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Der Krimiklassiker von Agatha Christie als Theaterstück von Ken Ludwig Auf der Fahrt des Orientexpress von Istanbul nach Calais fällt ein amerikanischer Geschäftsmann einem brutalen wie mysteriösen Mord zum Opfer. Zufällig befindet sich der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot unter den Fahrgästen. Er vermutet den Täter noch an Bord des Zuges - und nimmt die Ermittlungen auf. Erstmals ist Agatha Christies berühmter Krimi in einer offiziellen Bühnenfassung verfügbar. Dass der amerikanische Dramatiker Ken Ludwig mit der Bühnenfassung beauftragt wurde, erweist sich als Glücksfall: Geschickt verdichtet er die Handlung in Personal und Dramaturgie und akzentuiert die komischen Pointen der Kriminalgeschichte. "Ich denke, was Agatha Christie eigentlich geschrieben hat, sind Komödien - oder sagen wir: mustergültige Krimis, die bereits durch ihre extravaganten Figuren einen besonderen Hang zur Komödie haben. Die Komik drängt sich bei diesen Figuren ja geradezu auf." (Ken Ludwig)
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Seitenzahl: 86
Agatha Christie
Mord im Orientexpress
(Murder on the Orient Express)
Für die Bühne bearbeitet von Ken Ludwig
Deutsch von Michael Raab
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Personenverzeichnis
Bühne
Erster Akt
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene
Sechste Szene
Siebte Szene
Achte Szene
Neunte Szene
Zehnte Szene
Zweiter Akt
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene
Agatha Christie
Ken Ludwig
Über das Stück
Impressum / Rechtliche Hinweise
Hercule Poirot
Monsieur Bouc
Mary Debenham
Hector MacQueen
Michel (Schaffner)
Prinzessin Dragomiroff
Greta Ohlsson
Gräfin Andrenyi
Helen Hubbard
Oberst Arbuthnot
Samuel Ratchett (doppelt besetzt mit Oberst Arbuthnot)
Oberkellner (doppelt besetzt mit Michel)
Die Haupthandlung spielt 1934 im Orientexpress auf der Fahrt von Istanbul nach Westeuropa.
Erster Akt: mittags bis morgens
Zweiter Akt: morgens bis mittags
Im Dunkeln hören wir einen Zug auf uns zukommen. Zuerst leise, dann sehr laut mit entsprechendem Lichteffekt. Als ob ein riesiger Zug mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbeirast.
Stille.
Dann hören wir eine häusliche Szene in der Dunkelheit vor uns. Wir hören die Stimmen, sehen aber die Beteiligten nicht.
MUTTERGute Nacht, Liebes. Du gehst brav schlafen.
KLEINES MÄDCHENJetzt schon, Mami?
VATERHör auf deine Mutter.
KINDERFRAU(eine freundliche Frau über 30) Und wer deckt dich nett warm zu?
KLEINES MÄDCHENDer Wolf?
KINDERFRAUNeeee.
KLEINES MÄDCHENDer Bär?
KINDERFRAUNeeee.
KLEINES MÄDCHENMeine Nanny!
KINDERFRAU / KLEINES MÄDCHEN(Gelächter und Kitzelei) Jaaaaay!
KINDERFRAUAuf geht’s.
Während des Folgenden hören wir das MÄDCHEN und seine KINDERFRAU schnell eine Treppe hoch ins Zimmer des MÄDCHENS laufen. Die Tür öffnet und schließt sich dann hinter ihnen.
KLEINES MÄDCHENSchneller, schneller! Du bist eine Lokomotive!
KINDERFRAUDaisy Armstrong! (Kitzelei und Gelächter. Sie sind im Zimmer.) Sofort ins Bett und keinen Quatsch mehr.
KLEINES MÄDCHENNa gut. (Es steigt ins Bett. Die KINDERFRAU sitzt neben ihm.)
KINDERFRAUAugen zu. Schlaf schön.
Die KINDERFRAU geht ab. Wir hören die Tür auf- und zugehen. Kurze Stille, danach ein tiefer, dräuender Ton wie von einer Orgel. Licht aus dem Gang fällt ins Zimmer, und wir sehen den Schatten eines kräftigen MANNES, der den Raum betritt. Vielleicht sehen wir das KLEINE MÄDCHEN auch.
KLEINES MÄDCHENWer bist du? Hau ab. Nanny!
MANNKomm her!
KLEINES MÄDCHENNein! Ich will nicht! Ich komm nicht! Mami! Daddy! AHHHHHHHHHHHHHHHH!
Ihr Schrei geht in das schrille Pfeifen des Zuges über, der erneut röhrend an uns vorbeirast. WRUMMMMM!
Rauch der Lokomotive breitet sich auf der Bühne aus. Aus dem Dunst taucht HERCULE POIROT auf und spricht zum Publikum.
POIROTGuten Abend. Sie erleben gleich eine Geschichte voller Romantik und Tragik, es geht um Mord und Rachedurst. Was will man mehr für einen angenehmen Abend in guter Gesellschaft?
Für mich war es von Anfang an eine wahre Odyssee an Lug und Trug. Manchmal sah ich Licht im Dunkel aufblitzen, wie die Signallampe eines vorbeirasenden Zuges. Im nächsten Augenblick war alles zappenduster, und ich fing wieder bei null an.
Es handelte sich wohl um den großartigsten Fall meiner Karriere, wobei mir eine solche Wertung nicht zusteht. Das gebietet die Bescheidenheit. Mein schwierigster war es mit Sicherheit, und er stellte all die Werte in Frage, die mir seit meiner Jugend lieb und teuer sind.
Nahöstliche Musik erklingt.
Alles begann in der exotischen Stadt Istanbul. Dort wollte ich mich eigentlich nach einem strapaziösen Fall ein wenig erholen, aber das erübrigte sich, als ich den Speisesaal des weltberühmten Hotels Tokatlian betrat, dessen unverschämte Preise nur die Arroganz der Kellner übertraf. Übrigens ist mein Name Hercule Poirot, und ich bin Detektiv.
Eine kleine Hotelband spielt „Anything Goes“. POIROT verbeugt sich leicht, und wir sind im Speisesaal des Istanbuler Hotels Tokatlian im Jahr 1934. Der OBERKELLNER führt POIROT in den Raum.
OBERKELLNERHier entlang, Monsieur. Ich habe einen wunderbaren Tisch, der Ihnen bestimmt zusagt. Ist Monsieur zum ersten Mal in Istanbul?
POIROTDas ist korrekt. Wie haben Sie das erraten?
OBERKELLNEROhhh, ich habe meine Methoden, Monsieur. Meine kleinen Beobachtungen. Ein Oberkellner muss auch ein Detektiv sein, wie dieser berühmte Poirot aus Frankreich.
POIROTIch glaube, er ist Belgier.
OBERKELLNERNein, nein, Franzose. Ich kenne ihn persönlich.
POIROTAh.
OBERKELLNERIhr Tisch, Monsieur.
POIROTMerci.
Während POIROT sich setzt und eine Zeitung aufschlägt, kommt OBERST ARBUTHNOT hektisch herein und eilt zu dem Tisch, an dem MARY DEBENHAM wartet. Der OBERST ist ein nüchterner Schotte Mitte 30 und sieht gut aus. Miss DEBENHAM ist eine englische Schönheit Ende 20. Sie hat einen leicht traurigen Gesichtsausdruck und ist nervös.
ARBUTHNOTMary. Da bist du ja!
MARYJames! Endlich! Wo hast du denn gesteckt?!
ARBUTHNOTOh, so verspätet kann ich doch nicht sein?
MARYUnd ob. Wie immer. Ich hatte schon befürchtet, wir verpassen den Zug. Das würde alles ruinieren!
ARBUTHNOTIch hab mich nur ein wenig umgeschaut. Ich war noch nie in Istanbul und finde diesen ganzen balkanesischen Kram wirklich interessant.
MARYIch nicht. Schnell weg hier und es hinter sich bringen.
ARBUTHNOT(legt seine Hand auf ihre Wange) Wärst du bloß verdammt noch mal raus aus dem allen. Du hast weiß Gott Besseres verdient.
MARYPst! Nicht jetzt! So darf uns keiner sehen. Nicht, bevor alles erledigt ist. Übrigens beobachtet uns dieser komische kleine Mann dort drüben. (Sie zeigt mit dem Kinn in Richtung POIROT, der hinter seiner Zeitung versteckt ist.)
ARBUTHNOTWer, der? Das ist doch nur ein dämlicher Ausländer, der wohl nicht mal Englisch versteht.
POIROTS Zeitung zuckt kurz.
MARYSollen wir bestellen? Ich sterbe vor Hunger.
ARBUTHNOTNicht hier. Ich hab ein nettes kleines Restaurant um die Ecke entdeckt. Dort ist das Essen bestimmt zehnmal besser.
MARYAber wir müssen zum Zug! Wir dürfen ihn nicht verpassen!
ARBUTHNOTTun wir nicht, ich versprech’s dir, reg dich ab und komm, beeilen wir uns.
Während sie abgehen, bemerken wir MRS. HUBBARD, die in der Nähe sitzt. Sie ist eine Amerikanerin über 50 mit sehr direkter Art, gut und sogar leicht extravagant gekleidet. Sie sucht in ihrer Handtasche nach Geld und ruft nach dem OBERKELLNER.
MRS. HUBBARDJuhuu! Entschuldigung, Ober. Sie haben sich wirklich bemüht, deshalb geb ich Ihnen ein kleines Trinkgeld.
Jetzt bemerken wir HECTOR MACQUEEN, der an einem der Tische sitzt. Er ist ein nervöser Amerikaner über 30 mit sehr angespanntem Gesichtsausdruck.
Entschuldigen Sie, junger Mann. Sind Sie vielleicht Amerikaner?
MACQUEENJ-ja, bin ich.
MRS. HUBBARDDacht ich’s mir doch. Ihr Pass verrät es. Wir Amerikaner müssen zusammenhalten. Vor allem in Läden wie dem hier. Die Hälfte von dem Zeug auf der Speisekarte kann ich nicht mal aussprechen. Nicht zu fassen! Was zum Teufel ist denn ein Falafafafafafel? Ich seh die immer auf der Straße liegen und denk, man müsste Hockey damit spielen.
MACQUEENIch glaube, es wird aus gebratenen Kichererbsen gemacht.
MRS. HUBBARDNa bitte. Überraschung. Manche Leute braten einfach alles. Nicht, dass ich herumspioniere, aber ich sehe da Ihr Zugticket auf dem Tisch. Wissen Sie vielleicht, ob es einen Bus zum Bahnhof gibt?
MACQUEENIch glaube nicht. I-ich denke, das Hotel hat einen eigenen Wagen.
MRS. HUBBARDKein Problem, ich frag nach. Wie heißt es so schön in der Bibel: „Wenn es Moses nicht weiß, der Concierge weiß es bestimmt.“ Ich geh dann mal. Dieser seltsame kleine Mann mit dem lächerlichen Schnurrbart ist schon ganz genervt. (sotto voce) Und der Schnauzer wirkt angeklebt.
Während MACQUEEN und MRS. HUBBARD abgehen, kommt Monsieur BOUC herein. Er sieht POIROT und kichert erfreut. Er tippt POIROT auf die Schulter. BOUC ist auch Belgier, mittleren Alters und gut gelaunt.
BOUCIch hoffe, das Essen in diesem bescheidenen Etablissement entspricht Ihren gewohnten Standards.
POIROTWas? Wie bitte? … Ah, mon Dieu, es ist Monsieur Bouc!
BOUCAlter Freund! Ha haaa!
POIROTMon ami! Was machen Sie denn hier?
BOUCWas ich hier mache? Istanbul ist meine Stadt! Ich wohne hier!
POIROTNatürlich, wie dumm von mir!
BOUCIch leite Wagons-Lits, die größte Eisenbahngesellschaft der Welt, und unser Hauptquartier ist in diesem Hotel. Garcon! Monsieur Poirots Essen geht auf mich, bitte setzen Sie es auf die Firmenrechnung.
POIROTAh non.
BOUCAh oui. Ist mir ein Vergnügen, Sie einzuladen. Und was machen Sie hier? Ein Verbrechen aufklären, was?
POIROTNein, nein, das habe ich letzte Woche in Syrien. Unangenehme Angelegenheit. Ein Armeeoffizier, ein fehlender Scheck, eine schöne Frau, puh. Es ging nicht gut aus.
Während POIROT den Fall beschreibt, erscheint ein MANN in blauem Licht auf der Vorderbühne. Er trägt eine Uniform und eine Offiziersmütze. Wir werden Zeugen von POIROTS Erinnerung.
Der Mann war ohne Frage schuldig. Aber vielleicht, weil ich ihn im Verhör zu hart rannahm…
Der MANN hält eine Pistole an seine Schläfe und drückt ab. PENG! Das Geräusch ist erschreckend. Der MANN bricht zusammen und das Licht auf ihn erlischt.
Extrem unglücklich. Dennoch habe ich nichts falsch gemacht.
BOUCNatürlich nicht. Wer das Gesetz bricht, muss dafür büßen. Das sagen Sie immer.
POIROTSo lautet mein Grundprinzip.
BOUCWohnen Sie hier im Hotel?
POIROTSchön wär’s gewesen. Ich wollte Tourist spielen, aber an der Rezeption lag ein Telegramm von Scotland Yard. Ich muss möglichst schnell zurück, der Concierge kümmert sich um eine Fahrkarte für Ihren berühmten Orientexpress.
BOUCDas ist kein Problem, und wir reisen sogar zusammen, weil ich geschäftlich in Lausanne zu tun habe.
POIROTHa, ha! C’est magnifique.
Der OBERKELLNER kommt auf POIROT zu.
OBERKELLNERPardon, Monsieur. Der Concierge lässt ausrichten, es gibt keine Erste Klasse-Plätze mehr für den Express. Alles ausverkauft.
POIROTAh non!
BOUCAttends. Ich kenne doch meinen Zug, um diese Jahreszeit ist er nie ausverkauft. Das ist lächerlich.
OBERKELLNERVielleicht eine Reisegesellschaft.
BOUCSagen Sie dem Concierge, er hat ein Abteil für Monsieur Poirot zu finden. Meinen guten Freund.
OBERKELLNERAber Monsieur –
BOUCDie Nummer 7 ist immer buchbar. Wir halten sie in Reserve. Sagen Sie das dem Concierge!
OBERKELLNERSofort, Monsieur. (Er geht ab.)
POIROTMerci.
BOUCKeine Ursache. Eine kleine Geste. Und die Speisekarte hier vergessen Sie lieber. Heute Abend sitzen wir wie in alten Zeiten im Zug zusammen und dinieren wie Gott in Frankreich.
POIROTKann man denn guten Gewissens im Zug essen?
BOUC