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Folge 2: Gibt es Geister in Dulcote? Die alte Miss Bilbrough behauptet jedenfalls, dass es in ihrem Haus spukt. Doch niemand glaubt der alten Dame. Stattdessen halten sie alle für verrückt und raten ihr, endlich ins Altersheim zu ziehen. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Mr Whalley, der ihr helfen möchte und June und Pomona von den seltsamen Vorkommnissen berichtet. Spukt es dort wirklich? Oder erlaubt sich da jemand einen bösen Scherz? Gemeinsam gehen die drei Hobby-Ermittler den Ereignissen im unheimlichen Cottage auf den Grund und stoßen dabei auf einen finsteren Plan ...
Über die Serie:
Traumhafte Gärten, eine wunderschöne Landschaft und mystische Orte - dafür steht die Grafschaft Somerset. Als die junge Londonerin June das Cottage und den Buchladen ihrer Tante erbt, beschließt sie, dort neu anzufangen. Doch auch in der südenglischen Idylle gibt es dunkle Schatten und Verbrechen ... Wie gut, dass ihr die quirlige Pomona mit ihrem Hang zu Tarot und Esoterik und der sympathische Antiquar Mr. Whalley bei ihren Ermittlungen zur Seite stehen. Und dann gibt es da den attraktiven Detective Seargeant Sean Darcy, der bei der Verbrecherjagd auch noch ein Wörtchen mitzureden hat ...
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Traumhafte Gärten, eine wunderschöne Landschaft und mystische Orte – dafür steht die Grafschaft Somerset. Als die junge Londonerin June das Cottage und den Buchladen ihrer Tante erbt, beschließt sie, dort neu anzufangen. Doch auch in der südenglischen Idylle gibt es dunkle Schatten und Verbrechen … Wie gut, dass ihr die quirlige Pomona mit ihrem Hang zu Tarot und Esoterik und der sympathische Antiquar Mr. Whalley bei ihren Ermittlungen zur Seite stehen. Und dann gibt es da den attraktiven Detective Seargeant Sean Darcy, der bei der Verbrecherjagd auch noch ein Wörtchen mitzureden hat …
Gibt es Geister in Dulcote? Die alte Miss Bilbrough behauptet jedenfalls, dass es in ihrem Haus spukt. Doch niemand glaubt der alten Dame. Stattdessen halten sie alle für verrückt und raten ihr, endlich ins Altersheim zu ziehen. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Mr Whalley, der ihr helfen möchte und June und Pomona von den seltsamen Vorkommnissen berichtet. Spukt es dort wirklich? Oder erlaubt sich da jemand einen bösen Scherz? Gemeinsam gehen die drei Hobby-Ermittler den Ereignissen im unheimlichen Cottage auf den Grund und vereiteln einen finsteren Plan …
Juniper »June« Morgan (34) zieht aus London in den kleinen Ort Lower Foxdale in der Grafschaft Somerset. Von ihrer verstorbenen Tante Sheila hat sie ein hübsches kleines Cottage und einen Buchladen im nahegelegenem Glastonbury geerbt. Außerdem ein Päckchen Tarotkarten, dass June trotz ihrer Skepsis oft erstaunlich hilfreiche Hinweise zu liefern scheint. In der scheinbar heilen Welt des ländlichen Idylls möchte June die persönliche und berufliche Krise überwinden, in der sie gerade steckt. Doch kurz nach ihrer Ankunft kommt June einem Verbrechen auf die Spur und hat plötzlich ganz andere Probleme …
Pomona »Mona« Quimby (60) war die beste Freundin von Junes verstorbener Tante und ihre Geschäftspartnerin im Buchladen. Sie ist ein lebenslustiger Freigeist, Expertin für Tarot und Esoterik und beherrscht das kreative Chaos. Eine gute Tasse Tee und eine Kuscheleinheit mit ihren Katzen ist für sie ein Allheilmittel.
Rufus Whalley (55) ist der Inhaber des Antiquariats gegenüber dem Buchladen. Natürlich kennt er sich bestens mit Literatur, Geschichte und den Mythen und Legenden rund um Somerset aus. Er ist stets akkurat, sehr belesen, intelligent und heimlich in Pomona verliebt.
Detective Sergeant Sean Darcy (35) heißt nicht nur wie der Protagonist in Jane Austens Stolz und Vorurteil, sondern kann auf den ersten Blick auch ziemlich überheblich und arrogant wirken. Doch der erste Eindruck täuscht, denn eigentlich ist er ganz umgänglich …
Das unheimliche Cottage
Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und Elizabeth Bilbrough war froh, dass sie sich für den Mantel entschieden hatte. Der September war bisher sonnig gewesen, doch abends wurde es nun merklich kühler, und es war nicht mehr zu leugnen, dass der Herbst Einzug gehalten hatte. Sie streckte die Handfläche aus, um zu prüfen, ob es lohnte, den Schirm zu öffnen. Es war nur ein feiner Sprühregen, also beschloss sie, es zu lassen.
Sie konnte das Gartentor bereits sehen. Noch war das Laub im Vorgarten grün, doch die Hortensienblüten sahen inzwischen reichlich traurig aus, und auch der Sommerflieder war allmählich verblüht. Es gab eine Menge zu tun, um den Garten auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten, was ihr zunehmend schwerer fiel.
Martin und Tammy mochte sie nicht um Hilfe bitten, die hatten im Moment genug eigene Sorgen, außerdem war Martin nach seinem Unfall noch immer nicht vollständig genesen. Eines allerdings stand für sie fest: Solange sie die Pflege von Haus und Garten einigermaßen bewältigen konnte, würde sie bleiben. All das aufzugeben, dazu fühlte sie sich noch nicht bereit.
Im Herbst hatte das alte Cottage etwas Melancholisches. Im abendlichen Dunst wirkte die helle Sandsteinfassade schmutziger, und die drei Dachgiebel duckten sich schutzsuchend unter dem wolkenverhangenen Himmel. Die Blütenpracht des Sommers war dahin. Allein die Sonnenblumen hielten trotzig die Köpfe über die Mauer gereckt und leuchteten der Vergänglichkeit entgegen. Die Luft war feucht und schwer und trug bereits eine Ahnung des unausweichlichen Vergehens.
Das Gebäude konnte auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Das ehemalige Pfarrhaus war schon seit über achtzig Jahren im Besitz der Familie. Elizabeth Bilbrough hatte beinahe ihr gesamtes Leben hier verbracht und hoffte, dass sie es auch in diesem Haus beenden würde.
Genau in dem Moment, als sie den Eingang erreicht hatte, öffnete der Himmel plötzlich seine Schleusen. Eilig flüchtete sie sich die drei Stufen hinauf in den Schutz des Vordachs und zog den Schlüssel aus der Manteltasche. Sie betrat den Vorraum, stellte den Schirm in den Ständer, streifte den regenfeuchten Mantel ab und hängte ihn auf. Sie schauerte.
»Brr. Ein scheußliches Wetter«, sagte sie zu dem zweifarbigen RagdollKater, der ihr schnurrend um die Beine strich, und bückte sich, um ihm über das Köpfchen zu streicheln. Sie setzte sich auf den Garderobenhocker, zog die Schuhe aus und stellte sie ordentlich an ihren Platz.
»Nanu?« Verwundert sah sie sich im Vorraum um. »Wo sind denn meine Hausschuhe geblieben? Hast du sie gesehen, Crumpet?«
Der Kater murrte kurz und strich erneut um ihre Beine.
»Eigenartig. Ich habe sie doch ganz sicher hier an der Tür ausgezogen.« Elizabeth seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich werde langsam zerstreut, mein Lieber. Aber dein Abendessen vergesse ich nicht. Keine Angst.«
Als hätte Crumpet sie verstanden, lief er mit freudig in die Luft gerecktem Schwanz voraus in den Flur. Als er an der Tür zum Arbeitszimmer vorbeikam, zögerte er kurz. Er plusterte den Schwanz auf, krümmte den Rücken zu einem Buckel und fauchte. Dann huschte er voraus in Richtung Küche.
Elizabeth runzelte die Stirn und warf einen Blick durch die Tür. Im Dämmerlicht, das von draußen hereinfiel, konnte sie nur die Umrisse der Möbel erkennen, bemerkte jedoch nichts Ungewöhnliches. »Was hast du nur immer? Da ist niemand.« Es war nicht das erste Mal, dass der Kater ohne eine erkennbare Ursache so reagierte. Vielleicht war sie nicht die Einzige in diesem Haus, die langsam verschroben wurde. Crumpet war immerhin zwölf, ein stolzes Alter für eine Ragdoll-Katze.
Als sie die Küche betrat, wartete er bereits mit vorwurfsvollem Blick vor seinem Napf und miaute heiser. Sie holte eine Dose Katzenfutter aus dem Vorratsschrank und füllte die Hälfte in sein Schälchen. Anschließend verschloss sie das angebrochene Futter mit einem Plastikdeckel und öffnete den Kühlschrank, um es hineinzustellen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne.
»Das gibt es doch gar nicht! Ich habe doch wohl nicht …« Sie stellte die Dose ab und nahm kopfschüttelnd ihre Hausschuhe heraus. »Wer soll es sonst gewesen sein? Oder hast du gelernt, den Kühlschrank zu öffnen? Offenbar werde ich langsam wunderlich.«
Der Kater schien unbeeindruckt und schmatzte genüsslich beim Fressen.
»Das lassen wir aber nicht Tammy hören, was?«, sagte Elizabeth und seufzte. »Die liegt mir schließlich schon die ganze Zeit in den Ohren, dass ich zu ihr nach Bridgwater ziehen soll. Ich weiß ja, sie meint es nur gut, aber ich möchte hier nicht weg. Und du auch nicht, nicht wahr?«
Der Kater sah auf, rieb sich mit der Pfote über die Nase und schleckte sie ab.
Miss Bilbrough lächelte, dann löschte sie das Licht, verließ die Küche und ging durch den Flur ins Wohnzimmer. Sie drückte den Lichtschalter und blieb wie angewurzelt stehen.
»Ach du liebes bisschen!«, rief sie und machte einen zaghaften Schritt in den Raum. »Was ist denn hier passiert?«
Jemand hatte das Häkeldeckchen von der Kommode gerissen, sodass die Lampe und die Porzellankätzchen, die dort standen, zu Boden gefallen waren. Auch die Bilderrahmen mit den Porträts ihrer Eltern, ihrer verstorbenen Schwester und das Familienfoto ihrer Nichte Tammy waren umgekippt und lagen zum Teil auf dem Teppich.
Miss Bilbrough bückte sich und sammelte die verstreuten Gegenstände ein. Zum Glück waren ihre Kätzchen nicht zerbrochen. Dann legte sie das Deckchen an seinen Platz, richtete die Lampe wieder auf und rückte den Schirm zurecht. Während sie die Porzellanfiguren und die Fotorahmen aufstellte, dachte sie darüber nach, wie dieses Malheur hatte passieren können.
Hatte Crumpet etwa versucht, auf die Kommode zu springen? Allerdings war er schon seit einiger Zeit nicht mehr so agil. Nur mit Mühe schaffte er es aufs Sofa, und das Treppenlaufen fiel ihm zusehends schwer.
Womöglich war er gegen die Kommode gestoßen, und die umfallenden Fotorahmen hatten einen Dominoeffekt ausgelöst. So musste es gewesen sein.
Miss Bilbrough nahm die Fernbedienung und das Häkelkörbchen und setzte sich auf die Couch. Sie schaltete den Fernseher ein und klickte sich durch die Programme, bis sie auf eine Quizsendung stieß, die sie gern ansah. Einige Minuten später kam auch Crumpet ins Wohnzimmer stolziert und blieb vor dem Kamin hocken, wo er sich ausgiebig der Körperhygiene widmete. Miss Bilbrough nahm Nadel und Wolle aus dem Korb, um weiter an dem Loopschal zu arbeiten, einem Geburtstagsgeschenk für ihre neunjährige Großnichte Evie.
Sie hatte gerade eine halbe Runde gehäkelt, als sie zusammenfuhr und die Handarbeit sinken ließ. Hatte da eben eine Tür geschlagen? Hastig angelte sie nach der Fernbedienung, drückte den Mute-Knopf und lauschte. Sie sah zu Crumpet hinüber. Er hatte aufgehört, sich zu putzen, die Zunge noch halb herausgestreckt, und horchte ebenfalls mit gespitzten Ohren.
Sie legte das Häkelzeug beiseite, schaltete den Fernseher ab und stand auf. Angespannt horchend trat sie in den Flur. Sie knipste das Licht an. Nichts zu sehen. Da! Was war das? Es klang wie ein Knurren oder Grollen und schien aus der oberen Etage zu kommen. Sie näherte sich der Treppe.
»Hallo?«, rief sie. »Ist da jemand?«
Nichts. Möglicherweise war irgendein Tier durch die Katzenklappe hereingekommen.
Sie wollte sich eben wieder umdrehen und ins Wohnzimmer zurückgehen, als sie von oben eine Art Stöhnen oder Keuchen hörte.
»Hallo?«
Nichts rührte sich. Ob sie nachsehen sollte? Vorsichtshalber bewaffnete sie sich mit dem gusseisernen Schürhaken aus dem Ständer neben dem Kamin, bevor sie langsam die Stufen ins obere Stockwerk hinaufstieg. Abermals ertönte das Stöhnen. Mit pochendem Herzen erreichte sie den Treppenabsatz und knipste rasch das Licht an. Das Geräusch hatte geklungen, als ob es aus Violets ehemaligem Zimmer kam, das dem Treppenhaus genau gegenüberlag.
»Wer ist da?«, rief sie und näherte sich vorsichtig der geschlossenen Tür. Wieder hörte sie das Stöhnen, doch dieses Mal klang es, als käme es aus dem Flur, der zu ihrem Schlafzimmer führte. Ihr Herz raste, und ihr Atem ging schnell und stoßweise. Kurz überlegte sie, ob es nicht besser wäre, die Polizei zu rufen. Doch was sollte sie sagen? Dass jemand ihr Häkeldeckchen von der Kommode gerissen hatte, ihr Kater sich seltsam verhielt und sie eigenartige Geräusche hörte?
Sie hätte Martin bitten können, herzukommen. Doch dann hätte Tammy sich nur wieder Sorgen gemacht und sie in ihrer Überzeugung bestätigt, dass ihre Tante nicht mehr allein in diesem großen Haus wohnen sollte. Nein. Sie würde sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen. Wie hätte jemand unbemerkt hereinkommen sollen? Sicher gab es eine Erklärung für das Geräusch.
Entschlossen packte sie den Griff des Schürhakens fester, hob ihn an und umrundete die Ecke. Langsam bewegte sie sich den Flur entlang, der zu ihrem Schlafzimmer führte. Das Zimmer auf der rechten Seite war früher das Kinderzimmer gewesen, in dem sie mit ihrer jüngeren Schwester Margaret geschlafen hatte.
Kurz musste sie daran denken, wie Margaret ihr im Bett Schauergeschichten erzählt hatte und wie sie dann oft mit bis zum Kinn hochgezogener Decke dagelegen und sich vor den Schatten im Zimmer gefürchtet hatte. Es waren dasselbe beklemmende Gefühl und dieselbe Ahnung, dass irgendetwas Bedrohliches in den dunklen Ecken lauerte, die ihr auch in diesem Moment einen Schauer über den Rücken jagten.
Vorsichtig drückte sie die Klinke, öffnete die Tür einen Spalt und blickte in den Raum. Der Lichtstreifen, der aus dem Flur hineinfiel, schälte die Möbel aus dem Dunkel. Den alten Ohrensessel ihres Vaters, der ihr nun als Lesesessel diente, den Tisch mit der Nähmaschine, die Regale, die Stehlampe. Sie öffnete die Tür weiter, ging hinein und machte Licht. Kein Eindringling zu sehen. Mit erhobenem Schürhaken trat sie an die Vorhänge und zog mit einem Ruck den schweren Stoff zur Seite. Erleichtert ließ sie die Luft aus den Lungen entweichen. Auch hier war niemand.
Sonst bot der Raum keine Verstecke. Der große Eichenschrank enthielt Bettwäsche, Handtücher und ihre sämtliche Wintergarderobe. Ein Einbrecher hätte darin wohl kaum Platz gefunden. Dennoch öffnete sie sicherheitshalber die Tür, hinter der sich die Kleiderstange befand und spähte hinein. Mit einer Hand schob sie hastig die dicht nebeneinanderhängenden Kleider auseinander. Nichts.
Sie ging zurück in den Flur und näherte sich ihrer Schlafzimmertür, als wieder das Stöhnen ertönte. Doch dieses Mal schien es aus dem unteren Stockwerk zu kommen. Entschlossen öffnete sie die Tür, machte Licht und durchsuchte das Schlafzimmer. Auch hier nichts.
Etwas mutiger ging sie nun zurück zum Treppenhaus und horchte auf das Geräusch. Doch es blieb stumm. Aus dem GästeWC im Erdgeschoss ertönte ein vertrautes Scharren. Crumpet buddelte in seiner Katzentoilette. Dieser Umstand beruhigte sie einigermaßen. Der Kater war in dieser Hinsicht eigen. Nur wenn er sich sicher fühlte, kletterte er in die Plastikbox. Wäre jemand Fremdes im Haus, hätte er es gewiss bemerkt.
Miss Bilbrough ließ den Schürhaken sinken und stieg die Treppe wieder hinunter. Bereits nach drei Stufen blieb sie stehen. Was war das? Sie lauschte. Ja, zum Kuckuck, da flüsterte doch jemand. Langsam schlich sie weiter und versuchte, die Quelle des Flüsterns zu orten. Kam es aus der Küche?
Ein spitzer Schrei entfuhr ihr, und sie drückte sich mit dem Rücken an die Wand, als plötzlich etwas in den Flur geschossen kam. Erleichtert lachte sie auf.
»Crumpet! Du hast mich zu Tode erschreckt.«
Der Kater war aus der Katzentoilette gesprungen und lief, Katzenstreu auf den Dielen verteilend, wie ein geölter Blitz durch den Flur ins Esszimmer. Dort unter dem Sideboard versteckte er sich gewöhnlich, wenn Fiona, ihre Haushaltshilfe, mit dem Staubsauger auftauchte.
Elizabeth runzelte die Stirn. Hatte der Kater das Flüstern ebenfalls gehört und war deshalb aus der Katzentoilette geflüchtet?
Vorsichtig folgte sie dem Geräusch, doch als sie die Küchentür erreicht hatte, hörte sie es plötzlich aus der anderen Richtung. Sie wandte sich um und ging zurück zur Treppe. Horchend blieb sie einen Augenblick im Flur stehen. Kam es aus dem Arbeitszimmer? Sie öffnete die Tür und knipste das Licht an. Nichts zu sehen. Wieder hörte sie das Flüstern. Dieses Mal schien es allerdings von oben zu kommen.
Sie schüttelte den Kopf. Das war unmöglich. Im Obergeschoss hatte sie ja eben noch nachgesehen. Entschlossen straffte sie die Schultern. Sie würde sich nicht verrückt machen. Wie schnell steigerte man sich in Ängste hinein? So wie damals, als Margaret ihre Gruselgeschichten erzählt hatte. In einem alten Haus gab es immer Geräusche.
Sie beschloss, ins Wohnzimmer zurückzukehren und noch etwas fernzusehen. Sicherheitshalber stellte sie den Schürhaken zunächst nicht zurück an seinen Platz, sondern legte ihn neben sich auf die Couch. Dann nahm sie die Fernbedienung zur Hand und schaltete das Gerät wieder ein. Die Quizshow war allerdings bereits zu Ende, und auf dem Kanal lief nun ein Thriller. Rasch wechselte Elizabeth den Sender. Noch mehr Aufregung konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Sie landete schließlich bei einer Folge Strictly Come Dancing und nahm ihre Handarbeit wieder auf. Nach ein paar Minuten hörte sie Crumpet aus dem Esszimmer herübertapsen, und kurz darauf quälte der greise Kater sich zu ihr aufs Sofa, wo er sich zusammenrollte.
Nach ein paar Häkelrunden bemerkte sie, dass das Wollknäuel zur Neige ging. Sie überlegte, ob sie ein neues anfangen sollte, doch ihre Augen wurden allmählich müde, und sie fröstelte. Offenbar wurde es langsam Zeit, die Heizung anzustellen. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Erst halb neun. Noch ein wenig zu früh, um ins Bett zu gehen. Sie würde sonst später nur wieder wach liegen.
»Weißt du was, Crumpet? Ich glaube, ich nehme noch ein schönes, warmes Bad mit Lavendelöl. Das wird mich wieder aufwärmen, und danach kann ich bestimmt gut schlafen.«
Der Kater blinzelte träge und zog das Näschen unter die Pfote. Miss Bilbrough lächelte. »Gute Nacht, alter Junge.«
Sie kraulte Crumpet noch einmal das Köpfchen und ging hinaus. Als sie die Treppe hinaufstieg, glaubte sie, aus Richtung der Küche wieder ein Stöhnen zu hören, doch sie beschloss, es zu ignorieren und sich nicht verrückt machen zu lassen. Sie bog um die Ecke und betrat das Badezimmer, das dem ehemaligen Kinderzimmer gegenüberlag. Sie verschloss den Ablauf und drehte die Wasserhähne auf. Dann ging sie ins Schlafzimmer, zog sich aus, wickelte sich in den flauschigen Bademantel und kehrte ins Badezimmer zurück.
Als sie sich der Wanne näherte, um die Temperatur zu prüfen, fuhr sie zusammen. Sie schlug die Hände vor den Mund, taumelte einige Schritte zurück, und ein spitzer Schrei hallte von den gekachelten Wänden wider.
O Gott! Rot, alles rot! Das konnte doch überhaupt nicht sein! War das etwa … Blut?
Ihre Gedanken rasten. Sie wusste nicht, was sie denken oder tun sollte. Wieder überlegte sie, die Polizei zu rufen, doch sie zögerte. Was sollte sie denn am Telefon sagen? Die Geschichte klang doch ziemlich verrückt. Ob sie ihr glauben würden? Inzwischen zweifelte sie schließlich selbst an ihrem Verstand.
Endlich kehrte wieder Leben in ihre erstarrten Glieder. Wenn schon nicht die Polizei, dann würde sie wenigstens Martin anrufen. Er könnte dann immer noch die Polizei alarmieren, und ihn würden sie sicher eher ernst nehmen als eine alte Frau. Eilig nahm sie das Telefon aus der Ladestation im Flur und wollte die Nummer eintippen. Nichts. Das Display blieb dunkel. Sie hielt den Einschaltknopf gedrückt, doch es tat sich nichts. Ihr Puls raste. Hatte jemand die Telefonverbindung gekappt?
Mit pochendem Herzen lief sie ins Schlafzimmer, klaubte ihre Kleider zusammen und hastete die Treppe hinunter. Doch auch das Telefon im Erdgeschoss funktionierte nicht. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Was sollte sie nur tun?
Whalley, dachte sie. Ich muss Whalley holen.
June sah auf, als das Bimmeln der Glöckchen über der Eingangstür neue Kundschaft ankündigte. Verwundert stellte sie fest, dass es Rufus Whalley war, dem das Antiquariat gegenüber gehörte.
»Hallo, Rufus. Wir sind doch erst für morgen verabredet. Ich fürchte, Pomona ist auch gar nicht da. Sie hat einen Zahnarzttermin.«
Whalley trat näher an den Verkaufstresen und senkte die Stimme. »Na ja, eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mich zum Lunch begleitest. Es … äh … gibt da eine Sache, zu der ich gerne deine Meinung gehört hätte.«
»Aha?«, machte June und runzelte die Stirn. »Äh, ja, natürlich. Einen Augenblick. Ich sage nur rasch Carolyne Bescheid, dass ich Mittagspause mache.«
Sie ging in den hinteren Teil des Ladens, wo die Aushilfe damit beschäftigt war, Bücher in die Regale zu sortieren.
»Kannst du die Kasse übernehmen? Whalley hat gefragt, ob ich mit ihm etwas essen gehe.«
»Na klar, ich kann hier auch später weitermachen.« Carolyne lächelte.
Die junge Frau war ein echter Glücksgriff für Sheila’s Book Nook, den Buchladen, den June von ihrer Tante geerbt hatte und seither gemeinsam mit deren Freundin und Kollegin, Pomona Quimby, betrieb. Carolyne belegte einen Kurs für Kunst und Design am Bridgwater & Taunton College und half stundenweise im Laden aus, um sich ihr Studium zu finanzieren. Außer Carolyne beschäftigten sie noch Janet, die an zwei Tagen die Woche und am Wochenende im Laden war.
June ging in den Lagerraum, um ihre Handtasche zu holen. Dabei überlegte sie, warum Rufus ausgerechnet mit ihr allein sprechen wollte. Zwar hatte sie eine vage Ahnung, worum es gehen könnte, doch auf ein derartiges Gespräch war sie weder vorbereitet noch besonders scharf.
Es war nämlich kaum zu übersehen, dass Whalley ein mehr als freundschaftliches Interesse an Pomona hatte. Die allerdings war in Liebesdingen deutlich anders gestrickt als der gesetzte und gutmütige Antiquar. Sie hielt nichts von festen Bindungen und der – wie sie es ausdrückte – europäisch-christlichen Sexualmoral.
Jedenfalls hegte June den Verdacht, dass Rufus bei ihr vorfühlen wollte, wie sie die Chancen für eine romantische Annäherung einschätzte, und ihr würde es nun zukommen, ihn möglichst sanft und einfühlsam zu enttäuschen.
Na, wunderbar, ein Traum! Genau so hatte sie sich ihre Mittagspause vorgestellt. Sie seufzte, schlang ihre Handtasche über die Schulter und kehrte in den Verkaufsraum zurück.
»Wollen wir zum Blue Note?«, fragte Rufus, als sie auf die Straße traten. »Noch ist es warm genug, um draußen zu sitzen.«
»Gute Idee«, erwiderte June.
Tatsächlich war es tagsüber noch so sommerlich, dass Rufus sein übliches Tweedjackett gegen ein luftigeres Modell aus Leinen getauscht und sogar einen zweiten Knopf an seinem Hemd geöffnet hatte.
June liebte den Innenhof mit den bunt bemalten Fensterrahmen, den üppigen Blumenampeln und den kuriosen Geschäften.
Sie fanden einen freien Platz unter der Galerie, auf der sich der Goddess Temple befand, ein spirituelles Zentrum, das sich der Verehrung der großen Muttergöttin verschrieben hatte, und direkt daneben My Pleasure, der Tantra- und Erotikladen mit der leuchtend gelb gestrichenen Ladenfront, in dem Pomona Stammkundin war. June musste zugeben, dass sie auch schon einen neugierigen Blick hineingeworfen hatte, allerdings wollte sie lieber nicht so genau wissen, was es mit den Workshops und Kursen auf sich hatte, die Pomona dort besuchte.
Nachdem sie bestellt hatten, kam Rufus ohne Umschweife zum Punkt.
»Nun, wie gesagt, ich hätte gern deine Meinung in einer Angelegenheit gehört«, sagte er und strich sich verlegen den ordentlich gestutzten Bart. »Ich … äh würde Pomona gern etwas fragen und weiß nicht so recht, ob es eine gute Idee ist und wie ich es anfangen soll.«
June nickte. »Ich weiß«, sagte sie und bereitete sich innerlich darauf vor, ihm so schonend wie möglich beizubringen, dass Pomona romantisch nicht an ihm interessiert war.
Eine Pause entstand, als die Getränke gebracht wurden, und Rufus sah irritiert aus. »Du weißt?«, fragte er, als die Bedienung gegangen war. »Aber woher? Ich meine, ich habe doch noch überhaupt nicht erzählt …«
»Das brauchst du auch nicht. Es ist doch kaum zu übersehen.«
»Ich verstehe nicht ganz«, erwiderte Rufus und runzelte die Stirn. »Was ist nicht zu übersehen?«
June dämmerte allmählich, dass sie offenbar auf dem falschen Dampfer war, was Whalleys Anliegen anging. »Ach, nichts. Ich dachte, du meinst … na ja, nicht so wichtig. Schieß los, was wolltest du mich fragen?«
»Es geht um eine alte Bekannte. Ich fürchte, ich muss ein bisschen weiter ausholen.«
»Das macht nichts, wir haben ja Zeit.« June lächelte und nahm einen Schluck Limonade.
»Tja, wie ich bereits erwähnte, geht es um Elizabeth Bilbrough, eine alte Bekannte und eine Stammkundin im Antiquariat. Sie war früher Lehrerin an einer Grundschule in Wells, ist aber schon lange pensioniert und lebt seit dem Tod ihrer älteren Schwester Violet nun allein in ihrem Cottage in Dulcote nicht weit von mir entfernt. Daher haben wir uns gelegentlich auch privat getroffen und uns angefreundet.«
June nickte und durchbohrte eine Zitronenscheibe in ihrem Glas mit dem Papierstrohhalm.
»Nun, letzten Freitag stand sie plötzlich am Abend bei mir vor der Tür. Die Ärmste war vollkommen verstört. Sie … sie glaubt, dass es in ihrem Haus spukt.«
»Es spukt?«, fragte June unnötigerweise. »Ich meine, wie macht sich so etwas denn bemerkbar?«
»Gegenstände liegen plötzlich nicht mehr da, wo Elizabeth sie abgelegt hat oder fallen ohne erkennbaren Grund um, und sie hat Stimmen und Geräusche gehört.«
June räusperte sich. »Entschuldigung, ich möchte deiner Bekannten ja nicht zu nahe treten, aber … na ja, könnte es nicht sein, dass sie einfach ein wenig senil wird und vergessen hat, wo sie die Dinge hingelegt hat?«
»Das könnte man meinen«, sagte Rufus ruhig, »und ich gebe zu, dass es auch mein erster Gedanke war. Doch was ist mit den Stimmen und den Geräuschen? Sie sprach von Türenschlagen, einem Stöhnen oder Keuchen und einem unheimlichen Flüstern. Ihr Kater soll sich auch seltsam verhalten haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich das nur eingebildet hat. Ich kenne sie, wie gesagt, bereits sehr lange. Sie war immer eine sehr rational denkende Person.«
»Vielleicht ist sie einsam«, mutmaßte June. »So allein in einem Haus kann man doch leicht Ängste entwickeln, oder nicht?«
»Möglich, aber Violet, also Elizabeths Schwester, ist bereits vor zwei Jahren gestorben. Außerdem war das ja noch nicht alles. Die Spukphänomene wurden noch schlimmer.«
»Ach ja?« June nickte lächelnd der Bedienung zu, die zwei Teller mit Salat und Falafel brachte. Sie wickelte das Besteck aus der Serviette und wartete, bis sie wieder allein waren. Dann sah sie Rufus neugierig an. »Was ist geschehen? Hatte sie eine Erscheinung?«
Rufus blickte sich um und senkte die Stimme. »Als sie ein Bad nehmen wollte, lief Blut aus dem Wasserhahn. Sie wollte Hilfe rufen, doch die Telefone waren tot. Also kam sie zu mir, schließlich wohne ich in der Nähe.«
»Blut?« June ließ das Besteck sinken. »Bist du sicher? Ich meine, manchmal kann man ja auch Rost in der Leitung haben und …«
»Das habe ich auch gleich vermutet, doch sie sagte, das Wasser sei tiefrot gewesen. Natürlich habe ich sie nach Hause begleitet und nachgesehen, aber … da war nichts. Die Wanne war leer. Und auch die Telefone funktionierten wieder.«
»Also hat sie es sich doch nur eingebildet?« June pikte etwas Salat auf ihre Gabel.
Rufus strich sich über den Bart. Sein Ausdruck wirkte gequält. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich von all dem halten soll. Selbst habe ich nichts gesehen oder gehört, ich habe nur ihr Wort. Allerdings hat Elizabeth einen scharfen Verstand, und sie wirkt nicht durcheinander oder desorientiert. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie so etwas erfinden würde oder dass sie derart lebhafte Halluzinationen haben könnte.«
»Nun gut, nehmen wir an, sie bildet sich das Ganze nicht ein. Dann muss es doch sicher eine andere Erklärung für all diese Phänomene geben.«