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Through the concept of individuation, C. G. Jung's analytical psychology offers a solidly based and timely approach to engaging with what constitutes the fulfilment of one's own personality on an individual path through life. The book introduces the foundations of analytical psychology and provides readers with a kind of checklist of eight insight tasks with which they can explore the dimensions of their own individuation and implement impulses in a meaningful way. The conceptual world of C. G. Jung is presented at a high specialist level but at the same time clearly, with many examples drawn from everyday life.
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Seitenzahl: 219
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Der Autor
Dieter Schnocks ist Dipl.-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Dozent, Supervisor und Lehranalytiker.
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2. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-036812-5
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-036813-2
epub: ISBN 978-3-17-036814-9
mobi: ISBN 978-3-17-036815-6
Das Buch hält, was es im Titel verspricht. Wenn man es langsam und nachdenklich liest, hat man einen Weg gefunden, sich besser zu verstehen, den jeweils nächsten Schritt zu erkennen und dann auch mutig zu gehen. Viele lebensnahe Beispiele stimulieren diese introspektive Schau. Sie sind konzentriert beschrieben, manchmal fast zu kurz zusammengefasst. Aber gerade dadurch regen sie die Phantasie des Lesers und der Leserin an. Man spürt die große therapeutische Erfahrung des Autors als Psychoanalytiker wie auch als Lehrender. Er ist Dozent und Lehranalytiker am C. G. Jung-Institut Stuttgart und zurzeit dessen erster Vorsitzender. Er hat in Köln eine inzwischen weithin bekannte Jung-Gesellschaft gegründet, nach dessen Muster in der Folge viele weitere Jung-Gesellschaften in Deutschland gegründet wurden. Die Aktivitäten der Jung-Gesellschaften erfreuen sich zunehmend der Beliebtheit und Anerkennung.
Dieter Schnocks zeichnet aufgrund seiner begeisternd lebendigen rheinischen Art eine ganz besondere pädagogische Begabung in Wort und Schrift aus, was sehr zu zunehmender Bekanntheit der Jung’schen Psychologie nicht nur in Deutschland beigetragen hat. Hier möchte ich auch auf sein erstes Buch hinweisen: Was unsere Träume sagen wollen (Herder 2009).
Die beeindruckende, aber nie ermüdende Fülle des vorliegenden Buches zu beschreiben, würde den Rahmen eines Geleitworts sprengen. Stattdessen empfehle ich sehr, das hervorragend gegliederte und informative Inhaltsverzeichnis zu studieren. Es verweist im ersten Teil auf die Konzepte der Analytischen Psychologie mit vielen weiterführenden Unterabschnitten und dann wird im zweiten, dem praktischen Teil, beschrieben, »was auf meinem Individuationsweg« geschieht. Auch hier bleibt der Autor bezogen auf den inneren Weg der Individuation praxisnah, gut verständlich und immer seinem Thema treu.
Das Buch eignet sich hervorragend sowohl für ein Selbststudium als auch zu Prüfungsvorbereitungen. Zentrale Konzepte der Analytischen Psychologie, wie zum Beispiel die Gegensatzstruktur der Psyche, sind sehr sorgfältig und genau herausgearbeitet, so dass die Leser einen fundierten Ein- und Überblick über alle relevanten Themen erhalten und den Jung’schen Standpunkt fundiert mit anderen Theorievorschlägen aus dem heute sehr umfassenden Wissenschaftsbereich vergleichen können. Die Pendelbewegung, die Enantiodromie, die Äquivalenz und Entropie sowie die vielfältigen Umwandlungen der Energie in der Selbstregulierung der Psyche werden gründlich bearbeitet und damit entscheidende Unterschiede zu anderen theoretischen Modellen dargestellt, so dass sich jeder Leser und jede Leserin ein genaues Bild machen kann und eine fundierte Basis für kritische Vergleiche erhält. Dies sind nur einige der wichtigen Themen des Buches.
Im praktischen Teil werden acht Fragen für den Weg der Selbstverwirklichung gestellt. Sie sind sehr persönlich formuliert, regen Fantasie und Geist an, sich noch einmal mit dem Thema des Buches zu beschäftigen und auf diese Weise einen je eigenen Zugang zur Individuationsthematik zu finden.
Die hinführenden Fragen zu jedem Kapitel regen auf differenzierende Weise zum Nachdenken an. Man könnte und sollte den Fragenteil vielleicht auch zuerst lesen. Die Theorie liest sich danach wahrscheinlich leichter und macht Mut und Lust, sich dann genauer mit den teilweise schwierigen theoretischen Überlegungen zu beschäftigen. Doch beide Teile bilden ein lebendiges Ganzes, sie stellen ein sehr lesenswertes und lohnendes Buch zu C. G. Jung und seinem Werk dar. Möge es einen guten Weg gehen, viele an der Analytischen Psychologie Interessierte finden, auch Ausbildungskandidaten eine wertvolle Studienhilfe sein und dem Autor, meinem Kollegen Dieter Schnocks, die verdiente Anerkennung bringen.
Dr. Theodor Seifert
Geleitwort
Vorwort zur 2. Auflage
Einleitung und Vorbemerkungen
C. G. Jung – Leben und Wirken
Entwicklung der Jung’schen Tiefenpsychologie
Mein persönlicher Zugang
Teil I Die Konzepte der Analytischen Psychologie
1 Das Individuationskonzept
1.1 Was bedeutet Individuation?
1.1.1 »Erkenne dich selbst« und »Werde, der du bist«
1.1.2 »Werde ganz, der du bist«
1.2 Wie geschieht Individuation?
1.2.1 Der drängende schöpferische Impuls
1.2.2 Individuation als Bewusstseinsprozess
1.2.3 Differenzierung – Was ist das Besondere an mir?
1.2.4 Integration – Was gehört zu mir?
1.2.5 Beziehungsfähigkeit: Bezogen sein auf das Du
1.2.6 Entwicklungsaufgaben in einzelnen Lebensphasen mit unterschiedlichen Herausforderungen
2 Die Konzepte vom Aufbau der Psyche
2.1 Das kollektive Bewusstsein
2.2 Das Ich-Bewusstsein
2.2.1 Die Persona
2.3 Das Unbewusste
2.3.1 Das persönliche Unbewusste
2.3.2 Das kollektive Unbewusste
2.4 Das Selbst
3 Libido – die treibende Kraft in uns
3.1 Was bedeutet Libido?
3.2 Die Gegensatzstruktur der Psyche
3.3 Die Bewegungen der psychischen Energie
3.3.1 Kausalität und Finalität
3.3.2 Progression und Regression als gerichtete Bewegung
3.3.3 Die Pendelbewegung – Enantiodromie
3.3.4 Extraversion und Introversion
3.4 Selbstregulierung der Psyche
3.4.1 Der Mechanismus der Kompensation
3.4.2 Die Prinzipien Äquivalenz und Entropie
3.4.3 Verlagerungen, Umwandlungen und Projektion der Libido
3.4.4 Signale aus dem Selbst
4 Symbolpsychologie
4.1 Was ist (bedeutet) ein Symbol?
4.2 Symboltheorie der Analytischen Psychologie
4.2.1 Der energetische Charakter des Symbols
4.2.2 Der Archetypus spricht Symbolsprache
4.2.3 Körpersymptome symbolisch verstehen
4.3 Symbole verstehen und nutzbar machen
4.3.1 Wie sich die Bedeutung der Symbole erkennen lässt
4.3.2 Der therapeutische Umgang mit Symbolen
4.3.3 Die symbolische Einstellung und ihre Gefahren
4.4 Symbol und Selbst
Beispiele für Symbole des Selbst
5 Mit den Methoden der Jung’schen Tiefenpsychologie dem Inneren begegnen
5.1 Spezifische Methoden der Tiefenpsychologie C. G. Jungs
5.1.1 Traumarbeit
5.1.2 Aktive Imagination
5.1.3 Unbewusstes Malen
5.1.4 Sandspiel
5.2 Anwendung der Konzepte der Analytischen Psychotherapie
5.2.1 Analytische Einzeltherapie mit Erwachsenen
5.2.2 Analytische Einzeltherapie mit Kindern und Jugendlichen
5.2.3 Gruppentherapie oder Selbsterfahrungsgruppen
5.2.4 Vermittlung der Inhalte und Konzepte an Interessierte
5.3 Therapeutische Methodik
5.3.1 Ich-Grundfunktionsarbeit in der analytischen Therapie
5.3.2 Durcharbeiten der Komplexinhalte des persönlichen Unbewussten
5.3.3 Erkennen der archetypischen Dimension der Themen
5.3.4 Für Signale aus dem Selbst offen sein und sie beachten
5.4 Seelische Heilung oder Reifung und Sinnfindung?
Teil II Die Anwendung in der Praxis
6 Was geschieht auf meinem Individuationsweg?
Drang nach Entwicklung
Besonders sein
Auf dem Weg zu sich mit dem Du
Wie kann ich erkannte Potentiale in mein Leben integrieren?
7 Acht Fragen auf dem Weg der Selbstverwirklichung
Frage 1: Wer bin ich?
Wie sehe ich meine Ich-Person?
Wie orientiere ich mich mit meinen Funktionen?
Welche Persona-Aspekte zeige ich meiner Umwelt?
Wie sieht es mit meinem Ich-Selbstwert aus?
Frage 2: Was verberge ich?
Was ist in meinem Schattenkomplex enthalten?
Gibt es ungelebte Lebensimpulse?
Wie gehe ich mit meinen Schattenimpulsen um?
Wie stehe ich zum kollektiven Schatten?
Frage 3: Was habe ich gelernt?
Wie werden meine persönlichen Komplexe wirksam?
Wie gehe ich mit meinen Kompleximpulsen um?
Was weiß ich über die archetypischen Kernelemente meiner Komplexe?
Frage 4: Wie kann ich mich archetypisch erweitern?
Erkenne ich die Wirkung der Archetypen?
Wie reagiere ich auf archetypische Symbolik?
Ist der archetypische Blickwinkel eine Weisheitsquelle für mich?
Frage 5: Was treibt mich an?
Nehme ich meine inneren Gegensätze an?
Wie lebe ich meine Extraversion, wie meine Introversion?
Wie bewusst erlebe und erspüre ich meine Progression und Regression?
Frage 6: Wie reguliert sich meine Psyche?
Weiß ich um mein Energiepotential?
Wie funktionieren meine Kompensationsmechanismen?
Kann ich mich in meinen Projektionen erkennen?
Gelingt mir die Umwandlung meiner Energien?
Frage 7: Wie gestaltet sich mein Weg zum Lebenssinn?
Habe ich erkannt, dass Lebenssinn eine ganz subjektive Bewertung ist?
Suche ich aktiv nach meinem Lebenssinn?
Wie gestaltet sich Sinnfindung auf dem Weg durch meine Lebensphasen?
Frage 8: Wie gelangt mein Ich zum Selbst?
Wie kann ich ganz persönlich Selbsterfahrung erleben?
Ob ich Selbst-Erfahrung als Gotteserfahrung erfahren kann?
Gelingt es mir, meinen Erkenntnissen zu vertrauen?
Literatur
Zitierte Quellen
Literatur von C. G. Jung
Literatur zu Leben und Werk C. G. Jungs
Ausgewählte Fachliteratur zur Analytischen Psychologie
Ausgewählte Literatur zu den Methoden
Weblinks zur Analytischen Psychologie
Stichwortverzeichnis
Es freut mich sehr, dass das vorliegende Buch nun in 2. Auflage erschienen ist und es somit bei Interessierten an der Tiefenpsychologie C. G. Jungs eine gute Aufnahme gefunden hat.
Das Buch vermittelt Grundlagen zum Verständnis wesentlicher Konzepte der Analytischen Psychologie. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen gewesen, die Inhalte möglichst verständlich darzustellen. Dies erschien mir besonders wichtig, da C. G. Jung in seinem umfangreichen, komplexen und vielschichtigen Werk die großen Linien oft nicht systematisch aufgezeigt hat.
Die Darstellung der Konzepte Jungs, vor allem im Hinblick auf den mehr bewussten Teil des Individuationsweges, ist ein Versuch, diese Linien der Individuation in acht Schritten zu skizzieren und erste Anregungen für deren Verwirklichung zu vermitteln.
Das große Opus der individuellen Individuation kennt natürlich noch viele andere, aus dem archetypischen seelischen Innenraum kommende Aspekte, die im vorliegenden Buch nicht ausführlich behandelt werden und meist nur angedeutet werden konnten. Insbesondere ist hier an die religiösen und spirituellen Dimensionen der Psyche zu denken. Diese wären – unter dem Thema »Individuation: Sinnfindung, Symbolverstehen und Religiosität« – wohl ein weiteres Buch wert.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen aus dem Verständnis der Konzepte der Analytischen Psychologie hilfreiche Erkenntnisse zuwachsen und Sie für Ihren Weg der Selbst-Verwirklichung wertvolle Impulse erhalten.
Dieter SchnocksFrühjahr 2020
Die Selbstverwirklichung ist Verruf geraten. Der Begriff wird heute inflationär verwendet und ist nahezu sinnentleert. Zeitschriften liefern simplifizierende 10-Punkte-Tipps, und der Job wird gekündigt, weil er kaum Möglichkeiten bietet, sich zu verwirklichen. Wir ahnen, dass es bei der Selbstverwirklichung noch um etwas mehr gehen muss. Die Analytische Psychologie C. G. Jungs bietet hier mit dem Konzept der Individuation einen fundierten und zeitgemäßen Ansatz, sich mit dem auseinanderzusetzen, was die Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit auf einem individuellen Lebensweg ausmacht.
Individuation bildet meiner Ansicht nach das zentrale Konzept der Jung’schen Psychologie. Die Idee des Auf-dem-Wege-Seins zur Erweiterung des Bewusstseins hat mich schon als junger Mann fasziniert. Insbesondere die Einbeziehung der Irr- und Umwege, der Dunkel- und Tiefpunkte des Lebens in die Frage nach dem Sinn kann meines Erachtens Jungs Individuationskonzept zu einem zutiefst sinnstiftenden Helfer für unser Leben machen. Daher nun dieses Buch.
Es lädt Psychotherapeuten und auch jeden Interessierten ein, die spezifische Ideenwelt der Analytischen Psychologie kennenzulernen. Es führt in die Grundlagen und Konzepte der Analytischen Psychologie C. G. Jungs ein und liefert mit seinen »Acht Erkenntnisaufgaben« den direkten Transfer dieser theoretischen Grundlagen in die Praxis. Viele Beispiele aus meiner Erfahrung als Therapeut illustrieren die Theorie und bringen sie in unser Alltagserleben. So soll das vorliegende Buch nicht nur als therapeutisches Lehrbuch, sondern auch für die allgemeine Fortbildung in Sachen Individuation nützlich sein.
Die Leitlinie ist das Individuationskonzept C. G. Jungs. Die Idee der Individuation durchzieht sein gesamtes Werk. Man kann daher fast schon sagen: Wer sich mit der Analytischen Psychologie nach Jung befasst, hat Individuation im Sinn. Ziel der Jung’schen Psychologie und Therapie ist, die Individuationsprozesse zu fördern.
C. G. Jung hat mit seinem umfangreichen Gesamtwerk keinen systematischen Entwurf für eine Theorie hinterlassen. Er bekannte sich zu einer großen Vorsicht feststehenden theoretischen Systemen gegenüber. Er meinte, noch nicht genügend Erkenntnisse über die Psyche zu besitzen, um eine ausgefeilte Theorie anbieten zu können. Dennoch unternehme ich im ersten Teil dieses Buches den Versuch, die Ideenwelt C. G. Jungs in einer Art theoretischem Ansatz zu systematisieren. Dies soll dazu dienen, diese Ideen leichter vermitteln zu können. Jedem Leser sollte aber klar sein, dass mit der systematischen Darstellung zumeist eine Vereinfachung der komplexen Ideen einhergeht. Um diese Thematik weiter zu verdeutlichen, lohnt es sich, hier noch ein paar einleitende Bemerkungen zu Jungs Leben und Wirken zu machen.
Die Person C. G. Jung (Abb. 0) gilt zu Recht als umstritten. Seine Biografie ist ausgefallen, widersprüchlich und teilweise provozierend. Jung wirkte auf manche seiner Zeitgenossen arrogant, andere verehrten ihn als eine geniale und zutiefst menschenfreundliche Persönlichkeit. Seine Liebesaffären, seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, manche antisemitischen Äußerungen sowie sein angebliches »religiöses Ketzertum« ecken an (im Anhang finden Sie eine Zusammenstellung von Jung-Biografien und andere Literaturhinweise zum Weiterlesen).
Jung hat mit ungeheurem Eifer und Arbeitsaufwand sein Lebenswerk geschaffen. Mit Sicherheit war er ein besonders begabter, herausragender Mensch. Und es scheint so, als ob gerade dieses Leben der Extreme das Besondere hervorbringen konnte, das sein Werk ausmacht. So gilt Jung heute vielen als psychologisches Genie. In jedem Fall aber ist er Wegbereiter vieler moderner psychologischer Richtungen und auch einer Religionspsychologie, die den Gottsuchenden ein neues Verständnis und neue Wege aufzeigt (vgl. L. Müller in Müller, 2003, S. VI).
Wie sein Leben lässt sich auch Jungs Werk in keine einheitliche Form gießen. Die Widersprüchlichkeit scheint essenzielle Grundlage seines Schaffens zu sein. Oft gibt es in Jungs Schriften keine klaren Definitionen. Um dies – und generell die immer wieder auftretende scheinbare Unlogik oder Widersprüchlichkeit in der Argumentation Jungs – zu verstehen, ist es notwendig, sich einmal die typische Sprache und Argumentationsweise Jungs zu verdeutlichen.
Jung verstand sich zwar als Empiriker, jedoch nicht im positivistischen Sinne. Er lehnte eine strenge logische Beweisführung mit abgeleiteten Schlüssen ab, weil er wohl der Ansicht war, diese seien viel zu begrenzt, um einen Sachverhalt angemessen erfassen zu können.
Abb. 0: Carl Gustav Jung (1875–1961) (© akg-images / Fototeca Gilardi)
Jungs eher dialektische Methode ist daher nicht logisch gradlinig, sondern als »symbolisch« zu verstehen. Der Inhalt wird umkreist und aus immer wieder leicht veränderten Blickwinkeln betrachtet. Somit entsteht (oft unbemerkt) eine weit größere Wahrheit, die umkreisend Vieles, auch Widersprüchliches, in sich aufgenommen hat.
Der Jung-Nachfolger John Freeman hat dies treffend so beschrieben:
»Jungs Argumente bewegen sich spiralförmig über ihrem Gegenstand aufwärts, wie ein Vogel, der über einem Baum kreist. Zunächst, in Bodennähe, sieht er nur ein Gewirr von Blättern und Zweigen. Wenn er aber allmählich höher steigt, bilden die immer wiederkehrenden Aspekte des Baumes ein Ganzes und verbinden sich mit ihrer Umgebung« (Freeman in Jung, 2009).
Diese spiralförmige Vorgehensweise im Denken und der Argumentation ist für manche sicherlich zunächst verwirrend. Dennoch gelingt es offensichtlich vielen, sich mit dieser Art des suchenden Denkens anzufreunden. Sie stellen bald fest, dass sie auf überzeugende Weise mitgezogen werden. Für die Lektüre und das Verständnis der Bücher C. G. Jungs ist es sicherlich hilfreich, sich diese spezielle Denk- und Vorgehensweise Jungs immer wieder zu vergegenwärtigen.
Die Frage, wo C. G. Jungs Analytische Psychologie als Wissenschaft heute steht, wird seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Zu diesem Thema kann man sich sehr gut bei Christian Roesler (2010) kundig machen. Insbesondere die wichtige Frage, welche Forschungsansätze sinnvollerweise zur Überprüfung von Jungs intuitiv entwickelten Theorien und Hypothesen eingesetzt werden können, wird in Roeslers Buch kompetent bearbeitet. Er kommt zu dem Schluss, dass wesentliche Bereiche der Analytischen Psychologie empirisch gut bestätigt sind (Roesler, 2010).
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Lehre der Analytischen Psychologie C. G. Jungs einen großen tiefenpsychologischen Wissensschatz anbietet. Die psychologischen Konzepte können als Lebenshilfe an Schwellensituationen der Entwicklung sowie bei Lebenskrisen sehr hilfreich sein. Insbesondere als Erwachsenenpsychologie für die zweite Lebenshälfte bietet sie einen spezifischen Weg zum Ganzwerden und zur Selbstverwirklichung der menschlichen Existenz an. Anziehend ist für viele die Einbeziehung der gewichtigen »Sinnfrage«, der Frage nach dem Sinn des Lebens. Wichtig ist zu sehen, dass der Schwerpunkt der psychologischen Betrachtungen C. G. Jungs vorrangig bei der Normalpsychologie liegt, erst zweitrangig geht es um eine Lehre der Neurosen und deren Behandlung.
Der Terminus Tiefenpsychologie wurde von Eugen Bleuler, einem Lehrer Sigmund Freuds, eingeführt. Er geht davon aus, dass unter der Oberfläche des Bewusstseins ein seelisches Leben mit Tiefendimension vorhanden ist. Heute wissen wir aus den Forschungen der Hirnphysiologen, dass die vorbewussten und unbewussten Aktivitäten des seelischen Lebens eigentlicher Hintergrund der bewussten Ereignisse und Verhaltensweisen sind.
Lange Zeit wurde der Begriff »komplexe Psychologie« für die Jung’sche Psychologie verwendet. Insbesondere Toni Wolff, die 40 Jahre mit Jung zusammenarbeitete, führte diesen als Präsidentin des Psychologischen Clubs in Zürich ein. Auch im universitären Bereich wurde er bevorzugt, da er den theoretischen Aspekt der Lehre Jungs betont. Durchgesetzt hat sich schließlich, in Abgrenzung zur Freud’schen »Psychoanalyse«, der Begriff »Analytische Psychologie«. In ihm klingt mit dem Begriff »analytisch« der therapeutische Aspekt stärker an.
Die Psychoanalytiker, die sich schwerpunktartig an der Analytischen Psychologie C. G. Jungs orientieren, bilden eine relativ kleine Gruppe im Vergleich zu den Freudianern, die den Großteil der psychoanalytischen Psychotherapeuten in Deutschland stellen.
Aus den Anfängen der Schule C. G. Jungs in Zürich entstand eine weltweit organisierte internationale Gesellschaft, in der mittlerweile Jung-Institute aus ca. 40 Ländern weltweit organisiert sind. Wenn auch die Anzahl der Jungianer vergleichsweise klein ist, so ist doch der Einfluss auf das tiefenpsychologische Denken ganz allgemein nicht zu unterschätzen. Der Wissensschatz der Jung’schen Psychologie ist eben nicht nur in der tiefenpsychologischen Psychotherapie wirksam, sondern wird von vielen Menschen als Lebenshilfe und als Impulsgeber auf dem Individuationsweg in Anspruch genommen.
Zudem wirkt das Denken der Analytischen Psychologie in vielen kulturellen, gesellschaftlichen sowie wissenschaftlichen Zusammenhängen. Beispiele hierfür sind das Symbolverstehen in der bildenden Kunst, der Literatur und Musik sowie das Verständnis des Phänomens Religion. In verschiedenen Wissenschaften wirken Jungs Hypothesen anregend und herausfordernd. So zum Beispiel fordert Jungs Konzept der Synchronizität schon lange zum wissenschaftlichen Diskurs heraus.
Nach Jungs Tod hat sich in den vergangenen 50 Jahren die Analytische Psychologie stetig weiterentwickelt. In den 1980er Jahren werden von Andrew Samuels verschiedene Schulrichtungen beschrieben (vgl. Samuels, 1985). Die Konzepte Jungs fordern zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung heraus. Da es keine festgelegte, »reine« Lehre gibt, ist es meines Erachtens für jeden eine persönliche Herausforderung, die Konzepte zu verstehen bzw. sich auf den Weg zu machen, eine eigene Sichtweise zu entwickeln.
Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit Jungs Ideen, und seit 20 Jahren versuche ich in Kursen für die deutschsprachigen Jung-Gesellschaften und an unseren Ausbildungsinstituten für Psychotherapeuten, die Auseinandersetzung mit den Konzepten und Methoden Jungs anzuregen. Mein Verständnis – und somit auch das vorliegende Buch – hat natürlich keinen Anspruch auf die »wahre Junglehre« und kann auch nicht annähernd die unglaublich große Vielfalt der von Jung bearbeiteten Themen, Ideen und Begrifflichkeiten behandeln. Es ist eine Auswahl, die sich auf das Herzstück Individuation bezieht.
Es mir eine große Freude, mit diesem Buch meine in vielen Jahren entstandene Sichtweise der theoretischen Konzepte und deren Anwendung für den ganz persönlichen Individuationsprozess einem größeren Publikum vorstellen zu können. Ja, es ist mir ein Herzensanliegen, die im Buch ausgeführten Ideen zum Verständnis der Psyche und deren zum großen Teil archetypischen Prozesse einem breiteren Publikum näherzubringen. Wichtig ist noch zu sehen, dass der Individuationsprozess im tieferen Sinne ein metaphysischer Vorgang ist. Dies jedoch darzustellen, bedeutete ein weiteres Buch. Ich bin überzeugt, dass C. G. Jungs Konzepte für jede Frau und jeden Mann (also nicht nur für Psychotherapeuten) eine Unterstützung auf dem Individuationsweg zu mehr Lebensweisheit und Lebensklugheit sein kann.
Danken möchte ich den vielen Teilnehmern meiner Seminare in den letzten 20 Jahren. Deren oft begeistertes Interesse hat mich immer wieder dazu gebracht, meine Sicht der theoretischen Konzepte zu klären und möglichst verständlich darzustellen. Herzlichen Dank auch an Despina Vradelis, die mir bei der Textgestaltung mit gutem Rat zur Seite stand.
Nicht zuletzt Dank an die Kollegen und Freunde, die mir Mut gemacht haben, auch dieses Buch als einen wichtigen Schritt auf meinem persönlichen Individuationsweg zu sehen.
Dieter Schnocks
»Individuation bedeutet: Zum Einzelwesen werden, und, sofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst werden. Man könnte Individuation darum auch mit Verselbstung oderSelbstverwirklichungübersetzen« (GW 7, § 266).
Die Analytische Psychologie verwendet den Begriff Individuation, um damit eine moderne Form der Selbstverwirklichung zu beschreiben. Man könnte also meinen, Selbstverwirklichung habe heutzutage ausgedient, sie wird durch einen moderneren Begriff ersetzt.
Jung setzt den wissenschaftlichen Begriff Individuation mit der umgangssprachlichen Selbstverwirklichung gleich. Aber gleichzeitig geht Individuation für ihn darüber hinaus.
Sein Konzept ist komplex: Auf der einen Seite versteht Jung unter Individuation ein Selbstwerden, Selbstentwickeln, Selbstentfalten der menschlichen Persönlichkeit im bewussten Aufnehmen möglichst vieler unbewusster und bewusster Anteile, die die Persönlichkeit konstituieren. Demnach wäre Individuation ein psychologisch fassbarer und erforschbarer Mechanismus der Psyche (vgl. Sauer in Müller, 2003, S. 194). Wie das im Einzelnen zu verstehen ist, wird im Verlauf dieses Buches noch deutlich werden.
Auf der anderen Seite handelt es sich laut Jung bei der Individuation auch um geheimnisvolle Vorgänge, die der psychologischen Forschung noch Rätsel aufgeben; um Lebensvorgänge, persönlichkeitsbildende Zentrierungsvorgänge im Unbewussten, die zwar wahrnehmbar sind, sich aber überwiegend symbolisch ausdrücken. Jung ist daher der Ansicht, dass ihnen mit dem rationalen Verstand nicht ganz beizukommen sei. Es ist wohl eher das Erlebnis«, so Jung, »welches in die Nähe des Verstehens führt« (GW 12, § 564).
Der Begriff ist abgeleitet von Individuum, lat. das Ungeteilte, das Einzelwesen. C. G. Jung benutzt den Terminus Individuation, ein zentrales Konzept seiner Tiefenpsychologie, seit 1910. Individuation bezeichnet den Prozess der Selbstverwirklichung, der Entfaltung der Persönlichkeit, den Weg hin zum Einzelwesen. Unterscheiden kann man den normalen und den durch eine analytische Psychotherapie besonders geförderten Individuationsprozess.
Der Begriff Individuation wird von anderen psychologischen Richtungen durchaus abweichend verstanden. Der psychoanalytische Ich-Psychologe Erik H. Erikson beispielsweise definiert Individuation als Identitätsentwicklung aus der Abfolge psychosozialer Krisen des Lebens (vgl. Erikson, 1980).
Die psychoanalytische Konzeption der Freudnachfolgerin Margret Mahler spricht von einer Individuationsphase in der frühen Kindheit, in der Entwicklung in der Dynamik von Nähe und Distanz in der Mutter-Kindbeziehung entsteht (vgl. Mahler, 1972).
Individuation ist also der moderne Begriff für etwas, das seit jeher die Menschen beschäftigt. So findet Jung für sein Individuationskonzept Anregungen bereits in der griechischen Philosophie. Die Aufforderungen der alten Griechen »Erkenne dich selbst« und »Werde, der du bist« lassen sich als zentrale Grundlage einer modernen Vorstellung von Selbstverwirklichung verstehen.
Als humanistisch Gebildeter seiner Zeit war C. G. Jung nicht nur bewandert im Wissen der Antike. Er richtete in seinem ganzen schöpferischen Leben sein Augenmerk auf das alte Wissen der Menschheit, weil er hier einen unermesslichen Erfahrungsschatz an tiefer, allzeit gültiger Weisheit entdecken konnte.
»Erkenne dich selbst« prangte der Überlieferung zufolge als Mahnung für die Eintretenden über dem Eingang des Orakeltempels von Delphi. Dies ist aus schriftlicher Überlieferung bekannt. Platon beispielsweise lässt in Phaidros und im Symposion den Philosophen Sokrates über die Bedeutung dieser Inschrift referieren. In der Antike waren es noch die Götter, die die Menschen zur Auseinandersetzung mit sich selbst aufriefen. Auch, um sie zur Einsicht ihrer eigenen Nichtigkeit gegenüber dem Göttlichen zu bringen.
»Werde, der du bist« – dieses Zitat stammt vom griechischen Dichter Pindar (ca. 522 bis ca. 445 v. Chr.), aus seiner zweiten pythischen Ode (Pyt II, 72). Bei Aristoteles finden wir dazu: »Gut ist es für den Menschen, sich so sehr wie möglich zu verwirklichen und zur Vollendung zu bringen, was er vom Wesen her ist.«
• Erkenne dich selbst bedeutet für das Individuationskonzept C. G. Jungs den Aufruf zur Selbsterkenntnis im Sinne von: »Reflektiere dich selbst und erkenne auch die Wirkungen, die dir aus dem kollektiven Unbewussten, dem archetypischen Bereich, entgegenkommen.« Idealziel wäre ein Mensch, der sich weitgehend selbst erkennt, der sich auf wunderbare Weise reflektiert und mit absoluter Sicherheit weiß: »Das bin ich.«
• Werde, der du bist bedeutet in der Jung’schen Denkweise zuerst einmal den Aufruf, sich zu entschließen, den Weg der Individuation zu beschreiten. Die Erfüllung der Aufforderung, zu dem zu werden, der man ist, bedeutet aus tiefenpsychologischer Sicht, möglichst viel von dem, was an Unbewusstem in mir wirksam und lebendig ist, dem Bewusstsein anzuschließen. Daraus gilt es dann Schlüsse für mein Leben zu ziehen. Was kann ich für meine Individuation tun? Welchen Beitrag muss ich bewusst leisten, welche Aufgaben erfüllen, um meine Individuation zu fördern?
Wer sich selbst verwirklichen will, muss also zunächst versuchen, sich so weit wie möglich selbst ganzheitlich zu erkennen. Dies mit dem Ziel, zu mehr Übereinstimmung mit sich selbst zu kommen. Man könnte mit Jung also – in Abwandlung der zuvor genannten Imperative – als Individuationsaufgabe formulieren: »Werde ganz, der du bist.«
Ganzheit bedeutet hier nicht Vollkommenheit, sondern eine Ganzwerdung im Sinne von Vollständigkeit, bei der viele Anteile und Gegensätze der Persönlichkeit miteinander verbunden sind. Vollständig-Sein ist aber nicht nur ein »Weise-Sein« mit entsprechendem Wohlgefühl. Denn auch die dunklen oder »eigenartigen« Teile der Persönlichkeit gehören dazu, um das Ganze vollständig zu machen. Eine besondere Individuationsherausforderung. Denn diese Teile bleiben oft auch nach deren grundsätzlicher Akzeptanz schwer zu ertragen. Grundsätzlich könnte man sagen, dass die Tiefenpsychologie C. G. Jungs eine Erwachsenenpsychologie ist, die einen spezifischen Weg zum Ganzwerden und zur Selbstverwirklichung der menschlichen Existenz anbietet.
Man könnte sagen, dass die Ganzheit ein Modell der Bezogenheit der psychischen Systeme und Funktionen aufeinander ist. Dabei gibt es eine starke Tendenz einen Zustand von Vollständigkeit zu erreichen. Hinter diesem Prozess vermutet die Analytische Psychologie einen steuernden Archetypus der Ganzheit, das Selbst.