Mischievous Magic - Von Kriminalfällen und anderen Katastrophen - Dominic Mertins - E-Book

Mischievous Magic - Von Kriminalfällen und anderen Katastrophen E-Book

Dominic Mertins

0,0

Beschreibung

Oh man, nicht noch so ein Bücherwurm wie Nicolas... *seufzt* Okay, hier mal kurz zum Mitschreiben: Es gibt mysteriöse Morde, die das SEKM beschäftigen. Klingt natürlich spannender, als den Abend mit Freunden zu verbringen. (Für die Zartbesaiteten unter euch: Überspringt das Nächste.) Den Opfern werden Organe entnommen, richtig fieses Zeug. Klar, zieht man sowas einem leckeren Abendessen vor. Übrigens, die Magie hat sich der Menschheit offenbart und dir fällt nichts besseres ein, als das lesen zu wollen? Selbst schuld. Nerd.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 433

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Copyright 2024 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Dieses Werk darf weder im Gesamten noch in Auszügen zum Training künstlicher Intelligenzen, Programmen oder Systemen genutzt werden.

Lektorat: Dunkelstern GbR

Korrektorat: Nicole Gratzfeld

Satz & Coverdesign: Bleeding Colours Coverdesign

ISBN: 978-3-98947-033-0

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch widme ich den Freds dieser Welt.

Allen kleinen Ersatzgewissen, die tagtäglich dafür sorgen, dass andere Menschen sehen, wie wundervoll und einzigartig sie sind, wenn das eigene Selbstwertgefühl es allein nicht schafft.

Wir brauchen mehr von euch!

Inhalt

Skepsis

Wäre ich mal im Bett geblieben

Stinkende Socken

Spot on me

Der erste Einsatz

Kamille ist nicht gleich Kamille

Bella Donna

Auf Reisig reise ich

Ein Keller voller Brocken

Ich zahle

Tagung

Schlammlawine

Kombiniere, Kombiniere

Hinter den Kulissen einer Universität

Übung macht den Meister

Speeddating

Marry Me, Mary

Die Ereignisse überschlagen sich

Heiße Spur einer heißen Frau

Wie man eine Tür eintritt

Danksagung

Content Notes

Skepsis

Gääähhhhn ... Genug geschlafen. Es ist an der Zeit, mich zu amüsieren und etwas Chaos zu stiften. Ich werde diesen verdammten Menschen schon beweisen, dass ihre ach so tolle Wissenschaft nicht alles erklären kann.

Es wird so herrlich sein, die Skepsis in ihren Augen zu sehen, wenn ich meine Existenz erneut offenbare. Das ist jedes Mal so, wenn die Sterblichen mit Unerklärlichem konfrontiert werden. Ich liebe es, wenn sie über mich staunen.

Wissenschaft.

Pah.

Was freue ich mich darauf, jemandem etwas ins Ohr zu säuseln. Ich hoffe, dass in dieser Epoche mehr Sterbliche meine Stimme vernehmen werden als in den vergangenen. Viele von ihnen sind so zerbrechlich und schwach, dass sich ihr kleingeistiges Hirn verschließt, wenn ich anfange zu flüstern.

Die Ägypter waren so versessen auf ihren Pyramidenbau, niemand von ihnen hat auf mein Murmeln reagiert, selbst die Magier ignorierten mich. Alle, außer Cleopatra – die hatte ich im Griff. Und sie mit meiner Hilfe die Männer. Ihre Schönheit war mein Verdienst. Ja, sie war überaus gebildet, aber die Männer der damaligen Zeit hat sie nicht mit Intellekt für sich gewonnen. Dadurch waren die Herren eher verschreckt.

Maya, Inka, Azteken ... warum hatten die Menschen einen Narren daran gefressen, mit meiner Kraft gigantische Bauten zu erschaffen? Wobei die Römer mit mir ein ordentliches Chaos in der Welt angerichtet haben. Das war ein Spaß!

Herrlich.

Zerfallen sind ihre großartigen Reiche jedoch alle.

Was fällt den Menschen ein, mich einfach zu vergessen? So müde ich auch noch bin, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich bin so viel mehr als Taschenspielertricks, und als es esoterische TikTok-Wicca-Hexen behaupten. Ich habe vielleicht geschlafen, aber den Wandel um mich herum mitbekommen. Die Zweifel gespürt ...

Und der traurige Rest, der meine Kraftlinien noch nutzt, nippt lediglich an meiner Macht, anstatt sich in ihr zu verlieren. Und das, obwohl meine Kraft nur ein Rinnsal ihrer eigentlichen Stärke war, während ich geschlafen habe, doch jetzt, wo ich wach bin…

Drehen wir sie mal auf.

Wie sich die jetzige Hochkultur wohl machen wird? Ob sie etwas aus den vergangenen Tagen gelernt haben? Ich bezweifle es.

Wäre ich mal im Bett geblieben

Das macht vierundzwanzig Euro und neunundneunzig Cent.« Ich lächelte die Dame freundlich an.

Missmutig kramte sie mit ihren langen Fingern in ihrer Geldbörse herum.

»Wucher«, grummelte sie vor sich hin und pfefferte mir das Geld auf den Tresen, statt es mir in die ausgestreckte Hand zu legen.

»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, rief ich ihr hinterher.

Erst als die Tür ins Schloss fiel, sackten meine Mundwinkel nach unten. Ich war ein Meister in gespielter Freundlichkeit, was als Verkäufer eindeutig von Vorteil war.

Es kam recht häufig vor, dass die Menschen ihre schlechte Laune an mir ausließen, ein ihrer Meinung nach zu teurer Preis war nur einer der Gründe dafür. Wenn ich eins in der Schule gelernt hatte, dann war es die Fähigkeit, Emotionen zu verbergen.

Meine Eltern waren Besitzer eines magischen Antiquariats. Ein geräumiger Laden in einer Seitenstraße der Innenstadt von Grootingen. Früher waren wir die Anlaufstelle für ausgefallene Geschenke, denn es gab nur wenige Magier auf der Welt.

Schon seit der Schulzeit half ich hier aus. Das war unter anderem ein Grund dafür, dass ich von meinen Mitschülern verspottet worden war.

Wie oft hatte ich die Worte »Der muss doch nen Knall haben« gehört. Auf der Klassenfahrt zu unserem Schulabschluss hatten meine Klassenkameraden mich dazu auserkoren, eine Geisterbeschwörung durchzuführen. Wer, wenn nicht der komische Junge mit dem Hexenladen, sollte sich sonst damit auskennen?

Statt einem Geist hatte ich etwas Wind durch den Raum gesandt und meine Mitschüler erschreckt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jetzt, wo sich das Studium dem Ende zuneigte, arbeitete ich hier hauptberuflich. Fred war der Meinung, es würde mein komplettes Privatleben in Beschlag nehmen.

Mit dieser Aussage hatte er recht. Ich verbrachte einen Großteil der Zeit in diesem Laden, aber ich bereute es nicht. Wer würde sich in einem Antiquariat voller magischer Artefakte und Bücher schon langweilen? – Außer Fred ...

Aber Fred, war einfach ne Nummer für sich. Es war unmöglich, ihm auch nur in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Genau das machte seinen Charme aus.

Jede Minute ohne Kundschaft nutzte ich für mich. Ich schmökerte unheimlich gerne in den Büchern, bevor sie im Verkauf landeten. In einem der hinteren Räume, die nicht für Kunden zugänglich waren, hatte ich einen Stapel ungelesener Bücher, die auf mich warteten.

Einen magischen SuB sozusagen.

Manchmal bereitete ich im Nebenraum Tinkturen und Tränke zu oder entwickelte eigene Zaubersprüche. Es gab immer etwas zu tun, die Kunden nahmen von all der Zeit nur einen geringen Teil ein.

So war es früher zumindest gewesen.

Es war mittlerweile ein Jahr her, dass sich die Magie allen offenbart hatte. Aus zwei Prozent, die in der Lage gewesen waren, Zauber zu wirken, wurden plötzlich achtzig.

Mit dem Aufschwung hatten die Magier gerechnet, denn jede Hochkultur wurde irgendwann von ihr überschwemmt. Wenn wir eines waren, dann doch eine Hochkultur, oder?

Dass es so viele sein würden, überraschte uns dennoch. Wir waren überrumpelt von der Intensität des Geschehens. Keine Vorwarnung, keine Schwankungen, keine langsam sprudelnde Quelle. Die Magie hatte die Luken einfach aufgedreht.

In den ersten Wochen brach Chaos auf den Straßen aus. Ungewollt schossen Zauber aus Menschen hervor, jedes noch so kleine Gefühl war in der Lage, sich zu manifestieren, und oft endete das in Feuer und Explosionen.

Die Regierung verhängte sogar eine Ausgangssperre. Einen magischen Lockdown. Doch das feuerte die Gefühle der Masse so extrem an, dass die magisch bedingte Unfallrate weiter in die Höhe schoss. Mal von den Menschen abgesehen, auf die man in der Arbeitswelt nicht verzichten konnte.

Dieser chaotische Zustand, der mich sogar an ein anarchistisches System erinnert hatte und der mit Ausschreitungen einhergegangen war, hielt nicht lange an. Ich hatte kaum die vielen Schutzzauber um unser Zuhause errichtet, da konnte ich sie auch schon wieder einreißen.

Schneller als erwartet hatte sich die Situation gefangen. Die Menschen lernten auf eigene Faust, mit ihren Fähigkeiten umzugehen. Politisch blieb das Thema ein heißes Eisen, aber zumindest gab es kaum noch größere Vorfälle.

Ich selbst war einer von zwei Prozent der Bevölkerung, die mit Magie schon früher in Berührung gekommen waren. Von klein auf hatte ich diese Kunst trainiert. Das war einer der Gründe, warum wir überhaupt ein magisches Antiquariat besaßen.

Nach der großen Magieoffenbarung zählten wir nicht mehr nur die alteingesessenen Magier zur Kundschaft, sondern so gut wie jeden. Die Menschen waren auf der Suche nach Informationen und unser Laden kam ihnen dabei wie gerufen.

Während einer der Alten abfällig mit der Nase gerümpft hätte bei diesen neuen horrenden Preisen, griffen die Newbies fröhlich nach ihrer Geldbörse. Unsere Einnahmen waren auf einem Hoch wie noch nie.

Vater freute sich über die gefüllte Kasse. Er sah sich schon im vorzeitigen Ruhestand mit einem Drink am Strand.

In den ersten Wochen hatten wir oft Reporter und Kamerateams in unserem Laden. Uns wurde von einem privaten Sender sogar eine Reality-Doku angeboten, die wir dankend ablehnten. Fred war darüber richtig stinkig gewesen, denn er hatte sich schon als Teil der magischen ›Wollnys‹ gesehen.

Das Internet war voll von Verschwörungstheorien und Falschinformationen. Selbst für mich wurde es immer schwerer zu unterscheiden, was sich irgendeine esoterisch angehauchte Tante ausgedacht hatte und was von den Texten nützlich war. Jedes falsche Wissen konnte verheerende Auswirkungen haben.

In diesem Augenblick tummelten sich zwanzig Leute zwischen den einzelnen Gängen und stöberten durch das Inventar. Normalerweise setzte ich mich immer in die Leseecke, die wir für die Kunden hergerichtet hatten, doch bei so viel Andrang blieb mir nichts anderes übrig, als das aufgeschlagene Buch neben der Kasse liegen zu haben.

Mein Blick war auf die Zeilen des alten griechischen Grimoires gerichtet. Von der Haltung hatte ich schon Nackenschmerzen und so langsam mischten sich auch Kopfschmerzen darunter.

Es war nicht die Sprache, die meinen Lesefluss störte, sondern die krakelige Handschrift. Ich sprach sieben Sprachen, wobei mein Griechisch so altbacken war, dass ich unter Muttersprachlern klang wie ein Zeitreisender aus der Antike.

Ein ohrenbetäubender Knall ließ mich hochschrecken. Unsere Ladentür flog auf mein Gesicht zu. Im Bruchteil einer Sekunde reagierte ich. War es mein Körper, der einfach abspulte, was ich ihm Jahre lang antrainiert hatte? Es ging so schnell, irgendwelche Reflexe meldeten sich jedenfalls.

Ich konzentrierte mich auf die Kraftlinie, die mein Geist als Erstes zu greifen bekam, zog Energie aus ihr in die Hände und vollführte eine komplizierte, aber fixe Geste.

Das Tempo meines Zaubers war so hoch, dass mir keine Zeit blieb, um die warme pulsierende Energie, die ich in den Körper zog, zu genießen. Normalerweise glich sie einer Umarmung. Die Magie fühlte sich an wie ein heißer Schluck Kakao an einem eisigen Wintertag, während man eingemummelt in einer Decke auf der Couch lag.

Die Tür schwebte mitten in der Luft, als stünde die Zeit still, bevor sie krachend auf den Boden vor der Theke fiel.

Magische Gesten kannte ich viele. Mein Kopf war voll von ihnen. Sie tummelten sich dort wie Ameisen in einem gut organisierten Bau. Sie waren eine der einfachsten Grundlagen, um überhaupt Magie zu wirken. Neben der komplizierteren Möglichkeit, sie durch die Stimme zu aktivieren, oder sie als Vollprofi in Gedanken zu formen.

Ein weiterer Knall ertönte. Eine Druckwelle ließ unsere Fensterfront in Einzelteile zerspringen und die Scherben flogen ins Innere des Ladens. Die Kunden schrien erneut. Die explodierende Tür hatte sie dazu gebracht, sich auf den Boden zu legen. Sie hielten sich schützend die Hände über die Köpfe.

Der Zauber, um Glas in Glibber zu verwandeln, blitzte mir im Kopf auf und bevor die Scherben einen von uns treffen konnten, setzte ich ihn um. Ein durchsichtiger Schleim klatschte in sämtliche Ecken des Ladens und tropfte von unseren Regalen. Die Kunden, die in der Nähe der Front lagen, waren überzogen mit ihm.

Es sah so aus, als befänden wir uns in einer riesigen Nase.

Was zur Hölle war das hier?

Meine Sinne waren geschärft. Ich wartete auf den nächsten Knall.

Ein schiefgelaufener Zauber war unwahrscheinlich. Dann wäre es nur einer gewesen. Das hier wirkte gezielt!

Drei Männer betraten den Laden und stapften zielsicher auf die Theke zu. Ihre selbstsichere Art ließ mich aufhorchen. Sie schienen nicht sonderlich erschrocken und suchten nicht nach Hilfe. Ich vermutete, dass die zerstörerischen Zauber ihr Werk waren.

Aber warum?

»Wo sind die Scherben hin? Und was ist das für ein Glibber?«, fragte einer der drei verdutzt, doch dem Anführer der kleinen Truppe schien das egal zu sein. Er ignorierte seinen Kumpanen und fuhr mit dem fort, was er vorhatte.

»Das ist ein Überfall«, schrie der Rädelsführer in meine Richtung. »Mach schon. Geld her, aber zügig.« Zur Warnung streckte er seine Hand in die Luft, um die der grün wabernde Schleier der Magie erschien. Es sah eindrucksvoll aus, doch ohne eine besagte Geste war es nur der Anschein von Magie. Um etwas damit auszurichten, brauchte es mehr. Dieser Dunst glich einer ungeladenen Waffe.

Ich streckte ruckartig die linke Handfläche nach vorne, dann die rechte. Meine Daumen und Zeigefinger bildeten ein Dreieck. Mein Geist fokussierte die Magie und griff nach der Kraftlinie, die ich vorhin schon angezapft hatte.

Ich ließ die Zeigefinger der Dreiecksspitze auf die Daumen fallen und zog beide Hände voneinander weg. Zum Schluss ließ ich die Hände ein Stück nach vorne gleiten.

Dem herrischen Typen riss es die Arme auseinander. Sein Rucksack, den er mir entgegengehalten hatte, landete krachend auf dem Boden. Der Typ flog rücklings gegen eines der Bücherregale, wo er kleben blieb. Er sah aus wie Jesus, der am Kreuz hing.

Seine beiden Kumpanen reagierten sofort. Der, der nach dem Glibber gefragt hatte, formte einen Zauber, der dazu gedacht war, mir den Sauerstoff aus den Lungen zu ziehen. Die Handbewegung, die er vollzog, kannte ich.

»Netter Versuch«, sagte ich spöttisch. Ich konterte mit einem Reflektierzauber. Dafür streckte ich ihm meine Handfläche entgegen und murmelte das entsprechende Wort.

Nachdem er von seinem eigenen Angriff getroffen worden war, riss er sich die Hände an die Kehle und rang nach Luft. Es dauerte nur Sekunden, bis er ohnmächtig zusammensackte und wieder fähig war zu atmen.

Der Dritte bekam Panik. Er versuchte, rückwärts aus der Tür zu fliehen, doch ich ließ ihn nicht entkommen. Ich klebte ihn ebenfalls an das Bücherregal, direkt auf seinen Kumpel drauf, sodass es aussah, als wären beide in einer innigen Umarmung versunken.

Die Kunden auf dem Boden starrten mich an. Niemand hätte damit gerechnet, dass der unscheinbare, 1,65 m große Nicolas Köster in der Lage war, einen Kampf zu gewinnen. Und dann noch mit Magie.

Okay, ich wirkte jetzt nicht wie der typische Draufgänger, aber von einem Verkäufer in einem magischen Laden war es doch zu erwarten, dass er mit Magie umgehen konnte, oder? Die Blicke, die ich auf mir spürte, ließen etwas anderes vermuten.

»Ich glaube, es hackt!« Fred blickte von einem Bücherregal auf die beiden Angreifer runter. »Was ist bitte aus der Zurückhaltung geworden, von der du immer redest?«, schnauzte er mich an und schüttelte sich Glibber vom Körper. »Verfickte Drecksscheiße, Nico, das ganze Bücherregal hat gewackelt und mich geweckt.«

Fred war mein Albino-Frettchen, das durch einen missglückten Zauber meinerseits in der Lage war zu sprechen. Da er mittlerweile zwanzig Jahre alt war, ging ich davon aus, dass ich zusätzlich an seiner Lebenserwartung geschraubt hatte. Er war quietschfidel und wies kein Zeichen einer normalen Alterserscheinung auf.

»Dreckspisse. Ich darf keinen Mucks von mir geben, wenn Kunden im Laden sind, um nicht aufzufallen, aber du machst hier einen auf magische Kampf-Bitch«, maulte er weiter. »Nicht zu fassen.«

Dass Fred in der Lage war zu sprechen, glich Fluch und Segen zugleich. Seit frühster Kindheit hatte ich einen treuen Freund an meiner Seite, doch sein Vokabular ließ echt zu wünschen übrig. Seine Wortwahl war auch der Grund, warum er sich im Laden bedeckt halten sollte, auch wenn ein sprechendes Frettchen zur neuen Normalität gehörte. In den ersten Wochen hatten wir den Versuch gestartet, ihn als kleinen Verkäufer rumlaufen zu lassen, ernteten jedoch einen Haufen verärgerte Kunden dadurch.

Kennt ihr diese Momente, in denen nahestehende Personen etwas total Unangebrachtes sagen, was euch selbst erröten lässt? Bei Fred war genau das an der Tagesordnung. Lag es an meiner mangelnden Erziehung? Ich fühlte mich mit Fred wie ein Vater mit verzogenem Kind.

»Was glotzt ihr so bescheuert?«, fragte er die beiden klebenden Typen, deren Blicke auf ihn gerichtet waren. »Noch nie ein sprechendes Frettchen gesehen?«

»Ich rufe das SEKM an«, erklärte ich den Kunden und griff nach dem alten Wählscheibentelefon neben der Kasse. Die Menschen richteten sich vorsichtig auf, ein Herr rannte sogar, so schnell ihn seine Beine trugen, ins Freie.

Das Sondereinsatzkommando für magische Angelegenheiten war eine neu gegründete Abteilung der Justiz. Eine Reaktion auf den Ausbruch der Magie und den damit einhergehenden Umständen.

Innerhalb kürzester Zeit hatte es die Politik geschafft, Gelder zu beschaffen und Personal einzustellen. Was Anderes blieb ihnen in dieser Situation nicht übrig, immerhin standen wir kurz vor einem gesellschaftlichen Untergang, wenn nicht sogar vor einer Apokalypse.

Das SEKM kam schneller, als ich vermutet hatte. Fünf Beamte betraten unser Geschäft und kümmerten sich um die Situation.

Zwei von ihnen waren damit beschäftigt, meinen Klebezauber zu lösen, verzweifelten aber daran. Einer befragte die Kunden nach dem Tathergang, ein Weiterer sprach mit Fred, der unbedingt als Zeuge geführt werden wollte.

»Fred. Mit einem langgezogenen E. Also Freeeeed«, sagte er zu dem Beamten, der anscheinend gerade den Namen meines Frettchens notierte.

Der Fünfte von ihnen unterhielt sich mit mir. Er befragte mich zu jeder Einzelheit des Angriffes. Sein Interesse daran, wie ich in der Lage gewesen war, mich zu verteidigen, schien hoch. Der Kerl schrieb alles in ein kleines Notizbuch und schaute immer wieder zu mir auf, als ich ihm die Zauber erklärte.

»Ich kenne nur wenige Magier, die dazu in der Lage sind«, sagte er und seine Stimme klang verblüfft.

»Nico ist auch einer von den Alten«, erkläre Fred ihm, der mittlerweile auf meine Schulter geklettert war. Seine kleinen gelben Krallen gruben sich in mein Shirt.

»Das erklärt es.« Der Beamte runzelte die Stirn und nickte. »Trotzdem beeindruckend für dein Alter. Fünfundzwanzig bist du, richtig?«, fragte er und neben Verblüffung hatte ich das Gefühl, etwas Angst von ihm wahrzunehmen. Er wirkte irgendwie nervös.

Ich nickte.

Da die Beamten ihre Schwierigkeiten hatten, den Klebezauber zu lösen, half ich mit einem Schnipsen nach. Die gescheiterten Räuber plumpsten unter Stöhnen auf den Boden. Die Polizisten legten ihnen Handschellen an und führten sie ab.

»Ich hoffe, Sie sind gegen Magieausbrüche versichert«, murmelte der Beamte, der mich befragt hatte.

»Sind wir nicht.«

Nicht nur die Politik hatte auf den Ausbruch der Magie reagiert, auch die Versicherungen waren nachgezogen. So viele Vorfälle, wie es im Zusammenhang mit Magie gab, und die Tarife wurden so teuer, dass sie sich eine goldene Nase damit verdienten. Eine normale Haftpflichtversicherung deckte keine magischen Unfälle ab, weswegen die meisten diese teure Absicherung in Kauf nahmen.

»Das wird dann aber teuer für Sie.« Der Beamte schaute sich um und seine Augen streiften die Tür, den Glibber und die beschädigten Bücher.

»Nein, wird es nicht. Bis die Versicherungen jemanden rausgeschickt haben, bin ich schon fertig.« Ich murmelte ein paar mazedonische Wörter und das Chaos um uns herum löste sich auf. Die Tür hängte sich zurück in die Angeln, der Schleim flog zu den Fensterrahmen und setzte sich als Glasscheiben wieder zusammen. Nichts erinnerte mehr an einen Überfall.

»Das ist wirklich beeindruckend!« Der Beamte keuchte auf und kratzte sich am Kopf. »Unsere Leute sind Stunden damit beschäftigt, einen solchen Tatort wieder auf Vordermann zu bringen.«

»Der Aufräumzauber war einer der ersten, die ich gelernt habe.« Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. »Kinder räumen unheimlich ungern ihr Zimmer auf.« Wobei ich auch als Erwachsener froh war, dass ich diesen Zauber beherrschte.

»Was war das für eine Sprache?«

»Mazedonisch.«

»Ist das die Sprache der Magie? Ich habe noch nie jemanden gesehen, der Magie mit Worten wirkt. Äußerst beeindruckend.«

Ich schüttelte den Kopf. »Man kann in jeder Sprache Magie wirken. Der Trick liegt darin, herauszufinden, welche Sprache für welches Vorhaben benötigt wird.«

Lustig wurde es, wenn man für einen Zauber mehrere Sprachen mischen musste. Es gab keine Regeln dafür, die einem das Studium der Magie erleichterte. Manchmal verlangte die Magie ein unaussprechliches Kauderwelsch von einem, damit etwas geschah.

Einen Aufräumzauber, der nur auf mazedonisch funktionierte, für den es auch keine alternative Geste gab – das trug die schelmische Handschrift der Magie.

Das Wort Feuer funktionierte in jeder Sprache. Etwas abzufackeln liebte sie offenbar. Das Chaos ließ sie sich nicht nehmen.

Das Kichern eines Kindes klang durch den Raum. Ich sah mich um, doch sah keines.

Kopfschüttelnd verließ der letzte Polizist den Laden und mit ihm die aufgeschreckten Kunden. Zum ersten Mal am Tag hatte ich den Laden für mich. Kam ich also doch noch zu meiner Zeit in der Leseecke.

Stinkende Socken

Können wir heute shoppen gehen?«, fragte Fred, nachdem die Männer vom SEKM gegangen waren. Er hatte sich gemütlich auf meinem Kopf ausgebreitet, sich ein Nest in den strubbeligen schwarzen Haaren eingerichtet und hielt sich dort fest.

Manchmal fühlte ich mich wie ein riesiges Reittier oder der Koch aus dem Disneyfilm, in dem der kleine Freund unter der Kochmütze die Steuerung übernahm. Statt zu kochen, wäre Fred der Auslöser eines Weltkrieges, wenn ich ihn das Kommando hätte übernehmen lassen.

»Geht nicht. Mama ist verplant und ich habe versprochen, ihre Schicht zu übernehmen«, erklärte ich ihm.

»Och Nico. Deine Alten sollen sich endlich mal wen leisten. Die beuten dich vollkommen aus.« Er bewegte sich beim Meckern so stark, dass ich Schwierigkeiten hatte, meinen Kopf stillzuhalten. »Soll ich das Jugendamt informieren? Kinderarbeit ist doch verboten.«

»Ich bin kein Kind mehr. Außerdem bekomme ich Geld dafür. Ausbeuten sieht anders aus«, antwortete ich ihm. »Das Jugendamt interessiert sich nicht für Männer in ihren Zwanzigern, auch wenn sie noch bei ihren Eltern wohnen.«

»Geld.« Er stieß ein Pfeifen hervor. »Pah. Die paar Kröten.«

»Besser als nichts«, tadelte ich ihn. »Außerdem zahle ich hier keine Miete und bekomme was zu essen. Was brauche ich schon?«

Okay. Im Grunde lebte ich im Hotel Mama und Papa. Verklagt mich doch.

»Dass du dein ganzes Leben in diesem kleinen, stickigen Laden verbringst. Abartige Scheiße«, motzte Fred mit mir.

»Du klingst schon wie meine Mutter«, antwortete ich und grinste ihn an. »Die will auch immer, dass ich mehr rausgehe.«

Im Grunde hatte sie recht. In meinem Alter hatte man sich normalerweise schon längst von den Eltern abgeseilt und war in die erste eigene Wohnung gezogen. Ehemalige Klassenkameraden hatten sogar schon Familien.

Ich dagegen wohnte immer noch im Kinderzimmer. Selbst die Möbel hatten sich seit Jahren nicht verändert. Aber immerhin hatte ich die Comicposter von den Wänden genommen. Und statt einem Kind hatte ich Fred.

»Wenn ich deine Mutter wäre, hätte ich dich schon achtkant vor die Tür gesetzt. Wir Frettchen kümmern uns nur zehn Wochen um unsere Jungtiere. Ich würde mich freuen, wenn du mal was mit mir unternehmen würdest«, beschwerte er sich. »Ich führe ein Leben wie ein Hund.«

»Wenn du dich in der Öffentlichkeit benehmen könntest, wäre das überhaupt kein Problem«.

Freds Betragen war nicht schuld daran, das würde ich vor ihm aber nie zugeben. Im Grunde war ich eine zurückhaltende Person, auch wenn mich meine Reaktion auf den Überfall in einem anderen Licht dastehen ließ.

Ich hatte keine Freunde und entsprechend ein kaum vorhandenes Sozialleben. Die einzige Interaktion mit Menschen bestand darin, ihnen magischen Schnickschnack zu verkaufen, und selbst das verlangte mir einiges ab.

Das war schon immer so. Ich hatte es nie geschafft, aus meinem Schneckenhaus herauszukommen. In ein oder zwei Onlineforen tauschte ich mich gerne aus, aber keinen der Leute hatte ich im richtigen Leben je kennengelernt.

In der Schule hatte ich einige erfolglose Versuche gestartet, Freundschaften zu knüpfen. Manche von ihnen waren sogar ins Mobbing übergegangen, sodass ich mich eine Zeit lang kaum in die Schule traute, obwohl ich tierischen Spaß am Lernen hatte.

»Ich hasse diesen Laden.« Fred murrte. Er würde es in meiner Gegenwart nie zugeben, aber er liebte das Geschäft. Nicht so sehr wie ich, doch er hatte Gefallen an diesem Ort gefunden.

Er nutzte jede Gelegenheit, die sich ihm bot, um auf den Bücherregalen herumzuklettern. Er wuselte dabei zwischen den Zutaten und Accessoires herum, verräumte Kleinigkeiten wie Kristalle und Zauberstäbe und steckte seine Nase in alle Dinge, die er in seine winzigen Krallen bekam.

Das Antiquariat war der perfekte Spielplatz für ihn. Manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, spielte er sogar Kaufladen. Mein Frettchen tat so, als ob ihm der Laden gehören würde, wie ein kleines Kind.

»Ich verziehe mich wieder.« Fred sprang von meinem Kopf auf die Schulter. »Ich muss die neuste Folge von Grey‘s Anatomy noch gucken.«

Er hatte oben auf den Bücherregalen, die fast bis zur Decke reichten, ein eigenes kleines Reich. Wir hatten für ihn Kuschelecken und Spielzeuge ausgelegt. Ab und an attackierte er heimlich die Gäste, damit die sich wunderten, wo plötzlich die Bälle herkamen, die ihnen auf den Kopf fielen.

In einer Ecke hatte er sogar eines meiner alten Smartphones. Er war so süchtig nach Streaming, dass er gefühlt jede Serie durchhatte.

Holzlatten verbanden die Regale nicht nur, um Dekorationen herunterbaumeln zu lassen, sondern dienten dem Frettchen als Verbindung.

»Ich hoffe, heute stirbt da mal einer. Die Ärzte in der verfickten Serie sind einfach viel zu gut. Ich will Blut und Gedärme sehen«, erklärte er, während er schon halb auf dem Regal war.

Zum Glück gab es aktuell keine neue Staffel von The Walking Dead, was Freds absolute Lieblingsserie war. Es ging ganz schön an die Nerven, wenn er nach jeder Folge so tat, als wäre er ein Zombie.

Der Nachmittag blieb ruhig, ich bediente nicht mehr als zehn Kunden. Der Überfall hatte sich anscheinend rumgesprochen und die Menschen mieden uns. Ob das die nächsten Tage so blieb?

Fred hatte es mittlerweile wieder zu mir heruntergezogen. Mit einem: »Pure Enttäuschung diese Folge«, verkroch er sich in die kleine Hängematte, die extra für ihn hinter mir an der Wand befestigt war.

Da niemand im Laden war, vertiefte ich mich in eines unserer neusten Bücher. Ein altes Exemplar über die Magie der Worte.

Ich kannte einen Großteil der Worte und Betonungen, die in dem Buch beschrieben waren.

Ein Geräusch ließ mich aufblicken.

»Wow«, kam mir leise über die Lippen, als eine junge Frau den Laden betrat. Die kleine bronzefarbene Glocke über der Eingangstür begleitete ihr Erscheinen.

Sie trug eine blaue Jeans, die etwas verwaschen war und an den Knien zerfranste Löcher hatte. Der Oversize-Kapuzenpullover reichte ihr bis zu den Oberschenkeln, mit der einen Hand hatte sie die Tür geöffnet, die andere lag lässig in der Tasche des Pullovers.

Ein Mann mittleren Alters folgte ihr. Er sah von seiner Erscheinung her aus wie ihr Vater, doch beide wirkten nicht so vertraut, wie es in dieser Konstellation üblich gewesen wäre. Sie sahen eher aus wie Arbeitskollegen oder entfernte Bekannte. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig, ihn auf Ende vierzig.

Die inzwischen tiefstehende Sonne drang durch die Schaufester und die junge Frau erstrahlte in einem warmen Licht. Ihre kastanienbraunen Haare reflektierten das Sonnenlicht und an diesen Stellen schimmerte es besonders rötlich. Wie der Heiligenschein eines Engels.

Sie trug einen Undercut. Die linke Seite war vollkommen kurz rasiert, während die übrigen Haare lockig auf der Schulter hingen.

Auf ihren Wangen, aber vor allem auf der Nase, saßen unzählige winzige Sommersprossen.

»Sieh zu, dass du deine Hose geschlossen hältst, Kleiner. Das Elend in deinem Schlüpper will keiner sehen«, sagte Fred laut, der beobachtet hatte, wie ich die Fremde anschmachtete. Er riss mich mit seinen Worten aus meinen Gedanken. Ich errötete und hoffte, dass sie ihn nicht gehört hatte.

»Seit wann können Ratten sprechen?« Sie stand direkt vor mir und begutachtete Fred mit einem spöttischen Blick. Dieser rekelte sich in seiner Matte und zeigte der Unbekannten seinen plüschigen Bauch und sein winziges Gehänge. Er präsentierte ihr voller Stolz seine Männlichkeit.

»Heee, ich bin keine Ratte. Ich bin ein Frettchen«, schimpfte er und knurrte sie an. Seine kleinen spitzen Zähnchen blitzten dabei auf. So niedlich er aussah – manchmal wurde er zu einem richtigen Jäger.

»Ist doch fast dasselbe«, antwortete sie grinsend.

»Provozier ihn lieber nicht, er ist flink und seine Krallen und Zähne sind echt scharf«, warnte ich sie.

»Meine Krallen sind auch verdammt scharf.« Ihr Blick wirkte herausfordernd und ich sah mich gedanklich schon zum Telefon greifen, um einen Rettungswagen zu rufen, doch Fred überraschte mich mit seiner Reaktion.

»Die kleine Kratzbürste gefällt mir. Endlich mal jemand, der ein wenig taffer ist«, antwortete er und schaute mich feixend an. Manchmal war Fred schon ein Arsch. Manchmal? Eigentlich immer!

Ich setzte gerade dazu an, meinem kleinen Kumpel erneut zu erklären, dass seine Art der Kommunikation äußerst herablassend war, doch so weit kam ich nicht. Die Unbekannte sprach einfach drauf los.

»Nur weil mich dein vorlautes Mundwerk nicht beeindruckt, heißt das nicht, dass ich ne Kratzbürste bin«, konterte sie, zwinkerte ihm zu und Fred fing an zu kichern.

Er wälzte sich wieder in seiner Hängematte und zog mit seinen Krallen das kleine Tabakkissen an seine Stupsnase heran. Fred hatte eins dieser Katzenspielzeuge, die man normalerweise mit Katzenminze füllte, umfunktioniert.

Um seine Sucht zu befriedigen, musste ich ständig diese großen Dosen im Supermarkt kaufen, die man zum Zigarettenstopfen nutzte. Ich fühlte mich jedes Mal blöd, wenn die Frau an der Kasse nach meinem Ausweis fragte.

Ich hatte mal versucht, ihn auf Entzug zu setzen, funktioniert hatte es aber nicht. Neben einer zerkratzten Hand, die ich mir einfing, als ich ihm sein Kissen geklaut hatte, war er total launisch, missmutig und aggressiv gewesen. Noch schlimmer, als er es ohnehin schon war. Darüber hinaus fing er sogar an, in die Jackentaschen unserer Kunden zu klettern, um diese um ihre Glimmstängel zu erleichtern.

»Was kann ich für euch tun?«, fragte ich die beiden Kunden freundlich.

»Wir möchten dir einen Job anbieten«, sagte der ältere Mann kurz und knapp, ohne es weiter zu erklären.

»Ich habe schon einen Job.« Ich zeigte auf den Tresen vor mir und ging nicht weiter auf sein Angebot ein, denn irgendwie fühlte ich mich wie bei der versteckten Kamera. Bitte wer betrat ein Geschäft und versuchte dort, den Verkäufer abzuwerben? War der Fachkräftemangel so fortgeschritten?

»Wir möchten dich als Berater für einen Fall engagieren«, erklärte er mir.

»Berater? Bitte, wovon sprechen Sie genau?« Die Situation wurde immer suspekter und obwohl ich nicht auf den Kopf gefallen war, verstand ich rein gar nichts.

»Du sollst bestimmt ein Callboy werden.« Fred kicherte. »Der alte Vogel hier will Sex mit dir.« Er kringelte sich und japste vor lauter Gekicher nach Luft. Sein Lachanfall endete in einem Husten, das stark an das eines Kettenrauchers erinnerte.

»Wir sollten von vorne beginnen«, schlug die Frau vor und versuchte, ein Schmunzeln zu unterdrücken. »Natürlich wollen wir dich nicht als Sexarbeiter engagieren.« Jetzt grinste sie ihren Kollegen an, nicht mehr in der Lage ernst zu bleiben. Dieses Lächeln war einfach der Hammer.

»Richtig.« Der Mann nickte. Eine zarte Röte stand in seinem Gesicht. Er versuchte, sich zu erklären. »Wir sind Beamte vom SEKM.« Er kramte in seiner Tasche und holte eine Marke hervor. »Unsere Kollegen haben uns von dem Vorfall heute erzählt. Sie haben dich und deine Fähigkeiten gelobt und wir können fähige Leute in unseren Reihen gut gebrauchen.«

»Mich? Als Berater? Für das SEKM?«, fragte ich ungläubig. Warum wollte das SEKM mich als magischen Berater haben? Hatten sie nicht genügend Angestellte mit entsprechendem Know-how?

»Ja, dich«, antwortete er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Beamte des SEKM standen vor mir und boten mir einen Job an. Ich stand kurz vor einem hysterischen Lachen, doch riss mich zusammen. Ich. Beim SEKM. Hatten sich die Leute mal angeschaut, wie ich aussah?

Ich war ein Hänfling. Jemand, den man schnell aus dem Weg räumte. War weder sportlich, noch in der Lage, mich in einer brenzligen Situation auch nur ansatzweise zu verteidigen. Wobei… Ich hatte es heute geschafft. Und das nur mit Magie. Vielleicht war ich doch nicht so ungeeignet für diesen Job, wie ich dachte.

Aber mal Scherz beiseite. Ich war nicht das Paradebeispiel eines Polizisten und hatte auch nicht vor, in diese Richtung zu gehen. Alleine die Treppe hoch in unsere Wohnung brachte mich jedes Mal außer Puste.

»Ich glaube, ich bin nicht der Richtige dafür«, antwortete ich zaghaft.

»Wir glauben schon«, erwiderte die Frau. »Zumindest ist es einen Versuch wert, oder? Was hast du zu verlieren?«. Sie lächelte mich an, was mich innerlich wieder zum Dahinschmelzen brachte.

»Genau darum geht es ja«, mischte sich der Mann ein. »Wir möchten dich als Berater engagieren, um herauszufinden, ob du zu uns passt. Falls nicht, lösen wir deinen Vertrag wieder auf und gehen getrennte Wege.« Er sah mich eindringlich an. »Und falls doch, könnte eine Karriere beim SEKM durchaus drin sein.«

Erst neulich hatte mir mein Vater einen Zeitungsartikel zugeschoben, in dem das neue Ausbildungsprogramm des SEKM erwähnt wurde. Auf seinen Vorschlag, mich mal darüber zu informieren, war ich nicht eingegangen, immerhin hatte mein Studium rein gar nichts mit dieser Fachrichtung zu tun. Zum Glück war er gerade unterwegs und bekam diese Situation nicht mit.

Die Anforderungen für das Programm waren aufgrund der Situation so weit runtergeschraubt, dass es für so gut wie jeden möglich war, genommen zu werden.

Also haben die doch nicht ausreichend fähiges Personal.

»Selbst wenn ich zusagen würde. Ich müsste ein Gewerbe dafür anmelden, oder etwas in der Art«, überlegte ich laut. Als Berater war ich ja selbstständig, oder nicht? »Irgendwie muss das Ganze ja versteuert werden, wenn ich als Berater tätig bin. Dann muss ich Rechnungen schreiben. Ich weiß nicht, ob ich mir den Stress antun möchte.« Ich räusperte mich. »Nur um herauszufinden, ob ich zu euch passe. Das ist mir der Aufwand nicht wert.«

Das war wieder typisch ich.

Zwei Agenten standen bei mir im Laden, boten mir Feigling einen waghalsigen Job an, ich fühlte mich, als wäre alles nur ein Scherz, und statt diese beiden Leute hinauszuschmeißen, dachte ich über Steuern und Rechnungen nach. Ich hatte nicht den Mumm, sie wegzuschicken, und dachte mir lieber diese bescheuerte Begründung aus.

Meine Gedanken kreisten um eine Situation, die nur vielleicht eintrat, obwohl alle Zeichen darauf deuteten, dass es eben nicht der Fall war. Berater. SEKM. Der Tag wurde immer kurioser.

»Ehm, Nico. Ich misch mich ja nur ungern in deine Angelegenheiten ein, aber um ein Gewerbe musst du dich nicht mehr kümmern« Auch wenn er etwas anderes behauptete, Fred war bekannt dafür, sich in fremde Gespräche einzumischen. Sowas genoss er förmlich.

»Wieso?«, fragte ich ihn, denn ich verstand nicht, worauf er hinauswollte.

»Es könnte vielleicht sein, dass ich bereits eins auf deinen Namen angemeldet habe«, antwortete er kleinlaut. Es hatte nie etwas Gutes zu bedeuten, wenn er sich so verhielt wie jetzt. Er schaute mich zaghaft an, verzichtete auf seine derben Ausdrücke und wirkte auch nicht aufmüpfig. Kennt ihr diese Katze aus Shrek mit ihren glasigen Kulleraugen? Genau so sah Fred mich jetzt an.

»Fang schon an zu erzählen«, forderte ich ihn auf. »Wofür hast du ein Gewerbe auf meinen Namen angemeldet und wie zur Hölle hast du das überhaupt geschafft? Du bist ein Frettchen.«

»Ich kann mit dem Internet umgehen, ich bin keine fünfzigjährige Frau, die ihr Notebook nur dazu nutzt, um blumige Bilder zu verschicken und so zu tun, als wäre sie Besitzerin einer Farm auf Facebook« Er rümpfte die Nase. »Naja, deine Daten brauchte ich, eine Kopie des Ausweises, deine Steueridentifikationsnummer, aber ich weiß ja, wo du deinen Krempel aufbewahrst«, antwortete er selbstgefällig.

»Und warum genau hast du ein Gewerbe auf meinen Namen angemeldet?«, fragte ich erneut. Mir schwante Böses.

»Weil ich ein Frettchen bin und es schlecht auf meinen Namen hätte anmelden können. Den einzigen Ausweis, den ich habe, ist der, den du damals im Zoogeschäft bekommen hast. Dieser komisch hässliche Haustierführerschein.«

»Boah, Fred. Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Ich verliere langsam echt die Geduld.« Meine Stimme wurde lauter. Was hatte dieser kleine flauschige Mistkerl nur angestellt?

Die beiden Mitarbeiter des SEKM schauten abwechselnd zu Fred, dann wieder zu mir. Sie wirkten belustigt und die junge Frau trug ein Grinsen auf den Lippen. Was war das nur für ein verrückter Tag heute?

»Du fragst dich doch ständig, wo deine Socken sind und warum du so oft neue kaufen musst, oder?«, fragte er mich, doch ich wusste immer noch nicht, wohin die Geschichte führte.

Er holte tief Luft. »Ich verkaufe die im Internet.«

»Du machst was?« Ich bekam große Augen. Der Mann vom SEKM hustete und schaute verlegen auf den Tresen. Die Frau lachte.

Ich war davon ausgegangen, dass sie dem typischen Waschmaschinenmysterium zum Opfer fielen.

Ich hätte sogar eher die Magie selbst dafür verantwortlich gemacht, weil sie es einfach liebte, Unordnung zu schaffen.

Ein merkwürdiger Luftzug, der verdächtig nach einem Schnauben klang, drang durch den Laden. Doch Fred sprach weiter, als hätte er nichts gespürt.

»Ich verkaufe deine getragenen Socken im Internet«, wiederholte Fred, als hätte ich das nicht beim ersten Mal schon verstanden. »Ich mopse sie dir aus dem Wäschekorb, krall mir diese Gefrierbeutel deiner Mutter, vakuumiere die Tüte mit Inhalt in ihrem Küchengerät und dann ab mit der Post«, erklärte er den Prozess.

»Warum?«, fragte ich ihn, was mehr auf den Grund bezogen war, als auf den Versand.

»Weil ich Geld verdienen wollte. Weißt du eigentlich, was so ein Leben kostet?« Er krabbelte über den Tresen, bis er vor mir stand. »Und weißt du, was so ein paar miefige weiße Sportsocken wert sind?«

»Natürlich weiß ich das.« Ich stockte und führte den Satz mit einem Stottern in der Stimme fort. »Also nicht, was man für Socken bekommt, aber was du kostest, immerhin kaufe ich dir alles, was du brauchst«, sagte ich laut.

»Mein Internetglücksspiel bezahlst du aber nicht. Also musste ich eine Lösung für dieses Problem finden«, antwortete er patzig, als wäre ich jetzt schuld, dass er meinen Namen für den Verkauf von getragenen Socken missbrauchte.

»Fred, darüber sprechen wir noch.« Ich sah mich gedanklich schon wegen Steuerhinterziehung hinter Gittern. Ich wollte das Gespräch vor den beiden nicht weiterführen. »Nikotin, Glücksspiel, ich glaube, du brauchst eine Therapie. Einen Entzug. Du bist nicht bei Sinnen.«

»Hör zu, Hoodie«, sagte Fred und drehte sich zu der jungen Frau um.

»Ich heiße Mary«, antwortete sie und reichte ihm ihre Hand. Fred schüttelte sie mit seiner kleinen Pfote und wirkte überrascht, wie sie auf seine patzige und direkte Art reagierte.

»Hör zu Mary, Nico hier ist einverstanden. Er unterstützt euch bei eurem Fall. Gib mir mal dein Smartphone, dann tippe ich dir seine Nummer ein«, forderte er sie auf und sie reichte ihm ihr Handy.

»Habe ich auch noch ein Wörtchen mitzusprechen?«, fragte ich. Manchmal hatte ich Lust, dieses kleine Frettchen zu erwürgen. Wie schwer musste ein Buch wohl sein, um ihn zu zermatschen?

Nochmal zum Mitschreiben, weil mein Hirn nicht in der Lage war, diese Situation zu verarbeiten: Ich hatte heute einen Überfall verhindert, wurde als Zeuge befragt, woraufhin zwei Agenten mich im Laden aufsuchten und mir einen Job anboten. Statt diesen Quatsch direkt abzusagen, hatte mein Haustier mich gerade verpflichtet?

»Nein, hast du nicht. Es wird Zeit, dass du mal vor die Tür kommst und diesen staubigen alten Laden verlässt. Ich kümmere mich auch ums Rechnungen schreiben und den anfallenden Papierkram«, schlug er vor, während er meine Nummer eintippte.

»Das kann doch echt nicht wahr sein«, schimpfte ich, doch wurde von den Anwesenden ignoriert.

»Über Geld sprechen wir noch«, sagte Fred an den Mann gerichtet. Dieser nickte, als akzeptierte er einfach, dass sich Fred wie mein Manager verhielt. »Und du, Mary, schick Nico ein paar schlüpfrige Fotos. Damit würdest du ihm sicher eine Freude machen.«

»Fred!«, schrie ich auf und schlug mit meiner flachen Hand nach ihm. Er wich ihr gekonnt aus und verzog sich schnell, wie er war, wieder auf eines der Bücherregale.

»Dann hätten wir alles geklärt«, sagte Mary mit einem Zwinkern. Sie und ihr Kollege verließen den Laden.

»Tschau, Mary«, rief Fred ihr hinterher. Sie drehte sich um und winkte ihm. »Tschüss, alter Mann«, verabschiedete er ihren Kollegen, der es nicht für nötig gehalten hatte, uns seinen Namen zu verraten.

Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so planlos und überrumpelt gefühlt. Ich hätte die Kasse beim Überfall einfach öffnen sollen.

Spot on me

Am nächsten Tag war ich das Gesprächsthema Nummer eins am Frühstückstisch. Meine Eltern waren begeistert davon, wie souverän ich die Situation mit dem Überfall gelöst hatte.

»Das hat sicher richtig Eindruck auf die Kunden gemacht«, murmelte mein Vater.

»Die hatten in erster Linie Panik«, antwortete ich.

Ich fand es nicht erwähnenswert. Meine Eltern hätten genauso reagiert, wenn nicht sogar besser und dennoch strotzten ihre Augen vor Stolz. Sie benahmen sich, als hätte ich einen Nobelpreis gewonnen.

»Und dann noch dieses Jobangebot.« Vater schüttelte den Kopf. »Ich hab dir doch gesagt, du solltest es dir mal anschauen.«

»Mein Studium geht in die vollkommen andere Richtung, nichts qualifiziert mich für diesen Job«, erwiderte ich mit Ärger in der Stimme.

»Anscheinend schon.« Er rümpfte die Nase. »Ich verstehe nicht, warum du dich so dagegen sträubst.«

»Das ganze Studium wäre für die Katz, wenn ich jetzt diesen Berufszweig einschlagen würde«, murmelte ich.

»Ist es auch, wenn du weiterhin in diesem staubigen Laden stehst«, mischte sich Fred jetzt ein. »Da bringt dir dein tolles Studium auch nichts.«

»Ist ja schon gut«, unterbrach ich die Situation. Ich stand von meinem Stuhl auf und räumte den Teller in die Spülmaschine. »Ich schaue mir das Ganze doch an.« Damit hatte sich das Thema für mich erledigt.

Ich huschte schnell in mein Zimmer, schnappte mir die Tasche und machte mich zusammen mit Fred auf den Weg in die Uni. Ich hatte eine Vorlesung. Eine Vorlesung, die mir als Berater im SEKM genau null brachte.

***

Früher in der Uni saß ich in einer Ecke und vertiefte mich in ein Buch, bis die nächste Vorlesung begann. Mittlerweile konnte ich das knicken, denn eine Traube von Kommilitonen hatte sich um uns gebildet.

Fred saß auf meiner Schulter und unterhielt sich mit den Leuten. Nachdem sich die Magie offenbart hatte, hatte auch Fred es für sinnvoll erachtet, der Gesellschaft von seiner Existenz zu berichten.

Mitten in einer Prüfung kletterte er aus meiner Tasche, die mit den anderen am Rand stand, gähnte und furzte so laut, dass es jeder im Raum mitbekam, und rief mir zu, dass er sich draußen die Beine vertreten würde. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer und seitdem hatte ich in der Zeit zwischen den Vorlesungen keine freie Minute mehr.

Während Fred darüber sinnierte, ob man lieber Hurensohn oder Drecksficker zu jemanden sagte, versuchten die Leute, mich ebenfalls in Gespräche zu verwickeln. Diese schmetterte ich aber immer einsilbig ab. Um an dieser Stelle aber meinen Standpunkt einmal deutlich zu machen, erinnerte ich Fred daran, dass wir bestenfalls niemanden beleidigten, egal mit welchem Wort.

Meine Kommilitonen forderten die wahnwitzigsten Dinge von mir, doch darauf ließ ich mich nicht ein. Weder entfachte ich ein Feuer, noch beförderte ich einen aus der Traube auf das Dach der Uni. Wobei mir Letzteres die Ruhe beschert hätte, auf die ich aus war.

So aufregend es war, ich verabscheute es, wie eine Attraktion im Zirkus betrachtet zu werden. Vor dem ganzen Mist hatte mir sonst keiner Beachtung geschenkt. Warum jetzt? Es ärgerte mich, dass ich erst durch die Magie für meine Mitmenschen interessant wurde und nicht wegen meiner Persönlichkeit.

Ein Großteil der Newbies in der Runde war gierig zu wissen, wie das mit dem an die Wand nageln funktionierte. Fred hatte seiner Clique natürlich von dem Überfall erzählt.

Da aber keiner von ihnen vertraut war mit der Magieunterbrechungsstrategie von Cornelius Bakerfield, hielt ich es für eine äußerst schlechte Idee, eine Lehrstunde zu geben. Eine falsche Bewegung und es hätte ein paar Schüler in zwei Hälften gerissen. Wobei mir auch diese Möglichkeit wieder Ruhe beschert hätte.

Als Fred ausplauderte, dass ich jetzt zum SEKM gehörte, waren alle beeindruckt und ließen uns erst recht nicht mehr alleine. »Danke«, flüsterte ich wütend in seine Richtung, was ihm nur ein Kichern entlockte. »Bisher habe ich nichts unterschrieben und du stellst mich dar, als wäre ich schon das ganze Jahr über mit dabei.«

»Genieß es doch einfach mal, im Mittelpunkt zu stehen«, riet er mir und sprang dann zu einem Mädchen rüber, das gefragt hatte, ob sie ihn streicheln durfte. »Natürlich«, antwortete er. Streicheleinheiten ließ Fred sich nie entgehen. »Am Bauch habe ich es am liebsten.« Er schnurrte wie eine alte rollige Katze. »Wenn du willst, können wir auch ein süßes Selfie zusammen machen.«

Aus dem Augenwinkel sah ich meine Professorin Frau Schwenkowski auf die Runde zulaufen. Ihre High Heels klackerten über den Asphalt und ihr schwungvoller Gang ließ den honigfarbenen Bobschnitt erzittern. Ich war mir sicher, dass sie wieder Hilfssheriff spielen wollte.

Frau Schwenkowski gehörte wie ich zu den Alten. Jedes Mal, wenn sie uns so versammelt sah, ging sie dazwischen und löste die Meute auf.

»Um euch vom Schabernack abzuhalten«, sagte sie dann immer und sah uns an wie Schwerverbrecher, die kurz davorstanden, einen großen Coup zu landen.

Ihr Markenzeichen waren die von Lippenstift gezeichneten Mon-Cheri-roten Lippen, aus denen mehr gehässige Worte kamen als aus dem Mund meines Frettchens.

Und genau wie niemand diese ekelige Schokolade mochte, mochte man auch Frau Schwenkowski nicht. Jeden ihrer Studenten hatte sie schon in einer Vorlesung fertig gemacht.

Mir war der Trubel zu viel. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Und noch weniger mochte ich die anstehende Konversation mit der verhassten Professorin.

Ich konzentrierte mich auf die nächstliegende Kraftlinie, zog etwas Energie aus ihr in meinen Kehlkopf und sprach die Worte für Unsichtbarkeit.

Meine Mitschüler schrien begeistert auf und klatschten, als ich plötzlich verschwand, da sie davon ausgingen, dass ich ihnen nur ein Kunststück vorführte. Dass ich unbemerkt aus ihrer Mitte herausspazierte, raffte dabei keiner.

Ich schnappte mir Fred und stopfte ihn in meine Tasche. Er beschwerte sich zwar, kuschelte sich aber direkt in das Futter und rollte sich zwischen den Büchern ein. Eine weitere Handbewegung, die Traube der Unikollegen brach auf und ich verschwand.

Auf die Ruhe der Vorlesung freute ich mich, doch auch da wurde ich unnötig ins Rampenlicht gezogen. Statt über die ökonomischen Einflüsse des demografischen Wandels zu sinnieren, sprach Professor Nolte über Magie.

Er war einer der neuen Magier, quetschte mich über die Techniken der Magie aus und mit meiner Hilfe schaffte er es schließlich, mit einem Stück Kreide etwas an die Tafel zu schreiben, ohne es zu berühren.

Ich war bisher noch nie so glücklich, als die Stunde vorbei war. Erlösung.

***

»Ich bin ja so aufgeregt«, sagte Fred. Er saß auf meiner Schulter und genoss den Wind, der um seine Schnurrhaare wehte. Die Augen hatte er leicht geschlossen und die Nase in die Luft gestreckt. Er sog gierig die Luft ein.

»Was soll ich denn sagen? Ich bin nicht mal freiwillig hier«, antwortete ich. »Immerhin hast du mir diesen Schlamassel eingebrockt«, erinnerte ich ihn. Ein neuer Schmöker von Karl Cannister lag im Laden zum Lesen bereit. Ich hatte geplant, ihn zu verschlingen, bevor er in den Verkauf kam.

Wir waren auf dem Weg zur Zentrale vom SEKM. Ich hatte mein Zimmer betreten, als das Handy vibriert hatte. Es war eine SMS von Mary gewesen. Meine Hände hatten direkt angefangen zu schwitzen.

Als ich die letzte Zeile gelesen hatte, sprang mein Herz vor Aufregung. »Gruß, Mary.« Mehr stand da nicht, es war aber Grund genug, dass ich mit einem Lächeln im Gesicht den Weg in die SEKM-Zentrale angetreten hatte.

»Ich kann es immer noch nicht wirklich glauben.« Mein flauschiger Begleiter war dabei, sich die Schnauze mit seinen Pfoten zu putzen.

»Wieso nicht?«, fragte er interessiert. Seine kleinen Öhrchen stellten sich auf und seine winzigen Knopfaugen richteten sich auf mich.

»Weil ich ein Niemand bin. Warum sollte das SEKM auf meine Dienste angewiesen sein?«

»Stell dein Licht nicht immer unter den Scheffel. Du bist großartig, Nico. Ein totaler Langweiler und ein Schisser, aber sonst ganz großartig«, ergänzte er seine erste Aussage.

»Es sind jetzt so viele Menschen in der Lage, Magie zu wirken. Selbst bei den Alten bin ich keine große Nummer.« Ich verstand es nicht. Das SEKM war zwar darauf angewiesen, viele neue Leute einzustellen, aber eine private Anfrage zu bekommen, hätte ich nur den Besten der Besten zugestanden.

»Das liegt nur daran, weil du es nie bewiesen hast. Während die anderen Kids ständig mit ihren neuen Tricks angegeben haben, hast du in einer Ecke gesessen und dich mit deinem Frettchen unterhalten«, erinnerte Fred mich an die vielen Treffen und Seminare, auf die meine Eltern mich mitgenommen hatten.

Mir fiel auf, dass ich in all den Jahren keine Freundschaft mit jemanden von den Alten in meiner Altersklasse geschlossen hatte. Nicht nur die Normalos mied ich, auch Gleichgesinnte.

Es waren nicht viele junge Magier bei der geringen Anzahl an Alten, aber alle anderen kannten sich untereinander und waren befreundet. Die Magie schweißte zusammen. Normalerweise.

Meine Eltern bewegten sich gerne in der High Society der Magienutzer und ließen keine Versammlung oder Veranstaltung aus, selbst wenn sie hunderte Kilometer entfernt war. Das eine Mal waren alle Hotels ausgebucht gewesen, weshalb wir auf einem Campingplatz gezeltet hatten. Die furchtbarste Nacht in meinem Leben.

»Weil es Schwachsinn war«, antwortete ich. Dieses Zurschaustellen der eigenen Fähigkeiten war noch nie meins. »Außerdem war es nichts Außergewöhnliches, was die Anderen da zustande gebracht haben. Das eine Mal brauchte es drei von ihnen, nur um einen Vierten schweben zu lassen.«

»Siehste. Ich sag doch, du bist besser als die anderen. Überleg mal, wann du angefangen hast, das Schweben zu lernen, um an die Bücher in den obersten Regalen zu kommen.«

Vielleicht hatte Fred recht. Jetzt wo ich an die Momente zurückdachte, fiel mir auf, dass die Dinge, die andere Magier in meinem Alter beherrschten, immer weit unter meinen Fähigkeiten lagen.

»Da sind wir«, sagte Fred und deutete mit seiner kleinen plüschigen Pfote auf das Gebäude vor unserer Nase.

»Ich habe keine Lust.« In meinem Magen wurde es flau. »Lass uns einfach wieder nach Hause gehen.«

»Nichts da.« Freds Stimmlage klang herrisch. »Denk einfach dran, dass du Mary gleich wiedersiehst«, erinnerte er mich.

»Wir können auch Shoppen gehen«, schlug ich ihm vor.

»Nico«, fauchte Fred mich an. »Beweg deinen dürren Arsch in das Gebäude, sonst kacke ich dir später ins Bett.«

»Na gut«, antwortete ich missmutig, denn Fred drohte Dinge nur an, die er auch wirklich umsetzte. Er hätte so lange geschrien und gezetert, bis er seinen Willen bekam. Mein Frettchen war verwöhnt und ich schuld daran.

Das SEKM hatte mittlerweile in den meisten größeren Städten Geschäftsstellen errichtet. Es war wichtig, schnell bei den Einsätzen zu sein, die eine besondere Aufmerksamkeit benötigten.

In Grootingen hatte das SEKM sogar seinen Hauptsitz eingerichtet. Als die Regierung eine Sondereinheit, ins Leben rief, hatte man damit gerechnet, dass diese sich in Berlin, Köln oder München niederließen. Hamburg hatte ebenfalls zur Debatte gestanden.

Doch die Regierung wollte die ohnehin schlechten Infrastrukturen nicht weiter belasten und hatte sich zwar für eine größere Stadt entschieden, aber eine, die nicht so überlastet war. Grootingen lag in der Mitte von Deutschland, es unterstrich also zusätzlich den Marketinggedanken der Zentralität.

Wir betraten das gläserne Gebäude und wurden von einem freundlichen älteren Herrn am Empfang gefragt, wohin wir wollten. Ich spürte, wie eine kleine Woge der Magie über meinen Körper huschte.

»Entschuldigung. Wir überprüfen unsere Gäste so nach gefährlichen Gegenständen.« Der Mann hatte meinen fragenden Blick aufgegriffen, den ich ihm entgegenbrachte. Er sah etwas erschrocken aus, dass ich es überhaupt gespürt hatte.

»Kein Problem«, antwortete ich. »Ich habe schon gelesen, dass man dieses Vorgehen jetzt auch an Flughäfen einsetzt, um den Security Check schneller durchzuführen.«

»Schneller und effizienter. Sie glauben nicht, was in den ersten Tagen alles gefunden wurde bei den Überprüfungen«, erklärte er.

Ich nannte ihm unser Anliegen und er nickte.

»Ich rufe eben in der Abteilung an, damit sie jemand abholt. Setzen Die sich gerne so lange in unseren Wartebereich«, sagte der Herr und deutete auf eine kleine Nische, in der gemütliche Sessel standen.

Die Eingangshalle war lichtdurchflutet. Die Wände bestanden hauptsächlich aus Stahlträgern und Glas. Die Klimaanlage sorgte dafür, dass die Hitze des Sommers trotz der vielen Fenster draußen blieb.

Wir waren die Einzigen, die warteten. Wir beobachten das Treiben in dem Bürogebäude und Fred kommentierte das Aussehen von jedem, der an uns vorbeilief.

»Guck dir die scharfe Schnecke an«, sagte er in seinem gewohnt lauten Ton, sodass auch die gemeinte Dame es mitbekam. Die Frau drehte sich um und schaute, woher der Kommentar kam.

»Ich war das nicht«, verteidigte ich mich und deutete auf Fred, der auf dem Tisch stand. Ich spürte Hitze in meinem Gesicht und ging davon aus, dass ich errötete.

»Hey, Puppe. Dreh dich wieder um, damit ich deine Rückansicht genießen kann.« Dieses Frettchen war unmöglich.

»Fred, verdammt. Hör mit dem Catcalling auf.«

Meine Ermahnung beeindruckte mein Frettchen nicht. »Und guck dir mal den Dicken an. War ja klar, dass der sich erstmal was zu knabbern gekauft hat«, kommentierte er. »Bestimmt hat Mama einfach nicht genug eingepackt.« Fred kicherte. Ich nicht. Auch der Mann, der den Kommentar offensichtlich gehört hatte, zeigte sich nicht amüsiert.

»Fred. Benimm dich bitte.« Ich deutete mit dem Finger auf seinen plüschigen Bauch. »Du bist der Letzte, der Kommentare über jemandes Gewicht machen sollte.«

»Wieso?«

»Darum.«

»Nö.«

»Dann fliegen wir hier schneller wieder raus, als du gucken kannst.« Vielleicht beherrschte er sich jetzt, denn ihm schien ja einiges daran gelegen, mich hier im Einsatz zu sehen.