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Neue Erkenntnisse aus der Kommunikationspsychologie Im pointierten Frage-und-Antwort-Spiel geht Friedemann Schulz von Thun auf Nachfragen ein, die sich seit Erscheinen seiner Bestseller-Trilogie «Miteinander reden» angesammelt haben. Dieser Ergänzungsband hat gleichzeitig die Aufgabe, neue Zusammenhänge darzustellen, die aus der kommunikationspsychologischen Forschung und Praxis der letzten Jahre spruchreif geworden sind, insbesondere zum Kommunikations- und Wertequadrat, zum Teufelskreismodell und zum inneren Team. Auch Hintergründe zur Person des Autors, zur Entstehungsgeschichte der Kommunikationslehre, zum Menschenbild und zum Brückenbau von Wissenschaft und Lebenspraxis werden im Zwiegespräch aufschlussreich erörtert.
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Seitenzahl: 218
Friedemann Schulz von Thun
unter Mitarbeit von Karen Zoller
Miteinander reden: Fragen und Antworten
Ihr Verlagsname
Neue Erkenntnisse aus der Kommunikationspsychologie
Im pointierten Frage-und-Antwort-Spiel geht Friedemann Schulz von Thun auf Nachfragen ein, die sich seit Erscheinen seiner Bestseller-Trilogie «Miteinander reden» angesammelt haben. Dieser Ergänzungsband hat gleichzeitig die Aufgabe, neue Zusammenhänge darzustellen, die aus der kommunikationspsychologischen Forschung und Praxis der letzten Jahre spruchreif geworden sind, insbesondere zum Kommunikations- und Wertequadrat, zum Teufelskreismodell und zum inneren Team. Auch Hintergründe zur Person des Autors, zur Entstehungsgeschichte der Kommunikationslehre, zum Menschenbild und zum Brückenbau von Wissenschaft und Lebenspraxis werden im Zwiegespräch aufschlussreich erörtert.
Friedemann Schulz von Thun (*1944) studierte in Hamburg Psychologie, Pädagogik und Philosophie und promovierte bei Reinhard Tausch und Inghard Langer über Verständlichkeit bei der Wissensvermittlung. Nach seiner Habilitation wurde er zum Professor für Pädagogische Psychologie in Hamburg berufen (1976–2009). Außerdem konzipierte er Kommunikationstrainings für Lehrer und Führungskräfte, später für Angehörige aller Berufsgruppen (1971 bis heute). Er ist Autor zahlreicher Bücher und Herausgeber der Reihe «Miteinander reden: Praxis». Für weitere Informationen siehe www.schulz-von-thun-institut.de
Die Grundlagenbände «Miteinander reden 1–3» (1981, 1989 und 1998) sind angekommen: Davon zeugen eine Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren sowie unzählige Klassenarbeiten in Schulen, Prüfungen an Universitäten und Kurse im Berufsleben. Erfreulich, dass Erkenntnisse zur zwischenmenschlichen Kommunikation heute zur Allgemeinbildung gehören.
Dieser Ergänzungsband hat zwei Aufgaben. Erstens enthält er Aktualisierungen und neue Erkenntnisse. Der erste Band von «Miteinander reden» ist vor mehr als einem Vierteljahrhundert erschienen. Seither sind zu den vier Ohren des Empfängers einer Äußerung vier Schnäbel dazugekommen und vieles mehr. Ich nutze hier die Gelegenheit, meine Kommunikationspsychologie auf den neuesten Stand zu bringen. Insbesondere der «Klassiker», das Kommunikationsquadrat, hat dieses «Update» nötig. Einstmals ein Solist, hat er sich inzwischen zum Orchestermitglied gewandelt, in dem andere Instrumente gewichtig mitspielen: das Innere Team, das Werte- und Entwicklungsquadrat, das Teufelskreis- und das Situationsmodell. Auch diese Modelle (bis auf das noch junge Situationsmodell) erhalten hier je ein eigenes Kapitel mit neuen Gedanken und Schaubildern, wie sie in den Seminaren der letzten Jahre entstanden sind.
Die zweite Aufgabe ist im Untertitel «Fragen und Antworten» angedeutet. Der Erfolg der Grundlagenbände ist wunderbar, aber: Ist denn alles angekommen, wie es gemeint war? Und war alles so gemeint, wie es angekommen ist? Spätestens, wenn der Leser zum Anwender wird, sobald er die Modelle nicht nur kognitiv versteht, sondern sie auch begreift, nach ihnen greift, um mit ihnen ein persönliches Arbeitsbündnis einzugehen und die eigene Praxis zu erhellen – spätestens dann ergeben sich neben der Erkenntnis auch Irritationen, Missverständnisse und Rückfragen.
Solche Stolpersteine bei der Aneignung sind keine beklagenswerten Malheure, sondern können, wenn sie beachtet werden, zu Steinen der Weisheit werden. Ich war und bin mit solchen Rückfragen seit Jahrzehnten konfrontiert, in Seminaren und Trainingskursen ebenso wie in Interviews und in zahlreichen E-Mails, die mich täglich erreichen. So entstand die Idee, die zentralen Fragen und Antworten zu sammeln und als Buch vorzulegen. Karen Zoller war bei dieser Sammlung behilflich, hat die Archive durchforstet und die Fundstücke strukturiert.
Hinzu kam, dass ich selbst noch viele Fragen und auch skeptische Entgegnungen «im Ohr» hatte. Davon habe ich ebenso reichlichen Gebrauch gemacht wie von der dichterischen Freiheit, einige Fragen auch selbst zu formulieren: weil sie mir wichtig sind oder weil sie mir geeignet scheinen, den roten Faden weiterzuspinnen oder das anstehende Thema zu vertiefen. Passagenweise werden Sie Zeuge von Selbstgesprächen. Zuweilen werden Sie auch den Eindruck gewinnen, dass der fragende (und reagierende) «Gesprächspartner» plötzlich seine Mentalität verändert – eben von grimmiger Skepsis, jetzt plötzlich «brav» und mitdenkend. Diese Irritation löst sich auf, wenn Sie sich nicht einen Gesprächspartner als Fragesteller vorstellen, sondern eine Gruppe von wechselnden Wortmeldern.
Viele Fragen und Entgegnungen enthalten einen noch unbedachten Aspekt der Wahrheit oder stiften dazu an, einen solchen spruchreif werden zu lassen. Das dialogische Credo Nietzsches, dass «die Wahrheit zu zweit» beginnt, kann sich hier entfalten.
Im letzten Kapitel gehe ich auf persönliche Fragen ein. Dies bedarf einer besonderen Begründung. Ich tue dies nicht in der Überzeugung, dass Schulz von Thun ein hochinteressanter Mensch sei oder eine öffentlich mitteilenswerte Biographie habe. Beides ist nicht der Fall. Vielmehr habe ich mich zu diesem Kapitel entschlossen, weil sehr viele Fragen sich immer wieder auch auf meine Person beziehen. Es kommt vor, dass Schüler, die eine Hausarbeit über das Kommunikationsquadrat schreiben sollen, mir einen Fragebogen mit 14 persönlichen Fragen zuschicken (angefangen mit der Religionszugehörigkeit meiner Eltern …). Ich kann diese Fragen nicht alle beantworten, wohl aber kann ich verstehen, dass jemand sich für «den Menschen» interessiert, der diese Lehre in die Welt gesetzt hat. So ist es mir während des Studiums und danach auch gegangen. Die Vertreter(innen) meines Faches: Was waren das für Menschen? Mochte ich mich mit ihnen identifizieren, wollte ich auch so werden? Fand sich ihre Lehre in ihrem Sein wieder? Beglaubigte sich die behauptete Wahrheit in der Lebensweise? Die innere Auseinandersetzung mit einem Studienfach vollzieht sich eben auch anhand der Personen, die dem Fach ihr Gesicht geben. Die Journalistin Annette Schäfer brachte es auf den Punkt, als sie mich für ein Porträt in «Psychologie Heute» (2004) anfragte: «Wer ist der Mensch hinter der Forschung? Warum beschäftigt sich dieser Wissenschaftler gerade mit diesem Thema, wie ist er dazu gekommen?Was treibt ihn an? Welchen Einfluss hat/hatte die Forschung auf sein Leben?»
Selbstverständlich völlig frei von jeglichem narzisstischen Wohlbehagen, habe ich es für meine Dienstpflicht gehalten, auch auf einige personenbezogene Fragen einzugehen – soweit sie mein Verhältnis zum Gegenstand meiner Lehre betreffen. Das geht dann organisch in Fragen über, die mein Credo zu allgemeinen und grundlegenden Aspekten unseres kommunikativen Daseins berühren. Deswegen hat dieses letzte Kapitel den etwas umständlichen Titel: «Persönliche und allgemeine Fragen – das Ganze betreffend». Sollten Sie zu den Lesern gehören, denen sich ein Sachgegenstand leichter über das Menschliche erschließt, können Sie ohne Nachteil auch mit diesem Kapitel beginnen.
Auch die anderen Kapitel können Sie weitgehend in interessengeleiteter Reihenfolge angehen. Das Wertequadrat-Kapitel habe ich vor den Teufelskreis und das Innere Team gesetzt, weil es dort an manchen Stellen gebraucht wird. Grundkenntnisse über die Kommunikationsmodelle werden aus den Grundlagenbänden vorausgesetzt. Wenn nicht, probieren Sie gern, sich in die Sache «einzufädeln». So kommt man ja manchmal auch hinein!
Auch dieser Ergänzungsband konnte nur fertig werden, weil ich von vielen guten Geistern umgeben war. Wolfgang Müller vom Rowohlt Verlag erinnerte sich daran, dass es einmal einen Untertitel-Vorläufer gab: «Summerhill – Fragen und Antworten» von A.S. Neill. Neben Karen Zoller haben weiterhin bei der Entstehung mitgewirkt: Gundel Grasedyck, die umsichtige Textverarbeitung leistete und ohne Furcht vor meinen handschriftlichen Labyrinthen war, Marcus Poenisch, der den Überblick über die Abbildungen behielt und selbst einige beisteuerte, Dina Barghaan, die die Zeichenkünstlerin in unserem virtuellen Team war, und Dagmar Kumbier, die kritische und zuweilen begeisterungsfähige Testleserin und Rezensentin. Allen herzlichen Dank an dieser Stelle, und sollte die Leserin, der Leser zum Ergebnis kommen, die Mühe habe sich gelohnt, dann werden wir darauf anstoßen!
FRAGE: Wie ist das «Kommunikationsquadrat» mit den vier Seiten der Nachricht (Sachinhalt, Appell, Selbstkundgabe und Beziehung) entstanden?
ANTWORT: Anfang der siebziger Jahre konzipierten wir drei Assistenten von Reinhard Tausch (Inghard Langer, Bernd Fittkau und ich) ein «Kommunikationstraining» für die Führungskräfte eines großen Mineralölkonzerns. Einen solchen Kursus hatte es vorher noch nicht gegeben, und so mussten wir das Rad quasi neu erfinden. Wir hatten allerlei Forschungsergebnisse vorliegen und Übungen parat. Aber was uns fehlte, war ein geistiges Band, eine Schnur, welche das Sammelsurium unserer Perlen zu einer geordneten Kette werden ließ. Uns fehlte ein Modell von der zwischenmenschlichen Kommunikation, welches das Gesamtfeld gliedert und Zusammenhänge sichtbar werden lässt.
FRAGE: Gab es damals schon die Axiome von Watzlawick?
ANTWORT: Ja, Watzlawicks Unterscheidung von «Inhalts- und Beziehungsaspekt» (Watzlawick, 1969) haben wir als grundlegend und hilfreich empfunden. Unsere Forschung zur Verständlichkeit betraf die Vermittlung des Inhalts, die Erkenntnisse von Reinhard und Anne-Marie Tausch zum Erzieherverhalten (z.B. Wertschätzung vs. Geringschätzung) dagegen betrafen die Art und Weise, wie Menschen miteinander sprechen, miteinander umgehen, also den Beziehungsaspekt. So weit, so gut. Aber manch andere Themen, die uns ebenfalls wichtig waren und die in unserem Kurs eine Rolle spielten, schienen jedoch noch etwas abseits dieser grundlegenden Unterscheidung zu liegen. Zwei Beispiele: Erstens war die Art, wie der Sender sich darstellt, sich authentisch oder von der besten Seite zeigt oder hinter einer Fassade verbirgt, ein zentrales Thema von Carl Rogers und überhaupt in der psychotherapeutischen Welt. Zweitens gab es in der Sozialpsychologie die sogenannte Persuasionsforschung: Wie muss der Sender seine Inhalte darbieten, um möglichst zu überzeugen? Auch unsere Führungskräfte wollten immer wissen, wie sie mit einem Mitarbeiter oder ihrem eigenen Chef reden müssen, um bei ihm etwas zu erreichen. Aus heutiger Sicht können wir sagen: Dies waren Themen, die die Selbstkundgabe und die Appell-Wirkung betreffen. Zum Letzteren noch etwas: Bei Alfred Adler lernte ich damals, dass wir z.B. im Umgang mit Kindern den geheimen Zweck, die unbewusste Wirkungsabsicht eines Verhaltens in den Blick bekommen müssen, um im Appell seine wesentliche Botschaft zu erkennen («finale Betrachtungsweise») und angemessen reagieren zu können. Um auch solche Themen «einzufangen» und plastisch werden zu lassen, schien mir die Unterscheidung von Inhalts- und Beziehungsaspekt zu abstrakt und pauschal. Da traf es sich, dass ich auf der Suche nach geistigen Vorvätern einer anwendungsorientierten Kommunikationspsychologie den damals nahezu vergessenen Karl Bühler und sein «Organon-Modell der Sprache» wiederentdeckte. Bühler unterschied «3 Aspekte der Sprache»: Sie sei «Symbol» in Hinblick auf die Gegenstände der Welt, «Symptom» in Hinblick auf den Sprecher und «Appell» in Hinblick auf den Angesprochenen. Die praktische Relevanz dieses Modells für die zwischenmenschliche Kommunikation habe ich erst nach und nach erkannt. Das Wort «Symptom» bezeichnet bei Karl Bühler nicht eine Macke oder ein Krankheitsmerkmal, sondern gemeint ist vielmehr, dass jede Äußerung auch symptomatisch ist für den, der sie macht (was er sagt und wie er es sagt). Mit anderen Worten, es steckt eine Selbstkundgabe des Senders darin. Diese Begriffsübersetzung war nötig, um die Anschlussfähigkeit von Bühlers Modell an das große Thema Selbstdarstellung (Sozialpsychologie) und Authentizität (Humanistische Psychologie) zu erkennen. Leichter war es mit dem Appell und den obengenannten Themen.
FRAGE: Und dann haben Sie Watzlawick und Bühler miteinander verkuppelt?
ANTWORT: Ursprünglich hatte ich das Organon-Modell Bühlers und die grundlegende Unterscheidung von Watzlawick in verschiedenen Gehirnwindungen gespeichert und unseren Führungskräften auf getrennten Merkblättern und Inputs vermittelt. Aber es lag nahe, sie miteinander in Verbindung zu bringen. Jetzt war noch zweierlei zu prüfen. Erstens, lässt sich der «Inhaltsaspekt» Watzlawicks mit dem «Symbol» Bühlers gleichsetzen? Das schien und scheint mir so. Kommunikation hat u.a. wesentlich die Aufgabe, Sachverhalte dieser Welt (meist) sprachlich abzubilden (zu symbolisieren) und zu übermitteln. Dass Sprache dabei nicht (nur) «abbildet», sondern ihren Gegenstand erst «konstruiert», sollte dabei mitbedacht werden.
Zweitens, ist Watzlawicks «Beziehungsaspekt» in Bühlers «Symptom und Appell» aufgehoben? Sind, mit anderen Worten, «Symptom und Appell» zwei Unteraspekte der Beziehungsebene? Oder kommen diese beiden Aspekte ergänzend hinzu, sodass wir nun «Beziehung», «Symptom» und «Appell» als drei gleichrangige Aspekte neben dem «Inhalt» (= «Symbol») haben? Diese Frage habe ich mir damals so beantwortet: Watzlawicks Beziehungsaspekt der Kommunikation war sicher umfassend konzipiert und würde Symptom und Appell mit einschließen. Das hätte dafür gesprochen, die beiden Modelle wie folgt zu verbinden:
Abb. 1: Bühlers «drei Aspekte der Sprache» und Watzlawicks Unterscheidung von Sach- und Beziehungsebene
FRAGE: Warum haben Sie sich dagegen entschieden?
ANTWORT: Weil in Bühlers Dreieck ein Aspekt fehlt, der mir sehr wichtig war und den ich in Watzlawicks Beziehungsebene aufgehoben wusste: dass meine Kommunikation immer auch eine Stellungnahme zum anderen enthält, mit der Folge, dass er sich durch die Art, wie ich mit ihm rede, als Mensch so oder so behandelt fühlt (gewürdigt, gemocht, heruntergeputzt, verspottet …). Diese (meist implizite) Stellungnahme zum Angesprochenen mag man theoretisch-analytisch der Selbstkundgabe (Symptom) zuordnen. Da jedoch die psychologische Situation des Empfängers eine gravierend andere ist, je nachdem, ob er eine Selbstoffenbarung (Ich-Botschaft) aufnimmt oder ob er von einer Zuschreibung (Du-Botschaft) «betroffen» ist, halte ich es für unbedingt notwendig, diese psychologische Unterschiedlichkeit auch im Modell widerzuspiegeln. Denn mein Modell soll auch kommunikative Kompetenzen vorbereiten, und mit der Selbstkundgabe-Seite verbinden sich andere Kompetenzen (z.B. Selbstwahrnehmung, Authentizität) als mit der Beziehungsseite (z.B. Wertschätzung, Respekt, Mut zur Konfrontation).
So habe ich entschieden, «vier Seiten der Nachricht» (heute spreche ich lieber von «Äußerung», s. Abb. 2) zum Quadrat zusammenzufügen, wobei
Bühlers «Symptom» durch die Umbenennung in «Selbstkundgabe» oder «Selbstoffenbarung» besseren Anschluss gewinnt an den Authentizitätsbegriff der Humanistischen Psychologie und an die menschliche Herausforderung, sich zu «zeigen»,
der «Beziehungsaspekt» in meinem Kommunikationsquadrat spezifischer ist als der umfassendere, auch Selbstkundgabe und Appell einschließende, Beziehungsaspekt Watzlawicks.
Abb. 2: Das quadratische Kommunikationsmodell (Schulz von Thun) mit seinen Bezügen zu Bühler und Watzlawick
FRAGE: Warum hat sich das Kommunikationsquadrat in den letzten 25 Jahren so durchgesetzt, sowohl in der beruflichen Fortbildung als auch in Schulbüchern?
ANTWORT: Ich glaube weniger durch die soeben dargelegte Modell-Zusammenfügung von Bühler und Watzlawick und die damit verbundenen Vorteile. Wichtiger scheint mir, dass in diesem Modell jetzt auch Menschen mit «vier Schnäbeln» und «vier Ohren» vorkommen und dass die Darlegung des simultanen Zusammenspiels dieser vier Schnäbel und Ohren vieles von dem erhellt und erklärt, was Menschen in der täglichen Lebenspraxis erleben und zuweilen erleiden. Mit anderen Worten: Die Anschlussfähigkeit des Kommunikationsmodells an menschliche Praxis und die mit ihr verbundenen Gedanken und Gefühle war und ist entscheidend. Dass es den Nutzer dazu einlädt, seine Erfahrungen und Herausforderungen im «Miteinander reden» unter dem Blickwinkel des Modells neu zu betrachten und für seine kommunikative Entwicklung eine Orientierung zu gewinnen.
FRAGE: «Für seine kommunikative Entwicklung eine Orientierung gewinnen» – was heißt das konkret?
ANTWORT: Zum Beispiel sagen viele: «Mir ist klar geworden, dass ich sehr stark mit dem empfindlichen Beziehungsohr höre und entsprechend reagiere. Ich sollte mehr das Selbstkundgabe-Ohr auf Empfang schalten.»
Oder jemand anders: «Ich möchte lernen, mehr zu verdeutlichen, wie mir ums Herz ist (Selbstkundgabe-Schnabel), statt immer den anderen zu kommentieren (Beziehungs-Schnabel) bzw. gute Ratschläge zu geben (Appell-Schnabel). Aber wie ist mir ums Herz? Ich habe dafür oft keinen Sensor und keine Sprache!»
FRAGE: Warum haben Sie für die menschliche Mitteilung die Form des Quadrates gewählt? Sind alle vier Seiten von gleicher Bedeutung?
ANTWORT: Prinzipiell ja, nicht unbedingt punktuell in einem gegebenen Augenblick zwischen zwei Menschen. Punktuell kann und wird die eine oder andere Seite eine größere Relevanz haben. Das kann auch auseinanderfallen: Für den Sender mag der Schwerpunkt seiner Äußerung auf der, sagen wir, Selbstkundgabeseite liegen, wenn er eine Einladung mit den Worten «Da kann ich leider nicht!» absagt. Für den Empfänger mag die herausgehörte Beziehungsbotschaft «Du bist mir nicht wichtig genug!» den Brennpunkt des Quadrates bilden.
Das Modell muss aber keineswegs zwingend in Gestalt eines Quadrates daherkommen. Dieses ist eine Konzession an den analytischen Verstand des durchschnittlichen Nutzers (der ich selbst war). Eine andere, nicht minder zutreffende und etwas mehr metaphorische Gestalt wäre die einer Harfe mit vier Saiten. Wer kommuniziert, schlägt immer alle vier Saiten gleichzeitig an, wobei die explizite Botschaft den dominierenden Oberton repräsentiert. Die anderen drei Saiten schlagen die Untertöne an. Der Empfänger hört einen Vierklang.
Abb. 3: Kommunikation als Vierklang mit Ober- und Untertönen. Das Kommunikationsmodell als Harfe mit vier Saiten (statt als Quadrat mit vier Seiten)
Ein «schräger» Unterton kann die ganze Quadrophonie zum Missklang werden lassen.
Beide Modellgestalten (Quadrat und Harfe) haben die gemeinsame Fähigkeit, den Simultancharakter zwischenmenschlicher Kommunikation zu verdeutlichen: dass mit ein und derselben Äußerung so viele Prozesse gleichzeitig angestoßen und fortgeführt werden. Was da genau passiert auf allen vier Ebenen, das zu ermitteln und auszuwerten sind die Beteiligten «linkshemispärisch» (analytisch) überfordert. Wenn ich eine Ouvertüre von Bach höre, registriere ich auch nicht, dass sich plötzlich die Bassstimme von A-Dur nach d-Moll transponiert, dennoch spüre ich («rechtshemisphärisch»), dass sich da etwas tut, und bin davon angerührt. Genauso ist das bei der quadrophonischen Kommunikation: Man spürt genau, dass sich auf der zwischenmenschlichen Ebene etwas tut, und ist mit der Wirkung konfrontiert, ohne manchmal den Auslöser (oder die Kombination der Auslöser) genau bestimmen zu können, zumal sich sprachliche und nonverbale Anteile vermengen.
FRAGE: Quadrat und Harfe – haben Sie noch mehr Varianten auf Lager?
ANTWORT: In letzter Zeit benutze ich, vor allem gegenüber Männern, gern eine Fußball-Metapher. Ich sage dann: «Kommunikation ist ein Sport, der auf vier Feldern mit vier Bällen gleichzeitig gespielt wird.»
Abb. 4: In der Kommunikation wird auf vier Feldern gleichzeitig gespielt.
FRAGE: Welche Vorteile hat diese Metapher, außer dass sie vermutlich Sportinteressierte besonders anspricht?
ANTWORT: Es wird die Möglichkeit deutlich, dass man im selben Augenblick auf dem einen Feld (z.B. dem Sachfeld) ein Tor und auf dem anderen Feld (z.B. Beziehungsfeld) ein Eigentor schießen kann. Oder dass es passieren kann, dass der Ball aus dem einen Feld, wo er hingehört, auf ein anderes Feld fliegt, sodass dort plötzlich und fälschlich mit zwei Bällen gekämpft wird.
Noch wichtiger ist mir der Hinweis, dass es darauf ankommt, auf allen vier Feldern (und nicht nur auf einem oder zwei) ein Heimspiel zu entwickeln. Ferner lässt sich Kommunikation durch die Fußballmetapher als Kunst des Simultanspieles darstellen.
FRAGE: Wie heißt es richtig: «Vier Seiten einer Nachricht, einer Äußerung oder einer Botschaft» – oder ist alles gleichbedeutend?
ANTWORT: In «Miteinander reden 1» habe ich von «Nachricht» gesprochen, inzwischen sehe ich den Begriff «Äußerung» als zutreffender an. «Nachricht» ist eher technisch und sachlich, «Äußerung» eher menschlich und alle vier Aspekte umfassend (siehe dazu ausführlich Schulz von Thun 2004, S. 152ff.).
Im Kommunikationsmodell erscheint die Äußerung (jedenfalls ihr verbaler Anteil) als Sprechblase im Quadrat:
Abb. 5: Die «Äußerung» (früher «Nachricht» genannt) als empirisches Sprechereignis inmitten des Kommunikationsquadrates
Auf der rechten Seite ist die Sprechblase weggelassen, sie kann aber jederzeit hinzugedacht werden.
FRAGE: «Nachricht» und «Äußerung» sind also dasselbe, aber Sie bevorzugen heute den Begriff «Äußerung». Und «Botschaft»?
ANTWORT: In meiner Kommunikationslehre hat ein und dieselbe Äußerung immer vier Botschaften, genauer: vier Typen von Botschaften. Diese Botschaften sind nicht wörtlich ausgesprochen, sind keine empirischen Sprechereignisse, sondern «herausgehörte» Mitteilungskomponenten. Es sind Destillate, so wie man aus Wasser (H2O) durch künstliche Vorrichtungen den Wasserstoff (H) und den Sauerstoff (O) herausdestillieren kann. In der folgenden Abbildung haben wir die eine Äußerung und ihre vier Botschaften auf einen Blick:
Abb. 6: Eine Äußerung hat viele Botschaften gleichzeitig, diese Botschaften sind (im Gegensatz zur Äußerung) nicht tatsächlich ausgesprochen, sondern erschlossen und «herausdestilliert».
An diesem Beispiel wird auch deutlich, warum ich den Satz Eine Äußerung hat vier Botschaften präzisiert habe in Eine Äußerung hat vier Typen von Botschaften. Denn auf jeder Seite des Quadrates können durchaus mehrere Botschaften vorhanden sein, die einander ergänzen und sich manchmal auch widersprechen. Also: Ein und dieselbe Äußerung enthält, wenn sie abgeschickt wird, viele Botschaften gleichzeitig, die sich in vierfache Gliederung gruppieren lassen. Wenn sie so ankommt, wie sie gemeint ist, dann ist dieselbe Botschaftskonfiguration beim Empfänger gelandet, und dem Sender ist es gelungen, das entsprechend zu rekonstruieren. Es kann aber auch sein, dass gemeinte Botschaften
unterwegs verlorengehen
und/oder vom Empfänger nicht gemeinte Botschaften hineingehört, hineingelesen werden.
FRAGE: Können nicht einzelne Botschaften auch ausgesprochen werden und somit zum faktischen Kommunikationsereignis werden?
ANTWORT: Streng genommen nein, in gewissem Sinne ja. Nein, denn sobald eine solche «Botschaft» tatsächlich von A an B gerichtet wird, wird sie zur Äußerung – in welcher sogleich die anderen drei Komponenten «mitschwingen». Angenommen, der Mann würde zu seiner Frau angesichts der leeren Bierflaschen sagen «Ich bin schwer enttäuscht!» und somit eine der Selbstkundgabe-Botschaften aus Abb. 6 explizit aussprechen und auf die Reise schicken. Dann hätte diese zur Äußerung gewordene Botschaft sogleich vier Aspekte, welche die Frau mit ihren vier Ohren hören kann/wird:
Abb. 7: Eine Botschaft (aus Abb. 6), die hier zur Äußerung wird und damit ihrerseits wieder vier Botschaften enthält und mit vier Ohren gehört wird
FRAGE: Danach wären ja ausdrücklich formulierte «Ich-Botschaften» gar keine Botschaften, sondern Äußerungen?
ANTWORT: Vollkommen richtig, in meiner Kommunikationslehre wären dies streng genommen «Äußerungen mit explizitem Schwerpunkt auf der Selbstkundgabe-Seite». Dem seit Gordon (1972) eingebürgerten Sprachgebrauch folgend und weniger umständlich können wir jedoch getrost von «Ich-Botschaften» sprechen, obwohl es sich um tatsächlich ausgesprochene Äußerungen handelt:
Abb. 8: Verschiedene Äußerungen mit unterschiedlichem Schwerpunkt auf je einer der vier Seiten
Dass eine der vier Seiten vom Sender besonders betont und explizit formuliert ist, darf nicht zu der Annahme führen, dass beim Empfänger auch genau diese Seite vorrangig ankommt. Denn es ist auch noch der Ton in Betracht zu ziehen, der die Musik macht. Außerdem kommt noch die Empfangsweise des Empfängers hinzu. Der kann z.B. durchaus dazu neigen, auch eine «Sach-» oder «Ich-Botschaft» (im Sinne der abgekürzten Sprechweise, s.o.) mit dem «Beziehungsohr» zu hören, und zuweilen hat er ganz recht, dieses andere Ohr auf Empfang zu schalten.
FRAGE: Wieso recht?
ANTWORT: Weil die Hauptbotschaft, der psychologische Schwerpunkt einer Äußerung, keineswegs immer auf der expliziten Seite des Quadrats steckt. Nehmen Sie den Satz: «Ich war enttäuscht und traurig, dass du dich nicht zu meinem Geburtstag gemeldet hast!» Explizit eine «Ich-Botschaft», aber wer würde (und sollte) nicht vor allem den Vorwurf auf der Beziehungsseite hören («Du Treuloser!»)?
FRAGE: Ich würde gerne später noch ein paar Fragen zum Wert von Ich- und Du-Botschaften stellen (s. S. 35ff.). Aber zunächst noch etwas Grundsätzliches zum Modell: Müsste das Kommunikationsquadrat nicht eigentlich fünf Seiten haben? Unten die «Beziehungsseite» enthält sowohl eine «Du-Botschaft» als auch eine «Wir-Botschaft» (= Beziehungsdefinition), richtig?
ANTWORT: Genau richtig, vgl. «Miteinander reden 1», Seite 28! Dennoch habe ich mich für ein Quadrat entschieden. Denn ein didaktisches Modell soll einfach sein und den Einsteiger in ein Wissensgebiet nicht verwirren. Vier Aspekte zu differenzieren: Das kann man dem durchschnittlichen Neueinsteiger gerade noch zutrauen und zumuten. Im ersten Anlauf mag er die Beziehungsseite als zusammenhängende Einheit («wie ich zu dir stehe und was ich von dir halte») erfahren.
Im zweiten Anlauf (für «Fortgeschrittene») können und müssen wir differenzieren: Da stecken tatsächlich zwei verschiedene Botschaften drin, eine, die auf die Person des Empfängers zielt («So einer bist du!»), und eine, die sich auf die Beziehung zwischen Sender und Empfänger bezieht («So stehen wir zueinander!»):
Abb. 9: Zwei Unteraspekte auf der Beziehungsseite
Nehmen wir ein Ehebeispiel, um die beiden Aspekte spürbar zu machen: Eine Frau kommt nach Hause und fragt interessiert: «Wann gibt es Essen?»
Abb. 10: Unterscheidung von Du- und Wir-Botschaft am Beispiel «Wann gibt es Essen?»
Aus der Antwort des Mannes werden wir (wahrscheinlich) erfahren, ob er der Beziehungsbehauptung (Wir-Botschaft) zustimmt oder nicht. Antwortet er: «In einer halben Stunde!», stimmt er ihr offensichtlich zu. Antwortet er hingegen: «Das wollte ich dich auch gerade fragen!», widerspricht er ihr.
Jetzt ein zweites Beispiel, sie fragt: «Ist das Essen bald mal fertig?» Hier ist die Wir-Botschaft dieselbe, aber die Du-Botschaft hat sich verändert, sie enthält jetzt einen Tadel und lautet: «Du bist säumig!», vielleicht sogar: «Du bist ein faules Luder, nie schaffst du es, das Essen pünktlich auf den Tisch zu bringen!»
Abb. 11: Veränderung (nur) der Du-Botschaft durch die Formulierung «… baldmal …»
FRAGE: Und wie reagiert der Mann darauf?
ANTWORT: Aus der Antwort des Mannes können wir (wahrscheinlich) ablesen, ob er der Du-Botschaft und ob er der Wir-Botschaft zustimmt oder nicht. Vier Kombinationen sind möglich:
Zustimmung zur Wir-Botschaft
Protest gegen Wir-Botschaft
Zustimmung zur Du-Botschaft
1
2
Protest gegen die Du-Botschaft
3
4
Hier für jeden der vier Fälle ein Reaktionsbeispiel:
«Ja entschuldige, ich beeile mich!»
«Ja, ich bin heute spät dran, aber du hättest auch schon längst mal Essen machen können!»
«Gut Ding will Weile haben, mein Liebling!»
«Sag mal, haste sie noch alle!? Mach dir dein Essen gefälligst selbst, und vor allem arbeite mal an deinem Tonfall!»
Noch ein Beispiel: ein Nachbar bei der Gartenarbeit. Er schaut über die Hecke und sieht seine Nachbarin, wie schon öfter, im Liegestuhl liegen. Lächelnd ruft er herüber: «Morgen, Frau Nachbarin, auch schon fleißig?» Etwas unwillig erwidert sie: «So früh geht’s bei mir noch nicht.» Da setzt er nach: «Sie scheinen mir manchmal etwas antriebsarm zu sein!»
Sein Verhalten könnte sie als unverschämt empfinden, sowohl
wegen der Du-Botschaft («antriebsarm» ist eine psychiatrische Kategorie, die Du-Botschaft ist pathologisierend), als auch
wegen der vertraulichen Beziehungsdefinition, die sie als distanzlos empfinden kann («Nein, mein Lieber, so stehen wir nicht zueinander!»), auch dann, wenn sein Kommentar positiv gewesen wäre.
Angenommen, sie würde lächelnd reagieren: «… sprach der Workaholic und verdoppelte seinen Einsatz!» Dann würde sie seine Du-Botschaft zurückweisend kontern, aber seine Beziehungsdefinition («Nicht wahr, ich darf Sie auf dieser persönlichen Ebene ansprechen und anflachsen!») bestätigen. – Ob sie dies freilich auch innerlich tut, ist eine andere Frage. Vielleicht macht sie bloß gute Miene zum bösen Spiel.
FRAGE: In «Miteinander reden 1» (S. 179ff.) unterscheiden Sie nach Haley (1978) vier Möglichkeiten des Empfängers, auf eine angebotene Beziehungsdefinition zu reagieren. Gilt das noch?
ANTWORT: Ja, nämlich:
Akzeptieren («Ja genau, so sehe ich unsere Beziehung auch!») – meist implizit
Tolerieren («Ganz so sehe ich unsere Beziehung nicht, aber ich lass es mal durchgehen) – implizit