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Endlich der langersehnte Lesenachschub von der SPIEGEL-Bestseller-Autorin Julia Kuhn! **Eine irische Feen-Academy, dunkle Geheimnisse und eine verbotene Liebe** Die Moonlight Academy an der Küste Irlands zählt zu den geheimnisvollsten Orten der Feenwelt. Doch für Elanor bedeutet sie vor allem eins: einen Neuanfang. Dieser gestaltet sich allerdings schwerer als gedacht, denn auf einmal steht ihr wieder Elijah gegenüber – der Junge, der für sie verboten ist. Im Gegensatz zu dem mysteriösen Kylian, der mit seinen Tattoos und der anziehenden Art eine neue Seite in ihr weckt. Fest entschlossen, sich davon nicht ablenken zu lassen, konzentriert sich die Mondfee ganz auf ihre magische Ausbildung. Diese hält jedoch unerwartete Herausforderungen für sie bereit, denn das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse gerät ins Wanken und droht die Feenwelt in ihren Grundfesten zu erschüttern … Persönliche Leseempfehlung von der Autorin und Buchbloggerin Elle Ellis (@thebookelle): »Romantisch, knisternd und magisch. Eine herzzerreißende Geschichte an der Küste Irlands, die mich verzaubert hat.« //»Moonlight Academy. Feenzauber« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// //Weitere Bände aus der magischen Ravenhall-Welt: -- Ravenhall Academy 1: Verborgene Magie --Ravenhall Academy 2: Erwachte Magie Diese Reihe ist abgeschlossen.//
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Veröffentlichungsjahr: 2024
ImpressDie Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Julia Kuhn
Moonlight Academy: Feenzauber
**Eine irische Feen-Academy, dunkle Geheimnisse und eine verbotene Liebe**
Die Moonlight Academy an der Küste Irlands zählt zu den geheimnisvollsten Orten der Feenwelt. Doch für Elanor bedeutet sie vor allem eins: einen Neuanfang. Dieser gestaltet sich allerdings schwerer als gedacht, denn auf einmal steht ihr wieder Elijah gegenüber – der Junge, der für sie verboten ist. Im Gegensatz zu dem mysteriösen Kylian, der mit seinen Tattoos und der anziehenden Art eine neue Seite in ihr weckt. Fest entschlossen, sich davon nicht ablenken zu lassen, konzentriert sich die Mondfee ganz auf ihre magische Ausbildung. Diese hält jedoch unerwartete Herausforderungen für sie bereit, denn das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse gerät ins Wanken und droht die Feenwelt in ihren Grundfesten zu erschüttern …
Endlich der langersehnte Lesenachschub von der SPIEGEL-Bestseller-Autorin Julia Kuhn!
Wohin soll es gehen?
Buch lesen
Vita
Landkarte
Irlands Feenwelt
Elanors Playlist
Liebeskummer-Playlist für Kylian
© Selina Marie Photography
Julia Kuhn wurde 1996 in Süddeutschland geboren und lebt mit ihrem Ehemann auch heute noch dort. Wenn sie nicht gerade an ihren eigenen Geschichten schreibt, schwelgt sie in Buchwelten und teilt ihren Alltag als Autorin auf ihrem bekannten Instagram- und TikTok-Account @july_reads. Ihr Romandebüt, die Fantasy-Dilogie »Ravenhall Academy«, erklomm auf Anhieb Platz 2 der SPIEGEL-Bestsellerliste und hielt sich wochenlang unter den meistverkauften Büchern Deutschlands.
Für Norena.
Weil du meine gute Fee bist.
Elanors Playlist
Twin Flame – Machine Gun Kelly
Tell Me Ma – Sham Rock
Never Say Never – The Fray
Hold On – Chord Overstreet
Roundtable Rival – Lindsey Stirling
Heart Attack – Into The Nightcore
Hurtless – Dean Lewis
Climb – 24kGoldn, Machine Gun Kelly, Tommy Lee, Audio Cateau
Never There – Sum41
You Were There For Me – Henry Moodie
Just A Dream – Nelly
Replay – Davai, CIRE
National Anthem – Lana Del Rey
The Other Side – Into The Nightcore
Take It Off – Kesha
Story of My Life – One Direction
What Makes You Beautiful – One Direction
Gasolina – Daddy Yankee
She Keeps Me Up – Nickelback
Prolog
Mein Atem ging stoßweise und ich wagte es nicht, mich zu rühren. Mein Körper … er fühlte sich so schwer an. Als würde eine unsichtbare Kraft mich erdrücken. Und da war diese Schwärze, die nach mir griff und mich zu verschlucken drohte. Ein beklemmendes Gefühl gemischt mit aufkommender Panik breitete sich in mir aus und schnürte mir unnachgiebig die Kehle zu. Atmen, ich musste atmen. Mühsam kämpfte ich dagegen an, Sekunde um Sekunde, bis sich die Dunkelheit um mich herum endlich zurückzog. Umrisse, die sich nach und nach zu einem Raum formten, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, traten an ihre Stelle. Karge Einrichtung, Wände gefertigt aus altem Mauerwerk und keine Anzeichen von Technik ließen darauf schließen, dass er einem längst vergangenen Jahrhundert entsprungen war. Genau wie die junge Frau, die über ein Buch gebeugt auf einem Stuhl kauerte. Zeile für Zeile schien sie darin zu lesen, bis ihr Murmeln teilweise für mich verständlich wurde.
»… Wenn das neunzehnte Lebensjahr zweier Mitglieder … Havswood und Lightwell verstrichen ist und … Akt der Liebe zwischen ihnen … diese für sieben Jahre verflucht und von Pech verfolgt. So soll es geschehen …«
Ich machte einen zaghaften Schritt auf die Frau zu, die mit ihrem langen schwarzen Kleid aus Seide fast wie die Personifizierung der Dunkelheit selbst wirkte. Im nächsten Moment erhob sie sich, klappte das Buch zu und kam auf mich zu. Sie schien mich nicht zu sehen und mit jedem Schritt, den sie tat, begann mein Herz schneller zu schlagen. Aber bevor sie durch mich hindurchtreten konnte, umspielte mich ein kühler Windhauch, der mit einem Sog einherging und mir das Gefühl gab, den Halt unter den Füßen zu verlieren. Ich fiel immer schneller und schneller …
»Elanor!«, erklang es aus der Ferne, wurde immer deutlicher und riss mich schließlich aus der alles durchdringenden Schwärze.
Schwer atmend schlug ich die Lider auf und blickte benommen in lavendelfarbene Augen, die meinen so ähnlich waren. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass meine Mutter tatsächlich in meinem Zimmer stand. Was in Anbetracht unseres angespannten Verhältnisses wirklich seltsam war.
»Was tust du hier?« Langsam richtete ich mich etwas auf und stützte mich mit den Ellbogen auf meinem Bett ab.
»Ich habe dich schreien gehört und dann hast du etwas vor dich hingemurmelt«, drangen ihre Worte an mein Ohr. »Elanor, du hattest eine Vision, oder?« Bedächtig ließ sich meine Mutter neben mich auf das Bett sinken.
Was? Eine Vision? Mühsam versuchte ich mich daran zu erinnern, was Sekunden zuvor geschehen sein musste. Allein von dem Gedanken beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich hatte zwar gewusst, dass Mondfeen Visionen bekommen konnten, aber bisher hatte ich nie eine gehabt und war ehrlich gesagt froh darum gewesen. Schließlich bedeuteten Visionen in den seltensten Fällen etwas Gutes. Und genau das war nun auch der Grund, weshalb ich mich dazu zwang, die Bilderfetzen in meinem Kopf zusammenzufügen. Da war diese Frau gewesen … ihre Worte, die wie ein dunkles Versprechen in mir nachhallten … und … ungläubig starrte ich zu meiner Mutter, in deren Blick ich nun einen Hauch von Enttäuschung gemischt mit Gewissheit erkannte.
»Du scheinst langsam wieder zu dir zu kommen. Schön, dann kannst du mir ja vielleicht mal erklären, was hier vor sich geht.« Ihre Stimme war ruhig. Viel zu ruhig. Abwartend ruhig. Wie die Ruhe vor dem Sturm.
Ich schluckte schwer und überlegte fieberhaft, was ich antworten sollte, da ich es selbst noch nicht ganz verstand. Hatte die Vision etwas mit Elijah und mir zu tun? Doch sie hatte von Havswood und Lightwell gesprochen … und von einer Liebe. Und da sich unsere Familien nicht ausstehen konnten, blieb nur eine Möglichkeit … Wir waren gemeint. Unwillkürlich fiel mir das Atmen schwerer und die Sicht verschwamm vor meinen Augen. Nein, nein, nein. Bitte nicht! Schließlich hatte ich es fünf Jahre lang geschafft, Elijah und mein Geheimnis zu bewahren.
»Elanor, du hast vor dich hingemurmelt, als du die Bilder gesehen hast. Ich weiß Bescheid«, erklärte meine Mutter kühl und durchbrach damit die bedrückende Stille, die sich über uns gelegt hatte. Dann stand sie ruckartig auf und verschwand aus meinem Zimmer.
Wie benommen schaute ich ihr nach, kaum in der Lage zu begreifen, was hier gerade geschah. Doch bevor ich überhaupt richtig durchatmen konnte, erklang ein Poltern aus dem Nebenraum, das von der Leiter unserer hauseigenen Bibliothek stammen musste. Kurze Zeit später trat meine Mutter mit einem ledergebundenen Buch in der Hand wieder in mein Sichtfeld.
»W-was ist das?«, fragte ich leise, obwohl ich nicht mal wusste, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte. Noch immer fühlte ich mich, als wäre ein Teil von mir in der Vision gefangen, während die grausame Wahrheit in der Realität lauerte.
»Ein uraltes Tagebuch, das mir meine Großmutter vererbt hat. Es erzählt die Geschichte von Lisea Brennan. Sie hat damals einen Fluch über die Familien verhängt. Den Fluch aus deiner Vision.«
Verwirrt blickte ich von meiner Mutter zu dem Buch und wieder zurück. Meine Lippen versuchten zwar Worte zu formen, aber ich schaffte es nicht, einen vernünftigen Satz zu bilden. Das hielt meine Mutter natürlich nicht davon ab weiterzusprechen.
»Weißt du, ich hatte schon oft den Verdacht, dass zwischen dem Havswood-Jungen und dir mehr ist. Elanor, ich bin enttäuscht von dir. Wie konntest du uns so belügen und eine Beziehung mit einem von ihnen eingehen? Wo du doch weißt, dass unsere Familien seit vielen Jahrzehnten verfeindet sind! Sie haben uns damals das Stück Land mithilfe von Feenmagie genommen und, und …« Aufgebracht fuhr sich meine Mutter mit der Hand über ihr Gesicht, bevor sie mich wieder anschaute. »Und Fakt ist, eure Beziehung ist nun Vergangenheit. Denn der Fluch existiert wirklich. Da du heute neunzehn wirst, gewinnt er an Wirksamkeit. Denn das ist genau das Alter, in dem einst deine Vorfahrin war, als der Fluch ausgesprochen wurde. Und dieser würde uns alle in den Abgrund reißen!«
Hörbar atmete ich ein und aus, nicht in der Lage, die vielen Gedanken zu sortieren, die jetzt in meinem Kopf umherschwirrten.
»Ich …«, setzte ich kopfschüttelnd an und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Mir wurde das alles zu viel. Die Worte meiner Mutter, die Vision, all die Geheimnisse der letzten Jahre. Vielleicht war es endlich Zeit für die Wahrheit. Und bevor ich mich bremsen konnte, sprudelten die Worte aus mir heraus.
»Ja, ich bin mit Elijah zusammen. Und das seit fünf Jahren!« Ihre Reaktion abwartend blickte ich wieder zu ihr und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich kurz davor war, innerlich zu zerbrechen.
»Du warst mit ihm zusammen«, korrigierte sie mich und zog dabei den Kragen ihres Morgenmantels fast schon grob zurecht.
»Aber wie kann das sein, dass dieser Fluch überhaupt existiert?« Ihre Aussage ignorierte ich vorerst, weil ich noch immer nicht verstand, was es mit diesem Fluch auf sich hatte.
»Das kannst du alles in dem Tagebuch nachlesen.« Meine Mutter reichte mir das Exemplar, das offensichtlich die besten Jahre schon hinter sich hatte. Zumindest ließen die vergilbten, brüchigen Seiten und das abgenutzte Leder darauf schließen.
»Wieso hast du mir nie davon erzählt?« Vorsichtig fuhr ich mit dem Zeigefinger die filigranen Muster auf dem Einband nach.
»Wieso hast du mir nie davon erzählt, dass du dich auf einen Havswood eingelassen hast?«, schoss sie zurück, doch bevor ich darauf eingehen konnte, fuhr sie fort. »Weil es nicht akzeptabel ist. Nicht in deiner Position. Und genau aus dem Grund hatte ich angenommen, dass dieser Tagebucheintrag niemals relevant werden würde. Jetzt lies die erste Seite, wir sprechen uns morgen früh.« Meine Mutter schenkte mir noch einen letzten vernichtenden Blick, dann wandte sie sich ab und verließ den Raum.
Fassungslos blickte ich ihr hinterher und war erst nach einigen Minuten in der Lage, das Tagebuch aufzuschlagen. Dann begann ich zu lesen.
13. Mai 1795
Schon lange Zeit bevor die Menschen unsere Feenstadt überfielen, habe ich die Bedrohung gespürt. Der Wind hat vor der sich anbahnenden Gefahr gewarnt, während düstere Wolken Unheil versprachen. Ich hingegen habe die Vorzeichen ignoriert, denn ich war vollends gefesselt von dieser einen Liebe.
Erwin Havswood. So heißt der Mann, den ich begehre und eines Tages heiraten sollte. Doch ich weiß schon seit Langem, dass er eine Liebschaft mit der Lightwell-Erbin verbirgt. Unzählige Male habe ich beobachtet, wie sie heimlich unter den Obstbäumen des Dorfes verliebte Blicke tauschen und sich an der Gegenwart des anderen erfreuen. Dabei würden ihre Familien niemals zulassen, dass sie den Bund der Ehe eingehen. Aber an dem heutigen Tage sind sie zu weit gegangen. Sie haben einen Plan geschmiedet, um gemeinsam die Stadt zu verlassen. Um durchzubrennen und vermählt in die Arme ihrer Familien zurückzukehren. Lightwells und Havswoods miteinander vereint. Eine Familie, ein Land, ein Anwesen. Und ich, die so viele Jahre um das Ansehen der Familie Havswood gekämpft hat, wäre leer ausgegangen. Ohne die Reichtümer, die mir nun einmal zustehen. Das konnte ich nicht zulassen.
Und so bin ich aus meinem Versteck gekommen und habe sie in einer Gosse abgefangen. Verhüllt in einen schwarzen Umhang habe ich mein Gesicht vor ihnen verborgen und dann den Fluch ausgesprochen, den ich mir fein säuberlich zurechtgelegt hatte.
»So trenne, was nicht zusammengehören darf, kraft eines Fluches, der allein durch einen Kuss sieben Jahre Pech für die Familien verspricht. Das Leid möge sich an die Nachfahren ab Vollendung ihres neunzehnten Lebensjahres binden und die Liebe schwinden.«
Kaum hatte ich die Worte gesprochen, bin ich verschwunden und habe sie ihrem Schicksal überlassen. Eine gerechte Strafe für das, was Erwin Havswood mir angetan hat. Und dieses Schicksal der Familien wird noch über mein Ableben hinaus Bestand haben.
Langsam ließ ich das Tagebuch sinken und starrte in die Dunkelheit meines Zimmers. Mit jedem Satz war mein Herz schwerer geworden. Das durfte einfach nicht wahr sein …
Ohne darüber nachzudenken, klappte ich das Buch zu und sank zurück in die weichen Kissen. Ich musste mit Elijah reden. Sofort. Also entschied ich mich für den Weg, den ich bereits seit fünf Jahren so viele Male gegangen war. Ich würde ihn in seinen Träumen besuchen.
Voller Sorge und Zweifel starrte ich zu der stuckverzierten Decke und beobachtete die tanzenden Schatten, die das Mondlicht durch das Fenster erschuf. Für einen Moment überlegte ich, wie ich ihm all das beibringen sollte und ob es die richtige Entscheidung war. Aber mir war bewusst, dass ich es tun musste. Zitternd atmete ich ein und aus, konzentrierte mich auf meine Magie und schloss die Augen.
Das Meer lag ruhig vor mir und am Himmel zeichneten sich bloß vereinzelte Wolken ab. Alles schien friedlich zu sein in der Traumwelt von Elijah. Nur wie lange noch?
Langsam näherte ich mich der Hütte, die unser Zufluchtsort sowohl in der realen als auch in der Traumwelt war. Ich wusste, dass er bereits auf mich wartete. Das spürte ich einfach. Aber wie sollte ich ihm von dieser Vision erzählen? Was, wenn es danach kein Wir mehr gab? Und was, wenn …
Plötzlich ging die Tür auf und Elijah kam zum Vorschein. Ein breites Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Happy Birthday, Moonshine!« Er nahm mein Gesicht in seine Hände und wollte mich gerade küssen, als er meinen Gesichtsausdruck zu bemerken schien. Ich war noch nie eine Meisterin im Verheimlichen gewesen.
»Was ist los?« Er musterte mich aufmerksam und erst als er eine Träne von meiner Wange wischte, stellte ich fest, dass ich weinte.
»Ich …« Meine Stimme versagte.
Wortlos griff er nach meiner Hand und führte mich ins Innere der Hütte, um mich sanft auf das Sofa zu drücken. Mein Blick schweifte unruhig durch unseren Rückzugsort. Erinnerungen stiegen in mir auf und ich musste daran denken, wie oft er im Kamin für uns ein Feuer entfacht hatte, während ich in der kleinen Küchenzeile Kakao kochte …
Minuten mussten verstrichen sein, bis ich wieder zu ihm schaute und versuchte die richtigen Worte zu finden.
»Elijah, ich hatte eine Vision …« Und dann erzählte ich ihm alles. Von der Frau, unseren Vorfahren und dem Fluch. Doch mit jedem Satz, den ich über die Lippen brachte, sah ich in seinen Augen größeres Entsetzen aufflackern.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, flüsterte er, sobald ich geendet hatte, und der Schmerz in seinen Worten drohte mich innerlich zu zerbrechen.
»Wir kriegen das doch hin, oder?« Da war noch ein letzter Funken Hoffnung in mir, an den ich mich verzweifelt klammerte.
»Elanor. Ich verstehe einfach nicht, was das alles zu bedeuten hat.« Er fuhr sich mit der Hand durch das braune Haar und die Zweifel in seinen grünen Augen mischten sich mit Sorge und einem Hauch von Angst. Dieselbe Angst, die mit jeder Sekunde ihre Fesseln enger um mich schnürte. Die Angst, dass wir uns verlieren würden. Wegen eines Fluchs, der vor langer, langer Zeit ausgesprochen worden war und uns nun einholte.
»Bitte sag mir, wir finden eine Lösung«, beschwor ich ihn erneut.
Doch in dem Moment, in dem er sich zu mir drehte, nach meiner Hand griff und in meine Augen sah, ahnte ich, dass die Pläne für unsere Zukunft nichts mehr als ein Wunsch bleiben würden.
»Ich weiß es nicht. Wie auch? Visionen von Mondfeen entsprechen stets dem, was geschehen ist oder noch geschehen wird. Wie sollen wir also an unserer Liebe festhalten, wenn sie unsere Familien verflucht, sollten wir uns nur küssen?« Er klang traurig. So traurig, dass es mir beinahe das Herz zerriss. »Du weißt, dass du alles für mich bist. Aber allein der Gedanke, dass wir unsere Familien zerstören könnten … Ich glaube nicht, dass ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Auch wenn es mir das Herz bricht.«
»Elijah, ich …«, haspelte ich erstickt und die Tränen liefen mir nun unaufhaltsam über die Wangen.
»Es tut mir leid. So verdammt leid …«
Und dann verblasste der Traum.
Kapitel 1
Die Enzyklopädie – Welt der Feen umfasst uraltes Wissen, das über Jahrzehnte hinweg zusammengetragen worden ist. Wer sie studiert, findet in ihrem Inneren Legenden, Erzählungen und Niederschriften aus längst vergangenen Tagen und der Gegenwart.
ENZYKLOPÄDIE – WELT DER FEEN, KAPITEL 1
DREI WOCHEN SPÄTER
Hier stand ich also. Vor einem hoch aufragenden Schloss an der Küste Irlands, das umgeben war von einem Meer aus Blumen und Efeuranken. So, wie es sich für eine Feen-Academy wohl auch gehörte. Die meisten sahen diesen Ort als Quelle des Wissens und Lernens. Aber für mich hielten die alten Gemäuer eine unausgesprochene Hoffnung bereit. Eine Hoffnung, die mich Tag und Nacht begleitete. Die mir den nötigen Halt gab, um nach vorne zu schauen. Und mir einen Neuanfang versprach.
Mein Blick schweifte über den prächtigen Hof und ich erkannte einen mit Blumenbeeten gesäumten Weg, der zu dem imposanten Schloss mit seinem hohen Glockenturm und etlichen kleineren Türmchen hinführte.
Ich seufzte leise auf und strich mir eine Haarsträhne zurück hinters Ohr. Wenn ich diesen Hof überquerte, dann würde ich alles hinter mir lassen. Ich würde ihn hinter mir lassen. Und dazu war ich bereit. Bereit, hier ein neues Zuhause zu finden. Das musste ich einfach. Viel zu oft hatte ich mich in den letzten Wochen in einem Gedankenstrudel verloren, der gedroht hatte, mich mit sich zu reißen. Aber damit sollte nun Schluss sein. Wie mit so vielen Dingen, die ihren Schatten auf mich geworfen hatten.
Entschlossen atmete ich die kühle Meeresluft ein und folgte dem Weg zum Schloss. Von Weitem sah ich bereits meinen Bruder auf mich zukommen. Als er mich entdeckte, beschleunigte er seine Schritte.
»Du bist endlich da«, begrüßte mich Paxton mit einem Grinsen auf den Lippen, als hätte er mich ewig nicht mehr zu Gesicht bekommen. Dabei waren es erst zwei Tage.
Ich erwiderte sein Lächeln. »Wann wolltest du mir erzählen, dass du schon vor mir eintriffst? Hat Mutter dich geschickt?«
»Ich musste noch etwas im Auftrag des Feenrates erledigen, deswegen bin ich bereits gestern angereist.« Er deutete mit einer Handbewegung auf die etlichen Schüler und Schülerinnen, die sich im vorderen Teil des Schlosshofes tummelten. »Gestern war es so still, dass man nur das Geheule der Geister hören konnte, und nun muss man aufpassen, nicht umgerannt zu werden.«
Ich hob eine Augenbraue. »Sollte es hier tatsächlich Geister geben, hoffe ich, dass sie uns wohlgesonnen sind. Oder bist du schon einem über den Weg gelaufen?« Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen, auch wenn mir natürlich bewusst war, dass es in unserer Welt tatsächlich Geister gab. Meine Freundin Lilly hatte sogar während meines Austauschjahres an einer Hexen-Academy gegen welche gekämpft. Also echte Geister, die aus der Anderswelt geflohen waren, und nicht solche, wie sie mein Bruder vielleicht gesehen hatte. Denn dabei handelte es sich in den meisten Fällen um Naturnymphen.
Nichtsdestotrotz fand ich die verschiedenen Wesen, die auf dieser Erde wandelten, wirklich faszinierend und freute mich darauf, in den nächsten Monaten noch mehr über sie zu erfahren. Denn laut Stundenplan, den ich vor einer Woche per Post erhalten hatte, war Geschichte der übernatürlichen Wesen auch hier Teil des Unterrichts.
Paxton unterbrach meine Gedanken, indem er brummend nach dem Koffer in meiner Hand griff und mir bedeutete, den Rucksack abzunehmen. Ich folgte seiner Aufforderung nur zu gerne, denn dieser war bis oben hin vollgestopft mit allerlei Kram, den ich als notwendig für meine Zeit auf der Moonlight Academy erachtete. Wie alle Vampire-Diaries-Folgen auf DVD. Paxton schien das zusätzliche Gewicht zumindest nichts auszumachen, während er sich umdrehte und losmarschierte.
Wortlos folgte ich meinem großen Bruder den gepflasterten Weg entlang, bis wir letztendlich das steinerne Gebäude mit den hohen Türmen erreichten. Dahinter schimmerte das Meer in all seiner Pracht und harmonierte perfekt mit den vielen verschiedenen Blumen, die sich vor dem Gebäude sammelten.
Während Paxton immer wieder Schüler und Schülerinnen begrüßte, wurde ich mit jedem Schritt aufgeregter. Zwar war dies mein drittes Ausbildungsjahr, dennoch fühlte es sich wie das erste an. Schließlich war es eine neue Academy für mich. Ich würde mich ein weiteres Mal einleben und von vorne anfangen müssen. Aber ich sollte die Vergangenheit hinter mir lassen und in die Zukunft blicken. Denn Er war nicht hier.
»Worüber grübelst du, Schwesterchen?«, riss mich Paxton aus den Gedanken. Schon früher hatte er ein gutes Gespür dafür gehabt, wann ich mich mal wieder in meiner Gedankenwelt verloren hatte. Denn während er der pragmatische Typ war, hing ich lieber Tagträumereien nach. Und das, obwohl wir beide Mondfeen waren und dieselben Fähigkeiten teilten.
Langsam schüttelte ich den Kopf. »Nichts Wichtiges.« Um schnell vom Thema abzulenken, fragte ich beiläufig: »Wirst du eigentlich auch einer meiner Lehrer sein?«
Paxton hatte erst vor wenigen Wochen erfahren, dass er an der Moonlight Academy als Lehrer angenommen worden war und nun unterrichten durfte. Ich freute mich für ihn, denn damit ging sein Kindheitswunsch in Erfüllung. Außerdem würde ich ihn so öfter sehen.
Er schmunzelte. »Wäre das denn schlimm, wenn dich dein Bruder in Geschichte der übernatürlichen Wesen unterrichtet?«
Ich warf ihm einen vielsagenden Seitenblick zu, woraufhin Paxton zu lachen begann.
»Und was ist mit dem Kampfsporttraining? Übernimmst du das?« Bis vor ein paar Tagen hatte er selbst noch nicht gewusst, ob er beide Stellen besetzen würde. So oder so stellte es eine Abwechslung zum Bogenschießen dar, das während meines ersten Ausbildungsjahres an der Skyfall Academy im Norden Irlands unterrichtet worden war – genauso wie bei meinem Austauschjahr an der Ravenhall Academy.
»Nein, du wirst Kylian als Trainer haben. Er wird euch genauso gut zeigen können, wie ihr euch auch ohne Feenmagie verteidigt.«
»Kylian? Ist das der, denn du vergangenen Sommer kennengelernt hast?«, erkundigte ich mich und dachte an einen der Briefe meines Bruders zurück, die er mir im Laufe seines Aufenthalts in den Kerry Highlands im Südwesten Irlands geschickt hatte. Er hatte davon gesprochen, einen neuen Freund gefunden zu haben, der im Kampf genauso begabt war wie er.
»Ja, das ist er.« Paxton hob meinen Koffer hoch und stemmte ihn die vielen Stufen empor, die zum Eingang der Academy führten.
Während ich hinter ihm die Treppe erklomm, ließ ich ein weiteres Mal meinen Blick über das uralte Gebäude schweifen. Mit den unzähligen Sprossenfenstern, deren Gläser teilweise im Sonnenlicht aufblitzten und bunte Elemente hatten, versprühte die Academy einen wirklich ganz besonderen Charme.
Lächelnd riss ich mich davon los und betrat die Eingangshalle, die ein besonderes Highlight für uns bereithielt. Denn vor uns plätscherte ein Brunnen, der im Zentrum der Halle stand. Da im Untergeschoss der Academy der Feenrat tagte, war ich bereits oft hier gewesen. Und jedes Mal bewunderte ich aufs Neue den Brunnen des ewigen Mondlichts. Er war das Wahrzeichen der Academy. Sein Wasser kam aus dem Meer und wurde vom Mondlicht zum Strahlen gebracht. Sollte die Academy je in Gefahr sein, stellte er seine Dienste ein, um allen eine Warnung zu sein.
Ehrfürchtig schaute ich nach oben zu der hohen gewölbten Decke, in der ein großes rundes Loch prangte, durch das jede Nacht der Mond hindurchschien.
»Kommst du? Wir müssen ein Stockwerk weiter nach oben.« Paxton ging um den Brunnen aus hellem Marmor herum und führte mich zum Fuße einer geschwungenen Treppe, die wir gemeinsam emporstiegen.
»Im Westflügel befinden sich die Zimmer der Mädchen und im Ostflügel die der Jungs«, erklärte er mir, kaum dass wir das zweite Stockwerk erreicht hatten. Hier herrschte bereits reges Treiben. Schüler und Schülerinnen liefen mit ihren Koffern hin und her, unterhielten sich und in der Luft konnte man die Aufregung des ersten Schultages regelrecht greifen.
Dabei sollte man meinen, dass es für mich schon fast zur Gewohnheit geworden war, auf eine neue Academy zu gehen. Denn schließlich hatte ich im Gegensatz zu den meisten sogar die Möglichkeit bekommen, nach meinem ersten Jahr an der Skyfall die Ravenhall Academy für Hexen in London zu besuchen. Währenddessen hatten alle anderen, mit denen ich mein erstes Jahr auf der Skyfall verbracht hatte, bereits ihr zweites und letztes Jahr an der Moonlight absolviert. Und nun war ich ebenfalls hier, wenn auch mit einem Jahr Verzögerung. Aber da diese Austauschjahre sehr hoch angesehen waren in der Welt der Feen und ich dort Freunde fürs Leben gefunden hatte, war es das wert gewesen. Na ja, und weil ich mehr Zeit mit ihm hatte verbringen können … nein, stopp. Ich durfte nicht daran denken. Nicht jetzt. Nicht bei dem Versuch eines Neuanfangs.
Schnell riss ich mich zusammen und konzentrierte mich wieder auf Paxton, der mir meinen Koffer reichte. »Mein Zimmer findest du ein Stockwerk über dir, im Ostflügel. Es hat die gleiche Zimmernummer wie deins. Dort oben befinden sich alle Räumlichkeiten des Lehrpersonals. Da du ein Familienmitglied bist, hast du freien Zugang.«
»So gern ich dich auch habe, aber ich bin froh, wenn ich dich hier nicht allzu häufig sehen muss. Schließlich bist du mir die vergangenen Wochen kaum von der Seite gewichen.« Ich zwinkerte ihm zu, obwohl das vermutlich sogar noch eine Untertreibung gewesen war. In schlaflosen Nächten hatte Paxton mit mir meine Lieblingsserie geschaut und sich mindestens alle zehn Minuten nach meinem Wohlbefinden erkundigt. Liebeskummer war wirklich scheiße. Aber erträglicher, wenn man so einen Bruder hatte.
Er schnaubte bloß. »Du weißt wieso.«
»Ich bin über ihn hinweg«, nuschelte ich wenig überzeugend.
»Dir ist doch auch bewusst, dass ihr keine Zukunft gehabt hättet. Und ehrlich gesagt gibt es diesbezüglich noch etwas, was ich dir sag-«
»Mr Lightwell, ich habe Sie bereits überall gesucht. Es wurde kurzfristig ein Termin für alle Lehrkräfte angesetzt. Folgen Sie mir bitte«, unterbrach uns eine ältere Dame mit strengem Blick.
Mein Bruder lächelte mir entschuldigend zu, bevor er der Frau zunickte und wortlos mit ihr verschwand.
Für einen Moment starrte ich ihm noch hinterher, dann setzte ich mich seufzend in Bewegung. Den Koffer hinter mir herziehend steuerte ich auf den Westflügel zu und lief dabei einen langen Korridor entlang. Ich passierte unzählige Porträts vergangener Berühmtheiten der Feenwelt, bis ich die Tür mit der Ziffer Neun erreichte. Von einem Übersichtsplan, der uns vor einigen Tagen per Post erreicht hatte, wusste ich, dass dies mein neues Zuhause für die kommenden Monate sein würde.
Aufgeregt drückte ich die Türklinke nach unten und betrat das Zimmer. Sogleich wurde ich von Meeresrauschen und dem Duft nach Freiheit begrüßt. Das große Sprossenfenster, von dem aus man auf einen kleinen Balkon gelangen konnte, war geöffnet und gewährte mir einen Blick auf die Unendlichkeit des Meeres. Neben dem Fenster stand ein Bett, auf dem bereits meine Vampire-Diaries-Decke ausgebreitet lag. Offensichtlich das Werk meines Bruders, von dem ich sie hatte.
Grinsend stellte ich meinen Koffer am Fußende des Bettes ab und lief zielsicher nach draußen auf den Balkon. Die frische Brise wirbelte mein Haar auf und strich mir sanft über die Haut. Tief atmete ich den Geruch des bevorstehenden Sommers ein und ließ die Kulisse auf mich wirken. Früher hatte ich oft Ausflüge an die Küste Irlands unternommen. Sowohl mit meiner Familie als auch mit … ihm. Ich schluckte schwer. Allein seinen Namen auszusprechen oder gar zu denken, versetzte meinem Herzen einen schmerzhaften Stich. Damals war alles leichter gewesen. Selbst wenn wir unsere Beziehung geheim halten mussten … da war noch nicht der Fluch präsent gewesen, der uns nun voneinander fernhielt.
Schnell schüttelte ich den Kopf, als könnte ich die Erinnerungen so vertreiben, und begab mich wieder in mein Zimmer. Auf der anderen Seite des Raums stand ein Schreibtisch mit allen Lehrbüchern, die für dieses Schuljahr benötigt wurden. Zumindest nahm ich das an, denn ihre Titel stimmten mit den Unterrichtsfächern meines Stundenplans überein. Daneben war ein Wandschrank in das Mauerwerk eingelassen, der mit zarten Blütenblättern und goldenen Elementen verziert war. Zu meiner Rechten befand sich eine Tür, die zum angrenzenden Bad führen musste.
Ich warf einen kurzen Blick hinein und wandte mich dann meinem Koffer zu, klappte ihn auf und sortierte meine wenigen Habseligkeiten in den Schrank, in dem bereits meine Schuluniform hing. Ein dunkelblauer Rock mit weißer Bluse und Kniestrümpfen. Auf dem rechten Ärmel waren meine Initialen in goldener Schrift aufgestickt worden. Aber das war noch nicht alles. Auf Brusthöhe prangte ein Halbmond, der mich als Mondfee kennzeichnete, und direkt darunter war das Wappen der Academy abgebildet. Ein goldener Schlüssel auf filigranen Feenflügeln.
Mehrere Sekunden fuhr ich die Umrisse der Stickereien mit dem Finger nach, bevor ich schließlich meine normale Kleidung gegen die Uniform tauschte und den Rest in meinen Schrank hängte. Gerade als ich einen raschen Blick in den Spiegel warf, der gegenüber an der Wand hing, klopfte es an der Tür.
»Herein«, rief ich, während ich meine Mähne zu einem Zopf knotete. Kurz darauf schaute ich in allzu vertraute leuchtend gelbe Augen. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich lief meiner Cousine Leona entgegen, um mich in ihre Arme zu schmeißen. Sie erwiderte meine Umarmung stürmisch und als wir uns wieder voneinander lösten, strahlten ihre Augen noch eine Spur heller.
»Ich freue mich so, dass wir zusammen auf der Moonlight Academy sind! Als du in England warst, habe ich dich echt vermisst!« Meine Cousine kicherte und knuffte mir liebevoll in den Oberarm.
»Es ist schön, dich wiederzusehen! Wie war’s in New York? Dein Urlaub dort war schließlich der Grund, weshalb wir uns nicht früher getroffen haben, um unseren Vampire-Diaries-Marathon zu starten.« Eine Tradition, die wir vor vielen Jahren eingeführt hatten, als unsere Eltern wie so oft bis in die Nacht hinein für den Feenrat gearbeitet hatten. Da ihre Mutter alleinerziehend war, aber eine hoch angesehene Position im Feenrat bekleidete sowie einen kleinen Laden besaß, hatte Leona viel Zeit bei uns verbracht. Vielleicht fühlte es sich auch deshalb so an, als wäre sie mehr Schwester als Cousine.
»Die ersten zwei Wochen waren großartig, dann musste Mum allerdings zu einigen Sitzungen des amerikanischen Feenrats. Natürlich sollte ich sie begleiten. Superlangweilig, sag ich dir. Schließlich gibt es in Amerika kaum Feen und entsprechend auch nicht viel Redebedarf. Doch jetzt erzähl, wie geht es dir? Ich wäre gerne für dich da gewesen, nach der Trennung von … na ja, du weißt schon.« Leona seufzte.
Ich winkte ab und setzte mich auf mein Bett. Meine Cousine folgte mir und nahm gegenüber auf dem Schreibtischstuhl Platz.
»Du warst für mich da, selbst wenn uns ein Ozean getrennt hat.« Ich lächelte sie dankbar an und erinnerte mich an die vielen Telefonate und Nachrichten, mit denen sie mich nahezu stündlich bombardierte, nachdem ich ihr alles erzählt hatte. »Mir geht es okay. Es wird besser. Schließlich könnte das hier mein Neuanfang sein, oder?«, ging ich dann auf ihre Frage ein.
»Das wird es, ganz sicher!«, sagte Leona zuversichtlich.
»Ich habe übrigens etwas für dich aus London mitgebracht.« Ich stand auf, um meinen Rucksack zu suchen. Allerdings fand ich ihn nirgends. Mist. Wo konnte er nur … und da fiel es mir ein. Paxton.
»Wirklich? Wow, ist das aufregend! Du weißt, ich liebe Überraschungen«, rief Leona freudestrahlend.
»Ich glaube, du musst noch einen Moment darauf warten.« Ich seufzte. »Paxton hat meinen Rucksack aus Versehen mitgenommen. Ich schau kurz bei ihm vorbei, wartest du hier?«
Ich bekam ein Nicken zur Antwort und machte mich dann auf den Weg. Währenddessen rief ich mir Paxtons Worte ins Gedächtnis. Sein Zimmer war direkt über meinem und ich hatte laut ihm Zugang. Außerdem war bereits eine halbe Stunde verstrichen. Wenn ich Glück hatte, war der Termin schon vorüber und mein Bruder zurück.
Kaum hatte ich jedoch die Zimmertür hinter mir geschlossen, wurde ich fast überrannt, weil nun noch mehr auf dem Korridor los war als zuvor. Ich schlängelte mich durch die Menge und bahnte mir einen Weg die Treppe nach oben. Innerlich ärgerte ich mich darüber, dass Paxton in der Eile vergessen hatte, mir meinen Rucksack zu geben. Andererseits brachte mich diese Tatsache auch zum Grinsen, wenn ich bedachte, dass er nun mit einem abgenutzten Rucksack, auf dem Buttons von den Vampire-Diaries-Darstellern prangten, herumlief. Das war einer der Momente, in denen ich es großartig fand, die kleine Schwester zu sein.
Noch immer schmunzelnd bei dem Gedanken, überwand ich die letzte Stufe zum zweiten Stockwerk. Kurz orientierte ich mich und stellte schnell fest, dass es nicht viel anders aussah. Zumindest was die etlichen Porträts anging. Lediglich die vielen Bücher, die in der Mitte des Durchgangsraums in deckenhohen Regalen verstaut waren, unterschieden sich von der unteren Etage. Davor standen bequem aussehende Sessel, die zum Lesen einluden. Doch bevor ich dem Drang nachgab, mir die Bücher genauer anzuschauen, lief ich den Korridor zum Ostflügel entlang, in dem sich das Zimmer meines Bruders befinden musste. Gerade als ich bei Nummer acht ankam, tippte mir jemand auf die Schulter. Überrascht wirbelte ich herum und starrte in das Gesicht einer Frau, die mich streng über ihre Lesebrille hinweg anschaute.
»Schülern und Schülerinnen ist das Betreten dieses Stockwerks nicht gestattet.«
»Ich, äh …«, stotterte ich, wurde aber nur weiter mit einem abwartenden Blick gestraft.
Erneut setzte ich zu einer Erklärung an. »Mein Bruder Paxton ist hier Lehrer.«
»Mr Lightwell?«
Ich nickte. »Ja, genau.«
Sie musterte mich einige Sekunden lang mit ihren dunklen, durchdringenden Augen, bis sie knapp erwiderte: »Nun gut.« Dann wandte sie sich zum Gehen. Schnell griff ich nach der Türklinke und wollte sie gerade herunterdrücken, als die ältere Fee sich noch einmal umdrehte. »Ihre Augen verraten die Ähnlichkeit zu Ihrem Bruder, doch ansonsten sind Sie wie Tag und Nacht.« Mit diesen Worten verschwand sie um die Ecke.
Ich konnte ihr bloß zustimmen. Während mein Bruder aschblondes Haar hatte, war meins so dunkel wie die tiefste Nacht. Auch sonst hatten wir keinerlei Ähnlichkeiten. Außer einem Muttermal am Schulterblatt und den lavendelfarbigen Augen, die uns beide als Mondfeen kennzeichneten.
Gedankenverloren zog ich die Tür zu Paxtons Zimmer auf und stellte schnell fest, dass es meinem sehr ähnlich war. Nur der Balkon fehlte, aber dafür war der Raum größer und bot Platz für einen großen Schreibtisch, auf dem sich etlicher Papierkram stapelte. Neugierig lief ich darauf zu und griff nach einem der Bücher, die darauf lagen. Es handelte sich um ein Notizbuch und vermutlich war es der Einband, der meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Ich hatte nämlich ein ganz ähnliches. Dabei nutzte mein Bruder keine Notizbücher für seine Träume, im Gegensatz zu mir.
Plötzlich fiel hinter mir eine Tür ins Schloss. In der Erwartung, meinen Bruder vor mir zu haben, wirbelte ich herum. »Du hast noch meinen Ruck-« Die Worte blieben mir im Halse stecken, während sich meine Augen weiteten und ich auf eine nackte, tätowierte Brust starrte.
»Ich glaube, du befindest dich im falschen Zimmer«, erklang eine raue, tiefe Stimme, die zu dem offensichtlich feuchten Oberkörper gehören musste.
»Äh, aber, mein Bruder …«, stammelte ich und riss mich von seinem Körper los, um dem fremden Mann ins Gesicht zu schauen.
Dieser grinste mich an und seine eisblauen Augen durchbohrten mich regelrecht. »Du suchst das Zimmer von Paxton«, schlussfolgerte der halb nackte Mann und während er sprach, versuchte ich die Tatsache zu ignorieren, dass er bloß mit einem Handtuch bekleidet vor mir stand. »Aber dafür musst du einen Raum weiter.«
»Das hier ist Zimmer Nummer neun, oder?«
Sein Grinsen wurde ein Stück breiter und er fuhr sich mit der Hand durch das schwarze, nasse Haar. »Nein, Elanor. Du bist in Zimmer Nummer acht.«
Woher kennt er meinen Namen, schoss es mir unweigerlich durch den Kopf.
»Ich bin Kylian Collins.«
Und dann fiel der Groschen. Verdammt, verdammt, verdammt. Ich war nicht ernsthaft in das Zimmer meines Kampfsporttrainers gestolpert, der auch noch der beste Freund meines Bruders war.
»Okay, also ähm, es tut mir leid, dass ich Sie –«
»Für dich nur Kylian, Elanor.« Er musterte mich. »Schließlich trennen uns gerade einmal zwei Jahre und ich bin mit deinem Bruder befreundet.«
Knapp nickte ich. »O-okay.«
»Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen.«
Während seine Worte zu mir durchdrangen, ertappte ich mich erneut dabei, wie mein Blick auf seinem nackten Oberkörper ruhte. Verflucht. Abrupt schaute ich wieder in seine eisblauen Augen, die nun amüsiert funkelten.
»Ich sollte mir jetzt besser etwas anziehen. Schließlich beginnt gleich die Eröffnungszeremonie.«
Ich schluckte schwer. »Äh, ja, klar.« Doch kaum lief ich auf die Tür zu, ging sie auf und mein Bruder streckte seinen Kopf hindurch, bevor er eintrat. Als er mich erblickte, wurden seine Augen erst groß und verengten sich dann.
»Was ist hier los?«, fragte Paxton anscheinend etwas misstrauisch.
»Also ich, ähm, wollte …«, stammelte ich.
»Deine Schwester hat sich in der Zimmernummer vertan«, erklärte Kylian gelassen.
Ich räusperte mich und deutete auf meinen Rucksack, den Paxton umklammert hielt. »Ich glaube, der gehört mir.«
Mit einem knappen Nicken reichte mein Bruder mir meinen treuen Begleiter.
»Gut, dann lass ich euch mal wieder allein, damit, äh, du, Kylian, dir was anziehen kannst.« Automatisch erhitzten sich meine Wangen und ich verschwand aus dem Zimmer. Kaum fiel die Tür hinter mir ins Schloss, seufzte ich auf. Dem eigenen Trainer bloß in einem Handtuch bekleidet am ersten Schultag zu begegnen … das konnte auch nur mir passieren.
Kapitel 2
Im Gegensatz zu den ersten Hexen, die durch einen Pakt mit dem Teufel ihre Magie gewonnen haben, wurden Feen von der Natur erschaffen. Ihre Aufgabe war bereits seit Anbeginn der Zeit, das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse in der magischen Welt aufrechtzuerhalten.
ENZYKLOPÄDIE – WELT DER FEEN, KAPITEL 5
»Du hast mir ein Armband aus den 50er-Jahren mitgebracht? Wie cool ist das denn!«, rief Leona aufgeregt, nachdem ich wieder zurückgekommen war und ihr den antiken Schmuck überreicht hatte.
»Das habe ich in einem Antiquitäten-Laden in Camden Town entdeckt und es hat regelrecht ›Leona‹ geschrien.« Ich lächelte ihr zu, während ich mich neben sie auf mein Bett sinken ließ.
»Danke! Es ist wirklich großartig!« Meine Cousine legte sich das silberne Armband um, betrachtete es eingehend und sah erneut zu mir auf. Dann legte sie den Kopf schief und musterte mich prüfend.
»Sag mal, ist irgendetwas passiert?«
Sie kannte mich einfach zu gut. »Na ja, um ehrlich sein, habe ich gerade unseren neuen Trainer kennengelernt.« Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte wieder an die Begegnung mit Kylian zurück. Und an seinen nackten Oberkörper …
»Ich will alles wissen.«
Mit einem Seufzen gab ich nach und fasste die letzten Minuten zusammen. Als ich mit meiner Erzählung endete, breitete sich ein Grinsen auf ihren Lippen aus.
»Leona, ich will diesen Vorfall am liebsten aus dem Gedächtnis radieren«, fügte ich noch hinzu, bevor sie mich weiter ausfragen konnte. Schließlich wusste ich, wie neugierig meine Cousine sein konnte.
»Ist er heiß?« Natürlich ignorierte sie meine letzten Worte. Und das Funkeln ihrer gelb schimmernden Augen verriet mir, dass sie sich so schnell nicht vom Thema ablenken lassen würde.
Kurz grübelte ich über ihre Frage nach und auch wenn ich es leugnen wollte, so konnte ich doch nicht aufhören, an Kylians tätowierte Brust zu denken, auf der sich noch vereinzelte Wassertropfen befunden hatten. Ich schluckte schwer und schob das Bild von dem attraktiven Kerl schnell wieder beiseite.
»Ja … irgendwie schon. Trotzdem ist er unser Trainer, vergiss das nicht«, entgegnete ich und fixierte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue.
»Na ja, ein Trainer ist kein offizieller Lehrer. Außerdem wird das Kampfsporttraining nicht einmal als Unterrichtsfach gewertet oder benotet. Und ich frag ja auch nicht wegen mir, schließlich bin ich glücklich vergeben. Aber du bist wieder Single und –«
Bevor sie weitersprechen konnte, unterbrach ich Leona. »Stopp, ich will nicht hören, dass unser Trainer und der beste Freund meines Bruders ein guter Fang wäre.«
»Also, das mit dem guten Fang hast du jetzt gesagt«, entgegnete sie und ihr Grinsen wurde noch ein Stück breiter.
»Ich will mir über Männer keine Gedanken machen. Nicht in unserem letzten Jahr auf einer Academy.« Vehement schüttelte ich den Kopf, wobei sich einige Strähnen aus meinem Zopf lösten.
Leona seufzte auf. »Ich weiß, dass du nach wie vor nicht über ihn hinweg bist, doch verschließ dich bitte nicht vor der Liebe.«
»Mache ich nicht«, versprach ich leise und stand auf. Mir war klar, dass Leona nur das Beste für mich wollte und sich Sorgen um mich machte. Und das wusste ich zu schätzen. Aber bevor mein Kopf wieder die Erinnerungen an die letzten Wochen hervorkramte, in denen ich mit einem Becher Eis in der Hand und Tränen in den Augen mit ihr telefoniert hatte, konzentrierte ich mich lieber auf das bevorstehende Ereignis. Die Eröffnungszeremonie.
»Nun kommen wir aber zu der wichtigsten Frage des bevorstehenden Abends. Hast du schon eine Idee, was ich anziehen soll?«, fragte ich meine Cousine und öffnete den Kleiderschrank.
»Hast du das schwarze Kleid mit der Spitze an den Ärmeln eingepackt? Dann zieh das an«, erwiderte Leona und erhob sich ebenfalls von meinem Bett. Sie trug bereits ein gelbes Kleid, das nicht nur perfekt zum Juni passte, sondern auch mit ihren lockigen braunen Haaren harmonierte.
»Das schwarze Kleid habe ich von …« Mir blieben die Worte im Halse stecken. Ihm.
»Aber es wäre zu schade, wenn es bloß im Kleiderschrank hängt. Vielleicht schaffst du einfach neue Erinnerungen mit dem Kleid.« Sie legte einen Arm um mich und drückte mich kurz an sich.
»Na gut, du hast recht.« Mit diesen Worten griff ich nach dem Kleid und ohne länger darüber nachzudenken, lief ich in das Badezimmer und zog es mir über. Als ich wieder zurückkam, war Leona gerade dabei, ihre braunen Haare nach oben zu stecken, sodass ihre glitzernden Ohrringe perfekt zur Geltung kamen. Als sie mich hinter sich im Spiegel entdeckte, wurden ihre Augen groß und sie wandte sich zu mir um. »Du siehst umwerfend aus. Aber eine Kleinigkeit fehlt noch.« Dann nahm sie meine Hände in ihre und schaute mich aufmerksam an. Ihre gelben Augen begannen hell zu leuchten und sofort spürte ich Wärme in jede Faser meines Körpers fließen.
»Nun leuchtest du so hell wie die Sterne am Nachthimmel. Wie es einer Mondfee gebührt.« Meine Cousine zwinkerte mir zu und bedeutete mir, mein Spiegelbild zu betrachten.
Langsam drehte ich mich um und musste erst einige Male blinzeln, bevor ich realisierte, welche Magie Leona soeben gewirkt hatte. Mein schwarzes Haar war mit leuchtenden silbernen Strähnen durchzogen, die mit meinen lavendelfarbenen Augen um die Wette funkelten.
»Leona, aber wie hast du …«
»Lehre der Lichtfeen, Stufe drei. Und keine Sorge, dieser Zauber hält nur ein paar Stunden«, erklärte sie begeistert.
Ich grinste Leona an. Sie war wirklich eine begabte Lichtfee und das bewies sie immer wieder aufs Neue. Vor allem, weil Stufe drei erst in diesem Jahr gelehrt wurde.
»Danke dir«, erwiderte ich und wünschte mir einmal mehr, ebenfalls solche Fähigkeiten zu besitzen. Doch als Mondfee konnte ich lediglich in Träumen wandeln, Gefühle beeinflussen und Visionen bekommen. Obwohl ich Letzteres tunlichst aus meinem Kopf zu verbannen versuchte. Allein eine einzige Vision hatte gereicht, um mein Leben auf den Kopf zu stellen.
»Erde an Elanor, wir sollten aufbrechen«, riss mich Leona wieder aus meinem Gedankenstrudel.
»Äh, ja«, antwortete ich und folgte ihr zur Tür.
»Und unser Trainer, wird er auch bei dem Empfang sein?«, warf mir Leona noch über die Schulter hinweg zu, als wir bereits die Treppen nach unten liefen.
Ich hob nur eine Augenbraue und schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Ich hätte dir nicht von ihm erzählen dürfen.«
»Oder besser gesagt von eurem Aufeinandertreffen«, korrigierte sie mich zwinkernd und überwand die letzte Stufe. Gemeinsam liefen wir an dem großen Brunnen mit dem Wasserfall vorbei und folgten dann einigen anderen Feen zu einer großen offenen Flügeltür, die auf eine Terrasse führte. Als wir nach draußen traten, marschierte Leona zielsicher zu Stühlen in der zweiten Reihe, die in der Nähe der Brüstung standen. Denn dort wartete bereits ihre Freundin Clara auf sie.
Ich blieb ein Stück zurück und beugte mich über die Brüstung aus hellem Marmor. Tief durchatmend betrachtete ich das tosende Meer, das sich direkt unter meinen Füßen befand. Für mich war die irische Küste schon immer ein Zuhause gewesen. Schließlich war ich nur einen Ort weiter aufgewachsen. Und hier, umgeben von dem Rauschen der Wellen, fühlte ich mich geborgen. Im Vergleich zu der Unendlichkeit des Ozeans schienen meine Sorgen so klein, so unbedeutend zu sein.
»Elanor!«, erklang hinter mir eine sanfte, liebevolle Stimme.
Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte ich mich um und fand mich sogleich in der Umarmung von Clara wieder.
»Wie geht es dir?« Die Tierfee löste sich von mir und musterte mich eindringlich.
»Besser als bei unserem letzten Milchshake!«, entgegnete ich schmunzelnd und dachte an das Treffen vor zwei Wochen zurück, als wir zwei einsame Seelen uns zusammengetan und uns in unserem Stammcafé getroffen hatten. Clara hatte Leona vermisst, die ja in New York gewesen war, und ich hatte Elijah hinterhergetrauert.
»Das klingt gut.« Clara zwinkerte mir aus ihren dunkelbraunen Tierfee-Augen zu, bevor sich auch schon Stille über die anwesenden Schüler und Schülerinnen legte.
Wir ließen uns auf den Stühlen in unserer Nähe nieder und wandten uns dann Richtung Tür, in der Direktorin Ms O’Connor erschien. Anmutig schritt sie uns entgegen und strahlte dabei die Autorität einer Königin aus. Ihr langes helles Kleid, das sich im sanften Wind wiegte, sah nahezu majestätisch aus. Außerdem ging von ihr ein Strahlen aus, mit dem sie alle für sich einnahm. Wie ich war sie eine Mondfee und inzwischen viele Jahre in ihrem Amt.
Als sie schließlich auf ein Podest am anderen Ende der Terrasse trat und ihre Arme einladend ausbreitete, verstummte auch das letzte Geräusch. Einzig das tosende Meer unter uns war im Hintergrund zu hören.
»Willkommen an der Moonlight Academy, verehrte Feen. Dies ist Ihr letztes Ausbildungsjahr und ich freue mich, dass Sie es hier an der irischen Küste absolvieren werden. Einige von Ihnen haben bereits das erste der zwei Jahre auf der Skyfall Academy gemeistert und ein paar wenige hatten die Möglichkeit, ein Austauschjahr an der Ravenhall Academy in London zu absolvieren. Umso erfreulicher ist es, dass Sie sich nun alle für das letzte Jahr eingefunden haben.«
Kurz machte sie eine Pause und lächelte in die Runde, bevor sie fortfuhr. »Die Aufteilung der Klassen erfolgt im Anschluss. Die jeweilige Liste finden Sie zu meiner Rechten.« Mit einer Handbewegung deutete sie auf einen Glaskasten, der mit Efeuranken verziert war und in dem sich drei aufgerollte Pergamentrollen befanden.
Während ich inständig hoffte, dass ich gemeinsam mit Leona in einer Klasse sein würde, klärte uns Ms O’Connor über Hausregeln, den Stundenplan und einige andere organisatorische Dinge auf. Als plötzlich der Name meines Bruders fiel, wurde ich jedoch hellhörig.
»Also, wenn Sie irgendwelche Anliegen haben, wenden Sie sich bitte an unseren Vertrauenslehrer Mr Lightwell, der sich freundlicherweise dieses Jahr dazu bereit erklärt hat, diese wertvolle Aufgabe zu übernehmen.« Die Direktorin deutete auf Paxton, der soeben aus der Tür zur Terrasse trat, und sprach dann weiter: »Um das neue Schuljahr gebührend einzuleiten, gibt es hier eine besondere Tradition. Seit vielen Jahren begrüßen wir das Meer als Teil unserer Schule. Und auch in diesem Jahr wird das wieder Ms Gibson übernehmen.« Die Direktorin klatschte in die Hände und bedeutete einer älteren Dame nach vorne zu treten. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich sie sogar. Sie war die Fee, die meinen Bruder vorhin wegen des Termins gesucht hatte.
Gespannt verfolgte ich, wie sie sich in dem Mittelgang zwischen unseren Stühlen positionierte und anmutig beide Arme ausbreitete. Dann begannen ihre dunkelblauen Augen zu leuchten und ihr silbernes Haar tanzte mit dem aufkommenden Wind um die Wette. Sogleich wurde auch das Rauschen des Meeres lauter, während sich nach und nach hohe Wellen um die Terrasse herum bildeten. Diese vermischten sich miteinander und türmten sich immer weiter über uns auf, bis wir uns vollständig unter einer Art Kuppel aus Wasser befanden.
Die Meeresbrise spielte mit meinem Haar und ein salziger Geschmack legte sich auf meine Lippen. Über uns war kein Himmel mehr zu sehen, sondern bloß ein Schauspiel aus Wasser, von dem sich nun zarte Tropfen lösten und wie funkelnde Kristalle sanft auf uns niederrieselten. Doch kurz bevor die ersten Tropfen meine Nasenspitze erreichten, verpufften sie und verwandelten sich in kleine bunte Funken. Nur Sekunden später machte die Lehrerin eine weitere Bewegung und die Welle über unseren Köpfen brach entzwei, sodass der strahlend blaue Himmel wieder zum Vorschein kam. Das tosende Wasser beruhigte sich und wurde von Applaus abgelöst.
»Vielen Dank für diesen großartigen Willkommensgruß, Ms Gibson«, hallte die Stimme der Direktorin über uns hinweg.
Die Wasserfee nickte und setzte sich zurück auf ihren Platz in der ersten Reihe.
»Da wir Feen bekannt sind für unsere Feste, lassen Sie uns jetzt die Zusammenkunft und den Beginn des neuen Schuljahres gebührend zelebrieren. Das Büfett ist eröffnet.« Ms O’Connor deutete hinter sich auf einen großen Tisch, der noch zuvor von einem Laken verdeckt worden war. Jetzt präsentierten sich uns unzählige Speisen, die verführerisch aussahen und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen.
Elegant schritt die Direktorin von dem Podest und sogleich erklang eine leise Melodie, die perfekt zu dem voranschreitenden Sonnenuntergang am Horizont passte.
»Wusstest du eigentlich, dass Paxton Vertrauenslehrer ist?«, fragte mich Leona, sobald wir uns wie alle anderen Anwesenden erhoben hatten und zu den Klassenplänen liefen.
Ich nickte. »Die Academy hielt es für sinnvoll, da Paxton nur wenige Jahre älter als wir ist und sich so besser in die Schüler und Schülerinnen hineinversetzen kann.«
»Ich find’s super! Aber jetzt kommt, lasst uns herausfinden, ob wir in derselben Klasse sind«, sagte Clara und überwand die letzten Meter zum Glaskasten.
Wir folgten ihr gespannt und ich konnte es kaum noch erwarten zu erfahren, ob ich das nächste Schuljahr zwei Sitznachbarinnen haben würde, die Freundinnen für mich waren. Als wir endlich an der Reihe waren und einen Blick auf die Listen werfen konnten, überflog ich mit schnell schlagendem Herzen die Namen.
»Auf der ersten Liste sind Elanor und ich schon mal nicht drauf«, schlussfolgerte Leona, als sich ihre Brauen plötzlich zusammenzogen und ein enttäuschter Ausdruck in ihre Augen trat. »Aber du, wie es scheint, Clara.« In ihrer Stimme schwang Traurigkeit mit und auch das Lächeln ihrer Freundin erstarb für einen Moment.
Ich konnte nur erahnen, wie schwer diese Tatsache für die beiden war. Sie waren unzertrennlich und während ich auf der Ravenhall Academy gewesen war, hatten die beiden ihr erstes Jahr an der Skyfall Academy gemeinsam absolviert. Und sich sogar ein Zimmer geteilt.
»Wir kriegen das hin, okay? Wir sehen uns trotzdem jeden Tag«, sagte Clara zuversichtlich.
Leona drückte ihre Hand. »Okay.« Dann wandte sie sich wieder den Listen zu. »Dafür sind wir in der derselben Klasse, Cousinchen!«, stellte Leona nur Sekunden später fest und lächelte mich warmherzig an.
Ohne weiter auf die unzähligen Namen zu schauen, drückte ich sie fest an mich. »Das kommende Schuljahr wird bestimmt toll und ihr beide werdet einfach viel Zeit in den Pausen und nach dem Unterricht miteinander verbringen!« Ich löste mich von Leona und gerade, als sie Clara etwas sagen wollte, erklang hinter mir eine sehr vertraute Stimme. Für eine Sekunde hörte mein Herz auf zu schlagen. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein.
»Entschuldigung, könntet ihr einen Schritt beiseite-«
Bevor er den Satz beenden konnte, wirbelte ich auch schon zu ihm herum. »Elijah?«, wisperte ich und blickte in die Augen des Jungen, der meine Gedanken und Träume noch immer beherrschte.
»Elanor«, erwiderte er mit einem traurigen Lächeln.
Leona räusperte sich neben mir. »Ich glaube, wir lassen euch beide kurz allein.«
Ich wollte sie gerade aufhalten, da waren sie bereits in der Menge verschwunden. Mit wild pochendem Herzen wandte ich mich wieder zu Elijah um und erst jetzt bemerkte ich, wie mir sein Anblick immer mehr die Luft zum Atmen nahm.
»Was machst du hier?«, kam es mir etwas zu forsch über die Lippen. Allein ihn jetzt vor mir stehen zu sehen, von seinem Duft eingehüllt zu werden und in seine unendlich moosgrünen Augen zu blicken, sorgte dafür, dass all die Erinnerungen wieder an die Oberfläche kamen. Gerade einmal drei Wochen war es jetzt her, dass das mit uns in die Brüche gegangen war. Und nur wegen dieses verdammten Fluchs. Weil wir unsere Familien gefährden würden, wenn wir uns zu nahe kamen. Gedankenfetzen an meine Vision, die dieses ganze Desaster erst ausgelöst hatte, blitzten vor mir auf.
»Meine Schwester.« Elijahs Augen verdunkelten sich. »Sie hatte einen Unfall. Deshalb habe ich meinen Aufenthalt in Finnland abgebrochen und bin zurückgereist. Das kommende Schuljahr werde ich an der Moonlight Academy absolvieren.«
»Sally? Wie geht es ihr?« Sofort breitete sich Sorge in mir aus. Sally war sechs Jahre jünger als Elijah und der Sonnenschein der Familie Havswood.
»Sie ist bei einem ihrer Kletterausflüge auf einen morschen Ast getreten und vom Baum gefallen. Dabei hat sie sich das rechte Bein gebrochen.« Er seufzte auf und schüttelte den Kopf. »Glücklicherweise nimmt sie ihre aktuelle Lage mit Humor und fragt bereits wieder, wann sie auf den nächsten Baum klettern darf.«
»Sie ist eben eine kleine Kämpferin«, entgegnete ich schmunzelnd.
»Das ist sie. Und da mein Vater aktuell im Auftrag des Rates unterwegs ist und meine Mutter sich allein um Sally kümmert, habe ich mich dazu entschlossen, sie zu unterstützen.«
Auch wenn das für uns beide vieles in den kommenden Monaten nicht einfacher machen würde, konnte ich seine Entscheidung nachvollziehen. Da seine Familie ebenfalls unmittelbar in der Nähe der Academy wohnte, war es bloß verständlich, dass er nun hier war.
»Elanor, ich weiß, dass es nicht leicht ist«, sprach Elijah weiter. »Aber die Academy ist groß, ich werde versuchen, dir aus dem Weg zu gehen.«
Ich nickte knapp. »In welcher Klasse wirst du sein?« Mein Verstand sagte mir, dass es besser wäre, wenn wir so wenig wie möglich miteinander zu tun hatten, doch mein verräterisches Herz war da wohl anderer Meinung.
Elijah schob verlegen seine Hände in die Hosentaschen seiner Jeans und warf einen raschen Blick über meine Schulter, zu den Listen. »Wie es scheint, in derselben Klasse wie du«, gestand er leise.
Ich lachte auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was auch sonst.«
»Wir bekommen das hin.« Er klang wenig überzeugend.
»Genauso, wie du es hinbekommen hast, dich per Telefon von mir zu trennen, als du bereits auf dem Weg nach Finnland warst?«, sprudelte es aus mir heraus. Verdammt. Wieso musste ich gerade jetzt damit anfangen? Du wolltest doch mit alldem abschließen, Elanor, tadelte mich meine innere Stimme.
»Ich konnte dich einfach kein weiteres Mal sehen. Ansonsten hätte ich es nicht über mich gebracht, mich von dir fernzuhalten«, antwortete er und über seine Züge huschte ein resignierter Ausdruck.