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Eine alte Legende bedroht die Oberwelt! Farnum möchte eigentlich nichts lieber, als einen großen Zoo besitzen und sich um süße und außergewöhnliche Mobs kümmern. Doch dann taucht der Piglin Kritten aus dem Nether auf. Kritten ist einem alten Mythos auf der Spur, der die ganze Oberwelt in einen Krieg stürzen könnte. Werden die beiden nun zu Feinden oder werden sie sich erheben und selbst zu Legenden werden? Klar ist jedenfalls, dass die Minecraft-Oberwelt nie wieder dieselbe sein wird. Der offizielle Roman zum neuen Spiel Minecraft Legends!
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Seitenzahl: 277
Deutsche Erstausgabe
© 2023 Schneiderbuch in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten
© 2023 Mojang AB. All Rights Reserved.
Minecraft, the Minecraft logo, the Minecraft Studios logo and the Creeper logo
are trademarks of the Microsoft group of companies.
Originaltitel: »Minecraft Legends: Return of the Piglins«
Erschienen bei Random House Worlds, an imprint of Random House,
a division of Penguin Random House LLC, New York.
Random House is a registered trademark and Random House Worlds and colophon
are trademarks of Penguin Random House LLC.
Covergestaltung: Achim Münster, Overath
nach einem Entwurf von M. S. Corley
E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783505151408
www.schneiderbuch.de Facebook: facebook.de/schneiderbuch Instagram: @schneiderbuchverlag
Für Ann, Marty, Laura, Pat, Nick, Ken und Helen, die mir immer wieder zeigen, wie man den größten Spaß hat.
Wo steckt Kritten?« Die bellende Stimme des Großen Bungus hallte durch den kruden Thronsaal der bröckelnden Piglin-Bastion. „Ich brauche seinen Grips, und zwar sofort!«
Als Anführer des wahrscheinlich größten und vielleicht sogar mächtigsten Piglinclans des gesamten Nethers genoss Bungus das Privileg, Forderungen zu stellen und umgehend Antwort zu erhalten. Er hatte sich die Führungsposition dieses Haufens nicht erkämpft, um ignoriert zu werden, egal, wie lächerlich seine Befehle auch sein mochten. Die Tatsache, dass Kritten ihn schon wieder mied – sich anscheinend sogar vor seinem absolut gerechtfertigten Zorn versteckte –, brachte sein Blut zum Kochen wie die Lavaseen unterhalb der brüchigen Bastionsmauern.
»Du brauchst Kritten nicht!«, grunzte Uggub. »Du hast mich!«
Bungus maß den massigen Piglin-Barbaren mit schiefem Blick. »Du bist aber nicht schlau! Nur stark! Bei den Schwierigkeiten, die uns blühen, helfen keine Muskeln. Wir brauchen Grips, um das wieder hinzubiegen. Krittens Grips!«
Uggub grunzte lauter, frustriert über den demütigenden Gedanken, schiere Kraft sei nicht die Lösung für alle Probleme. »Muskeln haben dir diese Bastion eingebracht, und Muskeln können sie auch halten!«
Bungus sprang von seinem groben Steinthron und schlug Uggub so heftig, dass er hinfiel und ein Stück über den Boden rutschte. »Haben deine Muskeln das verhindern können? Hm?«
Uggub wischte sich übers Kinn, rappelte sich auf und starrte Bungus finster an, als wolle er mit den Augen Pfeile im Kopf des Piglinbosses versenken.
Bungus grunzte Uggub an. »Da draußen im Nether gibt’s zu viele, die uns töten könnten! Zu viele andere Piglins, die wollen, was wir haben! Muskeln reichen da nicht aus! Und die Mauern dieser Bastion können ihnen nicht ewig standhalten. Der Druck wird zu groß! Wir brauchen Grips!«
Als er hörte, wie dringend Bungus seine Hilfe benötigte, beschloss Kritten, dass jetzt der beste Zeitpunkt war, sich seinem Zorn zu stellen.
Der deutlich kleinere Piglin richtete seine Robe, schlüpfte aus seinem Versteck hinter Bungus’ Thron und sprang in den Kegel aus Licht, das durch ein Loch im Bastionsdach drang.
»Ich besitze Grips!«, verkündete er mit heller, hoffnungsvoller Stimme, in der fast gar keine Angst mitschwang. »Ich besitze den Grips, den du brauchst, und zwar genau hier in meinem Kopf! Ich kann helfen!«
Bungus wirbelte herum und versetzte dem übereifrigen Piglin einen so heftigen Schlag, dass er quer durch den Raum geschleudert wurde. Kritten, der kaum halb so groß wie seine turmhohen Artgenossen Bungus und Uggub war, rollte wie ein abgenagter Schädel über den Boden und prallte hart gegen die gegenüberliegende Wand des Thronraums. Einen Moment blieb er regungslos liegen, schockiert über die unerwartete Wendung seines Schicksals.
Kritten schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu sortieren. »Was habe ich gemacht?«
Bungus stapfte auf ihn zu, die großen Pranken zu massigen Fäusten geballt. »Darum geht’s nicht! Sondern darum, was du nicht gemacht hast!«
Im langen Schatten des Anführers machte sich Kritten noch kleiner. »Ich hab’s doch versucht! Du weißt, dass ich’s versucht habe!«
»Versuchen ist nicht gut genug!« Wütend stampfte Bungus mit dem gestiefelten Fuß auf. »Ich könnte versuchen, dich nicht zu zerquetschen und genauso scheitern!«
»Ich habe dir bei der Übernahme dieser Bastion geholfen!«, rief Kritten, zu Tode erschrocken, aber irgendwie immer noch trotzig. »Und ich kann dir auch helfen, sie zu behalten!«
»Du versuchst bloß, uns zu helfen, sie zu behalten!«, mischte sich Uggub nun ein. »Wenn wir scheitern, nehmen andere Piglins sie uns weg!«
Bungus keuchte auf, denn Uggub hatte endlich das ausgesprochen, was alle längst dachten: Bungus’ Horde war so geschwächt, dass es jedem anderen Piglinclan durchaus gelingen könnte, sie aus der Bastion zu vertreiben – oder Schlimmeres!
Wobei das nur fair wäre, dachte Kritten bei sich. Schließlich hat Bungus die Bastion auf genau dieselbe Weise erobert.
»Niemals!«, donnerte Bungus den Piglin-Barbaren an. »Das wird niemals passieren! Wir werden es nicht zulassen!«
Uggub schnaubte herablassend. »Das hat Grungert auch gesagt, bis du ihm die Bastion weggenommen hast! So ist das eben unter Piglins! Wir erobern, bis wir erobert werden!«
Bungus weigerte sich, das zu akzeptieren. »Nicht dieses Mal! Nicht wir! Nicht ich!«
Uggub grunzte den etwas größeren Piglin an. »Was macht dich so anders?« Kritten konnte die Saat des Verrats im Dickschädel des Barbaren förmlich aufkeimen hören.
Bungus streckte einen vernarbten, fleischigen Zeigefinger aus und zeigte herausfordernd auf Kritten. »Ich habe den Schlaukopf da, der es verhindern wird! Er wird einen Weg finden, uns zu schützen und die Bastion zu halten!«
»Uns?« Kritten schüttelte den Kopf und fragte sich, ob die verräterischen Gedanken, die in Uggubs Kopf gediehen, inzwischen auf ihn abfärbten. »Du meinst wohl eher dich!«
Bungus gluckste. »Es geht nicht mehr um mich! Jedenfalls nicht nur. Sondern um uns!«
Uggubs Brauen kräuselten sich beim krampfhaften Versuch, Bungus’ Logik zu begreifen. Der Barbar war nicht gerade geübt im Denken. »Wie meinst du das?«
»Wenn ich stürze, stürzt der Clan mit mir. Ohne mich haben wir nicht genügend Piglins, um die Bastion zu verteidigen! Nicht mehr! Und wenn wir nicht genügend Piglins haben …«
Deutlich leiser beendete Kritten den Satz des Bosses: »... dann werden uns die anderen Piglinclans stürmen und alle töten, die übrig sind.«
Obwohl Krittens Stimme kaum mehr als ein Flüstern gewesen war, hallten die Worte durch den völlig stillen Thronraum.
Selbst Uggub erkannte, dass der kleinere Piglin recht hatte – aber das machte den Barbaren nur noch wütender. Mit zornverzerrter Miene wandte er sich zu ihm um. »Und was willst du dagegen tun, Schlaukopf?«
Kritten erstarrte, und sein Blick huschte zum einzigen Ausgang, der von zwei gut bewaffneten Piglinwachen flankiert wurde, die so taten, als hätten sie nicht das gesamte Gespräch mitgehört. Kritten würde es nie an ihnen vorbei schaffen.
In die Ecke gedrängt, sprang Kritten auf die Füße, um sich vor Bungus aufzubauen. Er tat sein Bestes, nicht vor Angst zu schlottern, aber scheiterte kläglich. Er konnte nur hoffen, dass sein Beben als Anzeichen für rasende Wut gedeutet wurde. »Meinst du, ich hätte es nicht versucht? Ich tue alles, was ich kann! Es ist nicht meine Schuld!«
Bungus machte einen Schritt auf Kritten zu, der schleunigst fortfuhr: »Genauso wenig wie deine! Ich habe genauestens geprüft, was mit den letzten fünf Anführern passiert ist, die über diese Bastion geherrscht haben, und von denen konnte es auch niemand verhindern!«
Bungus pikte Kritten mit dem dicken Finger in die Brust und drückte ihn so hart gegen die Wand, dass sein Herz wehtat. »Vielleicht bist du das Problem! Vielleicht auch ich! So oder so hast du nur noch eine Chance, die Sache in Ordnung zu bringen!«
»Und was, wenn nicht?« Kritten hatte es gründlich satt, so misshandelt zu werden. Er und Bungus arbeiteten schon seit langer Zeit zusammen – eine gute Partnerschaft, die beiden nutzte. Sie hatte ihnen diese Bastion eingebracht – ein Ziel, auf das sie gemeinsam hingearbeitet hatten, solange Kritten sich zurückerinnern konnte. Sie hatten ihr Ziel erreicht, aber was kam als Nächstes?
Bungus ließ die Daumenspitze über seine Kehle fahren und ruckte sie dann über die Schulter. »Dann bist du Geschichte! Du gehst in den Nether – und zwar allein!«
Kritten wich zurück, so weit die Mauer in seinem Rücken es erlaubte. »Das ist ein Todesurteil! Die Hoglins da draußen werden mich lebendig auffressen!«
Bungus schnaubte belustigt. »Dann bist du wenigstens für eine Sache nützlich.«
Als Zoowärter bin ich eine absolute Niete, dachte Farnum bei sich. Er wanderte durch die Oberwelt und war froh, dass niemand hören konnte, was er tief im Innern von sich hielt. Es fiel ihm schwer genug, seinen Freunden etwas vorzuspielen, damit sie ihn bloß nicht im Stich ließen. Sich selbst zu belügen war da schon deutlich schwieriger.
Die Sonne stand hoch am fast wolkenlosen Himmel und schien auf Farnum und die hügelige Landschaft herab, die bis zur Bergkette jenseits der Stadt reichte, in der er geboren worden war und die er schon sein ganzes Leben kannte. Um ihn herum tummelten sich alle möglichen Tiere, die sich am üppigen Gras gütlich taten oder im nahe gelegenen Fluss schwammen. Er hatte sie genau studiert und kannte sie gut – vielleicht ein bisschen zu gut.
Zu dumm, dass ich ausgerechnet Zoowärter geworden bin.
Das Problem war nicht, dass Farnum Tiere nicht leiden konnte, im Gegenteil! Für die Bewohner seines Zoos hatte er Gehege gebaut, die besser waren als alles, was sie in der Wildnis gefunden hätten. Er hatte sich gedacht, wenn sie schon ihre Freiheit aufgeben mussten, dann konnte er ihnen wenigstens ein möglichst wundervolles neues Zuhause geben.
Das Problem war, dass sein Zoo klein war und ausschließlich Tiere beherbergte, die ihm auch hier draußen begegneten – gewöhnliche und alltägliche, die jeder in der Wildnis beobachten konnte. Man musste einfach nur die Stadt verlassen und sich auf Wanderschaft begeben. Das Einzige, was der Zoo seinen Besuchern bot, war Bequemlichkeit.
Farnum wusste, das war die größte Schwäche seiner Einrichtung, aber er hatte keine Ahnung, was er dagegen tun sollte. Er hatte nie vorgehabt, einen Zoo zu eröffnen, aber irgendwie war er jetzt trotzdem für einen verantwortlich.
Alles hatte angefangen, als er an einem Tag wie heute auf Wanderschaft in der Natur einem verletzten Fuchs begegnet war. Füchse gab es eigentlich nur in der Taiga, also musste dieses Tier weit von zu Hause weg sein. Normalerweise wäre Farnum niemals in der Lage gewesen, eine solche Kreatur mit bloßen Händen einzufangen, aber aufgrund seiner Verletzung hatte sich der Fuchs von ihm aufheben und mit nach Hause nehmen lassen, wo er ihn gesund gepflegt hatte.
Sobald Reineke – so hatte er den Fuchs getauft – wieder auf den Beinen war, hatte Farnum versucht, ihn zurück in die Freiheit zu entlassen, aber das Tier wollte nicht. Stattdessen war es bei ihm geblieben und hatte ihn um Süßbeeren angebettelt. Irgendwann hatte Farnum nachgegeben und Reineke bei sich aufgenommen. Aber anstatt ihn frei im Haus herumlaufen zu lassen, wo er ständig irgendwelche Gegenstände aufhob und durch die Gegend trug, hatte er ihm draußen vor der Tür ein großes Gehege gebaut.
Obwohl es eigentlich dazu hatte dienen sollen, den Fuchs von den Leuten abzuschirmen und nicht umgekehrt, kamen sie in Scharen, um einen genaueren Blick auf Reineke zu werfen, kaum dass sich herumgesprochen hatte, dass in der Stadt ein echter Fuchs lebte. Irgendwann hatte jemand gefragt, ob man spenden könne, um Farnum bei Reinekes Pflege zu unterstützen, also hatte er kurzerhand beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen und einen offiziellen Zoo zu eröffnen, den er um Reinekes Gehege herum errichten wollte.
Leider fehlte Farnum jegliches Talent, seltene und exotische Kreaturen aufzuspüren und nach Hause zu bringen. Bis heute konnte man in seinem Zoo außer Reineke lediglich eine Kuh, einen Esel, ein Paar Schafe, ein Kaninchen und eine Schildkröte bewundern – mit anderen Worten Tiere, die es in dieser Gegend zuhauf gab.
Wenig überraschend schien sich niemand für sie zu interessieren.
Trotzdem hatte Farnum sich sehr angestrengt, um jedem einzelnen Tier ein wundervolles Gehege einzurichten, und er achtete immer darauf, dass sie genügend Futter und Rückzugsorte hatten. Das tat er nicht aus Geschäftssinn, sondern weil es für diese verlorenen Kreaturen das Richtige war. Er brachte es einfach nicht übers Herz, sie davonzujagen, wo sie doch so gern bei ihm bleiben wollten.
Dennoch musste er sie irgendwie füttern, und mittlerweile kamen kaum noch Spenden für den Zoo herein. Wenn Farnum nicht bald etwas Neues und Exotisches beschaffte, würde er zwischen sich und den Tieren entscheiden müssen, wenn es ums Essen ging.
Der Gedanke ließ seinen Magen knurren. Er rückte seine wasserdichte Tasche zurecht und fragte sich, wie lange er wohl noch durchhalten würde, ehe er sie öffnen musste, um sich einen Snack zu gönnen.
»Wenigstens ist es ein schöner Tag«, sagte er laut, obwohl niemand in der Nähe war.
In dem Moment entdeckte er die Höhle – oder zumindest deren Eingang: eine breite Öffnung, verborgen unterhalb des Fußes eines Hügels. Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Farnum hatte sich noch nie so weit von seiner Heimatstadt entfernt. Nicht seit dem »Vorfall in der Unterwelt«, wie er das Ereignis nannte, das ihm in seiner Jugend widerfahren war. Er mochte die Stadt. Sie war komfortabel, sicher und voller Leute, die er seit Ewigkeiten kannte. Außer um neue Tiere für seinen Zoo zu suchen, hatte er nie den Wunsch verspürt, sie zu verlassen.
Aber um den Zoo um neue, ungewöhnliche Kreaturen zu ergänzen, war er in letzter Zeit immer weiter gewandert. Er wusste, wenn er wirklich exotische Wesen finden wollte, würde er die Stadt sehr weit hinter sich lassen müssen, und auf dieses Ziel arbeitete er aktuell hin. Bis er so weit war, begnügte er sich damit, das Gebiet um die Stadt zu erkunden.
Blieb die Frage, ob dieses »Erkunden« zwingend eine Höhle involvieren musste. Wäre es nicht völlig in Ordnung, wenn er an der Oberfläche blieb, wo er weit sehen und im Notfall fliehen konnte, wenn ihm irgendetwas Gefährliches begegnete? Als Jugendlicher war er einmal unter der Erde gewesen – ein wahrhaft schreckliches Erlebnis, das er auf keinen Fall wiederholen wollte.
Trotzdem, dachte er sich, eine Höhle ist ja nicht die Unterwelt, oder? Ich müsste nicht einmal graben, um sie zu betreten – sie ist einfach da und steht für alle Welt offen.
Ob der Gedanke nun stimmte oder nicht – er machte ihn nicht mutiger … Er war zwar durchaus neugierig auf das, was er in der Höhle finden würde, aber gleichzeitig kämpfte er mit der Angst vor dem, was ihn in der Höhle finden würde.
Ohne bewusste Entscheidung trugen ihn seine Füße näher zur Höhlenöffnung. Näher heranzugehen ist in Ordnung. Die Sonne ist warm und strahlt hell. Es ist ja nicht so, als wäre die Unterwelt in der Lage, mich einfach durch den Höhleneingang zu ziehen. Oder?
Diesen Gedanken hielt er so fest er konnte, während er sich der Höhle Schritt für Schritt näherte. Es fühlte sich an, als hätte er einen ganzen Tag damit vergeudet, aber dann hatte er die Öffnung endlich erreicht und starrte ins Höhleninnere.
Sonnenstrahlen fielen schräg hinein und tauchten die ersten Meter des felsigen Bodens in grelles Licht. Dahinter konnte Farnum nicht viel erkennen – nur dass die Höhle sehr viel größer war, als er gehofft hatte. Wenn er herausfinden wollte, was in ihr lebte, würde er sie wohl oder übel betreten müssen.
Er wusste nur nicht, ob er sich dazu überwinden konnte.
Nichtsdestotrotz holte er eine Fackel heraus, die er anzündete und hoch über den Kopf hob, während er sich vorsichtig vorwärtstastete. Die Höhle erstreckte sich viel weiter, als der Fackelschein reichte. Er neigte den Kopf und spitzte die Ohren, um zu ergründen, was hier hausen mochte. Aber alles, was er vernahm, war plätscherndes Wasser in der Ferne.
Dann erstarrte er plötzlich. Sosehr er es auch versuchte, er konnte die Beine keinen Zentimeter weiterbewegen. Das Pochen seines Herzens hallte immer lauter in seinen Ohren wider und übertönte bald alles andere. Der Drang, kehrtzumachen und nach Hause zu rennen, war so übermächtig, dass er sich unfähig fühlte, ihm zu widerstehen.
Dann hörte er Schritte in seinem Rücken.
Farnums erster Instinkt befahl ihm, wegzulaufen. Aber die Schritte waren hinter ihm erklungen, was bedeutete, eine Flucht hätte ihn unweigerlich in die Höhle geführt. Allein der Gedanke daran, sich in diese Finsternis zu wagen, erschien ihm unerträglich, also machte er auf dem Absatz kehrt, um sich dem zu stellen, das sich ihm genähert hatte.
»Bist du das, Farnum?«, rief eine vertraute Stimme. »Was um alles im Nether machst du so weit draußen?«
Ein Lachen entsprang Farnums Kehle. Das war weder ein Creeper noch ein Skelett oder ein anderes derartiges Wesen – was zu dieser Tageszeit auch mehr als ungewöhnlich gewesen wäre, aber die Angst hatte seine Fantasie angeheizt.
Nein, diese Person war ihm vertraut – jemand, den er seit viel zu langer Zeit nicht mehr gesehen hatte. »Grinchard! Du bist das!« Farnums Angst fiel von ihm ab, als er auf das Forschertalent zulief und dabei gegen Tränen der Erleichterung kämpfte.
»Wer sonst sollte es sein, Dummchen?«, gab Grinchard lachend zurück und akzeptierte Farnums stürmische Umarmung.
Der Zoobesitzer war so erleichtert, ein freundliches Gesicht zu sehen, dass er nicht bemerkte, dass noch jemand anders zugegen war.
»Obendrein nicht allein!«, meldete sich Mycra zu Wort, die hinter Grinchard stand. Sie eilte vorbei und gesellte sich zu den beiden, um aus der Umarmung kurzerhand eine Gruppenumarmung zu machen. »Ich bin so froh, dass wir dich gefunden haben!«
Farnum lächelte die beiden glücklich an – wenn auch ein wenig verwirrt. »Warum habt ihr mich denn gesucht?«
»Das geht wohl auf meine Kappe«, gab Grinchard zu. »Ich bin gerade von meinem letzten Abenteuer zurück und wollte als Erstes meine Freunde in der Stadt wiedersehen.«
»Also kam Grinchard bei mir vorbei und hat mich direkt mitgenommen«, ergänzte Mycra.
»Genau. Und dann sind wir gemeinsam los, um dich zu suchen«, beendete Grinchard den Bericht.
Farnum nickte verstehend. »Aber ich war nicht zu Hause!«
Grinchard kicherte. »Genau, warst du nicht! Was mich verständlicherweise schockiert hat, aber Mycra war nicht überrascht.«
»Ich habe davon erzählt, wie sehr du dich in letzter Zeit um deinen Zoo sorgst«, erklärte Mycra. »Und dass du das Umland nach neuen Kreaturen absuchst, um ihn zu erweitern.«
Grinchard reckte den Hals, um den Blick über die weite Landschaft streifen zu lassen. »Du wirst dich sehr viel weiter als bis hier wagen müssen, wenn du etwas wirklich Interessantes finden willst.«
Farnum lächelte verlegen. Er war viel zu glücklich, seine Freunde wiederzusehen, um den Kommentar in den falschen Hals zu bekommen. »Ihr hättet nicht nach mir zu suchen brauchen.«
»Stimmt, aber ich bin nicht gerade mit Geduld gesegnet«, meinte Grinchard. »Außerdem wird es bald dunkel.«
»Es sieht dir nicht ähnlich, so spät am Tag außerhalb der Stadt umherzuwandern«, fügte Mycra hinzu. »Wir haben uns Sorgen gemacht, dass etwas schiefgelaufen sein könnte.«
In Farnums Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. »Ihr habt doch keinen Suchtrupp zusammengetrommelt, oder?«
Mycra klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Sorge. Wir sind nur zu zweit.«
Grinchard rollte mit den Augen. »Ich habe ihr gesagt, wenn wir dich nicht finden, ist die Chance gering, dass es irgendjemandem gelingt.«
Grinchards etwas anmaßende Besorgnis um Farnums Sicherheit hätte den Zoobesitzer wahrscheinlich verstimmt, wenn er nicht so erleichtert gewesen wäre. Als er sich als Kind in der Unterwelt verirrt hatte, war die ganze Stadt ausgeschwärmt, um ihn zu suchen, und unter dieser Schande litt er bis heute. Das Letzte, was er wollte, war, dass die Leute die alten Kamellen aufwärmten und wieder über ihn redeten.
Mycra reckte den Hals, um in die Höhle zu spähen, deren Eingangsbereich vom Fackellicht beleuchtet war. »Jedenfalls … Jetzt, wo wir dich gefunden haben, schlage ich vor, dass wir zurückgehen. Wenn wir gleich losgehen, schaffen wir es zurück, bevor es dunkel wird, und ich habe keine Lust auf eine Nachtwanderung.«
Farnum nickte Mycra und Grinchard dankbar zu. »Ihr seid wirklich die besten Freunde, die man sich wünschen kann.«
»Denk daran, wenn wir dich das nächste Mal um etwas bitten«, meinte Grinchard glucksend.
Das war ziemlich sicher ironisch gemeint, denn Grinchard brauchte eigentlich nie irgendetwas von irgendwem. Sier * besaß kein Haus, schlief am liebsten unter freiem Himmel oder baute sich wenn nötig eine schnelle Unterkunft. Grinchards einziger, aber dafür besonders innig geliebter Besitz war ein Schwert – nicht nur Waffe, sondern auch Arbeitsgerät, denn Grinchards Beruf war es, andere zu beschützen.
Das Abenteurertalent verschwand oft wochen-, manchmal sogar monatelang, aber kehrte immer irgendwann zurück. Meist mit nicht viel mehr als einem Haufen neuer Reisegeschichten, aber die waren so großartig, dass sich nie jemand beschwerte.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie ihr mich gefunden habt«, sagte Farnum und beäugte den Höhleneingang.
»Ich bin ziemlich gut im Spurenlesen geworden«, erwiderte Grinchard. »Was du auch wüsstest, wenn du mich endlich einmal hinaus in die Wildnis begleiten würdest. Und du hast eine Spur so breit wie eine Straße hinterlassen.«
»Ist das etwas Schlechtes?«
Mycra lächelte ihn an. »Nicht, wenn man gefunden werden will.«
Seufzend warf Farnum einen letzten Blick in die Höhle. Er hatte so lange damit zugebracht, seinen Mut zusammenzukratzen, um hineinzugehen, dass der große Moment inzwischen verstrichen war.
»Vielleicht wolltest du es ja gar nicht?«, kommentierte Grinchard halb scherzend. »Du hast die Höhle angestarrt, als wolltest du sie in Besitz nehmen.«
Mycra hob missbilligend eine Augenbraue. »Hast du etwa vergessen, dass Farnum sich einmal im Untergrund eingesperrt hat, als wir Kinder waren? Er war da unten hilflos gefangen, ganz und gar von Obsidian eingekesselt, ohne die Möglichkeit, sich nach draußen zu graben.« Sie warf Farnum einen besorgten Blick zu. »Wie lange warst du noch mal da unten?«
»Zwei Tage«, antwortete er, während er versuchte, die Erinnerungen abzuschütteln, die ihn zu verschlingen drohten. »Zwei ganze Tage.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es sich sehr viel länger angefühlt hat«, sagte Mycra tröstend. »Wenn ich mir vorstelle, dort unten so lange in absoluter Schwärze ausharren zu müssen … ohne zu wissen, wie viel Zeit vergangen ist oder ob man je wieder nach draußen kommt …«
Sie verstummte vor Mitgefühl ob Farnums Notlage.
»Ich muss es mir nicht vorstellen«, gab er zurück. »Ich war dort. Und du hast recht, es war schrecklich.«
Grinchard legte die Hand auf den Schwertknauf und schnaubte. »Das ist ewig her.«
Der Kommentar irritierte Farnum kurz. »Ich habe immer noch Albträume deswegen.« Wieder sah er Mitgefühl in Mycras Blick aufflammen und fügte eilig hinzu: »Also, nicht jede Nacht. Nur hin und wieder.«
»Ah, deshalb willst du also nie auf Erkundungsreise gehen«, meinte Grinchard.
»Oder unter Tage!«, ergänzte Mycra, vielleicht ein bisschen zu laut. Farnum und Grinchard starrten sie an. »Was denn? Bergbau ist das Beste, was es gibt! Er ahnt ja nicht, was er verpasst!«
»Du solltest es wirklich einmal ausprobieren«, riet Grinchard dem Zoobesitzer.
»Hey, bedränge ihn nicht so.« Mit betretenem Gesichtsausdruck drehte Mycra sich zu Farnum um. »Tut mir leid. Manchmal geht meine Begeisterung mit mir durch.«
Sie fixierte Grinchard. »Verstehst du es nicht? Glaubst du, er ist ein geborener Stubenhocker? Was meinst du denn, warum er den Zoo gegründet hat, anstatt sich eine Aufgabe zu suchen, die ihn aus der Stadt hinausführt?«
Grinchard zuckte mit den Schultern. »Du und ich ziehen ständig los und erleben Abenteuer. Wir sind schon an allen möglichen Orten gewesen. Unsere Arbeit ist aufregend und die Leute loben uns andauernd. Ehrlich gesagt hielt ich ihn tatsächlich für einen Stubenhocker. So wie die meisten Leute hier.«
Farnum öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Mycra kam ihm zuvor. »Das ist nicht fair!«
»Wenn du meinst.« Grinchard war eindeutig nicht überzeugt. »Er steckt seit Jahren hier fest und arbeitet in seinem sogenannten Zoo, dessen exotischste Attraktionen Kreaturen sind, die man hier auf jedem Hof findet.«
»Jetzt warte mal«, lenkte Farnum ein. »Das mag ja sein, aber …«
»Aber das kommt doch alles nur von seinem Kindheitstrauma«, kam ihm Mycra eilfertig zu Hilfe. »Dieser schreckliche Vorfall, der ihn bis heute verfolgt! Meinst du, er kann ihn einfach so vergessen, irgendwo aus seinem tiefsten Innern ein Quäntchen Mut ausgraben und ins große Unbekannte ziehen?«
»Jetzt halt mal die Luft an«, platzte es aus Farnum hervor. Damit gelang es ihm endlich, Mycras Wortschwall zu stoppen. »Gut, vielleicht hat mich der Vorfall im Untergrund vor all den Jahren tatsächlich traumatisiert. Und vielleicht habe ich deshalb Angst davor, so wie ihr in die Welt hinauszuziehen und Abenteuer zu erleben. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin! Oder?«
Ganz plötzlich schienen Grinchard und Mycra schrecklich faszinierende Dinge entdeckt zu haben, die sich zufällig genau in der anderen Blickrichtung befanden. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie ihm nicht antworten wollten, was ihn nur noch mehr enttäuschte. »Sagt schon«, forderte er sie auf.
»Natürlich nicht«, sagte Mycra ein wenig zu hastig.
»Das haben wir nicht zu entscheiden«, meinte Grinchard vorsichtig.
»Und wer hat es zu entscheiden? Ich habe einen Zoo zu versorgen. Ich kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen und weggehen.«
Grinchard runzelte die Stirn, offensichtlich unangenehm berührt, aber entschlossen, fortzufahren. »Ich habe vorhin gesehen, wie du in die Höhle gestiert hast. Du bist vor Schreck fast aus der Haut gefahren, als wir Hallo gesagt haben.«
Farnum errötete. Er fühlte sich ertappt. »Na und?«
Grinchard zuckte mit den Schultern. »Und vielleicht solltest du hineingehen.«
Farnums eben noch gerötete Wangen wurden kalkweiß. »Wie bitte?«
»Wir sind doch schon hier.« Grinchard setzte ein zwangloses Lächeln auf. »Jetzt oder nie – so sagt man doch, oder?«
Farnums Gedanken rasten, während er fieberhaft nach einer Ausrede suchte, um sich aus diesem Schlamassel zu befreien. »Eben hast du noch gesagt, wir sollten zurückgehen. Es wird spät.«
Grinchard gluckste. »Das waren Mycras Worte, nicht meine.«
Farnum sah hilfesuchend die Freundin an, die an ihren Vorderzähnen sog und versonnen den Himmel betrachtete. »Ehrlich gesagt wollte ich dir nur einen Ausweg geben. So spät ist es nun auch wieder nicht. Ich meine, je nachdem, wie groß die Höhle ist und wie weit wir hineinwollen …«
Farnums Enttäuschung wich Verärgerung. »Das heißt also, wenn ich mich nicht auf der Stelle kopfüber in eine total irre Expedition in die tiefsten und finstersten Teile der Welt stürze, bin ich bis in alle Ewigkeit ein hoffnungsloser Fall? Das ist nicht fair!«
Mycra zuckte mitfühlend mit den Schultern. »So ist es nicht. Nicht wirklich. Wir lieben dich so oder so, Farnum.«
»Als ich hier ankam, war ich einfach nur froh, dich zu sehen«, ergänzte Grinchard mit einem Lächeln, das Farnum förmlich anflehte, die letzten Minuten zu vergessen.
Farnum erwog kurz, seinem Ärger Luft zu machen und allein davonzumarschieren. Er wusste es zu schätzen, dass sich die beiden auf die Suche nach ihm gemacht hatten, aber er hasste es, wenn ihn die Leute so behandelten – besonders seine Freunde.
Er hätte sie einfach anbrüllen und auffordern können, ihn in Ruhe zu lassen. Aber dann würden sie zurück in die Stadt gehen, und er würde vielleicht nie wieder mit ihnen reden. Oder noch schlimmer – wenn er sie doch wieder ansprach, wären sie dann noch Freunde?
Er starrte die beiden finster an, aber fand in ihren Blicken keinen Funken von Verurteilung. Alles, was er sah, war aufrichtige Sorge.
Sie machten sich wirklich etwas aus ihm. Wenn er jetzt nicht mit ihnen mitging, würden sie es ihm verzeihen.
Die eigentliche Frage war, ob er sich selbst verzeihen könnte.
Er schürzte die Lippen so heftig, dass sie tiefe Falten bekamen, und fasste einen Entschluss.
»Also gut«, sagte er mit einem tiefen Seufzen. Es waren womöglich die schwierigsten Worte, die er je ausgesprochen hatte, denn er wusste genau, sobald sie seine Lippen überquerten, gäbe es kein Zurück mehr.
»Also gut?«, hakte Grinchard verwirrt nach, anscheinend unsicher, ob Farnum soeben ihre Freundschaft beendet hatte. »Also gut, was?«
Farnum zuckte ein wenig zusammen. Die Entscheidung zu treffen war schon schwer genug gewesen – sollte er sie jetzt auch noch erklären? »Also gut, gehen wir.« Er wartete darauf, dass sie begriffen, was er ihnen sagen wollte, aber sie brauchten zu lange. »Ich bin dabei!«
»Du bist dabei?«, wiederholte Grinchard ungläubig.
»Du bist dabei«, hauchte Mycra staunend.
»Ich bin dabei.« Ein Teil von Farnum war erleichtert, endlich etwas Waghalsiges mit seinen Freunden zu unternehmen und sich seinen lang gehegten Ängsten zu stellen – endlich etwas zu tun, vor dem er sich fürchtete.
Aber der andere Teil fragte sich, was um Himmels willen er sich da eingebrockt hatte.
Farnum war sich nicht sicher, ob seine Freunde ihm nur entgegenkommen wollten, aber sie schienen ihm wirklich zu glauben, dass er in die Höhle wollte, und das gab ihm Mut. Die beiden hatten schon so viel mehr von der Welt gesehen als er, dass er sich manchmal schämte. Vielleicht war das hier der erste Schritt, diesen Makel zu korrigieren.
Natürlich plagte ihn auch furchtbare Angst, aber er wollte versuchen, sie zu ignorieren. Er hatte viel länger als ihm lieb war an diesem Höhleneingang verbracht, ohne sich zum Hineingehen überwinden zu können. Aber mit den Freunden an seiner Seite war er zuversichtlich, dass er es schaffen konnte.
Grinchard griff sich in den Rucksack, holte eine Fackel heraus und zündete sie an. Mycra tat dasselbe und warf Farnum einen fragenden Blick zu. Er starrte sie nur überfragt an.
»Hast du eine Fackel dabei?«, fragte sie.
»Oh!« Er hatte tatsächlich eine, die er so schnell er konnte aus seiner Tasche fischte. Unbeholfen versuchte er, sie anzuzünden, was ihm fast auf Anhieb gelang. Triumphierend hielt er sie hoch.
Noch während er sein Werk bewunderte, bemerkte er, dass die anderen beiden längst bereit waren. Sie wechselten einen Blick, und Grinchard nickte Mycra selbstsicher zu. »Ich gehe voran.«
Farnum wollte protestieren, aber Grinchard hatte sich bereits abgewandt und hielt mit erhobener Fackel auf die Höhle zu.
Farnum zögerte nur einen kurzen Moment, ehe er Grinchard folgte. Kaum war er drinnen, hielt er an, um genau zu prüfen, welche Geheimnisse das flackernde Fackellicht der Finsternis entlockte.
Einer der zahlreichen Gründe, warum Farnum sich vorhin nicht hineingetraut hatte, war, dass er auf irgendein gefährliches Wesen stoßen könnte, das diese Höhle als dauerhafte Wohnstatt nutzte. Eigentlich hätte er Aufregung bei dem Gedanken an die Entdeckung einer fremdartigen neuen Kreatur verspüren müssen, die er in seinem Zoo unterbringen könnte … aber die Angst, aufgefressen zu werden, hatte überwogen.
»Haltet die Augen nach Kreaturen offen«, rief er Grinchard zu. »Sowohl guten als auch bösen.«
»Da gibt’s einen Unterschied?«
»Die guten trachten dir nicht nach dem Leben.«
Grinchard lachte sorglos. »Aber die ›bösen‹ würden sich super in deinem Zoo machen!«
Kein schlechtes Argument. Gefährliche Monster würden definitiv wieder Besucher in den Zoo locken. Nur wusste er nicht, ob er sich um solche Bestien kümmern wollte. Natürlich würde er wieder mehr Geld verdienen, aber wäre es das Risiko wirklich wert?
Ein Teil von ihm fand, dass alle Kreaturen Fürsorge verdienten, aber trotzdem fiel es ihm schwer, auf diesem Grundsatz zu beharren, wenn es um Zombies und Creeper ging. Andererseits war es durchaus verlockend, diese Wesen genauer zu studieren.
Diese Höhle jedenfalls wirkte verlassen. Hier lebten keine Geschöpfe – zumindest nicht in dem Umkreis, den das Fackellicht erreichte.
Farnum fand das sowohl enttäuschend als auch erleichternd.
»Sie ist leer«, stellte er fest.
Mycra stellte sich hinter ihn und zeigte mit ihrer Fackel auf die Finsternis. »Dann geh weiter.«
Farnum schluckte mühsam und tat wie geheißen. Es ging viel leichter, als es ihm seine Angst die ganze Zeit vorgegaukelt hatte. Grinchard lief voraus, wies ihnen mit der Fackel den Weg und demonstrierte dem Zoobesitzer, dass es hier nichts gab, wovor man sich fürchten müsste.
»Siehst du?«, sagte sier mit breitem Grinsen. »Kein Hexenwerk.«
Farnum musste zugeben, dass seine Freunde recht hatten. Er hatte sich von seiner Furcht steuern und davon abhalten lassen, die weite Welt zu erkunden, obwohl er das eigentlich schon immer wollte. Er hatte zwar nach wie vor schreckliche Angst vor dieser Höhle, aber seine Freunde an seiner Seite zu haben, machte den entscheidenden Unterschied.
Sie durchquerten die gesamte Höhle von einem Ende zum anderen und stießen auf keine einzige Kreatur, die sie fressen wollte. Möglicherweise waren sie hier sogar die einzigen lebendigen Wesen.
Vor Erleichterung ließ Farnum die Luft entweichen, die er ohne es zu merken angehalten hatte.
Alles, was es in dieser Höhle gab, waren ein paar Pflanzen in einer entlegenen Ecke. Mycra wusste sofort, was sie da vor sich hatten. »Hey, seht mal! Azaleen!«
»Ein echter Glücksfund«, freute sich Grinchard. »Die sieht man nicht überall.«
»Warum Glücksfund?«, hakte Farnum mit ehrlichem Interesse nach.
»Azaleenwurzeln erstrecken sich oft von einer Höhle bis zur nächsten. Wenn wir ihrem Verlauf folgen, stoßen wir darunter vielleicht auf eine bislang unentdeckte.«
Farnums Magen schlug einen Purzelbaum bei der Vorstellung, in den Bereich vorzudringen, den er als Unterwelt betrachtete, und sich damit noch weiter vom Höhleneingang zu entfernen. »Ist das etwas Gutes?«
»Wenn man gern erkundet, schon.« Grinchard klopfte ihm auf den Rücken. »Bisher haben wir keine Tiere für deinen Zoo gefunden, aber bis zur nächsten Höhle ist es bestimmt nicht weit. Nachsehen schadet nicht.«
»Bist du da sicher?« Auf Anhieb fiel Farnum sogar ein ganzer Haufen von Dingen ein, die ihm sehr wohl schaden konnten.
Grinchard gluckste. »Was ist auf dieser Welt schon wirklich sicher?«
Mycra sah Farnums Gesichtsausdruck und beschloss, ihm gut zuzureden. »Grinchard hat recht, was die Azaleen angeht. Die Wurzeln führen oft bis in andere Höhlen – meist sogar welche, die völlig von der Außenwelt abgeschlossen sind. Dort findet man die tollsten Dinge – Metalle, Mineralien und auch Kreaturen.«
Farnum wusste genau, die letzten Worte hatte sie nur gesagt, um ihn neugierig zu machen. Mit Erfolg.
»Du bist schon so weit gekommen«, fügte sie leise hinzu.
Er nickte zögerlich. »Nachsehen kann nicht schaden …«