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Im Hochzeitskleid einen Mörder dingfest machen? Kein Problem für Louisa Manu!
Die erfolgreiche Cosy Crime-Reihe von Bestsellerautorin Saskia Louis geht voller Spannung und Humor weiter
Das Wort „leicht“ gehört nicht zur selben Wortfamilie wie „Leiche“. Niemand weiß das besser als Louisa Manu. Eigentlich wollte die Blumenladeninhaberin nur eine missglückte Hochzeitsanzeige richtigstellen – stattdessen findet sie einen sehr toten Auftragskiller bei der örtlichen Zeitung. Zu allem Überfluss handelt es sich bei dem Kerl ausgerechnet um den Killer der Mutter ihres Verlobten, Kommissar Rispo, den sie in drei Tagen gern vorm Altar stehen und nicht mit der Nase tief in einem Mordfall stecken sehen will. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als möglichst schnell den Mörder eines beruflichen Mörders zu finden. Was nur halb so viel Spaß macht, wie es sich anhört. Denn je näher sie der Wahrheit kommt, desto heißer wird es … und Lou bekommt langsam, aber sicher das Gefühl, dass jemand sie brennen sehen will!
Alle Bände der Louisa-Manu-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Erste Leser:innenstimmen
„Endlich ist meine Lieblingsermittlerin wieder am Start! Habe den Krimi nur so verschlungen.“
„Ich liebe den humorvollen Schreibstil von Saskia Louis, einfach unvergleichlich!“
„Eine der besten Cosy Crime-Reihen, kann ich jedem nur ans Herz legen.“
„Spannung und Humor perfekt kombiniert!“
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Seitenzahl: 435
Das Wort „leicht“ gehört nicht zur selben Wortfamilie wie „Leiche“. Niemand weiß das besser als Louisa Manu. Eigentlich wollte die Blumenladeninhaberin nur eine missglückte Hochzeitsanzeige richtigstellen – stattdessen findet sie einen sehr toten Auftragskiller bei der örtlichen Zeitung. Zu allem Überfluss handelt es sich bei dem Kerl ausgerechnet um den Killer der Mutter ihres Verlobten, Kommissar Rispo, den sie in drei Tagen gern vorm Altar stehen und nicht mit der Nase tief in einem Mordfall stecken sehen will. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als möglichst schnell den Mörder eines beruflichen Mörders zu finden. Was nur halb so viel Spaß macht, wie es sich anhört. Denn je näher sie der Wahrheit kommt, desto heißer wird es … und Lou bekommt langsam, aber sicher das Gefühl, dass jemand sie brennen sehen will!
Alle Bände der Louisa-Manu-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
Erstausgabe Juni 2024
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-756-0 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-327-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-98998-067-9
Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © wirakorn Lektorat: Janina Klinck
E-Book-Version 13.08.2024, 14:21:38.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Im Hochzeitskleid einen Mörder dingfest machen? Kein Problem für Louisa Manu!Die erfolgreiche Cosy Crime-Reihe von Bestsellerautorin Saskia Louis geht voller Spannung und Humor weiter
Für meinen Rispo. Weil ich mit keiner anderen Person auf der Welt so viel lache wie mit dir. Und du unsere Pflanzen am Leben hältst.
„Es riecht irgendwie … tot hier unten, findest du nicht?“
„Nichts da, Lou!“, sagte Josh düster und schob mich an den Schultern in den rechten Gang. „Vor der Hochzeit keine Leiche mehr.“
Dramatisch sog ich die Luft ein – was ich sofort bereute, da ich eine Nase voll Moder, Schimmel und anderer Kölner-Keller-Kunst einatmete. „Bist du verrückt? Sag so was doch nicht so laut. Es sind nur noch zwei ganze Tage, bevor wir heiraten, und wenn du nicht aufpasst, forderst du mit deinem unachtsamen Gerede den Leichengott heraus.“
Josh lachte leise, ließ die Hände von meinen Schultern sinken und blieb vor Abteil drei stehen. Die nackte Glühbirne über unseren Köpfen flackerte und warf verzerrte Schatten an die Betonwände, die Auffangstation für Wasserflecken in Not zu sein schien.
„Ich huldige dem Leichengott täglich mit meiner Arbeit bei der Kripo. Ich hab was gut bei ihm“, murmelte Josh, während er einen Schlüssel aus seiner Jeanstasche zog und das Kellerabteil der Familie Rispo öffnete.
Joshs Vater wohnte mit seinen Söhnen – mittlerweile nur noch mit zwei von fünf plus meiner sehr schwangeren Schwester Emily – seit Ewigkeiten in diesem Mehrfamilienhaus in Köln-Zollstock. Das schien auch der ungefähre Zeitraum zu sein, vor dem jemand das letzte Mal ihrem Kellerabteil einen Besuch abgestattet hatte.
„Oh mein Gott.“ Ich quietschte erschrocken auf und klammerte mich an Joshs Arm fest, als etwas Schwarzes mit viel zu vielen Beinen vor dem Lichtkegel meines Handys weglief, mitten in den Berg an Gerümpel vor uns, der aus einem kaputten Fahrrad, einer verstaubten Campingausrüstung und einem Haufen Pappkartons bestand, die über und über mit, wie es schien, buntem Müll gefüllt waren.
„Ernsthaft, Lou?“ Josh schälte meine Nägel aus seinem Unterarm. „Du schaust Mördern ins Gesicht und traust dich, Trudi zu sagen, dass ihr Kleid ‚zu wenig Stoff‘ hat und ‚unpassend‘ für unsere Hochzeit ist, aber vor Spinnen hast du immer noch Angst?“, fragte er kopfschüttelnd.
Ich zog eine Grimasse. Trudi war meine ehemalige Angestellte, die ich schließlich hatte feuern müssen, weil in ihrer Anwesenheit die Brandgefahr in meinem Blumenladen einfach zu groß geworden war. Doch sie war noch immer eine gute Freundin, hatte das Herz eines Elefanten, das Stilgefühl eines Paradiesvogels auf Crack und war in etwa so alt wie die pissgelben Wasserflecken an den Wänden dieses Kellers. Also Äonen.
„Trudi und Mörder haben etwas Wichtiges gemeinsam, Josh“, erklärte ich und zog beim Anblick der Spinnenweben, die sich über die Decke fächerten, die Schultern höher.
„Beide machen mir das Leben schwer und sollten definitiv keine Waffe in die Hand gedrückt bekommen?“, fragte Josh trocken.
Ich schnaubte. „Nein. Sie haben nur zwei Augen und zwei Beine. Sind also harmlos.“
Abgesehen davon hätte ich Trudi nicht in dem Hauch von Nichts und eigenen Hautfalten bei unserer Hochzeit auftauchen lassen können. Denn wenn es etwas gab, vor dem ich noch mehr Angst als vor Spinnen, Trudis Trotzanfällen und Mördern hatte, dann war es die steile Falte zwischen den Augenbrauen meiner Mutter. Sie bedeutete Schlimmeres als den Tod. Nutella-Verbot beim Sonntagsbrunch, Hunde mit zerrissenen Trommelfellen und Sätze wie: „Ich bin sehr enttäuscht von dir, Louisa Josephine Manu!“. Das Risiko war schlichtweg zu groß und Trudis Kleid schlichtweg zu hässlich gewesen.
„Du hast auch zwei Augen und zwei Beine – und ich würde niemals auf die Idee kommen, dich harmlos zu nennen“, murmelte Josh und scannte mit dem Blick die Unordnung vor ihm. „Was genau suchen wir?“
„Etwas Blaues oder Geliehenes“, erklärte ich und leuchtete die verschiedenen Kisten ab, in denen sich neben dem Papiermüll auch altes Spielzeug, Videokassetten, Skischuhe und andere Sperrmüllberge befanden. „Wann hat hier unten das letzte Mal jemand aufgeräumt?“
„Keine Ahnung. Als meine Mutter noch gelebt hat?“, mutmaßte Josh und neigte den Kopf. „Also vor knapp siebzehn Jahren.“
„Mann. Erinnere mich daran, dass wir unseren Keller mal aufräumen. Bevor er so aussieht.“
Josh legte mir eine Hand in den Nacken und strich mit dem Daumen darüber. Als ich den Blick hob, sah ich, dass seine dunklen Augen amüsiert funkelten. „Was?“
„Wen genau umfasst dieses Wir?“, wollte er interessiert wissen.
Ich lächelte breit und drückte seine Hand. „Dich und deine Muskeln?“
Er seufzte gespielt schwer. „Ich wusste, dass du mich nur wegen meiner Muskeln und meiner Fähigkeit, Spinnen zu entfernen, heiratest.“
Ich grinste. „Das ist nicht wahr. Du vergisst deine Lasagne und die Tatsache, dass ich hier draußen vor eurem Abteil stehen bleiben darf, bis du jede einzelne Kiste angehoben hast und sichergegangen bist, dass dort drunter nichts lebt. Ach, und dein Geld natürlich.“
„Welches Geld?“
„Wie, du hast kein Geld?“, rief ich ungläubig. „Aber schön, wenn es sein muss, heirate ich dich eben auch ein wenig wegen deines Charakters.“
Seine Mundwinkel zuckten und die altbekannte Wärme flutete meinen Körper, die sich auch nach etlichen Jahren Beziehung noch immer in meiner Brust ausbreitete, sobald er mich ansah und lächelte.
Viele glaubten, dass Joshua Rispo seine Mundwinkel nicht oft benutzte und seine Fähigkeiten sich darauf beschränkten, Mörder zu fangen, Liegestütz und seine vier jüngeren Brüder zur Sau zu machen. Ach ja, außerdem brillierte er natürlich noch darin, mich mit düsterem Blick und einer Menge Fantasie daran zu hindern, ihm dabei zu … ähm … nannten wir es mal helfen, Kriminelle hinter Gitter zu bringen. Doch die meisten seiner Bekannten würden behaupten, dass er nicht gut darin war, zu lachen, Spaß im Leben zu haben und den Moment zu genießen.
Und sie hatten absolut recht. Außer, er war mit mir zusammen.
Das waren nicht meine Worte! Es waren seine. Ich hatte möglicherweise aus Versehen sein Ehegelübde gelesen – und dabei die ein oder andere Träne vergossen. Josh war nicht dafür bekannt, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, von Wut mal abgesehen, und hatte trotzdem genau die richtigen Worte gefunden. Ich bereute es fast, sie schon zu kennen und auf meiner Hochzeit nicht das erste Mal zu hören. Aber wenn er mich davon hätte abhalten wollen, das Gelübde zu lesen, hätte er es wirklich besser verstecken sollen. Natürlich hatte ich es im Ofen gefunden, ich bewahrte dort schließlich manchmal meine Chipstüten auf.
Egal, bald war er vertraglich dazu verpflichtet, mir meine Neugierde zu verzeihen. Denn wenn nichts schiefging – was mein Plan war! –, würden wir übermorgen einmal laut „Ja“ sagen und endlich Steuern sparen. Außerdem natürlich für immer zusammen und glücklich sein und … was auch immer ich in mein Ehegelübde schreiben würde. Das ich ganz sicher heute in Angriff nehmen würde. Es war acht Uhr morgens, ich hatte eine Menge Zeit und … Ich zuckte zusammen, als sich eine Spinne von der Decke auf einen alten Schlafsack abseilte, auf den jemand mit Edding
Josh und Mo stinken. Sehr!
geschrieben hatte. Ach, Geschwisterliebe.
„Lou“, sagte Josh sanft. „Wir können auch wieder hochgehen. Du wolltest hier runter!“
„Nein, nein, schon gut.“ Ich streckte die Schultern durch. Das hier war mir wichtig. „Ich bin … stark.“
Josh pikste in meinen nicht vorhandenen Bizeps.
„Mental!“, erwiderte ich verärgert und schlug seine Hand weg. „Finn meinte, dein Vater hätte all die Bastelarbeiten deiner Mutter nicht weggeschmissen, sondern hier unten in eine Kiste gepackt. Also: die suche ich.“
Josh seufzte. „Lou, meine Mutter in allen Ehren: Sie war keine großartige Künstlerin. Sie hat Müll zu neuem Müll verarbeitet. Willst du dir ernsthaft eine alte Blume aus Zeitungspapier und Büroklammern an dein schönes Hochzeitskleid pinnen? Oder ein Kastanienmännchen mit zerquetschen Kronkorkenbeinen ins Haar stecken?“
„Ja“, erwiderte ich und lächelte. „Ich habe deine Mutter nie kennengelernt, aber ich fände es schön, wenn sie trotzdem bei unserer Hochzeit dabei ist, weißt du? Zumindest symbolisch. Finn meinte, sie hätte ganz viele kleine Figuren gebastelt, so wie seinen Schlüsselanhänger, und an Haarspangen geklebt. Vielleicht finden wir so was Ähnliches? Das kann ich zur Not unter meinen Haaren verstecken. Oder mich doch noch für einen Schleier entscheiden.“
„Okay“, murmelte Josh, schloss den Arm um meine Schultern und zog mich fest an sich, bevor er sacht meine Schläfe küsste. „Ich mag die Idee. Dass sie … symbolisch dabei ist. Danke also, dass du dein Modebewusstsein für sie aufs Spiel setzt.“
Ich sank in seine Berührung und lachte. „Von welchem Modebewusstsein redest du?“ Ich trug heute eine Jeans mit einem Loch an der Stelle, wo meine Oberschenkel aneinanderrieben, einen Schnürsenkel als überhaupt nicht funktionellen Gürtel und mein Louisa’s Flower Power-Poloshirt, das Emmi sich weigerte, zu tragen, weil es mit seiner Hässlichkeit gegen ihre religiösen Überzeugungen verstieß. Sie war feste Anhängerin des Schwachsinntums.
„Na, du weißt, wie du Jeans und T‑Shirt erfolgreich kombinierst“, sagte Josh leichthin und gab mir noch einen Kuss auf den Scheitel, woraufhin ich warm seine Hand drückte.
Man hätte es ihm nicht am Gesicht angesehen, aber über seine Mutter zu sprechen, machte ihn immer emotional. Das erkannte ich allein an seinem Extrakuss.
Seine Mutter war vor fast siebzehn Jahren ermordet worden, ihr Täter nie gefasst, was der Grund war, aus dem er Kriminalkommissar geworden war. Josh meinte immer, dass es okay war. Dass es nicht mehr so wehtat. Doch ich wusste, dass das nicht stimmte. Dass es ihn noch immer bis in seine Träume verfolgte, dass der Mörder auf freiem Fuß war. Letztes Jahr hatte er einmal kurz die Hoffnung gehabt, dem Täter auf die Spur zu kommen. Sie hatten herausgefunden, dass ein Auftragskiller verantwortlich für den Tod seiner Mutter gewesen war. Doch die Recherche nach dem Schuldigen hatte Josh fast seinen Verstand, sein Leben, nicht zu vergessen unsere Beziehung gekostet. Weshalb er mir hatte versprechen müssen, dass er den Fall aufgab, bevor ich ihm versprach, den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen. Aber das war mittlerweile ferne Vergangenheit und nie wieder Thema gewesen. Wir waren drüber hinweg.
„Also was Blaues oder Geliehenes“, murmelte er, trat ins Abteil und hob die ersten Kisten an. „Nicht einfach was Altes?“
„Nee …“ Ich lächelte breit. „Trudi ist mein was Altes.“
Josh lachte leise. „Ernsthaft?“
„Na, sie wollte unbedingt Teil der Hochzeit sein! Ich erfülle ihr den Wunsch. Und können wir uns ein wenig beeilen, bitte? Mir ist kalt.“
„Immer dieses Wir“, murmelte er amüsiert und fing an, systematisch die Kisten zu durchsuchen.
Wir, also größtenteils Josh und seine Muskeln, beeilten uns, hoben jede Kiste an, durchstöberten altes Spielzeug und Drei Fragezeichen-Kassetten – und fanden trotzdem nichts außer einer Reihe alter, selbst gebastelter Handtaschen, zusammengenäht aus verschlissenen Einkaufstüten, die weder mir noch der Falte zwischen den Augenbrauen meiner Mutter jemals gefallen würden.
Nach einer Dreiviertelstunde gaben wir schließlich auf. Josh musste zur Arbeit und ich hatte Trudi versprochen, heute Vormittag ein neues Kleid mit ihr zu kaufen. Meine Mitarbeiterin Sonja und meine Azubine Leonie würden sich um den Laden kümmern. Emily war zu schwanger, um zu arbeiten, und Sonja und Leonie sehr froh darum. Meine Schwester war schon ohne Schwangerschaftshormone des Teufels, geschwollene Füße und tretendem Baby in ihrem Körper keine freundliche, zuvorkommende Person. Doch ihr letztes Trimester wirkte sich definitiv nicht positiv auf ihr Gemüt aus. Was man jetzt deutlich durch die Wohnungstür von Rispo Senior hören konnte.
„Ich hab dir gesagt: Nur über Lous Leiche nennen wir unser Baby Mandalorian!“, drang Emmis liebliches Gebrüll durch das Holz, das jeden König der Löwen-Fan wohlig hätte aufseufzen lassen. „Und was hast du gegen Persephone für ein Mädchen?“
„Persephone hört sich an wie der Markenname eines persischen Handyanbieters“, rief Finn zurück, Joshs jüngerer Bruder und der Vater des ungeborenen Kindes.
„Sie ist die Göttin der Unterwelt!“
„Kann nicht sein. Denn ich bin mir scheiße sicher, dass du den Job gerade hast!“, feuerte Finn zurück.
„Warum muss es über meine Leiche sein?“, fragte ich ungläubig. „Warum kann es nicht deine oder ihre eigene sein?“
„Kein Leichengerede, Lou!“, sagte Josh warnend. „Wir fordern es nicht heraus, schon vergessen?“
Ich seufzte, nickte jedoch, bevor ich unglücklich auf die Tür sah, durch die Emily Finn gerade zu verstehen gab, dass er Liebe mit seinem Knie machen sollte. „Meine Handtasche ist noch da drin.“
„Mhm. Hartes Leben.“ Josh schlug mir auf die Schulter und trat einen Schritt zurück. „Ich geh zur Arbeit.“
Ungläubig sah ich ihn an. „Du kommst nicht noch mit rein?“
„Nope. Aber ich frag meinen Vater, ob er weiß, wo die Kiste mit Mamas Kram ist, ja?“
Mit verengten Augen sah ich zu ihm auf. „Es wäre sehr unhöflich von dir, mich da jetzt allein reingehen zu lassen.“
Seine Mundwinkel zuckten, bevor er mich sacht küsste. „Wie gut, dass niemand uns beide jemals als höflich beschimpft hat. Außerdem: du bist schon mit diversen Mördern fertig geworden, du wirst auch Emmi und Finn bezwingen.“
„Aber Sie haben im Gegensatz zu Mördern keine Manieren und kennen keine Zurückhaltung!“
„Ja, hast recht. Mörder sind für ihren menschenfreundlichen Umgang bekannt“, bemerkte er trocken, als sein Handy klingelte. „Rispo?“, meldete er sich im nächsten Moment, und der Tatsache, dass sein Gesicht sich innerhalb von Sekunden in Marmor verwandelte, entnahm ich, dass es die Arbeit war. „Schon wieder?“, sagte er genervt und rieb sich den Nacken. „Wo? Ja. Ja. Ich bin in zwanzig Minuten da. Bis dann.“
„Ein Mord?“, wollte ich wissen, sobald er aufgelegt hatte.
„Nein. Noch ein Feuer in der Kanalisation.“
„Ernsthaft?“
Seit mehreren Wochen fand es eine Gruppe Jugendlicher äußerst witzig, in Gullys zu steigen und unter der Erde Dinge anzuzünden. Und da die Polizei zurzeit durch eine Krankheitswelle unterbesetzt war, hatte Josh die Freude gehabt, sich die immer größer werdenden Brandstellen anzusehen – und doppelt so oft zu duschen wie sonst.
„Ja. Diesmal war es in der Nähe einer Schule. Sie fangen an, sich Sorgen zu machen, also … Ich muss wirklich los.“ Er drehte sich um und nahm die erste Treppenstufe. „Viel Spaß mit Finn und Emily. Bis heute Abend, Lou!“
„Josh! Es ist dein Bruder!“, rief ich ihm hinterher.
„Was mein ist, ist auch dein – und Emmi deine Schwester“, hallte seine Stimme durch den Flur und im nächsten Moment fiel die Haustür ins Schloss.
Klasse.
Genervt stieß ich die Wohnungstür auf, die wir vor unserem Kellerbesuch nur angelehnt hatten. Die letzten Wochen waren mehr als anstrengend gewesen. Ich war immer davon ausgegangen, dass die Organisation einer Hochzeit zwar stressig sein, aber die Aussicht auf eine riesige Torte – und zweitrangig, aber fast ebenso wichtig: die Ehe – als Belohnung es am Ende schon erträglich machen würde. Leider hatte ich in meiner Rechnung vergessen, meine Mutter hinzuzuaddieren, die mir erklärte, dass eierschalenfarbene Servietten eine Zumutung waren, und ein DJ, der Lieder mit Schimpfwörtern darin spielte, einer satanistischen Huldigung glich. Dementsprechend hatte ich in den letzten Monaten schon eine Menge Geschrei ertragen müssen und konnte auf weiteres von meiner Schwester und ihrem Freund verzichten. Am besten machte ich mich also unsichtbar – so gut das als Frau mit einer Vorliebe für Schokolade eben ging.
Ich stahl mich auf Zehenspitzen durch den schmalen Flur, an drei Türen vorbei und lugte ins Wohnzimmer, auf dessen Esstisch meine Handtasche lag.
Emily und Finn standen mit dem Rücken zu mir und blätterten geräuschvoll in einem Buch namens Besonders absurde Babynamen, die kein Kind tragen sollte herum. Der Titel war reine Spekulation meinerseits, aber die Vorschläge, die sie laut vorlasen, die von Horst-Horton über Yogurette bis zu Fantalina reichten, sprachen für sich. Sie waren dementsprechend so beschäftigt damit, den hässlichsten Namen der Welt zu finden, dass ich Hoffnung schöpfte. Vielleicht bemerkten sie mich gar nicht, wenn ich mich ganz vorsichtig –
„Lou! Hilf mir! Erklär Finn, warum man ein Kind nicht Horst-Horton nennen kann!“
Seufzend blieb ich stehen. „Alle Namen, die ich in den letzten sechs Monaten gehört habe, waren nicht … menschenfreundlich, Emmi“, gab ich zögerlich zu. Denn ich würde nicht den Fehler machen, mich auf eine Seite zu schlagen. „Deine Ideen ebenso wenig wie die von Finn.“
Schockiert schnappte Emmi nach Luft. „Ich hab Marie vorgeschlagen.“
„Mit Zweitnamen Juana!“, erinnerte ich sie.
Pikiert hob sie das Kinn. „Nun, sie wurde unter Einfluss von Marihuana gezeugt. Es wäre symbolträchtig.“
Finn schnaubte. „Mit dem Namen kann unser Kind niemals in die USA einreisen. Und was, wenn es superintelligent wird und die Energiekrise nur in New York lösen oder Krebs nur in Toronto heilen kann?“
„Toronto ist in Kanada!“, rief Emmi.
Finn winkte ab. „Alles dasselbe. Außerdem wird es ohnehin ein Junge.“
Emmi verdrehte die Augen. „In deinen Träumen. Es wird ein Mädchen. Ich spüre es.“
„Wäre es nicht leichter, sich für einen Namen zu entscheiden, wenn ihr herausfinden würdet, welches Geschlecht das Baby hat?“, schlug ich vor und zog meine Handtasche vom Tisch.
„Bist du bescheuert?“ Irritiert sah Finn mich an. „Überraschungseier machen keinen Spaß mehr, wenn man weiß, was für ein Spielzeug drin ist. Das weiß doch jeder. Und irgendeinen lustigen Nebeneffekt muss Kinderkriegen doch haben, oder nicht? Warum sonst sollte man sich das da antun.“ Er gestikulierte zum dicken Bauch meiner Schwester.
Emily nickte bestätigend. Sie hatte offenbar überhaupt kein Problem damit, sich selbst als Überraschungsei zu definieren.
Ich war froh, als mein Handy klingelte, da es mich davor bewahrte, einen Kommentar abgeben zu müssen. Allerdings hielt meine Glückseligkeit nicht lang an.
„Hast du die Anzeige gesehen, Lou?“
Ich blinzelte und unterdrückte dann ein schweres Seufzen. Wie unvorsichtig von mir, nicht auf die Anruferkennung zu gucken. „Dir auch einen schönen Morgen, Mama! Hast du gut geschlafen?“, erwiderte ich schließlich freundlich.
„Louisa! Hast du die Anzeige gesehen?“
„Du wurdest angezeigt? Wofür?“, fragte ich unschuldig.
„Lou! Eure Hochzeitsanzeige. Emily hat mir gerade das Foto geschickt. Es ist eine Katastrophe!“
Verärgert wandte ich mich zu meiner Schwester um. „Was hat Emily dir geschickt?“
Meine Schwester grinste bei meinen Worten breit und deutete auf die andere Seite des Tisches, auf der eine Zeitung lag.
„Du hast es versäumt, deine eigene Hochzeitsanzeige zu studieren?“, fragte meine Mutter perplex.
„Ja“, erwiderte ich gelassen und umrundete den Tisch. „Wenn ich meinen Namen lesen will, schau ich mir den Schriftzug über meinem Blumenladen oder alte Polizeiberichte an.“ Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es überhaupt keine Ankündigung zu Rispos und meiner Hochzeit gegeben. Aber meine Mutter hatte sich mit Joshs Vater abgesprochen und sie hatten es für eine nette Geste gehalten, ein Foto von Josh und mir sowie unser baldiges Hochzeitsdatum in eine Ausgabe der Rheinländer Rundschau drucken zu lassen. Der Zeitung, bei der Joshs Mutter vor ihrem Tod gearbeitet hatte. Also hatte ich der Rundschau widerwillig einen Text geschickt. Wer wusste schon, was meine Mutter verfasst hätte?
Vermutlich: Undankbare Tochter, 30, endlich unter der Haube, gerade rechtzeitig, bevor ihre Eierstöcke verschrumpeln!
„Schau sie dir einfach an, Louisa!“, sagte meine Mutter unwirsch, also tat ich ihr den Gefallen.
Emily hatte bereits die richtige Seite aufgeschlagen und …
Ich unterdrückte ein Lachen. Leider ohne Erfolg.
„Das ist nicht witzig!“, herrschte Mama.
„Mir gefällt sie“, widersprach ich leichthin. „Ich glaub, diese Louisa Mandu könnte sehr glücklich mit Joshua Risotto werden. Sie sehen süß zusammen aus und werden immer gut genährt sein.“
„Du hast das absichtlich gemacht!“, fuhr sie mich an. „Ihnen eure falschen Namen gegeben.“
„Nein, wirklich nicht“, meinte ich lachend. „Ich hab ihnen den Text per WhatsApp geschickt und die Autokorrektur muss den Rest erledigt haben. Sorry, das war ein Versehen. Aber hey: Mandu und Risotto sind unfassbar lecker.“
Ich war sehr froh, die steile Falte zwischen Mamas Augenbrauen, die sich definitiv gerade bildete, übers Telefon nicht sehen zu können. „Louisa Josephine Manu, du nimmst das nicht ernst.“
„Es ist nur ein Missverständnis, Mama!“
„Das korrigiert gehört. Wir können uns diese Woche keine Fehler leisten.“
„Ach, ich leg immer ein bisschen Geld für meine Fehltritte beiseite.“ Ich machte einfach zu viele und meine Versicherung zahlte für zu wenige.
Meine Mutter ignorierte mich. „Ich hab schon angerufen, aber die Zeitungsleute meinen, sie haben gedruckt, was sie bekommen haben, und es kann nur Beschwerde einlegen, wer die Anzeige aufgegeben hat. Also musst du vorbeifahren.“
Ich seufzte schwer. „Ich ruf gern heute Nachmittag an, aber -“
„Nein! Du fährst vorbei“, sagte sie laut. „Der junge Mann am Telefon meinte, dass sie sich keiner Schuld bewusst seien, und das können wir nicht so stehenlassen.“
„Es ist nur eine Zeitungsanzeige, Mama! Niemand liest mehr Zeitung.“
„Alle meine Freundinnen schon, Louisa. Und … und deine Großmutter auch. Sie kommt morgen und wird mir die Schuld für dein Versagen geben.“
Ich rieb mir mit der Hand über die Stirn. Meine Mutter hatte ein eher angespanntes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter. Sie liebte sie genug, um sie über meine Hochzeit bei ihr und Papa wohnen zu lassen, allerdings hatte sie auch angemerkt, dass es schwierig werden würde, auf die Schnelle einen Sarg aufzutreiben, in dem der alte Vampir schlafen konnte.
„Also: Regle das. Sie sollen eine korrigierte Version veröffentlichen, sonst bin ich äußerst enttäuscht.“ Im nächsten Moment legte sie auf.
Stöhnend ließ ich den Kopf in den Nacken fallen.
„Was ist los?“, wollte Emily scheinheilig wissen. „Hat ihr die Anzeige nicht gefallen? Ich persönlich finde sie toll!“
„Es war gemein, ihr das Bild zu schicken“, informierte ich sie verärgert. „Sie will, dass ich hinfahre und sie dazu überrede, eine Korrektur zu drucken.“
„Na, wenigstens hat sie dann keine Zeit mehr, mich zu einer natürlichen Geburt ohne PDA zu überreden. Denn ich will alle Drogen, die ich kriegen kann, wenn ich schon Finns Dickschädel aus mir rauspressen muss.“
Genervt sah ich sie an. Das machte Emily seit achtundzwanzig Jahren. Von sich selbst ablenken, indem sie mit dem Finger auf mich zeigte. „Ich hab keine Zeit, ich muss mit Trudi ein neues Kleid kaufen.“
„Oh, sehr gut, ich komm mit“, verkündete Finn.
Blinzelnd wandte ich mich zu ihm um. „Was? Warum?“
„Ich brauch eine Krawatte. Papa meinte, ich soll bei eurer Hochzeit eine tragen.“
„Nein, nein. Schon okay.“ Ich winkte ab. „Ich finde, ein Hemd reicht, um -“
„Ich komm verdammt noch mal mit! Ich lass mir heute von keiner Mandu-Frau mehr sagen, was ich zu tun und zu lassen habe“, fuhr er mich an und stürmte an mir vorbei.
Seufzend sah ich zu meiner Schwester. „Alles gut bei euch beiden?“
Sie blinzelte perplex. „Ja. Besser denn je. Warst du gerade nicht dabei? Wir kommunizieren voll. Warum fragst du?“
Meine Mundwinkel zuckten. Sie hatte nicht unrecht. Rispos kommunizierten nun einmal mit Gebrüll und bösen Blicken.
„Freut mich, Emmi. Und nur noch anderthalb Wochen, dann ist der Geburtstermin. Du hast es bald geschafft.“ Bevor der richtige Spaß losgehen würde.
„Jaja“, murrte sie. „Es ist ätzend, aber ich überleb es schon.“
Ja. Ich hoffte nur, Finn auch.
„Noch ein Keks?“
„Trudi, ich liebe dich“, seufzte ich eine Dreiviertelstunde später, als ich auf dem Parkplatz der Rheinländer Rundschau hielt, und nahm mir ein weiteres Kokos-Marmeladen-Plätzchen aus der Tupperdose, die sie über die Mittelkonsole nach vorn reichte.
Wenn ich nur oft genug Zeit mit Trudi verbrachte, war das ganze Jahr über Weihnachten. Egal, ob gerade erst September war oder nicht. Das lag daran, dass sie in ihren Taschen Kekse versteckte, als wäre sie ein Eichhörnchen, das sich auf den Winter vorbereitete. Oder daran, dass ihre Augen aufleuchteten wie Lichterketten, wann immer sie ein „superhottes“ Mitglied der Familie Rispo zu Gesicht bekam, die mich zugegebenermaßen umschwärmten wie Motten das Licht. Heute hörte ich außerdem in Gedanken Jingle Bell Rock spielen, während ich ihre gigantische rote Lederjacke mit weißem Kunstfellkragen und -saum betrachtete, die sie aussehen ließ wie Santas heiße Rocker-Affäre, die in der Waschmaschine eingelaufen war.
„Willst du auch einen, Finn?“
„Nee“, meinte der und schnallte sich ab. „Emmi meint, es reicht, wenn einer in unserer Beziehung dick ist, und zurzeit ist sie das. Und im Gegensatz zu ihr könnte ich all den Zuckermist, den ich in mich reinstopfe, nicht wieder innerhalb weniger Stunden rauspressen.“
Trudi nickte, als würde das einleuchten. „Freu dich auf die Geburt“, sagte sie verklärt. „Das ist so ein magischer Moment.“
Finn runzelte zweifelnd die Stirn. „Ich hab ein Video gesehen und wenn alle Magie so eklig ist, hat Uri Geller mein herzlichstes Beileid verdient.“
Meine Mundwinkel zuckten, bevor ich mich ebenfalls abschnallte. „Ihr müsst nicht mitkommen, wisst ihr, ich brauch nicht lang. Bleibt ruhig im Auto sitzen.“
Trudi musterte mich kritisch. „Aber wer ist denn dann dein Ablenkungsmanöver, während du dich reinschleichst?“
„Ich muss mich nicht reinschleichen“, sagte ich verdutzt. „Ich lege eine freundliche Beschwerde ein, das ist alles. Ich tue nichts Verbotenes oder Geheimnisvolles.“
„Oh.“ Sie sah enttäuscht aus. „Dein Leben ist langweiliger geworden, Louisa. Und dabei bist du noch nicht einmal verheiratet.“
Finn nickte vielsagend, als wäre das die allgemeine Meinung zu meiner Person, bevor er hinzusetzte: „Ich komm trotzdem mit. Will Mamas altes Büro sehen. Gucken, ob die Delle in der Wand noch da ist, wo Mo versucht hat, Joshi eine runterzuhauen, und er sich zu schnell geduckt hat.“
„Oh, das will ich auch sehen“, verkündete Trudi sofort, bevor sie mir einen bedeutungsschweren Blick zuwarf. „Siehst du, Louisa, hier weiß noch jemand, wie man Spaß hat. Du gibst dir in letzter Zeit ja nicht einmal Mühe, einen Toten zu finden.“
Ich verdrehte die Augen, stieg aus und schloss das Auto ab. Wenn ich ehrlich war, mochte ich, dass mein Leben die letzten sechs Monate etwas ruhiger gewesen war. Dass ich keinen Wein getrunken hatte, in dem Leichenteile schwammen. Dass ich nur in Bedrängnis geriet, wenn meine Nichten mich fragten, was eine Orgie war, und ich Angst hatte, dass sie mir nicht glaubten, wenn ich erwiderte: „Ein großes Instrument, das in der Kirche steht“. Nicht etwa, weil jemand in einem Stripclub eine Waffe auf mich richtete. Grundsätzlich hatte ich ja nichts gegen die Leichen, die mir in den Weg fielen, aber zwei pro Jahr waren genug und ich hatte mein Pensum erreicht. Ich wollte nur noch meine Mutter beschwichtigen, Trudi dazu überreden, auf meiner Hochzeit ihre Brüste zu bedecken, und mich auf die Ankunft von dem kleinen Horst-Horton freuen. Ach ja, und Josh heiraten.
Ich steckte meinen Schlüssel in die Handtasche und hielt zusammen mit Trudi und Finn auf das hohe, gläserne Gebäude der Rheinländer Rundschau zu, dessen Bild im Lexikon sicherlich hinter dem Begriff Ästhetisches Architekturversagen zu finden war, denn es sah aus wie ein riesiger Legobaustein.
„Wisst ihr, all das Gerede über Leben und Tod macht mich immer sehr nachdenklich“, meinte Trudi und zupfte ihre stahlgrauen Locken zurecht, bevor sie tief Luft holte und verkündete: „Und ich denke, dass es langsam Zeit für mich wird.“
Wie angewurzelt blieb ich stehen und sah sie schockiert an. Sogar Finn war sichtlich verblüfft und der zuckte nicht mal mit der Wimper, wenn Emily mit Besteck nach ihm warf.
„Was?“, rutschte es mir heraus, während mein Herz mir in den Hals sprang. „Nein! Du hast noch eine Menge Zeit! Du bist noch … jung, Trudi.“ Na ja, fast. Im Vergleich zum durchschnittlichen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten.
„Eben! So was sollte man planen, während man noch jung ist“, sagte Trudi geschäftig. „Ich muss am Nabel der Zeit bleiben. Und alle machen es. Britney, Oppenheimer, dieser Steve Arbeit. Es ist der neueste Schrei!“
Ich blinzelte und warf Finn einen verwirrten Blick zu. Ich hatte das Gefühl, mir fehlten ein paar Infos.
„Steve Arbeit?“, fragte Finn vorsichtig.
„Na, dieser nette Herr vom Apfel-Imperium“, sagte Trudi spitz, als würden wir uns anstellen. „Jeder kennt ihn, Finn. Du solltest häufiger die Medien verfolgen. Bildung ist wichtig.“
Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Meinst du Steve Jobs von Apple?“
„Ja, das ist, was ich sagte. Und wenn er und Britney es können …“
„Aber Britney ist nicht tot“, platzte ich heraus. „Oder?“ Hatte ich was verpasst?
„Tot?“ Trudi machte große Augen. „Du liebe Liese, warum sollte Britney tot sein? Nein! Sie steht in der Blüte ihres Lebens.“
Okay. Ich kam nicht mehr mit. „Trudi“, sagte ich vorsichtig. „Wofür wird es Zeit bei dir?“
„Na, meine Memoiren zu verfassen!“
Meine Schultern sackten mehrere Zentimeter nach unten und erleichtert stieß ich einen Schwall Luft aus. Trudi hatte keine Probleme mit ihrem Leben – nur mit ihrer Ausdrucksweise.
„Geil“, sagte Finn und sein Grinsen wurde noch breiter. „Das ist das Buch, das wir alle brauchen.“
„Nicht wahr?“ Trudi nickte zufrieden. „Ich hab so viel zu erzählen! Ich bin sexy, ich bin reich, ich habe einen Playboy als Mann und fange seit ein paar Jahren praktisch eigenhändig Mörder. Wenn das kein Spiegelbestseller wird, weiß ich auch nicht.“
„Du fängst eigenhändig Mörder?“, wollte ich trocken wissen und setzte mich wieder in Bewegung, in Richtung der automatischen Schiebetüren, hinter denen die verchromte Rezeption der Rheinländer Rundschau glänzte. Dass ihr Ehemann Manni nicht im Playboy abgedruckt werden, sondern höchstens in der Zeitschrift Steuerberater mit Akkordeon über siebzig landen würde, behielt ich lieber für mich.
„Na ja.“ Trudi winkte ab. „Ich würde meinen Geister-Autor natürlich darum bitten, dass er nicht unerwähnt lässt, dass du mir ab und zu geholfen hast. Aber ich werde ihm eine Menge Geld bezahlen, er schreibt dann schon, was ich will.“
Das war meine Befürchtung.
„Ich mach’s! Ich werde dein Ghostwriter“, sagte Finn sofort. „Ich schreib deine Biografie, Trudi. Dann musst du nicht nach einem anderen Autor suchen, der dich am Ende enttäuscht.“
„Oh, wirklich? Das würdest du tun?“
„Klar. Du kannst mir vertrauen. Ich kenne dich. Ich kann das Geld gebrauchen. Ich kann Deutsch. Ich bin der perfekte Kandidat. Ey, ich hab sogar schon einen Titel.“ Selbstgefällig legte er eine Hand auf die Brust, bevor er stirnrunzelnd fragte: „Lou, heißt es richtig: Ein Leben am Rand vom Wahnsinn oder Ein Leben am Rand des Wahnsinn?“
Finn war offenbar weder Fan vom Namen Persephone noch vom Genitiv. „Es ist beides falsch. Es ist des Wahnsinns“, korrigierte ich und trat durch die Schiebetür.
Ich würde mich nicht in Trudis Biografie einmischen, es war schlimm genug, dass ich darin vorkam. Aber sollten die beiden machen, was konnte es schon schaden? Ich hatte einen Job zu erledigen: nämlich meine Mutter zufriedenzustellen und Trudis Brüste für meine Hochzeit zu bedecken. Also ließ ich die beiden an der Tür stehen und trat auf die Rezeption zu.
Ich war schon einmal hier gewesen. Anfang des Jahres waren zwei der Mitarbeiter der Rheinländer Rundschau in den Mord eines Funkenmariechens verwickelt gewesen und Rispo und ich hatten Zeugen vernommen. Deswegen erkannte ich den jungen Mann an der Rezeption, der Hemd und Krawatte, ein schwarzes Headset und einen äußerst genervten Gesichtsausdruck trug.
„Nein. Das wird nicht funktionieren“, zischte er in das kleine Mikro vor seinem Mund. „Wir hatten einen Deal … Ist mir egal. Wir –“ Er brach ab, als er mich sah, und presste die Lippen zusammen. „Ich ruf später zurück“, sagte er abgehackt, bevor er auflegte und mich gezwungen anlächelte. „Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?“
„Hey“, sagte ich freundlich. „Ich bin Louisa Manu und meine Mutter hat vorhin bei Ihnen angerufen …“
„Oh Gott, wir leben nicht mehr in der Steinzeit, warum müssen Leute vorbeikommen, wenn es Mail und Telefon gibt?“, stieß er aus und verdrehte die Augen. „Wir haben den Text gedruckt, den Sie uns geschickt haben. Sie kriegen Ihr Geld nicht zurück.“
„Jaja, schon gut.“ Beschwichtigend hob ich die Hände. „Ich will einfach nur eine korrigierte Anzeige in Auftrag geben und meiner Mutter dann vorlügen, dass ihr einsichtig wart. Was muss ich dafür tun?“
Der Jungspund betrachtete mich mit verengten Augen. „Schön. Trimovitz ist für die Anzeigenseite zuständig. Nerven Sie den. Letztes Büro links im Gang.“ Er gestikulierte Richtung Flur, der hinter einer Tür von der Rezeption abging.
Ich zog eine Grimasse. Simon Trimovitz war einer der Verdächtigen im Februar-Fall gewesen … und ich hatte dafür gesorgt, dass einer seiner guten Freunde hinter Gitter gewandert war. Ich vermutete, dass er nicht mein größter Fan war … Ach, man konnte nicht von allen gemocht werden. Obwohl mich der Gedanke wirklich, wirklich störte! Meiner Meinung nach war ich sehr liebenswert und ich bevorzugte es, wenn alle anderen Menschen das genauso sahen wie ich.
„Danke“, sagte ich dennoch. „Dauert bestimmt nicht lang.“
„Das ist mir herzlich egal. Hauptsache Sie … Hey, Moment!“, bellte der Rezeptionist und sah verkniffen zu Finn und Trudi, die bereits an der Tür waren, auf die er gedeutet hatte. „Sie können da nicht einfach alle rein.“
„Doch, doch“, sagte ich hastig, denn ich wollte keine Szene riskieren, die Trudi definitiv machen würde. Sie stand nicht so drauf, wenn Leute ihr sagten, was sie tun und lassen sollte. „Sie ist meine … Emotional-Support-Seniorin, und er“, ich deutete auf Finn, „seine … äh … Mutter arbeitet hier!“
„Was?“ Der Rezeptionist blinzelte verwirrt, doch Trudi winkte nur fröhlich und lief Finn voran durch die Tür in den mit grauem Kurzflorteppich ausgelegten Flur.
„Ach, whatever“, machte der Jüngling und rieb sich über die Augen.
Eine kluge Entscheidung. Er sah nicht aus, als hätte er heute die Energie dafür, eine Naturgewalt namens Trudi aufzuhalten. Tatsächlich wirkte er etwas blass. Aber er hatte heute ja auch schon mit meiner Mutter telefoniert, also …
Ich lief den beiden anderen hinterher, die nach wenigen Metern stehen blieben.
„Das hier war das Büro meiner Mutter“, erklärte Finn und stieß ohne viel Federlesens die Tür zu seiner Rechten zu einem Raum auf, in dem niemand arbeitete außer ein Wasserkocher. Denn es war eine Küche.
Von allen existierenden Wohnräumen mochte ich Küchen am wenigsten. Denn in ihnen musste man kochen. Als Josh und ich darüber geredet hatten, ob wir wohl einen Ehevertrag bräuchten, obwohl keiner von uns auf Gold, Diamanten oder Geld saß, war mir mein einziges Anliegen gewesen, dass ich es gern schwarz auf weiß hätte, dass er den Rest unseres Lebens den Großteil der Nahrungszubereitung übernahm. Woraufhin er bemerkt hatte, dass er an seiner Küche und meinem Leben hing, das also eine Selbstverständlichkeit sei.
Herd, Ofen und ich führten seit Anbeginn der Zeit eine tragische Dreiecksbeziehung, in der wir uns immer wieder aufs Neue gegenseitig verletzten. Also hatte ich die oftmals viel zu heiße Affäre beendet, und diese Küche hier ließ mich meine Meinung wirklich nicht ändern. Weder die Plastikfliesen noch der halbgefüllte Messerblock, aus dem angelaufene Holzgriffe mit rostigen, spitzen Metallenden ragten, noch der Kalkkocher – sorry, Wasserkocher! – noch die grimmig dreinblickende, ältere rothaarige Frau mit Hornbrille und geschürzten Lippen, die in ihrer Mitte saß. Diese Küche war kein Symbol fürs Kochen. Nein, sie war ein Symbol für das Aussterben der Printmedien.
„Was tun Sie hier? Wer sind Sie?“ Die Rothaarige sah uns irritiert an.
„Ups, falsche Tür“, meinte Finn unbeeindruckt, winkte und schloss sie wieder. „Es ist wohl die nächste.“
„Finn, du kannst nicht einfach so irgendwelche Türen öffnen“, sagte ich seufzend. „Sonst werden wir rausgeschmissen.“
Er warf mir einen ironischen Blick über die Schulter zu. „Ist das nicht immer, was Josh zu dir sagt?“
Meine Wangen wurden warm. „Ja, eben. Ich hab Erfahrung in dem Bereich. Deshalb weiß ich ja, dass wir dann rausgeschmissen werden. Also klopf das nächste Mal, okay? Ich regle das kurz mit Trimovitz.“
Ich drückte seine Schulter und schob mich an ihm vorbei, weiter den Gang hinunter, bis ich die letzte Tür zur Linken erreichte. Da ich meine Beziehung zu nicht abgeschlossenen Türen bessern wollte, klopfte ich einmal laut.
„Ich hab zu tun!“, kam die gehetzte Antwort, bevor ein dumpfes Geräusch erklang. Als hätte jemand gerade ein paar Aktenordner zu Boden geworfen.
„Herr Trimovitz?“, rief ich vorsichtig. „Ich brauch wirklich nur eine Minute Ihrer Zeit.“
Ein Fluchen erklang, das meine Mutter in die Ohnmacht getrieben hätte, und im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen.
„Was?“, blaffte Trimovitz. Der Journalist war um die vierzig, dünn und drahtig mit einem Kopf voller dunkler Locken, die zu allen Seiten abstanden. Er wirkte bleich und durcheinander. Er sah ein wenig so aus, wie ich mich fühlen würde, wenn jemand mir erzählte, dass mein Leben von dem nächsten Drei-Gänge-Menü, das ich kochte, abhinge.
„Hey …“, sagte ich langsam und trat einen Schritt zurück. „Sie erinnern sich vielleicht nicht an mich, aber –“
„Louisa Manu“, unterbrach er mich fahrig und rieb sich über die Augen. „Frauen, die meine Fotografen hinter Gitter bringen, vergesse ich so schnell nicht.“
Nun, das war fair. „Richtig. Also, ich habe letzte Woche eine Hochzeitsanzeige geschaltet und –“ Ich brach ab, denn mein Blick war an ihm vorbei in sein Büro gefallen und … Es war ein Schlachtfeld. Ich wusste, wie eines aussah. Ich war mit der schwangeren Emmi vor ein paar Wochen beim Pralinenausverkauf meiner besten Freundin Ariane gewesen und hatte Dinge gesehen, die ich nie wieder vergessen würde. „Ist alles okay?“, fragte ich schockiert. „Wurde bei Ihnen eingebrochen?“
Das Büro sah schlimmer aus als die Küche. Der quadratische Raum war ein einziger Friedhof aus Aktenordnern, die aus ihren Regalen gesprungen zu sein schienen, Müsliriegel-Müll, rausgerissenen Schubladen und einer Zettelwirtschaft mit Rekordbruttoinlandsprodukt.
„Eingebrochen? Nein!“, erwiderte er irritiert. „Ich … Moment.“ Stirnrunzelnd neigte er den Kopf. „Was ist, wenn wirklich jemand eingebrochen ist? Das kann sein, oder? Dann wäre es nicht meine Schuld.“
„Was wäre nicht Ihre Schuld?“
„Dass er verdammt noch mal weg ist!“, sagte er laut. Er blinzelte mittlerweile so oft, dass Tornado-Warnzentren um die ganze Welt Alarm geschlagen hätten, wären seine Augenlider Schmetterlingsflügel. „Ich finde ihn nirgendwo! Ich könnte schwören, dass ich ihn heute Morgen in meiner Aktentasche hatte. Aber er ist nicht mehr da!“
Panik kroch in seine Stimme, während er hektisch auf eine schwarze Tasche deutete, die vornüber gestülpt auf seinem chaotischen Schreibtisch lag. Leider verriet mir ein Blick in die Richtung nur, dass Simon Trimovitz eine Schwäche für Zimt-Kaugummi hatte, nicht etwa, worum es ging. Er fuhr sich mit beiden Händen in die Haare, schüttelte den Kopf und wandte mir den Rücken zu, um sich den See an Papiermüll auf dem Boden anzusehen.
„Scheiße. Vielleicht hab ich ihn nicht verloren. Vielleicht kam jemand rein, während ich in der Küche war, und hat ihn gestohlen. Mensch, das wäre wundervoll!“
„Ähm … ich möchte Ihren persönlichen Zusammenbruch nicht unterbrechen“, sagte ich vorsichtig. „Aber wovon reden Sie?“
„Na, vom verdammten Probedruck!“, fuhr er mich an und erklärte damit ungefähr … gar nichts. „Scheiße. Es ist die einzige Verantwortung, die ich in diesem verdammten Laden trage. Ich darf es nicht versaut haben! Nicht diese Woche. Gott, wenn ich zum Chef gehen und ihm erklären muss, dass ich seine letzte Ausgabe ruiniert habe, wir noch mal neu drucken müssen oder irgendwer von der Konkurrenz unsere Schlagzeile für Sonntag schon gesehen hat, weil ich so dämlich war, den Probedruck irgendwo liegen zu lassen …“ Besorgt beugte er sich an mir vorbei in den Flur, als könnte besagter Chef genau diesen Moment wählen, den Gang hinunterzukommen. Doch der Flur war leer – bis auf Finn und Trudi.
„Die Delle ist noch da“, sagte Finn zufrieden grinsend. „Mann, ich hab immer gute Erinnerungen an die Male, als Mo jemand anderen schlagen wollte als mich.“
Trimovitz’ Blick schwenkte von mir zu meinen beiden Begleitern und Verwirrung stand in seinem Blick. „Was zur Hölle ist hier los? Ist schon wieder ein Mord passiert und Sie wollen unsere Belegschaft um ein weiteres Mitglied kürzen?“
„Nein, nein“, sagte ich hastig. „Wie ich vorhin schon sagte, es geht um die Hochzeitsanzeige für das Paar Mandu und Risotto.“
„Was ist damit? Ich fands ziemlich lustig“, sagte er ungeduldig.
„Ja, meine Mutter leider nicht. Also …“
„Bei Ihnen ist es sehr unordentlich“, unterbrach Trudi mich und rümpfte die Nase, während sie in Trimovitz’ Büro lugte.
„Ich suche etwas, okay!“, sagte er genervt.
„Oh, Sie sollten sich von Louisa beim Suchen helfen lassen“, erklärte sie. „Sie hat ein Talent dafür, Dinge zu finden, die niemand findet … und oftmals auch niemand finden will, schätze ich.“
Trimovitz’ Blick schwenkte zu mir und ein Hoffnungsschimmer flackerte über sein Gesicht. „Oh mein Gott, ja, oder? Sie sind so was wie eine Detektivin.“
Rispo hätte eine Menge gegen diese Feststellung einzuwenden gehabt, doch da er nicht da war, zuckte ich nur die Achseln. „Manchmal.“
„Okay, dann helfen Sie mir!“ Flehentlich sah er mich an. „Mein Boss geht nächste Woche in Rente. Ich habe den Probedruck für die Sonntagsausgabe gestern persönlich von der Druckerei abgeholt und in meiner Aktentasche im Auto verstaut. Irgendjemand muss ihn im Zeitraum von gestern Nacht bis jetzt gestohlen haben.“
Ich seufzte schwer. Eigentlich wollte ich meiner To-do-Liste wirklich keinen weiteren Punkt hinzufügen. „War der Probedruck aus Gold?“
„Nein. Papier natürlich.“
„Dann bezweifle ich, dass irgendwer Interesse daran hatte, ihn zu stehlen“, stellte ich fest. „Sie haben ihn bestimmt nur irgendwo verlegt.“
Trimovitz schüttelte den Kopf. „Ich –“
„Simon, wir müssen gleich los.“ Ein glatzköpfiger Mann mit beeindruckendem dunkelgrauem Schnurrbart und schwarzem Mantel streckte den Kopf aus dem gegenüberliegenden Büro. „Können wir bitte wieder deinen Wagen nehmen? Ich kann nicht mehr gut fahren, seit …“ Er verstummte. Das hätte ich auch, wenn ich bemerkt hätte, dass drei fremde Leute mich anstarrten.
Trimovitz seufzte schwer. „Gib mir zwanzig Minuten, Bernhard. Ich sag dir Bescheid.“
Bernhard nickte nur abwesend, achtete jedoch nicht wirklich auf Trimovitz. Er sah Finn an. Was schon verwunderlich war, da Trudi direkt neben ihm stand und sie Finn allein aufgrund des roten Glitzers auf ihren Augenlidern hätte überstrahlen müssen.
„Sie glotzen, alter Mann“, informierte Finn ihn höflich und verschränkte die Arme vor der Brust. Finns freundliches Gemüt schien Bernhard aus seiner Trance zu reißen.
„Mhm. Ich dachte, Sie wären dieser Rispo, der hier letztes Jahr dauernd herumgeschnüffelt hat.“
Finn verdrehte die Augen. „Sie beleidigen mich. Ich bin um ein Vielfaches hübscher als mein Bruder.“
„Mhm“, wiederholte der Mann und verschwand in seinem Büro.
„Was ein gut aussehender Bursche“, flüsterte Trudi so laut, dass es sicherlich auch der Rezeptionist gehört hatte. „Da fragt man sich direkt, was diesen prächtigen Schnurrbart zum Zittern bringt, oder?“
Finn grinste breit. „Ja. Das ist alles, woran ich denken kann.“
Ich für den Rest des Tages wohl leider auch.
„Frau Manu, kommen Sie schon. Helfen Sie mir!“, flehte Trimovitz, und er musste wirklich verzweifelt sein, wenn es ihm so leicht fiel, Trudis verstörenden Kommentar einfach zu übergehen.
„Nein. Ich … Ich habe noch nie einen Diebstahl untersucht.“
„Ach, das ist wie bei einem Mord“, meinte Trudi. „Nur dass keiner tot ist.“
Trudi sollte Lexika schreiben, ihre Liebe für detaillierte Definitionen war bemerkenswert. Aber schön, ich war nicht ganz herzlos und Trimovitz erinnerte mich an eine vertrocknete Pflanze, die die Blätter hängen ließ. Dann würde ich ihn eben mit ein wenig Hilfe übergießen.
„Sind Sie sicher, dass er gestohlen wurde?“, fragte ich seufzend. „Könnte der Probedruck nicht einfach immer noch in Ihrem Auto liegen?“
„Nein. Ich habe ihn ziemlich sicher in meiner Aktentasche gehabt.“
„Wie sicher?“, wollte ich wissen.
Hätte man von Trimovitz’ Antlitz in diesem Moment ein Porträt gezeichnet, es hätte den Titel Mit Sicherheit unsicher getragen.
„Eben“, sagte ich knapp. „Kommen Sie einfach mit raus, wir gucken in Ihrem Auto nach. Und wenn er da auch nicht ist, überlege ich mir, ob ich den dramatischen Fall des verschwundenen Probedrucks näher betrachte.“ Verärgert sah ich zu Trudi. Ich hatte wirklich keine Zeit, mich um eine verschusselte Zeitung zu kümmern! „Aber nur, wenn Sie mir eine korrigierte Hochzeitsanzeige in der nächsten Ausgabe spendieren.“
„Okay, okay. Klar“, sagte Trimovitz atemlos und hetzte im nächsten Moment den Gang entlang. Wir folgten ihm nach draußen zu einer alten grauen Ford-Focus-Limousine, deren Stufenheck, in dem sich der Kofferraum verstecken musste, so weit nach hinten ragte, dass jedes Einparken ein Albtraum sein musste.
Der Wagen sei nicht abgeschlossen, weil er eigentlich nur kurz den Probedruck zur Kontrolle an eine Kollegin hatte übergeben wollen, bevor er mit Bernhard über die Eröffnung eines neuen Katzencafés hätte berichten sollen, erklärte er hastig, bevor er nacheinander die Türen aufriss. Er sah auf den Sitzen, unter den Sitzen, im Handschuhfach und unter der Ikea-Tüte gefüllt mit Pfandflaschen nach, die den Großteil der Rückbank vereinnahmte. Doch da war nichts.
„Sehen Sie!“ Die Panik war zurück in seinem Blick. „Der Probedruck ist weg!“
„Was ist mit dem Kofferraum?“, fragte Trudi, die gerade einen Keks aus ihrer Handtasche zog.
„Ich benutze meinen Kofferraum nie! Ich werfe immer alles auf die Rückbank.“
„Vielleicht waren sie gestern so müde und erschöpft, dass sie eine Ausnahme gemacht haben“, gab ich zu bedenken. „Das passiert. Ich habe meine Chipstüten früher immer im Ofen aufbewahrt, weil ich ihn nicht benutze, jetzt vergesse ich immer, dass sie plötzlich im Vorratsschrank liegen.“ Was der Grund war, weshalb ich Joshs Ehegelübde gefunden hatte.
Trimovitz schnaubte, lief jedoch zusammen mit mir um das Auto herum und zog an dem Henkel zum Kofferraum. „Ich sage Ihnen, mein Kofferraum ist leer, ich –“
Er verstummte.
Trudi sog entzückt die Luft ein.
Finn würgte.
Ich glotzte mit aufgerissenen Augen.
Trimovitz hatte unrecht. Sein Kofferraum war nicht leer. Denn in ihm lag eine Leiche.
Ich schlug die Hand über Mund und Nase, doch beißender Uringestank, der süßliche Geruch nach Tod und etwas mir Unbekanntem, das auf meiner Zunge brannte, drängten sich trotzdem in meine Atemwege. Übelkeit floss in meinen Magen. Schob sich meinen Hals hoch. Der Speichel in meinem Mund zog sich zurück und ich schmeckte Säure, während mein Blick über den toten Mann huschte, der in den Kofferraum gequetscht worden war.
Sein Kopf lag gebettet auf seiner mit getrocknetem Blut überströmten Brust, die eine einzelne Stichwunde zierte. Die Beine angewinkelt, die schlammbespritzten Schuhe gegen die Rückwand des Kofferraums gepresst.
Ich schluckte. Hielt mein Frühstück unten. Wollte wirklich nicht auf den toten Körper kotzen. Doch es war schwer!
Es war nicht nur der Geruch, obwohl der nicht half. Es war das Gesamtbild, das der Tote abgab.
Ich hatte in meinem Leben schon mehr Leichen gesehen, als für meinen Schlaf, Rispos Stimmbänder und die Nerven meiner Mutter gut war. Einen Toten mit Stricknadeln, die aus seinem Hals ragten. Eine nackte alte Frau, deren geschundener Körper über und über mit Glassplittern durchlöchert war. Eine weindurchtränkte Leiche mit Tausenden Kakteenstacheln in der Haut. Ich würde behaupten, dass mein Leichen-Portfolio recht kreativ und umfassend war.
Aber das hier …
„Oh fuck, das ist ja ekliger als eine Geburt!“, stieß Finn aus und stolperte zurück. Er zog sich den Kragen seiner Übergangsjacke über Mund und Nase und gab Geräusche von sich, die an Kleinkinder erinnerten, denen Spinat vorgesetzt wurde.
Ich musste ihm recht geben.
Das Gesicht des Opfers war verquollen, sodass es schwer war, sein Alter zu bestimmen. Ende vierzig, Mitte fünfzig vielleicht. Zornige, rote Flecken und Wülste zogen sich über seine Haut, die an einigen Stellen aufgeplatzt, an anderen völlig unversehrt war. Helle, weiße Flecken wechselten sich mit dem Dunkelrot und Braun des Blutes auf seiner Kleidung ab, die an manchen Stellen einfach weggeätzt, an anderen mit Hautfetzen verschmolzen war.
Seine Haare waren dunkel und waren es doch wieder nicht. Es sah aus, als wäre der Tote kurz vor seinem Ableben zum selben Friseur wie Cruella de Vil gegangen. Seine Haare hatten bleiche Flecken. Seine Kleidung war manchmal hell, andermal dunkelrot, genauso wie seine Haut … Als hätte jemand mit Chemikalien auf seinem Körper herumexperimentiert.
Mir wurde schwindelig und meine Atmung mit jeder Sekunde hektischer. Es war wenig Blut. Sehr wenig Blut. Sehr viel verätzte, verbrannte Haut. Und dann war da noch …
„Das ist ja unglücklich“, bemerkte Trudi, die keinen einzigen Schritt zurückgewichen war. Im Gegenteil. Sie trat bei ihren Worten näher an den Kofferraum heran. „Da hat der Kerl schon eine Pistole in der Hand und wird trotzdem erstochen? Wie viel Pech muss man haben, mit einer Schusswaffe gegen einen spitzen Gegenstand zu verlieren? Heute war wohl nicht sein Tag.“
Ein Gurgeln entwich bei ihren Worten meiner Kehle. Eine Mischung aus hysterischem Lachen und panischem, tränenlosen Weinen. Denn sie hatte recht. Der Tote hielt eine schwarze Pistole in seiner steifen rechten Hand, während er die Linke merkwürdig verkrampft zur Faust geballt hatte.
„Trudi, bleib zurück!“, wies ich sie krächzend an, als sie Anstalten machte, sich über den leblosen Körper zu lehnen. „Sonst landet deine DNA noch auf ihm.“
„Schön. Aber ich muss schon sagen, Louisa: Das ist um einiges aufregender, als shoppen zu gehen. Gut gemacht!“
„Ich hatte nichts hiermit zu tun!“, erwiderte ich mit hoher Stimme.
„Na ja, nicht direkt. Aber du musst schon zugeben, dass du es zu jeder Zeit mit einem Leichenspürhund aufnehmen könntest“, sagte sie mit geschürzten roten Lippen. „Nur dass sie natürlich sehr viel knuffiger sind als du.“
„Und Leichen finden wollen“, erinnerte ich sie.
Sie winkte ab. „Lirum, larum. Hey, meinst du, er ist der Täter? Seine DNA ist bestimmt drauf, oder? Wo es doch sein Kofferraum ist und so.“ Sie deutete mit dem Finger auf Simon Trimovitz, der so bleich wie eine der Haarsträhnen des Toten war, und offenbar unter Schock stand. Zumindest zitterte er heftig und Schweiß sammelte sich an seinen Schläfen. Er starrte in seinen Kofferraum, den Mund geöffnet, die Hände lose zu seinen Seiten herabhängend.
Meiner Meinung nach sah er nicht wie ein Mörder aus, der unglücklicherweise vergessen hatte, was er da in seinem Kofferraum spazieren fuhr – aber scheiße, es war sein Kofferraum.
„Komm, Finn, mach schnell ein Foto, bevor Lou uns den Spaß verdirbt und die Polizei ruft! Für meine Memoiren“, forderte Trudi.
„Trudi, das ist nicht erlaubt, du –“ Doch ich hätte genauso gut mit der Leiche reden können. Die war ähnlich aufmerksam.
Trudi positionierte sich bereits breit lächelnd neben dem Kofferraum, beide Daumen triumphierend in die Luft gereckt, als hätte sie einen großartigen Fund während einer archäologischen Ausgrabung gemacht. Finn ließ widerstrebend seinen Jackenkragen vom Mund sinken und schoss als Nächstes ein Foto davon, wie Trudi mit einer Fingerpistole auf die Leiche zielte, bevor sie stirnrunzelnd innehielt und in den Kofferraum sah.
„Was hat er da in der Hand? Siehst du das, Lou?“
Ich sah gar nichts. Ich war damit beschäftigt, mein hämmerndes Herz zu beruhigen, mein Handy in meiner zu großen Handtasche zu suchen und mich darum zu sorgen, ob Trimovitz noch atmete. Denn seine Brust hob und senkte sich nicht mehr.
„Trudi, sei bitte kurz still. Ich rufe Josh an.“ Mit klammen Fingern drückte ich die Durchwahltaste eins.
„Aber Lou!“, beschwerte sich Trudi. „Sieh doch mal …“
Ich achtete nicht auf sie, denn Rispo hob ab.
„Hey, Lou, was –“
„Du bist schuld!“, unterbrach ich ihn unwirsch, meine Stimme unnatürlich hoch. „Du musstest den Leichengott ja mit deinem dummen Gerede herausfordern. Das hier geht auf deine Kappe, Josh! Nicht auf meine.“
Abrupte Stille folgte. Dann: „Du verarschst mich.“
„Hör ich mich so an, als würde ich dich verarschen?!“ Meine Stimme ging mit jeder Silbe eine Oktave höher.
„Fuck.“
„Ja!“
„Das kann nicht dein Ernst sein, Lou. Keine Leiche vor der Hochzeit. Das war meine einzige Bitte an dich.“
„Oh, nein!“, wehrte ich mich. „Du hast den Leichengott verhöhnt und er hat sich revanchiert.“
„Lou! Hör auf, über fiktive Götter zu reden“, bellte Josh. „Wo bist du? Und hast du wirklich eine Leiche gefunden oder –“
„Josh, der Typ ist so tot, wie du sein wirst, wenn du mir noch einmal –“
„Lou. Wo?“