an.‹ So ein Mensch bin ich.

Das Gute ist, man lernt Dinge und Wesen kennen, die andere Menschen nicht kennenlernen, und das finde ich unheimlich schön.

Das Blöde ist, man lernt Dinge und Wesen kennen, die andere Menschen nicht kennenlernen, und deswegen halten die einen für ziemlich bekloppt. Und meistens dauert es auch nicht lange, und man steckt im tiefsten Millassel. Weißt du, was ein Millassel ist?«

»Nein«, sagt Arno und schlurft ein bisschen schneller, denn an der nächsten Kreuzung kommt links der Zoo, und da will er auf keinen Fall hin. Es könnte ja sein, dass denen schon aufgefallen ist, dass einer fehlt.

»Ein Millassel ist so was Ähnliches wie ein Schlamassel. Der Unterschied ist, dass ein Schlamassel jedem Menschen auf der Welt passieren kann, ein Millassel passiert aber immer nur mir. Wie ein Millassel entsteht, weiß ich selbst nicht so genau. Meistens mache ich etwas, was ich ganz gut finde, aber die anderen finden es blöd. Dann sind alle sauer, und ich weiß gar nicht, warum. Vor Millassel kann man sich nicht schützen. Impfen nützt nichts, heißer Kamillentee auch nicht, es gibt auch keine Millasselversicherung. Schlimmer als ein Millassel ist nur noch eine Millastrophe. Das ist wie eine Katastrophe, aber nur für mich. Apropos Millastrophe …«

Milla zeigt auf ein rotes Backsteinhaus mit zwei Türmchen. »Das da hinten ist meine Schule. Ich werde einen Mordsärger bekommen von der Schnipps. Die Schnipps ist meine Lehrerin. Sie heißt natürlich nicht Schnipps, eigentlich heißt sie Ursula Haselstein. Wir nennen sie bloß so, weil sie immer mit den Fingern schnippt, wenn sie aufgeregt oder böse ist. Die Schnipps wird mir natürlich nicht glauben, dass ich auf einem Nashorn in die Schule geritten bin. Alle in der Klasse lachen dann über mich. Marianne zum Beispiel, das ist meine Erzfeindin, die kann richtig gemein sein. Der dicke Berti lacht auch, obwohl er doof wie eine Luftpumpe ist. Der dicke Berti ist der Stärkste in der Klasse, und er verhaut gerne die anderen Jungs. Die Mädchen lässt er aber in Ruhe. Nur bei mir macht er eine Ausnahme, denn ich bin ja kein richtiges Mädchen, sagt er immer. Meistens kriegt er mich aber nicht, ich habe nämlich Blitzenergie und bin viel zu schnell.

Der Einzige, der nicht über mich lacht, das ist der Dribbler. Der Dribbler heißt eigentlich Georg. Im Unterricht sagt er nie etwas, und seine Noten sind richtig mies. Aber dribbeln kann er wie keiner auf der Welt, egal, ob mit einem Fußball oder mit einer Walnuss. Keiner kann ihn stoppen. Der Dribbler gibt nie ab, und er schießt auch mal ins eigene Tor, wenn er Lust hat. Darum wählt ihn im Sportunterricht oder in der Pause keiner in seine Mannschaft. Der Dribbler redet ganz wenig, er dribbelt lieber. Er ist ein bisschen seltsam, aber ich mag ihn. Eigentlich würde er gut in unsere Familie passen, denn bei uns sind auch alle ein bisschen komisch. Papa, Oma und Onkel Geronimo. Nur Mama nicht. Die ist die einzige Normale bei uns. Sagt sie jedenfalls immer. Ich finde, sie ist unheimlich gut im Normalsein.«