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Unter einem allgemein klingenden Titel befasst sich Thomas Mann hier vor allem mit der Person und dem Wirken Bruno Walters, den zu unterstützen er das Bedürfnis verspürte. Im Hintergrund des Texts stehen, wenngleich Mann dies nur implizit andeutet, die antisemitischen Anfeindungen, denen Walter ausgesetzt war und auf Grund derer er München im Jahr 1925 sogar verließ. Bruno Walter, ab 1913 Generalmusikdirektor an der Münchner Hofoper, war bald nach dem gegenseitigen Kennenlernen ein guter Freund Thomas Manns geworden. Obwohl das Thema des Artikels in München angesiedelt ist, erschien er in Berlin, im Januar 1917 in der Zeitung Der Tag – Wirkung und Resonanz blieben vermutlich deshalb eher gering.
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Seitenzahl: 31
Thomas Mann
Musik in München
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Erinnern sich ältere Herrschaften in Groß-Berlin oder anderswo, daß Webers »Euryanthe« irgendwann und –wo einmal Zug- und Kassenstück gewesen wäre? Ich wette, die ältesten nicht. Und dem füge ich die Meldung hinzu, daß es jetzt bei uns in München einfach der Fall ist: die »Euryanthe« feiert Triumphe im Hoftheater. Es war keine der ersten Aufführungen, die ich sah; vielleicht die sechste. Aber die war so dick und andächtig ausverkauft, daß man wohl sah, noch manche würde es sein. Das darf man ein Wunder nennen, ohne dem Werke zu nahe zu treten, das höchste, süßeste, weheste Musik enthält, und dessen »Buch« bewiesen ist durch die Musik, zu der es dem Meister Anlaß und Anhalt bot. Es steht in weit höherer romantischer Sphäre, als sein volkstümlicher Vorgänger, das Wald- und Jägerstück vom Freischützen, als dieser »verdammte Freischütz«, den Weber seiner erdrückenden und absorbierenden Popularität wegen beinahe hassen lernte; aber daß seine Gesamtkonstitution viel weniger glücklich ist, lehren die Tatsachen: es hat nie recht freudigen Zulauf gehabt und ist immer in Gefahr, zum Museumsstück und Gegenstand nationaler Hochachtung zu erstarren. Wer hauchte ihm denn nun so wirkendes Leben ein? Wer färbte ihm die Wangen mit dem eigenen Herzblut, machte es froh und siegreich? Ein Mann. Eines Mannes Glaube und Liebe. Ich nenne ihn gleich. Ich will nur rasch noch vorher sagen, daß die Oper glänzend aussieht im Hoftheater – es ist da zu Anfang ein phantastisch-hochromantischer Saal, in dem illusionsweise geweilt zu haben man sich immer freuen wird –, und daß das reizende Fräulein Reinhart (eine glückliche Erwerbung der jüngsten Zeit, – eine unter anderen –), daß also {185}Fräulein Reinhart und Herr Erb als Euryanthe und Adolar ihre blühenden Stimmen im Liebesjubel recht herzerquickend vereinigen.
Und jener Mann, des Glaubens und der siegreichen Liebe nun also? Er heißt Walter, Bruno Walter, ist »Generalmusikdirektor« dahier, obgleich noch keineswegs in den Jahren, die man die besten nennt; – und nun mögen die anderen Träger von Münchens musikalischem Ansehen, schaffende und ausübende, mir verzeihen, wenn mein Brief, der von Münchener Musik handeln wollte, eigentlich nur von ihm handelt: denn das ist verzeihlich. Dieser Mann mit dem leichten Herrscherstäbchen aus Rohr in der Rechten ist den Blicken zu ausgesetzt, seine Tätigkeit zu reich und leidenschaftlich, zu extensiv und eindringlich, als daß er dem Laien nicht als Verkörperung und Statthalter der Musik in seinem Kreise erscheinen müßte; ja, wie es sein Wesen ist, alles was er angreift, höchst neu, gegenwärtig, unmittelbar lebendig zu machen, so scheint er auch seinem abgenutzt-pompösen Titel einen neuen und gegenwärtigen Sinn zu verleihen, ihn aufs persönlichste zu erfüllen. Dem Laien, wie gesagt, kommt das alles so vor; aber der Laie redet ja mit heutzutage, durchaus und in allen Stücken, und wenn in allen, warum nicht auch über musikalische Dinge? Die Emanzipation des Laien, meine Herren, das ist die Demokratie!
Bruno Walter freilich meint es anders. Verstehe ich einen sonderbar grüblerischen und aufrührerischen Aufsatz recht, den dieser hohe Beamte kürzlich in einer Monatsschrift zu veröffentlichen sich herbeiließ, so würde er es als eine Aristokratisierung der Kritik betrachten, wenn diese Tätigkeit aufhörte, ein allzu »freier« Beruf zu sein, wenn irgendwelche »Erlaubnis«, irgendwelcher »Nachweis« und »Ausweis« dazu nötig wäre, sie auszuüben … Welcher denn wohl? Der Beamte {186}