Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Skurrile Gäste und diverse Mordfälle auf elf Flüssen in Deutschland - von Passau bis beinahe Flensburg! Edelgard und ihr Norbert begeben sich auf »Mörderische Kreuzfahrten«. Jeder Fluss zeichnet seine eigene unverwechselbare Landschaft, entstanden im Laufe vieler Jahrhunderte. Auf gewohnt unterhaltsame und humorvolle Weise stolpern die beiden in elf Fortsetzungskrimis in ungewöhnliche Kriminalfälle und über diverse Leichen. Vorsicht: Die Entstehung von Lachfalten kann nicht ausgeschlossen werden!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 312
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Claudia Schmid
Mörderische Fluss-Kreuzfahrten
11 Flüsse, 11 Morde
Mörderische Kreuzfahrten Skurrile Gäste und diverse Mordfälle auf elf Flüssen in Deutschland – von Passau bis beinahe Flensburg! Edelgard und ihr Norbert begeben sich auf »Mörderische Kreuzfahrten«. Jeder Fluss zeichnet seine eigene unverwechselbare Landschaft, entstanden im Laufe vieler Jahrhunderte. Auf gewohnt unterhaltsame und humorvolle Weise stolpern die beiden in elf Fortsetzungskrimis in ungewöhnliche Kriminalfälle und über diverse Leichen, auch grenzübergreifend bei Flussfahrten nach Wien und Prag. Ein Klassentreffen führt die beiden in ihre alte Heimat, dann wird Norbert auch noch für den Film entdeckt. Gemeinsam mit der Journalistin Marja nehmen sie an einem wirklich außergewöhnlichen Essen teil. Währenddessen residiert Edelgards Tante in einem sehr speziellen Seniorenheim …
Vorsicht: Die Entstehung von Lachfalten kann nicht ausgeschlossen werden!
Claudia Schmid lebte in Passau, bevor sie sich ihren Traum erfüllte und an der Mannheimer Universität Germanistik studierte. Seit 30 Jahren wohnt sie nun in der Metropolregion Rhein-Neckar, nahe Heidelberg, und schreibt Kriminelles, Historisches, Reiseberichte, Hörspiele und Theaterstücke. Neben ihren Büchern hat die Ehren-Kriminalkommissarin der Polizei Mannheim-Heidelberg über vier Dutzend Kurzgeschichten veröffentlicht. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin ist auch als Redakteurin von »kriminetz.de« sowie als Kommunikationstrainerin tätig und übernimmt mit Vorliebe kleine Rollen in Fernsehkrimis. Lesetermine der Autorin finden Sie auf www.claudiaschmid.de.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
Immer informiert
Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie
regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.
Gefällt mir!
Facebook: @Gmeiner.Verlag
Instagram: @gmeinerverlag
Besuchen Sie uns im Internet:
www.gmeiner-verlag.de
© 2020 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Susanne Tachlinski
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Björn Wylezich / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6608-3
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Edelgard und Norberts Reiserouten wurden von der Autorin individuell für die beiden zusammengestellt.
Zum Buch
Impressum
Haftungsausschluss
Inhaltsverzeichnis
Passau for ever (Donau; Passau, Wien)
Die Donau
Vom Ende einer Ehe (Elbe; Dresden, Prag)
Die Elbe
Eine Leiche zum Dessert (Ems; Leer)
Die Ems
Wenn sie doch bloß geschwiegen hätte (Iller; Memmingen)
Die Iller
Tattoos und Wolkenkratzer (Main; Frankfurt)
Der Main
Die Beobachterin (Neckar; Mannheim, Heidelberg)
Der Neckar
Der runde Geburtstag (Havel; Berlin)
Spree und Havel
Als Norbert für den Film entdeckt wird (Rhein; Rüdesheim)
Der Rhein
Ein ganz besonderer Saft (Saar; Saarbrücken)
Die Saar
Wo die Liebe hinfällt (Mosel; Trier)
Die Mosel
Der Vogelretter (Eider; Sankt Peter Ording, Friedrichstadt)
Die Eider
Danksagung
Karte
Lesen Sie weiter …
»Eeedelgard!«
Ich hasse die Art, wie er meinen Namen ausspricht, mit dieser völlig übertriebenen Betonung auf der ersten Silbe. Keine Ahnung, was meine Mutter geschluckt hatte, als sie sich diesen Namen für mich überlegte. Alle anderen Mädchen in der Klasse hießen Monika, Helga, Sabine, Andrea oder Angelika. Aber Edelgard! Vielleicht war auch Mutters Tante der Grund dafür, die jüngste Schwester ihrer Mutter. Obwohl unverehelicht hatte sie es beizeiten verstanden, das gesamte elterliche Erbe an sich zu ziehen und den Rest der Familie leer ausgehen zu lassen. Mutters Plan war, sie als meine Patentante einzusetzen und sich damit zugleich nach einem bald fälligen Ableben sozusagen über mich einen Zugang zu dem Erbe zu ermöglichen. Aber Tante Edelgard erwies sich als äußerst zäh. Hochbetagt lebt sie quietschfidel in einer Seniorenresidenz und sendet mir zu meinen Geburtstagen handgestickte Deckchen, die bereits ein ganzes Regal in meinem Schrank füllen. Sogar unserem mittlerweile erwachsenen Sohn hatte sie eines zur Konfirmation gesandt.
Und ausgerechnet ich blieb dann an Norbert kleben, an dem Sitzenbleiber, der erst im letzten Schuljahr von einer anderen Schule zu uns kam.
Seit so vielen Jahren ertrage ich ihn nun schon. Das muss ein Ende haben! Seit unser Sohn aus dem Haus ist, vertritt er nämlich die Meinung, meine Fürsorge, die bis dahin »meinen beiden Männern« galt, habe sich jetzt ganz und gar ihm zu widmen. Wir sind am Beginn unserer Reise, da wird etwas passieren, ich kann einfach nicht mehr länger. Wir unternehmen eine Flusskreuzfahrt auf der Donau. Kann ja sein, dass da mal jemand ins Wasser fällt, von so einem Schiff. Wieso also nicht Norbert? Dann bin ich ihn endlich los, und zwar für immer. Er kann nämlich immer noch nicht schwimmen! Alles wird nach einem Unfall aussehen. Soll es ja hin und wieder geben, so einen tragischen Verlust im Urlaub. Und ich werde dann als trauernde Witwe zurück nach Hause reisen. Die Lebensversicherung auf Norbert ist ganz ordentlich ausgestattet, sie wird dazu beitragen, mein gebrochenes Herz schnell zu heilen. Dann kann ich endlich wieder alles so machen, wie ich will!
Wir sind heute Vormittag mit dem Zug in Passau angekommen und haben ein paar Stunden Zeit, um uns das »bayerische Venedig« ein wenig anzuschauen. Was ich bis jetzt von der barocken Stadt gesehen habe, gefällt mir ganz ausgezeichnet.
Norbert trägt wie üblich seinen beigefarbenen Breitcordanzug, obwohl er genau weiß, dass ich den nicht ausstehen kann. Und zu allem Überfluss hat er zusätzlich hellbraune Schuhe an! Mit Lochmuster! Norbert hat ziemlich zugelegt seit unserer Hochzeit. Das ist ja kein Wunder, denn das Einzige, was der stemmt, ist abends im Fernsehsessel sein Weißbierglas. Es war ursprünglich seine Idee, nach Niederbayern zu reisen, ins Eldorado für Biergenießer. Ich habe ihn dann umgelotst auf die Schiffsreise.
In dem hellen, leicht zu engen Anzug könnte Norbert gut als Michelin-Männchen auftreten, das Werbung für Traktorreifen macht.
Nur eine kurze Weile muss ich ihn also noch ertragen, bevor ich nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau halten kann. Und ich bin wild entschlossen, sie zu nutzen, sobald sie sich bieten wird! Ich beende diese Reise ohne ihn, das steht für mich fest.
Ich blicke mich nach Norbert um. Er hat schon wieder Bierdurst, das sehe ich seiner Miene deutlich an. Nach so vielen gemeinsamen Jahren kennt man seinen Partner schließlich ganz genau, oder etwa nicht? Wir befinden uns auf der steinernen Promenade längs des Inns und steuern nun auf das Dreiflusseck zu. Dort, wo der Inn und die Ilz sich mit der Donau vereinen. Die Sonne gibt ihr Bestes an diesem Frühsommertag. Schwäne schwimmen anmutig auf dem Wasser, Möwen kreisen darüber. Das Panorama längs des Wegs verzaubert mich. Zur linken Seite schmiegen sich schmucke Häuser eng aneinander, zur rechten Seite liegt eine hügelige Landschaft, die ebenfalls sehr hübsch bebaut ist. Der Inn ist so unmittelbar vor seiner Mündung ziemlich breit. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass er, wenn er bei Hochwasser über seine Ufer tritt, noch imposanter ist.
Wäre da nicht mein schon wieder nörgelnder Mann, hätte ich allen Grund, bester Laune zu sein. Aber wie soll mir das mit ihm gelingen? Aus den schönsten Gedanken reißt er mich mit seinen Wünschen. Wie ein Kind, das seine Bedürfnisse auf der Stelle befriedigt haben will. Man kann doch mit Trinken etwas warten!
»Edelgard! Jetzt renn nicht so arg! Ich komme ja kaum hinterher.«
Ich setze mich auf eine der Parkbänke, damit Norbert in Ruhe zu mir aufholen kann, und genieße den Panoramablick über den Stadtteil auf der gegenüberliegenden Flussseite. Ein Mann mittleren Alters nickt mir freundlich zu.
Ich lächele zurück. Hier passiert genau das, was ich die ganze Zeit über schon denke! Ohne meinen Mann eröffnen sich für mich viele neue Chancen.
Der fremde Herr, ein fesches Mannsbild, wie man in Bayern sagt, nimmt neben mir Platz. Er trägt einen hellbraunen Leinenanzug mit Hemd. »Ich darf mich setzen?«
Verstohlen blicke ich mich nach meinem Göttergatten um. »Bitte sehr.«
»Sie sind hier auf Urlaub, nicht wahr?«
Ich zeige zu einem Gebäude auf dem gegenüberliegenden Berg. »Können Sie mir sagen, was das ist?«
»Aber klar. Schönen Frauen hilft man immer gerne.«
Dieses Lächeln! Meine Laune schnellt ordentlich nach oben.
»Was Sie dort drüben über der Innstadt sehen, das ist die Wallfahrtskirche Mariahilf.«
In dem Moment ist Norbert schnaufend und schwitzend bei mir angelangt und quetscht sich ungefragt zu uns auf die Bank.
»Das weiße, welches zur Kirche hochführt, ist die berühmte Wallfahrtsstiege.«
»Eine Wallfahrtsstiege?« Norbert gibt das Echo.
»Es kommen immer noch viele Gläubige, die ihre Anliegen an die Muttergottes hier vortragen. Stufe für Stufe. Im Gebet verharrend.«
»Und das hilft?« Norbert gibt sich skeptisch.
»Schauen Sie selbst mal die Stiege an! Zu den Seiten der Stufen sind an den Wänden viele Gaben angebracht, welche die Gläubigen bringen. Der Glaube hilft. Aber was hat Sie denn in unsere Stadt geführt?«
»Wir werden eine Flussschifffahrt unternehmen.«
»Wann gehen Sie an Bord?«
»Morgen geht es los. Aber wenn Sie gestatten, möchte ich jetzt gerne meine Frau entführen und in einem Biergarten einen Gerstensaft zu mir nehmen.«
Lieber Himmel, weshalb drückt Norbert sich jetzt bloß derart geschwollen aus? Liegt es an der eleganten Kleidung seines Gegenübers? Will er ihn beeindrucken?
Der Mann erhebt sich nun und weist mit der Hand in Richtung einer schmalen Gasse. »Natürlich. Halten Sie sich da vorne links, dann rechts. Dort erhalten Sie ein vorzügliches Schankbier. Ich kann es Ihnen wärmstens empfehlen.«
Norbert springt mit einer Behändigkeit, die selbst ich ihm nicht zugetraut hätte, auf und geht voraus. »Das klingt richtig gut.«
Der Mann neigt sich mir zu und blickt mich direkt an. »Gehen Sie morgen nicht an Bord.«
Diese Augen! Grün. Ich habe das Gefühl, als blicke er mir damit in die kleinsten Winkel meiner Seele. Ich spüre ein feines Kribbeln im Bauch. Aber weshalb soll ich nicht an Bord gehen?
Er fasst nach meiner Hand. »Geben Sie mir ein Pfand. Dafür, dass wir uns wiedersehen.«
»Ein was?«
»Verstehen Sie mich bitte richtig, ich will sichergehen, dass wir uns nochmals begegnen.«
»Edelgard, wo bleibst du denn?« Mein Mann kräht aus einiger Entfernung ungeduldig nach mir.
»Seien Sie in einer Stunde im Hirschwirtsgassl. Übergeben Sie mir dort etwas von Ihnen persönlich«, sagt der Fremde und verschwindet.
Verblüfft bleibe ich zurück und setze, nachdem ich mich etwas gefasst habe, zögerlich einen Fuß vor den anderen, um Norbert zu folgen. Ich bin Norbert noch gar nicht losgeworden, und schon bemüht sich ein derart attraktiver Mann um mich! Könnte er mir dabei behilflich sein, mir meinen Gatten endlich vom Hals zu schaffen? Bislang sind alle meine Versuche, mich seiner zu entledigen, gescheitert. Stets war im entscheidenden Moment, wenn er etwa von einer Burg hätte fallen können, eine helfende Hand zur Stelle. Zu meinem Bedauern. Vielleicht sollte ich es nicht mehr länger alleine versuchen? Das Leben gibt mir einen Wink in Form von grünen Augen! Man muss in der Lage sein, Zeichen als solche zu erkennen und zu verstehen. Ich bin bereit!
Aber weshalb will er ein Pfand von mir? Das erscheint mir ziemlich altmodisch. Und was, bitte sehr, soll ich ihm geben? Andererseits, warum denn eigentlich nicht? Auf Romantik habe ich in all den Jahren meiner Ehe schmerzlich verzichtet. Da darf es jetzt gerne ein wenig mehr davon sein. Es muss ja nicht gleich ein Rosamunde-Pilcher-Rührstück daraus werden.
Er hat nach meiner mit Granatsteinen besetzten schweren silbernen Kette gelugt. Die rücke ich auf keinen Fall heraus, schöne Augen hin oder her. Die stammt schließlich von meiner Urgroßmutter. Die werde ich selbst tragen, bis unser Sohn Julian eines Tages heiratet. Dann wird sie meine zukünftige Schwiegertochter von mir als Hochzeitsgeschenk erhalten, das Stück bleibt auf jeden Fall in unserer Familie. Die Kette ist der einzige Schmuck, den meine hochbetagte Großtante Edelgard bislang aus dem komplett für sich beanspruchten Erbe an mich abgegeben hat. Als ich an einem kleinen Friseurlädchen vorbeigehe, über dessen Fenster eine Messingscheibe als Ladenschild baumelt, habe ich die zündende Idee. Ich werde eine Locke aus meinen Nackenhaaren herausschneiden. Welch schöneres Pfand kann es schließlich für einen Mann, der eine Frau begehrt, geben?
Ich habe Norbert erreicht, der bereits vor dem Biergarten steht.
Ungeduldig trippelt er durch den Einlass. »Wo bleibst du denn so lange? Und überhaupt, was hast du denn mit diesem Mann noch zu reden gehabt? Was gab es da zu besprechen, als ich schon weg war?«
Ich zucke mit keiner Wimper. »Er hat uns eine gute Reise gewünscht.«
»Na, das ist aber freundlich von ihm. Schau mal, da ist ein Zweiertisch frei. Bestell mir schon mal ein dunkles Weizenbier, ich muss noch kurz wohin.«
Das Zweiertischchen ist das einzige, an dem Platz ist. Denn der Biergarten ist voll besetzt, die Lärmkulisse ist nicht unerheblich. Hauptsächlich sitzen hier junge Leute an den hölzernen Tischen unter den Kastanienbäumen. Ob das alles Studierende sind? Sogar unser Julian hatte seinerzeit überlegt, sich für einen Studienplatz in Passau zu bewerben. Der Campus ist einer der schönsten in ganz Deutschland. Er liegt direkt am Inn. Außerdem genießt die Universität einen sehr guten Ruf.
Ich ziehe mein Smartphone aus der Tasche und beglückwünsche mich dazu, über mobile Daten zu verfügen. Rasch schaue ich nach, wo dieses Hirschdingsgasserl sein soll. Zu meiner Erleichterung ist es ganz in der Nähe. Wie ich meinen Mann kenne, wird bei ihm nach dem Genuss eines Bieres rasch Appetit aufkommen. So rappelvoll, wie es hier ist, wird es bestimmt eine Weile dauern, bis es serviert wird. Mit etwas Glück ist er in knapp einer Stunde immer noch beim Essen und ich kann, den Besuch der Toilette vortäuschend, mich kurz fortstehlen. Das dürfte kein Problem sein. Aber wie entferne ich eine Locke aus meiner Haarpracht? Zum Innenleben meiner Handtasche gehört keine Schere. Ob die hier scharfe Messer haben? Ich könnte mir eine Kleinigkeit zu essen bestellen und es unauffällig in meiner Handtasche verschwinden lassen.
Da kommt Norbert schon wieder zurück. »Hast du mein Bier bestellt?«
»Mach ich sofort. Ach, da ist ja die Bedienung.« Ich lege meine Hand liebevoll auf Norberts Arm, als ich nach ihr rufe. Schließlich sollen Zeugen bei einer späteren Befragung aussagen, ich habe meinen Mann abgöttisch geliebt. »Hallo, bringen Sie bitte meinem Mann ein dunkles Weizenbier und mir einen Latte macchiato.«
Die Frau trägt einen knallengen schwarzen Bleistiftrock mit hohem Bund zu einer weißen Bluse. Es ist mir ein Rätsel, wie die in ihren hochhackigen Schuhen stundenlang herumlaufen kann.
Eine der jungen Frauen neben mir ruft ihr ebenfalls etwas zu. »Und für mich einen Bierwärmer!«
»Einen was?« Das junge Ding auf dem Stuhl neben ihr kichert. »Einen Bettwärmer? Den suchst du dir besser im Hörsaal!«
»Was du immer gleich verstehst!« Die junge Frau mit dem strengen Haarknoten und der Perlenkette über der hochgeschlossenen Blümchenbluse zieht empört eine Schnute. »Ich habe dir schon x-mal erläutert, dass mein empfindsamer Magen kein kaltes Bier verträgt.«
»Einmal Bierwärmer, jawoll, kommt sofort!«
Die Bedienung hat mit hoher Tonlage die Augen aller Biergartenbesucher auf die Frau mit dem Sonderwunsch gelenkt.
Aber die schert sich nicht darum. Ganz im Gegenteil scheint sie die Aufmerksamkeit zu genießen. Sie streicht eine kokett aus der Frisur gerutschte Haarsträhne nach hinten und sitzt aufrecht vor ihrem Glas.
Meine Rechnung geht auf. Mit der Bestellung für sein zweites Glas Bier bittet Norbert die Bedienung um die Speisekarte.
Auch ich werfe einen Blick darauf. Welchem Gericht liegt wohl ein scharfes Messer bei? Dem Salat sicher nicht. Ich entscheide mich für ein Steak.
»Edelgard, seit wann isst du Steaks? Möchtest du nicht lieber Fisch?« Er klopft mit dem Finger auf die Speisekarte. »Einen Zander, zum Beispiel. Du stehst doch so auf Fisch.«
Damit hat mein Gatte recht. Aber wie, bitte sehr, soll ich mir mit einem stumpfen Fischmesser eine Strähne meines Haares absäbeln?
»Ich dachte wegen der Proteine, Norbert.« Ich versuche ein Lächeln.
»Proteine. Wenn du meinst. Dann nehme ich ebenfalls eines. Frollein!«
»Norbert, um Himmels willen, man ruft heutzutage nicht so nach der Bedienung«, raune ich ihm zu. Aber die Frau ist schon auf dem Weg zu uns. Norbert bestellt sich gleich noch einen fulminanten Nachtisch dazu. Eine Palatschinke mit Eis und Sahne.
»Für die Dame ebenfalls?«
»Bitte nicht.«
»Edelgard, gönn dir ruhig mal etwas. Schließlich sind wir hier in Urlaub und nicht beim Fastenwandern.«
»Mein Lieber«, ich lächele ausgiebig, »wir sind ab morgen auf dem Schiff. Da werde ich noch reichlich Gelegenheit für solch kleine Sünden haben.« Bei dem Wort »Sünden« streichele ich sanft seinen Arm.
Er nickt der immer noch wartenden Bedienung zu. »Bringen Sie ruhig zwei. Wenn meine Frau ihre nicht schafft, wird sie schon nicht verkommen.«
Als unser Essen endlich serviert wird, ist die Stunde beinahe abgelaufen. Ich werde ein wenig an dem Steak herumsäbeln und dann vortäuschen, auf die Toilette zu gehen.
»Du, Norbert«, beginne ich, während ich nachdenke, wie ich noch während des Essens erklären soll, dass ich kurz austreten werde.
»Schmeckt’s dir nicht?« Norbert blickt begehrlich auf meinen Teller.
Ich nicke. »Irgendwie hatte ich es mir anders vorgestellt.«
Ehe ich es mich versehe, hat Norbert mein Stück Fleisch flugs mit seiner Gabel aufgespießt und es auf seinem Teller platziert. »Ich helfe, wo ich kann.«
»Wenn du eh noch am Essen bist, verschwinde ich mal kurz, du weißt schon, wohin.«
Norbert hat sich bereits erneut einen großen Bissen zwischen die Backenzähne geschoben und kaut ausgiebig darauf herum.
»Mach das. Ich laufe schon nicht weg.«
Während des Aufstehens schiebe ich unauffällig mein Messer in den Ärmel meiner leichten Jacke. Ich schlage den Weg zur Toilette ein und lasse das Messer in meine Handtasche gleiten. Erleichtert stelle ich fest, dass das Restaurant über einen weiteren Ausgang verfügt.
Draußen angelangt, orientiere ich mich kurz mithilfe meines Smartphones. Dieses Gasserl liegt zum Glück ganz nah. Kurz nachdem ich an einem Museum vorbeigegangen bin, strömt jedoch mindestens ein ganzer Bus voller Touristen aus einer Gasse. Die Hauptfarbe ihrer Kleidungsstücke ist beige. Sie verteilen sich über die ganze Breite der Straße und machen als Gruppe das Durchkommen unmöglich. Als ich mitten in der Menge versuche, mich im Slalom weiterzuwinden, hält mich eine Frau, die ein knallrotes Kleid trägt, am Arm fest.
»Sie gehören gar nicht zu uns.« Sie reckt einen gepunkteten Schirm hoch über ihren Kopf.
Komisch, es regnet doch gar nicht! Wozu braucht die einen Schirm? Gegen die Sonne? Aber die knallt gar nicht so sehr, dass man sich vor ihr auf diese Art schützen muss.
»Welche Gruppe?«
»Sehen Sie, genau darum geht es. Sie haben keinen Eintritt für diese Führung bezahlt und haben sich da jetzt einfach mitten hineingemischt.«
»Wie unsozial!« Ein älterer Mann im grünen Hemd und beigefarbener Hose mustert mich vorwurfsvoll. »Dabei ist diese ausgezeichnete Führung jeden Cent wert. Sie sollten sich schämen. Alles, was recht ist!«
»Ich soll was?« Ich presse unwillkürlich meine Handtasche an mich.
»Sie dachten wohl, es fällt nicht auf und Sie kommen damit durch, nicht wahr?« Der Griff ihrer Hand um meinem Arm wird fester. »Aber mir fällt es sofort auf, wenn sich jemand in meine Gruppe mogelt. Das gibt es bei mir nicht. Das lasse ich mir nämlich nicht bieten.«
»Jetzt hören Sie mal!« Ich finde das Verhalten der Frau gelinde gesagt unerhört.
Der Mann pflichtet ihr bei. »Jetzt zahlen Sie endlich und hören auf, uns hier etwas vorzuspielen.«
»Da Sie unredlich versucht haben, sich einzuschleichen, kostet das für Sie die erhöhte Teilnahmegebühr in Höhe von 20 Euro.«
»Was?« Ich streife die Hand der Frau wütend ab. »Sie und Ihre Gruppe versperren hier den Weg und jetzt verlangen Sie Geld von mir? Sie sind ja nicht ganz dicht!«
»Wenn Sie unverschämt werden, rufe ich die Polizei.« Sie baut sich vor mir auf. Ihre Gruppe umringt mich. Sie wirken nicht besonders freundlich, eher unangenehm.
»Machen Sie das! Ich bestehe darauf, dass sofort die Polizei gerufen wird. Wenn Sie es nicht machen, dann tue ich es.« Das werden wir sehen, ob sie mit ihrer Taktik durchkommt. Ich ziehe mein Smartphone aus der Handtasche und entsperre den Bildschirm.
Da scheint sie es sich anders zu überlegen. »Ich will kein Aufsehen. Aber lassen Sie sich nicht nochmals dabei erwischen, wie Sie sich einfach so in meine Gruppe mogeln.«
Als die Leute weg sind, atme ich tief durch. Ich habe ja schon von vielen Betrugsmaschen gehört. Aber diese eben ist für mich völlig neu. Ich bemerke, dass ich die Bügel meiner Handtasche immer noch mit beiden Händen umklammert habe. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es bereits zehn Minuten über der Zeit ist. Und die Haarsträhne habe ich immer noch nicht abgeschnitten! Ich suche in meiner Tasche nach dem Messer, das ich vorhin eingesteckt habe. Mit der linken Hand umfasse ich eine Strähne meines dunkelblonden, gelockten Haares im Nacken. Mit der rechten Hand setze ich das Messer an.
»Du, Tante! Was machst’n du da? Des schaugt irgendwie komisch aus.« Ein kleiner Dreikäsehoch in karierter kurzer Hose baut sich vor mir auf. Sein blondes Haar könnte gut die nähere Bekanntschaft mit einem Kamm vertragen.
»Nichts, nichts, mein Kleiner«, wiegele ich ab und schiebe das Messer wieder zurück. »Alles in Ordnung. Geh zu deiner Mama.«
Nun eilt es aber wirklich, endlich ins Hirschwirtsgassl zu kommen. Ich weiß noch nicht einmal, wie der Mann heißt! Ich werde ihn auf jeden Fall bitten, mir mit der Strähne zu helfen.
Endlich sehe ich das Schild der Gasse. Aber hier ist genauso wenig ein Durchkommen wie grade eben. Sind heute sämtliche Reisegruppen Niederbayerns in Passaus Altstadt unterwegs? Ich werde es von der anderen Seite versuchen und haste vorbei an einer Häuserzeile über einen Platz.
Als ich das große gelbe Haus umrundet habe, was in meinen Pumps mit den schmalen Absätzen auf dem Kopfsteinpflaster nicht ganz so flott geht, wie ich mir das wünsche, stehe ich auf einem weiteren Platz. Es scheint ein Schulhof zu sein. Jetzt, auf dieser Seite, bemerke ich, dass das gelbe Haus eine Schule sein muss. Aber auch von hier ist der Zugang zum Hirschwirtsgassl verstopft. Herrje, weshalb hat mir der Fremde ausgerechnet dieses Nadelöhr als Treffpunkt vorgeschlagen? Ihn selbst kann ich nirgendwo entdecken, sosehr ich meinen Hals auch recke und versuche, über die Köpfe der Touristen zu blicken. Meine Uhr zeigt an, dass ich dringend in den Biergarten zurückmuss, wenn mein Gatte keinen Verdacht wegen meines kleinen Ausfluges schöpfen soll. Niedergeschlagen eile ich zurück. Ich weiß weder, wie der Mann heißt, noch, was er von mir wollte.
»Edelgard, ich dachte schon, du kämst gar nicht mehr von der Toilette zurück!«
Norbert widmet sich bereits mit Hingabe seinem Nachtisch. Eine Palatschinke mit Vanilleeis und einem Schlag Sahne, als kulinarisches Kunstwerk auf einem gläsernen Teller serviert. Die Gedecke unserer Hauptgerichte hat er zur Seite geschoben.
»Du weißt doch, vor der Damentoilette ist immer eine endlos lange Schlange. Ich musste ewig warten, wirklich. Da denkt man, während man da steht, da geht gar nichts voran.«
»Na, jetzt bist du ja endlich wieder hier. Greif zu.« Auf meinem Platz steht der Zwilling zu Norberts Nachspeise. Der Duft von Puderzucker, der warmen Palatschinke und Vanille versucht tapfer, mich zu verführen.
Mir ist jedoch der Appetit vergangen. Mein vielversprechendes Treffen mit dem gut aussehenden Fremden ist geplatzt und ich habe keine Telefonnummer von ihm. Nicht einmal seinen Namen. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn kontaktieren soll. Ich schiebe Norbert meinen Teller hin.
Als die Bedienung kurz darauf unseren Tisch abräumt, bemerkt sie das fehlende Messer.
»Entschuldigung, ich glaube, das ist mir vorhin runtergefallen.«
Während mir die Röte ins Gesicht schießt, bücke ich mich nach meiner Handtasche, die neben meinem Holzstuhl auf dem Boden steht, und fingere das Messer heraus. Schnell lege ich es auf den Teller.
Als die Bedienung weg ist, bemerke ich das Flüstern der jungen Frau, die den Bierwärmer bestellt hat, und ihrer Begleiterin. Dabei blicken die beiden immer wieder zu mir und kichern.
»Zu dämlich zum Klauen«, pflichtet die eine der anderen in einer für mich bestimmten Lautstärke bei.
Früher waren die Manieren der jungen Leute gegenüber Menschen älterer Semester zweifellos besser, denke ich bei mir. Als ich jung war, hätten wir uns so etwas nicht getraut. Ach was, wir wären gar nicht auf die Idee gekommen, uns derart impertinent zu verhalten!
Als wir wenig später den Biergarten verlassen, remple ich beim Hinausgehen versehentlich an den Stuhl der Warmbiertrinkerin, während sie ihr Glas in der Hand hält. Flüssigkeit schwappt über ihre Bluse.
Ohne sie weiter zu beachten, folge ich hocherhobenen Hauptes meinem Mann.
Wir gehen längs der Donau, vorbei an der Büste der Dichterin Emerenz Meier, die nach Chicago ausgewandert ist, mit Blick auf Nieder- und Oberhaus zur Anlegestelle unseres Schiffes, das einen klangvollen Namen trägt. Auf dem Weg halte ich Ausschau nach dem Unbekannten. Zu meinem Leidwesen kann ich ihn nirgendwo entdecken. So gehen wir an Bord, ohne dass ich ihn nochmals hätte sprechen können. Wie bedauerlich! Aber wir sind ja erst am Beginn unserer Reise. Wer weiß, welche Gelegenheiten für interessante Bekanntschaften sich im weiteren Verlauf noch ergeben werden? Das Leben steckt voll ungeahnter Möglichkeiten! Man muss sie lediglich erkennen.
Gleich nachdem wir das Schiff durch eine doppelte Glasschiebetür betreten haben, stehen wir in einem großen Raum. Auf der linken Seite befindet sich eine Rezeption, genauso wie in einem Hotel. Eine freundliche junge Dame in dunkelblauem Kostüm begrüßt uns. Nachdem wir eingecheckt sind, weist sie uns den Weg zur offenen geschwungenen Treppe, die sich gegenüber befindet.
»Ihre Kabine liegt, wie bei der Buchung gewünscht, auf dem Oberdeck. Sie können hier hinaufgehen oder den Aufzug nehmen.«
Eigentlich will ich die mit Teppich belegte elegante Treppe benutzen, aber Norbert begibt sich bereits zum Aufzug.
Der lange Flur, von dem rechts und links holzfarbene Türen in die Kabinen führen, ist ebenfalls mit einem Teppich ausgelegt, in den das Logo der Reederei eingewebt ist. Ich öffne die Tür zu unserer Kabine und bin überrascht, wie geräumig sie ist. Alles sieht genauso aus wie in einem Hotelzimmer der gehobenen Klasse. An der einen Seite steht ein breites Doppelbett. Gegenüber an der Wand ein schmaler Schreibtisch. Seitlich vor dem Außenbalkon haben wir zwei bequem aussehende Klubsessel aus hellem Holz mit Stoffbezug. Die Balkonbrüstung ist aus Glas, sodass sie den Blick nicht behindert. Da draußen stehen zwei Stühle bereit. Ein Traum! Das Bad könnte einen Tick größer sein, aber alles in allem bin ich zufrieden.
Norbert inspiziert die Minibar und setzt sich dann auf das Bett, während ich meine Sachen in den Schrank räume.
»Beeil dich, Edelgard. Wir sollten nicht zu spät zum Begrüßungscocktail erscheinen.«
Ich wähle ein schmales Kleid in Kobaltblau. »Willst du dich ebenfalls umziehen, Norbert?«
»Wieso? Die Sachen, die ich anhabe, sind total bequem!«
Norbert öffnet die Tür. Mit bequem hat er sicherlich recht, was sein Outfit anbelangt. Hoffentlich kann ich ihn wenigstens zum Dinner dazu überreden, sich umzuziehen. Immerhin gibt es an Bord einen Dresscode!
Die Bar befindet sich auf demselben Deck, auf dem unsere Kabine ist. Wir müssen lediglich den Bereich mit der Treppe queren.
Die Hausdame Laura Anselmo steht bereits vor einem kleinen schwarzen Flügel auf einer Art Bühne. Sie wird gemeinsam mit dem Kreuzfahrtleiter, der neben ihr auf das Einfinden der Passagiere wartet, unsere Ansprechpartnerin für alle Belange während unseres Aufenthaltes auf dem schwimmenden Hotel sein. Ich erfreue mich an dem Anblick des Salons, in dessen Eingangsbereich sich eine großzügige Bar befindet, um die man auf Hockern Platz nehmen kann. Die hübsche Bestuhlung erinnert mich an ein Caféhaus.
Aus dem Angebot wähle ich einen zartblauen Aperitif, der hervorragend zum Farbton meines Kleides passt. Das Glas ist mit einem Zuckerrand verziert. Norbert entscheidet sich für ein Weizenbier. Das entspricht seinem »Sportgerät«, welches er abends vor unserem Fernseher stemmt.
Unsere Mitreisenden sind überwiegend in unserem Alter oder liegen darüber. Die meisten haben sich elegant gekleidet. Bis auf ein Pärchen, das nicht so recht ins Bild passen will. Die junge Frau nippt an einem Mineralwasser, ihr ebenso junger Begleiter an einem Espresso. Lieber Himmel, denke ich, womöglich leben die vegan. Dabei fällt mir ein, dass Norbert keinerlei Allergien hat. Es soll ja Menschen geben, die kann man mit einer einzigen Nuss, die gerieben ihrem Essen untergemischt wird, ins Jenseits befördern. Zu meinem Bedauern verträgt Norbert jegliche Art von Nahrung bestens. Selbst diesbezüglich hat ihn das Schicksal verschont.
Kira, so höre ich den Mann sie nennen, als ich an ihnen vorbeigehe, wirkt in sich zurückgezogen, während er unverhohlen die anderen Gäste mustert. So, als würde er sie sortieren nach bedenklich und unbedenklich. Weswegen auch immer.
Nachdem wir in die Sicherheitsbestimmungen an Bord eingewiesen wurden, erläutert Laura Anselmo den Ablauf unserer Reise und wie wichtig es sei, nach Landgängen pünktlich an Bord zurückzukehren.
Als die Einweisung zu Ende ist, verweilen wir noch ein wenig in der Bar, wo ein Pianist in schwarzem Anzug und weißem Hemd an dem Flügel Platz genommen hat und leichte Weisen zum Besten gibt.
Es ist bereits dunkel, als wir an Linz vorbeifahren. Eingehüllt in eine Decke sitze ich auf unserem Balkon und genieße den Blick auf die Lichter der Stadt. Obwohl ich noch ein wenig traurig darüber bin, in Passau den interessanten Fremden nicht mehr getroffen zu haben. Nebenan niest jemand.
»Kira, zieh dir was über. Du erkältest dich sonst.«
»Bela, hast du alles dabei?«
»Klar.«
Eine Tür geht zu.
Nebenan wohnt also das junge Paar, das mir vorhin aufgefallen war.
»Edelgard!« Norbert ruft nach mir. »Wo ist denn meine Zeitschrift?«
Norbert arbeitet sich neuerdings in die Fotografie ein, seit ihm unser Sohn zum letzten Weihnachtsfest eine Kamera geschenkt hat.
»Du hast sie selbst eingepackt!«
Ich verlasse meinen Aussichtsplatz. Denn ich weiß genau, Norbert wird keine Ruhe geben, bis er das Gewünschte erhalten hat. Ganz unten im Koffer, in welchem noch immer seine Sachen sind, liegt das Heft. Ich drücke es ihm in die Hand und räume seine Kleider ein. Damit, dass er es selbst bewerkstelligt, ist kaum zu rechnen.
Morgens stelle ich fest, dass unsere Kabinennachbarn mit uns am selben Tisch im Panorama-Restaurant sitzen. Die Plätze werden uns für die Dauer der Reise zugewiesen, man kann sich nicht einfach irgendwohin setzen.
»Ist das Ihre erste Flussschifffahrt?« Ich beginne die Unterhaltung mit meiner Tischnachbarin.
Die nickt.
»Wir sind zum ersten Mal auf so einem Schiff«, übernimmt ihr Begleiter die Antwort für sie.
»Und wo kommen Sie her?«
»Edelgard, hör schon auf damit, die Leute zu verhören.« Norbert fällt mir ins Wort. »Meine Frau liest zu viele Krimis.«
Am liebsten würde ich ihm unter dem Tisch vors Schienbein treten. Ich mache immerhin ganz normale Konversation mit den anderen Gästen! Das hat nichts mit einem Verhör zu tun, wenn man lediglich höflich ist.
»Kira, Schatz, schmeckt es dir?«
Dieser Bela kümmert sich wirklich vorbildlich um seine Partnerin. Von diesem Verhalten könnte mein eigener Mann gerne etwas übernehmen.
»Guck, Norbert, Stift Melk!«
Unser Schiff fährt soeben an der wunderschönen Stiftanlage vorbei, die sich über das Tal erhebt. Die Morgensonne scheint auf die überwiegend in Goldgelb gehaltene Fassade und lässt sie regelrecht strahlen.
»Erinnerst du dich? Der Name der Rose? Den haben wir damals in dem kleinen Kino bei uns um die Ecke gesehen. In diesem Stift in der Wachau wurde ein Teil des Films gedreht.«
»Keine Ahnung. Hieß nicht eine der Hauptfiguren Adson von Melk? Nach dem Stift?«
»Ich habe damals nach dem Kinobesuch den Roman von Umberto Eco gekauft.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, der Schüler hieß so wie das Stift, an dem wir grade vorbeifahren.«
Wir blicken beide, wie die anderen Gäste im Restaurant ebenfalls, zu der prächtigen Barockanlage hoch.
»Schade, dass wir hier nicht anhalten. Meine Bekannte Astrid Steins hat im letzten Jahr eine Radtour gemacht, ich kenne sie aus dem Kirchenchor. Die ist von Passau bis nach Wien mit dem Fahrrad gefahren.«
Norbert stöhnt alleine schon bei dem Gedanken laut auf.
»Sie hat das Stift besichtigt. Astrid erzählte mir, die Bibliothek sei wunderbar! Die müsse man unbedingt gesehen haben. Die liest genauso gerne wie ich.«
»Kann man da auch mit dem Zug hinreisen, Edelgard?«
Er ist mit seinem Rührei mit Speck fertig und scheint zu überlegen, was er sich als Nächstes vom Frühstücksbüfett holt.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Selbst für mich ist mein korpulenter Mann auf einer sehr langen Radtour nur schwer vorstellbar. Vermutlich bräuchte er eine Spezialanfertigung, damit sich der Rahmen des Drahtesels unter seinem Gewicht nicht verbiegt.
Nach dem Mittagessen, zu dem uns Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat serviert wurde, legen wir schon in der Donaumetropole an. Wir verlassen das Schiff für einen Landgang. Norbert will natürlich ins Hotel Sacher, um dort stilgerecht ein Stück der in aller Welt berühmten Torte zu verspeisen. Ich hingegen will mir die Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule ansehen. Davon hat unsere Nachbarin nämlich ebenfalls geschwärmt.
Kaum sind wir von Bord gegangen und haben festen Boden unter den Füßen, steuert eine junge Frau direkt auf uns zu. Ich glaube, meinen Augen nicht zu trauen! Es ist Marja Schnitter, die aufdringliche Journalistin, die wir während unserer Reise längs der Bergstraße kennengelernt haben. Ausgerechnet die hier zu treffen! Die hat doch tatsächlich meinen Mann des Mordes verdächtigt! Eine Unverschämtheit. Völlig haltlos obendrein. Was, bitte sehr, würde es mir nützen, wenn mein Mann für 15 Jahre in den Knast müsste? Da käme ich überhaupt nicht mehr an seine Lebensversicherung dran. Die zahlt schließlich nur bei seinem Tod!
Der Mann, der Marjas Mutter auf dem Gewissen hat, ist selbst zum Opfer geworden. Das hatte ihr die Polizei gegen Ende unserer damaligen Reise mitgeteilt. Ich kenne zufällig die Frau, die sich seiner in Notwehr entledigte, als der Serienmörder erneut brutal zuschlagen wollte. Aber nur sie und ich wissen davon. Ich habe ihr versprochen, zu schweigen wie ein Grab. Schließlich halten wir Frauen zusammen, nicht wahr?
»Frau Buchmann!« Marja Schnitter streckt mir fröhlich, grade so, als wäre nie etwas anderes als Heiterkeit in unserer Begegnung gewesen, die Hand hin. »Und Herr Buchmann! Welch eine Überraschung, Sie hier zu treffen. Und das bei diesem strahlenden Sonnenschein. Das freut mich jetzt aber wirklich.«
»Das kann man wohl sagen, so eine Überraschung«, erwidere ich spitz. Mein Bedürfnis, diese Person wiederzusehen, ist nicht sehr ausgeprägt.
»Frau Schnitter!« Mein Göttergatte deutet tatsächlich eine Verneigung an. Ich habe ihm damals nicht die Wahrheit gesagt, als wir die Journalistin bei der letzten Station unserer Reise an der Bergstraße in Wiesloch trafen. Er weiß nichts von ihren unerhörten Verdächtigungen gegen ihn. Wozu hätte ich es ihm erzählen sollen? Das hätte ihn nur unnötig aufgeregt. Dabei ist der Aufenthalt in diesem skurrilen Smart-Haus in Wiesloch am Ende der Reise an die Bergstraße für sich genommen bereits abenteuerlich genug gewesen. Das Haus hatte unser Sohn gebucht, weil er uns mit etwas Besonderem überraschen wollte. Ich kann nur bestätigen, das ist ihm vortrefflich geglückt! Der Vermieter war in dubiose Finanzgeschäfte verwickelt und wurde von Leuten, die er geschädigt hatte, entführt. Ich hatte damals den Eindruck, die Polizei verdächtige meinen Mann! Das war natürlich völlig haltlos und ließ sich rasch klären.
»Sie beide hier zu treffen! Welch ein Zufall.«
Ich hoffe für sie ebenfalls darauf, dass diesem Treffen kein Kalkül zugrunde liegt. Wer weiß schon, was diese Person wieder ausheckt? Ist das Treffen mit ihr tatsächlich dem Wechselspiel des Lebens geschuldet? Es fällt mir schwer, wirklich an einen Zufall zu glauben. Ich traue ihr einiges zu.
»Sind Sie auf diesem Schiff?«
»Genau. Meine Frau und ich machen eine Flussschifffahrt.« Norbert strahlt mit der Sonne um die Wette, während die anderen Gäste sich an uns vorbei in Richtung der Stadt zerstreuen.
»Zauberhaft! Ich will, während das Schiff hier liegt, mit dem Kreuzfahrtleiter sprechen. Ich habe einen Termin bei ihm. Dachte ja gar nicht, dass das Schiff pünktlich ist. Mit den ganzen Staustufen und so. Das frisst immerhin Zeit ohne Ende.«
»Schreiben Sie einen Ihrer Reiseführer?« Norbert ist sichtlich von ihrem Aussehen hingerissen. Sie trägt ein figurnahes Kleid mit Blumenmuster. Am liebsten würde ich ihn an Ort und Stelle in den Fluss schubsen. Er kann nämlich nicht schwimmen. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Schlagzeile in einer Zeitung mit großen Buchstaben stehen: »Wal an Donaustrand bei Wien angeschwemmt«.
»So was Ähnliches. Wenn Sie mich nicht verpetzen …« Sie knipst ein breites Lächeln an. »Ich will eigentlich kritisch über diese Art des Reisens schreiben. Aber das verrate ich dem Kreuzfahrtleiter nicht. Sonst komme ich nicht an Informationen heran.«
Das glaube ich ihr sofort. Vorne nett und hinterrücks hat sie bereits den Griffel angespitzt. Laut sage ich: »Dann viel Vergnügen bei Ihrem Gespräch. Sie entschuldigen uns, wir beide sehen uns jetzt Wien an. Komm endlich, Norbert, unsere Zeit ist knapp. Und wir müssen pünktlich zurück sein. Das Schiff soll schließlich nicht ohne uns weiterfahren.«
»Wo wir uns hier schon derart zufällig über den Weg laufen, habe ich eine Idee!«, hält sie uns zurück. »Sie könnten mir doch von Ihrer weiteren Fahrt berichten, Frau Buchmann, indem sie Artikel darüber schreiben?«
»Kritisch?«
»Das ist mein Ressort. Sie schreiben einfach auf, was Sie erleben. Ganz natürlich und unverbrämt.«
»Aha.«
»Denken Sie drüber nach. Kehren Sie nachher zehn Minuten früher von Ihrem Ausflug zurück.«
»Weshalb machen Sie die Reise nicht einfach selbst?«
»Können Sie es für sich behalten, Frau Buchmann? Ich werde ganz grässlich seekrank, sobald das Schiff die Maschinen anwirft und losfährt. Bis nachher!«
Schon stöckelt sie an Bord.
»Komm, Norbert, lass uns die Zeit endlich für unsere Stadtbesichtigung nutzen.«
Wir besteigen ein Taxi.
»Zur Hofburg, bitte!«
»Du hättest ruhig netter zu Frau Schnitter sein können.«
»Findest du?«
»Ich weiß wirklich nicht, was du gegen sie hast. Irgendwie habe ich den Eindruck, du warst unangenehm überrascht, sie zu treffen. Dabei ist sie derart nett. Manchmal verstehe ich dich einfach nicht.«
Ich schweige und starre aus dem Fenster.
An der Hofburg angekommen, stelle ich zu meinem Bedauern fest, dass heute keine öffentliche Führung stattfindet. Wir schlendern längs der Österreichischen Nationalbibliothek und biegen in die Dorotheergasse ein. Vorbei an berühmten Cafés gelangen wir bis zum Stephansdom.
»Sollen wir uns am Naschmarkt mit ein paar Spezialitäten eindecken?«
Mein Mann ist sofort überzeugt.
Auf dem berühmten Markt verschwendet er keinen Blick auf die gegenüberliegende Häuserzeile mit den fantastischen Jugendstilfassaden. Ich hingegen vermag mich kaum daran sattzusehen. Ehe ich es mich versehe, sitzt er bereits vor einem Imbiss auf einem der im Freien aufgestellten Stühle.
»Edelgard, guck mal, die haben Krautwickel!«
»Krautwickerl, der Herr.« Der Mann hinter der Theke grinst.