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Du,", dachte Laura, Nathaniel nachblickend, "bist der Mond, der über mir schwebt, mich anlächelt und dennoch nicht mehr mein Licht trägt. Ich bin dein Klavier, schicke Töne in den Himmel, in der Hoffnung, sie mögen dich jemals erreichen. Unendliche Töne sind es, die deinem Licht folgen. Unser Lied hat keinen Text. Dein Licht wiegt sich in meiner Melodie, meine Melodie umarmt dich. Wir verlieren kein Wort, denn alles ist gesagt und was nicht zu sagen ist, kleiden wir in die Farben des Nordlichts. Hörst du sie, die Mondmelodie?"
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Seitenzahl: 156
Kapitel I
Fuchsköpfe
Unsichtbar
Nathaniel
Lana
Laura
Sternschnuppe
Denkmal
Herzenshaus
Sternenlicht
Zeitfenster
Lebensfinsternis
Nachtklänge
Kapitel II
Gute nacht
Sanftpfoten
Glutlicht
Rote pfoten
Zweikampf
Katzastrophe!
Lana del grey
Jedem ende seinen anfang
Farbelwesen
Salz und zucker
Die vierzehnte stufe
Juniglut
Bernadette
Stimmlos
Schmetterling
Unfreiheit
Innenleben
Kapitel III
Bunter himmel
Lebenslicht
Zwischenraum
Konfetti
Lune rouge
Salzwasserluft
Unbefristet
Zimmer, Küche, Bernadette
Mondmelodie
Nordlicht
Vor einem alten Haus zu stehen und dessen Fassade, die gerade erst renoviert wurde, zu bewundern, ist mit Sicherheit schön, und ohne Frage nicht nur für Fotografen, Architektur- oder Kunststudenten, die vielleicht besonderes Augenmerk auf ein Relief oder verspielte Details am Dache des Hauses haben mögen, von großer Bedeutung und also interessant. Den Schlüssel aber zu besitzen, gilt es, den Schlüssel, der das frischgestrichene Tor zu öffnen befähigt ist und Einblick gewährt in die Innereien, vom Unterbewusstsein, den Untertage-Kellergassen bis hin zum Gehirn-Gehäuse, dem Dachboden und schließlich Bewusstsein, das zunehmend immer öfter einem Dachausbau weichen muss und also viele Häuser plötzlich förmlich kopflos in dieser Welt zurücklässt. Wagt man einen Blick über die die Ampel tragenden, von Haus zu Haus gespannten Kabeln und Drähte, so erblickt man sie ganz deutlich und unverblümt: geköpfte Hühner, die Seite an Seite, dicht beieinanderstehen und auf das Umfallen warten. Geköpfte Hühner mit aufgesteckten Fuchsköpfen.
Jedes Haus strahlt eine ganz eigene Atmosphäre aus. Diese muss freilich nicht immer positiv sein, klar, aber wer will dies auch behaupten? Etwas IST jedenfalls vorhanden, sprechen wir von Atmosphäre. Etwas, das spürbar ist, das unser Gemüt sofort in seinen Bann zieht. Etwas, das uns eben wohl fühlen lässt oder nicht, uns auf jeden Fall aber in seiner Hand hat, uns mitunter erdrücken mag, ohne zuzudrücken. Nicht anders ist es doch bei uns Menschen, oder? Ob alt oder jung, ob mit polierter Fassade, neuem "Anstrich" oder einer Fassade, die keinen Hehl aus ihrem Alter macht, ob tiefgründig oder ebenerdig...Tausende Vergleiche ließen sich hier ziehen...und doch käme stets derselbe Schluss: Wir fühlen uns wohl, und nämlich im ersten Moment der Begegnung, in einem Haus, bei einem Menschen.
Freilich gibt es viele Häuser wie Menschen, um vielleicht doch noch einen weiteren Vergleich anzustellen, mit endlos tiefen und langen Kellergängen. Manche werden vielleicht nie ergründet, andere wurden vorsorglich zugeschüttet und wieder andere brachen vielleicht durch, aufgrund eines Rohrbruchs austretendes Wasser in sich zusammen. Und nicht oft passiert es, dass eben ein Keller das darüber liegende Haus dadurch gänzlich zum Einsturz bringt und schließlich umbringt.
Häuser wie Menschen erleben in sich alle Facetten des Lebens. Leid und Kummer, Freude und Friede. Alle Jahreszeiten durchleben sie. Sie sind vorbereitet auf das Leben. Wie wir Menschen beispielsweise immerzu tagtäglich mit einer plötzlichen Todesnachricht rechnen müssen, erfüllt Häuser vielleicht der Gedanke an ein abstürzendes Flugzeug mit Angst. Was uns aber wirklich unterscheidet...und da sind die Häuser im Vorteil: Häuser überleben uns Menschen zumeist. Jedoch...ist das wirklich immer ein Vorteil?
Unser Freund, so er es für alle zumindest werden möge, lebt jedenfalls nicht in einem Fuchskopf, sondern im letzten Stock eines alten, gepflegten, vierstöckigen Hauses im italienischen Stil, mit der Hausnummer 6, auf Türnummer 14. Über seiner Wohnung ist der alte, leerstehende Dachboden. Ein Hühnerkopf also, den der Fuchs noch nicht abgerissen hat... Steigt man die dreizehn Stufen vom vierten Stock hinauf zur unverschlossenen Dachbodentüre und stößt diese mit einem leichten Ruck auf, so liegt einem eine einzigartige kleine Welt zu Füßen. Verstaubte hölzerne Balken, in Spinnenweben gekleidet sind da zu sehen. Hier und da knarrt der Boden, geht man darüber und es ist, je nach Jahreszeit, irgendwie immer zu heiß oder zu kalt dort oben und hat es geregnet, so tritt man auch schon mal in kleine Wasserlachen, denn das Dach ist nicht an allen Stellen dicht. Auch liegt der Skelettkopf eines Vogels dort und ist interessant anzusehen, denn der Knochenkopf, auf einem Bleistift gesteckt, dreht sich dann in alle Richtungen und auch das Unterkiefer löst sich nicht vom restlichen Schädelchen, sodass der Kopf beinahe lustigmakabre Züge bekommt, wird das Unterkiefer durch rasche Auf-und-Ab-Bewegungen des Bleistifts zum Klappern bewegt.
Und dann gibt es dieses kleine Fenster, das gar nicht so klein ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, denn man kann, wenn vielleicht auch nur nach der Fastenzeit, aus ihm hinausklettern, auf das davorliegende, stellenweise ebene Dach. Von diesem Dach wie auch schon vom Blick aus dem Fenster der direkt darunterliegenden Wohnung Nathaniels liegt einem scheinbar die ganze Welt zu Füßen. Besonders schön und eindrucksvoll ist der Blick über die Dächer der Stadt in der Nacht, denn da geben tausende Lichter einander die Hand und werden zu einem überdimensionalen Lichterteppich verwoben. Wer einmal auf diesem Dach gesessen und über eben diese Dächer gesehen hat, wüsste, wovon Nathaniel spricht, wenn er etwa meint, auf diesem Lichterteppich davonzuschweben, über die Köpfe der Menschen, über die Dächer der Häuser, ja, über alle Geschichten derer. Doch Nathaniel hütet sich davor, von seiner kleinen, die große Welt überblickende Welt auch nur mit einem Wort zu sprechen. Ja, nicht einmal mit seinen engsten Freunden spricht er darüber. Und schon gar nicht mit seiner grauen, wuscheligen Katze Lana. Denn wüsste diese erst von besagtem Dachboden, geschweige denn vom Dachfenster, würden ihre ohnehin schon sehr großen Augen noch größer und sie würde vielleicht das Weite suchen und nie mehr zurückkehren. Denn, schnuppert man erst einmal Freiheit, wächst nach und nach das Tier Neugier in einem, bis es einem den Hals zuschnürt und man die nicht mehr so einfach hinunterschlucken kann wie einen grausigen Bissen kaltgewordenen Spinatknödels etwa. Nein, Lana dürfe nie mit Nathaniel hochgehen zum Dachboden, dürfe nie erfahren, dass es außerhalb der Wohnung eine andere Welt gäbe, dass dort die Welt überhaupt erst anfinge. Nathaniel befürchtet, seine Katze nie wieder zu sehen, würde sie erst einmal den Dachboden und das freiheitbietende Fenster darin entdecken. Als kleine Rechtfertigung für seine - ihm wohl bewusste Missetat - führt Nathaniel sich selbst gegenüber immer das Argument an, dass Haustiere gar nicht erlaubt wären im Haus, und Lana alleine deswegen schon "unsichtbar" bleiben müsse. Unsichtbar, wie auch er selbst, denn immerhin betritt auch er ein verbotenes, heißes Blechdach...
Ja, irgendwie ist er vielleicht alleine, unser Nathaniel. Freilich, er hat eben Lana, und auch Freunde, die er gelegentlich trifft, doch macht es ihm nichts aus, diese über Monate nicht zu sehen, was öfters schon vorgekommen ist, meist, weil er, Nathaniel, wieder seine Zeit für sich brauchte, was bedeutete, dass er sich förmlich (zu Lana) in seine Wohnung einschloss, um alleine zu sein, nachzudenken, und seiner Leidenschaft, der Fotografie nachzugehen. Tausende und abertausende Fotografien hat er auf diese Weise von Lana gemacht. Sie ist sein Modell, seine Musekatze, wie er sie stets zu nennen pflegt, haben sie wieder einmal stundenlang zusammengearbeitet.
Ja, Nathaniel hat große Erfolge zu verzeichnen mit seinen Fotografien, hat bereits mehrere Ausstellungen in seinem Viertel veranstaltet und seine Bilder werden auch gerne und regelmäßig gekauft, sodass er vom Erwerb derer gut leben und es sich eben auch leisten kann, sich einmal für mehrere Wochen in seiner Unterdachwohnung einzusperren.
So sitzt unser Nathaniel oft stundenlang auf dem Dach, das er über das Dachbodenfenster erreicht, und verliert sich oftmals in Kleinigkeiten, wie etwa einem geschmückten Gesims oder dem verspielten Schmiedeeisenzaun eines Balkons des gegenüberliegenden Hauses. Die Sonnenuntergänge über der Stadt liebt Nathaniel und oft verweilt er die ganze Nacht auf dem Dach, nur um dem Sonnenaufgang entgegenzusehen. Die Tage werden so zur Nacht, in der er schläft, denn blaue oder graue oder graublaue Himmel interessieren ihn ebenso wenig wie wolkenverhangene oder beinahe weiße, von der Sommersonne ausgebleichte.
Nathaniels Tag beginnt meistens mit der Nacht. Wenn das Tageslicht sich der Schwärze ergeben muss, wenn der Tag (schluss)endlich der Nacht erliegt. Todeskämpfe spielen sich da ab, wenn die Sonne etwa mit letzten und allerletzten Strahlen aus ihrem Inneren versucht, den immer selbstbewusster werdenden Winterhimmel, der sich längst an die Nacht verkauft hat, zu erstechen. Ins Herz will sie der Winternacht stechen mit ihren Sonnenstrahlen, -ha! -, doch ein vereistes Herz ist stärker, lässt biegsame Sonnenstrahlen auf eiserner Oberfläche zerbrechen, wie rohe Spaghetti etwa, die in einem unachtsamen Moment gleich Mikado-Stäben zu Boden fallen und dadurch unweigerlich an Genickbruch verenden.
Eisernes Herz. Vereistes Herz.
Einsames Herz. Vereinsamtes Herz.
Schlagendes Herz. Erschlagenes Herz.
Und dann zieht er auf, der Mond, stolz wie ein Sieger, umgarnt von ihn verehrenden Sternen, die ihn schweigsam bewundern. Der letzte Rauchfang ändert schnell seine Gesichtsfarbe, als hätte er vergessen, seine Hausaufgabe zu machen und versuchte nun schnell, von den anderen abzuschauen und die nicht erbrachte Leistung zu kopieren, ehe er entlarvt würde. War er also eben noch abendsonnenrötlich, so ist er nun blass, blau und kalt. War er vielleicht gerade noch besonders, so hat er sich nun auffällig unauffällig in die Reihe der Scheintoten gestellt. Scheintote Rauchfänge, von deren innerer Wärme nun so gar nichts mehr zu verspüren ist, werden sie erst einmal vom Frühmorgenherbstnebel liebkost.
Diese Momente des naturgewollten Machtwechsels, die Nathaniel seit jeher begeisterten und die er versuchte und versucht, mit seinem Fotoapparat festzuhalten, diese Momente, die vielleicht eine Minute oder eineinhalb dauern sind es, die ihn ausmachen, ja, existieren lassen schlussendlich. Ein Fotograf, so Nathaniel, darf niemals die Bewegung versäumen, muss stets ein Auge, oder besser noch beide offenhalten und jede Veränderung erkennen und mit seiner Kamera festhalten. Nur, was sich bewegt, verändert, erzeugt Spannung und also Interesse. Jedweder Prozess der Veränderung ist es, der das menschliche Auge wirklich interessiert, wach-, ja, am Leben hält. Das Auge werde, so Nathaniel, schnell müde, müsse es sich längerfristig nicht anstrengen.
Was auch zu Nathaniels Besonderheiten zählt, ist sein absolutes Zahlengedächtnis, das ihm tatsächlich nach und nach sein Leben mehr und mehr verleidet. Handelt es sich um Telefonnummern oder Geburtstage, so kann es ja durchaus von Nutzen sein, nicht immer von einem Notizbuch oder Kalender abhängig zu sein, aber mühsam wird es dann, wenn keine Zahl, kein Datum, ja, keine Uhrzeit mehr unbeschwert davonkommt. So denkt Nathaniel beispielsweise, sieht er auf die Uhr, die 22:03 anzeigt, nicht daran, ins Bett zu gehen, Lana zu füttern oder gar die Musik leiser zu drehen, da es schon drei Minuten nach 22 Uhr ist und also Nachtruhe herrscht, sondern einzig daran, dass Goethe, Johann Wolfgang von so was aber auch am 22. März, an einem 22.03. also starb. Um 18:32 denkt er freilich an das Sterbejahr desselben. Nicht anders ist es beim Frühstück um 9:02, an dem natürlich zuerst einmal des Geburtstags Thomas Bernhards gedacht wird wie auch um 19:31 für einen Augenblick innegehalten wird, war 1931 doch das Geburtsjahr dessen. Und klar wird mittags um 12:02 eher Thomas Bernhards Todes am 12. Februar denn der gebackenen Zucchini gedacht.
Zahlengedächtnis also gut und schön, aber man kann es auch übertreiben. Und Nathaniel selbst hasst es am meisten, nicht wie jeder normale Mensch am 8.12. den Feiertag im vorweihnachtlichen Stress zu genießen, sondern als erstes an Jim Morrisons Geburtstag und zugleich John Lennons Todestag denken zu müssen. Und dabei friert es ihn zu dieser Jahreszeit regelmäßig, weshalb es auch nicht verkehrt wäre, zuerst an den kochenden Tee zu denken, ehe man der Toten gedenkt, denn eine tote Seele verbrennt nicht mehr, Tee aber sehr wohl...
Lana ist nicht, wie die anderen Katzen. Seit jeher ist sie irgendwie anders und auch stolz darauf. So liebt sie Gemüse, - ja! -, Gemüse, verachtet aus Rücksicht vor der Katze leise gespielte Musik, liebt Hunde und fürchtet sich vor Mäusen. Natürlich lässt sie ab und an ihren Herrn Futtergeber auch in ihrem Bett schlafen. Freilich darf dies aber nie zur Gewohnheit werden, weshalb Nathaniel Nächte und Nächte schon mal auf der Wohnzimmercouch oder zwischen den Wäscheständern im Bad zuzubringen hat. Schlafende Hunde sollte man bekanntlich nicht wecken, von schlafenden Katzen ist jedoch niemals die Rede. Und sie sind es immerhin, die Krallen haben und beispielslos zum Einsatz zu bringen imstande sind.
Lana ist Lana. Sie trägt nicht, wie andere Katzen, etwa eine Katzenleine (wie lächerlich!) und hat auch keine süße, liebe "Kollegin", die sich plötzlich ungefragt ins Geschehen einmischt, und das noch oberstupsnasenmäßig. Nein, Lana ist eine stolze Einzelkatze, und liebt und lebt schließlich auch ihre Alleinherrschaft. Sie trägt die Krone auf ihrem Haupt, hält Zepter in der einen Pfote und die Welt in der anderen. Jedermann und jederkatz ist ihr untertan, niemand darf sie auch nur von der Seite ansprechen, schon gar nicht das Personal, Nathaniel also. Und natürlich trägt Lana auch keinen typischen, bedeutungslosen Katzenamen, wie etwa die Katzen im ersten Stock, die doch tatsächlich auf die Namen Minki und Mautzi hören. Die Herkunft alleine dürfe dafür doch keine Rechtfertigung sein. Gut, wer hätte schon Schuld daran, in der tiefsten Oststeiermark und noch dazu als Bauernhofkatze geboren und zu allem Überdruss von einer ebendort urlaubenden Stadtfamilie als Steiermarksouvenier in die große Stadt mitgenommen zu werden? Aber auf diese lächerlichen und beinahe demütigenden "Namen" zu hören, ... also dafür hingegen könne man sehr wohl verurteilt werden. Wo bleibt der Stolz, wo das Gespür für klingende Namen und wo überhaupt bleibt der gesunde Katzenverstand, auf einen menschengegebenen Namen zu hören!? Denn sowieso und überhaupt, als Katze sucht man sich den Namen doch bitte schon selbst aus!
Die einst noch namenlose Katze wurde eines Tages von Nathaniel in dessen Leben "aufgenommen", sollte eigentlich den Namen Luna tragen und tagelang war sie auch als solche angesprochen worden. Luna aber wollte nicht Luna sein, sondern strebte einen ganz anderen, wenn ihr damals auch selbst nicht bekannten Namen an. Vielleicht - nein, mit ziemlicher Sicherheit sogar - war es eine reine Stolz-Sache gewesen, weshalb Luna den Namen nicht so einfach akzeptieren wollte, denn eigentlich liebte sie den Namen und das Bild des von ihr geliebten Mondes dahinter. Der Name war klanghaft und konnte, sauber und melodisch ausgesprochen, durchaus verzaubern, gäbe es aber eben besagtes Problem nicht. Das Problem, dass er nun mal nicht von ihr selbst ausgesucht worden war, sondern von Nathaniel...
In einer lauen Sommernacht, es mag in etwa zwei Wochen nach Lunas Einzug in Nathaniels Dachwohnung gewesen sein, hatte das junge Kätzchen also auf Nathaniels Fauteuil gesessen, während dieser davor auf dem Boden kniete und vom vor ihm liegenden Teller sein Abendmahl, Camembert-Toast mit Currysauce, zu sich nahm. Drei Kerzen hatten im Wohnzimmer, etwas planlos verteilt aber dennoch Stimmung machend Platz gefunden. Kerzenlicht war und ist immer das Licht im Leben des Nathaniel. Kerzen- und Mondlicht. Indirektes Licht auf jeden Fall! An jenem Abend hatte Nathaniel also am Boden sitzend, im Lichtschein besagter dreier Kerzen gespeist, während Luna am Fauteuil saß und sanfte Klänge ihnen den musikalischen Teppich vor die Füße und Pfoten legte. Sphärische Klänge, eine im Hall unendlicher Weiten aufgelöste Stimme, geschwängert von satten, erdigen Basstönen. Das gemeinsame, daraus entstandene musikalische Kind hörte auf den Namen Lana del Rey.
Nathaniel konnte plötzlich ein beinahe zu aufdringliches Schnurren hinter sich verspüren, als Lana des Reys "Art Deco" erklang. Luna schmiegte sich an Nathaniel und schien beinahe mit dem Rhythmus des Liedes in Einklang zu schnurren. Nathaniel drückte spontan auf die Stopp-Taste, um Lunas Reaktion zu testen. Und tatsächlich, kein Laut, kein Maunzen, kein Raunzen, kein Knurren, kein Schnurren....Luna starrte Nathaniel lediglich fordernd mit ihren überdimensional großen Augen an, bis dieser wieder die Taste auf der Fernbedienung betätigte, Lana del Rey weitersang, Luna weiterschnurrte und schließlich Lana hieß.
Es war der Abend des dreizehnten Junis. Ein lauer, beinahe etwas für diese Jahreszeit zu kühler Frühlingsabend, wie Nathaniel dachte, als er wieder einmal auf dem Dach saß. Da es sein, wie bereits erwähnt, flaches Dach war, konnten eine Kerze, eine Flasche Wein und ein Weinglas darauf auch problemlos neben Nathaniel Platz nehmen. Und ein kleiner Lautsprecher gesellte sich in jener Nacht dazu. Heimlich, still und leise...würde man vermuten, jedoch war genau das Gegenteil der Fall gewesen. Denn ein Lautsprecher möchte dann und wann dann auch schon auch mal seines Namens gerecht werden und eben gern auch mal laut sprechen dürfen. Lana del Rey "sprach" aus ihm, und Nathaniel saß daneben, ein Glas halbsüßen Rotweins in der linken, einen Schal in der rechten Hand. Da waren sie wieder, diese süßverrauchten Töne, die in Nathaniels Innerstes hallten.
Wo sie wohl nun in diesem Augenblick sein mochte?... seine über alles und dadurch wohl zu Tode geliebte Laura? Seine Laura, von dem ihm materiell tatsächlich nur dieser grauschwarz-gestreifte Schal blieb, der viel zu warm für die Übergangszeit und ganz sicher zu kalt für kalte Wintertage war. Seine Laura, die einen, wenn auch derzeit noch befristeten Mietvertrag für eine Wohnung in Nathaniels Herzenshaus hatte und wohl vom Recht, selbige auch eines Tages, bei guter Führung, auch unbefristet besitzen zu dürfen, Gebrauch machen wollen dürfte.
Laura hatte mit Sicherheit jetzt schon also einen Teil Nathaniels Lebenshauses ins Auge gefasst, und Nathaniel konnte nur noch hoffen, dass Laura es nicht eines Tages auch auf den Dachboden abgesehen haben würde, ihn niederreißen und anstelle dessen einen Dachausbau plane, ihm, Nathaniel also einen Fuchskopf aufsetzen würde.
Nathaniel, Teilhaber (bestenfalls) seiner selbst, seiner Gefühle, schließlich seines Lebens...
Lichter, und ich spreche nicht von LICHT, nein, Lichter faszinierten und faszinieren Nathaniel seit jeher. Lichter, die also nur im Zusammenspiel wirken, die aber auch selbst dann noch kein Licht abzugeben fähig sind, aber die in Summe und nur darin etwas zu bewirken imstande sind. So erzeugen sie Stimmungen, bewirken Gefühlsausbrüche, verleiten zu Gedanken, verleihen Träumen die Kraft, für einen kurzen Augenblick Tatsache zu sein, lassen Tote gegenwärtig sein oder schenken einfach nur das Gefühl der Wärme in tiefschwarzen Winterweihnachtsnächten.
Nun war es aber eben nicht Weihnachtszeit, sondern ziemlich genau ein halbes Jahr davor. Nathaniel saß also auf seinem Dach, besagten Schal in der Hand, trank aus seinem Glas und blickte über die Dächer, wie schon so oft.
Und er dachte dabei an seine Laura, mit der er eines Tages in einsamer Zweisamkeit das Nordlicht erblicken wollte, der er im Schein dessen all seine Lebensfarben zu Füßen legen gedachte, sich widerspiegelnd in einem goldenen Ring...
Laura, die schon eine kleine Ewigkeit nicht mehr seine Laura gewesen war. Laura, so dachte Nathaniel, würde diesen Ausblick lieben, denn immer hatte sie Lichter geliebt. "Lichter und Gesichter", wohlgemerkt. Ja, auch Laura ist Fotografin und früh schon hatte sie sich auf Portraitaufnahmen in diffusem Licht spezialisiert. Sie liebt es, Falten, Unebenheiten der Haut, einzelne hervorstehende Haare, etwa bei Augenbrauen in Schwarz-Weiß festzuhalten. Farben sind der Fotografin Laura, ganz im Gegensatz zur persönlichen, die Farben des Nordlichts liebenden Laura, nie wichtig, im Gegenteil, diese lenken doch nur zu sehr von den eigentlichen Gegebenheiten ab. "Alles ohne! - Reduktion, Minimalisierung, nackte Haut." hatte der Titel ihrer ersten Ausstellung, bei der