Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In diesem Sammelband sind die wohl besten Erzählungen Friedrich Gerstäckers aus Nordamerika versammelt. Sie bieten nicht nur Spannung und Abenteuer, sondern vermitteln darüber hinaus ein Bild der Pionierzeit, wie es nur wenige erlebt haben. So verwundert es nicht, dass der weitgereiste Autor für viele andere Autoren des Genres Vorbild und - Quelle wurde. Der bekannteste unter ihnen dürfte wohl Karl May sein, der von Gerstäcker nicht nur Landschaftsbeschreibungen übernommen hat, sondern auch eine Südsee-Geschichte. Und der erste Indianer in der deutschen Literatur, der eine Silberbüchse besitzt? Ja, genau, Friedrich Gerstäckers Indianer Assowaum (siehe 'Regulatoren in Arkansas')
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 971
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Gesammelte Schriften
Friedrich Gerstäcker
Mississippi-Bilder
Licht- und Schattenseiten transatlantischen Lebens
Volks- und Familien-Ausgabe Band Zehn
der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ungekürzte Ausgabe nach der ersten Buchausgabe, Arnoldische Buchhandlung, Dresden u. Leipzig, 1847 u. 1848 in 3 Bänden. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas Ostwald und Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck, sowie mit Hinweisen auf die Erstveröffentlichungen der Erzählungen.
Ein Teil der Illustrationen wurde dem Band Western Lands and Western Waters, 1864, London, entnommen.
Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung bei der Realisierung der vorliegenden Buchausgabe beim Verkehrsverein Braunschweig – Netzwerk der Tradition.
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar
Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten. © 2013 / 2020
Die Sklavin
Amerikanische Nachtstücke. Die Sclavin in: Das Pfennig-Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge.- F. A. Brockhaus, Leipzig, 1845.
Das Mail- oder Postboot war eben von New Orleans angelangt, und über die von demselben ans Ufer geschobene Planke strömten in ununterbrochenem Zuge fast alle Geschäftsleute und Müßiggänger der kleinen Stadt Bayou Sara1 an Bord, um teils für sie angekommene Briefe und Pakete in Empfang zu nehmen, teils ihre Neugierde zu befriedigen, und an dem zierlich ausgeschmückten Schenkstande ein Glas Brandy und Eiswasser zu schlürfen.
Der Kapitän des Postbootes, ein kleiner Franzose mit grauem Rock, schwarzem Filzhut und außerordentlich blank gewichsten Stiefeln, schien überall zu sein, und während ihm große Schweißtropfen an der geröteten Stirn glänzten, schimpfte er in fürchterlich gebrochenem Englisch auf Gott und die Welt, vorzüglich aber auf den Postmeister, der ihm aus seinem Comptoir, eben als er kaum den Rücken gewandt, ein Paket Briefe in zu großem Amtseifer entführt und mit hinauf auf die Post genommen hatte.
„God dam him!“ wetterte der kleine Mann, mit der Faust auf das grünbeschlagene Pult niederschlagend, dass die Tinte hoch empor spritzte. „Was hat der Pflasterschmierer (der Postmeister hatte zu gleicher Zeit eine Apotheke und einen Kramladen, und ließ sich gern ,Doktor‘ nennen) in meinem Comptoir zu suchen? Schleppt Briefe hinauf, eh? Denkt nachher Wunder, was er getan hat; aber wart‘ – Du kommst mir wieder.“
„Kapitän! Briefe für mich angekommen?“ fragte ein junger, schlanker Mann, dem Erzürnten lachend dabei auf die Schulter klopfend.
„Geht in die Hölle oder zum Quacksalber hinauf!“ fluchte dieser weiter, ohne sich nur die Mühe zu nehmen, herumzuschauen, wer ihn angeredet habe.
„Hallo! Was ist wieder im Wind?“ lachte der junge Pflanzer. „Die Kessel voll zum Zerplatzen? Dampf genug, um drei gewöhnliche Boote in die Luft zu blasen! Immer noch der Alte! Ihr Franzosen seid doch sonderbares Volk; gleich Feuer und Flamme, wie Duponts Schießpulver!“2
„Der Postmeister hat die Briefe mit hinaufgenommen,“ antwortete der Buchhalter statt des Kapitäns.
„Dam him!“ rief dieser, und warf die Glastür hinter sich ins Schloss, dass die Scheiben klirrten. „Never mind“, sagte der Pflanzer, „er will gern seine Viertel-Dollars dafür ziehen – alles zu Onkel Sams3 Bestem, ‘s ist ein gar uneigennütziger Mann, ich kenne ihn wohl; wer einen Brief abholt, muss auch eine Kleinigkeit im Laden kaufen, oder eine Schachtel Medizin mitnehmen. Doch ich will hingehen und sehen, ob etwas für mich angekommen ist.“
Damit trat er hinaus auf den Gang, stieg die Kajütentreppe hinunter, und war eben über die Planke ans Ufer gesprungen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte, und ihn eine freundliche, wohlbekannte Stimme anredete:
„Hoho, Ned, wohin so eilig? Rennst Du doch, als ob Du von einer Wahl kämst und die wichtigsten Neuigkeiten mitbrächtest!“
„Guston! Bei allen Teufeln und Engeln der vier Elemente“, rief der also Angeredete in freudigem Erstaunen aus. „Guston! Aber wie um des Himmels Willen kommst Du denn jetzt hierher, wo ich Dich ehrbar und fest in Connecticut angesiedelt glaubte; hast Du die östlichen Staaten schon satt?“
„Vollkommen, mein alter Junge, vollkommen“, entgegnete Guston. „Der Böse hole die freien Staaten; ein Pflanzer kann nun einmal da nicht existieren, wo kein Sklavenhandel ist. Ich hatte erst allerlei phantastische Ideen von der Freiheit und Gleichheit der Menschen“, fuhr er fort, als er seinen Arm in den des jungen Mannes hing und mit ihm an das Ufer hinauf schlenderte. „Ich glaubte es eine Sünde, meinen ,schwarzen Bruder‘, wie die Methodisten sagen, zu schinden und zu plagen, bat daher meinen Alten um Reisegeld und ging nach New York. Von dort aus schrieb ich Dir, dass ich gesonnen sei, mir ein Landgut zu kaufen und mich im Norden des Staates oder in Connecticut, zwischen den dort eingewanderten gemütlichen Pennsylvaniern niederzulassen. Es war damals meine Absicht, und hätte ich es getan, so ständen wir jetzt nicht hier auf louisianischem Grund und Boden zusammen; gerade damals lernte ich aber einen jungen Mann kennen, dem ich mich anschloss und dessen intimer Freund ich wurde, so dass ich, da er in Geschäften nach Europa musste, mit ihm ging und mit dem Great Western hinüber nach dem ,alten Lande‘ segelte.“
„So bist Du indessen in Europa gewesen?“ unterbrach ihn erstaunt der junge Pflanzer.
„Gewiss“, nickte Guston, „in England, Irland und Deutschland; durch die ersten beiden Länder begleitete ich meinen neugefundenen Freund, bis dieser sich plötzlich in ein irländisches Mädchen, und zwar so rasend verliebte, dass er in vier Wochen Hochzeit hielt, gegenwärtig mit allen möglichen alten Squires und jungen Gentlemen nach Füchsen und Kirchtürmen rennt, über alle nur aufzufindenden Hecken, Gräben und Mauern wegsetzt, und sich jetzt, wenn er nicht unter der Zeit den Hals gebrochen hat, ganz wohl befindet. Ich selbst hatte es da bald satt, ging zurück nach England und ließ mich von da nach Deutschland übersetzen. Dort hatte ich Gelegenheit, das Leben der unteren Volksklassen, das Leben der A r m e n kennen zu lernen, und, Ned, von dem Augenblick an bedauerte ich unsere Sklaven nicht mehr. Es muss hart sein, die Freiheit zu verlieren und der Willkür eines oft vielleicht zu strengen Herrn preisgegeben zu werden; aber das Elend, das ich dort gesehen, die N a h –
r u n g s s o r g e n der Unglücklichen, vor deren Augen die eigenen Kinder darben und verderben; der Frost noch dazu im Winter, wo der Vater, der einzige Brotverdiener, e i n g e k e r k e r t wird, wenn er den Jammer zu Hause nicht mehr mit anschauen mochte, und in den Wald ging, um ein paar Zweige abzubrechen und die Seinigen wenigstens zu erwärmen, wenn er sie nicht sättigen konnte – der eingebildete, förmlich wahnsinnige Stolz des Adels dabei, gegenüber den unglücklichen Armen – und außerdem noch eine ,gesetzliche‘ Willkür, die dem Unglücklichen mit dem vollen Pomp und Schein offenbarer Gerechtigkeit mit gierigen Händen das L e t z t e nimmt und dem Vernichteten in der Pracht und dem Luxus der Großen wie zum Hohn alles das zeigt, was er eben entbehren muss, nicht einmal imstande, seine Kinder so zu füttern, wie die H u n d e der Großen gefüttert werden – und das, Ned, füllte mich mit Ekel und Überdruss, und ich kann Dir gestehen, ich war froh, als ich das ,alte Land‘ wieder hinter mir hatte. Es mag denen dort zusagen, die es ihre H e i m a t nennen, der Eskimo liebt ja seine Eisberge und Trannahrung, aber dem, für den es diesen Zauber entbehrt, ist es ein trauriger Aufenthalt – ich möchte dort nicht leben. Nach kurzem Aufenthalt in Deutschland kehrte ich über Hamburg nach New Orleans zurück, und bin heut, wie Du mich siehst, mit dem Postboot heraufgekommen, um von hier zu Land meines Vaters Plantagen zu erreichen.“
„Das zu lernen, brauchtest Du wahrhaftig nicht nach Europa zu gehen“, lachte Ned, „das weiß jedes Kind, dass es unsere Neger besser haben als die armen Leute in Irland oder Deutschland, hol‘ sie der Henker, und doch murren die Kanaillen; aber heut Abend bleibst Du bei mir, und morgen früh nimmst Du mein Pferd, dein Alter hat Dich nun so lange nicht gesehen, dass es auf den einen Tag auch nicht ankommen wird.“
„Topp!“, rief Guston. „Doch lass uns den Schatten suchen, die Hitze hier am Ufer ist unausstehlich. Du wirst mich übrigens führen müssen, denn ich kenne Bayou Sara ja gar nicht wieder; kaum zehn Häuser waren’s, wie ich fort von hier ging, und jetzt steht eine ordentliche Stadt da.“
„Nun, die Mulattin Nelly lebt immer noch“, lachte Willis, „und führt so guten Brandy wie früher, da wollen wir denn vor allen Dingen einmal einsprechen, vielleicht findest Du dort einige alte Bekannte.“
Mit diesen Worten nahm er seines neu gefundenen Freundes Arm wieder in den seinigen und schlenderte mit ihm dem nahen Kaffeehause zu, aus dem ihnen lautes Lachen und Jubeln entgegen tönte.
Es war ein nicht sehr großes, nach der Straße zu offenes Zimmer, in das sie traten, und dessen Hintergrund ein langer Schenktisch ausfüllte. Der eigentliche Schenktisch (Bar) bestand aus einem aus gemasertem Holz verfertigten, etwas hohen Aufsatze, über den weiße Marmorplatten gelegt waren, um die darauf verschütteten Flüssigkeiten wieder leicht hinwegwischen zu können. Auf einem großen, mit weißem Tuch überdeckten Präsentierteller standen mehrere Dutzend reiner Trinkgläser, während auf einem anderen dicht daneben eine gläserne große Schale mit einem plattierten Deckel, geriebenen Zucker enthaltend, prangte. Neben ihr befanden sich wiederum zwei kleine Fläschchen, die, fest zugekorkt und mit einer durch den Stöpsel laufenden Federspule versehen, dazu dienten, die in ihnen enthaltenen Flüssigkeiten (Staunton-Bitters und Pfefferminze4) in die Getränke zu tröpfeln, um diesen einen pikanten Geschmack mitzuteilen. Hinter dem Schenktische nun waren in langer Reihe alle möglichen Arten von Getränken, Weine und Liköre, in zierlichen, farbigen und feingeschliffenen Flaschen und Karaffen angeordnet, und zwischen ihnen Orangen und Zitronen aufgeschichtet, was dem Ganzen einen frischen, heiteren Anschein gab. Unter dem Schenktische stand eine große Schüssel mit Eis, das in Stücken in die Gläser geworfen wurde, den Trank abzukühlen, und ein junger Mann in einer weißleinenen Jacke und eben solchen weiten Beinkleidern war emsig beschäftigt, den durstigen Gästen, die sich bei der übergroßen Hitze in beträchtlicher Anzahl eingefunden hatten, einzuschenken. Ein langer Doktor von der anderen Seite des Mississippis, von Pointe Coupé, schien übrigens besonders tätig, sein Glas immer wieder aufs Neue zu leeren, bei welchem Geschäft ihm denn alle anderen helfen mussten, weil er schwur, dass er nicht a l l e i n trinken wollte; und immer wieder ließ er das seinige wie die aller Anwesenden frisch füllen, obgleich er sich kaum noch selbst auf den Füßen halten konnte. Oft zwar versuchte ihm einer oder der andere zu entschlüpfen, aber mit Adlerblicken entdeckte und erwischte er die Deserteure, und ein frisches Glas war die Strafe, die ihrer wartete. Mehrere, unfähig noch einen Tropfen zu genießen, saßen in der Ecke, als unsere beiden Freunde zu Verstärkung anrückten und augenblicklich von dem Doktor mit offenen Armen empfangen wurden.
„Willis – eh?“, redete er diesen an. „Durstig? Immer durstig?“
„Hier, Doktor, ist ein Freund von mir, ein gewisser…“
„Ein Freund von Euch? Er muss mit mir trinken. Sir, geben Sie mir Ihre Hand – so – ich bin der Doktor Siel von Pointe Coupé, Sie müssen von mir gehört haben. Was wollt Ihr trinken? Hier, Barkeeper, schnell, hier ist ein Mann, der durstig ist – so recht, Gläser und Eis hinein, mir aber kein Eis, ich will’s heiß haben, heiß wie Lava, will Hitze mit Hitze kurieren. Zum Henker, wem gehört denn das lange Gesicht, was da zum Fenster hereinstiert? Kommen Sie herein, Sir, was wollen Sie trinken?“
„Danke, danke“, sagte der Neuangekommene, indem er rasch in die Tür trat und sich ohne weitere Umstände sein Glas füllen ließ.
Es war ein Mann von außergewöhnlicher Länge, der noch um mehrere Zoll über den schon ungeheuer langen Doktor hinausragte, mit vorstehenden Backenknochen und grauen, scharf und klug umherblickenden Augen, dessen ganze Gesichtszüge aber den Yankee nicht verkennen ließen. Ein blauer, langschößiger Frack war trotz des heißen, schwülen Wetters fest zugeknöpft, und ein hoher, weißer Filzhut, den er, etwas nach hinten gerückt, auf dem Kopfe trug, machte die lange Gestalt nur noch länger. Seine Stiefel waren nach der modernsten Facon gearbeitet und ganz neu, mochten ihn aber wohl gedrückt haben, denn auf beiden hatte er, gerade über den Zehen, mit einem Messer einen Kreuzschnitt gemacht, um seinen Füßen Raum zu gewähren; überhaupt schien er das Bequeme zu lieben, denn er setzte sich augenblicklich mit größtmöglicher Gemütsruhe auf den Ladentisch, wobei ihm seine Ausdehnung sehr zustatten kam, und leerte das ihm mit Wachholder und Wasser dargereichte Glas.
„Gentlemen“, begann jetzt der Yankee, nachdem er einige Kreuz- und Querfragen des Doktors mit ebenso vielen anderen Fragen beantwortet hatte, „ich denke, wir können ein Geschäft zusammen machen.“
„Ihr habt doch um Gottes Willen keine Wanduhren zu verkaufen?“, fragte mit komischen Schrecken der Doktor.
„Nein“, entgegnete lachend der Yankee, „damit befasse ich mich nicht.“
„Ihr Herren scheint Euch sonst nicht gerade an etwas Bestimmtes zu binden“, wandte Guston ein, indem er dem Langen näher trat.
„Für diesmal doch“, antwortete der Yankee, „ich habe mich auf den Menschenfleischhandel gelegt, und mit dem lässt sich nicht gut ein anderer vereinigen, Vieh- und Pferdehandel ausgenommen; doch habe ich meine letzten Mustangs5 in Baton Rouge6 verkauft und nur noch ein Negermädchen von ungefähr fünfzehn Jahren übrig behalten, die ich heute Nachmittag um vier Uhr in Müllers Kaffeehaus ausspielen will, um am Mittwoch wieder mit dem Mailboot nach New Orleans und von da nach meiner Heimat zurückkehren zu können.“
„Und was kostet das Los?“, fragte Willis.
„Fünf Dollar – wir wollen sie auswürfeln!“, lautete die Antwort. „Es ist ein kapitales Mädchen, gesund und kräftig, und die schönste Negerin, die Ihr je gesehen habt.“
„Aber wo steckt denn die Dirne?“, unterbrach ihn der Doktor. „Schafft sie doch einmal her, und sieht sie gut aus, nun so nehme ich drei oder vier Lose.“
„Sie ist nur wenige Schritte von hier entfernt“, sagte der Yankee, von seinem Sitz aufstehend. „Warten Sie einen Augenblick, und ich bringe sie herüber; es wollten sie überdies noch einige Herren hier ansehen.“ Mit diesen Worten verließ er das Schenkzimmer und kehrte bald mit einem schönen, jungen Negermädchen zurück.
Das kurze, wollige Haar hatte eine Rabenschwärze, die Nase war, ihrer äthiopischen Abkunft treu, breit gedrückt, aber klein und zierlich, und nur leicht aufgeworfen zeigten sich die kirschroten Lippen, zwischen denen, wenn sie sprach, ein Paar blendend weiße Reihen Zähne sichtbar wurden und umso mehr gegen die samtartige, schwarze Haut und die dunklen, glühenden Augen abstachen. Sie war nicht groß, aber schlank gewachsen und ungemein zierlich gebaut, so dass selbst der seiner Sinne kaum noch halb mächtige Doktor einen Fluch ausstieß und schwur, sie wäre eine verteufelt hübsche kleine Hexe.
Mehrere Pflanzer aus der Umgebung waren jetzt noch hinzugetreten, von denen fast alle Lose genommen hatten, und der Yankee führte das Mädchen wieder fort, um in St. Francisville oben noch mehr Teilnehmer für das Würfelspiel um ein menschliches Wesen zu finden.
Unmittelbar hinter dem Mädchen war, als ihr Herr sie zur Schau in die Schenkstube führte, ein junger blasser, aber sehr anständig gekleideter Mann eingetreten, der mit gespannter Aufmerksamkeit den ganzen Verhandlungen horchte und zuletzt, als jeder ein Los nahm, seine Barschaft ebenfalls hervorholte. Unstreitig hatte er beabsichtigt, zwei Lose zu kaufen, denn er überzählte sein Geld mehrere Mal; es musste aber wohl nicht zureichen, denn seufzend schob er einige Dollarnoten wieder in sein schmächtiges, stark abgenutztes Taschenbuch zurück und löste für fünf einzelne derselben ein einziges Los.
Bald darauf, als sich der Doktor wieder nach ihm umsah und bei allem, was im Himmel und auf Erden lebte, schwur, dass er mit ihm trinken oder sich mit ihm schlagen müsse, war er verschwunden.
Unterdessen rückte die vierte Nachmittagsstunde heran und eine große Anzahl von Menschen hatte sich vor dem eben erwähnten Kaffeehause versammelt, wo sie ungeduldig den Yankee erwarteten. Endlich kam er – an seiner Seite ging das Negermädchen und nicht weit von ihr entfernt, doch etwas zurück, der bleiche junge Mann.
Lärmender Jubel empfing die Neuankommenden, und der Doktor war der Ausgelassenste und Lustigste von allen. Das Billard im großen Schenkzimmer wurde jetzt schnell zum Würfeltisch hergerichtet, die Liste der Würfelnden noch einmal verlesen, und der Wirt postierte sich dann mit einem Stück Kreide an der Billardtafel, um den Namen dessen, der den höchsten Wurf tun würde, aufzuschreiben und die Zahl der geworfenen Augen dabei zu bemerken. Das Mädchen stand in einer Ecke auf einem zu diesem Zweck erhöhten Platz; um von allen gesehen zu werden, und zwei große, helle Tränen hingen an ihren dunklen, niedergeschlagenen Wimpern.
E i n Herz nur, in all‘ dem Drängen und Treiben, fühlte ihren Schmerz und teilte ihn – es war der bleiche, junge Mann, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an ein Fenster gelehnt, mit zusammengepressten Lippen und für den Augenblick von Fieberhitze geröteten Wangen, die Arme fest ineinander verschränkt, da stand, vor sich niederstarrte und nur dann und wann schnell und mit einem die höchste Angst verratenden Blick das große, dunkle Auge zu ihr erhob. Als aber das Zeichen zum Anfang gegeben wurde und aller Aufmerksamkeit sich dem Billard zuwandte, als selbst das Opfer einen Moment schüchtern und bebend aufschaute, begegneten sich ihre Blicke; im Nu war er an ihrer Seite und flüsterte ihr, dicht bei ihr vorbeistreichend, zu: „Mut, Selinde, Mut, Du sollst mein werden, und wenn ich Dich aus ihrer Mitte stehlen müsste!“
Ein mattes Lächeln überflog für einen Augenblick das tränenfeuchte Antlitz des armen Kindes, bald aber schwand es wieder, und traurig senkte sie das Köpfchen und weinte still.
Das Spiel hatte unterdessen seinen Anfang genommen; dicht um das Billard gedrängt standen die Teilnehmer, mit gespannter Aufmerksamkeit die rollenden Würfel betrachtend, um schnell die fallenden Augen zu zählen.
„Fünfundvierzig!“, rief Willis, als sein dritter Wurf gefallen war. „Überbietet das, Doktor, wenn Ihr könnt!“
„Nun, ich habe fünf Lose und kann es schon eine Weile mit ansehen“, entgegnete dieser, „aber einmal will ich es doch jetzt auch versuchen.“
Er nahm die drei Würfel in den Becher, schüttelte sie und warf drei Einer.
„Das ist ein guter Anfang!“, rief er ärgerlich, als lautes Gelächter ihn von allen Seiten begrüßte. „Aber lasst nur, für dies erste Los werfe ich nicht mehr; könnte ja so nur, im günstigsten Fall, neununddreißig bekommen – ich will unterdessen eins trinken.“
Er trat vom Billard zurück, andere drängten sich hinzu, und eine Zeit lang herrschte ein gespanntes, ängstliches Stillschweigen, das nur von dem Klappern des Elfenbeins unterbrochen wurde. Der bleiche junge Mann, den niemand im Zimmer zu kennen schien, trat jetzt hinzu und rief mit leiser, aber fester Stimme: „Mir die Würfel!“
Nur schwach war der Laut, mit dem diese Worte gesprochen wurden; wie ein elektrischer Schlag aber durchzuckten sie den Körper des jungen Mädchens, das krampfhaft emporfuhr und mit geöffneten Lippen und angehaltenem Atem aufmerksam dem geringsten Laut horchte.
Einen Blick nur warf der Spieler auf die vorgebeugt lauschende Gestalt, einen anderen an die Decke, wie um da Hilfe zu erflehen, und dann rasselten mit fester Hand die entscheidenden Würfel auf das grüne Tuch – zwei Sechsen und eine Vier. „Sechzehn!“, zählte monoton der Anschreiber. „Noch einmal!“ – Wieder lagen dieselben Augen – zum dritten Mal warf er die Würfel in den Becher, schüttelte und – drei Zweien rollten hervor. „Achtunddreißig! – Schlecht!“, schrie der Ausrufer, und leichenblass trat der Unglückliche vom Billard zurück. Ein anderer nahm seinen Platz ein, und in sich zusammen-schaudernd hielt die Negerin kaum ihre zitternde Gestalt aufrecht; doch ermannte sie sich nach wenigen Augenblicken wieder, und bat mit leiser Stimme einen nicht sehr entfernt von ihr stehenden weißen Mann um ein Glas Wasser.
„Verdamm‘ Dich – hol‘ es selber, glaubst Du, dass ich Dein Nigger7 bin!“, rief dieser, sich unwirsch von ihr abwendend. Ohne ein Wort zu erwidern, schwankte sie zum Schenktisch, nahm ein dort stehendes Glas, füllte es mit dem kühlenden Eiswasser und trank es leer; neu gestärkt hierdurch, schritt sie leichten, fast elastischen Schrittes zu ihrem Platz zurück und barg, an die Wand gelehnt, das Gesicht in ihren Händen: sie nahm sichtbar keinen weiteren Teil an ihrem ferneren Geschick, und nur manchmal, wenn der rohe, freudige Ausruf eines glücklichen Würflers an ihr Ohr drang, schien eine plötzliche Angst ihr ganzes Innere zu durchbeben, und ein leichtes Zittern überflog ihre Glieder.
Wohl eine halbe Stunde mochte das Spiel so ununterbrochen fortgedauert haben und näherte sich jetzt seinem Ende, als der bleiche Mann, der sich auf kurze Zeit entfernt hatte und dem so viel an dem Besitz des jungen Mädchens gelegen zu sein schien, plötzlich zu dem Sklavenhändler wieder herantrat und ihn leise, mit verhaltener, aber zitternder Stimme um ein anderes Los bat.
„Gut, mein Herr, ich habe gerade noch zwei, wollte sie selbst werfen, aber um Ihnen einen Gefallen zu tun, ist hier eins davon“, antwortete dieser artig, „jedoch“, fuhr er, sich höflich verneigend, fort, „werden Sie einsehen, dass ich eine Gelegenheit, mein Eigentum selbst wieder zu gewinnen, nicht ganz umsonst aus den Händen geben sollte – ich kann Ihnen jetzt das Los nur für zehn Dollar lassen.“
„Mann“, fuhr der Unglückliche empor, indem er krampfhaft seine Schulter fasste, „ich habe alles veräußert, was ich bei mir hatte, um die lumpige Summe von fünf Dollar zu erschwingen, und jetzt wollt Ihr zehn; ich habe es nicht, mein ganzes Vermögen besteht in sechs Dollar.“
„Freilich kaum bedeutend genug, ein Geschäft anzufangen“, bedauerte der Yankee, „doch erinnere ich mich, dass mein Bruder Jesaiah einst…“
„Hier ist noch ein Ring“, unterbrach ihn plötzlich der andere, indem er einen einfachen, goldenen Reif von seinem Finger zog, „nehmt und gebt mir ein anderes Los. – Er ist das Doppelte wert“, fuhr er ungeduldig fort, als er sah, dass ihn der Yankee misstrauisch und aufmerksam in der Hand wog und dann betrachtete; es bedurfte jedoch keiner weiteren Beteuerung. Der Sklavenhändler kannte zu gut den Wert des Goldes, um nicht augenblicklich sich überzeugt zu haben, dass der junge Mann die Wahrheit rede, und reichte ihm eins seiner Lose, während er selbst an das Billard trat und seine drei Würfe tat. Das Glück war ihm nicht hold, und ruhig das Resultat des Spiels abwartend, zog er sich in eine Ecke des Zimmers zurück.
Der Doktor hatte jetzt seinen letzten Wurf getan und rief triumphierend: „Sechsundvierzig! – Das Mädchen ist mein!“
„Sechsundvierzig! Bester Wurf!“, schrie der Anschreiber eintönig nach.
„Halt! Ich habe noch ein Los!“ rief jetzt der fremde junge Mann und drängte sich zur Tafel.
„Warum habt Ihr denn da nicht schon lange geworfen?“ entgegnete ärgerlich der Doktor.
„Hatte ich nicht das Recht so gut wie Ihr, bis zuletzt zu warten?“, fragte ihn dieser empfindlich.
„Meinetwegen“, lachte der Doktor jetzt dagegen, „Ihr werft doch keine Sechsundvierzig, und hättet Eure fünf Dollar sparen können, aber halt!“, rief er aus und erfasste den Arm des jungen Mannes, der eben würfeln wollte. „Die Dirne gefällt mir, sie hat ein verdammt hübsches Gesicht – ich gebe Euch fünfzig Dollar, wenn Ihr zurücktretet.“
„Die Würfel mögen entscheiden!“ rief der junge Fremde, indem er sich von der Hand des Doktors losmachte und ihm für einen Augenblick das Blut so in die Schläfe trat, dass es ihm die Adern zu zersprengen drohte, in derselben Minute kehrte es aber zu seinem Herzen zurück und ließ nicht einen Tropfen in seinen Wangen. Die Würfel rasselten und eintönig zählte der Wirt die Augen.
„Siebzehn!“
„Beim Himmel, ein guter Wurf!“, riefen alle, die jetzt mit gespannter Erwartung die grüne Tafel umstanden.
Wieder rasselten die verhängnisvollen Stücke Elfenbein in dem ledernen Becher. Totenstille herrschte und aller Augen hingen an der Hand des Werfenden, während das arme, geängstigte Mädchen betend in die Knie gesunken war und ihr Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. Ihr verhaltenes Schluchzen war das Einzige, was die grabesähnliche Stille unterbrach. Die Würfel lagen.
„Siebzehn! Noch einmal!“
„Verdammt!“, brummte der Doktor.
„Den dritten Wurf, den dritten Wurf!“ riefen alle ungeduldig, als sie sahen, dass der Fremde ängstlich sinnend einen Augenblick einhielt. Fast krampfhaft fasste er zweimal den Becher, jedes Mal wie zusammenschaudernd vor dem entscheidenden Wurf – aber er konnte nicht länger warten – die halb trunkene Schar wurde ungeduldig, und wieder rasselte der Becher; vorgebeugt umdrängten alle das Billard, die Würfel fielen – es waren nur elf.
„Hurra!“, jubelte der Doktor, sich auf das Billard wälzend in widerlicher Lust. „Ich habe gewonnen! Wer will trinken? Ich traktiere8 alles, was im Hause ist. Müller, he! Holla! Hierher! Füllt die Gläser, gebt jedem so viel, als er trinken will, ich bezahle alles!“ Und sich dann auf dem Billard niederlassend, rief er aus: „Bringt das Mädchen her, ich will sie betrachten!“
Als Selinde den jubelnden Triumphruf des Doktors hörte, wollten sie fast ihre Kräfte verlassen, und sie wäre gesunken, hätte sie nicht der Fremde unterstützt, doch jetzt ermannte sie sich mit wunderbarer Kraft und flüsterte nur, ehe sie dem Befehl ihres neuen Herrn Folge leistete, ihrem Beschützer leise zu: „Fliehe, Alfons, fliehe, ehe man Dich entdeckt!“, und trat dann festen und sicheren Schrittes vor ihren Gebieter, seine Befehle zu vernehmen.
„Sie ist ein hübsches Mädchen“, lallte dieser, von heftigem Schlucken unterbrochen, indem er sich mit dem rechten Ellbogen auf den Billardrand legte und mit gläsernen Augen zu ihr aufsah. „Gut, gut – meine Frau wird scheel sehen, wenn ich ihr den Nigger ins Haus bringe, aber…“
Er konnte nicht vollenden, die geistigen Getränke, die er an diesem Tage genossen hatte, gewannen durch die letzte Aufregung endlich die Oberhand, und bewusstlos sank er aufs Billard zurück, von dem er fortgetragen und in ein Bett gebracht wurde, um seinen Rausch auszuschlafen.
Der Wirt nahm die Negerin in seine Obhut und schloss sie in ein Zimmer ein, um sie ihrem Herrn nach dessen Erwachen zu überliefern.
Indessen hatte einige junge Leute, unter denen sich auch Willis befand, eifrig miteinander geflüstert und forschende Blicke auf den bleichen, jungen Mann geworfen, den die Negerin Alfons genannt und der teilnahmslos in einer Ecke lehnte. Sein krauses, rabenschwarzes Haar hing ihm in langen Locken über die bleiche Stirn herunter, seine Lippen waren bleich und seine Augen gerötet; plötzlich trat einer der jungen Leute auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief in barschem Ton: „Alfons!“
Wie von einer Schlange gebissen, sprang bei dem Klange dieses Namens der Unglückliche empor und starrte wild umher, auf den Kreis fremder, unbekannter Gesichter, die ihn umgaben, bis seine umherirrenden Blicke auf dem des ihm Gegenüberstehenden haften blieben, der ihn fest und durchdringend betrachtete. Als ihm aber dessen Züge klarer und deutlicher aufdämmerten, schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn, stieß einen tiefen Seufzer aus und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück. Der junge Mann dagegen, der solche Veränderung in seinem ganzen Wesen hervorgebracht hatte, wandte sich triumphierend zu seinen Kameraden und rief:
„Ich kannte den Burschen, und Ihr mögt mich einen Schurken nennen, wenn es nicht ein erbärmlicher Nigger ist.“
„Was, ein Neger?“, riefen alle, sich um den regungslos Dasitzenden drängend. „Ein Neger? Und mischt sich zwischen Weiße?“
„Hinaus mit ihm! Schlagt ihn zu Boden, den Hund! Werft ihn aus dem Fenster!“ Das waren die Ausrufe, die mit Blitzesschnelle einander folgten, und nicht allein bei Ausrufen blieb es, sondern in demselben Augenblick fühlte sich auch der Unglückliche von kräftigen Händen gefasst, zu Boden geworfen, wieder aufgerissen und dem Fenster zugeschleppt, aus dem er wenige Sekunden später auf die Straße geschleudert wurde. Die Höhe, von der er hinunter stürzte, betrug jedoch kaum sieben Fuß, und nur wenig beschädigt fiel er zu Boden, schon aber hörte er das Rachegeschrei der Verfolger, die nicht gedachten, ihr Opfer so leichten Kaufs entwischen zu lassen, auf dem Hausflur.
Wohl sprang er empor und wandte das blutende Antlitz seinen Feinden entgegen, aber nicht Todesfurcht, nein, kalter Trotz und Verachtung des Schrecklichsten, was ihm begegnen könnte, lag in dem Blick, mit dem er seine Peiniger zu erwarten schien. Da scholl aus einem der oberen Fenster die Stimme Selindes, die ihm, den Untergang des Geliebten voraussehend, in Todesangst zurief:
„Flieh, Alfons, flieh – um meinetwillen!“
Einen Blick warf er hinauf zu der halb aus dem Fenster gebogenen schlanken Gestalt des armen Mädchens, einen Blick voll Liebe, Angst und Trotz; dann aber, wie von einem neuen Gedanken durchzuckt und ehe ihn noch der heranstürmende Haufen erreichen konnte, floh er mit Windesschnelle die Straße hinauf und war bald in den ihn verbergenden Baumgruppen, welche die Stadt umgeben, verschwunden.
Taumelnd und fluchend folgten ihm wohl noch einige der Nüchternsten eine kurze Strecke, gaben es aber bald auf, den schnellfüßigen Flüchtling zu erreichen, und kehrten in das Wirtshaus zurück, indem sie schwuren, dem verdammten Neger, wo er sich nur wieder blicken ließe, Füße und Hände zu binden und ihn in die Bayou zu werfen.
Guston hatte an dem ganzen Vorgange keinen Anteil genommen und ruhig, in einem Fenster lehnend, dem Auftritt zugesehen; einmal zwar, gerade als der Haufen den Unglücklichen auf die Straße schleuderte, war er zusammengezuckt, als ob er im Begriff gewesen wäre, ihm beizuspringen; hatte es aber nur so den Anschein gehabt, oder er sich eines Besseren besonnen, er fiel wieder in seine nachlässige Stellung zurück und blieb bei dem Ganzen ein untätiger, ja wie es fast schien, teilnahmsloser Zuschauer. Nur erst als die Gemüter sich wieder beruhigt hatten und der lärmende Haufen zum erneuerten Trinken in die Gaststube zurückgekehrt war, entfernte er sich leise, selbst nicht von Willis bemerkt, und ging nachdenkend die Straße nach St. Francisville hinauf.
Die Sonne war indessen untergegangen und tiefe Dämmerung lagerte sich über das Tal, als Guston den Fuß des Hügels erreichte, auf dem das Nachbarstädtchen erbaut ist. Zu seiner Linken sah er ein mattes Licht zwischen den Spalten eines kleinen Blockhauses hindurch schimmern, das, wie er noch von früher wusste, von zwei Mulattinnen, Mutter und Tochter, bewohnt war. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, dass sich dorthin der Verfolgte geflüchtet haben könne, und obwohl sich keines klaren Zwecks bewusst, ging er schnell an dem sanften Abhang des Hügels hinauf, und stand bald an der von innen verriegelten Tür des kleinen Hauses, aus dem leise flüsternde Stimmen heraustönten.
Guston legte sein Ohr an eine der Spalten und unterschied bald die tröstende Stimme des Mädchens, die jemand Mut zusprach, und dabei selbst dann und wann einen recht tiefen, tiefen Seufzer ausstieß. Guston war überzeugt, dass der Unglückliche hier Schutz gefunden hatte, aber noch unschlüssig, wie er sich Eingang verschaffen wollte, da die Inwohnenden in ihm unmöglich einen freundlich Gesinnten vermuten konnten, als er die Stimme der Alten hörte, die, an die Tür tretend, zu ihrer Tochter sagte:
„Ich muss noch die Wäsche hereinnehmen, die draußen hängt, sonst dürfte morgen früh wenig davon übrig geblieben sein; setze Du indessen den Kessel aufs Feuer – der arme Mensch wird Nahrung und Ruhe bedürfen.“ Zu gleicher Zeit wurde der große, schwere eiserne Riegel zurückgeschoben, und die alte Frau trat in die Tür, erblickte aber in demselben Augenblick den jungen Pflanzer und wollte, zurückschreckend, dieselbe wieder zuschlagen, als Guston schnell vorsprang und das Verriegeln derselben hinderte.
Die Frauen stießen einen Angstschrei aus, und Alfons, der sich matt und erschöpft aufs Bett geworfen hatte, sprang erschrocken empor und riss ein verborgen gehaltenes Messer aus seinem Gürtel; Guston aber hob die Hand zum Zeichen des Stillschweigens, half selbst, die Tür verriegeln, und dann einen Stuhl an den Tisch rückend, setzte er sich mit einer solchen Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, als ob nicht das Geringste vorgefallen sei.
„Mr. Guston“, rief die alte Mulattin, die ihn erst jetzt erkannte, ganz erstaunt aus. „Mr. Guston! Wie um des Himmels Willen kommen Sie wieder nach Louisiana und in unsere Hütte? Sie wollen doch nicht dem armen Mann da…?“
„Sei nicht bange, Alte“, unterbrach sie der junge Pflanzer, „ich habe keine bösen Absichten, ich komme einzig und allein aus Neugierde, und kann dem armen Menschen sogar nützlich sein. Wie aber konntest Du es wagen“, wandte er sich jetzt an den stumm und regungslos vor sich hinstierenden Quadroon9, „Dich so dreist zwischen Weiße zu drängen und mit ihnen zu spielen und zu trinken?“
„Ich habe nicht mit ihnen getrunken“, antwortete eintönig Alfons.
„Gleichviel“, entgegnete Guston, „Du musstest recht gut wissen, welcher Gefahr Du Dich aussetzt, und das ohne irgendeinen Zweck oder Nutzen davon zu haben; denn wenn Du wirklich das Mädchen gewannst, so wäre sie Dir, unter den Verhältnissen, doch nicht gelassen worden.“
Alfons seufzte tief auf.
„Aber sage mir, wo bist Du her? Du bist so weiß wie irgendeiner von uns; ich selbst würde nie einen Verdacht geschöpft haben, dass Du von schwarzem Blute abstammst. In welchem Verhältnisse stehst Du zu der Negerin? Denn einen geheimen Grund musst Du gehabt haben, Du hättest sonst nie etwas so Tollkühnes unternommen.“
„Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte meiner Leiden erzählte?“, sagte Alfons traurig. Es ist die Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe in all‘ den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes finden! Oh, ein freies Land ist es!“, fuhr er, mit beiden Händen krampfhaft seine Schläfe fassend, fort.
„Du selbst bist doch kein Sklave?“, sagte, schnell vom Stuhl aufstehend, der Pflanzer.
„Nicht ich“, murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der Unglückliche, „doch überzeugt Euch“, fuhr er, mehrere Papiere aus seiner Tasche hervor langend, fort, „überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; oh, ich glaubte es damals ein schönes Geschenk, ich wurde nicht mit den anderen Negerkindern, wie die jungen Mustang-Füllen, aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich, durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber schöner Jugendtraum; überall kannte man mich, wusste, dass meine Mutter eine Mulattin sei, und der ‚verdammte Nigger‘ durfte sich an keinem Orte, wo sich Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten Kränkungen und Demütigungen zu erfahren.
Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt verlassen haben, hätte nicht eine Sklavin meines Vaters – dasselbe junge Mädchen, welches heute ausgewürfelt wurde“, fuhr er mit leisem, zitterndem Tone fort, „mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie frei zu geben und mir zu schenken. Da entriss mir der Tod plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden Einfluss auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigentum in Besitz, das durch unvorsichtige Spekulationen, wie mir gesagt wurde, verschuldet und verpfändet war. Ich wurde mit wenigen Dollar in die Welt hinaus gestoßen, und Selinde, mit anderen Sklaven und Sklavinnen, da der neue Eigentümer selbst deren einige fünfzig aus Georgia mitgebracht hatte, an einen Sklavenhändler verkauft. Dieser verließ Alabama und wandte sich nach New Orleans, um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde ausgenommen, die er für sich behalten wollte, bis er mit ihr hier nach Bayou Sara kam und es ihm einfiel, sie auszuwürfeln.
Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt, von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das Wirtshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebett gegeben, um zwei Lose zu kaufen. Sie wissen das Übrige. Der junge Mann, der mich erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener Vetter.“
Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke und schluchzten; selbst Guston war gerührt.
„Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des Sklavenhändlers?“, fragte er endlich nach einer Pause. „Der musste Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen haben.“
„Oft genug“, fuhr Alfons fort, „da ich aber mit im Herrenhause schlief und von den Sklaven stets als ‚Mr. Alfons‘ angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht geschöpft, dass ich selbst zu jener verachteten Rasse gehören könne.“
„Und was denkst Du jetzt zu tun?“, fragte Guston teilnehmend, als er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab.
„Was k a n n ich tun?“ hauchte leise der Quadroon.
„Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause“, sagte Guston aufstehend, „ich will mit dem Doktor morgen früh reden, vielleicht kann ich Dir helfen.“
Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf.
„Heute ist so nichts mehr zu hoffen“, fuhr Guston, mehr zu sich selbst als zu dem anderen redend, fort, „um zehn Uhr fährt der Doktor mit der Dampffähre nach Pointe Coupé, und da wird für diesen…“
„Heut Abend um zehn Uhr?“, fragte Alfons hoch aufhorchend.
Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande nicht mehr so spät in der Nacht?“, sagte die alte Mulattin, sich die Augen trocknend.
„Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylors Pflanzung auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch übergesetzt zu werden“, erwiderte Guston, „da wollen sie den Doktor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist er nüchtern und kann auf seine Sklavin Acht geben. Doch genug für heut Abend“, unterbrach er sich selbst, „ich habe vielleicht Unrecht getan, Dir so teilnehmend zuzuhören, da Du nach den Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb‘ wohl, bis morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich tun lässt, und halte Dich ein wenig verborgen, dass Du Deinem V e t t e r nicht wieder vor die Augen kommst, er scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu finden. – Schon gut“, sagte er, etwas zurücktretend und eine abwehrende Bewegung machend, als er sah, dass Alfons seine Hand ergreifen wollte, „schon gut, Du bist mir weiter keinen Dank schuldig, als dass ich Dich nicht verrate, und dazu fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute Nacht, Anna“, und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit verschwunden.
Er hatte aber kaum die nach Bayou Sara führende breite Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit unterdrückter Stimme ausrief:
„Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir gefangen, aber nicht den rechten; wo um Gottes Willen kommst Du hierher?“
„Ich wollte erst nach St. Francisville gehen, habe mich jedoch anders besonnen“, sagte Guston, „aber was im Namen alles gesunden Menschenverstandes tut Ihr hier, wie Straßenräuber auf dem breiten Fahrweg? Ich glaubte wahrhaftig im ersten Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicherweise Deine Stimme erkannte. Wer sind diese und was wollt Ihr alle hier?“, fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen nahen hörte, die in wenigen Sekunden an seiner Seite waren und in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange Sklavenhändler und der Ankläger und Vetter des Entflohenen schienen sie anzuführen.
„Still“, sagte Willis, „wir wissen, dass der freche Schuft, der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.“
„Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen?“, fiel Guston gutmütig ein, „Ihr habt ihn einmal abgestraft, lasst in laufen, er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße Männer hineinwagen.“
„Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer“, entgegnete trocken Willis, „mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn i c h’s verhindern kann.“
„Es tut mir nur leide, dass wir ihn nicht gleich banden und in den Fluss warfen“, fiel ärgerlich, doch mit unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein, „ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren unsere Zeit und dort schimmert das Licht.“
Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufen leise gegen das kleine Blockhaus hinan schlich; plötzlich aber, wie von einem anderen Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd: „Sie sollen ihn doch wenigstens nicht töten!“
Wenige Schritte nur war er nach der Hütte zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt über den Weg glitt. Er blieb stehen und rief sie mit unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte, und bald hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern geräuschlos umzingelt war, während die nichts Böses ahnenden Bewohner sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit leiser Stimme unterhielten, und dann und wann ein leises Schluchzen durch die stille Nacht drang. Willis trat jetzt vor, und mit dem starken Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs mitgenommen, an die Tür schlagende, verlangte er Einlass. Einen Augenblick herrschte Totenstille; erst auf seine zweite Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache keinem Fremden die Tür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen wären.
„Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe!“ rief jetzt Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag gegen die Tür führte, „öffne augenblicklich, oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe zusammen!“
Die Übrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten hinzugetreten, und das Haus eng einschließend, schienen sie die Drohung im wahren Sinne des Wortes ausführen zu wollen, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Öffnen der Tür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen dieselbe, und diese aufstoßend, warf er sich mit solcher Gewalt gegen den Kopf der Mulattin, dass die Unglückliche, von dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und niederstürzte. Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte, so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Teil der Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.
Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft an die Schulter ihrer Tochter lehnte.
„Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war? Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um!“
„Lasst meine arme Mutter, Herr!“, rief das Mädchen, den schon nach ihr ausgestreckten Arm des wütenden Willis zurückstoßend. „Lasst sie, Ihr habt sie ja schon beinahe getötet!“
„Nigger!“, rief dieser, sich zornig emporrichtend. „Willst Du mir sagen, was ich tun oder lassen soll?“ Und mit der Peitsche ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston gefasst und festgehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte: „Du schlägst das Mädchen n i c h t, oder Du hast es mit mir zu tun!“
„Was zum Henker mischst Du Dich in mein Tun?“, fuhr Willis heftig gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend, ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb ärgerlich: „Warum ist das dumme Ding so trotzig? Ich wollte ihr übrigens kein Leid tun, sie soll nur sagen, wo der Bursche ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!“
Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf Guston, um zu erforschen, ob er sie verraten habe; bald aber schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise mit dem Kopfe und hauchte: „Ich habe niemand gesehen.“
„Lügen!“, riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen. „Er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?“
„Ich habe niemand gesehen“, wiederholte leise das zitternde Mädchen.
„Gentlemen!“, sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht umdrängenden Männer wendend. „Sie sehen, der Mann ist fort, wohin, darf uns für den Augenblick sehr gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in der stockfinsteren Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die Stadt zurück, und wir wollen noch ein halb Stündchen zusammen trinken, i c h traktiere, morgen haben wir vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht mit mir?“
„Nun, ich denke“, sagte der Sklavenhändler, indem er sich mit großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob, „wir gehen alle.“
„Ja, lasst und gehen; zum Teufel mit dem Nigger!“ riefen alle untereinander und drängten sich wieder aus der Tür hinaus, um im Wirtshaus ihr Gelage aufs Neue zu beginnen. Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen folgte ihm mit dem tränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick – sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.
Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel sie wollten. Die Unterhaltung war sehr laut, und besonders schimpfte und fluchte der Sklavenhändler auf den Entflohenen, den er versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doktor mit verschlafenem, bleichen Gesicht, sich dehnend und streckend, in der Tür erschien.
Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die Erzählung dessen, was, während er schlief, vorgefallen war.
„Der N i g g e r!“, rief er endlich ganz entrüstet aus. „Ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen, die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht?“
Etwas kleinlaut erzählte jetzt Willis, dass er ihnen entkommen sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am anderen Morgen anstellen wollten.
„Ich habe einen vorzüglichen Negerhund“10, fuhr er in seinem Argumente fort, „und wenn wir den auf die Spur bringen…“
„Bah!“, rief der Doktor ärgerlich. „Glaubt Ihr, der wird sich lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo so viel B o o t e am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht eins, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen früh wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh‘ ich. Nun“, tröstete er sich endlich, „er kommt uns vielleicht ein anderes Mal wieder in den Wurf, und – ich kenne den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein Pulvermagazin, dass Ihr Euch hier alle um mich her drängt und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus verderben könnte? He, Wirt! Etwas zu trinken! Ihr habt doch mein Mädchen ordentlich aufgehoben?“
„Alles in Sicherheit“, entgegnete dieser, dem Doktor ein Glas und eine Flasche hinschiebend, „aber, Doktor, die Fährleute werden gleich zum letzten Mal hinüberfahren. Punkt zehn Uhr will Mr. Taylor am Ufer sein.“
„Mr. Taylor“, sagte der Doktor, sein Glas halb füllend und leerend, „mag zu – Grase gehen! – Es wird aber doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen herunter und lasst sie sich bereit halten.“
„Ihr Bündel liegt in der Küche“, sagte der Yankee, „viel hat sie zwar nicht, aber…“
„Ihr Yankees werdet auch einen Sklaven viel Plunder mitnehmen lassen!“, unterbrach ihn lachend der Doktor. „Da müsste man Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist, kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.“
Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber hörte, dass das Mädchen vor die Tür geführt ward und der Doktor sich selbst zum Überfahren rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Doktor folgte, und beide standen bald in der sternhellen Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße unfern des unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu den goldenen Sternen blickte.
„Nun, was wollen Sie von mir, Sir?“, fragte endlich der Doktor, nur wenige Schritte von der Sklavin stehen bleibend.
„Ich wünschte, Ihnen dies Mädchen abzukaufen“, antwortete Guston fest und ruhig.
„Den Teufel auch!“, rief erstaunt der Doktor. „Was fällt Ihnen auf einmal ein?“
„Sie gefällt mir“, entgegnete in gleichgültigem Ton der junge Pflanzer.
„Mir auch“, sagte der Doktor lachend, „und ich verkaufe sie nicht wieder, nein, meine Frau wollte lange ein Hausmädchen haben, und d i e scheint mir wie geschaffen dafür: leicht, behände, hübsch und stark.“
„Doktor, es kommt mir auf einige Dollars nicht an; ich möchte aber das Mädchen haben, und wenn Sie nicht einen zu horrenden Preis fordern, so…“
„Nein, nein“, unterbrach ihn der Doktor, „aus unserem Handel wird nichts, wenn ich das Geld nötig brauchte, ja, dann wär es vielleicht etwas anderes, ich habe aber just gestern einen Wechsel von tausend Dollar bekommen, gut wie Silber, und da ist mir jetzt das Mädchen nicht feil. Fragt jedoch Weihnachten einmal wieder nach und – ich stehe Euch nicht dafür, dass das Geld so lange ausreicht – vielleicht noch früher, nur für den Augenblick wird nichts daraus.“
Das Mädchen hatte im Anfang, da sie hörte, wie nahe sie die Unterhaltung anging, erschrocken aufgehorcht, und versuchte vergebens eine Zeit lang mit ihren scharfen Augen die Finsternis zu durchdringen, um die Züge dessen zu erforschen, der sie zu erhandeln wünschte; da sie das aber unmöglich fand, verfiel sie wieder in ihre träumerische Stellung, wenig den Fortgang des Gesprächs und die Folgen, die es für sie haben musste, beachtend. Sie war daran gewöhnt, als ein Stück Ware betrachtet und verhandelt zu werden, und ihr schien es gleichgültig, wer von den beiden ihr neuer Herr werde, da Alfons doch unwiederbringlich für sie verloren war; nur zwei große Tränen traten ihr in die dunklen Augen und fanden, von anderen gefolgt, ihre Bahn die sammetweichen Wangen der Unglücklichen hinab. – Sie konnte sie nicht abtrocknen, ihre Hände waren gebunden.
Jetzt traten auch die übrigen Pflanzer und Kaufleute aus dem Hause und wanderten zusammen dem nicht fernen Flussufer zu, um den Doktor noch auf das Boot zu begleiten. Guston wandte sich ab und schritt schweigend an Willis Seite, der ihm tausend tolle Streiche und Schwänke erzählte, und sich wenig darum bekümmerte, ob sein Gefährte ihm zuhörte oder nicht, dem kleinen Städtchen St. Francisville zu, um dort zu übernachten und am nächsten Morgen seines Vaters Pflanzung zu erreichen.
Das Schicksal der beiden Unglücklichen hatte Guston, da er lange Zeit von den Sklavenstaaten entfernt gelebt, wirklich geschmerzt, und manch gutmütiger Plan für die Zukunft der beiden seinen Kopf durchkreuzt, als er dem Doktor das Mädchen abkaufen wollte. Da dieser aber nicht darauf eingegangen war, so glaubte er das Seinige getan zu haben und vergaß bald das Unglück von Leuten, denen er doch nicht helfen konnte. Noch hatte er nicht die Höhe des Hügels und mit ihm die ersten Häuser des Städtchens erreicht, als er schon ganz in Willis Laune einstimmte und diesem von seinen Reisen und Wanderungen erzählte.
Unterdessen waren die Passagiere, die noch nach Pointe Coupé übersetzen wollten, auf der Dampffähre eingeschifft, und Selinde wurde ebenfalls an Bord gebracht, jetzt jedoch, als das Boot vom Lande abstieß, losgebunden, und sie stand vorn am Bugspriet des kleinen, breiten Fahrzeugs, schaute über das niedrige Geländer hinab in den dunklen, reißenden Strom und hing ihren trüben, traurigen Gedanken nach.
In der Kajüte hatte sich indessen der Doktor mit noch zwei anderen Pflanzern zu Taylors Familie gesellt und erzählte diesen von den heutigen Vorfällen, während das Boot langsam am Ufer hinauflief und eben vor der kleinen Bayou, von der das Städtchen seinen Namen hat, vorüberfahren wollte.
„Geht denn der Herr nicht mehr mit, der da noch am Ufer steht?“, rief plötzlich der Steuermann, ein Deutscher, dem Master des Bootes zu, der unten, unfern der Sklavin, am Geländer lehnte.
„Nein, hat sein eigenes Boot“, war die lakonische Antwort, und der Ingenieur, der auch zugleich die Stelle des Feuermanns mit vertrat, gab dem Boote die ganze Kraft, um so schnell wie möglich die nächtliche Fahrt zu beenden.
Das Boot erreichte jetzt die ungefähre Höhe, von der aus sie hoffen durften, die gegenüberliegende Landung zu gewinnen; der Steuermann ließ also den Bug nach der Backbordseite abfallen, und bald zeigte das stärkere Rauschen am Bugspriet, dass es in reißendere Strömung geraten sei. Langsam bewegte es sich der Sandbank zu, die sich in den Sommermonaten, mitten im Flusse von einer kleinen Insel unterhalb ausgehend, wohl zwei Meilen hinaufzieht, und welche die Fähre, um an dem gewöhnlichen Landungsplatze in Pointe Coupé anzulegen, umfahren musste. Das Boot mochte kaum dreihundert Schritt von dem waldigen Ufer ab sein, als von der Mitte des Stromes aus dreimal der Ton eines Loon11 klagend über die glatte Wasserfläche herüber schallte. Der Master schien die oft gehörten Töne wenig zu beachten; Selinde aber fuhr schon beim zweiten Rufe, wie von einem plötzlichen Schreck durchschauert, auf und lauschte mit verhaltenem Atem dem dritten. Wenige Minuten war alles still, und dann schallten wieder dieselben drei wehmütigen Rufe des menschenscheuen Wasservogels zu ihr herüber, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper und weitgeöffneten Augen die Finsternis zu durchdringen suchte, wie um den Urheber dieser Töne zu entdecken. „Der Loon schreit kläglich heut Abend!“, rief der Steuermann.
„Ja, wir bekommen Regen“, sagte der Master, indem er einen prüfenden Blick nach oben warf. Der Himmel schien aber seine Wetterprophezeiung nicht zu rechtfertigen, denn kein Wölkchen umhüllte die Myriaden Sterne, die in glühender Pracht von dem dunkelblauen Firmament hernieder schimmerten.
Das Boot durchschnitt jetzt, in die Nähe der Sandbank und dadurch in etwas stillere Wasser kommend, mit größerer Schnelle den Strom, während der Loon noch zweimal in kurzen Zwischenräumen seinen Ruf ertönen ließ, aber schwieg, sobald die Fähre heran rauschte.
„Halte stromauf!“, rief der Master jetzt dem Steuermann zu. „Du rückst dem Sande zu nahe. So – das wird genug sein!“
Sie liefen von da an ziemlich geschwind in ganz totem Wasser an der Sandbank hinauf und näherten sich mehr und mehr der Spitze, als der Steuermann ausrief, er sähe etwas Schwarzes vorn auf dem Wasser, das einem Kahne gliche.
„Ich kann nichts erkennen“, rief der Master, seine Augen anstrengend und sich vorn überbiegend.
„Kommt hierher, es muss ein losgerissenes Boot sein, was dort auf den Sand getrieben ist. Wenn wir unsere Jolle mit hätten, könnten wir es fangen.“
„Schändlich!“, rief der Master ärgerlich. „Die Burschen, die hinter uns mit dem Ruderboote kommen, werden es jetzt finden; wir dürfen aber nicht näher hinfahren, sonst bleiben wir sitzen.“
Sie waren unterdessen in gleiche Höhe mit dem dunklen Gegenstände gekommen, der sich wirklich als ein Kahn auswies, aber nicht als ein leerer, sondern ein einzelner Mann saß darin und ruderte, etwas vor dem Boote, auf dasselbe zu, als ob er dicht an demselben vorüberfahren wollte. In demselben Augenblick ließ sich auch der Loonruf, doch ganz in der Nähe und äußerst leise hören.
„Habt Acht! Ihr kommt unter die Fähre!“, schrie der Master vom Verdeck aus dem einsamen Ruderer zu, der jetzt fast auf Kahnlänge herangekommen war; die Warnung wurde aber nicht beachtet, und „Selinde!“ rief der fremde Mann leise herüber. In dem Augenblick berührte auch sein Kahn die Dampffähre, und mit einem Sprung lag das Mädchen an der Brust des Geliebten, glitt aber, wohl wissend, dass dieser seine Arme jetzt nötiger brauchte, als sie zu umfassen, behände in den Stern des Bootes, und dasselbe mit einem dort liegenden kurzen Ruder abstoßend, trieb der kleine Nachen, ehe sich die Fährleute nur von ihrer Überraschung erholen konnten, schnell in das Fahrwasser des Dampfers.
„Halt! Verdamm Euch! Hilfe! Haltet sie!“, riefen der Master und Steuermann zu gleicher Zeit, und ersterer sprang, mit Hintansetzung der Furcht für seine Gliedmaßen, mit einem Satz vom Steuer auf das untere Deck hinunter, um das Entkommen des Bootes zu verhindern; aber zu spät, schon verschwand es in der dichten Finsternis, und deutlich hörten sie, wie es, von kräftigen, regelmäßigen Ruderschlägen getrieben, schnell über die Fläche des Stromes dahin schoss.
„Was schreit Ihr denn so, als ob Ihr am Spieße steckt?“, rief der Doktor, als er jetzt mit anderen Männern aus der Kajüte kam. „Ist das nicht ein Höllenlärm…“
„Die Negerin ist fort!“, rief der Master.
„ W a s ist sie?“, schrie der Doktor und war mit wenigen Schritten an der Seite des selbst zum Tode erschrockenen Masters, der seinem Steuermann nur schnell zurief, das Boot zu wenden und stromab den Flüchtigen zu folgen, und dann dem Doktor mit wenigen Worten den ganzen Vorfall erzählte. Fluchend und tobend aber sprang dieser zum Steuer, bot dem Steuermann zehn Dollar, wenn er die Entflohenen wieder einhole, und vertrieb sich dann die Zeit damit, dass er, auf- und abgehend, überdachte, wie er die beiden, wenn er sie erst wieder eingefangen hätte, züchtigen wollte.
Der Master war indessen auch zu ihm herangetreten, und den Doktor in seinem Eifer und seinen Gestikulationen unterbrechend, rief er ihm zu, einen Augenblick ruhig zu sein, denn er glaube, er höre Ruderschläge. Sie horchten jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahmen deutlich das regelmäßige Einschlagen von Rudern in das Wasser; es konnten aber nicht die Flüchtlinge sein, denn es kam von Bayou Sara herüber, und der Steuermann brach endlich das Schweigen, indem er versicherte, dass es das Segelboot wäre.
„Gut“, rief der Master, „die wollen wir doch bei unserer Jagd zu Hilfe rufen, es müsste dann mit dem Bösen zugehen, wenn wir das Pärchen nicht einfingen, ehe es Waterloo erreichen kann.“ Und die Hände trichterförmig an den Mund haltend, schrie er mit kräftiger Stimme sein „Boot ahoiii!“ über die ruhige Stromfläche hinüber.
Schon sein zweiter Ruf wurde von drüben beantwortet, und bald tönte auch auf sein langsam und deutlich ausgestoßenes „Kommt herüber!“ ein befriedigendes „Ay – ay!“ zurück.
Die Dampffähre schoss unterdessen mit bedeutender Schnelle an der Sandbank hin, gleichwohl sich etwa hundertfünfzig Schritt von ihr entfernt haltend, um nicht aufzulaufen, und aufmerksam beobachteten die Männer den zwischen ihnen und der Bank liegenden Wasserstreifen, da sie nicht ohne Grund vermuteten, dass der Entflohene eher versuchen würde, ihnen unter dem Schutze der Nacht zu entgehen, als sich auf seine eigene Kraft zu verlassen und die Mitte des Stromes zu suchen, wo ihm, wenn entdeckt, auch nicht die mindeste Hoffnung auf Entrinnen geblieben wäre.
Schon hatten sie sich auf wenige hundert Schritt der kleinen Insel genähert, als der Master plötzlich des Doktors Arm fasste und gerade sich gegenüber nach der Sandbank deutend, die hier etwa drei Fuß über die Wasserfläche herausragte, ausrief: „Dort sind sie, so wahr ich ein Christ bin; seht Ihr dort?“
„Wo? Wo?“, rief der Doktor, der nur das dunkle Boot mit den Augen gesucht hatte.
„Dort der weiße Punkt“, rief der Master, „das Kleid des Mädchens!“, und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, sprang er mit einem Satz an das Steuerrad, und das Boot schnell wieder stromauf wendend, führte er es gerade auf den weißen Punkt zu. Der Flüchtige war aber hier allerdings in der Hoffnung angelaufen, unter dem mehrere Fuß hohen steilen Sandufer unbemerkt liegen zu bleiben und, wenn die Fähre vorbeigefahren wäre, schnell die Mitte des Stromes zu erreichen, wonach er dann, stromab, bald aus dem Bereiche augenblicklicher Verfolgung kommen konnte.
„Jetzt haben wir sie!“, rief der Master aus, als er sich, etwas näher rückend, wirklich überzeugt hatte, dass es die Flüchtigen waren. „Hier ist das Wasser tief, und ich müsste mich sehr irren, wenn wir nicht an den Burschen dicht heran laufen könnten; auf alle Fälle wollen wir’s versuchen.“
Die armen Flüchtigen befanden sich unterdessen in einer gar misslichen Lage, denn in der Tat hätte die nicht sehr tief im Wasser gehende Dampffähre gerade an dieser Stelle an sie heran laufen können. In diesem kritischen Augenblick verließ aber den in der Schule des Unglücks Gestählten die so nötige Geistesgegenwart nicht; mit raschen Ruderschlägen flog er, etwa fünfzig Schritt, seinen Verfolgern gerade entgegen, und als diese schon, in der Hoffnung, ihn bald in ihrer Gewalt zu haben, laut aufjubelten, der Doktor sogar ein Tau zurechtlegte, um den „damned nigger“, wie er sich ausdrückte, zu knebeln, schoss dieser plötzlich, einen schmalen Streifen leichten Wassers benutzend, der sich zwischen zwei langen Sandzungen hinzog, in seinem kleinen Boote rechts von der Fähre ab, die gleich nachher, durch das nur wenige Zoll tief gehende Boot irre geführt, in zu seichtes Wasser kam und auflief. Im nächsten Augenblick waren die Flüchtigen in der alles umlagernden Finsternis verschwunden.
Da schallte plötzlich ein nahes, deutliches „Hallo!“ herüber, und das angerufene, von Bayou Sara kommende Segelboot lag wenige Augenblicke später neben dem auf dem Sande sitzenden Dampffährboote.
„Hallo!“, rief noch einmal der im Stern des ersten behaglich hingestreckte Creole. „Was flucht Ihr denn hier so gotteslästerlich durch die stille Nacht? Das ist der Doktor, nicht wahr?“
„Beauvais!“, rief dieser. „Euch sendet uns der Himmel!“
„Wohl durch Euer Beten erweicht?“, lachte Beauvais.
„Kommt schnell heran, nehmt uns auf; mein Negermädchen ist mir hier vom Boote weg durch den weißen Nigger gestohlen, und vor kaum drei Minuten sind sie erst fort, wir müssen sie einholen.“
„Kommt herein denn, schnell!“, rief der Creole, das Boot an die Fähre anlenkend. „Und wenn meine vier Burschen den bleichen Schurken nicht in zehn Minuten haben, so will ich mein Leben lang keinen Gumbo12