Moon of Witchcraft - Sophia Rudolph - E-Book

Moon of Witchcraft E-Book

Sophia Rudolph

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Beschreibung

Aus einer Not geboren, lebt ein alter Pakt wieder auf. Hexen und Werwölfe leben Seite an Seite und kämpfen um ihren Fortbestand. Doch ist die Motivation des Bündnisses auf beiden Seiten fraglich. Finden Jessa und Quinn dennoch den wahren Weg zueinander?

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Sophia Rudolph

 

Moon of Witchcraft

 

 

Roman

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2020 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: AdobeStock

Innengrafiken: AdobeStock

Szenentrenner: AdobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

ISBN 978-3-948592-20-2

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Kinder des Mondes

Kapitel 2- Das Geschenk der Göttin

Kapitel 3 - Traummagie

Kapitel 4 – Der Pakt

Kapitel 5 – Die Macht des Dreimonds

Kapitel 6 – Mit allen Sinnen

Kapitel 7 – Der Duft des Wolfes

Kapitel 8 - Jagdinstinkt

Kapitel 9 – Happy Birthday

Kapitel 10 - Zweisamkeit

Kapitel 11 - Erkenntnisse

Kapitel 12 - Sternenschauer

Die Autorin

Kapitel 1 – Kinder des Mondes

 

»Meine Schwestern, unsere Göttin hat uns reich gesegnet. Ich sehe Glück und Erfolg in unserer Zukunft. Unser Zirkel wird wachsen und gedeihen, so wie der Mond, der heute neu am Himmel geboren wird und den die Göttin bald wieder voll und leuchtend am Firmament über uns wachen lässt. Vor uns liegt eine Zukunft, wie sie unsere Ahninnen nicht hätten erträumen können.«

Jessas Magen zog sich krampfhaft zusammen, als sie die Worte ihrer Tante hörte. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Zirkels stand sie im Garten um den weißen Marmorbrunnen versammelt, und sah zu Cynthia. Ihre Tante hatte die Arme in die Luft gestreckt, wodurch das silberfarbene Gewand ihr bis zu den Schultern rutschte. Die Kapuze war mit Haarnadeln an ihrem blonden Haar befestigt. Für einen Unwissenden sah es so aus, als hielte ihre Macht allein die Kopfbedeckung an ihrer Stelle.

Doch es war nicht diese Show, die ihre Tante veranstaltete, die Jessa abgrundtief abstieß, es waren ihre Worte. In jedem von ihnen spürte sie die Lüge. Sie unterdrückte den Drang, ihre Tante dessen zu bezichtigen. Aber man beschuldigte die Anführerin eines Zirkels nicht ungestraft eines Vergehens jedweder Art. Erst recht nicht die Anführerin des eigenen Zirkels.

»Was ist?«

Jessa warf ihrer Cousine, die neben ihr stand, einen kurzen Blick zu, dann schüttelte sie den Kopf. Sie wollte Ava nichts über ihr Gefühl sagen, solange sie selbst nicht erklären konnte, weshalb sie davon überzeugt war, dass Cynthia log. Avas Blick war durchdringend, als versuche sie, die Antwort aus Jessas Gedanken zu lesen. Soweit Jessa allerdings wusste, war Ava dazu – glücklicherweise – nicht in der Lage.

»Vor vielen Jahren wurden wir unterdrückt, gejagt und mussten um unser Leben fürchten. Diese Zeiten sind zum Glück lange vorbei. Wir haben gelernt, uns zu verstecken, unsere Kräfte heimlich zu meistern. Wir wurden stärker und heute gibt es keine Gefahr mehr, die uns noch etwas anhaben könnte. Noch nie waren wir so sicher, wie in diesen Tagen.«

Unauffällig presste Jessa eine Hand gegen ihren Bauch, als das Ziehen darin noch stärker wurde. Cynthia log sie an. Sie alle. Sie spürte es mit jeder Faser ihres Herzens und verstand nicht, wieso sonst keiner auf diese offenkundigen Lügen reagierte.

»Ava, komm zu mir.« Cynthia streckte die Hand nach ihrer Tochter aus. Jessa sah aus den Augenwinkeln, wie Ava ihr einen besorgten Blick zuwarf, ehe sie zögernd an die Seite ihrer Mutter trat. Wenigstens eine der Anwesenden weiß, dass unsere Anführerin lügt, schoss es Jessa durch den Kopf. Ihre Cousine wusste ebenfalls, dass die Worte ihrer Mutter nicht der Wahrheit entsprachen. Ob sie es wie Jessa spürte, oder aus anderem Grund wusste, konnte Jessa nicht sagen.

»Wie der Mond bald in seiner ganzen Kraft erstrahlen wird, so wird auch Avas volle Macht unseren Zirkel erleuchten. Sie soll euch an meiner Seite demonstrieren, zu welcher Größe und Stärke jede Einzelne von euch fähig ist. An ihrem einundzwanzigsten Geburtstag werden wir uns hier erneut versammeln und der Göttin für ihre Kraft und Weisheit, an der sie uns durch Ava teilhaben lässt, danken.«

Jessa schrie vor Schmerz auf. Sie konnte ihn nicht länger unterdrücken. Ihr Körper krampfte sich zusammen und zwang sie in die Knie. Sie sah noch den zornigen Blick ihrer Tante und den besorgten ihrer Cousine, ehe sie das Bewusstsein verlor.

 

 

Als sie wieder zu sich kam, lag Jessa auf der Couch im Wohnzimmer, ein kühles Tuch auf der Stirn, die Beine auf die Rückenlehne der Couch gelegt.

»Was ist passiert?«

»Du hast die Versammlung gestört, das ist passiert!«

Jessa wandte leicht den Kopf und sah gerade noch, wie ihre Tante mit wehendem Umhang das Wohnzimmer verließ und die Tür zur Küche lautstark hinter sich ins Schloss fallen ließ.

»Die Idealbesetzung einer bösen Stiefmutter im Märchen«, murmelte Danielle und nahm Jessa das Tuch von der Stirn.

»Geht es wieder?«, fragte ihre beste Freundin sie und half ihr, sich aufzusetzen.

»Mir geht es gut, aber sagt mir jetzt bitte jemand, was passiert ist?« Sie sah zwischen Danielle, die neben ihr saß, und Ava, die mit dem Rücken an der Wand lehnte, hin und her.

»Du hast irgendetwas gespürt«, erklärte Ava schließlich und sah Jessa erwartungsvoll an. »Und jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, zu sagen, was das war.«

Jessa erinnerte sich an den krampfartigen Schmerz, das Wissen, dass ihre Tante log, während sie gesprochen hatte. Sie mied Avas Blick und schüttelte den Kopf. »Mir war nur übel. Ich hab wohl was Falsches gegessen.« Sie ahnte, dass keine der beiden ihr Glauben schenkte. Aber genauso wenig fragten sie noch ein weiteres Mal. Danielle legte einen Arm um ihre Schulter und drückte sie für einen Moment an sich. »Dann bin ich ja froh, dass es nichts Ernstes ist. Ich sehe dich morgen auf der Arbeit, ja?«

Jessa nickte. Sobald sich Danielle verabschiedet hatte, erhob sie sich von der Couch und ging die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Im Erdgeschoss fiel die Eingangstür ein zweites Mal ins Schloss.

Kurz darauf klopfte Ava an Jessas Tür und streckte den Kopf ins Zimmer. »Ma ist noch einmal weg. Können wir jetzt sprechen?«

Jessa sah in die blauen Augen ihrer Cousine und bemühte sich um einen unschuldigen Gesichtsausdruck. »Es gibt nichts zu bereden. Ich sagte doch schon, mir war nur übel.«

»Und ich glaube dir nicht.« Ohne auf eine Einladung zu warten, betrat Ava das Zimmer und legte ein großes, in braunem Leder gebundenes Buch auf Jessas Bett. »Ich glaube, du weißt, dass Ma heute Abend verdammt viel Bullshit erzählt hat.«

»Tante Cynthia erzählt sehr oft Bullshit, wenn mir davon jedes Mal schlecht werden würde …«

»Während des Dreimondes um ihren einundzwanzigsten Geburtstag manifestieren sich bei einer Hexe Kräfte, die sie bis dahin nicht kannte. In dieser Zeit entscheidet sich auch oft, welchen zukünftigen Weg eine Hexe einschlagen wird«, zitierte Ava mit einer Hand auf dem braunen Ledereinband.

Jessa sah ihre Cousine verständnislos an.

»In fast einem Monat wirst du einundzwanzig«, erklärte ihr Ava und schlug das Buch auf. »Das heißt, der letzte Vollmond läutete deinen Dreimond ein. Die drei Vollmonde um deinen Geburtstag herum. Jetzt zeigt sich deine wahre Kraft.«

Nun lachte Jessa laut los. Sie konnte nicht anders, sie ließ sich auf das Bett zurückfallen und lachte, bis ihr der Bauch schmerzte und ihr die Tränen kamen.

»Ich meine es ernst, Jessa. Du bist viel mächtiger, als du glaubst. Ma … sie hat dich absichtlich im Dunkeln darüber gelassen, was du alles könntest, wenn deine Magie ihr volles Potenzial zeigt.« Mit diesen Worten brachte Ava ihre Cousine dazu, ihr Lachen abrupt zu beenden.

»Was meinst du damit?« Jessa setzte sich wieder auf und sah zu, wie Ava einige Seiten des Buches umblätterte.

»Ma hat es mir gegeben, um mich auf meinen Geburtstag vorzubereiten. Hier drin stehen Dinge, von denen sie uns nie erzählt hat. Ich glaube, selbst die meisten Hexen ihrer eigenen Generation wissen nichts von dem, was in diesem Buch steht. Rituale, Tränke, Beschwörungsformeln. Das Wissen von Jahrhunderten ist hier versammelt. Es wurde von den Frauen geschrieben, die sich damals erfolgreich vor den Verfolgungen hier in Salem verstecken konnten. Ihr Wissen ist hier drin verwahrt.«

»Und Cynthia behält es für sich«, flüsterte Jessa und klang dabei wenig überrascht. Sie überflog die Seiten des Buches, die Ava ihr zeigte. Alte Seiten mit beinahe verblasster Tinte. Kaum mehr leserliche Buchstaben in einer Handschrift, die schwer zu entziffern war und trotzdem … Jessa streckte die Hand nach dem Buch aus, ließ ihre Finger über die Tinte streichen.

»Der Pakt, den wir eingegangen sind, mag gefährlich sein, aber er wird unser Überleben sichern. Bedenket, alle, die uns folgen werden und diese Zeilen dereinst lesen: In der dunkelsten Stunde schickt unser die Große Mutter die Kinder des Mondes zum Schutz.« Jessa hielt inne und hob langsam den Blick, um Ava anzusehen.

»Ich sagte doch, in dir steckt mehr Magie, als du ahnst.«

Vom Erdgeschoss hörten sie, wie die Eingangstür wieder geöffnet wurde. Ava sprang hastig auf und nahm das Buch an sich. »Kein Wort davon zu Ma. Aber wir müssen dringend reden. Morgen nach deiner Schicht bei Rylee, okay? Danielle und Leah kommen auch. Dann erzähle ich euch alles, was hier gerade vor sich geht. Das heißt, alles, was ich darüber weiß.«

Jessa sah sie nur stumm an und nickte, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Als sie in dem Buch gelesen hatte, waren Bilder vor ihrem inneren Auge erschienen. Sie hatte Schreie gehört, Qualm gerochen. Es war, als habe sie für einen Moment durch die Augen der Verfasserin der Worte gesehen.

Als Ava sie allein im Zimmer zurückließ, begann Jessa zu frieren. Sie stand auf, ließ den dunklen Umhang, den sie alle im Gegensatz zu Cynthias silbernem trugen, zu Boden fallen, entledigte sich ihrer Kleidung und schlüpfte in ihren Pyjama. Dann verkroch sie sich unter der Bettdecke und sah durch das Fenster hinauf in den schwarzen Nachthimmel. Cynthia hatte sie bei sich aufgenommen, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Damals war Jessa sieben Jahre alt gewesen. Zunächst hatte sie Tante Cynthia sehr gemocht, sie hatte mit ihr gelacht, sie geherzt und sie hatte sich wie Avas Schwester gefühlt. Dann waren die beiden Mädchen in die Pubertät gekommen und alles hatte sich geändert.

Nicht nur, dass sie sich vom Äußerlichen immer mehr zu unterscheiden begonnen hatten, Ava war bald einen Kopf größer als Jessa gewesen, obwohl sie einen Monat jünger war, hatte dabei ihre schlanke Figur behalten. Jessa hingegen hatte mit sechzehn aufgehört zu wachsen. Zumindest in die Höhe. Modelmaße suchte sie an sich vergeblich. Sie hatte ein, zwei Diäten versucht, einmal sogar ein Ritual, das angeblich die Pfunde purzeln lassen sollte. Schließlich hatte sie es aufgegeben und gelernt, dass es eben auch Frauen geben musste, die ihre Jeans nicht in Size zero kauften. Ava hatte ihr eine Collage der Diven an die Wand gehängt. Marilyn Monroe, Sophia Loren und Sharon Tate zeigten ihr jeden Tag aufs Neue, worauf sie selbst stolz sein konnte.

Auch Cynthias Verhalten hatte sich geändert. Sie hatte Jessa mehr und mehr aus dem Familienleben ausgegrenzt, war ihr gegenüber immer kälter geworden. Schon seit Jahren hatten sich Jessa und ihre Tante nichts mehr zu sagen. Die Antipathie der beiden war mittlerweile fast greifbar. Stets hatte sich Jessa nach dem Grund gefragt. Nun hatte Ava ihr scheinbar die Antwort geliefert: Ihre Tante wollte nicht, dass Jessas Magie stärker wurde. Sie hob die Hände unter der Decke hervor und sah sie sich im blassen Licht der Straßenlaterne, das durch das Fenster fiel, an. Sie wusste nicht, ob Ava recht hatte, aber sie würde der Sache auf jeden Fall nachgehen. Jessa hatte noch nie einer Herausforderung einfach so entsagen können.

 

 

»Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, was ich davon halten soll.«

Quinn entschied, erst einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche zu nehmen, ehe er Jayden eine Antwort darauf gab. Die Diskussion war genauso alt wie leidig. Seit einem Jahr war er der unangefochtene Alpha dieses Rudels und die schwerste Herausforderung, die er von seinem Vorgänger geerbt hatte, war die, dass sie langsam ausstarben.

»Wenn dir eine Alternative einfällt, höre ich sie mir gerne an«, forderte er Jayden daher auf.

Dieser zuckte nur mit den Schultern und drehte die Bierflasche zwischen seinen Händen hin und her. »Ich sage nur, wir können ihnen nicht trauen. Sie sind Hexen! Das hat schon beim ersten Mal nicht funktioniert.«

»Das ist über einhundert Jahre her!«, fiel ihm Ethan ins Wort. »Wenn Quinn glaubt, dass es eine gute Idee ist, sollten wir ihm vertrauen.«

Jayden leerte den Rest seiner Flasche mit einem Zug und zuckte erneut mit den Schultern. »Ist ja dein Leben«, meinte er an Quinn gewandt. »Wenn du meinst, dir eine Hexe ins Bett holen zu müssen, bitte sehr. Sag hinterher nur nicht, dich hätte keiner gewarnt … wenn du überhaupt noch reden kannst.«

»Sie haben den Pakt damals aufgelöst, nicht uns umgebracht.« Doch Quinn wusste, dass diese Erklärung vergeudete Liebesmühe war. Jayden wollte daran glauben, dass etwas Schlimmes passieren würde und sie reingelegt werden sollten. Quinn konnte nur seinen Plan durchziehen und ihm dabei beweisen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Sie mussten fortbestehen und es war nun einmal so, dass sie keine Kinder mit normalen, sterblichen Frauen zeugen konnten. Vor über einem Monat hatte er mit Cynthia Kontakt aufgenommen und sie hatte sich durchaus kompromissbereit gezeigt. Bei einem Treffen am nächsten Tag wollten sie die letzten Detailfragen klären, ehe sie einen neuen Pakt zwischen ihren Arten aushandeln würden. Einstmals hatten die Hexen sie gebraucht, um vor ihren Verfolgern sicher zu sein. Nun war es an den Werwölfen, Hilfe bei den Hexen zu suchen. Es musste Jayden nicht gefallen, eigentlich gefiel es Quinn selbst nicht, er war zu sehr Alpha, um sich freiwillig derart auszuliefern, aber zum Wohl seines Rudels blieb ihm nichts anderes übrig, als eine Verbindung mit Cynthias Tochter anzustreben und dafür zu sorgen, dass aus dieser Verbindung Nachwuchs hervorkam.

Zwei Stunden und etliche Diskussionen später saß Quinn allein mit Ethan am Tisch.

»Du glaubst wirklich, dass es eine gute Idee ist?«, fragte er seinen besten Freund und sah ihn zweifelnd an. Wie konnte er, wenn Quinn selbst nicht recht daran glauben wollte.

»Ich glaube, dass du damit recht hast, dass es unsere einzige Möglichkeit ist. Was haben wir zu verlieren? Das Schlimmste, was passieren kann, ist natürlich, dass die Oberhexe eine potthässliche Tochter hat.«

»Du weißt, dass das wenig hilfreich ist?«, fragte Quinn ihn und fuhr sich mit einer Hand durch sein schulterlanges, dunkles Haar.

»Ich versuche lediglich, dich auf alle Eventualitäten vorzubereiten.« Mit diesen Worten schlug er Quinn gutmütig auf die Schulter und ließ ihn mit seinen Gedanken allein.

 

 

Jessa trat gerade aus ihrem Zimmer, beide Hände am Hinterkopf, um ihre dunklen Haare in einem Pferdeschwanz zu bändigen, als Ava sie beinahe umrannte. Mit beiden Händen packte die schlanke Blondine ihre Cousine bei den Schultern und zog sie mit sich zurück in deren Zimmer.

»Du musst mir helfen«, flehte sie und sah sie mit großen, blauen Augen an.

»Was ist denn los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

»So ähnlich …«

Jessa warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. »In fünf Minuten muss ich zur Arbeit oder ich bekomme Probleme, also, wo ist der Geist, was hat er angestellt und wieso läufst du vor ihm weg?«

»Um Himmels willen, sei leise«, flüsterte Ava und blickte ängstlich zur Tür.

»Ich wollte euch heute Abend doch alles erzählen, was ich darüber weiß, was Ma vorhat. Tja, die Kurzfassung muss jetzt schon her: Sie will mich mit einem Werwolf verkuppeln. Besagter Werwolf sitzt gerade unten mit einem anderen Werwolf und unterhält sich mit Ma. Und sie erwartet, dass ich da gleich auftauche, als wäre ich ein Pferd auf dem Viehmarkt, das sie anpreisen kann. Ich will das nicht, Jessa. Bitte, du musst mir helfen.«

Jessa überlegte nur einen Augenblick lang. »Geh durch den Garten raus und in die Bibliothek oder zu Leah oder sonst wohin, bis meine Schicht rum ist. Ich bringe den Tee rein und mache mich auf den Weg zur Arbeit.«

»Aber wenn Ma fragt …«

»Sag ich, ich hab keine Ahnung, wo du bist und muss selbst dringend los.

Ava umarmte sie überschwänglich und bedankte sich mehrere Male bei Jessa, während sie zusammen in die Küche gingen, aus deren Hintereingang sich Ava durch den Garten davonstahl.

Kopfschüttelnd sah Jessa ihr nach, bevor sie das schon bereitgestellte Tablett in die Hände nahm und mit der Hüfte die Tür zum Wohnzimmer aufstieß. Wie schlimm konnte so ein Werwolf schon sein?

 

 

Quinn unterdrückte den Drang, sich die Handflächen an seiner Jeans abzuwischen. Er versuchte sich einzureden, dass Ethans Scherz am Vorabend ihn ungerührt ließ. Er scheiterte kläglich. Es war nicht nur der Gedanke daran, dass Cynthias Tochter hässlich sein könne, nein, es war mehr der Gedanke, dass sie ihrer Mutter zu sehr ähneln könne, der ihn beunruhigte. Alles in ihm drängte danach, sich so weit weg von der Hexe ihm gegenüber aufzuhalten, wie es ihm möglich war. Quinn wusste, dass die Abneigung, die er gegen Cynthia verspürte, auch auf Jayden übergriff, der neben ihm saß. Es fehlte nur noch, dass sein Beta die Hexe anknurrte.

»Ich bin wirklich froh, dass wir dieses kleine Treffen noch so kurzfristig arrangieren konnten«, flötete Cynthia und Quinns Nackenhaare stellten sich auf. Er konnte nicht einmal genau sagen, was diese Frau an sich hatte, das ihn dermaßen beunruhigte. Vielleicht war es auch vielmehr so, dass Jaydens Misstrauen auf ihn übertragen wurde und seine eigenen Gefühle überdeckte.

»Ich bin überzeugt davon, eine Verbindung zwischen Ava und Ihnen wird Wölfe und Hexen wieder einander annähern. Schließlich sind wir alle Kinder des Mondes, nicht wahr?« Cynthia wandte den Kopf zur Küchentür und seufzte. »Wenn ich nur wüsste, wo sie steckt …«

Als hätte sie auf ihr Stichwort gewartet, öffnete sich die Küchentür.

»Ah, da ist sie ja, darf ich vorstellen … was …«

Quinn blendete Cynthias Stimme aus. Er ignorierte Jaydens Anspannung, sein Misstrauen, die Wut, die er von Cynthia ausgehen spürte. Alles verblasste augenblicklich, als sich jeder seiner Sinne auf die Frau konzentrierte, die gerade mit einem silbernen Tablett in der Hand hereinschritt.

Sein Blick musterte sie ungeniert, nahm jeden Zentimeter von ihr auf, während sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen legte. Seine Befürchtungen lösten sich gerade vor seinen Augen in Schall und Rauch auf. Sie ähnelte Cynthia kein Bisschen, im Gegenteil: Sie war perfekt.

Er ertappte sich dabei, wie er den Zopf lösen wollte, in dem sie das dunkle Haar trug, nur, um zu sehen, wie es ihr um die Schultern fiel, um die Hände darin zu vergraben, während er ihren Mund in Besitz nahm. Diese Lippen … voll und rot und in diesem Augenblick zu einem Schmunzeln verzogen. Das dunkle Poloshirt mit dem Aufdruck eines Diners in der Innenstadt gab gerade einmal den Ansatz ihres Dekolletés frei und Quinn spürte, wie seine Finger zuckten, während er daran dachte, ihr dieses störende Kleidungsstück über den Kopf zu streifen. Die Jeans könnten direkt folgen, schoss es ihm durch den Kopf. Er wollte die Rundungen ihres Körpers ohne hinderliche Stoffbarrieren sehen, wollte sie an sich ziehen und sie fühlen. Der Wolf in ihm hätte am liebsten aufgeheult.

Quinn hatte gefürchtet, ein halbes Kind vorzufinden, ein blondes Püppchen, eine jüngere Ausgabe Cynthias, zu jung, zu zerbrechlich …

Die Frau vor ihm war keineswegs zerbrechlich und ihr war nicht entgangen, wie Quinn auf sie reagierte. Das wurde ihm bewusst, als es ihm gelang, seine Augen wieder zu ihrem Gesicht zu erheben und ihren Blick zu treffen. Ihre dunklen Augen funkelten schalkhaft, das Schmunzeln umspielte noch immer ihre Lippen.

Nun war es seine Kehle, in der ein Knurren aufsteigen wollte, als sie sich vorbeugte und das Tablett auf dem Tisch abstellte. Sie hielt seinen Blick gefangen und Quinn kostete es all seine Kraft, sie nicht einfach an sich zu ziehen.

Jayden bewegte sich kaum merklich neben ihm, aber es genügte, um Quinn daran zu erinnern, wo er war und mit wem. Er biss die Zähne aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Der Wolf in ihm drängte ihn, sie in Besitz zu nehmen, sein Revier zu markieren und dem Möchtegernkonkurrenten, als den er Jayden in diesem Augenblick wahrnahm, unmissverständlich klarzumachen, dass er sich von ihr fernzuhalten hatte. Sie gehörte ihm. Noch nie zuvor hatte er derartig stark auf eine Frau reagiert. Für einen Moment fragte er sich, ob dies hier mit rechten Dingen zuging, oder ob nicht doch Hexerei im Spiel war.

»Ich weiß es nicht«, sagte die dunkelhaarige Schönheit und löste langsam den Blick von seinen Augen. Quinn zuckte zusammen, fühlte sich ertappt.

»Was soll das heißen, du weißt es nicht? Ava war gerade noch hier!«, fuhr Cynthia die jüngere Frau an. Diese reckte das Kinn und warf den Kopf leicht nach hinten. Die Bewegung ließ ihren Zopf wippen, verbreitete ihren Duft im Zimmer. Quinn atmete tief ein, vergrub die Fingernägel noch mehr in den Handflächen.

»Ich sagte doch, ich weiß nicht, wo Ava ist. Ich bin spät dran und muss zur Arbeit. Ich dachte nur, ich bin so nett und bringe den Tee raus, der in der Küche stand.«

»Wenn du so spät dran bist, kannst du ja jetzt gehen. Du wirst hier nicht gebraucht.«

Quinn biss sich auf die Lippen, um Cynthia nicht zu widersprechen. Und ob sie gebraucht wurde, er brauchte sie!

Doch die junge Frau rauschte bereits an ihm vorbei und ehe er noch einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte er, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Ihr Duft verharrte noch einen Augenblick lang, hüllte ihn ein. Als er verflog, war es, als habe jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über Quinn ausgeschüttet.

»Entschuldigen Sie bitte, meine Nichte hat keinerlei Manieren. Sie ist so ganz anders als Ava.« Cynthia schnalzte mit der Zunge. »Nun, was will man tun, sie gehört zur Familie, auch wenn ich zugeben muss, ich bin froh, wenn Jessa auf eigenen Beinen steht und auszieht. Aber kommen wir nun zurück zum Grund Ihres Besuchs …«

Das Gefühl des Eiswassers verstärkte sich und das Hochgefühl, das Quinn kurz zuvor ergriffen hatte, verflog gänzlich.

---ENDE DER LESEPROBE---