Müller und der Mann mit Schnauz - Rafael Zender - E-Book

Müller und der Mann mit Schnauz E-Book

Rafael Zender

4,6

Beschreibung

Ein preisgekrönter Zürcher Werber wird wenige Minuten vor einem Motivationshappening erstochen aufgefunden - das Gesicht mitten in einem Gugelhopf. Polizeimann Müller Benedikt, vom neuen Chef wieder voll in die Abteilung integriert, ermittelt in der schönen Welt der Versprechungen, revolutionären Kommunikationskonzepte und kaum verhüllten Eitelkeiten.

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Raphael Zehnder wurde 1963 in BadenAG geboren, arbeitete als Schallplattenverkäufer, Nachtwächter und Musikjournalist, bevor er Französisch und Latein studierte und in französischer Sprach- und Literaturwissenschaft promovierte. Er arbeitet als Redaktor beim Kulturradio von SRF, dem Schweizer Radio und Fernsehen, ist Miterfinder und -organisator der «Zürcher Kriminalnacht» im Theater Rigiblick in Zürich und Autor von vier Kriminalromanen um den Polizeimann Müller Benedikt.

Alles in diesem Buch ist gelogen und Fiktion, ausser der Stadt Zürich. Auch die Polizei existiert, aber leider auch das Verbrechen. Folgen Sie Bucher Manfred auf Twitter: @BucherManfred

© 2015 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv:iStockphoto.com/querbeet Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Irène Kost, Biel/Bienne (CH) eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-827-4 Originalausgabe

Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons: Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

Immer wieder Annette

«Erfolg ist am schönsten, wenn man ihn hat.»

Gregor Meier

«Älter zu werden scheint die einzige Möglichkeit zu sein, lange zu leben.»

Daniel-François-Esprit Auber

«Je suis un cadeau.»

A.W. ausB.

Et prodesse vult et delectare:

Müller Benedikt (46), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Dulce et decorum est pro civitate fungi vel in urbe fere aeterna laborare:

Barmettler Dylan («Gucci», 31), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Bischoff Jörg-Olaf («Olli», 42), President, Co-Founder, CEO, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», privat: Erlenbach

Brogli Heather (28), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Bruhin Felix (32), preisgekrönter Kreativer, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff»

Bruggmann Rebecca (26), Reception Desk Manager, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff»

Bucher Manfred (46), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Caduff Jérémie (28), Student

Catanzaro Rocco (30), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Eiholzer Severin (32), Dr.des., Linguist, Universität Zürich

Fischer Rüttimann Salomé (46), Dr.phil., Kunsthistorikerin, privat: 8044 Zürich

Flubacher Kathrin (43), Professorin für Philosophie, Zürich

Hausammann Walter (52), Spezialist für Eigentumsdelikte

Herzog Heinz («Sharky», 49), Vice-President, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», privat: Rüschlikon

Hofer Bryan («Pluto», 26), Junior Key Account Manager, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff»

Hossli Janine (29), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

König BeatR.(«King», 40), Senior Consultant, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», privat: 8053 Zürich

Luginbühl André, Dr.iur. (48), Rechtsanwalt

Marquardt Brenda, Dr.(circa 35), Pathologin, privat: 8032 Zürich

Meier Gregor (42), Pressesprecher, Polizei Zürich

Nägeli Roland (56), lic. iur., Oberst, Kommandant, Polizei Zürich

Papst Maximilian («Pope», 43), Vice-President, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», privat: 8008 Zürich

Pasewalk GordonF.(38), Unternehmensberater, Schöpfer der «Explorative Rhizomatic Method», San Pimperlimpin, Kalifornien, USA

Rüttimann Laurenz (51), Dr.oec. et iur., Regierungsrat, Volkswirtschaftsdirektor des Kantons Zürich, privat: 8044 Zürich

Scheiwiller Strasser Samantha («Sam», 39), lic. iur., privat: Feldmeilen

Stahel Rahel (31), Chief Office Manager, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», privat: Niederhasli

Strasser Matthias (43), Strategic Creative Operations, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», privat: Feldmeilen

Strasser Anna (6), Kind

Strasser Valentin (5), Kind

Unternährer Vanessa (33), stv. Leiterin Stab, Agentur «König, Herzog, Papst und Bischoff»

Vogt Ralph (43), Hauptmann, Chef Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Vukic Rosanna (34), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Watkiss Bischoff Lee-Ann (37), PhD, Sozialwissenschaftlerin, ehemals Miss Massachusetts, Zürich, privat: Erlenbach

Weiermann Gustav (58), Abteilung Gewaltverbrechen, Polizei Zürich

Vorbemerkung

Im Kanton Zürich werden im langjährigen Durchschnitt jährlich ungefähr zwölf vollendete Tötungsdelikte verübt. Diese bearbeiten der Müller und sein Team im Alleingang. Glauben Sie also anderen Kriminalautorinnen und Kriminalautoren nicht, wenn sie behaupten, ihre

Jetzt

Freitag, 31.Januar

Jörg-Olaf Bischoff nennen alle innerhalb und ausserhalb der Firma, die Mitglieder des «Art Director’s Club», ja die westliche Welt generell einfach «Olli». Er besitzt in Erlenbach ein gepflegtes frei stehendes Haus mit Seeanstoss und beträchtlichem Umschwung, einen gut erhaltenen Jaguar-Oldtimer, einen in Restaurierung begriffenen Rolls und zwei Norton-Motorräder. Richtiger muss ich schreiben: Er «besass» all das. Denn Olli liegt mit dem Gesicht voran in einem Gugelhopf. Durchs Loch in der Mitte des Gugelhopfs könnte er atmen, aber er kann es nicht mehr. Denn in seinem Rücken steckt das Messer, das aller Wahrscheinlichkeit nach sein Leben beendet hat.

Eine Sauerei, all das Blut überall.

Sein Schnauz, Typ «Boris Blank trifft Carlos Gardel», also nicht Seehund oder Pinsel, sondern schmal und gediegen. Beim Vornüberkippen hat der eine Rille in den Kuchen gestanzt. Jetzt in Makroaufnahme: zwei Spitzen, die nach links und nach rechts zeigen.

Und neben Bischoffs Kopf auf der Tischplatte liegt seine schwarze Hornbrille. Der Kuchen war für die Belegschaft bestimmt.

Das alles in seinem Einzelbüro im fünften Stock. Von der Terrasse aus eine tolle Aussicht in den Hinterhof, und einen Zentimeter See sieht man auch, wenn du den Hals reckst.

Rahel Stahel hat ihn gefunden, Chief Office Manager und ein wenig auch seine rechte Hand, weil sie den Gugelhopf holen wollte für den Apéro. Mann, es hätte was zu feiern gegeben, weil letztes Quartal die Neukunden so was von hereingeflattert sind wie die Banknoten aufs Konto eines Oligarchen, mit Budgets, da stirbt die Konkurrenz an ich weiss nicht woran man da stirbt, wenn einen der Neid dermassen quält bis grün.

Success! Yes!

Rahel Stahel also einen Schrei losgelassen, wie sie ihn sieht, und die Aktenmappe fallen gelassen, kann man verstehen. Und auf den Schrei hin kommt Bryan Hofer bis auf die Türschwelle näher, der Junior Key Account, den sie «Pluto» nennen. Aber gleich wieder rückwärts raus, Rahel Stahel bleibt allein beim Toten. Sie das Natel gezückt und zuerst 1117, die interne Sicherheit, sagt sie: «Büro Olli, schnell.» Dann die117. Das sind wir, das wissen Sie.

Und die 1117 löst sofort den Evakuationsplan aus, ist automatisiert programmiert auf Piepser und SMS. Also alle müssen raus aus dem Grossraumbüro im vierten Stock, die «untere Etage» nennen sie das in der Agentur, «die Halle» im Chefspeak. Im vierten sitzen alle ausser die Partner, die sitzen im fünften. Das Evakuieren hat man geübt, seit dem Anschlag der CO2-Terroristen nach der Autokampagne im letzten Jahr.

Was suchte Pluto überhaupt dort oben?

Und einige Kollegen sofort weg, die Texter, die Konzepter, der Stab, die ADs und derCD, SCO, also Strategic Creative Operations, all die Abkürzungsmenschen, die Kaufmännischen und wer sonst noch da ist, ist entweder evakuiert oder verschanzt im Büro hinter den USM-Korpussen und -Regalen. Eine Kugel ginge da problemlos durch. Deshalb raus, raus, wenn der Plan sagt: «Raus!» Aber es gibt immer welche, die sind leichtsinnig, das glaubst du nicht. Weil, wenn du tot bist, aus Blödheit, ärgerst du dich noch im Grab.

Schade eigentlich, dass Olli es nicht mehr geschafft hat, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Kuchen, den Prosecco und die Knabbersachen und Canapés vom Traiteur gleich um die Ecke runter in die «untere Etage» zu… ich meine, bei solchen Gelegenheiten macht der Chef das gerne selbst, auch wenn ihm im Alltag eine Praktikantin den Kaffee bringt, und zwar mit der richtigen Tropfenzahl Milch und exakt 24Zuckerkörnchen plus gerne walisisches Mineralwasser senza gas. Und nun hat Olli das Motivationshappening für seine Brainforce nicht abhalten können. Heilige Hölle!

Auf welche Kostenstelle geht es denn in diesem Moment, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht weiterworken können? Keinem Kunden ist das verrechenbar. Haben wir dafür eine Versicherung? Haftet jemand? Da wirst du fast eschatologisch, wenn du dir das genauer überlegst. Aber so denkt nur ein Zyniker.

Das ist die Situation, als um 16:43Uhr an diesem Freitagnachmittag die Sondereinheit Skorpion eintrifft. So: Treppenhaus hoch, Situation blicküberprüfen. Trotz so was von Ausrüstung kein Geräusch machen sie. Leisheit? Leisigkeit? Wie sagt man? Im vierten Stock sofort Kontakt mit Rebecca Bruggmann, Reception Desk Manager, die den Schrei von Stahel durchs Treppenhaus herunter, das hastige Entfernen aus dem fünften Stock von Pluto und all das miterlebt hat. Als die Skorpione in den Fünften gerobbt und gestürmt sind, nicht einmal die Glastür geht kaputt: Rahel Stahel wie angewachsen, noch am vermutlichen Tatort steht sie.

Das sieht eine im Leben nur einmal, hoffentlich.

Das ist der Tatort, den Müller Benedikt, Bucher Manfred, Heather Brogli und Rosanna Vukic, alle von der Abteilung Gewaltverbrechen der Polizei Zürich, antreffen. Die Kommunikationsagentur «König, Herzog, Papst und Bischoff» im Seefeld. Wir wissen, was zu tun ist. Vor dem Haus haben weitere Kolleginnen und Kollegen bereits das Dispositiv erstellt: abgesichert, bereits im Parterre, in grösserem Perimeter sofort alle Personen festgesetzt: Wer war in der Nähe des Tatorts? Engmaschiges Netz. Personalien aufnehmen. Zeugen eruieren. Gebäude absperren, Quartierstrasse dito. Gott, sie heisst Fröhlichstrasse. Selbst da wird gemordet.

Einer der Partner von «K+» (Branchenjargon: sprich englisch: «Kay plus») ist tot. «Die Branche verliert einen…», wird das Mediencommuniqué singen und nette Sachen über den President, CEO und Co-Founder erzählen, viele voll nette Sachen.

Der Täter, der mutmassliche, ist weg, als sich im fünften Stock die völlige Kontrolle seitens der Polizei durchgesetzt hat. Wer es ist, da haben wir keine Ahnung, weil niemand die Straftat beobachtet zu haben anzugeben sich im Stande bemüssigt oder befähigt fühlt. Eine Satzkonstruktion so kompliziert wie die Polizeiarbeit. Kurz: Niemand weiss es. Keine Videoüberwachung von Treppenhaus, Korridoren und Vorräumen. Nichts.

Und draussen regnet es, dass die Polizei mit dem Kanu hätte anrücken können. Nicht einmal Ende Januar schneit es.

Wer war es?

Der Müller ist mit seinen Händen wieder mittendrin im Teig des Geschehens. Voll auf die Kostenstelle 0800 Normalarbeitszeit, offizielles Mitglied des Ermittlungsteams. Vorbei seine Rekonvaleszenz und die Psychosachen in der Therapie mit Andreas Borowski beim Rigiplatz. Weil, vielleicht wissen Sie das, der Müller hat im Mai im Dienst einen Flüchtigen erschossen, Müllerstrasse, ethisch ein schweres Problem, juristisch zwar entlastet und weiterhin reines Vorstrafenregister, der Müller. Nicht einmal ein Disziplinarverfahren. Aber es hat an ihm herumgenagt, weil töten will er nie jemanden. Er ist ein Freund des Lebens.

Da fühlst du dich alt, wenn du den Skorpionen zusiehst, denkt der Müller, wie sie ihre Muskularität durch den Einsatzraum rollen. Fehlt nur, dass sie sich aus dem Helikopter abseilen, sich durch die Fenster in den Raum schwingen oder zwischen verminten Topfpflanzen hindurchtanzen. Ein halbes Dutzend von den Skorpionen, synchron wie bei diesem Schwimmwettbewerb an Olympia. Dort aber natürlich mehr graziös und mit weniger Rohkraft, die hier für einmal nicht notwendig war. Der Notruf war klar, er besagte: «Tötungsdelikt». Bedeutet: punktgenauer Zugriff. Das Geiselnahme- oder Terrorismusdispositiv musst du da nicht auslösen, also gemässigter Einsatz verlangt. Schon etwas übertrieben, sagen Sie, das ganze SWAT-Brimborium hier, «Special Weapons And Tactics», der volle Aufmarsch? Wäre kostengünstiger zu lösen gewesen, sicher, ich höre das Controlling laut aufjaulen. Warum haben die von der Agentur überhaupt einen Evakuierungsplan ausgelöst? Erschwert dir nur die Arbeit.

Rudi Markovic, Skorpion-Einsatzleiter, hält den Daumen hoch: Die fünfte Etage ist sauber. Jetzt tritt, wie gesagt, die Kriminalpolizei in Aktion. Erst Müller, Bucher Manfred, Heather Brogli, Rosanna Vukic, dann Kunz und Hofstetter vomWD. Den Wissenschaftlichen Dienst brauchst du, sobald der Tatort gesichert ist. Sie werden alles absuchen, eintüteln, fotografieren, vermessen, Sie kennen das. Fingerabdrücke und so, Papiere sichten, was ist zum Beispiel dieses A4-Blatt im Papierkorb des Opfers, auf dem steht «Stop gentrification, Stop capitalism, fuck advertisement»? Warum liegt zerknüllt auf dem Fussboden ein Blatt mit vielen rätselhaften Wörtern wie «Fossi,G.1986: ‹La psychanalyse de la dépression: nouvelles propositions théoriques›, in: J.Bergeret/W.Reid (Hg.): Narcissisme et états-limites, Paris: Dunod»? Liegen Textilfasern oder Nervenstränge voller DNS herum? Das ist WD-Business.

Ja, da fühlst du dich steif und ungelenk, wenn du den Kollegen von der Spezialeinheit in Aktion begegnest. Gut, mit 46 (= Müller und Bucher) erwartet keiner von dir, dass du wie ein James Bond durch Explosionen hechtest oder von Kränen herunter oder ohne Kratzer durch Säurebäder kraulst und eine Herde Haifische totboxt. Trotzdem, du merkst mit 46, dass der Körper nicht mehr neu ist. Wäre er ein Auto, hätte er Dellen, und am Unterboden frässe sich der Rost ans Getriebe heran. Sie sehen: Wenn der Müller solche Gedanken haben kann, ist der Einsatzstress wieder im Normalbereich. Das zu denken, geht schnell, schneller, als es aufzuschreiben. Es ist ein Gefühl, das der Mensch im Normalbetrieb nicht ausformuliert.

«Polizei! Keiner verlässt den Raum», sagt unterdessen im vierten Stock im Grossraumbüro Dylan Barmettler. Schau an, der ist auch eingetroffen, war eben noch bei einer Tätlichkeit an einem Rotlicht in Unterstrass. «Polizei! Keiner verlässt den Raum!» Dass du einmal diesen Satz sagen kannst, zu denen, die dem Evakuationsplan nicht gefolgt sind, davon träumst du schon in der Polizeischule. Der Nachteil von Evakuationsplänen: lösen oft Chaos aus, auch Verdächtige entfernen sich in legitimierter Eile. Inmitten von denen, die in Panik geraten sind, weil Hörensagen solche sät. Alle zerstreuen sich, statt sich nach Plan direkt zum klar definierten Sammelpunkt zu begeben. So wissen wir Polizei hinterher oft nicht, wer überhaupt aus dem gefährdeten Objekt entkommen ist. Wie viele sind noch drin? Vor allem bei einem Brand oder bei Gefährdung durch Terrorismus. Wie viele haben es raus geschafft? Im vierten Stock beginnt für Barmettler, Rocco Catanzaro, Janine Hossli und Gustav Weiermann die Kleinarbeit: niemanden rauslassen, herausfinden, wer sich entfernt hat, eruieren, wer im Büro war→ Liste machen. Die Kollegen von der Uniformpolizei helfen.

«Natürlich keine Stempelkarten, die uns Informationen liefern würden», brummt Weiermann. Könnte er einfach bei der Stechuhr einsammeln und auswerten. Er trauert eine Sekunde dem Industriezeitalter nach. Eine Sekunde hat er da recht. Als Veteran merkt er jedoch schnell, dass der Key Account Manager Bryan Hofer nervös ist. Hofer hühnert zum Kaffeeautomaten, wirft den Chromstahlbehälter mit den Zuckerbriefchen um, lässt die Umrührplastikstäbchen fast fallen, verschüttet den halben Becherinhalt auf den polierten Steinboden. Als Reception Desk Manager Rebecca Bruggmann aussagt, sie sitzt ja am Eingang des vierten Stocks, hat die Grossraumbüroloft, die Glaswand zum Besprechungsraum, das Treppenhaus und den Aufgang zur «Partneretage» (interner Jargon) im Blick, inklusive den erst vor Kurzem eingebauten Lift aus blauem Kristallglas. Also, sie sieht alles. Und eben auch wie Pluto von oben kommend die Treppe heruntergeeilt ist und sich im vierten Stock unter die Menschenmassen mischen wollte, kurz nach dem Schrei von Rahel Stahel. Klick, klack, da schnappen die Handschellen der Polizei Zürich zu, die der dicke Weiermann, der immer etwas Mühe mit Atmen hat, sodass man ihm seine Flinkheit gar nicht zutrauen würde, bei Einsätzen auf sich trägt.

Exit Hofer→ Streifenwagen Limmat4→ Grosses Polizeihaus→ Zelle.

Nein, das Buch ist nicht zu Ende. Es folgen noch viele Seiten. So schnell ist kein Fall gelöst. Bryan Hofer, war er es? So einfach ist das nicht. Ermitteln braucht Zeit. Zum Beispiel die DNS-Untersuchungen. Auf dem Messerstiel im Rücken von Olli finden Kuhn und Hofstetter vom WD vielleicht etwas. Wem gehört das kurze blonde Haar auf dem Kragen des Opfers? Stimmt es genetisch mit den Haaren auf seinem Kopf überein? Die Proben werden gleich ins Labor gehen.

Und der Müller im fünften Stock, jetzt sieht er vor der Leiche stehend, genauer: zwischen der Bürotür und dem Schreibtisch, eine «Frau von dreissig Jahren» (Balzac). Blondes Haar, schulterlang, hinten praktisch hochgesteckt, machen alle in der Branche so, sandfarbene enge Hose, weisse Bluse, dunkelblaue Strickjacke, schwarze Stiefel, goldene Ohrstecker, Grösse circa 169Zentimeter, Gewicht circa 52Kilogramm, kleines Muttermal auf dem Wangenknochen rechts. Das sieht der Polizeibeamtenblick sofort und notiert es. Sieht gut aus, die Zeugin, würden Sie vielleicht sagen. Doch: «Für den Polizeibeamten zählt Schönheit nicht», heisst es im berühmten Polizeilehrbuch von Yardley, Lavender und Soap. Und ebenda: «Der Körper bedeutet zuallererst ein Signalement.»

Diese Frau, Rahel Stahel, hat den Toten gefunden und den Notruf abgesetzt.

«Warum haben Sie das Büro des Opfers betreten?», fragt der Müller.

«Ich wollte einige Dokumente übergeben und den Gugelhopf holen und Olli… ich meine: Jörg-Olaf Bischoff zur Hand gehen», sagt die Frau, die sich auf polizeiliche Nachfrage hin mit einem amtlichen Dokument (Führerausweis) ausweist. «Ich bin Chief Office Manager von ‹König, Herzog, Papst& Bischoff›… und manchmal hält mich… Herr Bischoff für seine Boa», fügt sie hinzu und lacht kurz auf. Lachen passt nicht, kann nervlich sein. Weiss der Polizist.

«Stahel Rahel», liest Bucher Manfred hörbar, der neben dem Müller steht und das Identitätspapier überprüft, «Rahel Stahel» murmelt er.

Die Frau schaut ihn einen Bruchteil irritiert an. Er tut, als bemerke er es nicht.

Der Müller jetzt: «Zur Hand gehen?»

«Ja, den Gugelhopf hinuntertragen, den Prosecco entkorken, Jörg-Olaf unterstützen eben», die Uhr an ihrem Handgelenk zeigt 17:04, «jetzt hätte unser Motivationsmeeting schon begonnen.»

Müller: «Motivationsmeeting?»

«Den Leuten danken, ihnen sagen, wie wertvoll und gut ihre Arbeit ist, das Volumen der neuesten Mandate an die Wand projizieren, die neuesten Strategietools beiläufig einflechten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zulächeln, mit ihnen anstossen…» Stahel bleibt mit dem Ton oben.

«Sie duzen Herrn…», beginnt der Müller, Bucher Manfred, der das Schild auf der Bürotür im Auge hat, fügt leise «… Bischoff» ein, und der Müller, die Augenbraue bleibt oben, er echot: «… Bischoff?»

«In der Firma duzen wir uns», sagt sie, «darf ich mich setzen?» Sie steht im Büro, seit sie den Toten entdeckt hat, seit einer halben Stunde. Um sie herum sind die Kollegen vom WD dabei, an der Leiche herumzupinseln, zu fotografieren, den Meterstab hinzulegen, damit die Geometrie unzweifelhaft festgestellt ist, und den Eintrittswinkel der Klinge– ein Victorinox-Messer mit schwarzem Griff– auszumessen. Im Treppenhaus jetzt Absätze, sie klacken und klacken immer näher, sind auf einmal fast still, weil Teppichbelag: Dr.Brenda Marquardt, die Pathologin vom «Pathologischen Institut von der Universität von der Stadt Zürich». Sie ist gekommen, um den Tod amtlich festzustellen, den Tatort in Augenschein zu nehmen. Wenn immer möglich erscheint sie persönlich aus ihrem unterirdischen Obduktionsreich an der Rämistrasse, in dem die Wände bis in Zweidrittelhöhe mit abwaschbarer Farbe bemalt sind, falls es spritzt beim Aufschneiden. Hygiene ist wichtig.

Und Dr.Brenda Marquardt ist eine internationale Kapazität, das wissen Sie bestimmt, sie referiert an Universitäten beidseits der Limmat und der Landes- und Kontinentalgrenzen. Sie hat einen Blick selbst für vermeintlich absurde Details, ohne den Gesamtüberblick zu, Sie wissen, was ich meine, und auch, sagen wir es deutlich, es ist wie im Film: Jetzt stehen bereits zwei schöne Frauen im Büro des ermordeten Kommunikationsmagnaten Bischoff. Nur verwirrt das niemanden, denn Dr.Brenda Marquardt und Bucher Manfred, die privat ja eine Herzensgemeinschaft bilden, was rede ich blumig um den Brei, sie lieben sich und schlafen auch miteinander, sind aber so professionell, dass sie sich im Dienst aufs Berufliche beschränken. Das bedeutet im momentanen Augenblick: einen Gruss und wenn nötig den fachlichen Austausch.

«Boa?», will der Müller von Frau Stahel wissen, das Wort hat sie vorhin ausgesprochen, unter «Chief Office Manager» kann er sich eher etwas vorstellen.

Stahel: «Äh, Entschuldigung, Back Office Assistant.» Und wir merken: Der Müller kennt diese Bürowörter total nicht. Es ist, wie wenn du zum ersten Mal im Leben die «Dönerwelt» beim Bahnhof Altstetten betrittst und die Speisekarte an der Wand nicht lesen kannst, weil dir die Wörter so überhaupt nichts sagen. Aussprechen ist sowieso schwierig. Darum haben sie die grossen farbigen Bilder mit den Menüs. «Damit das Essen ein Erlebnis ist» (Luigi Teppanyaki).

***

Aussage von Rahel Stahel (31), Chief Office Manager von KHP&B, aufgenommen am Begehungstag, Sitzungszimmer «König, Herzog, Papst und Bischoff», Fröhlichstrasse, 8008 Zürich. Befragungsbeginn 18:13Uhr. Anwesende Beamte: Janine Hossli, Dylan Barmettler, Müller Benedikt.

«Also, ich hoffe, ich erlebe so was nie mehr. Es war schrecklich. Ich wollte ungefähr um halb fünf zu Olli ins Büro, um ihm einige Dokumente zu übergeben und um nachzufragen, ob für das Motivationsmeeting alles aufgegleist sei oder ob er noch einen Wunsch habe. Grundsätzlich buchen wir solche Anlässe ja extern: Ein Caterer bringt die Häppchen und den Rest. Aber der Chef ist eben der Chef, und Olli ist ein anspruchsvoller Chef. Ich meine, er war es. Nein, negativ meine ich das nicht. Bloss: Er hat einen gefordert, sich selbst auch, und er hat immer viel geleistet.

Ich dachte mir nichts, als ich in sein Büro trat. Ich hätte ihn ja schon von der Tür aus gesehen, aber ich passte auf, wo ich hintrat, denn im Teppich war die letzten Wochen ein – wie sagt man?– ein Wulst? Der Teppich wölbt sich hinter der Schwelle leicht auf, schlecht verlegt, und da bin ich vor einigen Tagen gestolpert. Deshalb habe ich auf den Boden geguckt und Olli erst gesehen, als ich die Augen hob und zwei, drei Schritte im Büro stand. Geklopft? Nein, habe ich nicht. Die Tür stand offen. Die Türen der Partner stehen meist offen. Die haben ja die ganze fünfte Etage für sich. Für mich eher unpraktisch, denn ich sitze im vierten Stock, nahe beim Eingang, unmittelbar hinter dem Desk der Réception. Und wenn ich von Olli, King, Pope oder Sharky persönlich etwas will, muss ich Treppen steigen. Bis der Lift jeweils kommt, das dauert ewig, die unteren drei Etagen sind ja auch Gewerbeflächen, Firmen, die den Aufzug ebenfalls benützen.

Wo war ich? Ja, und da lag Olli tot mit dem Gesicht auf dem Gugelhopf. Sein Oberkörper vornübergekippt. Den Kuchen wollte er zum Meeting mitbringen. Das machte er gerne selbst. Ein bisschen alte Schule, ein bisschen altmodischer Patron. Aber er genoss es, selbst Gläser einzuschenken und Häppchen zu verteilen. ‹Ich teile die Kommunion aus›, hat er einmal gescherzt.

Seine Brille, die dicke schwarze, lag neben seinem Kopf auf dem Tisch. Dass mir ausgerechnet so ein Detail bleibt.

Ja, er war ein fordernder Chef, manchmal etwas seltsam, vielleicht ist ‹unkonzentriert› das richtige Wort? Oder ‹sprunghaft›? Aber meist ziemlich heiter. Was ich mit ‹seltsam› meine? Ja, eben, unkonzentriert, schlecht fokussiert, nicht entscheidungsfreudig… würde man von einem CEO nicht erwarten. Es gab Tage, da hatte ich das Gefühl, er grüble an etwas herum, sei unschlüssig, ich weiss nicht recht. Da rief er mich zwei-, dreimal wegen ein und derselben Sache an und stellte mir mehrmals die gleiche Frage. Oder er ging nicht ans Telefon, obwohl ich wusste, dass er sich im Büro aufhielt. Wer ihn getötet haben könnte? Keine Ahnung. Also, niemand ist im Streit gegangen, aus der Firma, soweit ich mich erinnere. Kündigungen hat Olli ewig keine mehr ausgesprochen. Ich selbst bin fünf Jahre in der Agentur. Spannungen unter den Partnern? Nun, das ist doch normal, dass sich Geschäftspartner nicht immer einig sind. Finanziell ist die Situation der Firma solide, soweit ich weiss, und ich weiss, glaube ich, ziemlich alles, was beiK+ ansteht. Aber fragen Sie am besten Maximilian Papst, der kümmert sich um das Vermögen der Firma. Er legt es an und so weiter.

Wie er da lag? Also, er lag nicht wirklich, er sass auf seinem Drehstuhl, und sein Oberkörper lag vornüber und der halbe Kopf auf dem, nein im Gugelhopf. Und überall Blut, das war schrecklich: dieses Blut. Da weiss man sofort, dass es zu spät ist. Nein, man weiss es nicht, aber man denkt es. Man nimmt es an. Nein, berührt habe ich nichts, ihn nicht und gar nichts. Das soll man nicht, sagte mir auch Ihr Kollege von der Notrufzentrale.

Das eine Auge schaute mich an.

Ich habe, glaube ich, geschrien. Hat mir Rebecca gesagt, ja, Bruggmann, sie arbeitet am Empfang, sie hat es gehört. Ich das iPhone raus und die interne Sicherheit angerufen und dann Sie. Ja, die117. Wie gesagt, das muss kurz nach halb fünf gewesen sein, das Motivationsmeeting hätte um fünf beginnen sollen, um 17Uhr, wenn Sie so wollen. Nein, eine besonders enge Beziehung zu Olli hatte ich nicht, wir haben zusammengearbeitet, die Hierarchie war klar, aber er war offen für Neues, er hat zugehört, Ideen aufgegriffen und weiterverfolgt– und später meistens auch erwähnt, dass die Idee von der oder jener Person kam. Er war fair, finde ich. Wie er anderen gegenüber war, im Detail weiss ich das nicht, aber ich denke, auch okay. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn jemand… Die Geschäftslage war prächtig. Ich bin immer bei den Geschäftsleitungssitzungen dabei, führe da Protokoll. Das vergangene Jahr war eines der besten in der Geschichte der Agentur. Die existiert seit, lassen Sie mich ausrechnen (lacht), sieben Jahren.

Ein schreckliches Bild, Olli so zu sehen. Wer könnte das getan haben? Und weshalb? Hat es mit der Firma zu tun? Mit Ollis Privatleben? Er war verheiratet mit Lee-Ann. Sie ist Amerikanerin. Ich habe sie an einem Weihnachtsessen kennengelernt, da sah man sie jedes Jahr, und alle paar Monate kam sie mal in die Agentur. Nett, ja, sie ist nett und freundlich. Nein, ich weiss nichts Näheres über sie. Beim Predigerplatz habe ich sie mal angetroffen, mit einer Tasche voller Bücher. Nein, erkannt hat sie mich nicht, die Firma hat um die 80Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Olli und ich haben nicht übers Privatleben gesprochen. Oder nur höchst oberflächlich: ‹Wie war der Schnee auf der Lenzerheide? Warst du schon in diesem neuen Restaurant beim Schiffbau? Freitagabend musste ich Notfall zum Zahnarzt.› Maximal solche Sachen. Ob er Probleme hatte? Private? Schulden? Keine Ahnung. Ich habe nichts in der Richtung mitbekommen, da war nichts Aussergewöhnliches.

Das ist ein Schock, mit so etwas rechnet niemand. Ein Alptraum. Nein, in Ollis Büro habe ich nichts Ausserordentliches bemerkt, ausser dass alles ausserordentlich war… Personen? Habe ich keine gesehen. Fremde Personen? Nicht dass ich wüsste. Als ich Olli so dasitzen sah, weiss ich nicht, was geschah. Gut, ja, ich habe die Anrufe gemacht, ja, wie gesagt, zuerst die interne Sicherheit und dann die117. Und dann stürmte Ihr Kommando das Büro. Wie lange es gedauert hat, bis sie da waren? Keine Ahnung. Das ist alles. Wenn mir noch etwas einfällt, melde ich mich.… Ah, ja, danke für Ihre Karte. Die Mobilnummer da unten? Ja, gut.»

***

Boulevard-online.ch, 31.Januar, hochgeladen: 19:03

Star-Werber tot im Gugelhopf

Der blanke Horror steht ihr ins hübsche Gesicht geschrieben: Büromanagerin RahelS.*(31, Name der Redaktion bekannt) fand heute gegen 17Uhr ihren Chef, den Kommunikationsmogul Jörg-Olaf Bischoff, tot in seinem luxuriösen Büro im Seefeld. Der Stadtteil von Zürich mit der höchsten Dichte an Kommunikationsagenturen. Im breiten Rücken des Mannes mit dem scharfen Schnauz steckte ein ebenso scharfes Messer, blutverschmiert. Sein gut geschnittenes Gesicht lag vornüber auf einem Marmorgugelhopf von Sprüngli. Er atmete nicht mehr. DerCEOvon «König, Herzog, Papst und Bischoff»–in der Branche und der Zürcher Society «Olli» genannt– ist tot. Erstochen.

«Den Kuchen wollte er wenige Minuten später für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anschneiden, um ihnen für ihre gute Arbeit zu danken», sagt sichtlich schockiert die schöne RahelS. Während Tränen aus ihren grünen Augen fliessen, schluchzt sie: «Er war ein herzensguter Mensch, wir verstehen die Welt nicht mehr.» Millionenerbe Claus Rehmann (38), den mit Olli Bischoff die Liebe zum Polo und zu seltenen Weinen verband, sagte zu Boulevard-online.ch: «Ich bin fassungslos. Wir hatten für die Zukunft viele Pläne. Wir verlieren einen lieben Freund, einen trickreichen Polospieler, einen humorvollen Menschen, einen ideenreichen Geschäftsmann und guten Tänzer.» Jürg Abplanalp, Gemeinderat und Vorstand des Gewerbeverbandes, äusserte sich empört: «Dass in unserer Stadt ein Unternehmer am helllichten Tag in seinem Büro regelrecht exekutiert wird, erfüllt meine Partei und meinen Verband mit Abscheu. Sind wir schon so weit gekommen? Wir verlangen eine rigorose Untersuchung und endlich die nötigen Mittel für die Polizei.»

Gemäss gut unterrichteten Quellen ist es bereits zu einer Festnahme gekommen. Die Polizei Zürich ermittelt auf Hochtouren. Für morgen früh sei mit einer Medienkonferenz zu rechnen, teilte Gregor Meier, Leiter Kommunikation der Polizei Zürich, mit. Weitere Informationen kommunizierten die Behörden nicht.

Jörg-Olaf Bischoff war Mitbegründer und Präsident der Kommunikationsagentur «König, Herzog, Papst und Bischoff», eines Schwergewichts der Branche mit einem geschätzten Umsatz von gegen 120

Vorher

35Tage bis zum Mord, Freitag, 27.Dezember

Auch diesen Abend brennt Licht im vierten Stock der ehemaligen Textilfabrik, in der «König, Herzog, Papst und Bischoff» seit sieben Jahren ihre Agentur betreiben. Genauer gesagt, brennt es im dritten Fenster von links, von der Strasse aus gesehen. Das Licht bleibt zwischen dem Büroloft und dem Parkplatz vor dem Haus in der Luft stecken und dringt nicht bis nach unten, wo jemand gerade einen schwarzen Mercedes SE280 aufbricht. Es ist das Liebhaberobjekt von Heinz «Sharky» Herzog, dem Vice-President vonK+, der mit dem Taxi zum Dinner gefahren ist, weil Promillegrenze. Das ist klug und verantwortungsvoll. Im Fenster ist niemand zu sehen. 22

32Tage bis zum Mord, Montag, 30.Dezember

Auch heute Abend leuchtet es im dritten Fenster von links. Diesmal fahles, gelbliches Licht. Kommt also nicht von einer Deckenlampe. Könnte gemütlich wirken, der eng begrenzte Kegel, der vermutlich auf einen Schreibtisch fällt. Der Bildschirm ist an. Indiz dafür: bläuliches Glimmen. Ja, heute wollen wir uns die Mühe machen und nachschauen, wer dort oben sitzt.

Hochgebeamt und durchs Fenster blicken wir von der feuchten Kälte in die Wärme hinein. Im Hemd sitzt einer da, fliederfarben. Das Jackett über der Rückenlehne. Allein im Raum, in der Halle, die die ganze Etage ausmacht, betrachtet er den Bildschirm, fährt mit dem Cursor umher, klickt hier mit der Maus etwas an, liest, schreibt dort ein Wort, da zwei Halbsätze, wieder ein paar Zeichen, löscht Buchstaben, Wörter, korrigiert, sucht etwas im Netz. Die Digitaluhr an der Bürowand, die roten Ziffern, sie schlagen 21:23Uhr. Müsste er nicht zu Hause sein? Nur schon aus sozialen Gründen? In der Jacke das Handy, er hat es ausgeschaltet. Das Telefon auf dem Tisch, er hat es auf die Zentrale umgeleitet. Die ist nicht besetzt. Anrufe würden in der Warteschleife mit der beruhigend doofen Musik hängen bleiben. Eine Frauenstimme, gespielt unschuldig, singt dort etwas von «Sexy, sexy, sexy», das sich wundersam reimt mit «Ferrari, Jag and Bentley». Er will ungestört arbeiten, ungestört sein, für sich sein. Arbeitet er? Ist er ungestört? Ist er für sich?

Ist er?

Was ist er?

Er heisst Matthias Strasser, SCO ist seine Abteilungsbezeichnung: «Strategic Creative Operations» auf Deutsch. Klingt interessant und ziemlich wichtig.

Er klickt weiter, liest, schreibt da ein Wort, streicht dort ein halbes, korrigiert, tippt einen Absatz, ein Fragezeichen, formatiert, als ob er kein Zuhause kennt. Und sitzt. Sitzt. Das Fliederhemd zerknittert, durchgeschwitzt. Auf dem Tisch der leere Kaffeebecher, die letzten Tropfen angetrocknet. Er wirft ihn in den Papierkorb. Beim Aufprall ein Geräusch, wie wenn ein Knochen zu Boden fällt oder in ein ausgehobenes Grab.

Was macht einer mit 43 um diese Zeit am zweitletzten Tag des Jahres im Büro? Das obere Kader und wer auch immer entbehrlich ist, macht die Brücke bis nächsten Montag, tanzt also erst am 6.Januar wieder an und wird erzählen, was alles und wie viele Sonnenscheinstunden, ich sage dir, und wie toll und wer und Aknedoten, die keinen interessieren. Er hält die Stellung. Paar Sachen weitertreiben, damit in einer Woche alles bereit ist für den neuen Kick-off.

21:58Uhr. So, das wäre mal das.

28Tage bis zum Mord, Freitag, 3.Januar

Erster Arbeitstag im neuen Jahr, auf dem Bürotisch ein Umschlag, auf allen Bürotischen ein Umschlag, blau, die Corporatefarbe von &. Auf einem Couvert sein Name, muss seines sein. Rahel Stahel hat’s in Auftrag gegeben, wie jedes Jahr. Strasser reisst den Umschlag auf. Das Präsent sicher Sharky Herzogs Idee: Gutschein für ein Wochenende in dieser Wine& Cigar Lounge in Zermatt, Wellnessfacilities inklusive, fürs breite Publikum über Monate ausgebucht und – ha, ha, ha!– viel zu teuer. Letztes Jahr war’s, in Leder gebunden, die neue Ausgabe des Guide Sowieso, einen Monat vor der Veröffentlichung, Nordamerikaausgabe mit Kalifornienschwerpunkt, ach. Sharky hat einen Sinn für realitätsnahe Geschenke.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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