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Mai im Mostviertel: Im Garten der Schallaburg wird die Skikaiserin Simone Schnell nach einer Modenschau tot aufgefunden - erdrosselt mit einer Dirndlschürze. Nach dem Ende ihrer aktiven Karriere hatte die berühmte Sportlerin mit zwei Jugendfreundinnen ein modernes Trachtenlabel gegründet. Rasch rückt die Modekonkurrenz ins Visier der Ermittlungen, doch auch ehemalige Teamkollegen und Familienmitglieder neideten der jungen Frau den Erfolg. Der Fall ist von höchster Brisanz, und als ein zweiter Mord geschieht, geraten Major Brandner und Inspektorin Lindner gehörig unter Druck.
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Seitenzahl: 314
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Helmut Scharner
Mostviertler Kaiserin
Kriminalroman
Entthront Eine Modenschau auf der Schallaburg erfährt ein abruptes Ende, als die bekannte Skikaiserin Simone Schnell tot aufgefunden wird – erdrosselt mit einer Dirndlschürze. Nur wenige Minuten zuvor hatte die junge Frau auf dem Laufsteg unter tosendem Beifall ihr neues Trachtenlabel präsentiert, das sie gemeinsam mit zwei Jugendfreundinnen gegründet hatte. Major Brandner und die Inspektorin Annika Lindner übernehmen den Fall, der für viel Wirbel sorgt. Nicht zuletzt Presse und Politik fordern die rasche Verhaftung des Mörders der beliebten Nationalheldin! Doch die Liste der Verdächtigen ist lang. Während nur wenige zu Simone Schnells engstem Kreis gehörten, scheint die Zahl ihrer Neider endlos. Einstige Teamkollegen beim ÖSV missgönnten ihr den Erfolg ebenso wie Vertreter der Modebranche. Auch in der Familie stößt Inspektorin Lindner auf ein schwarzes Schaf, und Schnells Witwer zeigt sich auffällig wortkarg. Als ein zweiter Mord geschieht, ist der öffentliche Aufschrei groß. Werden Brandner und Lindner dem Druck standhalten?
Helmut Scharner wurde 1975 in Ybbsitz in Niederösterreich geboren. Er arbeitet als Sales Manager für den größten österreichischen Stahlkonzern. Beruflich wie privat reist er viel um die Welt, doch sein Dreh- und Angelpunkt ist das Mostviertel, in dem er mit seiner Familie lebt. Helmut Scharner hat bereits mehrere erfolgreiche Kriminalromane geschrieben, die in seiner Heimat verankert sind. Er ist Mitglied der Autorenvereinigungen »Das Syndikat« und der Österreichischen Krimiautoren.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Ricarda Dück
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © FREIWILD-DESIGN Austria
ISBN 978-3-8392-7822-2
Schallaburg, Niederösterreich Samstag, 10. Mai
Unten im Arkadenhof reihte sich das letzte Model ein. Die Dirndl leuchteten in bunten Farben, der Schmuck glitzerte in der Sonne. Die Trachten der Männer waren bewusst dunkel gehalten worden, damit die Kleider der Frauen umso beeindruckender wirkten. Sie erzielten genau den gewünschten Effekt, dachte Simone Schnell. Die Musik verstummte, kurz herrschte Stille. Simone warf einen letzten Blick zu ihren Freundinnen.
»Los, du machst das!«, ermutigte sie Alexandra rechts neben ihr.
»Fall bloß nicht hin!«, wisperte Martina von links.
Simone schluckte die aufkeimende Übelkeit hinunter.
Du schaffst das! Du hast in deinem Leben schon bei Weitem mehr geleistet.
Sie drückte Alexandras und Martinas Hände und ging los. Nach zwei Schritten gelangte sie ins Blickfeld des Publikums im Hof. Frenetischer Applaus und laute Bravo-Rufe setzten ein. Simone nahm nicht sofort die Stufen nach unten, stattdessen blieb sie stehen und ließ sich bewundern. Sie genoss den Blick auf die Menge zu ihren Füßen ebenso wie die Aussicht auf den Arkadengang und die Terrakotten, die eine einzigartige Atmosphäre schufen. Alle Aufregung war mit einem Mal vergessen.
Im Blitzlicht der Kameras stieg sie so anmutig wie möglich hinab, um ihr Dirndl als Höhepunkt der Modenschau in Szene zu setzen. Sie war das Gesicht des Trachtenlabels ›Schnell und Chic‹. Ihr eigenes Label! Für ihren Auftritt auf dem Laufsteg hatte sie sich für das türkisfarbene Dirndl aus glattem Stoff entschieden, dessen weiße Spitzen ihr Dekolletéund die Schultern umspielten. Zusammen mit der rosafarbenen Schürze, die teils aus weißem durchsichtigem Material bestand, passte das Outfit perfekt zu ihren langen dunkelbraunen Haaren und braunen Augen. Simone war sich sicher, dass ihr Lächeln auf den Fotos nicht aufgesetzt wirken würde, denn sie war glücklich. Sie konnte den Erfolg förmlich riechen, es fühlte sich an wie früher bei einem ihrer großen Siege im Skiweltcup, fast sogar wie bei der Olympiade, als sie die Goldmedaille gewonnen hatte.
Simone schwebte förmlich die Stufen hinunter. Unten angekommen, drehte sie sich um und lenkte mit einer Handbewegung die Aufmerksamkeit der Menge nach oben. Ihre Geschäftspartnerinnen Alexandra und Martina schritten wie verabredet nebeneinander die Stufen herunter. Simone empfand tiefe Dankbarkeit für die beiden. Ohne ihre Freundinnen wäre ihre zweite Karriere nicht möglich gewesen! Und ohne die wäre sie nach dem Abschied aus dem Skirennzirkus in ein tiefes Loch gefallen. So aber hatte sie eine neue Aufgabe gefunden, die sie erfüllte.
»Frau Schnell«, rief ein Fotograf. »Schauen Sie bitte zu uns!«
Simone reagierte nicht sofort, doch die Forderungen wurden lauter. Obwohl ihre beiden Geschäftspartnerinnen noch nicht alle Stufen gemeistert hatten, wandte sich Simone den Journalisten zu und beantwortete deren Fragen zur Kollektion. Schließlich winkte sie Alexandra und Martina zu sich. Sie positionierte sich in der Mitte und schlang links und rechts ihre Arme um die Hüften ihrer Freundinnen. Besser hätte es nicht laufen können, dachte sie und lächelte ein weiteres Mal den Fotografen zu. Welches Bild wohl morgen in den Zeitungen abgedruckt werden würde? Eigentlich spielte das keine Rolle, denn alle Dirndl waren ganz wundervoll. Martina hat sich selbst übertroffen! Sie drückte ihre Freundin links neben sich gleich noch etwas enger an sich.
Sankt Pölten, Niederösterreich Samstag, 10. Mai
Annika Lindner konnte ihr Glück kaum fassen: Sie saß ihrer bezaubernden Nina in einem Restaurant gegenüber, und später würden sie noch bis in die Nacht tanzen gehen. Ihr Leben war einfach wunderbar! Insofern es von niemandem gestört werden würde …
Vor Nina stand ein Glas Sekt, Annika hatte die alkoholfreie Version bestellt, denn sie hatte Bereitschaft. Oft verlief diese zwar ereignislos, aber man konnte nie wissen. Und natürlich blieb sie stets im Dienst nüchtern.
Abgesehen vom Restalkohol vom Vortag. Ganz sicher kann ich mir da nicht immer sein.
»Auf uns!« Nina hob ihr Glas.
»Auf uns!«, pflichtete Annika bei.
Das Klirren der Gläser wurde vom Klingelton ihres Smartphones unterbrochen.
»Das ist Leopold, da muss ich rangehen«, entschuldigte sich Annika und drehte sich weg.
»Hast du es schon gehört?«, fragte ihr Vorgesetzter, statt sie zu begrüßen.
»Was?«
»Ganz große Sache, es ist schon überall in den Nachrichten!«
Brandner erklärte, dass ein neuer Fall auf sie wartete und sie sofort zum Tatort mussten. Sie nannte ihm die Adresse des Restaurants in Sankt Pölten. Ihr Vorgesetzter war bereits in Wien losgefahren und würde sie in 30 Minuten abholen. Das war es wohl mit dem ungestörten Abend!
Annika beendete das Gespräch, seufzend zuckte sie mit ihren Achseln. »Eine Vorspeise geht sich aus, mehr leider nicht. Entschuldige bitte!«
Nina zog einen Schmollmund. »Diese Verbrecher durchkreuzen aber auch immerzu unsere Pläne. Einsperren müsste man sie!«
»Wer auch immer dafür verantwortlich ist, dass uns der Abend vermasselt wurde – er oder sie wird es bereuen, das kannst du mir glauben!«, erwiderte Annika. Sie hob ihre Hand und winkte einen der Kellner energisch herbei.
»Ich hoffe, der Tatort ist nicht allzu schwer zugänglich.«
»Du meinst wegen meines Outfits?« Annika schaute an sich hinab und musste lachen. »Nein, das sollte heute kein Problem sein, aber meine Kollegen werden erstaunt sein, dass ich so aufgebrezelt daherkomme. Das sind die nicht gewohnt!«
Nina lächelte. »Anhand deiner Tätowierung werden sie dich schon erkennen.«
Ihre Freundin beugte sich nach vorne und berührte die frei rasierte linke Seite von Annikas Kopf. Obwohl Annika es nicht sehen konnte, stand ihr das Tattoo klar vor Augen. Die schwarze Rose befand sich direkt unter dem Haaransatz.
Nina strich ihr eine pechschwarze Strähne hinters Ohr. Ihre Hand fühlte sich angenehm warm an. Annika ergriff sie, lehnte sich ebenfalls über den Tisch und küsste ihre Lebensgefährtin auf den Mund.
»Was kann ich für Sie tun?«, unterbrach der Kellner, nachdem er sich geräuspert hatte.
Schallaburg, Niederösterreich Samstag, 10. Mai
Major Brandner beschleunigte seinen Audi den Weg bergauf. Links vor ihm tauchten der Fischteich und die Parkplätze auf. Auch als Wiener hatte er schon oft die Ausstellungen auf der Schallaburg besucht, die jedes Jahr etwas Neues boten. Er hoffte, dass ihm der heutige Tag die Ausflüge nicht für allemal vermiesen würde. Ebenfalls links lag die Zufahrt zum schmucken Renaissanceschloss, aber Brandner passierte die Abzweigung und den Teich. Vor ihm wehten die goldgelbe Fahne Niederösterreichs und die rot-weiß-rote Landesflagge im Wind.
Ein Polizist wies ihm per Handzeichen einen Stellplatz zu. Der Uniformierte sollte sicherlich Schaulustige davon abhalten, zum Tatort vorzudringen. Zusätzlich musste er die Presse einweisen und mit ersten Informationen versorgen. Fahrzeuge von TV-Stationen, sämtlichen Radiosendern der Republik und mehrerer Zeitungen besetzten bereits die Hälfte der Parkplätze.
»Wahnsinn, so einen Auflauf habe ich ja noch nie erlebt!«, stellte Annika Lindner neben ihm fest.
Brandner musterte seine junge Kollegin.
Wenn ich nicht wüsste, wo sie gerade war und wie sie normalerweise daherkommt, könnte ich meinen, sie hätte sich extra für die Medienfuzzis herausgeputzt!
»Showtime!« Lindner öffnete die Beifahrertür und stieg aus.
Anhand der Leuchte am Dach von Brandners Audi hatte der Uniformierte offenbar bereits erkannt, dass es sich bei ihnen um keine Paparazzi, sondern um Kollegen handelte.
»Sie wissen, wohin Sie müssen?«, fragte der Polizist, als Lindner an ihm vorbeilief.
Brandner nickte und folgte seiner Kollegin, die bereits einige Meter Vorsprung hatte. Im trüben Wasser des Teichs schwammen dicke Fische, Brandner schenkte ihnen allerdings nur wenig Beachtung. Hinter Lindner stieg er rasch die steile, gepflasterte Straße den Berg hinauf. Die Luft war frisch, roch angenehm nach Wald. Eine Tafel am Rand verriet, dass auf dem Weg Fahrverbot herrschte. Ausgenommen davon waren Beschäftigte der Burg und Zustelldienste. Die Kriminaltechnik und Gerichtsmedizin waren zwar nicht extra angeführt, aber davon hatten sich die Kollegen sicherlich nicht abhalten lassen. Rechts oberhalb einer Böschung begrenzte eine alte Mauer den Zugang. Links hinter einer niedrigen Steinmauer fiel der Hang abrupt ab. Brandner erkannte unten die Straße, die ihn zum Parkplatz geführt hatte.
An der Stelle, wo er sonst die Eintrittskarten kaufte, standen nun eine Polizistin und ein Polizist. Brandner hatte Lindner eingeholt und stellte sie beide vor.
»Sie müssen in den Burggarten. Kriminaltechnik und Gerichtsmedizin sind bereits da.«
»Ich weiß, wie ich dorthin komme«, kam Brandner den Beamten zuvor.
»Ich auch«, merkte Lindner an.
Brandner stutzte. Bisher hatte seine Kollegin nicht verraten, dass sie die Schallaburg kannte.
Lindner bemerkte offensichtlich seinen verblüfften Blick. »Natürlich war ich schon hier. Früher mit meinen Eltern und zuletzt mit Nina.«
Nebeneinander marschierten sie entlang der Mauer, bis sie den Durchgang zum Garten erreichten. Davor tummelten sich Kamerateams und Journalisten, die von drei Polizisten in Schach gehalten wurden. Der Ranghöchste stellte sich als Inspektionsleiter Mayerhofer vor und gewährte Brandner und Lindner unter Protest der Presse Zutritt zum abgesperrten Bereich.
»Die würden für ein Foto oder einen kurzen Film töten. Jedenfalls machen sie den Eindruck«, flüsterte Lindner.
»Die sind wie Aasgeier!«, pflichtete Mayerhofer bei. »Meine Mannschaft hat von allen Anwesenden die Personalien aufgenommen. Zumindest von denjenigen, die noch da waren, als wir eingetroffen sind. Eine kleine Gruppe wartet drinnen im Burghof im Restaurant auf Sie. Übrigens auch die Dame, die unsere Kaiserin gefunden hat. Gott hab sie selig!«
»Danke, gut gemacht! Zuerst schauen wir uns aber den Tatort und die Tote an«, erwiderte Brandner.
»Natürlich, wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich bei mir!«, bot Mayerhofer an. »Ich bleibe hier, um mit meinen beiden Kollegen die Meute zu bändigen.«
»Mal sehen, ob wir heute statt der Leiche in den Spätnachrichten zu sehen sind, wenn sie keine Aufnahme vom Tatort ergattern«, brummte Brandner.
»Ich zeige mich jedenfalls von meiner schönsten Seite.« Lindner drehte sich um die eigene Achse.
Sie in einem Cocktailkleid zu sehen, war ungewohnt.
Trotzdem wird sich halb Österreich fragen, was es mit der Tätowierung auf sich hat.
»Immer wieder herrlich!« Seine Kollegin blieb stehen und breitete die Arme aus, als würde sie den Garten umarmen wollen.
Nicht ganz die passende Bemerkung in einem Mordfall, aber gut für sie, wenn sie glücklich ist.
»In der Tat. Aber unsere Skikaiserin konnte den Anblick nicht lange genießen!« Brandner zeigte zum anderen Ende des Gartens, wo die Burgmauern in den Himmel ragten. »Da müssen wir hin.«
Der Tatort war mit einem Absperrband gesichert. Unter ihren Füßen knirschte der Kies. Lindner hatte sichtlich Mühe, mit ihren hochhackigen Schuhen nicht umzuknicken. Doktor Heiß musste ihre Untersuchung bereits abgeschlossen haben, denn die Gerichtsmedizinerin winkte Brandner energisch zu sich. Er schlüpfte unter dem Band hindurch, Lindner tat es ihm gleich, bewegte sich auf ihren High Heels jedoch zögerlicher als sonst.
Brandner betrachtete die Tote, die vor ihm auf dem Rasen lag. Zum Glück kam es selten vor, dass er ein Mordopfer kannte. In diesem Fall hatte er das Gefühl, die Frau schon öfters getroffen zu haben. Und das bereitete ihm ein mulmiges Gefühl.
Ich kenne sie nicht wirklich, nur aus dem Fernsehen!
In seinen Erinnerungen stand die Skikaiserin in einem Rennanzug im Ziel oder saß mit einem dicken Pulli im Sportstudio und gab Interviews. Brandner war sich ziemlich sicher, Simone Schnell noch nie in einem Dirndl gesehen zu haben … oder vielleicht doch? Ihm fiel ein, dass Eva ihm vor ein paar Wochen in der Zeitung ein entsprechendes Foto gezeigt hatte. »Sie ist jetzt die ›Kaiserin der Trachtenmode‹!«, hatte seine Frau den Artikel kommentiert. »Steht ihr! Gut für sie, dass es nach dem Ende ihrer Sportkarriere erfolgreich weitergeht!«
»War vielleicht doch keine so gute Idee, das mit der Mode«, murmelte er.
»Wie bitte?«, fragte Heiß.
»Unwichtig. Was haben wir?«, entgegnete Brandner.
»Strangulation, eindeutig die Todesursache.«
»Die Mordwaffe, nehme ich an?« Brandner zeigte auf Schnells Kopf, der auf einer Trachtenschürze lag, als hätte der Mörder versucht, ihn weich zu betten. Das Kleidungsstück war silbern, hauchzarte, kleine goldene Herzen waren darauf zu erkennen. Eines der Bänder umschlang den Hals des Opfers.
»Genau, sie wurde mit dem Band erdrosselt«, bestätigte Heiß.
»Das ist nicht ihre eigene«, stellte Lindner fest und deutete auf die rosafarbene Schürze, die Schnell umgebunden hatte. »Wem die silberne wohl gehört?«
»Das herauszufinden, ist eure Aufgabe«, bemerkte Heiß.
»Die Schürze könnte uns zum Mörder führen«, bekräftigte Brandner. »Todeszeitpunkt?«
»Keine zwei Stunden her«, antwortete die Gerichtsmedizinerin.
Brandner warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Also 18.30 Uhr oder später.«
Elfriede Auer trat zur Dreiergruppe. Die anderen nickten ihr zur Begrüßung kurz zu.
»Brauchbare Spuren?«, fragte Lindner die Kriminaltechnikerin.
Auer hielt zwei Plastiktüten in der rechten Hand. »Ein Zigarettenstummel, nicht ganz zu Ende geraucht, und ein Smartphone. Beides lag im Umkreis von einem Meter neben der Leiche. Natürlich haben wir alles fotografiert und vermessen.«
»Hat die Schnell geraucht?«, erkundigte sich Lindner. »Die war doch Spitzensportlerin.«
»Nicht mehr«, entgegnete Brandner. »Ich schätze, sowohl das Handy als auch die Zigarette gehören der Toten, aber …«
»… wir nehmen natürlich DNA und Fingerabdrücke«, vollendete Auer den Satz.
»Und die Schürze?«, hakte Lindner nach.
»Untersuchen wir im Labor auf Spuren«, erwiderte die Kriminaltechnikerin.
»Hat sich die Schnell gewehrt? Spuren unter den Fingernägeln?«, wollte Brandner wissen.
Heiß und Auer verneinten. »Wenn ich sie bei mir auf dem Tisch habe«, ergänzte die Gerichtsmedizinerin, »untersuche ich sie genauer, aber es sieht leider nicht so aus, als würde uns die Skikaiserin bei den Ermittlungen groß weiterhelfen.«
»Schade!«, bemerkte Lindner. »Ich hätte erwartet, dass sich eine durchtrainierte Athletin mehr zur Wehr setzen würde.«
»Auch eine Athletin hat nur eine geringe Chance, wenn sie hinterrücks angegriffen wird. In dem Fall kann man nur eins tun: versuchen, die Finger zwischen Hals und Band zu schieben, um den Druck abzufedern. Aber das alles geht sehr schnell: Panik, Schwindel und schon wird man ohnmächtig. Wenn den Täter die Kraft nicht verlässt, ist das Opfer ausgeliefert.«
Lindner fasste sich an die Kehle und neigte den Kopf. »Ein Dirndl ziehe ich jedenfalls so bald keines mehr an!«
»Dürfen wir den Leichnam abtransportieren?«, fragte Heiß.
»Was sagt die Spurensicherung?«
»Wir brauchen die Kaiserin hier nicht mehr«, antwortete Auer.
»Gut, morgen in aller Früh sehe ich sie mir an. Ihr seid natürlich herzlich eingeladen!« Die Gerichtsmedizinerin blickte fragend in die Runde.
»Verzichte«, erwiderte Lindner.
»Nur falls etwas Überraschendes zum Vorschein kommt, sonst nicht«, brummte Brandner.
»Dann einen guten Abend!« Doktor Heiß marschierte davon.
Auer forderte zwei ihrer männlichen Kollegen auf, die Trage zu holen. Brandner war versucht, die Techniker darauf hinzuweisen, dass sie die Tote vor den neugierigen Augen der Fotografen gut schützen mussten, damit keine Bilder des Leichnams in den Medien kursierten. Er entschied sich jedoch dagegen, immerhin arbeitete er seit Jahren mit diesem Team zusammen. Alle waren Profis und wussten, was sie zu tun hatten.
Der Himmel leuchtete orangerot. Bald würde nur noch das künstliche Licht den Burggarten erhellen. Im Schein der Lampen tummelten sich bereits die ersten Insekten. Annika hatte ohnehin genug von der Leiche gesehen. Die Todesumstände waren klar. Jetzt mussten sie nur noch die Zeugen befragen. Vielleicht könnte sie dann sogar mit Nina nochmals losziehen.
Annika schaute sich im Burggarten um. Der vom Tatort nächstgelegene Zugang war nicht der Haupteingang, den sie mit Brandner benutzt hatte. In kurzer Entfernung befand sich ein eisernes Tor in der Mauer, das offen stand.
Durch das ist das Opfer in den Garten gekommen. Der Mörder wahrscheinlich auch!
Rosa Frühlingsrosen blühten an der Mauer. In ihrer Pracht schienen sie die Tote zu verhöhnen. Daneben stand ein Mistkübel aus Edelstahl.
»Wir kümmern uns um den Inhalt!«, rief Auer, bevor Annika etwas sagen konnte.
Annika folgte stattdessen Brandner, der bereits durch das Tor verschwunden war. Dahinter verlief entlang der Mauer ein geschotterter Gehweg, der seitlich mit einem hölzernen Geländer gesichert war, sodass man nicht den steilen Abhang hinunterstürzen konnte.
Als ob Nina geahnt hat, dass ich ausgerechnet heute in diesem Outfit herumkraxeln muss!
Sie betrat vorsichtig hinter ihrem Vorgesetzten den Pfad, doch in einem unachtsamen Moment knickte sie mit ihrem rechten Fuß um. Annika ignorierte den Schmerz in ihrem Knöchel, biss die Zähne zusammen und lief weiter.
»Annika, alles in Ordnung?« Brandner hatte sich umgedreht und bemerkt, dass sie leicht humpelte. Er hatte bereits mehrere Stufen auf der Steinstiege genommen, die steil den Berg hinabführte.
Zehn Meter unter ihr erspähte sie einen Spielplatz in der Senke zwischen Burggarten und Mauer. Passend zur Umgebung waren alle Geräte aus rustikalem Holz gefertigt. Annikas Knöchel schmerzte zwar noch immer, aber sie hielt sich am stählernen Handlauf fest, der an der Steinmauer montiert war.
»Ich bin nur umgeknickt, ist aber kein Problem!«, erwiderte sie.
Mit dem Tanzen ist es für diesen Abend nun endgültig vorbei.
Endlich unten angekommen, folgte sie Brandner langsam vom Spielplatz in den Arkadenhof. Atemberaubend schön! Wie jedes Mal, wenn sie die Schallaburg besuchte, war sie von den Terrakotten aus dem 16. Jahrhundert beeindruckt. Vor ihnen befand sich der Brunnen, rechter Hand dahinter hatte sich ein Polizist am Eingang zum Restaurant postiert.
»Bin schon neugierig, wen wir antreffen«, sagte Brandner und trat auf den Uniformierten zu.
»Ob auch eine bekannte Persönlichkeit dabei ist?«, überlegte Annika. »Die Schnell war ja ein Star!«
»Werden wir bald wissen.«
Dem Polizisten waren die beiden Ermittler scheinbar angekündigt worden, denn er trat zur Seite. »Major Brandner, Inspektorin Lindner.« Er verneigte sich kurz. »Wir haben alle Personalien aufgenommen, die meisten Besucher der Modenschau sind allerdings schon gefahren, nachdem keine rechtliche Grundlage bestand, sie länger festzuhalten. Die beiden Geschäftspartnerinnen des Opfers und der Ehemann sind noch drinnen.«
Brandner schien nicht begeistert von der Information zu sein, erkannte Annika an seinem Gesichtsausdruck.
»Befragen wir eben diejenigen, die da sind«, brummte er. »Ihr Vorgesetzter, Herr Mayerhofer, meinte, dass auch die Frau anwesend ist, die die Leiche gefunden hat?«
Der Mann nickte. »Stimmt, das war Frau Lanz. Sie wirkte sehr geschockt, wollte aber keine psychologische Betreuung.«
»Verstehe.« Brandner schaute zu Annika. »Nach dir!«
Sie atmete einmal kurz durch. Dem Witwer gegenüberzutreten, würde nicht leicht werden.
Der Gastraum war groß, das Gewölbe schien alt zu sein, die Wände erstrahlten allerdings in hellstem Weiß. Im Kontrast dazu waren die Möbel und der Boden in dunklem Holz gehalten und die Lampen aus schwarzem Stahl gefertigt. Zwei Frauen und ein Mann saßen hinten an einem der Tische. Sonst war niemand zu sehen. Die Bediensteten hatten offensichtlich Feierabend gemacht. Auf dem Tisch befand sich immerhin ein Tonkrug, der wahrscheinlich mit Wasser gefüllt war. Vor den Zeugen standen halb leere Gläser. Die drei schauten Annika erwartungsvoll an.
»Mein Beileid«, begann sie und nannte im Anschluss ihren und Brandners Namen sowie ihre Positionen.
Alexandra Lanz entpuppte sich als schlanke Frau mit schwarzen langen Haaren, braunen Augen und vollen Lippen. Sie trug ein gelbes Dirndl, das gut zu ihrem dunklen Typ passte. Die blonde Frau mit der Hochsteckfrisur stellte sich als Martina Herzog vor. Ihr dunkelblaues Dirndl, das eher schlicht gehalten war, aber aus edlem Stoff bestand, unterstrich ihre blauen Augen. Armin Schnell trug eine Lederhose und dazu eine weiße Trachtenweste.
Er muss den Namen seiner Frau angenommen haben, denn die Skikaiserin hieß schon zu Beginn ihrer Karriere Schnell.
»Wann dürfen wir nach Hause?«, erkundigte sich der Mann der Ermordeten ohne Umschweife. »Ich bin müde, ich will nur noch schlafen … Ich kann das alles gar nicht glauben!«
Seine Hände zittern, aber komisch, dass er gar nichts Näheres über den Tod seiner Frau wissen will …
»Bald«, entgegnete Annika. »Vorher müssen wir Ihnen jedoch noch einige Fragen stellen, solange die Eindrücke des heutigen Tages noch frisch sind. Es ist ja in unser aller Interesse, den Mörder Ihrer Frau zu fassen.«
»Der Mörder meiner Frau, von Simone, das ist so … surreal. Ich kann es einfach nicht fassen.«
»Also, ich schon, ich habe die Simone gesehen, und sie war so … leblos, tot und trotzdem … irgendwie schön«, sagte Lanz mit starrem Blick.
»Frau Lanz, Sie haben Frau Schnell gefunden?«, ergriff Brandner das Wort. Als sie bejahte, forderte er sie auf: »Kommen Sie bitte mit in den hinteren Bereich.«
Lanz zögerte jedoch.
»Wir wollen Sie einzeln befragen«, erklärte Annika. »So können Sie Ihre Sicht der Dinge schildern, und Ihre Erinnerung wird nicht durch die Aussagen der anderen getrübt.«
Natürlich hätte man sie sofort trennen müssen, nachdem die Leiche aufgetaucht war, aber das ist den Kollegen vor Ort wohl im Trubel mit den Zuschauern und Presseleuten durchgegangen …
Alexandra Lanz stand auf und folgte Brandner durch den offenen Durchgang in den anschließenden Raum. Dort setzten sie sich gemeinsam mit Annika an den hintersten Tisch an der Wand.
Endlich eine Verschnaufpause für meinen Knöchel!
Brandner räusperte sich.
Auch für Annika und mich wäre ein Glas Wasser nicht schlecht.
Alexandra Lanz hatte ihres mitgenommen und vor sich auf dem Tisch abgestellt.
»Was ist heute passiert? Erzählen Sie einfach«, begann er.
Lanz schluckte. »Es war … Es war einfach alles perfekt, bis auf … das Ende.« Sie trank etwas Wasser. »Wir hatten seit Monaten auf die Modenschau hingearbeitet. Martinas Entwürfe sind grandios! Die Models waren perfekt und der Ort ein Traum! Unsere erste Präsentation der Kollektion, und die gesamte Presse war da, natürlich wegen Simone. Egal, was sie macht, die Medienleute würden herbeiströmen, da waren wir uns sicher, und so war es dann auch!« Sie zögerte und warf Brandner einen fragenden Blick zu.
Er nickte ihr aufmunternd zu. »Was ist nach der Modenschau passiert?«
»Wir haben noch für Fotos posiert und Interviews gegeben. Als der erste Trubel vorbei war, haben wir mit Champagner angestoßen und uns dann getrennt voneinander ins Getümmel gestürzt. Nach vielleicht zwanzig Minuten ist Armin zu mir gekommen. Er konnte Simone nirgends finden, und sie ist auch nicht ans Telefon gegangen.« Lanz trank ihr Glas aus. »Ich weiß etwas über Simone, das Armin nicht bekannt ist: Sie hat heimlich zu rauchen begonnen. Armin ist … oder war ihr Trainer und achtet sehr auf Gesundheit. Ich musste Simone schwören, ihm nichts davon zu erzählen. Daher habe ich ihm vorgeschlagen, separat nach ihr zu suchen.« Lanz ließ gedankenverloren das leere Glas mit ihren Fingern auf dem Tisch kreisen. Sie schaute zu Lindner, dann wieder zu Brandner. »Während der Vorbereitungen zur Modenschau hat sie öfter oben im Burggarten eine geraucht. Oft war ich dabei, wir konnten uns dort in Ruhe unterhalten. Ich bin dann direkt dorthin gelaufen. Und da lag sie, ich konnte nichts mehr machen … Es ist so schrecklich!« Sie begann zu schluchzen.
»Möchten Sie vielleicht noch ein Wasser«, erkundigte sich Brandner.
Bevor die Zeugin antworten konnte, griff seine Kollegin nach dem Glas, stand auf und ging in den Vorraum, um aus dem Krug nachzuschenken. Als sie wieder an den Tisch zurückkehrte und Lanz das Glas reichte, nickte diese ihr zum Dank kurz zu.
Als sich die Frau wieder etwas beruhigt hatte, fuhr sie fort: »Ich rief um Hilfe, doch niemand war da, also rannte ich zurück in Richtung Arkadenhof. Vor dem Eingang in den Hof kamen mir mehrere Besucher entgegen. Ich kannte sie nicht, aber sie haben versucht, mich zu beruhigen. Ich war vollkommen hysterisch.« Sie machte eine kurze Pause und suchte wieder Brandners Blick. »Irgendwann haben sie mich verstanden. Mehrere Leute sind mit mir dann wieder zurück in den Burggarten gegangen. Bald danach war die Polizei da. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich ins Restaurant gelangt bin. Mir fehlen einige Minuten oder auch mehr in meiner Erinnerung. Irgendwann bin ich dort vorne am Tisch gesessen und habe mich mit Martina und Armin über Simone unterhalten.«
»Vielen Dank für Ihre Offenheit«, sagte Brandner. Nach einer kurzen Pause erkundigte er sich: »Sind Sie sicher, dass Sie weiterhin keine psychologische Betreuung wünschen?«
Lanz schüttelte energisch ihren Kopf. »Danke, aber ich komme zurecht!«
Was soll ich davon halten? Ja, sie wirkt mitgenommen, aber so fertig mit den Nerven, wie sie tut, ist sie nicht. Sonst würde sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Oder sich zumindest nicht dagegen wehren.
»Da wäre noch etwas …«, ergriff die Zeugin zögerlich das Wort.
»Ja?«
»Die Schürze, mit der Simone … Sie wissen schon.«
»Was ist mir ihr?«, hakte Lindner nach.
»Die stammt nicht aus unserer Kollektion.«
»Ach ja? Wissen Sie, wem sie gehört?«
Lanz schüttelte den Kopf. »Vor uns haben ja heute auch ›Bauer Trachten‹ und ›Dirndl im Tal‹ ihre Trachtenmode präsentiert. Vielleicht gehört sie zu deren Kollektionen. Und natürlich waren auch die meisten Besucherinnen in Dirndl gekleidet.«
Da haben wir ja einiges zu tun. Aber wenn wir die Tracht finden, zu der die Schürze gehört, haben wir eine erste Spur.
»Hatte Frau Schnell Feinde?«, wollte Brandner wissen.
»Die Simone und Feinde? Hat eine Kaiserin Feinde? Viele haben sie vergöttert, sie zählte jedoch nur sehr wenige zu ihrem engsten Kreis. Martina und ich kannten sie schon vor ihrem Erfolg als Skisportlerin. Wir waren seit unserer Jugend befreundet.« Sie griff nach dem Glas und betrachtete es eingehend. Dann schaute sie Brandner direkt in die Augen. »Neider hatte sie, und davon etliche! Aber würden die sie umbringen? Ich weiß es nicht.«
Hier kommen wir heute wohl nicht mehr weiter.
»Danke, Frau Lanz«, sagte Brandner. »Sie haben uns sehr geholfen. Nur noch eine Frage: Welche Position haben Sie im Unternehmen?«
»Ich bin die Geschäftsführerin. Das lag auf der Hand, immerhin habe ich Wirtschaft studiert und war schon immer gut mit Zahlen.«
»Und Frau Herzog ist die Designerin«, ergänzte Lindner. »Was war Frau Schnells Funktion?«
»Simone?« Lanz lachte auf. »Sie war natürlich fürs Marketing zuständig, und sie hatte die notwendigen Verbindungen. Ohne sie wären wir heute nicht hier. Wahrscheinlich wäre ›Bauer Trachten‹ der Höhepunkt des Events gewesen, aber mit Simone als Zugpferd entschieden sich die Veranstalter für uns!«
Könnte ein Motiv sein. Wir müssen uns wohl die Konkurrenz genauer anschauen.
»Vielen Dank, schicken Sie doch jetzt bitte Ihre Kollegin zu uns. Sie dürfen dann nach Hause gehen.«
»Danke, das mache ich.« Lanz stand auf und verließ den Raum. Ihr leeres Glas ließ sie zurück.
Martina Herzogs Wimperntusche war unter ihren Augen verschmiert. Annika war das vorhin gar nicht aufgefallen.
Wahrscheinlich ist die Beleuchtung hier am Tisch besser und ich kann sie jetzt aus nächster Nähe betrachten.
»Bitte, können wir es einfach schnell hinter uns bringen! Ich habe das Gefühl, ich breche gleich zusammen«, ergriff die Designerin mit zittriger Stimme das Wort.
»Es wird nicht lange dauern«, beschwichtigte Brandner, während Annika die Zeugin weiter musterte.
Sie scheint geweint zu haben … Aber ist das echt? Oder bin ich jetzt unfair? Nein, es ist meine Pflicht, misstrauisch zu sein.
Die Frau beugte sich nach vorne zu Brandner hinüber, die Oberarme leicht an ihren Oberkörper gepresst, sodass ihr Busen besser zur Geltung kam. Offensichtlich versuchte sie, Annikas Vorgesetzten abzulenken.
Oder sitzt die immer so da? Ist sie es derart gewohnt, mit ihren Reizen zu spielen, dass sie es schon gar nicht mehr merkt?
Annika warf einen Seitenblick auf Brandner. Der sah der Zeugin in die Augen.
Brav! Nur nicht um den Finger wickeln lassen!
Herzog befeuchtete mit ihrer Zunge die Lippen. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Was wollen Sie wissen?«
»Erzählen Sie uns, was heute passiert ist«, bat Brandner.
»Nun ja, viel mitbekommen habe ich eigentlich nicht. Von uns drei Partnerinnen bei ›Schnell und Chic‹ hatte ich wohl den stressigsten Tag, denn ich musste dafür sorgen, dass jedes Dirndl und jede Lederhose perfekt saß, bevor die Models den Laufsteg betreten haben.« Herzog neigte sich noch ein Stück weiter über den Tisch. »Das war Stress pur! Als es dann vorbei war und alles gut gegangen war, wollte ich mich nur mehr mit dem einen oder anderen Gläschen entspannen. Beim dritten war dann leider Schluss.« Sie bedeckte mit der Hand ihre Augen. »Ein echter Albtraum. Ich will endlich aufwachen, schaffe es aber nicht!«
Annika warf einen flüchtigen Blick zu Brandner, bevor sie das Wort ergriff: »Wo haben Sie sich nach dem Ende der Modenschau bis zum Leichenfund genau aufgehalten?«
Die Zeugin keuchte auf. »Leichenfund, ich bitte Sie! Es geht um eine meiner engsten Freundinnen!« Als weder Annika noch ihr Chef reagierte, antwortete sie schließlich: »Im Arkadenhof. Ich habe mich unterhalten.«
»Mit wem genau. Können Sie Namen nennen?«
»Herr Major, ich kenne nicht jeden der Gäste beim Namen. Die Leute sind auf mich zugekommen, wollten über die Show und meine Kollektion sprechen. Journalisten, potenzielle Vertriebspartner … Irgendwann hab ich den Überblick verloren, und dann war plötzlich die Polizei da und hat uns alle aufgescheucht.«
Brandner brummte kurz, bevor er weiterfragte: »Frau Lanz hat uns erzählt, dass Sie beide Frau Schnell bereits kannten, als sie noch nicht berühmt war, stimmt das?«
Herzog nickte. »Wir drei haben die Skihandelsakademie in Schladming besucht. Wir waren die einzigen drei Niederösterreicherinnen. Es war nicht leicht, dass wir überhaupt angenommen worden sind. Das schweißt zusammen.«
»Verstehe«, murmelte Brandner.
»Dann kennen Sie sicher auch das persönliche Umfeld von Frau Schnell gut«, mutmaßte Annika.
»Ja, ich denke, das kann man so sagen.«
»Hatte sie privat mit irgendjemandem Probleme? Gab es Konflikte?«, fragte Annika.
Herzog berührte mit der linken Hand ihre Hochsteckfrisur, als ob sie prüfen wollte, ob sich noch alle Haare am richtigen Platz befanden.
»Mit ihrem Bruder, Andreas Schnell, hatte sie immer wieder Streit. Der war der Meinung, sie sollte ihren Eltern zurückzahlen, was die in ihrer Jugend in sie investiert hatten.«
»Hat sie das getan?«, hakte Brandner nach.
»Die wollten kein Geld von ihr, denen gehört ein Hotel in Lackenhof und sie betreiben zusätzlich eine Skischule am Ötscher. Sie haben ihre Unterstützung immer abgelehnt, hat Simone zumindest behauptet.«
»Selbst gehört haben Sie das aber nicht?«, insistierte Annika.
Herzog trank einen Schluck Wasser aus ihrem Glas. »Nein, aber warum hätte Simone mich belügen sollen?«
Brandners Telefon begann, auf dem Tisch zu vibrieren. Annika linste auf die Anzeige.
Direktor Böck! Am Samstagabend, das hat nichts Gutes zu bedeuten!
»Entschuldigen Sie mich bitte, da muss ich rangehen«, erklärte ihr Vorgesetzter. »Annika, mach bitte allein weiter.«
Sie nickte und sah dem Major hinterher, als er das Restaurant durch einen Seitenausgang verließ.
Wo waren wir? Ach ja, der Bruder!
»Andreas Schnell hatte Ihrer Meinung nach also ein Motiv?«
»Das habe ich nicht gesagt!« Herzog blickte sie erschrocken an.
»Wie soll ich es sonst verstehen?«
»Ich habe nur gemeint, die beiden hatten hin und wieder Streit. Ob Andreas dazu in der Lage wäre, seine Schwester zu ermorden, das kann und will ich nicht beurteilen. Das müssen Sie schon selbst herausfinden!«
»Das werden wir!«, bekräftigte Annika.
»Gut. Darf ich jetzt gehen?« Herzog stand auf.
»Nicht so schnell!« Annika hob die Hand, um die Frau zurückzuhalten.
Die setzte sich wieder auf den Stuhl, den Oberkörper von Annika abgewendet. »Aber ich bin doch keine Hilfe, und vor allem kann ich nicht mehr! Ich bin fix und fertig!«
Soll ich sie von der Leine lassen? Was würde Brandner tun?
»Gibt es abgesehen vom Bruder noch jemanden, der Ihrer Meinung nach Interesse an Simone Schnells Tod gehabt haben könnte oder davon profitiert?«
Herzog drehte sich Annika nun zu. »Das ist einfach: ›Bauer Trachten‹, genauer gesagt Franziska Bauer, die Inhaberin.«
»Haben Sie schon Erkenntnisse?« Böcks Stimme klang aufgeregt.
Brandner sah sich um. Im Arkadenhof befand sich niemand außer dem Uniformierten, der das Restaurant bewachte. Daher schaltete er den Lautsprecher seines Smartphones ein, um es nicht die ganze Zeit am Ohr halten zu müssen. Vielleicht würde das Telefonat länger dauern. Zur Sicherheit entfernte er sich von dem Eingang und näherte sich der Treppe, die vom Hof auf die Galerie oberhalb der Arkaden führte.
»Dann stimmt es also: Simone Schnell ist ermordet worden«, bemerkte sein Vorgesetzter, nachdem Brandner die Situation erläutert hatte.
»Eindeutig, erdrosselt mit den Bändern einer Trachtenschürze.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt!«
Was hat er denn? Warum jammert er so?
»Ich bin gerade im Burgtheater, in der Pause habe ich aufs Handy geschaut. Unzählige Nachrichten und Anrufe, nur zu diesem Fall. Einer davon war von der Landeshauptfrau!« Böcks Stimme überschlug sich fast. »Sie hat mir auf die Mobilbox gesprochen und sich erkundigt, ob es stimme, dass unsere allseits geliebte Skikaiserin ermordet worden ist? Wenn ja, sei das eine Katastrophe für unser Land, hat sie gesagt. Sie können sich vorstellen, was das für uns alle bedeutet!«
Druck, immenser Druck.
»Hat sich auch der Innenminister bereits gemeldet?«, wollte Brandner wissen.
»Nein, vermutlich versteht er die Tragweite des Falles noch nicht. Immerhin stammt er nicht aus Niederösterreich – und er ist einer der wenigen Österreicher, die ich kenne, die sich nicht für Skisport interessieren.«
»Verstehe.«
»Der wird sich aber rühren, sobald er den Medienauflauf mitbekommen hat. Darauf können Sie Gift nehmen!«
»Wir brauchen also möglichst rasch Ermittlungsergebnisse«, sprach Brandner das Offensichtliche aus.
»Der Fall muss schnellstmöglich gelöst werden!«
Mit der Brechstange hat das noch nie funktioniert.
»Wir sind dran. Wir befragen gerade die wichtigsten Zeugen.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden! Ich will über alles informiert werden.«
»Mache ich.«
Brandner beendete das Gespräch. Danach betrat er wieder das Restaurant, wo Lindner sich bereits den Ehemann der Getöteten vorknöpfte. Sowohl Lanz als auch Herzog waren nirgendwo mehr zu sehen. Offensichtlich hatte Lindner sie nach Hause geschickt.
Hoffentlich haben die beiden nichts von meinem Gespräch mit Böck mitbekommen. Wir haben allerdings über nichts gesprochen, was nicht ohnehin heute Abend in den Medien breitgetreten wird. Mehr gibt es aktuell auch nicht. Enttäuschend, sehr enttäuschend. Das muss sich ändern, und zwar bald! Bei diesem Fall sind alle Augen auf uns gerichtet.
»Sie haben also mit Ihrer Frau auf die gelungene Modenschau angestoßen?« Annika musterte den Mann vor ihr.
Fesch sieht er aus, der frisch gebackene Witwer – soweit ich das beurteilen kann. Geradezu athletisch, als würde er selbst Sport betreiben.
»Mit Champagner, ja. Simone hat sich aber nicht viel aus Alkohol gemacht«, antwortete Armin Schnell. »Bei einem Sieg hat sie maximal ein Glas getrunken, vor allem wenn das nächste Rennen schon bevorstand.«
»Ihre Frau hatte allerdings ihre Karriere als Rennläuferin beendet, da wird sie sich doch das ein oder andere Gläschen mehr gegönnt haben?«
»Simone war immer sehr diszipliniert und auf ihre Gesundheit bedacht. Das waren wir beide. Sie hat nie viel getrunken, auch jetzt nicht. Also, bevor sie …« Der Witwer presste die Lippen zusammen.
Ich bin schon gespannt, wie er reagiert, wenn er erfährt, dass sie heimlich geraucht hat.
»Wir haben beide auch heute nur vom Champagner genippt«, fuhr Armin Schnell fort. »Simone hat dann noch mit Alexandra und Martina angestoßen, bevor sie mit einer Journalistin gesprochen hat.«
»Was haben Sie in der Zeit getan?«
»Einige Rennläuferinnen waren da, um Simone bei der Modenschau zu unterstützen. Mit denen habe ich mich unterhalten. Ich bin ja immer noch Trainer beim ÖSV, dem Österreichischen Skiverband.«
»Wie lange haben diese Gespräche gedauert?«
Mal schauen, ob sich seine Aussage mit der von Alexandra Lanz deckt.
»So ganz genau kann ich das nicht sagen. Ich hab ja nicht ständig auf die Uhr geschaut; das wäre unhöflich gewesen. Vielleicht eine Viertelstunde, schätze ich.«
Annika bemerkte aus den Augenwinkeln, dass ihr Chef zurückkehrte. Sein Gesicht war leicht gerötet. Offensichtlich war es kein einfaches Gespräch mit Böck gewesen.
Auch Armin Schnell entdeckte Brandner und blickte ihn erwartungsvoll an.
Der setzte sich neben Annika. »Mach ruhig weiter«, forderte er sie auf.
»Was ist nach der Unterhaltung mit den Sportlerinnen passiert?«, griff Annika den Faden wieder auf.
»Irgendwann musste ich auf die Toilette und habe mein Glas auf einem der Stehtische abgestellt. Als ich zurückgekommen bin, hab ich nach Simone Ausschau gehalten, sie in der Menge aber nicht gefunden. Ich wurde stutzig, immerhin war sie das Gesicht der Modenschau und sollte das Label repräsentieren. Alexandra war in meiner Nähe, also habe ich sie gefragt, ob sie weiß, wo Simone ist.« Armin Schnell schluckte. »Das war nicht der Fall, sie hat sich aber sofort bereit erklärt, mit mir nach ihr zu suchen. Ich hab den alten Hof übernommen und Alexandra ist in den Burggarten gelaufen. Weiß der Himmel, was Simone dort wollte!«
Heimlich rauchen. Aber mit wem? Oder wer ist ihr dorthin gefolgt?
»Die Skirennläuferinnen«, übernahm Brandner, »mit denen Sie sich im Arkadenhof unterhalten haben …«
»Ja, was ist mit denen?«
»Können Sie uns deren Namen nennen?«
Der Witwer war von der Frage irritiert, das konnte Annika auf seinem Gesicht ablesen. Er schluckte mehrmals. »Natürlich, haben Sie etwas zu schreiben?«
Sie holte einen kleinen Notizblock aus ihrer Tasche hervor und schob ihn mitsamt einem Kugelschreiber über den Tisch zu Schnell hinüber.
Der überlegte kurz, dann kritzelte er mehrere Namen auf den Zettel. »Darf ich jetzt gehen? Ich muss mich wirklich hinlegen«, erkundigte er sich anschließend.
Er schaut topfit aus, aber seine Augen wirken matt.
»Nur noch eine Frage«, erwiderte Annika. »Kennen Sie die Journalistin, mit der Ihre Frau gesprochen hat, bevor sie verschwunden ist?«
Schnell runzelte die Stirn. »Ihren Namen kenne ich nicht, ich weiß nur, wo sie Redakteurin ist.«
Das war doch schon mal was!