Mörderisch entspannt - Gabriele Ketterl - E-Book
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Mörderisch entspannt E-Book

Gabriele Ketterl

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  • Herausgeber: booksnacks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

p> Eine Wellness-Oase ist gut für die Nerven – Kriminalermittlungen auch?
Die humorvolle Krimi-Reihe kehrt mit ihrem zweiten Fall für Lady Ilse zurück

Nach dem nervenaufreibenden Kriminalfall in Grünwald benötigt Lady Ilse mit ihren Freundinnen Tilde und Marga erst mal eine Entspannungskur. Wo ginge das besser als in dem angesagten Wellnesshotel „Tölzer Oase“? Doch ob die Freundinnen ihre versprochene Erholung bekommen, bleibt fraglich, denn sie werden nicht nur von dem charmanten Franzosen Marcel De'Albray umgarnt, sondern auch von einer unbekannten Frau verfolgt. Ilse kommt das alles wenig französisch, dafür ziemlich spanisch vor, doch ihre Freundin Tilde scheint De'Albray bereits verfallen zu sein. Auf die Gefahr hin sich durch ihre Ermittlungen bei Tilde unbeliebt zu machen, muss Ilse einfach die Wahrheit herausfinden und rückt in das Visier von Verbrechern, die vor nichts zurückschrecken …

Weitere Titel in der Reihe
Spiel, Satz und Mord (ISBN: 9783987787072)

Erste Leser:innenstimmen
„Charmante Ermittlungen treffen auf urkomischen Witz – ein absolutes Lesevergnügen!“
„Skurril, spannend und zum Schreien komisch. Ein echter Page-Turner für Humor- und Krimifans.“
„Lady Ilses Abenteuer sind nicht nur spannend, sondern auch witzig. Eine Krimikomödie, die beweist, dass man beim Aufdecken einer Verschwörung auch eine Menge Spaß haben kann. Wirklich unterhaltsam!“
„Eine hervorragende Cosy Crime-Reihe.“

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Über dieses E-Book

Nach dem nervenaufreibenden Kriminalfall in Grünwald benötigt Lady Ilse mit ihren Freundinnen Tilde und Marga erst mal eine Entspannungskur. Wo ginge das besser als in dem angesagten Wellnesshotel „Tölzer Oase“? Doch ob die Freundinnen ihre versprochene Erholung bekommen, bleibt fraglich, denn sie werden nicht nur von dem charmanten Franzosen Marcel De'Albray umgarnt, sondern auch von einer unbekannten Frau verfolgt. Ilse kommt das alles wenig französisch, dafür ziemlich spanisch vor, doch ihre Freundin Tilde scheint De'Albray bereits verfallen zu sein. Auf die Gefahr hin sich durch ihre Ermittlungen bei Tilde unbeliebt zu machen, muss Ilse einfach die Wahrheit herausfinden und rückt in das Visier von Verbrechern, die vor nichts zurückschrecken …

Impressum

Erstausgabe Juni 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-725-6 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-726-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-223-9

Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © mr Vector, © updesh shutterstock.com: © Lee Charlie, © Seamm, © Alexander Steamaze, © amber_85, © Piotr Wawrzyniuk, © Duncan Andison depositphotos.com: © MKucova, © yupiramos Lektorat: Sandra Florean

E-Book-Version 24.09.2024, 12:41:18.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Mörderisch entspannt

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Mörderisch entspannt
Gabriele Ketterl
ISBN: 978-3-98778-726-3

Eine Wellness-Oase ist gut für die Nerven – Kriminalermittlungen auch? Die humorvolle Krimi-Reihe kehrt mit ihrem zweiten Fall für Lady Ilse zurück

Das Hörbuch wird gesprochen von Anja Kalischke-Bäuerle.
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„Den dapack I ned, koa bissl! So a Gfrastsackl!“ Spontanzitat Ilse von Karburg.

Falls, nur falls jemand das nicht verstanden haben sollte, kann gern übersetzt werden: „Den mag ich nicht, kein bisschen. So ein Schlawiner.“

Die Haut und die Jahreszeiten

„Yessas! Wie schau ich denn aus?“ Ilse von Karburg, noch etwas verschlafen und entsprechend leicht zerknautscht, betrachtete sich geradezu erschrocken im Spiegel des heimischen Badezimmers. Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn zog sie vorsichtig an der Haut ihrer Wangen. „Spinnst! Des war aber schon einmal viel besser.“

Seufzend legte sie den Kopf schief und musterte erneut ihr Konterfei im dezent beschlagenen Spiegel. „Ja, altes Haus, das mag schon besser gewesen sein … vor dreißig Jahren.“ Sie tätschelte ihrem Spiegelbild tröstend die feuchte Wange, was dem Spiegel einen leichten Cremeschatten verpasste. Dann griff sie nach einem trockenen Handtuch in elegantem Pink und beseitigte die Spuren ihrer geistigen Entgleisung.

Nachdenklicher als an anderen Tagen schlüpfte sie in ihre schicken neuen Dessous, in die enge Designerjeans und in eine rose-weiß gestreifte Bluse. Prüfend begutachtete Ilse das Ergebnis und war einigermaßen zufrieden. „Passt!“

Die Uhr in der Küche zeigte gerade einmal halb acht. Draußen war es noch dämmrig, da sich der Himmel hinter grauen Wolken versteckte. Immerhin war von dem fröhlichen Kerl im Radio behauptet worden, dass sich das Wetter zum Mittag hin verbessern sollte. Das allein beruhigte die Lady bereits. Bis jetzt war es ein wunderschöner Spätsommer, noch keine Spur von Herbst. Ein Umstand, der sie aus diversen Gründen beruhigte. Nicht nur, da sie dunkles, regnerisches Wetter verabscheute. Nein, vor allem wegen ihres Neffen Phillip, der noch mit seiner neuen Flamme Manuela in den Alpen, Richtung Italien, herumradelte. Der brauchte schönes, trockenes Wetter.

Ilse musste unweigerlich grinsen. Herumradeln … Er hätte ihr wahrscheinlich einiges erzählt. Phillip fuhr in halsbrecherischer Geschwindigkeit mit seinem Hightech-Mountainbike über irgendwelche Pässe, die andere mühsam zu Fuß erklommen. Aber er war eben anders als andere Kinder. Was ihr gehörigen Respekt abnötigte, war der Umstand, dass Manuela offenbar dabei mithalten konnte. Die junge Kommissarin steckte voller Überraschungen. Das „Mädel“ wurde ihr immer sympathischer.

Ilse drückte an ihrer Kaffeemaschine auf den Knopf für „Latte macchiato“ und beobachtete voller Vorfreude das fauchend-dampfende Schauspiel. Sie angelte sich ein Vollkornbrötchen aus dem Brotkasten, dazu gab es Butter und die herrliche selbstgemachte Marillenmarmelade. Ihr Blick wanderte ein wenig traurig durch die leere Küche. Es war schön gewesen, Phillip hier zu beherbergen. In den letzten Tagen vor seiner Abreise war auch Manuela öfter mitgekommen und sie musste sich eingestehen, dass es schön war, die zwei jungen Leute hier zu haben. Nachdem Manuela sie während der Ermittlungen im Todesfall ihres Clubchefs eher auf dem Kieker gehabt hatte, da sie sich, sagen wir einmal vorsichtig, dezent immer wieder in die Ermittlungen einbrachte, war daraus eine angenehme Bekanntschaft geworden. Als Ilse damals im Krankenhaus zu sich gekommen war, war Manuela da gewesen. Sie hatte sich mit sehr besorgtem Blick über ihr Bett gebeugt und, als sich ihre Blicke dann trafen, war da mit einem Mal so etwas wie ein stilles Übereinkommen gewesen. Seit jenem Tag hatte Manuela einen festen Platz in Ilses Herz. Einmal drin, für immer drin! Insbesondere, da Phillip sie sichtlich liebgewonnen hatte.

„Liebgewonnen, mei, Ilse. Denk doch a bissl moderner. Echt wahr.“ Genervt biss sie in ihr knuspriges Frühstücksbrötchen. Von Lachsbrötchen mit Limettenschaum hatte sie, aus nachvollziehbaren Gründen, erst einmal genug.

Highway to Hell … Es dauerte etwas, ehe ihr bewusstwurde, dass das ihr Telefon war. Phillip, der verrückte Spaßvogel, hatte ihr den neuen Klingelton eingestellt. Damit du dich daran erinnerst, dass man ab und an auf sich aufpassen sollte, Tantchen. Sehr witzig! Nun erklang immer und überall der Welthit der Australier und sie wusste nicht, wie sie ihn wieder auf Satisfaction von den Stones ändern konnte. In ihrem biblischen Alter fand sie diesen Klingelton nicht so amüsant, wie Phillip sich das wahrscheinlich gedacht hatte. Sie stellte auf Lautsprecher.

„Ilse, meine liebe Lady. Wie geht es dir?“ Freundin Marga klang noch immer so besorgt wie vor drei Wochen im Krankenhaus. Das sollte sich langsam ändern, schließlich ging es ihr wieder gut … meistens.

„Mir geht’s prima. Ihr macht euch viel zu viele Sorgen. Mich haut so schnell nichts aus den Latschen.“ Ilse warf einen erneuten Blick zur Uhr. „Sag mal, wenn Tilde auch Zeit hat, hättet ihr Lust auf einen schönen Nachmittagstee? So gegen vier Uhr? Vorher muss ich wohl oder übel nochmal in die Klinik zum Bluttest.“

Sie hörte Marga kichern. „Aha, nimmst du dir jetzt den Rat des Mädels zu Herzen und begnügst dich mit Kaffeekränzchen? Eine beruhigende Entwicklung, meine Liebe.“

„Des konnst o‘hakln, mei Madl.“ Ilse schnaubte erbost ins Telefon.

„Äh, wie bitte?“ Marga klang verwirrt.

„Du lernst as a nimma, oda? Ich habe gesagt, das kannst du vergessen. Ich und Kaffeekränzchen, das mach ich mal, wenn ich alt bin.“

„Aaah, ja, dann haben wir ja noch so grob zehn Jahre, bis es so weit ist, nicht wahr? Aber ernsthaft, ich komme sehr gerne und Tilde hat auch Zeit, mit der habe ich schon telefoniert. Eigentlich wollten wir dich einladen, mit zum Tortenparadies zu gehen, aber ich könnt wetten, dass du deinen leckeren Apfelstrudel bäckst, stimmt’s?“

Ilse musste lächeln, als sie den erfreut-erwartungsvollen Unterton in Margas Stimme vernahm. „Ja, könnte durchaus sein, dass ich euch mit meinen Backkünsten erfreue. Dann sehen wir uns um vier Uhr hier bei mir, in Ordnung?“

***

Der charmante Chefarzt, der sie unter seine Fittiche genommen hatte, erwartete sie bereits, als Ilse in der Klinik eintraf.

„Pünktlich wie immer, liebe Frau von Karburg, schön, Sie so wohlauf zu sehen.“ Professor Schreiner drückte ihre Hand und musterte sie eingehend.

Ilse nickte. „Das ist so ein Ding meiner Generation. Wir haben noch Pünktlichkeit gelernt. Nix Handy und so, Sie verstehen? Abgesehen davon muss ich sagen, ich komme sehr gerne zu Ihnen. Ich fühl mich jedes Mal ein bisschen wie in einem Buch von Jane Austen.“

Professor Schreiner lachte auf. „Herrje, komme ich so alt rüber?“

„Unfug! Aber Sie haben so eine gewählte Ausdrucksweise. Ehrlich, den Ausdruck wohlauf, den kenn ich fast nur noch aus Stolz und Vorurteil.“

„Endlich! Wissen Sie, wie lange ich darauf warten musste?“

„Öhm, worauf, wenn ich fragen darf?“ Der Professor brachte sie ein wenig aus dem Konzept.

„Darauf, einmal in meinem Leben mit Mr. Darcy verglichen zu werden. Allein dafür werde ich Sie ewiglich lieben.“

Ilse genoss es, endlich wieder laut und herzlich zu lachen.

„Ihr Blutbild ist heute das einer Zwanzigjährigen, also, einer gesunden Zwanzigjährigen. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.“ Der Professor legte den Ausdruck aus dem Labor auf seinen Schreibtisch. „Einmal würde ich Sie aber dennoch gerne sehen. Lediglich, um mich zu überzeugen, dass es keine Spätfolgen gibt. Passt es Ihnen in vier Wochen, liebe Frau von Karburg?“

Ilse nickte mit einem erfreuten Lächeln auf den Lippen. „Gerne, wenn Sie bis dahin den John Thornton draufhaben?“

Professor Schreiner wirkte sichtlich amüsiert, als er antwortete. „Elizabeth Gaskell mochte ich schon immer und North & South ist wundervoll.“

Seufzend drückte Ilse seine Hand. „Ich freu mich auf den Termin in vier Wochen, Herr Professor Schreiner. Vielleicht machen wir mal einen Lesekreis auf, mit Whiskey-Verkostung und so was in der Richtung. Richtig edel.“

„Führen Sie mich nicht in Versuchung. Erinnere dich an die Vergangenheit nur dann, wenn die Erinnerung daran Vergnügen bereitet.“ Lächelnd drückte er ihre Hand. „Sie sind ein Unikat, liebe Frau von Karburg.“

„Und Sie zitieren Austen so gut, dass es geradezu erotisch wirkt. Ich gehe jetzt und tue Dinge, die sich einer alten Dame geziemen.“

Sie hörte sein dröhnendes Lachen noch, als sie bereits auf dem Gang in Richtung Lift ging.

***

„Mädels, im Ernst. Als ich heute in der Früh vor dem Spiegel gestanden habe, dachte ich zuerst, ich hätte eine Zombie-Erscheinung.“

Tilde schüttelte entschlossen den Kopf. „So ein Blödsinn. Du warst eine Weile etwas grün um die hübsche Nase, aber inzwischen siehst du wieder aus wie das blühende Leben.“

„Pft! Wie das verblühende Leben, wolltest du wohl sagen. Das träfe es besser. So geht das nicht weiter. So ungern, wie ich es zugebe, aber vor einem gutaussehenden Anwalt zusammenzubrechen, war zwar sehr dramatisch, aber ich könnte mir dann doch einen anderen Verlauf bei einem Treffen mit Dr. Hübner vorstellen.“ Ilse schnitt ein großes Stück von ihrem noch warmen, mit Puderzucker bestäubten Strudel ab und legte es Marga auf den Teller. „Ich hab nachgedacht, meine Süßen. Wie wäre es mit ein bisschen Wellness?“

„Denkst du an den Spa-Bereich im Bayrischen Hof? Das wär mal wieder etwas.“ Tilde signalisierte erstes Interesse.

„Ich dachte an etwas Effektiveres, um bei der Wahrheit zu bleiben. Mein Spiegelbild sieht derzeit nicht nach Spätsommer, sondern eher nach Herbst, Tendenz Spätherbst aus. Das muss sich wieder ändern. So geht’s nun auch nicht.“

„Was genau möchtest du uns sagen, liebste Lady? Wir sind ganz Ohr.“ Marga kaute genussvoll.

„Mädels, so ein bisserl Gesichtsrestaurierung und Ganzkörpersanierung schadet uns sicher nicht.“ Ilse grinste die beiden der Reihe nach frech an. „Ich dachte an ein oder zwei Wöchelchen in einem schönen Wellnesshotel. Nicht zu weit weg, aber trotzdem ein Tapetenwechsel.“

„Die Idee gefällt mir. Sie gefällt mir sogar sehr gut. Ich wollte schon lange mal wieder ein paar Aromamassagen haben. Marcus und Klaus, die einzigen, von denen ich hier massiert werde, wehren sich leider vehement dagegen. Sie behaupten, das würde so glitschen.“ Tilde schob sich ein weiteres Stück des Gebäcks in den Mund. „Außerdem muss ich die ganzen Kalorien wieder abtrainieren.“

Ilse schüttelte mit todernster Miene den Kopf. „Kalorien? Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Mein Strudel besteht aus banalem Blätterteig, einem Hauch Zimtzucker, einem mikroskopisch kleinen Anteil an Marillenmarmelade und sonst nur Äpfeln und einem Händchen voll Rosinen, also Dörrobst.“ Sie setzte die unschuldigste Miene auf, derer sie habhaft werden konnte. „Das ist eigentlich Diätgebäck.“

„Diät? Aha. Aber lassen wir das.“ Tilde warf einen zweifelnden Blick auf den verbleibenden halben Strudel. „Woran hast du denn gedacht? Ich könnte wetten, du hast schon etwas im Blick, so wie ich dich kenne.“

Ilse sprang wie auf Kommando auf und eilte in den Flur. Sie hatte den Prospekt schon vor zwei Tagen ausgedruckt. Strahlend kam sie zurück, setzte sich wieder und hielt den Freundinnen den Ausdruck vom Wellnesshotel „Tölzer Oase“ entgegen.

„Die haben verflixt gute Kritiken. Nur begeisterte Gäste und eine riesige Wellness-Landschaft. Deine Aromamassagen haben sie auch im Angebot, einen großen und schönen Poolbereich und Dampfbad, Aromasauna und so weiter. Mädels, wir werden aussehen wie neugeboren.“

Marga setzte sich ihre Lesebrille auf die Nase und studierte die Informationen eingehend. „Schaut echt gut aus. Nicht billig, aber sehr ansprechend. An welches Angebot dachtest du denn, Ilse?“

Ilse trank einen Schluck ihres köstlichen Tees, beugte sich nach vorn und tippte auf einen eingerahmten Kasten auf dem Prospekt. „Daran, lest es einfach einmal durch.“

Tilde zog den Ausdruck zu sich und las laut vor. „Jungbrunnen-Wochen. Gönnen Sie sich eine Woche Entspannung, Schönheitsbäder, wohltuende Massagen, Yogaeinheiten, Kosmetikbehandlungen und köstliche Leckereien. All dies in der luxuriösen und unvergleichlich angenehmen Atmosphäre der Wellness-Oase Bad Tölz.“

Marga legte ihre Kuchengabel beiseite. „Meine Damen, ich denke, wir gönnen uns das. Ich freue mich schon darauf.“

Ilse fixierte mit großen Augen den Bildschirm ihres Laptops. Es war ihr gelungen, den nicht eben einfachen Buchungsvorgang für die „Tölzer Oase“ zu durchlaufen, und sie war nunmehr beim Button Jetzt Buchen angelangt. Eigentlich ein voller Erfolg, allerdings erstaunte sie das, was sie da schwarz auf weiß erblickte, ein klein wenig.

„Meine Damen, wie schaut’s denn derzeit so mit den finanziellen Gegebenheiten aus?“ Sie drehte sich zu Tilde und Marga um, die soeben ihre Teetassen neu befüllten.

Marga lächelte vielsagend. „Wird’s mal wieder etwas teurer?“

Ilse nickte, zog eine entschuldigende Grimasse und zeigte auf den Bildschirm. „A weng!“

„Was genau meinst du mit a weng?“ Tilde nippte mit verzückter Miene an ihrem duftenden Tee.

„Dreitausendfünfhundert Euro pro gepuderte Nase. Ein stolzer Betrag, allerdings ist da alles mit drin. Sogar eine Cleopatra-Beauty-Packung. Außerdem die bereits angesprochenen Aromamassagen, eine Bier-Gesichtsbehandlung und ein Hopfen-Aroma-Dampfbad.“ Ilses Kopf zuckte etwas weiter nach vorn. „Moment, lese ich das richtig? Bier im Gesicht? Also, ich trink des lieber.“

Tilde lachte schallend. „Das ist uns bekannt, meine liebste Lady Ilse. Aber betrachten wir es einmal so: Wir haben uns schon lange nichts mehr richtig Nobles gegönnt. Nachdem wir diesen kniffligen Mordfall gelöst haben, dürfen wir das jetzt wirklich wieder. Also buch es einfach, man lebt nur einmal.“

„Wir? Ah ja.“ Ilse lächelte nachsichtig. „Na gut, dann werde ich das anklicken und unsere Börsen um einige Talerchen erleichtern.“ Sie positionierte den Cursor über Jetzt Buchen und bestätigte ihre Beautywoche.

„Perfekt! Ich freu mich sehr. Das wird lustig und wir werden um zwanzig Jahre jünger heimkehren, wetten?“ Marga schien rundum zufrieden. Sie schielte, sichtlich angetan, auf den restlichen Apfelstrudel. „Liebe Ilse, gönnst du mir noch ein Stückchen davon?“

Ilse setzte eine sehr ernste Miene auf. „Des konst vagessn. Ab heid gibt’s de Rest von gestern. I muas jetz spoarsam sei, sunst konn i mia die Oase nimma leistn.“

„Ilse! Nicht dein Ernst.“

„Nein, natürlich nicht, aber mir war gerade danach.“ Lachend lud sie der Freundin ein großes Stück des Strudels auf deren Teller.

Reiselust und Truckerleid

„Ihr wollt wohin fahren, bitte schön?“ Phillips Stimme klang dumpf aus dem Handylautsprecher.

„Nach Bad Tölz in die Oase, das ist ein sehr nobliges Wellnesshotel. Das brauche ich dringend, das Ganze hat mich schon sehr mitgenommen, musst du wissen.“ Ilse tat ihr Möglichstes, um glaubhaft zu klingen.

„Mitgenommen? Mhm, wer’s glaubt, wird selig, liebste Tante. Du bist sowas wie menschlicher Kruppstahl, also erzähl mir nichts von mitgenommen, in Ordnung? Aber ich gönne es euch von ganzem Herzen.“ Sie vernahm sein leises Lachen. „Versprich mir, dass du nicht wieder in wüste Mordfälle verwickelt wirst. Und halt dich von jungen Männern fern, die haben ab und an mal so eine vergiftete Aura.“

„Soll das witzig sein, du frecher Kerl? Ich kann nichts dafür, dass sie alle meinem natürlichen Charme verfallen. Darum kann ich da gar nichts versprechen. Außerdem, was soll in einem verschlafenen Ort wie Bad Tölz schon großartig passieren? Schlägerei im Burschenverein, aber das klären die Jungs selbst, das kenn ich aus Erfahrung. Nein, wir wollen nur uns und unsere Körper und Gesichter sanieren.“

„A bissl Stuckatur könnt da vielleicht besser helfen.“

„Komm du mir das nächste Mal unter die Finger. Wo steckt ihr eigentlich derzeit? Seid ihr noch gar nicht am Lago?“

„Schon wieder weg. War sehr schön in Bardolino, ich muss zugeben, ich habe die Tage sehr genossen. Aber dann wurde es uns zu langweilig und wir haben eine andere Rückfahrroute ausgetüftelt. Manuela ist eine Klassefrau, du müsstest sehen, wie locker sie das alles wegsteckt. Es macht richtig viel Spaß mit ihr.“

Ihr war, als könne sie sein zufriedenes Lächeln sehen. „Bua, das freut mich sakrisch für dich, halt, für euch beide. Halt das Mädel gut fest und passt gut auf euch auf. Keine zu halsbrecherischen Routen bitte. Ich würd euch gerne mit heilen Knochen wieder in die Arme nehmen, einverstanden?“

„Wir tun unser Möglichstes und du versprichst mir, dich nicht vergiften zu lassen, in Ordnung? Ich häng nämlich schon ein bisschen an dir.“

Liebevoll tätschelte sie das Telefon. „So so, ein bisschen?“

„Du weißt ganz genau, wie ich das meine, Tante Ilse.“ Seine Stimme klang so sanft und liebevoll, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb.

„Ich weiß, Phillip. Ich lass mich nicht vergiften, versprochen. Wobei ich die Küche von der Oase nicht kenne …“

Sie hörte sein Lachen bis aus Italien, okay, über das Handy, aber immerhin. „Mach‘s gut, Lieblingstante. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch.“ Ilse beendete das Gespräch nur ungern. Die Gespräche mit ihm waren ihr Akku für den Alltag, er war einfach der wichtigste Mensch in ihrem Leben.

Sie ging von ihrem Wohnzimmer, von wo aus sie telefoniert hatte, zurück ins Schlafzimmer. Der offene Koffer blickte ihr bedrohlich entgegen.

Sie hasste das Kofferpacken. Nie wusste man, was man mitnehmen sollte. Luftige Blüschen oder Windjacke, ärmellose Pullis oder wattierte Anoraks? Ach, was sollte es? Sie und Marga würden mit Schnucki fahren, da passte schon was rein. Tilde hing so sehr an ihrem Wagen, dass sie selbst fahren wollte, auch gut. Im Notfall war darin Platz für das restliche Gepäck. Ein bisschen shoppen wollten sie schließlich auch. Frohen Mutes machte sich Ilse wieder ans Werk.

Ein lautes „Ping“ kündigte eine Mail an und Ilse öffnete sie sofort neugierig. Sehr gut! Es war die Bestätigung der Wellness Oase.

Hiermit bestätigen wir Ihnen drei Einzelzimmer für sieben Übernachtungen inklusive unserem „Jungbrunnen-Treatment“.

Wir freuen uns sehr darauf, Sie in unserem Haus begrüßen zu dürfen.

Ilse lächelte vielsagend. „Das denk ich mir. Bei den Preisen freut ihr euch selbstverständlich auf uns. Wehe, ich schau nach dem Cleopatra-Bad nicht so aus wie Liz Taylor. Ich modifiziere: wie die junge Liz Taylor.“ Sie drehte sich zu ihrer kleinen weißen Kommode um, öffnete die obere Schublade und zog zwei entzückende Bikinis heraus. „Ihr kommt mit, wenn schon, denn schon!“

***

„Fertig?“ Marga schloss ihr Auto ab, das während ihres Wellness-Urlaubes in Ilses Auffahrt verblieb. So wirkte das Haus bewohnt, man konnte ja nicht vorsichtig genug sein.

„Aber natürlich, du kennst mich. Immer pünktlich. Wo steckt unsere Tilde? Ich muss tatsächlich noch ein winziges Beauty Case bei ihr im Kofferraum zwischenlagern.“ Ilse spähte neugierig in Richtung Einfahrt.

Marga deutete auf ihr „Köfferchen“ und grinste. „Meinst du den Schrankkoffer da? Was hast du denn da alles drin, wenn das dein Beauty Case ist?“

„Beauty Case!“ Ilse schnaubte ungehalten. „Von wegen, du weißt ganz genau, dass man mit zunehmendem Alter eher mehr an Medikamenten braucht. Also, da ist Voltaren drin, als Salbe und als Kapseln, dann hab ich meine Augentropfen, meine Ohrenspülung, meine Nasendusche, meine Kalzium-Tabletten, das Magnesiumpulver gegen plötzliche Muskelkrämpfe, die Arganöl-Creme für meine nicht mehr so hundertprozentig straffen Oberärmchen, Bepanthen-Creme für mögliche kleine Verletzungen, meine Blutdrucktabletten …“

„Schon gut, schon gut, ich hab genug gehört. Voltaren-Salbe, gerne auch Rentner-Nivea genannt. Herrlich, ach, Ilse, mein Hase, wir sind halt keine Zwanzig mehr, hilf ja nun nichts.“ Marga zuckte die Schultern. „Da müssen wir durch.“

Von der Straße erklang das satte Brummen von Tildes Mercedes. „Ah, so muss ein Auto klingen.“ Ilse schnalzte erfreut mit der Zunge.

„Lady, du und deine Vorliebe für große Schlitten. Warum sitzt du dann in einem VW-Cabrio?“

„Bei Schnucki und mir war das Liebe auf den ersten Blick. Außerdem hatte Franz-Josef seinen aufgemotzten Range Rover bis zuletzt, ein solcher Gigant im Fuhrpark reicht ja wohl.“

„Auch wieder wahr. Da, schau, Tilde winkt uns schon, packen wir unser restliches Gepäck in ihren Kofferraum. Auf geht’s.“ Und weg war die gute Marga.

Ilse seufzte, griff sich den, zugegeben, recht großen Rollkoffer, der ihr als „Beauty Case“ diente, und folgte der Freundin.

Sie fuhren von Grünwald aus hinaus auf die Landstraße und das in gemächlichem Tempo. Ilse hatte mit Tilde vereinbart, dass sie in Holzkirchen tanken und sich ein paar „Kleinigkeiten“ für die Reise mitnehmen wollte. Da Tilde einen Arzttermin wahrnehmen musste, war ihr Aufbruch erst nach vier Uhr möglich gewesen. Sie wollten die Autobahn daher weitestgehend vermeiden, da sie mit Sicherheit in den Heimreiseverkehr der Pendler gekommen wären. Also, nur kurz bei Holzkirchen auf die Autobahn, tanken, einkaufen …

„Ilse, du weißt, dass das ein Umweg ist, oder? Magst du die örtlichen Tankstellen nicht, oder was?“ Marga blickte sie fragend an.

Sie zog eine schmerzliche Grimasse und zuckte die Schultern. „Im Prinzip schon. Aber da in Holzkirchen gibt’s so feine Dinge, lecker Essen für Zwischendurch, die nehm ich mit.“

„Dir ist schon bewusst, dass wir in ein Hotel mit Gourmet-Restaurant fahren, hoffe ich?“

„Eben darum.“

„Bitte, liebe Ilse, lass mich nicht ganz dumm sterben. Ich versteh dich nicht.“

„Ganz einfach. Ich war in so vielen Luxus-Schuppen, in zahllosen ‚Feinschmecker-Restaurants‘, in Sternelokalen und so weiter. Ernsthaft, das Essen mag ja ach so großartig sein. Aber man wird nie satt, außerdem steh ich selten auf irgendwelche geeisten Wachteleier mit geräuchertem Grönland-Kaviar und den ganzen Summs. Ich nehme mir da lieber eine handfeste Brotzeit mit. Im Notfall gibt’s dann einen Mitternachtssnack auf dem teuer bezahlten Hotelbalkon, kannst du mir folgen?“

Marga bekam Schluckauf, so sehr lachte sie. „Oh. Ilse, du bist so eine Marke. Andere geben damit eher an und du holst dir an der Raststätte Wurststullen, ich kann nicht mehr.“

„Sag nicht so respektlos Wurststullen. Das sind echte Gourmetsandwiches, mit Braten, Salat, Käse und Gürkchen. Da tropft der Senf raus. Zum Niederknien, ich verspreche es dir. Du wirst schon sehen. Ganz zu schweigen von dem leckeren Almdudler, den ich ebenfalls zu kaufen gedenke.“

Marga lachte noch, als sie in die Ausfahrt zur Raststätte Holzkirchen abfuhren.

***

Sie war glücklich! Richtig glücklich. In der Papiertüte auf dem Rücksitz befanden sich vier riesige, unfassbar leckere Sandwiches und vier Flaschen ihrer geliebten österreichischen Lieblings-Limonade. Der Tag war gerettet, in jeder Hinsicht. Weniger glücklich war sie über den Stau kurz hinter der Raststätte. So wie es aussah ein Unfallstau, da in weiter Ferne der Helikopter landete. Das konnte dauern. Sie verspürte sowas wie den Ansatz eines schlechten Gewissens. Hätte sie nicht darauf bestanden ihre Verpflegung zu kaufen und ausgerechnet in der Raststätte zu tanken, wären sie jetzt auf der Landstraße Richtung Bad Tölz. Vorsichtig warf sie einen Blick auf Marga.

„Das ist dumm jetzt, so hatte ich das nicht geplant. Tut mir echt leid.“

Marga deutete nach vorn und meinte mit stoischer Ruhe. „Seien wir dankbar. Ich möchte nicht wissen, wie lange die ersten da vorn im Stau schon stehen und warten müssen. Ganz zu schweigen von den Unfallbeteiligten. Lass uns dankbar sein, dass wir hier hinten und gesund sind.“

Das, unter vielen anderen Dingen, liebte Ilse so sehr an der Freundin. Kein Gezicke, kein Gejammer, im Gegenteil. Immer das Positive suchen und finden.

„Du bist ein Schatz, aber ich glaub, das hab ich dir schon gesagt, oder?“

Marga lächelte. „So ab und an. Aber ernsthaft, macht das Leben so nicht viel mehr Freude?“

Ilse nickte zustimmend. „Auf jeden Fall.“

Es dauerte über eine Stunde, ehe sich der Stau auflöste. Im Vorbeifahren entdeckte Ilse die mit Sand überdeckten Flecken und Lachen auf der Fahrbahn und schauderte. Nein, es war gut gewesen, hinten zu warten. Sie schüttelte sich ein wenig und dankte im Stillen ihrem Schutzengel.

Es war nicht der einzige Stau und so stand die Sonne bereits tief, als sie an der nächsten Raststätte ankamen. Zu Ilses Überraschung war diese komplett gesperrt wegen Bauarbeiten. Allerdings stand da ein gigantischer Sattelzug und außerdem entdeckte sie einen großen Mann, der in sich zusammengesunken auf der Leitplanke zur Einfahrt saß. Sie konnte seine Verzweiflung regelrecht spüren und so dachte sie – wieder einmal – gar nicht erst lange nach. Sie setzte den Blinker, fuhr in die gesperrte Ausfahrt und hielt hinter dem Riesentruck.

„Das darfst du nicht. Hier ist gesperrt, hast du die Schilder nicht gesehen? Ilse, hörst du mich?“ Marga klang ein wenig panisch.

„Ich höre dich, meine Liebe. Aber ich glaube, dass der Trucker hier ein Problem hat.“

„Ilse, bist du ganz verrückt geworden? Wer weiß, was das für ein Typ ist? Was, wenn er nur simuliert und uns ausrauben will?“

„Marga, wie war das vorhin mit dem positiven Denken? Er will uns sicher ausrauben, darum steht er für alle sichtbar mit seinem Truck in einer polizeilich gesperrten Ausfahrt. Ach, Marga, bitte.“

Sie stieg aus dem Auto und sah, wie Tilde ebenfalls, wenn auch langsam und zögerlich, in die Ausfahrt fuhr und hinter ihr anhielt. Ohne zu zögern, näherte sie sich dem Mann, der noch immer auf der Leitplanke saß.

Er schien ein wahrer Riese zu sein, ein sehr unglücklich wirkender Riese. Er saß einfach da, in seinem grauen Shirt, das beachtliche Muskelberge betonte. Sein Gesicht konnte Ilse nicht sehen, denn das war in seinen bratpfannengroßen Händen verborgen. Sachte tippte Ilse ihn an der Schulter an. Da zuerst keine Reaktion erfolgte, wiederholte sie die Prozedur etwas kräftiger.

Endlich kam Bewegung in den Mann. Ein freundliches, rundes, mit Bartstoppeln übersätes Gesicht kam zum Vorschein. Ein sehr müdes, bleiches Gesicht, wie Ilse feststellte. Er musterte sie, anscheinend ohne zu begreifen, was sie hier wollte.

„Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie sich verfahren? Hier ist gesperrt, haben Sie das gesehen?“

Endlich schien er zu verstehen und suchte eindeutig nach Worten. Ilse versuchte es mit Englisch, was lediglich hilfloses Kopfschütteln zur Folge hatte. Ihr Ungarisch war eingerostet, funktionierte aber sowieso nicht. Endlich kam ihr ein Gedanke. „A ty govorish‘ po russki?“

Begeistertes Nicken war die Antwort. Gefolgt von einem „Da ya russkaya!“

„Wusstest du, dass sie Russisch kann?“ Tilde schien enorm beeindruckt zu sein.

„Nein, sie ist ein stetiger Quell an Überraschungen.“ Marga stand mit verschränkten Armen neben ihr und musterte den Fremden.

Ilse seufzte. „Mein Schulrussisch ist eingerostet, aber ein bisschen was versteh ich noch.“

Sie wandte sich wieder an den Mann, der inzwischen aufgestanden war, was geringfügig bedrohlich wirkte, bei einer geschätzten Größe von zwei Metern. „Mein Russisch ist nicht gut. Kann ich helfen, haben Sie eine Panne? Lastwagen kaputt?“

Er grinste. „Nein, Alexej kaputt, Lastwagen fahrt. Alexej fahrt nicht mehr.“

Mit Händen und Füssen gelang es ihr herauszufinden, was passiert war. Der gute Alexej war unter dem Druck seiner Spedition seit drei Tagen unterwegs. In der vergangenen Nacht war es ihm gelungen, zwei Stunden auf einem Rastplatz zu schlafen, aber seitdem waren auch seine letzten Vorräte aufgebraucht. Er hatte allen Ernstes seit drei Tagen nichts außer einem Käsebrot und drei Äpfeln gegessen. Selbst seine Wasserflasche war fast leer. Ilse glaubte ihm jedes Wort, denn sein Magen knurrte so laut, dass einem angst und bange werden konnte. Sie überlegte nur kurz, dann eilte sie zu ihrem Auto, zwängte sich hinein und angelte die Papiertüte mit den Sandwiches heraus, griff sich zwei Flaschen Limo und ging zurück zu dem hungrigen Trucker.

„Priyatnogo appetita, Alexej.“ Sie hielt ihm die gut gefüllte Tüte entgegen.

„Geht nix, ist dein Essen, Frau!“ Alexej fürchtete eindeutig, dass sie verhungern könnte, wenn er annahm.

Sie lächelte ihn aufmunternd an. „Frau heißt Ilse und Frau verhungert nicht so schnell, vertrau mir. Los, komm, setzen wir uns und du isst. Wenn die Polizei kommt, dann sagst du nichts, hörst du Alexej? Putzilei ne govorit‘, klar?“

„Ich nix reden Polizei?“

„Jetzt hast du es verstanden und nun iss. Wenn die Kiberer kommen, rede ich, ponyal?“

Alexej nickte, griff noch immer zögerlich in die Tüte und förderte das erste Bratensandwich zutage. Als er es auspackte, wurden seine Augen so groß wie die Unterteller von Ilses Teeservice. „Mogu li ya s“yest eto?“

„Ja, das darfst du essen. Und jetzt iss, sonst verhungerst du vor unseren Augen.“

Ausgesprochen fasziniert beobachteten die drei Frauen, wie in Windeseile zwei der großen Brote im Mund des hungrigen Truckers verschwanden. Das dritte genoss er deutlich langsamer und mit glücklichem Blick.

„Eto ochen‘ khorosho, soooo gut!!“

Ilse grinste. „Freut mich, wenn’s dir schmeckt. Aber warum hast du so lange gewartet, ehe du was isst?“

Es dauerte etwas, aber dann fanden sie heraus, dass er Order hatte, hier Pause zu machen. Die Firma hatte ein Tankabkommen mit der Raststätte und die Trucker bekamen Prozente auf das Essen. Half eben nur wenig, wenn niemand wusste, dass der Laden geschlossen war. Wenn sie anderswo aßen, dann mussten sie viel Geld draufzahlen und das war Geld, das sich Alexej nicht leisten konnte bei dem sowieso schon nicht eben üppigen Gehalt. Daher hatte er ordnungsgemäß durchgehalten, auch den Stau, in dem er über zwei Stunden verloren hatte, und war endlich, hungrig wie ein Wolf, hierhergekommen … an eine geschlossene Raststätte.

Marga war ebenso fassungslos wie Tilde und sie selbst. „Frechheit, sie lassen den armen Kerl tagelang über die Autobahnen fahren und dann darf er nicht einmal da essen, wo er möchte. Sklavenhalter, echt wahr.“

Während sich Alexej den Rest des dritten Brotes einverleibte, kam, was unweigerlich kommen musste: Ein Wagen der Autobahnpolizei bog mit Blaulicht in die Auffahrt ein. Tilde und Marga erbleichten etwas, Ilse hingegen straffte ihre Schultern und trat aus der kleinen Gruppe heraus.

Die Beamten stiegen, ohne zu zögern, aus, wahrscheinlich da sie sofort erkannten, dass da drei ältere Damen standen, und kamen auf sie zu.

„Meine Damen, Sie wissen aber schon, dass Sie hier nicht stehen, ja, nicht einmal einfahren dürfen?“