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Folge 4: Der Jane-Austen-Fanclub organisiert einen großen Ball - und June ist eingeladen! Zu ihrer großen Überraschung ist unter den Gästen auch ein alter Bekannter: Detective Sergeant Darcy. Zwischen June und dem attraktiven Polizisten knistert es ... doch dann geschieht etwas Schreckliches: Die Sponsorin der Veranstaltung bricht plötzlich zusammen und stirbt - offenbar an einer allergischen Reaktion. Schnell stellt sich heraus, dass Darcys Schwester Elizabeth der jungen Frau einen Streich spielen wollte... Aber ist sie wirklich für ihren Tod verantwortlich?
Detective Darcy wird wegen Befangenheit von dem Fall abgezogen. Aber er glaubt fest an die Unschuld seiner Schwester und bittet June und Pomona um Hilfe. Das ungewöhnliche Ermittlerteam begibt sich auf die Suche ...
Über die Serie: Traumhafte Gärten, eine wunderschöne Landschaft und mystische Orte - dafür steht die Grafschaft Somerset. Als die junge Londonerin June das Cottage und den Buchladen ihrer Tante erbt, beschließt sie, dort neu anzufangen. Doch auch in der südenglischen Idylle gibt es dunkle Schatten und Verbrechen ... Wie gut, dass ihr die quirlige Pomona mit ihrem Hang zu Tarot und Esoterik und der sympathische Antiquar Mr. Whalley bei ihren Ermittlungen zur Seite stehen. Und dann gibt es da den attraktiven Detective Sergeant Sean Darcy, der bei der Verbrecherjagd auch noch ein Wörtchen mitzureden hat ...
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Traumhafte Gärten, eine wunderschöne Landschaft und mystische Orte – dafür steht die Grafschaft Somerset. Als die junge Londonerin June das Cottage und den Buchladen ihrer Tante erbt, beschließt sie, dort neu anzufangen. Doch auch in der südenglischen Idylle gibt es dunkle Schatten und Verbrechen … Wie gut, dass ihr die quirlige Pomona mit ihrem Hang zu Tarot und Esoterik und der sympathische Antiquar Mr. Whalley bei ihren Ermittlungen zur Seite stehen. Und dann gibt es da den attraktiven Detective Seargeant Sean Darcy, der bei der Verbrecherjagd auch noch ein Wörtchen mitzureden hat …
Der Jane-Austen-Fanclub organisiert einen großen Ball - und June ist eingeladen! Zu ihrer großen Überraschung ist unter den Gästen auch ein alter Bekannter: Detective Sergeant Darcy. Zwischen June und dem attraktiven Polizisten knistert es … doch dann geschieht etwas Schreckliches: Die Sponsorin der Veranstaltung bricht plötzlich zusammen und stirbt - offenbar an einer allergischen Reaktion. Schnell stellt sich heraus, dass Darcys Schwester Elizabeth der jungen Frau einen Streich spielen wollte … Aber ist sie wirklich für ihren Tod verantwortlich?
Detective Darcy wird wegen Befangenheit von dem Fall abgezogen. Aber er glaubt fest an die Unschuld seiner Schwester und bittet June und Pomona um Hilfe. Das ungewöhnliche Ermittlerteam begibt sich auf die Suche …
Juniper »June« Morgan (34) zieht aus London in den kleinen Ort Lower Foxdale in der Grafschaft Somerset. Von ihrer verstorbenen Tante Sheila hat sie ein hübsches kleines Cottage und einen Buchladen im nahegelegenem Glastonbury geerbt. Außerdem ein Päckchen Tarotkarten, dass June trotz ihrer Skepsis oft erstaunlich hilfreiche Hinweise zu liefern scheint. In der scheinbar heilen Welt des ländlichen Idylls möchte June die persönliche und berufliche Krise überwinden, in der sie gerade steckt. Doch kurz nach ihrer Ankunft kommt June einem Verbrechen auf die Spur und hat plötzlich ganz andere Probleme …
Pomona »Mona« Quimby (60) war die beste Freundin von Junes verstorbener Tante und ihre Geschäftspartnerin im Buchladen. Sie ist ein lebenslustiger Freigeist, Expertin für Tarot und Esoterik und beherrscht das kreative Chaos. Eine gute Tasse Tee und eine Kuscheleinheit mit ihren Katzen ist für sie ein Allheilmittel.
Rufus Whalley (55) ist der Inhaber des Antiquariats gegenüber dem Buchladen. Natürlich kennt er sich bestens mit Literatur, Geschichte und den Mythen und Legenden rund um Somerset aus. Er ist stets akkurat, sehr belesen, intelligent und heimlich in Pomona verliebt.
Detective Sergeant Sean Darcy (35) heißt nicht nur wie der Protagonist in Jane Austens Stolz und Vorurteil, sondern kann auf den ersten Blick auch ziemlich überheblich und arrogant wirken. Doch der erste Eindruck täuscht, denn eigentlich ist er ganz umgänglich …
Tod in Pemberley
Lächelnd blickte Cynthia in die Gesichter der anderen Gäste. Ein Besuch in der alten Heimat erfüllte sie immer mit einem gewissen Gefühl des Triumphs. Hin und wieder war es hilfreich zu sehen, wo man herkam, damit einem wieder bewusst wurde, wie viel man erreicht hatte. Die Provinz hatte sie hinter sich gelassen. Ja, sie konnte wirklich mit sich zufrieden sein. Ihr Leben war gut. Das hieß nicht, dass es keine Probleme oder Ärgernisse gab, die gab es immer. Ihr war auch durchaus bewusst, dass nicht wenige der Anwesenden sie hassten. Doch mindestens ebenso viele bewunderten, respektierten oder fürchteten sie. Es lag ihr nicht viel daran, gemocht zu werden. Neid musste man sich verdienen, und Neid war das, was sie sah, wenn sie hier in die Runde blickte. Das Leben war ein Spiel. Wenn man es beherrschte, zählte man zu den Gewinnern, und sie beherrschte es nun einmal. Der Erfolg gab ihr recht. Sollte sie sich dafür schämen?
Alles im Leben war letztlich eine Investition, und die alles entscheidende Frage, die man sich stets stellen musste, lautete: Lohnt es sich für mich?
Ja, sie konnte zufrieden sein, auch wenn längst nicht alles perfekt lief. Zum Beispiel die Sache mit Jason. Als ob sie nicht bemerkt hätte, wie er vorhin das hübsche junge Ding vom Catering angesehen hatte. Attraktive Frauen waren schon immer Jasons große Schwäche gewesen. Schließlich war es auch ihr spielend gelungen, ihn um den Finger zu wickeln. Es ärgerte sie bloß, dass er sich offenbar einbildete, in derselben Liga zu spielen. Unterm Strich war aber auch das noch immer eine lohnenswerte Investition.
Auch was Alison anging, hatte sie sich nichts vorzuwerfen, im Gegenteil. Im Grunde hatte sie ihr sogar noch einen Gefallen getan. Denn Alison war nicht gemacht für die Geschäftswelt.
Wenn Cynthia jetzt hier in die Runde blickte, fühlte sie sich bestätigt. Landeier und Provinzschnepfen, deren Ehrgeiz sich darin erschöpfte, irgendeinen mittelmäßigen Mann zu heiraten und Nachwuchs in die Welt zu setzen. Leute, die sich täglich durch langweilige Durchschnittsjobs quälten, um einmal im Jahr zum Pauschalurlaub nach Spanien zu fliegen. Traurige Existenzen ohne Visionen und Ziele. Deswegen flüchteten sie sich in die romantischen Fantasien einer Pfarrerstochter aus dem neunzehnten Jahrhundert und träumten von Bällen, Kavalieren und dem längst verloschenen Glanz des Empires. Armselig!
Erstaunlich, dass Venetia Thomas offenbar einen Kerl abbekommen hatte. Und Elizabeth Darcy, die hätte echt was aus sich machen können. Hübsch genug war sie ja. In der Schule hatte Cynthia sie als Konkurrentin stets im Auge behalten. Glücklicherweise war sie ebenso naiv und unambitioniert wie die dicke Venetia. So war sie ihr nie in die Quere gekommen. Ben Ellis! Wie konnte man sich nur so unter Wert verkaufen und einen treudoofen Trottel wie Ben Ellis heiraten? Wie gut, dass Cynthia dieser Spießerhölle rechtzeitig entkommen war.
Immerhin war diese Veranstaltung eine perfekte Gelegenheit, ihr Image als großzügige Gönnerin zu festigen und gleichzeitig ihre neue Produktpalette zu promoten. Also dann …
Sie tauchte den Löffel in die Suppe und kostete. Weiße Suppe. Klang nicht gerade vielversprechend. Hm. Hühnchen, Mandeln, irgendwelche Kräuter – Thymian, vielleicht ein Hauch Bohnenkraut, Pfeffer – aber da war noch etwas, ein vertrauter Geschmack, den sie nicht ganz zuordnen konnte. Sie nahm einen Schluck von diesem … wie hieß das noch gleich? Sie warf einen Blick auf die Tischkarte, auf der die Menüfolge vermerkt war. Richtig, Negus. Wein, heißes Wasser, Zitronensaft, Zucker, Muskat – das musste es sein. Muskat. Sie aß einen weiteren Löffel Suppe. Plötzlich spürte sie ein unangenehmes Kratzen im Hals, griff nach dem Glas, trank ein paar große Schlucke, um es loszuwerden und räusperte sich, doch das Kratzen wurde nur schlimmer.
Ihr Kopf fühlte sich plötzlich eigenartig leicht an. Sie blinzelte. Irgendwie war ihr schwindelig. Ihr Kreislauf schien abzusacken. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. Cynthia rang nach Luft und umklammerte die Tischkante. Ihr Hals fühlte sich rau und geschwollen an. Sofort wusste Cynthia, was das zu bedeuten hatte. Keuchend versuchte sie, ihre Lunge zu füllen, doch es wollte nicht gelingen. Verzweifelt gestikulierte sie zu Jason hinüber.
»Pen«, krächzte sie. »…ch brau… mein… Pen!« Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr, sich zur Seite zu drehen, bevor sie sich übergeben musste. Panisch griff sie sich an den Hals. Luft! Sie konnte nicht atmen. Bunte Flecken tanzten vor ihren Augen. Vage nahm sie Geräusche und Bewegungen um sich herum wahr, doch es kam ihr vor, als würde sie unter Wasser gezogen. Strampelnd kämpfte sie gegen den Sog, schnappte vergeblich nach Luft und dann … war alles schwarz.
Etwa drei Monate zuvor …
»Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinstehender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens angeblich nichts dringender braucht als eine Frau«, las Pomona und legte das Buch kopfschüttelnd zurück auf den Büchertisch. »Ich weiß wirklich nicht, warum Frauen sich heutzutage noch für Jane Austen begeistern können. Also ich bin heilfroh, nicht in einer Zeit zu leben, in der unsereins so wenig Rechte hatte. Es erstaunt mich, wie viele unserer Geschlechtsgenossinnen trotz Bildung und Emanzipation auf dieses Austen-Zeug abfahren und eine Zeit romantisieren, in der wir kein Wahlrecht und in der Regel kein eigenes Vermögen hatten.«
»Ich glaube nicht, dass die Leserinnen sich tatsächlich in diese Zeit zurückwünschen«, wandte June ein. »Allerdings ist es eine faszinierende Epoche. Ich glaube, die Leserinnen begeistert vor allem Jane Austens Witz und ihre Art, Personen zu charakterisieren.«
»Das stimmt«, hörte sie plötzlich jemanden sagen und wandte sich um. Eine etwas rundliche Frau mit schulterlangen braunen Haaren hatte an einem der Büchertische hinter ihnen gestanden und drehte sich nun zu ihnen um. »Entschuldigung, dass ich mich in Ihr Gespräch einmische, aber ich konnte nicht anders als zuzuhören. Ich kann das nur bestätigen. Austen nimmt ihre Zeitgenossen mit scharfem Blick aufs Korn, und es steckt auch viel Sozialkritik zwischen den Zeilen. Sie war keine Revolutionärin, aber auf ihre eigene zurückhaltende Weise war sie für die damalige Zeit eine emanzipierte Frau. Allein der Akt, Romane zu schreiben und zu veröffentlichen, war doch im Grunde schon unerhört.«
June lächelte. »Na, da sind wir anscheinend an eine richtige Expertin geraten. Haben Sie beruflich mit Literatur zu tun?«
Die Kundin winkte ab. »Nein, nein, nur privat. Meine Freundin Elizabeth und ich leiten einen Jane-Austen-Lesezirkel.«
»Ach, das klingt ja toll«, meinte June. »Und Sie lesen ausschließlich Jane Austen?«
»Hauptsächlich. Wir lesen aber auch anderes aus der Epoche und moderne Romane, in denen es um Austen geht.« Sie wandte sich an Mona. »Und Sie haben natürlich vollkommen recht. Gerade als Frauen können wir froh sein, nicht in dieser Zeit zu leben. Trotzdem spricht das ganze Drumherum die moderne Leserschaft an: die Kleider, die Bälle, die Manieren. Unsere Welt ist kompliziert, und überall sieht man Gewalt und menschliche Abgründe. Das erzeugt eine gewisse Sehnsucht nach einer einfacheren, vielleicht besseren Welt ohne Mord und Totschlag. Es ist ein klitzekleines bisschen Realitätsflucht.«
Mona zuckte mit den Schultern. »Gut, das kann ich zumindest teilweise nachvollziehen. Persönlich würde ich aber eher einen Lesekreis gründen, der sich mit Simone de Beauvoir beschäftigt oder Margaret Atwood. Oder wenn es schon historisch sein muss, dann wenigstens Mary Wollstonecraft.«
»Ob Sie es glauben oder nicht, da würde ich auch mitmachen«, entgegnete die Frau mit einem Lachen. »Aber im Augenblick haben wir genug Probleme, einen geeigneten Raum für unseren Lesekreis zu finden. Wir haben uns sonst einmal im Monat im Gemeindezentrum in Foxdale getroffen, aber da gibt es gerade einen größeren Umbau, und eine neue Heizungsanlage bekommen wir auch. Das kann dauern.«
»Vielleicht könnten Sie sich ja bei uns in Sheila’s Book Nook treffen«, schlug June vor. »Wir sind derzeit dabei, im Buchladen regelmäßige Lesungen, Kurse und Workshops zu organisieren. Und passenderweise haben wir gerade Jane-Austen-Aktionswochen.« Sie deutete auf den Aktionstisch, den sie zuvor dekoriert hatten. Verschiedene Ausgaben von Austens Romanen, hübsche Metalldosen mit Teegebäck, Seifen und Schmuck sowie andere Austen-Memorabilia waren dort drapiert, und an der Wand prangte ein Poster mit dem Konterfei der berühmten Schriftstellerin.
»Das klingt ja großartig!«, rief die Frau, warf dann aber einen skeptischen Blick auf den hinteren Bereich des Buchladens, der mit seinen engen Reihen vollgepackter, deckenhoher Regale etwas Höhlenartiges hatte. »Aber ist denn hier überhaupt Platz?«
»Oh ja«, sagte Pomona. »Im Obergeschoss haben wir noch einen Raum mit einer gemütlichen Sitzecke. Wie viele Mitglieder hat denn Ihr Lesekreis?«
»Insgesamt sind wir neun, wenn alle kommen«, erwiderte die Frau.
»Für neun Personen ist oben auf jeden Fall Platz. Wir müssten die Klappstühle aus dem Lager holen, aber das ist ja kein Problem«, meinte Pomona.
»Ich habe im Schuppen gerade noch Gartenstuhlauflagen von meiner Großmutter gefunden«, fiel June ein. »Die kann ich waschen und mitbringen, dann sind die Stühle auch für längeres Sitzen bequem genug. Cremeweiß mit einem Millefleur-Muster, das hat ebenfalls etwas Nostalgisches.«
»Das klingt ja fantastisch.« Die Frau strahlte. »Das muss ich gleich Elizabeth erzählen. Ich bin übrigens Venetia. Venetia Robinson.«
»Juniper Morgan, aber die meisten nennen mich June. Und unser Jane-Austen-Grinch da drüben heißt Pomona Quimby.«
Mona lachte. »Du bist ganz schön frech geworden, weißt du das eigentlich? Als du hierher gezogen bist, warst du so brav und zurückhaltend.«
»Das muss an dem schlechten Einfluss liegen, mit dem ich mich umgebe«, konterte June und grinste.
»Dürfte ich mir den Raum oben vielleicht einmal ansehen?«, fragte Venetia.
»Aber selbstverständlich, folgen Sie mir einfach unauffällig.« June winkte Venetia, ihr zu folgen. »Pomona, übernimmst du hier so lange?«
»Wird gemacht!«
June führte Venetia aus dem hellen Eingangsbereich des Ladens, in dem es neben Bücherregalen einige Verkaufstische gab. Darauf lagen neben Geschenkbüchern, Touristischem über Glastonbury und Umgebung auch Tarotkarten, Kristalle und Pendel. Das war Pomonas Metier, die ihren Hang zur Esoterik mit Junes verstorbener Tante Sheila, der Namensgeberin des kleinen Buchladens in der Northload Street, teilte.
Sie durchquerten den etwas düsteren, engen Teil des Ladens mit seinen knarzenden Holzdielen und gelangten zu dem Treppenaufgang in der hinteren Ecke.
»Wissen Sie, dass ich jetzt schon so oft in diesem Buchladen war und nie gesehen habe, dass es hier einen Aufgang gibt?«, sagte Venetia.
»Ja, ich weiß, es ist hier etwas unübersichtlich. Ich habe den Laden von meiner Tante geerbt, und die war eine Virtuosin des geordneten Chaos.« June lachte. »Ich möchte hier in der nächsten Zeit einiges verändern und modernisieren, aber auf keinen Fall den Charakter des Ladens zerstören.«
»O ja! Das dürfen Sie wirklich nicht. Der Laden ist toll, so herrlich altmodisch. Und ich liebe die Katzen! Ich freue mich immer, wenn ich vorbeigehe und eine von den beiden im Schaufenster liegen sehe.«
»Meistens ist das Ozzy, unser Dickerchen«, erklärte June. »Das ist sein Stammplatz. Macavity sitzt lieber oben am Fenster und überblickt die Lage.«
Der Raum im Obergeschoss war June definitiv der liebste. Hier hatte sie sich schon in der Schulzeit gern vergraben und gelesen. Ein großes bequemes Sofa, für das Pomona eigens zwei kunterbunte Plaids gehäkelt hatte, verbreitete Behaglichkeit. Der recht abgeliebte Couchtisch wurde bei Veranstaltungen liebevoll mit einer Decke verhüllt. June würde bald einen neuen besorgen, doch bei Veränderungen im Book Nook musste sie behutsam vorgehen, um Pomona nicht zu überfordern, die sich damit äußerst schwertat. Sie war also dazu übergegangen, den Laden nach und nach per Salamitaktik umzugestalten. Hier eine Kleinigkeit, da ein Detail. Das funktionierte bisher ganz gut.
Kürzlich erst hatte sie Pomona überzeugen können, dem Prunkstück des Raumes einen frischen Anstrich zu verpassen: dem gemalten Sommerhimmel an der Decke, in dem zwischen weißen Schäfchenwolken geflügelte Bücher herumflatterten. Eine Künstlerfreundin von Sheila hatte ihn seinerzeit entworfen, und nun hatte Pomonas Mitbewohnerin Chloe ihn mit viel Liebe zum Detail restauriert, sodass die mit den Jahren verblassten Farben wieder leuchteten.
»O mein Gott, ist das hübsch hier!«, rief Venetia. »Das wäre genau das Richtige für uns. Es ist herrlich kuschelig und gemütlich. Es wäre toll, wenn wir uns hier treffen dürfen.«
»Aber natürlich, wir würden uns freuen, wenn durch die Veranstaltungen hier ein wenig Leben hereinkommt«, meinte June.
»Ich sage Elizabeth, dass sie sich gleich mal bei Ihnen melden soll.«
»Prima, dann machen wir das so«, stimmte June zu. »Sehen Sie sich hier ruhig noch etwas um, ich gehe schon mal nach unten. Wenn Sie Fragen haben, melden Sie sich.«
»Und? Gefällt es ihr oben?«, fragte Mona, als June wieder in den Kassenraum trat.
»Und wie!« June lächelte. »Wir haben ausgemacht, dass ihre Freundin sich meldet und wir dann die Details klären.«
»Also, der Aktionstisch sieht toll aus«, befand Pomona nach einem letzten prüfenden Blick auf ihr gemeinsames Werk. »Ich glaube, das wird sehr gut ankommen. Tja, dennoch steht fest, dass ich in diesem Leben kein Jane-Austen-Fan mehr werde.«
»Ich habe ihre Romane ganz gern gelesen«, sagte June. »Was ich allerdings in keiner Weise nachvollziehen kann, ist der Hype um Mr Darcy. Für mich ist er einer der am stärksten überbewerteten Charaktere der Literaturgeschichte. Er ist ein Griesgram und ein unerträglicher Snob. Die meisten Frauen finden ihn doch nur toll, weil damals in der Verfilmung Colin Firth in seinem weißen Hemd in einen Teich gehüpft ist.«
Mona grinste. »Das sagst du nicht rein zufällig, weil ein gewisser Detective Sergeant von der Kriminalpolizei in Street ein Namensvetter ist?«
»Nein, das hat überhaupt nichts mit DS Darcy zu tun. Wegen dieses Themas habe ich mich schon im Literaturstudium regelmäßig unbeliebt gemacht. Ich bleibe dabei. Ein Henry Tilney ist mir hundertmal lieber als Darcy, dieser reiche Stiesel.«
»Wenn überhaupt, wäre ich Lady Catherine de Bourgh«, verkündete Mona. »Eine reiche Witwe, die durch ihren Wohlstand eine gewisse Narrenfreiheit besitzt, und vor der alle kuschen müssen. Ich würde mir einfach ein paar junge Liebhaber halten und mich des Lebens erfreuen.«
June lachte. »Ja, das sähe dir ähnlich. Apropos junge Liebhaber. Was ist mit dir und Thomas Grainger? Hat sich das erledigt?« Im Frühjahr hatte Pomona sich auf ein kurzes Abenteuer mit dem deutlich jüngeren Obstbauern eingelassen, dem die Frog Lane Farm in Lower Foxdale gehörte.
Pomona trat einen Schritt zurück und musterte noch einmal demonstrativ mit schief gelegtem Kopf den Aktionstisch, als ob sie versuchte, dem Thema aus dem Weg zu gehen. »Ach, du weißt doch, ich bin ein Schmetterling und flattere von Blüte zu Blüte. Thomas ist ein Besserwisser und ein Hitzkopf. Für ein bisschen Spaß war es gut, aber für länger taugt er nicht. Also flattere ich weiter.«
»Nur der arme Rufus wird wohl vergeblich darauf warten, dass unser Schmetterling bei ihm landet«, stellte June mit einem Seufzer fest und sah aus dem Schaufenster zu dem kleinen Antiquariat hinüber, wo Rufus Whalley gerade die hölzernen Bücherwagen vom Gehweg in den Laden rollte. »Liebe ist grausam.«
Pomona wandte sich um und bedachte June mit einem strengen Blick. »Gib es zu! Insgeheim hast du es noch nicht aufgegeben, uns zu verkuppeln.«
»Ich kann mir nicht helfen, ihr wärt einfach so ein schönes Paar«, erwiderte June.
»Rufus ist ein lieber Freund und liegt mir sehr am Herzen«, erklärte Pomona. »Er ist zwar ein durchaus attraktiver Mann, doch mir ist unsere Freundschaft zu wichtig, als dass ich sie aufs Spiel setzen würde. Whalley ist auf der Suche nach der Partnerin fürs Leben, und für konventionelle Beziehungen bin ich nicht geschaffen. Am Ende würde es darauf hinauslaufen, dass ich ihn verletze. Das hat er nicht verdient.«
June seufzte abermals. »Ja, du hast vermutlich recht. Ich fände es nur so schön, wenn ihr ein Paar würdet. Anscheinend sehne ich mich auch nach einem Stück heile Welt. Das ist bestimmt irgendetwas Tiefenpsychologisches wegen der Scheidung meiner Eltern, der Trennung von Mark oder dem frühen Tod meiner Mutter oder so etwas. Oder ich habe einfach zu viele Hollywoodromanzen gesehen.«
»Und zu viel Jane Austen gelesen.« Pomona lachte.
»Vielleicht auch das.«
Nach Feierabend verließen sie gemeinsam den Laden und gingen über den kleinen Marktplatz mit dem elf Meter hohen Marktkreuz, das June immer an den Turm einer zu klein geratenen gotischen Kathedrale denken ließ. Ihr Weg führte vorbei an den nunmehr geschlossenen Lädchen mit den bunten Ladenfronten. Glastonbury wirkte manchmal, als wäre es in den späten Sechzigerjahren hängengeblieben. Auf den Kleiderständern sah man fließende Stoffe, Batikkleider und Ethnoprints, und überall roch es nach Räucherstäbchen und Patschuli. Straßenkünstler und allerhand schräge und interessante Gestalten gehörten zum alltäglichen Stadtbild. Obwohl es so gar nicht ihre Szene war, mochte June die bunten Menschen. Jetzt allerdings waren die Touristen verschwunden, und die Innenstadt kam zur Ruhe, bevor das Nachtleben begann. Sie passierten den Eingang zum Kloster, hinter dem der große Parkplatz in der Magdalene Street lag, wo Pomonas roter Citroën auf sie wartete. Sie waren in der letzten Zeit dazu übergegangen, häufiger gemeinsam zur Arbeit zu fahren, auch wenn es für Pomona einen kleinen Umweg bedeutete. Junes geerbtes Cottage in Lower Foxdale lag etwas westlich auf halber Strecke von Glastonbury nach Wells, wo Pomona in einer WG wohnte.
»Hast du heute noch irgendetwas Schönes vor?«, fragte Pomona, als sie die Einfahrt zum Parkplatz erreicht hatten.
»Das ist ein gutes Stichwort. Ich hatte vor, mich mit Tamsin spontan zum Quatschen auf ein Glas Wein zu treffen, aber sie wusste noch nicht, ob Lee heute Zeit hat, auf die Jungs aufzupassen. Sie wollte mir texten, wenn sie ihn gefragt hat.«
June holte ihr Handy aus der Tasche und entsperrt es.
»Tamsin?«, fragte Mona. »Ach so, ich erinnere mich. Deine ehemalige Schulfreundin, nicht? Ich glaube, wir haben sie damals beim Wassail in Foxdale gesehen.«
»Ja, genau«, murmelte June und scrollte durch ihre Nachrichten. »Wir treffen uns erst morgen. Lee ist heute mit ein paar Kumpels zum Fußballspielen verabredet, und Tamsin muss bei den Jungs bleiben.«
Die Messenger-App zeigte eine weitere neue Nachricht an. June runzelte die Stirn. Sie war von Christine, einer ehemaligen Kollegin aus London. Neugierig tippte sie darauf, um sie zu öffnen.
Hi! Ich hoffe, es geht dir gut und du sitzt gerade. Wollte dir nur eine kleine Vorwarnung geben. Dachte, es ist besser, du hörst es von mir, als dass du es zufällig aus einer anderen Quelle erfährst. Mark und Ashley haben gestern im Team ihre Verlobung bekanntgegeben.
Dahinter hatte Christine das grüngesichtige Würgeemoji gesetzt und eines, das mit den Augen rollte. June schluckte und verlangsamte ihre Schritte. Sie spürte, wie auch Mona an ihrer Seite langsamer wurde.
»Was ist los? Schlechte Nachrichten?«, fragte sie und legte June eine Hand auf die Schulter.
»Ich … ja, nein …«, stammelte June. Dann schüttelte sie den Kopf. »Wie man es nimmt. Eine ehemalige Kollegin aus London. Anscheinend haben sich Mark und Ashley verlobt.«
»Dein Ex, der Verlagschef, und die Tussi, mit der er dich betrogen hat?« Pomona war stehen geblieben und sah sie mit gefurchter Stirn an. June nickte stumm.
»Wie geht es dir damit?«, fragte Mona mit besorgtem Ton.
»Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht so genau.« June atmete tief durch und steckte das Handy zurück in die Tasche. »In den vergangenen Monaten habe ich kaum an Mark gedacht. Die Nachricht spült einiges wieder hoch.«
»Na ja, du hast den Kerl sehr geliebt. Weißt du was? Wir drehen um und gehen zum The George and Pilgrims. Ich lade dich zum Essen ein, du gönnst dir ein schönes Pint, und dann reden wir, wenn dir danach ist.«
June lächelte schief. »Ins Pilgrims? Ich dachte, da spukt es.«
Pomona lachte. »Na, mit Geistern kennen wir uns doch seit den Ereignissen in Miss Bilbroughs unheimlichem Cottage aus.«
»Auch wieder wahr.« June grinste. »Auf die Nachricht hin könnte ich jedenfalls tatsächlich ein Bier und etwas schön Ungesundes, Fettiges vertragen.«
»Ich glaube, die haben ganz gute Burger.« Pomona hakte June unter und machte kehrt in Richtung High Street. Das Gebäude, in dem sich der Pub befand, stammte aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert und sah mit seiner verwitterten Sandsteinfassade und den dunklen Bleiglasfenstern eher wenig einladend aus. Innen war der Pub jedoch trotz des dunklen Mobiliars und der niedrigen Balkendecke urig und gemütlich.
Sie fanden einen Platz in der Nähe der Bar, direkt neben dem massiven steinernen Kamin.
June sah sich um. »Weißt du, dass ich noch nie hier drin war? Dabei gehe ich fast täglich daran vorbei.«
»Siehst du? Dann wurde es auch Zeit«, sagte Pomona und stellte die Gläser auf dem Tisch ab. Für sich hatte sie ein halbes Pint Shandy bestellt. »Offenbar wollte das Universum dir dazu eine Gelegenheit bieten. Außerdem scheint mir, du brauchst etwas Zeit, um die Neuigkeiten zu verdauen.«
June grinste und deutete auf ihr Pint. »Und Bier.«
Mona lachte. »Das auch. Also, glaubst du, dass du noch Gefühle für diesen Knaben … Mark hast?«
June nahm einen großen Schluck Lager und dachte nach. Sie hob die Schultern.
»So genau kann ich das nicht sagen. Ich dachte, ich wäre über ihn hinweg, aber jetzt …«
Mona legte den Kopf schief. »Jetzt glaubst du das nicht mehr?«
»Sagen wir es so: Ich bin mir nicht mehr sicher.« June strich mit dem Daumen über den Glasrand. »Loslassen fällt mir schwer. Natürlich war Mark nicht mein erster Freund, aber meine erste ernsthafte Beziehung.«
Mona nickte, und June war ihr dankbar, dass sie dieses Mal keine Vorträge über Monogamie und besitzergreifende Liebe hielt, sondern einfach nur aufmerksam zuhörte.
»Mark war ganz anders als meine Studienkollegen. Ernsthaft, erwachsen, kompetent, in dem Alter bereits Verlagsleiter. Irgendwie hat mir das imponiert.«
»Kunststück. Seinem Vater gehört der Laden, oder nicht?«, fragte Pomona mit einem herausfordernden Grinsen. »Aber entschuldige, erzähl weiter. Ich weiß, was du meinst. Er wirkte reifer als die Typen an der Uni.«
»Genau.« June nickte. »Das trifft es ganz gut. Es passte einfach. Ich dachte, wir wären glücklich, bis dann die Sache mit Ashley passierte, und …« Sie zuckte mit den Achseln.
»Das muss dich sehr verletzt haben. Ausgerechnet eine Kollegin und so etwas wie eine Freundin.« Pomona lehnte sich vor und sah sie direkt an.
»Das hat mich wie aus dem Nichts heraus getroffen. Ich war vollkommen ahnungslos, bis Ashley damit herausgeplatzt ist.« June sah auf, als die Bedienung ihr Essen brachte. »Vielen Dank. Das sieht fantastisch aus. Genau das Richtige.« Sie wartete, bis sie wieder unter sich waren, dann fuhr sie fort: »Ich schätze, an dem Vertrauensbruch und meiner Ahnungslosigkeit habe ich noch immer zu knabbern. Dauernd habe ich mich gefragt, wie lange das schon hinter meinem Rücken lief. Wie konnte er mir so lange etwas vormachen? Waren ihm meine Gefühle egal?« Sie seufzte, nahm eine Fritte vom Teller und tauchte sie in die Barbecuesauce. »Außerdem … na ja, sie will er heiraten. Verstehst du? Warum nicht mich? Was stimmt mit mir nicht? Das fühlt sich für mich an, als hätte ich viel Zeit verschwendet. Ich werde bald fünfunddreißig und habe noch überhaupt nichts erreicht im Leben.«
»Papperlapapp!« Pomona wischte mit der Hand durch die Luft. »Frag dich lieber, was mit ihm nicht stimmt.«
»Vielleicht war ich ihm zu verkopft und zu zugeknöpft, nicht spontan genug … Du sagst doch auch immer …«
»Entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber bitte frag dich nicht, ob du zu dies oder zu das bist oder in irgendeiner Weise nicht genug. Das ist Unfug. Es stimmt, ich ziehe dich auch gern damit auf, dass du in vielerlei Hinsicht … wenig abenteuerlustig bist. Aber ich will damit doch nur dein Potenzial hervorkitzeln. Ich habe das Gefühl, du stehst dauernd auf der Bremse.«
June schüttelte den Kopf. »Ach, was. Ich bin … Ich bin eben einfach ganz durchschnittlich.«
Mona seufzte. »Du bist eine verdammt harte Nuss, das muss man schon sagen. Darüber hinaus stimmt es überhaupt nicht, dass du noch nichts erreicht hast. Du hast einen Master in Englischer Literatur, warst Programmleiterin in einem Verlag, und jetzt hast du eine eigene Buchhandlung.«
»Schon, aber ich dachte früher immer, mit fünfunddreißig hätte ich einen Mann, eine Familie …«
Mona zog die Augenbrauen hoch. »Sind das deine eigenen Erwartungen an das Leben oder versuchst du eher, die anderer Leute zu erfüllen? Ich habe den Eindruck, dass du ständig versuchst, möglichst wenig aufzufallen, nicht herauszustechen.«
June schob nachdenklich das Essen auf dem Teller herum. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie ihr Leben aussehen würde, wenn es Ashley und die Trennung nie gegeben hätte. Es gelang ihr nicht recht. Hätten Mark und sie geheiratet? Wäre sie vielleicht jetzt schwanger? Sie schob eine Haarsträhne hinter das Ohr und atmete hörbar aus. »Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich es nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr, Mona. Es ist einfach ein blödes Gefühl. Warum konnte er sich mit mir keine gemeinsame Zukunft vorstellen, aber mit ihr schon?«