Mord nach Maß - Agatha Christie - E-Book

Mord nach Maß E-Book

Agatha Christie

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Ein maßgeschneidertes Idyll - ein verfluchter Ort Dem Arbeiter Mike Rogers scheint der soziale Aufstieg mit links zu glücken: Er heiratet in eine reiche Familie ein und erfüllt sich den Traum vom eigenen Haus auf einem großzügigen Anwesen. Doch je größer das Idyll, desto stärker droht Zerstörung: Plötzlich verunfallt seine Frau auf rätselhafte Weise und "was wie eine Romanze anfängt, geht in schier unerträgliche Spannung über und mündet in das wohl schockierendste Romanende, das diese überraschende Autorin jemals inszeniert hat" (The Guardian).

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Seitenzahl: 267

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Agatha Christie

Mord nach Maß

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Jutta Wannenmacher

Atlantik

Für Nora Prichard, von der ich die Legende vom Zigeuneranger zum ersten Mal hörte.

Jede Nacht und jeden Morgen

Wachen manche auf in Sorgen.

Jeden Morgen, jede Nacht

Zum Entzücken wer erwacht.

Manche sind zum Entzücken erwacht,

Manche geboren zu endloser Nacht.

 

aus: William Blake,»Weissagungen der Unschuld«

Erstes Buch

1

Jedes Ende ist ein neuer Anfang – wie oft hört man die Leute das sagen. Es klingt nicht schlecht, aber was heißt es schon?

Wann gäbe es denn je einen festen Punkt, auf den man nachträglich den Finger legen könnte und sagen: »Da hat alles begonnen – um soundso viel Uhr, an dem und dem Platz, mit diesem bestimmten Ereignis«?

Begann meine Geschichte vielleicht in dem Moment, als mein Blick auf den Aushang am George fiel? Auf den Aushang, der die Versteigerung jenes ansehnlichen Besitzes namens The Towers ankündigte und alle Einzelheiten wie Ausdehnung, Länge und Breite brachte, nebst einer höchst euphorischen Beschreibung des Anwesens – einem Porträt von The Towers, wie es vielleicht für seine Glanzzeit vor mindestens achtzig bis hundert Jahren zugetroffen haben mochte?

Ich hatte weiter nichts vor, schlenderte ziellos durch die Hauptstraße von Kingston Bishop und schlug die Zeit tot. Da fiel mir das Plakat auf. War’s ein Glückstreffer? Oder eine Falle des Schicksals? Ganz wie man’s nimmt.

Andererseits könnte man auch behaupten, dass es damals begann, als ich Santonix traf, irgendwann während unserer langen Gespräche. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn wieder vor mir: die roten Flecken auf den Wangen, die fiebrig glänzenden Augen, die Bewegungen der kräftigen, aber zartgliedrigen Hand, wie sie Baupläne und Aufrisse von Häusern aufs Papier wirft, ausarbeitet – besonders von einem ganz bestimmten Haus, wie es schöner und begehrenswerter keines gab.

Damals regte sich zum ersten Mal das Verlangen nach einem Haus in mir, einem klassisch schönen Haus, das zu besitzen ich niemals hoffen durfte. Es war unser beider Wunschtraum, dieses Haus, das Santonix für mich bauen würde – wenn er noch dazu kam … Im Geiste wohnte ich in diesem Haus bereits mit meiner großen Liebe, lebte hier wie im Märchen. Es waren natürlich alles alberne Phantastereien, aber sie ließen in mir diese blinde, aussichtslose Sehnsucht keimen.

Oder, wenn man es als Liebesgeschichte sehen will – und es ist die Geschichte meiner Liebe, bei Gott –, warum sollte sie dann nicht damit beginnen, wie ich Ellie unter den dunklen Fichten von Gipsy’s Acre stehen sah? Gipsy’s Acre – Zigeuneranger.

Ja, vielleicht mache ich den Anfang am besten da, beginne mit dem Augenblick, als ich mich von dem Aushang am Schwarzen Brett abwandte – fröstelnd, weil die Sonne hinter Wolken verschwunden war – und beiläufig einen Mann fragte, der neben mir seine Hecke stutzte: »The Towers, was ist das für ein Haus?«

Ich sehe immer noch die seltsame Miene des Alten vor mir, als er mich von der Seite anschielte und sagte: »So nennt das hier kein Mensch nich. Was’n das schon für’n komischer Name?« Er schniefte missbilligend. »Is ’ne Ewigkeit her, dass da Leute drin gewohnt haben und The Towers dazu sagten.«

Da fragte ich ihn, wie er das Haus denn nenne, und wieder wandten sich die Augen in dem alten Runzelgesicht von mir ab. »Hier am Ort heißt’s Gipsy’s Acre.«

»Warum denn das?«

»Is so ’ne Art Sage. Genau weiß ich’s auch nich. Einer sagt so, der andere so.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Jedenfalls isses dort, wo immer die Unfälle passieren.«

»Verkehrsunfälle?«

»Alle möglichen Unfälle. Heutzutage freilich meistens mit ’nem Auto. Is nämlich ’ne gefährliche Ecke, da draußen.«

»Na ja«, meinte ich, »in einer scharfen Kurve kann man leicht verunglücken, das ist klar.«

»Der Landrat hat ’n Warnschild aufstellen lassen, aber geholfen hat’s auch nicht. Es kracht so oder so.«

»Woher kommt der Name?«

»Von irgend so ’nem Gerede. Das Land soll früher mal Zigeunern gehört haben, aber sie sind fortgejagt worden und haben’s verflucht.«

Ich musste lachen.

»Ja, ja, lachen Sie nur«, knurrte er. »Ihr Schlaumeier aus der Stadt habt ja keine Ahnung von so was, aber ’s gibt manche Stelle, die is verhext, und das is so eine, Ehrenwort. Schon im Steinbruch, beim Bau, sind die Leute zu Tode gekommen. Der alte Geordie, der is nachts übern Rand gekippt und hat sich’n Hals gebrochen.«

»Weil er betrunken war?«

»Kann schon sein. Der hat gern tief ins Glas geschaut. Aber jeder Suffkopp fällt mal hin, und nich zu sanft, und doch schadet er sich nich fürs Leben. Bloß Geordie hat sich gleich’n Hals gebrochen. Dort drüben«, er deutete über seine Schulter nach dem kiefernbestandenen Hügel, »auf Gipsy’s Acre.«

Doch, ja, so hat es wohl angefangen. Nicht dass ich sonderlich darauf geachtet hätte. Zufällig erinnerte ich mich später daran, das ist alles. Danach – oder auch vorher, ich weiß es nicht mehr genau – fragte ich den Alten, ob denn noch Zigeuner in der Gegend wären. Nein, meinte er, davon gäb’s ja heutzutage nicht mehr allzu viele, auch anderswo nicht; die Polizei schiebe sie immer ab.

»Was haben die Leute nur gegen Zigeuner?«

»Dieses Diebsgesindel«, raunzte er. Und dann wurde sein Blick schärfer. »Oder haben Sie zufällig auch’n Tropfen Zigeunerblut in den Adern?«

Nicht dass ich wüsste, antwortete ich. Sicher, ich habe etwas Südländisches an mir, das manche Leute an einen Zigeuner erinnert; vielleicht faszinierte mich deshalb auch die Geschichte von Gipsy’s Acre so. Also Gipsy’s Acre. Ich schlug die Straße ein, die in vielen Kurven aus dem Dorf hinaus und durch dunklen Wald hügelaufwärts führte bis zum Gipfel, wo sich der Blick aufs offene Meer und die Schiffe auftat. Die Aussicht war unvergleichlich schön, und ich dachte: Wenn Gipsy’s Acre nun dir gehörte? Als ich unten wieder an meinem Heckenstutzer vorbeikam, meinte er: »Also, wenn Sie’s mit’n Zigeunern haben, dann gehn Se man zu Oma Lee. Was der Major is, der lässt sie in der Hütte wohnen.«

»Welcher Major?«

»Major Phillpot, natürlich.« Der Ton verriet seine ganze Empörung, dass ich überhaupt danach fragte.

Ich wünschte ihm einen guten Tag und wandte mich zum Gehen; da fügte er hinzu: »Die letzte Kate da unten an der Straße, das is ihre. Kann sein, dass sie im Garten is, sie hält’s nie lang aus in ihren vier Wänden. Wie alle mit Zigeunerblut.«

Und so schlenderte ich weiter die Straße hinunter, vor mich hin pfeifend und in Gedanken bei Gipsy’s Acre. Fast hatte ich schon wieder vergessen, was mir da erzählt worden war, als mir eine große schwarzhaarige Alte auffiel, die mich über ihre Gartenhecke hinweg anstarrte. Da wusste ich, dass ich Mrs Lee vor mir hatte. Ich blieb stehen.

»Angeblich können Sie mir mehr von Gipsy’s Acre da oben erzählen«, begann ich.

Unter einer schwarzen Strähne hervor funkelte sie mich stumm an. Dann sagte sie: »Da lässt du lieber die Finger davon, junger Mann. Glaub mir und denk nicht mehr daran. Du bist ein hübscher Kerl, und von Gipsy’s Acre ist noch keinem Gutes widerfahren. Nie und nimmer.«

»Es ist doch zum Verkauf ausgeschrieben.«

»Jawohl, das ist es, und ein Narr, der’s kauft.«

»Haben sich schon Käufer gemeldet?«

»Bauunternehmer, und mehr als einer. Das geht billig weg, glaub mir.«

»Warum denn?«, widersprach ich. »Es ist doch ein erstklassiger Besitz.«

Darauf gab sie keine Antwort.

»Also angenommen, ein Bauunternehmer erwirbt es – was dann?«

Sie kicherte in sich hinein, es war ein böses, unangenehmes Lachen. »Was wohl? Dann lässt er das alte verkommene Haus abreißen und fängt an zu bauen. Zwanzig, dreißig Häuser kann er da hinstellen und alle mit dem Fluch drauf.«

Das Letzte ignorierend, meinte ich nachdenklich: »Das wäre schade, jammerschade.«

»Ah, keine Sorge, sie werden schon nicht froh damit; nicht die neuen Herren und auch nicht die Maurer und Zimmerleute. Da wird ein Fuß auf der Leiter ausrutschen, dort wird eine Kiesfuhre verunglücken oder ein Ziegel vom Dach fallen und sein Ziel finden. Und dann die Bäume – vielleicht knickt sie ein plötzlicher Sturm. Du wirst schon sehen. Keiner wird froh auf Gipsy’s Acre. Es täte ihnen besser, sie ließen’s in Ruhe. Du wirst sehen, du wirst’s schon sehen.« Sie nickte heftig und wiederholte leise wie zu sich selbst: »Es bringt kein Glück, sich mit Gipsy’s Acre einzulassen, nie und nimmer.«

Ich musste lachen, und sie fuhr mich an: »Lach nicht, junger Mann. Es könnte dir eines Tages im Hals stecken bleiben, das Lachen. Da oben liegt kein Segen drauf, nicht auf dem Haus und nicht auf dem Boden.«

»Was ist denn passiert mit dem Haus?«, wollte ich wissen. »Warum steht es so lange leer? Wieso lässt man es verfallen?«

»Sie sind alle gestorben, die Leute, die’s zuletzt bewohnt haben. Alle.«

»Wie gestorben?«, fragte ich aus purer Neugier.

»Das lässt man besser ruh’n und spricht nicht mehr davon. Aber hinterher hat keiner mehr dort wohnen wollen, ’s wurde alles dem Moder und Zerfall überlassen. Heute ist’s in Vergessenheit geraten, und so soll’s auch bleiben.«

»Aber Sie wissen, wie’s war«, schmeichelte ich. »Sie könnten mir die ganze Geschichte erzählen.«

»Über Gipsy’s Acre tratsche ich nicht.« Dann sagte sie, jetzt im heuchlerisch greinenden Ton einer Bettlerin: »Aber ich will dich gern einen Blick in die Zukunft tun lassen, junger Herr. Salb mir die Hand mit Silber, und ich sag dir wahr. Du bist einer von denen, die es eines Tages noch weit bringen.«

»An solchen Unsinn glaube ich nicht. Und Silber hab ich auch keines. Jedenfalls nicht zum Verschleudern.«

Sie kam ganz nahe an mich heran und fuhr einschmeichelnd fort: »Sixpence. Ich mach’s auch für einen Sixpence. Was ist das schon? So gut wie umsonst. Aber ich tu’s für dich, weil du ein hübscher Kerl bist, munter zu reden verstehst und was Besonderes an dir hast … Kann gut sein, dass du’s noch weit bringst.«

Also angelte ich einen Sixpence aus der Tasche, nicht etwa, weil ich ihren albernen Salbadereien geglaubt hätte, sondern weil ich die alte Gaunerin mochte, obwohl ich sie längst durchschaut hatte. Gierig griff sie nach der Münze und sagte: »Also, dann zeig mir deine Hand. Beide Hände.«

Sie nahm meine Hände in ihre gichtigen Klauen und starrte in die offenen Innenflächen. Eine ganze Weile blieb sie still, sah nur gebannt darauf nieder. Dann ließ sie meine Hände unvermittelt fallen, stieß sie fast von sich. Sie wich einen Schritt zurück, und als sie wieder sprach, war ihre Stimme rau.

»Wenn du weißt, was gut für dich ist, dann kehrst du Gipsy’s Acre auf der Stelle den Rücken. Einen besseren Rat kann ich dir nicht geben. Komm nie mehr zurück!«

»Warum denn nicht? Warum soll ich denn nicht wiederkommen?«

»Wenn du das tust, erwarten dich hier nur Kummer und Verlust, vielleicht auch Gefahr für Leib und Leben. Böse Sorge erwartet dich, schwarze Sorge. Vergiss diesen Ort, tilg ihn aus deinem Gedächtnis. Ich warne dich.«

»Was um alles in der Welt …«

Aber sie hatte sich schon abgewandt und schlurfte zu ihrer Kate zurück.

Krachend schlug die Tür zu. Ich bin nicht abergläubisch. Natürlich glaube ich an glückliche Zufälle – wer tut das nicht? Aber nicht an diesen ganzen Hexenwahn von wegen Flüche auf verfallenen Häusern und so. Bloß – was hatte die Alte eigentlich in meinen Händen gesehen? Ich hielt sie vor mich hin, die Innenflächen nach oben gekehrt, und betrachtete sie. Was war Händen schon abzulesen? Wahrsagen war Bauernfängerei, ein Trick, um einem Geld abzuluchsen. Ich sah zum Himmel auf. Die Sonne hatte sich versteckt, Wind war aufgekommen und rüttelte an den Bäumen, dass die Blätter ihr Unterstes zuoberst kehrten. Ich pfiff mir eins und wanderte die Dorfstraße zurück.

Noch einmal betrachtete ich den Aushang über die Versteigerung von The Towers und notierte mir sogar das Datum. Noch nie hatte ich mich sonderlich für den Grundstücksmarkt interessiert, aber mir wurde klar, dass ich dieser Auktion hier gern beiwohnen wollte. Ich war neugierig darauf, wer The Towers kaufte, wer der neue Besitzer von Gipsy’s Acre wurde. Doch, ich glaube wirklich, dass alles in diesem Augenblick begann … Mir kam ein phantastischer Einfall: Ich wollte hierherfahren und mir vormachen, dass ich der Mann sei, der Gipsy’s Acre ersteigern würde. Der die ortsansässigen Bauunternehmer überbieten würde, sodass sie einer nach dem anderen aufgeben mussten. Ich wollte es kaufen und dann zu Rudolf Santonix gehen und sagen: »Bau mir ein Haus. Ich hab gerade das Grundstück dafür gekauft.« Und dann würde ich auch ein Mädchen finden, ein ganz wundervolles Mädchen, und wir könnten glücklich und in Freuden leben bis ans Ende unserer Tage. Von solchen Dingen träumte ich oft. Natürlich führte es zu nichts, aber es machte Spaß. Jedenfalls glaubte ich das damals. Spaß! Mein Gott, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte!

2

Es war reiner Zufall gewesen, dass es mich an jenem Tag in die Gegend von Gipsy’s Acre verschlagen hatte. Ich fuhr ein älteres Ehepaar im Mietwagen von London zu einer Auktion. Wie ich der Unterhaltung entnahm, interessierten sie sich für eine Pappmascheekollektion. Ich ahnte nicht, was man sich darunter vorzustellen hatte, aber ich merkte mir den Ausdruck, um ihn zu Hause im Lexikon nachzuschlagen.

Ich war damals zweiundzwanzig Jahre alt und hatte mir auf mancherlei Art eine recht gute Allgemeinbildung erworben. Zum Beispiel wusste ich allerhand über Autos, war ein passabler Mechaniker und sorgsamer Fahrer. Früher hatte ich einmal als Stallbursche in Irland gearbeitet, mich fast mit einer Bande von Dopern eingelassen, war aber noch rechtzeitig ausgestiegen. Dieser Job als Chauffeur bei einer erstklassigen Mietwagenfirma war gar nicht so schlecht. Die Trinkgelder brachten allerhand ein, man überarbeitete sich nicht, nur wurde es mit der Zeit ziemlich langweilig.

Einmal im Sommer war ich auch als Obstpflücker aufs Land gegangen. Das zahlte sich zwar nicht weiter aus, war aber sehr lustig. Ich hatte mich schon in einer Menge Jobs versucht, war Kellner in einem drittklassigen Hotel gewesen, Rettungsschwimmer an einem Badestrand, hatte von Tür zu Tür Lexika oder Staubsauger verkauft und manches mehr. Einmal hatte ich auch in den Hortikulturen eines botanischen Gartens gearbeitet und mir einiges Wissen über Blumen angeeignet.

Aber ich blieb nie lange bei einer Sache. Warum auch? Fast alles, was ich so trieb, stellte sich als interessant heraus. Manchmal musste ich härter arbeiten, manchmal weniger hart, aber darauf kam es mir nicht an. Im Grunde bin ich nämlich nicht faul. Der Haken bei mir ist wahrscheinlich meine Unrast. Ich will überall hin, will alles sehen, alles einmal versucht haben. Ich bin auf der Suche. Ja, das ist es: Ich bin auf der Suche nach etwas Bestimmtem.

Schon seit der Schule suche ich so herum, aber ich bin mir nicht einmal klar darüber, was das sein soll, das ich unbedingt finden will. Einfach irgendwas. Irgendwo. Früher oder später würde es mir schon klarwerden. Vielleicht war es ein Mädchen – ich mag Mädchen, aber keines von all denen, die ich bisher kennengelernt hatte, war mir wichtig gewesen. Sicher, man hatte sie gern, aber dann wechselte man doch erleichtert zur Nächsten über.

Eine ganze Menge Leute missbilligte meine Art zu leben. Aber das kam nur davon, dass sie das Wichtigste in mir nicht verstanden. Sie hätten es gern gesehen, dass ich ein festes Verhältnis mit einem anständigen Mädchen anfing, Geld auf die Seite legte, das Mädchen heiratete und mich dann mit einer anständigen festen Arbeit irgendwo niederließ. Tag für Tag, Jahr für Jahr, in alle Ewigkeit. Amen. Nicht für meiner Mutter Sohn! Das Leben musste mehr zu bieten haben als das.

Ich erinnere mich daran, wie ich eines Tages durch die Bond Street ging. Das war in meiner Kellnerperiode gewesen, und ich war auf dem Weg zum Dienst. Ich bummelte nur so herum, besah mir Schuhe in einem Schaufenster. Waren schon klasse, diese Schuhe. Wie es immer in den Anzeigen heißt: »Worauf der moderne Erfolgsmensch fußt.«

Ich wandte mich zum nächsten Schaufenster. Es war eine Gemäldegalerie: nur drei Bilder, gekonnt arrangiert. Zwei davon sagten mir gar nichts, aber das dritte, das war mein Bild. Es war eigentlich gar nicht viel dran, es war – wie soll ich es nur beschreiben? –, es war irgendwie simpel. Viel freier Raum und ein paar mächtige Kreise, einer immer größer als der andere und alle ineinander verschlungen. Und alle in verschiedenen Farben, sehr ausgefallenen Farben, mit denen man nie gerechnet hätte. Dazwischen saßen hier und da ein paar Farbkleckse, nur so angedeutet, und scheinbar ganz ohne Sinn. Bloß hatten sie natürlich doch einen Sinn, und wie! Aber Beschreibungen sind meine schwache Seite. Ich kann nur sagen, dass man es unbedingt immerfort betrachten wollte und niemals damit aufhören.

Ich stand da wie festgefroren, mit einem seltsamen Gefühl, als sei mir etwas Ungewöhnliches zugestoßen. Vorhin, diese schicken Schuhe, die hätte ich gern getragen. Ich achte auf meine Kleidung, weil man schließlich einen guten Eindruck machen will, aber ich hatte nie im Ernst daran gedacht, mir ein Paar Schuhe in der Bond Street zu kaufen. Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen.

Aber dieses Bild, was das wohl kostete? Mal angenommen, ich würde es kaufen. Du bist verrückt geworden, sagte ich mir, du machst dir doch nichts aus Kunst, jedenfalls nicht im Allgemeinen. Das stimmte ja schließlich. Aber ich wollte dieses Bild haben – es sollte mir gehören. Ich wollte es aufhängen können, davor sitzen und es ansehen, so lange es mir behagte, und dabei wissen, dass es mir gehörte, mir. Ich und ein Bild kaufen – was für eine verrückte Idee! Ich sah es mir nochmals genauer an. Dass ich dieses Bild wollte, war absurd, und außerdem konnte ich es mir bestimmt nicht leisten. Zufällig war ich aber gerade gut bei Kasse, dank einer Glückssträhne bei den Pferdewetten. Dieses Bild kostete wahrscheinlich eine ganze Menge. Zwanzig Pfund? Oder fünfundzwanzig? Na, jedenfalls konnte man mal fragen.

Die Galerie innen prunkte mit Dezenz. Wände in gedeckten Farben und ein Samtsofa für versunkene Betrachter verbreiteten eine Atmosphäre der Gedämpftheit. Ein Mann, der mich an den typischen Dressman aus den Konfektionsanzeigen erinnerte, erschien und nahm sich meiner an, dem Milieu entsprechend natürlich gedämpften Tones. Seltsamerweise wirkte er nicht so arrogant wie sonst die Verkäufer in der Bond Street. Er hörte sich mein Anliegen an, dann holte er das Bild aus dem Fenster und hielt es für mich gegen die Wand, damit ich es nach Herzenslust betrachten konnte.

Und in dem Augenblick hatte ich einen Geistesblitz, wie einem das manchmal so geht. Plötzlich weiß man genau Bescheid. Ich wusste jetzt, dass sich in der Kunst nicht dieselben Maßstäbe anlegen ließen wie sonst im Leben. Irgendein Interessent in schäbigem altem Anzug und ausgefranstem Hemd konnte in so einer Galerie aufkreuzen und sich dann als Millionär entpuppen, der ein neues Stück für seine Sammlung suchte. Oder er kam herein, billig und geschniegelt, eher von meinem Genre, aber doch mit Geld in der Tasche, das er sich durch irgendeinen scharfen Dreh ergattert hatte, bloß weil er in ein bestimmtes Bild verliebt war.

»Ein besonders gelungenes Beispiel für den Stil des Künstlers«, meinte der Mann an der Wand.

»Wie viel?«, fragte ich brüsk.

Die Antwort verschlug mir den Atem.

»Fünfundzwanzigtausend«, sagte die sanfte Stimme.

Ein Pokergesicht zu wahren ist meine Stärke. Ich ließ mir nichts anmerken. Zumindest glaube ich das. Er setzte noch irgendeinen ausländisch klingenden Namen dazu, den des Künstlers vermutlich, und erwähnte, dass das Bild aus einem Landhaus auf den Markt gekommen sei, einem Haus, wo die Besitzer keine Ahnung von seinem wirklichen Wert gehabt hätten.

Ich wahrte das Gesicht und seufzte. »Das ist eine Menge Geld, aber durchaus angemessen, scheint mir.«

Fünfundzwanzigtausend Pfund. Zum Lachen.

»Ja.« Er seufzte ebenfalls. »Ja, das ist es.« Vorsichtig ließ er das Bild sinken und trug es zurück ins Fenster. Dann wandte er sich lächelnd zu mir um. »Sie haben einen guten Geschmack«, sagte er.

Ich spürte, dass wir uns verstanden. Nachdem ich mich bei ihm bedankt hatte, trat ich wieder hinaus auf die Bond Street.

3

Ich verstehe nicht viel davon, wie man solche Dinge richtig niederschreibt – richtig, meine ich, wie ein echter Schriftsteller. Zum Beispiel vorhin das über das Bild. In Wirklichkeit spielt es weiter gar keine Rolle, will sagen, es führte zu nichts, nichts kam dabei heraus; und doch habe ich irgendwie das Gefühl, es war wichtig, es gehört irgendwo dazu. Manchmal erlebe ich Dinge, die etwas zu bedeuten haben – und das war so ein Erlebnis. Genau wie Gipsy’s Acre für mich von Bedeutung war. Oder Santonix. Viel habe ich eigentlich noch nicht von ihm gesprochen. Er war Architekt, aber das haben Sie natürlich schon erraten. Auch mit Architekten hatte ich nie viel zu schaffen gehabt, obwohl ich im Baugewerbe ziemlich Bescheid weiß. Auf Santonix stieß ich im Lauf meines Wanderlebens. Damals arbeitete ich als Chauffeur, fuhr reiche Leute in der Welt herum. Einige Male kam ich so auch ins Ausland, zweimal davon nach Deutschland – ich spreche immerhin etwas Deutsch –, ein- oder zweimal nach Frankreich – auch von Französisch habe ich eine Ahnung – und einmal nach Portugal. Die Fahrgäste waren meist schon älter, hatten Geld und Wehwehchen gleichermaßen reichlich.

Wenn man diesen Menschenschlag fährt, gewinnt man allmählich die Überzeugung, dass Geld am Ende doch nicht alles ist. Nein, diese ständigen Herzattacken, die Batterien von Pillenröhrchen und die Nervenzusammenbrüche über das Essen oder den Service in den Hotels – das alles kann mir gestohlen bleiben.

Von den reichen Leuten, die ich so kennenlernte, waren die meisten recht arm dran. Sie hatten auch ihre Last – Steuern und Investitionen, lauter Sorgen, wenn man so zuhörte, wie sie untereinander oder mit Freunden redeten. Die Hälfte davon sorgte sich reinweg zu Tode. Und mit ihrem Liebesleben war es auch nicht weit her. Ihre Frauen waren entweder langbeinige Blondinen mit viel Sex, die sie mit ihrem Hausfreund betrogen, oder von der ewig unzufriedenen Sorte, die einen den ganzen Tag herumkommandieren. Nein, da bleibe ich lieber, was ich bin: Michael Rogers, der sich den Wind um die Nase wehen und von hübschen Mädchen verwöhnen lässt, sooft er Lust dazu hat.

Klar, man lebt dabei immer von der Hand in den Mund, aber damit finde ich mich schon ab. Diese Art Leben macht wenigstens Spaß, und für meinen Teil wäre ich zufrieden gewesen, wenn es immer so lustig weitergegangen wäre. Aber vermutlich wäre ich das auf jeden Fall gewesen; in der Jugend hat man diese Einstellung zum Leben. Erst wenn die Jugend vorübergeht, macht der Spaß keine Freud mehr. Dennoch spürte ich dahinter vermutlich immer noch dieses andere – das Suchen nach irgendjemandem und irgendetwas …

Aber um wieder auf das vorhin Gesagte zurückzukommen – wir hatten einen Stammkunden, einen alten Knaben, den ich immer an die Riviera kutschieren musste. Er ließ sich dort ein Haus bauen und fuhr immer nachsehen, ob die Arbeit Fortschritte machte. Santonix war sein Architekt. Ich bin mir nicht sicher, was er für ein Landsmann war. Zuerst hielt ich ihn für einen Engländer, obwohl er so einen seltsamen Namen hatte, der mir noch nirgendwo begegnet war. Aber wahrscheinlich kam er gar nicht aus England, eher schon aus Skandinavien. Er war ein kranker Mensch, das sah ich sofort: jung und hager und dazu ein frappierendes Gesicht – ein Gesicht, das irgendwie aus den Fugen geraten war. Die beiden Gesichtshälften passten nicht zueinander, sie deckten sich nicht. Mit seinen Auftraggebern sprang er mitunter ziemlich grob um. Man hätte doch denken sollen, dass sie den Ton angaben und mit Grobheiten um sich warfen – schließlich ging ja alles auf ihre Rechnung. Aber von wegen, Santonix kommandierte sie herum und war dabei seiner selbst sehr sicher, was man von seinen Kunden nicht sagen konnte.

Der alte Knabe nun, das weiß ich noch wie heute, schäumte vor Wut, kaum dass wir angekommen waren und er einen ersten Blick auf den Neubau geworfen hatte. Ich bekam ja immer einiges mit, wenn ich nach guter alter Chauffeurmanier herumstand, allezeit bereit, mit Hand anzulegen. Bei Mr Constantine musste man ständig auf einen Herzanfall oder Gehirnschlag gefasst sein.

»Sie haben entgegen meinen Anweisungen gehandelt«, kreischte er, »Sie haben zu viel Geld verbraucht – viel zu viel Geld! So war es nicht vereinbart. Das kostet weit mehr, als ich berechnet hatte.«

»Sie sind absolut im Recht«, meinte Santonix. »Aber Geld muss schließlich ausgegeben werden.«

»Es soll aber nicht! Es soll aber nicht ausgegeben werden! Sie haben sich an den Voranschlag zu halten, an das Limit, das ich festgesetzt habe. Ist das klar?«

»Dann kriegen Sie nicht das Haus, das Sie wollen«, entgegnete Santonix. »Ich weiß, was zu Ihnen passt. Wenn ich Ihnen ein Haus baue, dann wird es genau das, was Sie brauchen. Darüber bin ich mir im Klaren, und Sie übrigens auch. Kommen Sie mir nicht mit derlei verspießerten Knausereien – Sie brauchen ein Klassehaus, und das kriegen Sie auch; nachher können Sie damit prahlen, und alle werden Sie darum beneiden. Ich baue nicht für Hinz und Kunz, das habe ich Ihnen gesagt. Geld allein ist nicht alles. Dieses Haus wird nicht wie andere Häuser, es wird etwas Besonderes.«

»Es wird grässlich. Grässlich!«

»Nein, das wird es nicht. Der Haken bei Ihnen ist, dass Sie gar nicht wissen, was Sie brauchen. Zumindest könnte man das denken. Aber natürlich wissen Sie es doch, tief da drin, Sie können es sich nur selbst nicht bewusst machen, nicht vor Augen sehen. Aber ich kann es. Das ist eines dieser Dinge, die ich sofort weiß: was die Leute anstreben und was sie brauchen. Sie haben ein ausgesprochenes Gefühl für Qualität. Und ich biete Ihnen Qualität.«

Er sagte oft solche Dinge. Und ich stand dann irgendwo im Hintergrund und hörte ihm zu. In gewisser Hinsicht konnte auch ich bereits erkennen, dass dieses Haus, das da unter den Pinien wuchs, die Front dem Meer zugekehrt, dass sich dieses Haus von allen anderen unterscheiden würde. Ein Flügel ging nicht, wie üblich, auf die See hinaus; er war landeinwärts gekehrt, mit Blick auf einen bestimmten Ausschnitt des bizarren Bergpanoramas und ein Fleckchen blauen Himmels zwischen den Gipfeln. Es hatte eine eigenartige, ungewöhnliche Wirkung und war sehr erregend.

Manchmal, wenn ich freihatte, unterhielt Santonix sich mit mir. So sagte er zum Beispiel: »Ich suche mir meine Auftraggeber aus; ich baue nur für Leute, die mir zusagen.«

»Also für reiche Leute?«

»Natürlich müssen sie reich sein, sonst könnten sie sich diese Häuser nicht leisten. Aber mir persönlich kommt es nicht auf das Geld an, das ich daran verdiene. Meine Kunden müssen wohlhabend sein, weil ich nur die kostspielige Sorte Häuser entwerfen möchte. Der Bau selbst reicht nämlich noch nicht, er muss den rechten Rahmen haben. Das ist mindestens ebenso wichtig wie die Fassung bei einem Rubin oder einem Brillanten. Ein schöner Stein an sich sagt einem noch nichts, inspiriert einen nicht, er hat weder Profil noch Gewicht, bis er die richtige Fassung erhält. Die Fassung ihrerseits braucht einen makellosen Stein, wenn sie von Wert sein soll. Und ich, wissen Sie, ich ringe der Landschaft diesen Rahmen ab, der dort bisher nur im Urzustand existiert hat. Er erhält erst einen Sinn, wenn er mein Haus trägt, stolz wie eine Fassung ihr Juwel.« Lachend sah er mich an. »Sie verstehen das wohl nicht?«

»Vielleicht nicht«, sagte ich zögernd, »und trotzdem … irgendwie … verstehe ich es doch.«

»Schon möglich.« Er betrachtete mich neugierig.

Als wir das nächste Mal an die Riviera kamen, war das Haus so gut wie fertig. Ich will es nicht beschreiben, weil ich ihm ja doch nicht gerecht würde, aber es war … ja, ja, eben etwas Besonderes; und es war schön, das spürte ich. Es war ein Haus, auf das man stolz sein konnte, das man mit Stolz herzeigte und betrachtete, stolz mit dem richtigen Menschen teilte. Und eines Tages sagte Santonix plötzlich zu mir: »Wissen Sie, dass ich auch für Sie so ein Haus bauen könnte? Ich weiß nämlich, welche Art Haus zu Ihnen passt.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das weiß ich nicht einmal selbst«, sagte ich aufrichtig.

»Vielleicht nicht. Aber ich weiß es für Sie.« Und er fügte hinzu: »Es ist jammerschade, dass Sie nicht das Geld dazu haben.«

»Und auch niemals haben werde.«

»Das kann man nicht wissen«, meinte Santonix. »Arm geboren muss nicht arm sterben. Mit dem Geld ist es so eine Sache – es spürt, wo es gebraucht wird.«

»Ach, ich bin nicht smart genug …«

»Nicht ehrgeizig genug. Ihr Ehrgeiz ist noch nicht geweckt, aber Sie haben welchen, täuschen Sie sich da nicht.«

»Na, wunderbar«, sagte ich bitter, »eines Tages, wenn sich mein Ehrgeiz ausgeschlafen hat und ich zu Geld gekommen bin, dann gehe ich hin und sage zu Ihnen: ›Bauen Sie mir ein Haus.‹«

Da seufzte er. »So lange kann ich nicht warten … Das kann ich mir nicht leisten. Ein Haus noch, vielleicht zwei, mehr nicht. Niemand will jung sterben, aber manchmal muss man’s … Im Grunde ist es wahrscheinlich völlig irrelevant.«

»Dann muss ich meinen Ehrgeiz eben ganz schnell wachrütteln.«

»Nein«, sagte Santonix, »Sie sind gesund, Sie genießen das Leben, bleiben Sie ruhig dabei, ändern Sie sich nicht.«

»Könnte ich auch gar nicht, selbst wenn ich wollte.« Damals glaubte ich das fest.

An Santonix musste ich noch oft denken; er faszinierte mich stärker als jeder Mensch, dem ich bisher begegnet war. Eines der seltsamsten Dinge im Leben, glaube ich, ist das System, nach dem wir unsere Erinnerungen auswählen. Irgendetwas in uns trifft diese Wahl, entscheidet sich für den einen Vorfall, übergeht den anderen. Bei mir fiel die Wahl zum Beispiel auf Santonix und sein Haus, auf das Bild in der Bond Street und auf den Besuch von The Towers und diese alte Sage von Gipsy’s Acre. Manchmal entschied sich mein Gedächtnis auch für das eine oder andere Mädchen, das ich kennengelernt hatte, oder für eine bestimmte Auslandsreise. Aber die Kunden in meiner Chauffeurperiode glichen einander zu sehr, es war monoton. Sie wohnten stets in der gleichen Klasse Hotels und aßen die gleichen einfallslosen Mahlzeiten.

Dieses Gefühl, auf etwas zu warten, ließ jedoch nicht nach; zu warten, dass mir etwas angeboten wurde, etwas zustieß – ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll. Wahrscheinlich war ich in Wirklichkeit nur auf der Suche nach einem Mädchen, der rechten Art von Mädchen, und damit meine ich nicht die nette, standesgemäße Partie fürs Leben, wie sie meiner Mutter vorschwebte oder Onkel Joshua und einigen meiner Freunde. Damals wusste ich noch nichts über Liebe. Nur bei Sex, da wusste ich Bescheid, da war ich firm wie anscheinend alle meine Altersgenossen. Wahrscheinlich redeten wir zu viel darüber, hörten zu oft davon, nahmen Sex viel zu wichtig. Wir hatten keine Ahnung – weder ich noch einer meiner Freunde –, wie es wirklich sein würde, wenn es schließlich auch bei uns einschlug. Die Liebe, meine ich. Wir waren jung und viril und taxierten die Mädchen, die uns über den Weg liefen, wussten ihre Kurven zu würdigen, ihre Beine und die gewissen Blicke, die sie uns zuwarfen; und dabei überlegten wir nur: Wird sie, oder wird sie nicht? Ist es vielleicht bloß Zeitverschwendung? Und je mehr Mädchen man hatte, desto mehr gab man an, als umso tollerer Kerl galt man, und für umso toller hielt man sich schließlich selbst.

Mir kam nie die Idee, dass dies doch nicht alles sein konnte. Aber wahrscheinlich stößt es jedem früher oder später zu, und wenn es geschieht, dann immer unvermutet. Man denkt nicht, wie man sich vorgestellt hat: Das könnte die Richtige für mich sein … Das ist das Mädchen, das eines Tages meine Frau wird. Nein. Zumindest waren das nicht die Gefühle, die ich hatte. Ich rechnete nicht damit, dass es schließlich, wenn es so weit war, ganz plötzlich geschehen würde; dass ich mir sagen würde: Das ist die Frau, zu der ich gehöre. Ihr gehöre ich, mit Haut und Haar und für alle Zeit.

Nein, dass es so kommen würde, das hätte ich mir nie träumen lassen. Hat nicht ein alter Komödiant einmal gewitzelt – und ich glaube, das war sein Standardrepertoire: »Ein einziges Mal im Leben war ich verliebt, und ich sage Ihnen, wenn ich merke, dass es mich wieder überkommt – dann wandere ich vorher aus.« Genauso war es bei mir. Wenn ich gewusst hätte, wenn ich nur geahnt hätte, wozu das alles führen würde, ich wäre rechtzeitig ausgewandert. Das heißt, wenn ich den Verstand dazu gehabt hätte.

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Die Sache mit der Auktion wollte mir nicht mehr aus dem Kopf.