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NUR DIESE EINE NACHT DER SÜNDE? Der argentinische Multimillionär Alejandro du Crozier liebt die Frauen - und seine Freiheit! Als er wegen einer Autopanne mit der entzückenden Lulu in einem Hotel in den Highlands übernachten muss, kann er sich ihren sinnlichen Reizen nicht entziehen. Aber er sagt ihr gleich: Mehr als diese eine Nacht der Leidenschaft kann sie von ihm nicht erwarten! Doch schon kurz darauf muss er sich fragen, ob Lulu ihn in eine Falle gelockt hat. Denn ihr heißes Liebespiel hat unerwartet schockierende Folgen für ihn … KÜSSE, SÜßER ALS RACHE "Hallo Grace!" Zwei Worte genügen, um ein Prickeln durch Graces Körper zu jagen und sie herumwirbeln zu lassen. Seth Mason! Sie hätte seine Stimme unter tausenden erkannt. Wie oft hat er sie in ihren Träumen verfolgt, seit jener wunderbaren Liebesnacht vor acht Jahren? Jetzt ist aus dem armen Jungen von damals ein attraktiver Multimillionär geworden, der sie mehr denn je fasziniert. Doch so verlockend seine Küsse schmecken, sollte Grace doch auf der Hut sein. Denn Seth hat ihr nie verziehen, dass sie ihm den Laufpass gab. Und er scheint nur eins zu wollen: Rache! EIN KARIBISCHER TRAUM Lizzys Hochzeitsreise mit Luciano könnte schöner nicht sein: Der heißblütige italienische Multimillionär lässt sie in der Karibik den Himmel auf Erden erleben! Nur auf die magischen drei Worte hofft sie leider vergebens. Lizzy begreift, dass Luciano etwas vor ihr verbirgt … HERZ AUS EIS Unwiderstehlich - und unmöglich! Kristian ist der schwierigste Patient, den Elizabeth jemals hatte. Nach einem Helikopter-Unfall hat sich der arrogante griechische Multimillionär auf sein luxuriöses Anwesen zurückgezogen und lehnt jede Hilfe ab, besonders von einer Frau! Nach und nach gelingt es Elizabeth jedoch, die Mauer um Kristians Herz niederzureißen, hinter der das Feuer der Leidenschaft verzehrend lodert. Aber kaum hat sie eine berauschende Liebesnacht in seinen Armen erlebt, bedroht eine schicksalhafte Begegnung ihr junges Glück ... MEHR ALS NUR EINE NACHT Valentinas ganz persönlicher Glückstag: Ausgerechnet an einem Freitag den 13. tritt der gut aussehender Multimillionär Richard Anderson in ihr Leben. Mit seinem unwiderstehlichen Charme erobert er ihr Herz im Sturm. Verliebt wie noch nie, verbringt sie mit ihm das Wochenende auf seinem feudalen Anwesen vor den Toren Londons. Und als er ihr nach nur einer Nacht einen Heiratsantrag macht, fühlt sie sich wie im siebten Himmel. Bis sie den wahren Grund für Richards Eile erfährt: Nicht aus Liebe will er sie heiraten, sondern aus purer Berechnung! TRAUMMANN AUF RATEN Seit zwei Jahren hat Joanna ihren Mann Gabriel nicht mehr gesehen. Mit achtzehn - himmelhochjauchzend verliebt - hatte sie den Multimillionär geheiratet - mit zwanzig blieb sie allein auf dem Familiensitz Westroe Manor zurück! Gabriel konnte keine Gefühle zeigen - jede zärtliche Berührung ließ ihn erstarren. Und heute? Joanna bekommt eine unerwartete Chance, herauszufinden, ob ihre heimliche Sehnsucht doch noch Erfüllung finden kann. Ihr Schwiegervater hinterlässt ein überraschendes Testament! Sie und Gabriel müssen zusammen ein Jahr lang auf Westroe Manor leben - erst dann können sie das Erbe antreten. Sollte der alte Herr geahnt haben, dass Joanna ihren Mann noch immer liebt?
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Seitenzahl: 1158
Lucy Ellis, Elizabeth Power, Michelle Reid, Jane Porter, Lee Wilkinson, Sara Craven
Multimillionäre - zwischen Reichtum und Leidenschaft 2
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2016 by Lucy Ellis Originaltitel: „Kept at the Argentine’s Command“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2274 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Julia Hummelt
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733708221
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Alejandro bemerkte sie beim Boarding. Sie war mit Abstand das entzückendste Geschöpf weit und breit – ein strahlend heller Lichtblick an einem trüben Tag.
Die langen, schlanken Beine übereinandergeschlagen, den Kopf gesenkt, schien sie ganz in ihr Magazin vertieft zu sein. Die glänzenden blauschwarzen Locken fielen ihr verspielt ins Gesicht. Mit ihrem raffiniert geschnittenen Pagenschnitt und der femininen Kleidung, die an die 30er-Jahre erinnerte, erschien sie wie eine Grand Dame aus einer längst vergessenen Zeit.
Als er durch den schmalen Gang zu seinem Sitz ging, sah sie auf, und ihre Blicke trafen sich.
Ihre frechen Locken umrahmten ein auffallend zartes Gesicht mit schmaler leicht gebogener Nase, großen dunklen Augen und einem Mund, der ihn an die rosarote Knospe einer Rose denken ließ. Ihm entging nicht, wie ihre Augen sich weiteten. Doch der Ausdruck darin hatte nichts Wohlwollendes. Fast wirkte sie panisch, als sie den Blick hastig wieder abwandte. Wie eines seiner Fohlen zuhause auf der Ranch, das herumwirbelte, um sich die Aufmerksamkeit zu sichern und verschreckt zur Seite hüpfte, sobald man sich ihm näherte.
Schüchterne Frauen waren kein Problem für ihn – damit konnte er umgehen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sie erneut zu ihm aufsah. Ein wenig mutiger dieses Mal. Ihre Mundwinkel zuckten, und ihr verführerischer rosiger Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln.
Unwillkürlich erwiderte er es. Es fiel ihm schwer. Er hatte schon so lange nicht mehr gelächelt, dass er völlig aus der Übung war.
Mit hochroten Wangen wandte sie sich sichtlich nervös wieder ihrem Magazin zu.
Alejandro war fasziniert.
Kaum, dass er zu seinem Sitz zurückgekehrt war, winkte sie einer Stewardess. Belustigt beobachtete er während der nächsten zwanzig Minuten, wie seine braunäugige Schönheit die Kabinenbesatzung auf Trab hielt. Ein Glas Wasser, ein Kissen, eine Decke … Als sie jedoch begann, hysterisch auf die inzwischen verärgert wirkende Stewardess einzureden, war es vorbei mit seiner heimlichen Schwärmerei für die junge Frau.
„Nein, ich kann mich wirklich nicht bewegen!“ Ihre Stimme klang schrill und fordernd, auch wenn ein unvergleichlich erotischer französischer Akzent in ihr mitschwang.
Als die aufgebrachte Flugbegleiterin den Gang entlangeilte, beugte er sich vor, um sich zu erkundigen, ob es ein Problem gäbe.
„Ein älterer Herr schafft den weiten Weg zum WC nicht, Sir“, erklärte sie. „Wir versuchen gerade, einen neuen Platz für ihn zu finden.“
Sie vermied es, die arrogante Dunkelhaarige zu erwähnen, obwohl man sie kaum ignorieren konnte.
Ohne zu zögern griff Alejandro nach seinem Jackett und erhob sich, um sein Handgepäck aus dem Gepäckfach über ihm zu nehmen.
„Er kann meinen haben“, bot er an und schenkte der Stewardess ein Lächeln, das ihr das Blut in die Wangen steigen ließ.
Nachdem er es sich auf seinem neuen Sitzplatz bequem gemacht hatte, vertiefte er sich wieder in seinen Tablet-PC und verdrängte die dunkelhaarige Schönheit aus seinen Gedanken.
Die morgendlichen Nachrichtenmeldungen trugen nicht gerade zur Vorfreude auf sein Reiseziel bei. Wenn einer der reichsten russischen Oligarchen mit einem schillernden Showgirl mit knallroten Haaren in einem schottischen Schloss den heiligen Bund der Ehe einging, war das zweifellos eine Meldung wert. Und vom Bräutigam höchstpersönlich hatte er erfahren, dass die Presse sich bereits vor Ort aufgebaut habe, um mit ihren Teleobjektiven heißbegehrte Schnappschüsse von den hochkarätigen Gästen zu ergattern.
Da er selbst zur Prominenz gehörte und den Rummel um seine Person nicht nötig hatte, ja sogar verabscheute, hatte er beschlossen, auf konventionellem Wege anzureisen. Was bedeutete, dass er Economy flog und bereits einen Tag vorher anreiste, um die vierstündige Autofahrt durch die malerische Landschaft ein wenig genießen zu können. Mit einem unauffälligen Wagen würde er bei der Ankunft auf Dunlosie jegliche Aufmerksamkeit vermeiden.
Der bevorstehende Hochzeitstrubel behagte ihm dennoch nicht. Es würde ein anstrengendes Wochenende werden.
Ungeduldig schob Alejandro sein Tablet beiseite und erhob sich aus seinem Sitz, der viel zu schmal für seinen breitschultrigen Oberkörper war. Er hatte noch nie lange stillsitzen können.
In diesem Moment vernahm er von der Seite ein dezentes Hüsteln und sah sich um.
Es war seine dunkelhaarige Schönheit.
Sie war bereits mehrfach an seiner Sitzreihe vorbei den Gang hinaufgelaufen. Entweder hatte sie ein Blasenproblem oder sie suchte seine Aufmerksamkeit.
Er warf ihr einen kühlen Blick zu. Offenbar ahnte sie nicht, dass sie es sich längst mit ihm verscherzt hatte.
Mit jedem Mal, das sie an ihm vorbeigelaufen war, waren ihm ihre Schritte unsicherer erschienen. Vermutlich war sie ein wenig betrunken.
Außerdem wirkte sie ungewöhnlich groß für eine Frau. Ein Blick nach unten auf ihr Schuhwerk ließ ihn schmunzeln: Ihre Füße steckten in fast lächerlich hohen türkisfarbenen Stilettos. Was ihre Schönheit noch hervorhob, wie er sich eingestehen musste.
„Pardon, monsieur“, nuschelte sie. Sie hatte definitiv getrunken.
Unbeeindruckt erwiderte er ihren verlegenen Blick. „Vielleicht sollten Sie ein bisschen kürzer treten mit dem Sekt, Señorita. Sie würden uns allen damit einen Gefallen tun.“
Irritiert zwinkerte sie mit den Augen. „Pardonnez-moi?“
„Sie haben mich schon verstanden.“
Für einen kurzen Augenblick schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben. Dann hob sie trotzig den Kopf und stampfte mit dem Fuß auf.
Alejandro musste sich beherrschen, um nicht laut aufzulachen.
„Warum machen Sie nicht einfach Platz, statt harmlose Leute zu beleidigen?“, zischte sie ihn an. Ihr französischer Akzent vermischte sich auf höchst wohlklingende Weise mit ihrem Englisch. Was sie umso attraktiver wirken ließ.
Ungehemmt ließ er seinen Blick über ihre glänzenden Locken bis hinab zu ihren Schuhspitzen gleiten. Und blieb schließlich an ihren perfekt verteilten weiblichen Kurven hängen …
Sie wich zurück, doch er ließ sie nicht ungeschoren davonkommen.
„Sie haben ganz schön hohe Ansprüche, Chica, nicht wahr?“, zog er sie auf.
„Wie bitte?“
„In der Ersten Klasse sitzen heute vierzehn Passagiere“, erklärte er. „Sie führen sich hier auf, als ob ein Schriftzug mit Ihrem Namen auf dem Flieger prangt. Die Flugbegleiterinnen sind nicht Ihre persönlichen Sklaven. Wie wär’s, wenn Sie uns allen mal eine kleine Verschnaufpause gönnen?“
Unangenehm berührt schlug sie die Augen nieder. „Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden“, murmelte sie. „Und jetzt machen Sie bitte den Weg frei!“
Darauf hatte er gewartet. „Nur wenn Sie mich dazu bringen!“
Entgeistert starrte sie ihn an.
Seine Reaktion überraschte ihn selbst. Normalerweise behandelte er Frauen mit Respekt. Auch zickige Mädchen, die erst noch erwachsen werden mussten.
Eine Sekunde lang glaubte er, ihre großen braunen Augen würden sich mit Tränen füllen. Irgendetwas ging in ihr vor, er wusste nur nicht, was.
Darum ergab er sich und ließ sie passieren.
Zumindest so weit, dass sie gerade so an ihm vorbeikam.
Mit einem verächtlichen Schnaufen, das sehr französisch klang, stakste sie hoch erhobenen Hauptes zurück zu ihrem Sitz.
Es dauerte nicht lange, und er hörte sie erneut zetern. Um ihn herum reckten die Passagiere die Köpfe, um zu sehen, was passiert war. So wie es aussah, war ihr das Tablett mit dem Essen auf den Boden gefallen. Der schnell herbeigeeilte Steward, der sich bemühte, das Chaos zu beseitigen, ohne dabei viel Aufsehen zu erregen, tat ihm leid.
Mit einem Seufzen ließ Alejandro sich zurück in seinen Sitz sinken und warf einen Blick auf sein Handy. Er hatte genug von dieser Frau.
Es war eine Nachricht vom Bräutigam eingegangen.
Planänderung. Tu mir einen Gefallen und nimm eine Brautjungfer mit. Ihr Name ist Lulu Lachaille. Sie kommt mit Flug Nr. 338 an Gate 4 an. Wertvolle Fracht! Wenn du ohne sie auftauchst, bringt Gigi mich um und lässt die Hochzeit platzen.
Am liebsten hätte Alejandro seinem Freund eine Absage erteilt. Wie sehr hatte er sich auf die Fahrt durch die grüne Landschaft Schottlands gefreut. Nun würde er die vier Stunden vermutlich mit irgendeiner nervtötenden kleinen Brautjungfer im Auto sitzen.
Wenigstens war die Gästeliste gespickt mit langbeinigen Showgirls. Vielleicht würde er sich bei der Hochzeitsfeier doch nicht langweilen.
Dios.
Gerade hatte er einen weiteren Blick den Gang hinauf riskiert, da sah er, dass seine französische Mademoiselle sich ebenfalls suchend umsah. In ihrem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck von Hoffnung und Verzweiflung zugleich. Unvermittelt musste er an eine in Not geratene Prinzessin aus einem Zeichentrickfilm denken.
Dann fiel ihr Blick auf ihn, und ihr Gesicht verdunkelte sich.
Kopfschüttelnd beobachtete er, wie eine Stewardess ihr ein Tablett mit einem Glas Wasser reichte und etwas, das aussah wie eine Tablette.
Jetzt hatte sie wohl auch noch Kopfschmerzen? Das wurde ja immer besser.
Mit ungutem Gefühl öffnete er den Anhang, den Khaled ihm geschickt hatte. Ein Teil von ihm ahnte bereits, was ihn erwartete.
Als er das Bild sah, wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
Eine dunkelhaarige junge Frau sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck vom Bildschirm an.
Sie war unglaublich attraktiv.
Es gab nur ein Problem – missmutig warf er einen weiteren Blick in den Gang – die Frau auf dem Foto war sie.
Nur wenn Sie mich dazu bringen!
Innerlich schäumte Lulu noch immer vor Wut, als sie über die Fluggastbrücke in das Flughafengebäude lief. Sie war kurz davor, den Vorfall der Fluggesellschaft zu melden.
Frauen sollten ein Recht darauf haben, sicher zu fliegen. Ohne von Wüstlingen belästigt zu werden, die einem Moralpredigten hielten.
Ihr war bewusst, dass sie selbst nicht ganz unschuldig an der Situation war. Offenbar hielt er nicht viel von ihr, da er mitbekommen hatte, dass sie ihren Sitzplatz für den älteren Herrn nicht hatte freimachen wollen.
Lulus Herz wurde schwer.
Sie hatte die Blicke der anderen Passagiere gesehen und wusste, sie dachten alle das Gleiche. Aber was hätte sie tun sollen?
Das Kabinenpersonal war über ihre Krankheit unterrichtet worden und hatte sich sehr bemüht, ihr den Flug so angenehm wie möglich zu machen. Nur eine der Stewardessen war offensichtlich nicht informiert worden. Und als sie sie gebeten hatte, den Platz zu wechseln, hatte Lulu sich mit einem Mal nicht mehr bewegen können. Sie war so erleichtert gewesen, endlich zu sitzen und ihre Sachen verstaut zu haben, dass die Bitte der Stewardess sie vollkommen überfordert hatte.
Als sie endlich an der Gepäckausgabe angelangt war, fühlte sie sich erbärmlich. Wer weigerte sich schon, einem gebrechlichen alten Mann zu helfen?
Vielleicht hätte sie sich den Rat ihrer Mutter zu Herzen nehmen und jemanden mitnehmen sollen, der sie auf ihrer Reise begleitete. Dann wäre das alles nicht passiert.
Aber wie sollte sie jemals lernen, ein eigenständiges Leben zu führen, wenn sie keinen Schritt allein machte? Sie war eine erwachsene Frau, keine Invalidin! Es steckte mehr in ihr als das, was sie heute gezeigt hatte. Instinktiv richtete sie sich auf. Sie würde sich in Zukunft mehr anstrengen.
Vor sechs Monaten hatte sie fast die Freundschaft zu ihrer besten Freundin zerstört, seitdem hatte sie hart an sich gearbeitet.
Sie hatte sich einen besseren Therapeuten gesucht als den, den ihre Eltern für sie ausgewählt hatten, und eine ordentliche Diagnose stellen lassen. Zumindest wusste sie jetzt, dass ihr eigenartiges Verhalten in Bezug auf Gigi auf Verlustangst zurückzuführen war – eines der Symptome ihrer Krankheit.
Doch es wäre nur allzu einfach, ihr Verhalten mit dieser Krankheit zu entschuldigen und Gigi anzulügen, nur damit ihre Freundin ihr verzieh und sie sich wieder sicherer fühlte. Um ihr anschließend das neue Liebesglück zu vermiesen. Wer tat seiner besten Freundin so etwas an?
Doch nur ein völlig verzweifelter, psychisch labiler Mensch. Das wollte sie nicht mehr sein.
Darum war sie nun dabei, ihr Leben von Grund auf umzukrempeln.
Vor ein paar Tagen hatte sie sich für einen Kurs in Kostümdesign angemeldet. Es musste doch noch ein anderes Leben als die tagtägliche Arbeit im Kabarett für sie geben.
Ihre Entscheidung hatte ihr das nötige Selbstvertrauen gegeben, diese Flugreise alleine zu bewältigen.
Was sie bei all ihren Vorbereitungen nicht einkalkuliert hatte, war die Begegnung mit einem großen dunklen Macho-Typen, der sie auf dem Rückweg vom WC einkesselte, wo sie fast ihren gesamten Mageninhalt entleert hatte.
Er hatte sie angesehen, als ob etwas nicht stimmte mit ihr. Als sei sie defekt. Dabei hatte sie gerade eine monatelange Therapie hinter sich, um genau solche Gedanken wie diese endlich aus ihrem Kopf herauszubekommen.
Lulu bemerkte, wie ihre Hand zitterte, als sie dem freundlichen Flughafenangestellten, der ihr seine Hilfe mit dem Gepäck angeboten hatte, zeigte, welcher ihr Koffer war.
Warum war dieser Grobian aus dem Flugzeug nicht genauso hilfsbereit gewesen? Stattdessen hatte er sie sogar beschimpft. Und das, wo sie den gesamten Flug über so gelitten hatte. Immer wieder hatte sie sich in der Toilette übergeben müssen. Bis ihr Magen komplett leer war.
Vergiss ihn einfach, rief sie sich energisch zurecht. Wahrscheinlich hat er dich schon längst aus seinem Gedächtnis gelöscht.
Als sie endlich mit ihrem Trolley in der Ankunftshalle ankam, fühlte sie sich ziemlich matt. Sie war froh, wenn sie endlich Susie und Trixie in die Arme schließen konnte, die beiden anderen Brautjungfern.
Jetzt in diesem Moment lagen Lulus Nerven blank. Für weitere Herausforderungen war sie nicht gewappnet. Sie wollte nur noch in Ruhe ankommen, und das ohne erneute Zwischenfälle.
Gerade wollte sie ihren Freundinnen texten, da strömte eine Gruppe Reisender auf sie zu, und sie stieß rücklings gegen einen warmen harten Körper. Einen unglaublich harten Körper. Definitiv maskulin, wenn man von seiner Größe und dem Gewicht seiner starken Hände ausging, die auf ihren Schultern ruhten, um sie vor einem Sturz zu bewahren.
Dann sprach er einige Worte, und Lulu erstarrte.
Sie kannte die Stimme.
Dieu! Es war der Machotyp aus dem Flugzeug.
Lauf so schnell du kannst!
Doch ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Sie war so verletzlich. Sie hatte diesem Mann nichts entgegenzusetzen. Auch wenn sie wusste, dass er ihr nichts antun durfte. Das Gesetz schützte sie schließlich. Aber sie hasste dieses Gefühl. Es strengte sie an, immer stark sein zu müssen.
Umso mehr verwunderte es sie, warum sie ihren Blick nicht von seinem sinnlichen Mund abwenden konnte. Fasziniert starrte sie auf den leichten Schatten um sein Kinn herum, dort, wo er sich am Morgen sicher rasiert hatte. Er war wirklich ein sehr maskuliner Typ.
Doch Lulu ermahnte sich, dass sie maskuline Männer im Grunde hasste. Es gefiel ihr nicht, wie rücksichtslos sie sich durchboxten im Leben und sich durch bloße Einschüchterung Dinge erlauben konnten, die Frauen sich nicht leisten durften. Diese Männer machten sie nervös. Wobei dieser Mann sie nicht unbedingt nervös machte – es war etwas anderes.
Und dieses andere machte ihr zu schaffen. Obwohl sie wusste, was für ein Tyrann er war. Aber er war mehr als das. Er war auch wunderbar groß gewachsen und breitschultrig und hatte ein unglaublich hübsches Gesicht. Die markanten Wangenknochen, die verführerischen Lippen und die goldbraunen Augen wirkten geradezu magnetisch im Zusammenspiel mit seiner olivfarbenen gebräunten Haut.
Sein leicht zerzaustes kastanienbraunes Haar sah so füllig und seidig aus, dass es ihr direkt in den Fingern juckte, es zu berühren. Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten.
Sie mochte ihn nicht. Und er schaute sie an, als ob er sie ebenso wenig mochte.
Das war gut. Dann ging es zumindest beiden so. Was das nicht mögen anging.
Auch wenn er ein wenig Gary Cooper ähnelte, als dieser noch am Beginn seiner Karriere gestanden und mit jedem Filmsternchen geschlafen hatte, dessen er habhaft werden konnte.
Nicht so wie Gregory Peck. Gregory Peck war einer von den Guten. Vernünftig und mit anständigen Manieren. Der hätte niemals eine Frau beleidigt.
Jetzt hör schon auf, ihn so anzustarren und mit Filmstars aus Hollywood zu vergleichen.
„Buenas tardes, Señorita“, sagte er mit einer Stimme, die klang, als machte er ihr gerade ein unmoralisches Angebot. „Ich nehme an, Sie suchen nach mir.“
Lulu unterdrückte das aufkeimende Gefühl von Erregung, die seine tiefe Stimme in Verbindung mit dem spanischen Akzent in ihr auslöste.
Nein. Nein. Und nochmals nein. Sie würde es nicht zulassen, dass sie seiner Anziehungskraft erlag.
Instinktiv machte sie sich größer als sie war. „Nein. Ganz sicher nicht.“
Alejandro zwang sich, der Versuchung zu widerstehen und sich einfach umzudrehen und zu gehen. Damit die kleine Princesita auf die harte Tour erfuhr, dass er gar nicht vorhatte, sie anzugraben. Aber schließlich hatte er seinem Freund versprochen, ihm einen Gefallen zu tun, und das bedeutete, dass er sich zusammenreißen musste.
„Alejandro du Crozier“, erklärte er und reichte ihr die Hand.
Lulu blickte auf seine Hand, als ob er in diesem Moment eine Waffe auf sie richtete.
„Bitte lassen Sie mich in Ruhe“, entgegnete sie einen Tick zu aggressiv und wandte sich demonstrativ von ihm ab.
„Ich wollte nicht mit Ihnen flirten, Señorita“, verteidigte er sich und war selbst überrascht, wie ruhig er blieb.
Sie reagierte nicht.
„Sie haben mich wohl nicht verstanden, Lulu“, fuhr er fort.
Der Klang ihres Namens erzielte den Effekt, den er beabsichtigt hatte. Verwirrt wandte sie sich wieder zu ihm um und musterte ihn misstrauisch.
„Woher wissen Sie meinen Namen?“
Lächelnd verschränkte er die Arme vor der Brust.
„Ich bin Ihre Mitfahrgelegenheit“, erklärte er trocken. „Sie haben die große Ehre, von mir höchstpersönlich zu der Hochzeit gefahren zu werden.“
Lulu glaubte, sich verhört zu haben. Und wurde prompt rot, als sie seinen Blick auffing. Er betrachtete sie, als wüsste er ganz genau, wie sie in Unterwäsche aussah.
Kurz zuvor im Flugzeug hatte er ihr noch das Gefühl gegeben, sie sei ein grässliches Insekt, das er am liebsten zerdrücken wollte.
Peinlicherweise wäre sie in der nächsten Sekunde fast noch über ihren eigenen Koffer gestolpert, als sie einen Schritt zurücktrat. Geistesgegenwärtig packte er sie beim Arm und rettete sie somit vor dem sicheren Fall.
„Vorsichtig, Bella“, murmelte er, und sein heißer Atem streifte an ihrem Ohr entlang.
Seine plötzliche Nähe ließ ihre Knie zittern. Energisch versuchte sie, sich von ihm loszureißen. „Lassen Sie mich los, und dann lassen Sie mich vorbei“, fauchte sie.
„Señorita“, erwiderte er und erhob seine Stimme, während er sich weigerte, den Griff um ihren Arm zu lockern. „Ich bin Alejandro du Crozier, und ich werde Sie zu der Hochzeitsfeier fahren, ob Sie es nun glauben, oder nicht.“
Unsicher erwiderte sie seinen Blick. Er wusste also von der Hochzeit. Das konnte nur bedeuten, dass er ebenfalls eingeladen war.
„Ich hatte eigentlich vor, mit meinen Freundinnen zu fahren.“ Im gleichen Moment realisierte sie, dass es wohl eine Planänderung gegeben haben musste.
„Davon weiß ich nichts. Ich weiß nur, dass ich Sie mitnehmen soll.“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er nicht gerade begeistert darüber war.
Was völlig in Ordnung ist, überlegte Lulu. Dann waren sie sich in dieser Sache schon mal einig. Erneut versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, und dieses Mal ließ er sie los.
„Ich steige aber nicht zu fremden Männern ins Auto, Mr. … Mr. …“
Seufzend zog er sein Handy aus der Hosentasche und hielt es ihr entgegen. Mit gerunzelter Stirn las sie die auf dem Display angezeigte Nachricht, um dann entgeistert zu ihm aufzusehen.
„Khaled hat Sie geschickt?“
Erst als er nicht antwortete, fiel ihr auf, wie dicht er vor ihr stand. Und warum schaute er so interessiert auf ihre Lippen? Was sie noch viel mehr irritierte, war ihr eigenes wild pochendes Herz.
Der Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen mit den herrlich langen Wimpern traf ihren mit einer unerwarteten Intensität.
„Wenn Sie nicht vorhaben, die Strecke zu laufen, Chica, dann schlage ich vor, Sie steigen jetzt ein.“
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab und ging davon. Offenbar erwartete er, dass sie ihm folgte.
Fassungslos sah Lulu ihm nach. Er war der unmöglichste und unfreundlichste Mann, der ihr je begegnet war.
Entschlossen griff sie nach ihrem Koffer, während die schwere Reisetasche schmerzhaft gegen ihr Bein schlug. Sie sah es gar nicht ein, drei oder sogar vier Stunden mit ihm im Auto zu sitzen.
Sie würde sich ein Taxi suchen und auch ohne ihn nach Schloss Dunlosie kommen. Zum Glück konnte sie sich das leisten. Es war ihr immer wichtig gewesen, finanziell unabhängig zu sein. Geld bedeutete Schutz und Freiheit für eine Frau. Das hatte sie aus der Beziehung ihrer Eltern gelernt. Ihre Mutter hatte es lange Jahre nicht geschafft, ihrem gewalttätigen Vater zu entkommen.
Doch als sie das Flughafengebäude verließ, sank ihr Mut. Draußen regnete es Bindfäden. Typisches Edinburgh-Wetter. Lulu griff in die Seitentasche ihres Koffers, um ihren Regenschirm herauszuholen. Dann erspähte sie einen Taxistand. Doch es standen bereits unzählige Wartende an.
Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich in die Schlange einzureihen. Fluchend stakste sie mit ihren hochhackigen Stilettos durch eine Pfütze. Das schmutzige Wasser spritzte mit jedem Schritt auf ihre seidene Strumpfhose. Die Tatsache, dass sie von ihren Angstattacken in den letzten paar Stunden noch immer völlig erschöpft war, machte das Ganze nicht besser. Lulu wünschte sich nichts sehnlicher, als in einem warmen, bequemen Autositz die Schuhe von den Füßen zu streifen, den Kopf an die Scheibe zu lehnen und das regnerische schottische Wetter zu beobachten.
Sie hatte sich zu früh gefreut.
Denn in diesem Moment kreuzte ein roter Jaguar vor ihr die Straße.
Das Beifahrerfenster fuhr herunter.
„Steigen Sie ein“, forderte er sie auf.
Lulu wusste, sie hatte eine Entscheidung zu treffen.
Zögernd hob sie ihren Regenschirm ein wenig an, um nachzusehen, ob die Schlange noch immer so lang war. Dann sah sie sich ihre Mitfahrgelegenheit an.
Attraktiv, sexy und viel zu sehr von sich überzeugt.
Sofort meldete sich ihr Stolz wieder. Sie würde definitiv nicht in einen Wagen zu einem Mann steigen, der nicht einmal den Anstand besaß, ihr die Tür zu öffnen.
In diesem Augenblick hätte Lulu am liebsten ihre Eltern angerufen, die heute Abend zum Schloss reisen würden. Aber was für einen Eindruck würde das machen? Und Gigi konnte sie ausgerechnet an ihrem Hochzeitswochenende nicht um Hilfe bitten.
Sie rang nach Luft, als ein weiterer Schwall schmutzigen Wassers über ihre Füße schwappte, dieses Mal von einem vorbeifahrenden Auto. Ihre hübschen blauen Schuhe waren hinüber. Und ihr Stolz verließ sie.
Dieu, sie würde das hier bereuen, das wusste sie genau.
Dennoch griff sie nach ihrem Koffer und zog ihn hinter sich her zur Rückseite des Wagens. Es wäre dumm, wenn sie die Chance nicht nutzte. Auf ein freies Taxi würde sie bei dem Ansturm ewig warten müssen.
Während sie vor dem Kofferraum auf Alejandro wartete, nahm der Regen zu. Er ließ sich Zeit. Mit schmalen Augen beobachtete sie, wie er betont lässig aus dem Wagen stieg und sich langsam auf sie zu bewegte. Er hatte etwas Wildes an sich, das ihn außergewöhnlich maskulin und selbstbewusst wirken ließ. Seine breiten Schultern und die geschmeidigen Bewegungen erinnerten an ein Raubtier.
Aber Lulu wusste, der erste Eindruck täuschte oft. Hinter einer harten Schale steckte oft ein weicher Kern, ein Mensch mit Fehlern und Schwächen.
Sie würde wetten, dass dieser Mann hier eine Menge davon aufzuweisen hatte. Zunächst einmal konnte er Frauen nicht ausstehen. Was er ihr alles an den Kopf geworfen hatte im Flugzeug … Und wie missbilligend er den Mund verzogen hatte, als er auf ihre Schuhe geschaut hatte …
„Würden Sie bitte den Kofferraum öffnen, ich möchte nicht länger im Regen stehen“, bat sie ungeduldig und richtete sich unwillkürlich auf. So leicht würde sie sich nicht von ihm einschüchtern lassen, auch wenn er sie noch so spöttisch anschaute. Es ärgerte sie zudem, dass sie trotz der hochhackigen Schuhe gezwungen war, zu ihm aufzusehen.
Mit einem unmerklichen Lächeln kam er ihrer Bitte nach und begann, ohne ein weiteres Wort ihr Gepäck einzuladen. Mit beneidenswerter Leichtigkeit verstaute er den schweren Koffer im Kofferraum. Als er nach ihrem Handgepäck griff, schrie Lulu auf.
„Doux Jésus, bitte nicht!“
Fragend sah er sie an und hielt inne.
„Da sind Kristallgläser drin. Mein Hochzeitsgeschenk für Gigi und Khaled“, erklärte sie. „Geben Sie mir die Tasche, bitte.“
Zwar folgte er ihrer Aufforderung, jedoch ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Auf einmal war sie sich seiner Nähe mehr bewusst als ihr lieb war. Der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase – etwas Holziges vermischt mit dem Duft seiner Haut. Eine männliche Mixtur, die sie nicht gewöhnt war.
Verwirrt sah Lulu zu ihm auf. Er hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Der Anblick seines eigenwilligen Kinns und der sinnlichen Linie seiner Lippen machten es nicht besser.
Hastig nahm sie ihm die Reisetasche aus den Händen, um sie vorsichtig neben ihrem Koffer zu verstauen.
Was für ein grober, widerlicher Kerl!
Nachdem sie die Kofferraumklappe geschlossen hatte, ging sie um den Wagen herum und wartete mit ihrem Regenschirm vor der Beifahrertür. Doch er sah es scheinbar gar nicht ein, ihr die Tür zu öffnen und lief direkt zur Fahrerseite des Wagens.
„Der widerliche Kerl will, dass Sie endlich einsteigen“, rief er ihr über das Wagendach zu.
Zwei Dinge wurden Lulu in diesem Augenblick bewusst. Erstens: Sie hatte laut gedacht. Und zweitens: Er verzichtete darauf, ein Gentleman zu sein und ihr die Tür zu öffnen.
Da ihr Gepäck nun verstaut war, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als in seinen Wagen zu steigen. Auch wenn sie sich in diesem Moment wünschte, doch auf ein Taxi gewartet zu haben.
Als wollte er sie daran erinnern, warum sie ihre Entscheidung getroffen hatte, prasselte der Regen noch härter auf das Autodach.
Warum passiert mir das nur?
Seufzend schloss sie ihren Regenschirm, öffnete die Wagentür und ließ sich auf den Beifahrersitz sinken.
„Bitte nicht das Polster volltropfen“, fuhr er sie von der Seite an.
Lulu runzelte die Stirn und sah sich suchend um. Wo sollte sie den Schirm denn lassen?
„Hier.“ Mit einer schnellen Bewegung nahm er ihn ihr ab und warf ihn auf seinen Mantel auf dem Rücksitz. Dann wandte er sich wieder zu ihr um und stöhnte entnervt, als er sah, dass es neben ihr reinregnete. „Schließen Sie doch endlich die verdammte Tür!“
Für eine Sekunde sah sie aus, als würde sie jeden Moment aus dem Wagen springen. Dann beobachtete er zu seinem Entsetzen, wie sie die Wagentür noch weiter öffnete, sich nach draußen beugte und ihr Körper von heftigen Würgeanfällen erschüttert wurde.
Schnell sprang er aus dem Wagen und kam zu ihr herum. Er kniete sich zu ihr nieder und erschrak, als er sah, wie kreidebleich ihr Gesicht war. Das konnte sie unmöglich nur spielen. Es ging ihr tatsächlich nicht gut. Und ihm wurde klar, dass er wohl einige Dinge falsch verstanden hatte. Mitfühlend tupfte er ihr mit einem Taschentuch die Tränen von den Wangen.
Wie zerbrechlich sie auf einmal wirkte mit diesen großen feucht schimmernden Augen und dem leidenden Ausdruck im Gesicht. Ihr extravagantes Outfit und die hohen Schuhe hatten darüber hinweggetäuscht. Vielleicht war das sogar beabsichtigt, und sie nutzte ihre Kleidung als Schutzschild …
Als er die Hände auf ihre Schultern legte, um ihr dabei zu helfen, sich wieder aufzurichten und zurück ins trockene Auto zu gelangen, wurde er von ihrer unerwarteten Reaktion förmlich überwältigt. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich plötzlich an ihn und schlang die Arme um seinen Hals.
Ihr betörender Duft ließ ihn fast die Kontrolle über sich verlieren. Für einen Augenblick fragte er sich, ob sie ihn mit dieser Blitzaktion anmachen wollte. Doch das Gefühl ihres wild pochenden Herzens an seiner Brust sagte ihm, dass sie panische Angst hatte. Ihm war, als drückte er einen kleinen nervösen Vogel an sich. Wovor hatte sie bloß eine solche Angst?
Sicher ist sie bloß übermüdet, sagte er sich. Oder sie hatte im Flugzeug doch zu viel Alkohol getrunken. Und nun musste er sich mit der unliebsamen Aufgabe abfinden, eine wodka-trunkene Brautjungfer an ihrem gemeinsamen Reiseziel abzuliefern.
Es musste Wodka sein, denn er konnte keine Alkoholfahne an ihr wahrnehmen. Sie duftete nach Veilchen. Und nach etwas noch Süßerem, ihrer ganz persönlichen weiblichen Note.
Zögernd streichelte er ihr über den Rücken, so wie er es bei einem der Kinder auf der Estancia machen würde, das vom Pferd gefallen war. Dabei ignorierte er unter größter Anstrengung die Tatsache, dass sie eine unglaublich attraktive junge Dame war, die in diesem Moment ihre Brüste gegen seinen Oberkörper presste.
„Es geht schon wieder“, murmelte sie matt. Er glaubte ihr nicht so recht, denn noch immer wirkte sie völlig entkräftet. „Bitte erzählen Sie niemandem davon“, flüsterte sie kaum hörbar an seinem Ohr.
Es war eine seltsame Bitte, doch es schien, als meinte sie es ernst.
Alejandro räusperte sich und half ihr zurück in den Sitz. „Kommen Sie, wir schnallen Sie erst mal an. Sind Sie wirklich sicher, dass es Ihnen besser geht?“
Sie nickte bloß.
Nachdem er auf dem Fahrersitz Platz genommen und ihr eine Flasche Wasser gereicht hatte, aus der sie dankbar einige Schlucke nahm, entschuldigte sie sich. „Es wird bestimmt nicht wieder vorkommen.“ Verlegen vermied sie es, ihn anzusehen.
„Sollen wir irgendwo halten und etwas essen? Damit Sie etwas in den Magen bekommen?“
Angeekelt verzog Lulu das Gesicht. „An Essen mag ich gerade gar nicht denken.“
„Dann werden Sie aber wenigstens wieder nüchtern.“
„Ich bin nüchtern“, entgegnete sie empört und warf ihm einen verwirrten Seitenblick zu.
Er wirkte nicht besonders überzeugt. „Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, Querida, aber Sie haben während des Flugs nicht gerade sicher auf den Beinen gewirkt. Außerdem haben Sie gelallt. Und sich gerade fast übergeben.“
„Wenn Sie es wirklich unbedingt wissen wollen …“, stieß sie hervor. „Ich habe ein Beruhigungsmittel auf leeren Magen genommen und es nicht vertragen. Das ist alles.“
„Nun, das war nicht besonders klug.“
Er ignorierte ihren verletzten Gesichtsausdruck bewusst. Zu oft hatten Frauen versucht, ihn zu manipulieren. Darauf ließ er sich nicht mehr ein. Seine letzte Scheidung lag noch nicht lange zurück, und er hatte dazugelernt. Das Problem war nur ihre Wirkung auf ihn. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto weniger konnte er sich ihr entziehen.
Verärgert über sich selbst startete er den Wagen und reihte sich in den Verkehr ein. „Das war fast so unklug wie Ihre Entscheidung, Ihren Sitzplatz nicht zu wechseln.“
Jetzt hatte er sie in eine Ecke gedrängt, aus der sie nicht so leicht wieder herauskäme. Wie sollte sie darauf reagieren?
„Das geht Sie gar nichts an“, stotterte sie und wich seinem bohrenden Blick aus. Sie würde ihm auf keinen Fall verraten, was der wahre Grund für ihr eigenartiges Verhalten war. Denn das würde nur zu weiteren unangenehmen Fragen führen.
„Entschuldigen Sie, wenn ich es mir doch herausnehme, etwas dazu zu sagen, aber Sie haben sich im Flugzeug benommen wie ein verwöhntes Gör. Vielleicht ahnen Sie nun, warum ich Sie genau so behandelt habe.“
Lulu wäre am liebsten gestorben vor Scham.
„Sie sind ein schrecklicher Mann“, zeterte sie. „Ich hoffe, wir laufen uns an diesem Hochzeitswochenende nicht allzu oft über den Weg.“
„Schätzelein, Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund.“
Nachdem sie etwa zwei Stunden gefahren waren, hielten sie an einer Tankstelle. Lulu betätigte den Fensterheber und kniff die Augen zusammen, um die Schlagzeile der Zeitung hinter dem Tankstellenfenster zu lesen: Promi-Hochzeit. Oligarch bringt private Sicherheitsarmee mit.
Es war nicht gerade ermutigend, zu wissen, dass sie gerade genau dorthin fahren würde.
Ebenso entmutigend war der Anblick ihres Fahrers, der in diesem Moment auf sie zukam. Denn zu ihrem eigenen Ärger fühlte sie sich immer mehr zu ihm hingezogen. Sein prächtiger sportlicher Körper steckte in einer schlicht, aber perfekt geschnittenen dunklen Hose und einem wertvoll aussehenden dunkelblauen Hemd. Wie ein Mann, der an geheimen militärischen Missionen teilnahm und Felswände ohne Seil und Sicherung emporklomm. Jemand, der seinen Körper als Waffe einsetzte, weil das allein ausreichte.
Lulu zwang sich, in die andere Richtung zu sehen.
Oui, dieser Mann war ihr neuestes kleines Problem. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie für diesen Latin-Lover-Typ empfänglich war, für den so viele andere Frauen schwärmten. Es mussten die Hormone sein. Sie würde sich sehr anstrengen müssen, ihre Fantasie im Zaum zu halten.
Als er sich dem Wagen näherte, drehten die Leute sich nach ihm um. So wie es aussah, hatte er nicht nur auf sie diese Wirkung. Es war diese Aura von größtem Selbstvertrauen, die ihn umgab. Wobei dieses Selbstvertrauen sicher auch daher rührte, dass er es gewohnt war, sich um die kleinen Dinge im Leben nicht kümmern zu müssen. Für einen Alejandro du Crozier war es sicher ungewöhnlich, sein eigenes Auto zu betanken. Wenngleich er sich zugebenermaßen ziemlich geschickt dabei angestellt hatte.
Sie hatte ihn heimlich durch den Seitenspiegel dabei beobachtet, wie er den Benzinschlauch in den Tank gesteckt hatte. Es hatte etwas, diesen muskulösen männlichen Arm mit der dunklen Behaarung zu betrachten, wie er mit festem Griff den Stutzen einführte. Einer Frau gingen dabei allerlei erotische Bilder durch den Kopf.
Jedoch musste sie sich eingestehen, dass diese Bilder eher aus den Büchern stammten, die sie gelesen hatte. Sie selbst hatte nicht gerade viel vorzuweisen, was sexuelle Erfahrungen anging.
Alejandro warf ihr ein in Folie gewickeltes Sandwich in den Schoß, als er neben ihr in den Wagen stieg.
„Käse-Schinken. Es ist nicht viel, aber es sollte Sie hoffentlich satt machen bis wir Dunlosie erreichen.“
Lulu fragte sich insgeheim, ob sie sich vielleicht doch in ihm getäuscht hatte. Auf jeden Fall war es eine nette Geste von ihm, ihr etwas zu Essen mitzubringen.
„Danke“, murmelte sie leicht verunsichert und konzentrierte sich darauf, das Sandwich aus der Folie zu wickeln, um ihn nicht ansehen zu müssen. Doch sie spürte seinen Blick.
„Möchten Sie ein Stück?“, bot sie an.
Eigentlich hatte Alejandro das Sandwich für sie gekauft, um sie ein wenig zu provozieren. Er hatte erwartet, dass sie die Nase rümpfen würde bei solchem Fastfood. Umso überraschter war er nun zu sehen, mit welchem Heißhunger sie sich über das Sandwich hermachte.
„Ich hatte ein ausgiebiges Frühstück, danke“, entgegnete er knapp.
Eine halbe Stunde später ging Alejandros Handy, und er stellte die Freisprechanlage ein. Eine männliche Stimme sprach auf Spanisch, und Alejandro antwortete in der gleichen Sprache.
Fasziniert hörte Lulu zu, wie er mit seiner tiefen, melodischen Stimme in seiner Muttersprache sprach. Es hatte etwas Hypnotisches. Plötzlich sprach ein Schotte in die Leitung, und Lulu schrak auf.
„Wir freuen uns sehr, Sie hier in Edinburgh begrüßen zu dürfen, Mr. du Crozier, und wir gratulieren Ihnen herzlich zu dem Sieg in Palermo!“
Was bedeutete das jetzt?
Alejandro lachte. „Vielen Dank! Es war ein gutes Match.“
Was war denn jetzt auf einmal mit ihm los? Dieses Lächeln, dieser Charme? So kannte sie ihn gar nicht.
„Wir werden morgen unseren Vorsitzenden vorbeischicken, damit Sie einen Rundflug über das Gelände machen können. Sind Sie allein, Mr. du Crozier?“
„Möglicherweise kommt noch eine Person dazu.“ Mit diesen Worten warf er ihr einen Seitenblick zu. „Zwei Uhr klingt gut.“
Als er das Gespräch beendete, zwang Lulu sich, keine neugierigen Fragen zu stellen. Was ihr reichlich schwerfiel.
„Ich suche hier in der Gegend nach einem Grundstück“, erklärte er, die Augen auf die Straße gerichtet. „Ich möchte in einen Golfplatz investieren und habe schon ein schönes Fleckchen an der Küste in der Nähe vom Schloss ins Auge gefasst.“
„Sind Sie professioneller Golfspieler?“, erkundigte sie sich zaghaft.
„Ich bin der Kapitän des Poloteams für Südamerika“, entgegnete er und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Offenbar erwartete er, dass sie beeindruckt war. „Über die letzten Spiele wurde ausgiebig in der Presse berichtet.“
Auf einmal erinnerte sie sich vage daran, seinen Namen schon einmal irgendwo gehört zu haben.
„Ich bin ein kleines bisschen berühmt, Lulu. Was sagen Sie dazu?“
Er lachte, als sie die Stirn runzelte und zugleich nicht allzu beeindruckt auszusehen versuchte. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass es sie gar nicht interessierte, wer er war oder wen er kannte. Sie würde ihn keines weiteren Blickes würdigen sobald sie am Schloss ankamen. Er war für sie nichts weiter als ihre Mitfahrgelegenheit.
Um sich abzulenken, zog sie ihr Handy aus ihrer Handtasche. Irgendwie musste sie sich seiner magnetischen Ausstrahlung entziehen.
Irritiert blickte sie auf, als er das Radio einschaltete.
„Muss das unbedingt sein?“
Herausfordernd sah er sie von der Seite an. „So vergeht die Zeit schneller.“
„Ich wollte eigentlich etwas arbeiten.“
„Arbeiten?“
„Hochzeitsspiele vorbereiten“, erklärte sie stolz. „Ich bin die Trauzeugin.“
Alejandro schlug mit der Hand aufs Lenkrad. Dann begann er zu lachen. „Santa Maria“, entfuhr es ihm.
„Was ist denn so lustig?“
Als er nicht aufhörte zu lachen, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, und sie wirkte mit einem Mal sehr jung, und absolut hinreißend.
Er wollte nicht, dass sie hinreißend aussah. Unauffällig riskierte er einen weiteren Blick. Oh ja, sogar sehr hinreißend. Kein Wunder, dass sie hohe Ansprüche hatte. Er bezweifelte, dass es auch nur einen einzigen Mann auf der Welt gab, der diesen großen braunen Augen und dieser verletzlichen Art widerstehen konnte.
Es würde ihn eifersüchtig machen. Jedenfalls wenn er das, was sich hier anbahnen könnte, weiterverfolgen würde. Doch seit dem Tag, an dem er die Ranch und sämtliche Schulden seines Vaters geerbt hatte, hatte er dazugelernt. Seine Mutter hatte nicht aufgehört, immer mehr Geld zu verlangen, während seiner Ehefrau ihre Freiheit wichtiger war als er. Seine enterbten Schwestern dagegen gaben ihm die Schuld an ihrer Misere. Am Ende war er das Gefühl nicht mehr losgeworden, alle enttäuscht zu haben.
Und sensible Frauen erforderten noch viel mehr Aufmerksamkeit. Mehr als er zu geben in der Lage war.
„Ich will wissen, warum Sie lachen“, beharrte sie.
„Den werde ich mir vorknöpfen“, stieß er noch immer lachend hervor. „Ich rede von Khaled Kitaev. Vielleicht war es auch nur das Schicksal. Oder das Universum.“
„Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie reden.“
„Ich bin auch Trauzeuge, Querida!“
Entgeistert sah sie ihn an. Das Handy fiel ihr aus der Hand und rutschte über ihren Satinrock auf den Boden.
„Das glaub’ ich nicht!“
„Doch, es ist so.“
„Aber wir können uns doch nicht ausstehen …“ Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund, als könnte sie gar nicht fassen, was ihr da gerade herausgerutscht war.
Erstaunlicherweise hatte er gerade realisiert, dass er sie doch mochte. Auch wenn sie ein wenig verwöhnt und egozentrisch wirkte. Er lebte schließlich in einer Welt, wo ihm alle Frauen zu Füßen lagen und alles dafür gäben, ein paar Stunden mit ihm zu verbringen. Darum wirkte Lulu Lachaille auf ihn so erfrischend anders.
Und auch sie würde ihm nicht widerstehen können. Dafür müsste er nur die richtigen Knöpfe bei ihr drücken. Darin war er Experte. Vielleicht war sie genau das, was er sich für dieses Wochenende vorgestellt hatte.
Nämlich Abwechslung von einem Spektakel, das sich Hochzeit nannte. Wo sich die Beteiligten ewige Liebe und Treue schworen, um ihren Schwur meist schon kurze Zeit darauf zu brechen.
Khaled und Gigi schienen eines der wenigen Ausnahmepaare zu sein, das sich wirklich und aufrichtig liebte.
Und er mochte Gigis kleine süße Freundin. Mit ihren hübschen dunklen Locken und dem rosigen Schmollmund und diesem typisch französischen Gesichtsausdruck, der sie leicht arrogant und gelangweilt erscheinen ließ. Als sei es seine Aufgabe, sie zu bespaßen.
„Ich würde eigentlich nicht sagen, dass ich Sie nicht mag“, erwiderte er und betrachtete ihre hübschen Knie, die unter ihrem Rock hervorschauten. Sie sah seinen Blick und beeilte sich, den Rock mit den Händen glattzustreichen.
„Ich will gar nicht, dass Sie mich mögen“, entgegnete sie ein wenig naserümpfend. „Ich will, dass wir professionell miteinander umgehen. Wie sich das für Trauzeugen gehört. Nicht mehr und nicht weniger.“
Lulu versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass ihr mit einem Mal sehr heiß geworden war. Flirtete er mit ihr? „Ich meine es ernst“, sprach sie weiter, als er schwieg. „Ich erwarte, dass Sie höflich zu mir sind, damit die Leute nicht merken, dass etwas nicht stimmt.“
Dabei stimmt etwas ganz gewaltig nicht, überlegte Lulu und schaute ihn verstohlen von der Seite an. Warum musste er nur so ein sexy Lächeln haben? Man konnte es gerade so erahnen, denn es umspielte lediglich seine Mundwinkel. Und er sah sie immer wieder an, obwohl sie das gar nicht wollte. Es löste ein ungewohntes Gefühl in ihr aus, das sie verunsicherte.
Alejandro du Crozier flirtete mit ihr, und sie genoss es auch noch. Lag es daran, dass sie genau wusste, sie würde ihn nach diesem Wochenende nicht wiedersehen?
Es war ja nicht so, als wäre er ernsthaft interessiert an ihr. Sie saßen bloß ein paar Stunden im Auto zusammen und würden ein Wochenende gemeinsam verbringen. Vielleicht war es vollkommen in Ordnung, für ein paar Stunden so zu tun, als ob das alles ganz normal war? Dass er mit ihr flirtete und sie deswegen rot wurde?
„Meinen Sie nicht, wir sollten uns duzen?“, schlug er nun vor. „So als Trauzeugen?“
Lulu nickte nach kurzem Zögern, als im selben Moment von draußen ein lauter Knall ertönte. Es klang, als wäre etwas direkt unter ihnen explodiert. Lulu stieß einen kleinen Schrei aus und klammerte sich an ihren Sitz, während Alejandro lautstark auf Spanisch fluchte. Er bremste energisch, und all die Hitze, die sich zwischen ihnen aufgestaut hatte, verschwand in dem Augenblick, als das Auto am Straßenrand zum Halten kam.
„Was ist los, warum halten wir?“, fragte Lulu und spürte das altvertraute Gefühl von Panik in sich aufsteigen. Sie würde hier draußen, mitten im Nirgendwo, auf keinen Fall aussteigen!
„Wir haben einen Platten. Der linke Hinterreifen ist geplatzt.“
Wenigstens war es kein Motorschaden. Das bedeutete, sie konnte ganz ruhig und sicher hier sitzen bleiben. Es würde nicht allzu lange dauern. Das würde sie schon irgendwie schaffen. Hektisch kramte sie ihr Telefon hervor, damit sie etwas hatte, worauf sie sich fokussieren konnte.
In der darauffolgenden Stille sah sie irritiert auf. Er beobachtete sie, was ihr unangenehm war, denn sie wollte nicht, dass er merkte, wie nervös sie war. „Dann wechseln Sie … ich meine, dann wechsel halt den Reifen!“, forderte sie ihn ungeduldig auf, ehe sie sich wieder ihrem Handy zuwandte.
Verwundert zog Alejandro die Augenbrauen hoch. Was fiel ihr ein, so unhöflich zu ihm zu sein?
Mit einem tiefen Atemzug stellte Alejandro den Motor ab und lehnte sich in seinem Sitz zurück, um sie in Ruhe von der Seite zu betrachten. Eine verwöhnte kleine Pariserin hatte er sich angelacht. Er war doch nicht ihr verdammter Mechaniker. Sein Blick blieb an ihren eigenwilligen weichen Lippen hängen. Er hätte gerade durchaus Lust, etwas ganz anderes zu reparieren.
Stattdessen langte er nach ihrem Telefon und nahm es ihr aus den Händen, um es auf den Rücksitz zu legen.
Es war an der Zeit, zu ergründen, was es mit seinem sexuellen Interesse an ihr auf sich hatte.
Lulus überraschter Gesichtsausdruck sprach Bände. Auch sie würde in wenigen Augenblicken wissen, was zwischen ihnen war.
Er beugte sich zu ihr herüber, und ihre Augen weiteten sich. Sie schien die Luft anzuhalten, doch sie stieß ihn nicht weg, als er seine Finger durch ihre seidig weichen Locken gleiten ließ und seine Lippen mit geübter Lässigkeit auf ihre presste.
Ihr unterdrückter Aufschrei erlaubte es ihm, in ihren süßen Mund zu dringen. Eigentlich hatte er ihr nur einen schnellen, stürmischen Kuss verpassen wollen. Doch Lulu wehrte ihn nicht ab, ganz im Gegenteil, sie schlang ihre Arme um seine Schultern und begann zögernd, seine Küsse zu erwidern.
Und er ließ sie gewähren.
Es ging nicht mehr darum, zu zeigen, dass er der Stärkere war.
Zärtlich strich sie mit der Hand über seine Schulter, während sie hingebungsvoll seinen Mund mit ihren Lippen liebkoste.
Sie war dabei, ihn zu verführen. Und es funktionierte. Auf einmal wurde er von einer Welle der Leidenschaft erfasst, die ihn gar nicht mehr losließ.
Was in dieser Situation – in einem liegen gebliebenen Wagen am Straßenrand, mitten im Nirgendwo Schottlands – etwas ungünstig war.
Da er sich nicht mehr zu helfen wusste, fing er an, sich vorzustellen, wie er in Eislöcher in Reykjavik sprang. Oder gegen ein schwaches Team verlor. Oder dass ein Foto von ihm im Internet auftauchte, wie er sich wie ein unkontrollierter Teenager über dieses Mädchen hermachte.
Was seine Leidenschaft jedoch tatsächlich abflauen lassen sollte, waren die zärtlichen Gefühle, die ihn plötzlich überkamen, als sie sich zurückzog und ihr Gesicht beschämt an seinem Hals verbarg. Eine Geste, die seltsamerweise einen heftigen männlichen Beschützerinstinkt in ihm weckte.
Versonnen strich er ihr über den Rücken. Seine Zuneigung zu ihr wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er wollte sie gar nicht mehr loslassen.
Wie zerbrechlich sie ist …
Lulu spürte, wie Alejandro sich ihr entzog und unterdrückte erneut aufwallende Panik. Denn jetzt konnte sie sich nirgendwo mehr verstecken. Noch vor wenigen Minuten hatte sie wegen des liegen gebliebenen Wagens fast eine Panikattacke bekommen, und auf einmal passierte etwas, das sie in ihren dreiundzwanzig Jahren noch nicht besonders oft erlebt hatte: Dieses aufregende, überwältigende Gefühl, weil ein Mann sie küsste. Und nicht nur irgendein Mann. Sondern dieser Mann. Dieser unfassbar maskuline Mann, der genau wusste, was er tat.
Das Herz wäre ihr fast aus der Brust gesprungen als seine Lippen ihren Mund berührten. Noch nie zuvor hatte sie etwas Aufregenderes in ihrem Leben erlebt.
Sie wartete darauf, dass er etwas sagte. Denn sie selbst brachte gerade kein Wort heraus.
„Jetzt haben wir alles erledigt“, erklärte er nach einigen Sekunden feierlich.
Es waren gar nicht seine Worte, sondern die Art, wie er sie aussprach, die sie erstarren ließ.
Erledigt? Lulu brauchte einen Moment, ehe sie begriff, was er meinte. Hatte ihr Kuss ihn etwa nicht so berührt wie sie? Hatte er bloß ausprobieren wollen, wie sie küsste?
Mon Dieu, wie naiv sie doch war!
Ihr Herz pochte noch immer wie wild in ihrer Brust. Es war ihr bewusst, dass er sie verstohlen beobachtete … und dass er jetzt eine ganze Menge mehr über sie wusste als noch vor wenigen Minuten. Mehr als jeder andere Mann, den sie kannte, musste sie sich zu ihrer tiefsten Beschämung eingestehen. Er hatte sie reingelegt, um sie zu demütigen.
Ehe sie sich versah, hatte sie die Hand erhoben, doch er griff nach ihr, ehe sie ihr Ziel erreichte. „Keine Gewalt, bitte, mi Belleza.“
Mit Genugtuung beobachtete er, wie sie innerlich mit sich kämpfte. Doch so sehr er es auch begrüßte, dass die Machtverteilung zwischen ihnen erneut gefestigt worden war, so sehr war ihm auch bewusst, wie mies er sich verhalten hatte.
In diesem Moment hörte er es. Das Dröhnen.
Ein Blick in den Rückspiegel und er wusste, was auf sie zukam.
Wütend wand sich Lulu aus seinem Griff. „Das machst du nicht noch mal mit mir!“
„Ich verspreche es“, entgegnete er trocken, während er das Geschehen weiterhin im Rückspiegel beobachtete. „Aber ich möchte dich daran erinnern, dass du freiwillig mitgemacht hast“, fuhr er spöttisch fort. „So etwas nennt man gute Chemie, falls du das noch nicht wusstest.“
Irritiert beobachtete er sie dabei, wie sie sich hektisch losschnallte und anschickte, die Beifahrertür zu öffnen.
„Wo zum Teufel willst du hin?“, fuhr er sie an. Diese unerwartete Wendung gefiel ihm überhaupt nicht.
„Irgendwohin, wo ich weit weg von dir bin!“, schnappte sie zurück.
In der nächsten Sekunde schlug sie die Beifahrertür mit einem schrillen Aufschrei wieder zu.
Sie waren umringt von einem Meer aus Hunderten von schwarzköpfigen Schafen. Sie schienen wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein und drängten sich so dicht um den Wagen, dass er leicht schaukelte.
„Ich hätte es vielleicht ein wenig eher erwähnen sollen“, murmelte Alejandro und öffnete sein Fenster. „Sieht so aus, als hätten wir Gesellschaft bekommen.“
Ich glaube, ich sterbe.
Lulu wurde steif wie ein Brett als sie sah, dass die ganze Straße samt Seitenstreifen voller blökender Schafe war.
„Willkommen in Schottland“, sagte Alejandro und stützte seinen Ellbogen betont entspannt auf dem Fensterrahmen auf, als sei er es gewöhnt, regelmäßig in einer Schafherde stecken zu bleiben.
Ein wimmernder Laut steckte ihr in der Kehle, den sie mit aller Macht unterdrückte. Sie wollte auf keinen Fall, dass er merkte, was mit ihr los war.
„Lass uns hier wegfahren“, presste sie stattdessen hervor.
„Wohin sollen wir denn fahren? Schau dich doch einmal um!“ Er gestikulierte in Richtung der wollenen Flut. „Das hier ist Schottland, Chica. Hier haben Schafe Vorfahrt.“
Lulu wusste nicht, ob er recht hatte oder ob er sie bloß aufziehen wollte. Sie nahm an, ein wenig von beidem.
„Abgesehen davon …“, fuhr er fort, „… haben wir einen platten Hinterreifen.“
Wenn es doch nur der Reifen wäre. Sie fühlte sich mindestens genauso platt. Ihre Lippen brannten noch immer von seinem Kuss, und ihr Körper schien seltsam schwerelos zu sein, was sicher auf den Schock zurückzuführen war. Denn diese großen wolligen Mammuts mit ihren unheimlichen schwarzen Gesichtern machten ihr mehr Angst als sie sich eingestehen mochte. Sie wusste selbst, wie albern das war. Es waren doch nur Schafe. Aber ihr Puls ging so schnell, dass sie kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen.
Das hier war tausend Mal schlimmer als ein zweistündiger Flug von Paris nach Edinburgh. Oder sich von einem Mann küssen zu lassen, den sie gerade ein paar Stunden kannte.
Das hier war ihr schlimmster Albtraum.
Weil sie nicht fliehen konnte. Und das Wissen, dass sie kurz davor war, vor diesem Mann zusammenzubrechen, war das Einzige, was sie noch aufrecht auf ihrem Sitz hielt.
Sie hätte niemals mit ihm in diesen Wagen steigen sollen.
Ein klickendes Geräusch ertönte von der Seite, und Lulu sah, dass er seine Tür geöffnet hatte.
„Was machst du?“, kreischte sie.
Ihr Tonfall überraschte ihn sichtlich. „Ich werde mal gucken, ob ich den Schäfer finde“, erklärte er ruhig. „Immerhin besser, als die ganze Zeit hier zu sitzen. Komm mit!“
„Nein!“ Sie klammerte sich an seinen Arm.
„Oder wir bleiben hier und knutschen noch eine Runde“, fügte er trocken hinzu.
Abrupt ließ Lulu ihn los. So langsam wurde ihr klar, dass sie sich in einer ziemlich misslichen Lage befand.
„Na komm schon“, forderte er sie etwas freundlicher auf. „Du musst dir doch auch mal die Beine vertreten.“
Innerlich wand Lulu sich und suchte verzweifelt nach einer glaubwürdigen Ausrede. „Ich mag aber keine Schafe. Sie stinken, und … ich mag mir nicht die Schuhe schmutzig machen.“
Sein Blick sagte mehr als tausend Worte. Sie wusste ja selbst, wie lächerlich sie wirkte. Wo war nur die selbstsichere Lulu geblieben? Die Lulu, die vor wenigen Minuten in seinen Armen zum Leben erweckt worden war. Sie hatte sich wieder in das Häufchen Elend verwandelt, das sie schon immer gewesen war.
„Wie du meinst, Chica.“ Mit diesen Worten öffnete er die Tür, und Lulu wurde klar, dass er es ernst meinte. Er würde sie tatsächlich allein hier zurücklassen. Und er nannte sie wieder Chica.
Vollkommen bestürzt beobachtete sie, wie er mit wenigen schnellen Schritten die Straße überquerte und den beiden Männern, die die Schafe vor sich hertrieben, etwas zurief. Es mussten magische Worte gewesen sein, denn sie warteten auf ihn und unterhielten sich anschließend als seien sie alte Freunde.
Die Nase an das Fensterglas gepresst fragte Lulu sich, was in aller Welt sie sich wohl erzählen mochten. Wenn er mit ihr sprach, war er fast immer schlecht gelaunt oder verärgert. Außer, wenn er sie küsste. Instinktiv berührte Lulu ihre Lippen und hätte schwören können, dass sie noch immer das Kribbeln spürte.
Ein lautes Blöken direkt neben ihr ließ sie zusammenfahren. Jegliche Gedanken an Alejandros Küsse waren verflogen. Zu ihrer Erleichterung sah sie in diesem Augenblick, wie er zurück zum Auto geschlendert kam.
Am Wagen angekommen stützte er sich an dem heruntergefahrenen Fenster auf.
„Wir sind vermutlich über einen scharfen Gegenstand gefahren. Ich werde den Pannendienst anrufen und einen anderen Wagen organisieren. Am Ende der Straße ist ein Pub. Wir können zu Fuß hinlaufen und dort auf sie warten.“
Lulu wusste, dass dies der Moment war, in dem eine normale vernünftige Frau tief Luft geholt und ihr Problem gestanden hätte. Sie würde erklären, warum sie jetzt nicht aus dem Wagen steigen konnte, er hätte idealerweise Verständnis, und sie würden gemeinsam eine Lösung finden.
Nur gab es nicht wirklich eine Lösung, oder?
Und sie war keine vernünftige Frau. Jedenfalls nicht gerade jetzt, wo sie von einer erneuten Panikattacke erfasst zu werden drohte.
Wie aus der Ferne hörte sie sich selbst sagen: „Ich habe nicht die Absicht, dieses Auto zu verlassen.“
Sichtlich entnervt richtete er sich auf, und für einen langen bangen Moment glaubte Lulu, er würde sich umdrehen und gehen.
Bitte lass mich nicht allein.
Die Worte kamen aus ihrem tiefsten Inneren, wo noch immer ein kleines angsterfülltest Mädchen kauerte.
Dann realisierte sie, dass er ging, und ein widerlich kaltes Gefühl begann durch ihren Körper zu kriechen.
„Mach mal die Motorhaube auf“, rief er ihr auf einmal zu, und sie sah, dass er lediglich einmal um den Wagen gegangen war.
Lulu beeilte sich, seiner Aufforderung nachzukommen und betätigte nach einigem Suchen den kleinen Hebel unter dem Lenkrad. Wenn er wüsste, wie dankbar sie gerade war, dass er nicht fortgegangen war. Sie würde sicher sein, solange sie nur im Auto blieb.
Um sich ein wenig zu entspannen, zog sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, das in Lavendel-, Pfefferminz- und Rosmarinöl getränkt war und hielt es sich mit einer Hand gegen die Nase, während sie sich mit der anderen die Kopfhörer ihres MP3-Players in die Ohren steckte.
Nachdem sie es sich auf ihrem Sitz gemütlich gemacht hatte und ihre Meditationsmusik eingeschaltet hatte, schloss sie die Augen und inhalierte tief den Duft ihres Taschentuchs. Nach und nach vergaß sie alles um sich herum und glitt in eine Art Traumwelt, in der ihr nichts und niemand etwas anhaben konnte.
Derweil hatte Alejandro den Motorraum überprüft und die hintere Tür geöffnet, um sich ein Handtuch zum Händeabwischen zu holen, das unter dem Fahrersitz lag.
Die kleine französische Prinzessin lauschte ihrer Musik und hielt sich ein Taschentuch an die Nase, vermutlich, um den Gestank der Schafe … des Schäfers … und allem anderen, das ihre sensiblen Sinne irritierte auszublenden. Ihn sicherlich eingeschlossen.
Es gibt einen Namen für Männer, die unwilligen Frauen nachstellen.
Schürzenjäger.
Mit einem lauten Knall schloss er die Wagentür.
Erschrocken zog Lulu die Kopfhörer aus den Ohren und sah sich um. Die Schafe schienen endlich weitergezogen zu sein. Von Alejandro war keine Spur zu sehen. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt. Und als sie sich sicher fühlte, wagte sie sich hinaus auf die Straße. Nichts passierte. Der Boden unter ihren Füßen bewegte sich nicht, und in der Luft hing ein Duft nach frisch gemähtem Gras, Schafdung und Torf. Sie inhalierte einige Male ganz tief. Gar nicht so schlecht.
Aus dem Augenwinkel sah Alejandro den türkisfarbenen Stoff ihres Kleids aufleuchten und blickte auf. Stirnrunzelnd beobachtete er, wie sie den Kofferraum öffnete und etwas umständlich den Ersatzreifen herauszog.
Langsam kam er näher und lächelte belustigt. „Darf ich fragen, was du vorhast?“
Sie ignorierte ihn und konzentrierte sich darauf, den Reifen mit beiden Händen zur hinteren Seite des Wagens zu ziehen.
Als Nächstes zog sie den Stoffbeutel hervor, der neben dem Ersatzreifen im Kofferraum lag, öffnete ihn und holte den Wagenheber hervor.
Alejandro nickte beeindruckt, und Lulu sah es und fühlte sich sofort ein klein wenig sicherer.
Es gab nicht viel, was sie ihrem toten Vater zu verdanken hatte. Aber für die Tatsache, dass sie in der Lage war, einen Reifen zu wechseln, einen tropfenden Wasserhahn zu reparieren und den verstopften Abfluss im Badezimmer zu reinigen, war sie ihm dankbar. Auch wenn es bloß Dinge waren, die sie lernen musste, weil ihr gar keine andere Wahl blieb nachdem ihr Vater sie verlassen hatte. Und ihre Mutter hatte sich keine Hilfe leisten können. Sie hatten alles selbst erledigen müssen.
„Du solltest dir vielleicht erst einmal die Schuhe ausziehen, Querida“, schlug er vor.
Auf seinen geringschätzigen Blick bekam er die Antwort, die er verdiente. „Ich war mal Ballerina, falls du es nicht wissen solltest. Stilettos sind nichts gegen Spitzenschuhe.“ Sie bemühte sich gar nicht, den arroganten Ton zu unterdrücken.
Wenige Sekunden später musste sie ihm recht geben. Es war ziemlich mühselig, den Wagenheber in die richtige Position zu bringen und sich zugleich das Kleid nicht schmutzig zu machen.
Alejandro beobachtete jede ihrer Bewegungen. So routiniert sie konnte, begann sie, die Schrauben zu lösen. Fast wäre sie gestürzt, als sie den Reifen endlich gelöst hatte und abzunehmen versuchte. Doch Alejandro war sogleich zur Stelle und stützte sie.
Und Lulu ertappte sich dabei, wie sie sich für eine Sekunde wünschte, er würde sie nicht mehr loslassen. Sein kräftiger muskulöser Körper vermittelte ihr so ein angenehmes Gefühl von Sicherheit, während die Berührung seiner Hände kleine Stromstöße an längst vergessenen Stellen ihres Körpers auslöste.
„Das reicht“, murmelte er schließlich mit seiner tiefen Stimme. „Lass mich den Rest erledigen.“
Für einen kurzen Augenblick glaubte Lulu, er meinte etwas ganz anderes. Tatsächlich nahm er mit erstaunlicher Leichtigkeit den gelösten Reifen ab und montierte an seiner Stelle das Ersatzrad. Anschließend entfernte er den Wagenheber.
Er hat mich in eine Nymphomanin verwandelt, dachte sie bei sich. Was er wohl mit Frauen machte, die ohnehin Sex liebten?
Nachdem er das alte Rad zusammen mit dem Wagenheber und dem Werkzeug im Kofferraum verstaut hatte, streckte Lulu ihm die Hand entgegen.
„Gib mir die Schlüssel“, bat sie.
Alejandro ahnte, was nun passieren würde. Dennoch reichte er ihr die Schlüssel.
Während sie um den Wagen herum zur Fahrerseite lief, warf sie ihm über das Wagendach einen herausfordernden Blick zu. „Steig ein!“
Mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht ließ er sich neben ihr auf dem Beifahrersitz nieder.
Veilchen. Ihr Duft ließ ihn einfach nicht mehr los. Er mochte ihn.
Ein Blick zur Seite, und er wunderte sich ein wenig. Sie sah gar nicht mehr so aus wie das Mädchen, dass er heute Morgen abgeholt hatte. Ihre dunklen Locken umrahmten ihr zartes Gesicht wie ein Heiligenschein. Ihre Wangen waren leicht gerötet, entweder von der Anstrengung oder durch die Aufregung. Die dunklen Augen glänzten, und ihr Rock war ziemlich zerknittert. Auf ihrem Oberteil prangte ein Ölfleck. Aus dem weiten Ausschnitt lugte der wohlgeformte Ansatz zweier hübscher kleiner Brüste.
Sie sah genauso aus wie in dem Moment, als er sie geküsst hatte. Wild und zerzaust und wunderschön. Sie weckte seinen Hunger nach ihr erneut.
„Bitte nicht den Tacho aus den Augen verlieren“, ermahnte er sie, nachdem sie den Wagen auf die Hauptstraße gelenkt hatte und nicht aufhören wollte zu beschleunigen.
„Sag du mir lieber, warum du mich mitten im Nirgendwo im Auto eingesperrt zurückgelassen hast.“
„Du warst nicht eingesperrt. Und ich wollte bloß ein paar Informationen für uns einholen.“ Wieder richtete er seinen Blick auf ihr fleckiges Kleid. „Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum du dich vorhin so angestellt hast und nicht aus dem Wagen steigen wolltest …“
„Das geht dich gar nichts an.“
„Wo du doch sonst so kompetent bist, wie wir gerade gesehen haben.“
Ein wenig perplex blickte sie ihn von der Seite her an. Dann richtete sie den Blick wieder auf die Straße.
„Ja, kompetent bin ich durchaus.“
„Dann kennst du ja sicher den Weg, Querida?“
Mit einer ungeduldigen Geste strich sie sich die Locken aus dem Gesicht und schaltete einen Gang höher. „Ich denke schon.“
Aus dem Augenwinkel sah er ein Ortsschild mit der Aufschrift Inverary an ihren vorbeirauschen. Dann wurde er wieder von ihrem Dekolleté abgelenkt, das sich so verführerisch mit jedem ihrer Atemzüge hob und senkte.
Sie wirkte so zufrieden mit sich, dass er beschloss, ihr nicht zu sagen, dass sie die ganze Zeit in die falsche Richtung fuhren. Er hatte es nicht eilig. Es reichte, wenn sie morgen am Schloss ankamen. Dieses ganze Gerede vom Glücklichsein bis der Tod sie scheidet würde ihn ohnehin nur langweilen.
Nein. Entspannt lehnte er sich in seinem Sitz zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und gab vor, ein Nickerchen zu machen. Er würde das hier jetzt ein Weilchen laufen lassen, bis sie sich abreagiert und ihre Lektion gelernt hatte. Und dann würde er dieser unwiderstehlichen Chemie zwischen ihnen ihren natürlichen Lauf lassen.