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Nerds sind heiß. Besonders Nerds, die Kampfroboter bauen! Bel würde lieber sterben, als Pläne für ihre Zukunft zu schmieden. Sich mit der College-Zulassung beschäftigen? Ha ha. Außerschulische Aktivitäten? Nie im Leben! Dann jedoch erkennt ihre Physiklehrerin ihre Begabung für Maschinenbau und steckt Bel kurzerhand ins Robotik-Team. Schlimmer: Die Jungs dort beachten Bel gar nicht, und Neelam, das einzige andere Mädchen im Team, kann sie offenbar ebenfalls nicht ausstehen. Da ist allerdings noch Mateo Luna, der Teamkapitän, der in Bel ein Potenzial zu sehen scheint. Doch Bel kümmert die bevorstehende Meisterschaft eigentlich nicht sonderlich, Teo vielleicht zu sehr. Trotzdem sitzen sie nach der Schule länger und länger zusammen, um an ihrem Projekt zu arbeiten. Und bald müssen sie feststellen, dass wohl nicht bloß ein Kampfroboter entstanden ist … Ein bezaubernder Liebesroman von der Autorin des TikTok-Mega-Erfolgs "The Atlas Six" (den sie unter dem Künstlernamen Olivie Blake veröffentlichte). In "My Mechanical Romance" erzählt Alexene Farol Follmuth von der zerbrechlichen ersten Liebe – und von Robotern!
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Seitenzahl: 401
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1 KATAPULT
2 ÄRGER
3 DRUCK
4 FALL
5 WERKZEUGE
6 GEHEIMNISSE
7 EXPERIMENTE
8 FREUNDE
9 WRACK
10 VERSUCHE
11 ERGEBNISSE
12 BOMBEN
13 ABSAGEN
14 ABSTÄNDE
15 MÄDCHEN
16 CHANCEN
17 VÖGEL
EPILOG
DANKSAGUNGEN
Eine Familienanekdote besagt, dass mich mein Vater Joy nennen wollte, als er erfuhr, dass ich ein Mädchen werde. Meine Mutter bestand auf Isabel, da sie bereits eine Vorliebe für Heiligennamen entwickelt hatte, doch weil ich den Buchstaben S nicht aussprechen konnte, wurde er zu Bella verkürzt. Aber weil ich das hasste und mich weigerte, darauf zu reagieren, schrumpfte er weiter zu Bel, was letztendlich zeigt, dass Kompromisse niemanden zufriedenstellen.
Obwohl ich dann doch nicht Joy genannt wurde, habe ich durchaus Spaß am Leben. Wie die meisten Leute habe ich Dinge, die ich liebe – Käse, Rechthaben, die seltene Schönheit einer perfekten Retourkutsche –, und Dinge, die ich nicht liebe. Die Spitzenplätze auf dieser zweiten Liste? Mannschaftssport, die Frage, was ich mal werden will, und das vage, aber umso bedrückendere Gefühl, dass mir etwas Wichtiges entfallen ist.
»Oh Mann, ich hab vergessen, dass heute Katapulttag ist«, sagt Jamie, während sie ihr Königreich von unserem höher gelegenen Sitzplatz am Schulhof überblickt. »Das erste Projekt des Jahres – so süß! All die kleinen Physikbabys, die wie verschreckte kleine Vögel rumpiepsen … Ich liebe das«, schwadroniert sie, während ihre hellblau lackierten Nägel auf der Dose ihres La Croix mit abartiger Geschmacksrichtung trommelten. »Wo ist eigentlich deins?«
Oh Mist.
Okay, also ich weiß, dass das Katapultprojekt wahrscheinlich (mit Sicherheit) im Lehrplan stand, aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass letzte Woche in Englisch ein Riesenaufsatz fällig war und ich heute Nachmittag in Statistik einen Test habe und dazu noch eine Gruppenarbeit in Sozialkunde. Und außerdem ist es nicht meine Schuld, dass mein Zeitgefühl so schlecht ist. Gibt es nicht eine Million wissenschaftliche Abhandlungen über die Auswirkungen von schulischem Stress auf Jugendliche oder so was? Ich könnte bestimmt mindestens ein Dutzend finden, wenn ich gründlich recherchieren würde. (Würde ich nicht, aber es ist doch auf jeden Fall ein berechtigter Gedanke, oder?)
»Isabel Maier«, sagt Jamie, die mich leider ansieht und kein Teil eines Albtraums ist, den ich gerade habe. »Dein Schweigen ist höchst verdächtig.«
»Äh«, stammle ich äußerst clever.
Spoiler: Ich habe mein Katapult nicht dabei. Erstens weil es nicht existiert und zweitens weil in den letzten dreißig Sekunden kein Wunder passiert ist. Das Einzige, was mir gerade in den Sinn kommt, ist eine nicht besonders hilfreiche Ansammlung von Schimpfwörtern, die meine Mutter dazu bringen würde, sich zu bekreuzigen und mich dann zu fragen, wo sie versagt hat. (Kleiner Tipp: Das ist eine rhetorische Frage.)
»Hallo?« Jamie wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. »Bel?«
»Ich denke nach«, antworte ich und starre finster auf mein Handydisplay.
Kacke. Der Unterricht beginnt in fünfzehn Minuten.
»Großartig«, sagt Jamie zweifelnd. »Ein vielversprechender Start.«
Wie alle Mädchen, denen man seit dem Alter von sechs erzählt, sie würden wie ein Erwachsener reden, will Jamie Howard Anwältin werden. Ihr berufliches Ziel ist es, in Manhattan Power Suits zu tragen, während sie aus ihrem Eckbüro voller Farne ihren Unterlingen Befehle erteilt. Sie ist die Art Mädchen, die voller Entschlossenheit über das Schulgelände stolziert, dabei alle aus dem Weg schubst und viel zu laut lacht, wenn sie etwas lustig findet. Glücklicherweise gehöre ich dazu, seit sie mir vor sechs Wochen zugeteilt wurde, um mir bei der Orientierung an der neuen Schule zu helfen.
»Hast du so was wie … Klebeband?«, frage ich optimistisch.
»Was?«, fragt Jamie.
»Klebeband«, wiederhole ich. »Hast. Du. Welches?«
»Bel, ich bin nicht taub«, kontert sie. »Und nicht dass du mich nach meiner Meinung gefragt hättest, aber ich glaube nicht, dass dir Klebeband dabei helfen wird, das Katapult zu bauen, das du offensichtlich völlig vergessen hast.«
»Angeblich«, korrigiere ich sie. »Das ich angeblich vergessen habe. Also, ist das ein Nein?«
»Natürlich ist das ein Nein. Wer schleppt denn Klebeband mit sich rum?«
»Keine Ahnung, irgendjemand bestimmt«, sage ich und greife nach dem Träger meines Rucksacks, den eine unbeschwertere Version von mir unter den Tisch geworfen hat. »Hast du nicht auch immer einen Minitacker dabei?«
»Ja, klar«, schnaubt Jamie. »Aber da ich weder bei der Post arbeite noch im Kindergarten bin, hab ich keine Verwendung für Klebeband.«
»Du bist nicht hilfreich«, bemerke ich.
»Ich versuche ja auch gar nicht zu helfen«, erwidert Jamie mit einem atemberaubenden Mangel an Scham. »Dir ist aber schon klar, dass dieses Projekt die Hälfte deiner Note ausmacht? Wenn du null Punkte bekommst, wird das ein sehr schlechtes Licht auf mich werfen.«
»Okay, jetzt bist du wirklich das genaue Gegenteil von hilfreich«, informiere ich Jamie. »Außerdem hab ich gerade eine Krise. Du könntest ruhig ein bisschen motivierender sein.«
»Du hast recht, tut mir leid – wenn du null Punkte bekommst, wird das ein sehr schlechtes Licht auf mich werfen!«, wiederholt Jamie beschwingt.
Ganz toll.
Dazu muss man sagen, dass selbst ich ursprünglich angenommen hatte, Jamie hätte nur deshalb ein so großes Interesse an mir, weil sie alle ihre außerschulischen Pflichten so ernst nimmt – also wirklich grenzwertig krankhaft ernst. Es ist unklar, warum jemand, der unbedingt Abschiedsrednerin werden will, mit jemandem abhängen möchte, der nicht mal einen Terminkalender besitzt, außer er verspricht sich etwas davon. Aber da Jamie immer noch jeden Tag nach mir sieht, haben wir wohl irgendwo eine Abzweigung Richtung echter Freundschaft genommen, irgendwann zwischen dem gegenseitigen Folgen auf Insta während der Orientierungswoche und dem Plätzchenbacken mit ihrer Großmutter letztes Wochenende.
»Okay, also nicht dass das irgendwas ändern würde«, sage ich und beharre auf der einzigen Option, die ich meinem Gehirn gerade abringen kann. »Aber nur um das klarzustellen, ich brauche nicht das Klebeband, sondern den Abroller.«
Jamie starrt mich ausdruckslos an.
»Du weißt schon, dieses Plastikteil, auf dem die Klebebandrolle steckt?«, erkläre ich.
Nichts. Nada.
»Okay«, seufze ich. »Mir bleibt eine Viertelstunde, um das hinzubekommen, und null Zeit, es dir zu erklären. Kannst du mir bitte einfach helfen?«
»Wahrscheinlich nicht«, erwidert sie. »Vielleicht versuchst du’s mal im Sekretariat?«
Oh toll, großartig, ich würde meinen Nachmittag gern damit beginnen, im Sekretariat der exklusiven Essex Academy für Kunst, Wissenschaften und Technik nach Klebeband zu fragen, nachdem ich gerade heute Morgen erst knapp einem Verhör entgangen bin, ob ich inzwischen einen Termin mit meinem Studienberater ausgemacht hätte. Dabei habe ich einen unterschwelligen Hauch von Misstrauen gespürt, was ich absolut unfair fand. Nur sehr wenige meiner Antworten waren Lügen, also hätte ich mich auf jeden Fall schlechter schlagen können.
Aber da meine Optionen entweder das hier oder die unausweichliche Standpauke meiner Mutter sind …
»Ugh«, stöhne ich und mache mich in Richtung Sekretariat auf.
»Viel Glück«, ruft mir Jamie nach.
Na klar. Denn Glück ist genau das, was in dieser Gleichung fehlt.
An meiner alten Schule, die zugegebenermaßen nicht so besonders war, gab es nicht diese ganze Aufregung darüber, ob man den Eignungstest für die Uni gemacht oder sich für ein Hauptfach entschieden hat, ganz zu schweigen von den Collegebewerbungen. Branford hatte genau vier AP-Kurse, also Fortgeschrittenenkurse auf Collegeniveau, und entweder war man klug genug und belegte sie (wie mein mittlerer Bruder Gabe) oder die Schule war einem egal, also gammelte man bis zum Basketballtraining rum (wie mein ältester Bruder Luke).
Diese Schule jedoch ist wie eine seltsame Petrischale für angehende Start-up-CEOs. Es handelt sich um eine private Einrichtung, wie es meine Mutter wollte, und obwohl keine zwanzig Kilometer von meinem früheren Lebensmittelpunkt entfernt, ist Sherman Oaks definitiv kein Van Nuys. In der bezaubernden kleinen Achsel von Los Angeles, die wir das Valley nennen, kann man praktisch spüren, wie die Steuerklasse steigt, während man auf der Interstate 405 fährt.
Also nein, ich bin nicht besonders glücklich darüber, das Mutterschiff der Essex Academy besuchen zu müssen. Glücklicherweise summt mein Handy, bevor ich weit komme.
Jamie: Lora ist gerade gekommen
Jamie: Sie sagt du sollst es in der Bibliothek versuchen
Das ist besser, besonders da ich gerade davorstehe. Viva Lora! Ich weiche von meinem ursprünglichen Kurs ab und betrete das Gebäude, wo mir das Glück hold ist, trotz meiner vulgären Sprache. Die Chefbibliothekarin erklärt jemandem gerade das Dewey-System, also schnappe ich mir schnell einen Klebebandroller von der Theke und fliehe so unauffällig wie möglich vom Ort des Verbrechens.
Draußen bleibe ich kurz stehen, um mich zu sortieren. Okay, mir bleiben noch zehn Minuten. Was habe ich bei mir? Einen Stift, großartig. Das ist tatsächlich ein größeres Wunder, als man meinen würde. Ein Gummiband. Eine Wasserflasche.
Hm, das wäre doch was.
»Ist die leer?«, frage ich einen vorbeigehenden Mitschüler. Er sieht mich erschrocken an, also schätze ich, dass er ein Frischling ist.
»Die hier?«, stutzt er und hält die Flasche Wasser hoch, die er gerade ausgetrunken hat.
Ich bin zwar erst seit drei Wochen hier, aber ich bin trotzdem in einer höheren Klasse als er, also gebe ich mich übertrieben selbstbewusst. »Einwegplastik ist total umweltschädlich«, erkläre ich ihm, weil genau so was den Leuten hier ein schlechtes Gewissen macht. »Ich will sie nur … du weißt schon, recyceln.«
Wenn der Typ kein Sammler leerer Wasserflaschen ist, sollte er sie mir überlassen. Langsam streckt er sie mir hin und wirkt dabei immer noch so, als würde er erwarten, dass ich ihn beiße.
»Danke«, sage ich und gehe zum Mülleimer am anderen Ende des Schulhofs. Hoffentlich beobachtet er nicht, wie ich zwei weitere Flaschen herausfische (eklig, ich weiß, aber meine Mutter ist Krankenschwester in der Notaufnahme und versorgt mich immer mit jeder Menge Handdesinfektionsmittel – alles gut) und die Verschlüsse abschraube.
Als ich mit allen vier Flaschen in der Hand zurücktrete, pralle ich gegen jemanden.
»Pass doch auf«, sagt derjenige, mit dem ich gerade zusammengestoßen bin.
Sein Name ist Teo Luna, was ich lieber nicht wüsste, doch leider scheint ihn hier ausnahmslos jeder zu lieben. Eine völlig unrealistische Liebe, ungefähr so, wie sich in Stanford zu bewerben, da er der unglaublich reiche Sohn irgendeines Technikgotts ist. Offenbar gibt es an dieser Schule voller Mutanten keine normalen Schulstereotypen wie den Abschlussballkönig wie meinen Bruder Luke, der dauernd Proteinshakes trinkt und ein strahlendes Lächeln hat, das perfekt zu seinen Brustmuskeln passt. Die hiesige Version eines Frauenschwarms belegt einen Haufen AP-Kurse und sieht aus, als wäre er Veganer, wahrscheinlich »aus Umweltgründen« oder so.
Natürlich ist Teo Luna Leiter von etwa achthundert Wissenschaftsclubs, die einen Preis nach dem anderen gewinnen, und er hat diese hübsche Locke, die ihm immer in die Stirn fällt. Sie passt gut zu seiner Dauerbräune, also ist er wohl auf eine Hipster-Art gut aussehend. Meiner Meinung nach könnte er allerdings seine Arroganz ein bisschen runterfahren.
»Verzeihung, Sir«, gebe ich meine beste Oliver-Twist-Imitation zum Besten, nachdem ich ihm direkt gegen die Brust geknallt bin. Er runzelt die Stirn, richtet das Trikot der Schulfußballmannschaft, das er statt seinem üblichen steifen Hemd trägt, und ich reagiere mit einem kurzen Knicks.
»Oooookayyyy.« Er zieht das Wort bewusst in die Länge und dreht sich augenrollend um.
Idiot. Fahr zur Hölle.
Sieben Minuten übrig. Acht? Okay, wohl eher fünf. Es ist fast kein Klebeband mehr auf dem Abroller, also ziehe ich den Rest ab, entschuldige mich stumm bei der Recycling-Initiative der Essex Academy für die Verschwendung, wickle das Gummiband um die leere Rolle und breche ein Stück Plastik ab, um es an Ort und Stelle zu halten. Nach ein bisschen Gefrickel mit der Stiftkappe und den Flaschendeckeln habe ich etwas, das wie eine Ente auf runden Beinen aussieht. Die Basis wird es aufrecht halten und das Gummiband als Schleuder dienen. Es ist die Miniaturversion eines Katapults, aber es gab keine Anforderungen bezüglich der Größe. Es muss nur funktionieren.
Habe ich noch Zeit, um es zu testen?
Es klingelt, also nein. Ich muss also einfach beten, dass es klappt.
(Positiv betrachtet würde sich meine Mutter bestimmt freuen, wenn ich wirklich beten würde.)
Jamie: Und?? bist du am Arsch??
Bel: Noch nicht, mon amie
Bel: Noch nicht
Heute scheint mal wieder Katapulttag zu sein. Nicht gerade mein Lieblingsprojekt im letzten Jahr, aber auf jeden Fall besser als alles, was ich für jeden anderen Kurs machen musste. Ich baue viel lieber irgendwas zusammen, als einen literarischen Text zu analysieren. Und genau deshalb war der AP-Kurs Physik das Erste, wofür ich mich in meinem Abschlussjahr angemeldet habe.
Außerdem hätte ich natürlich nicht die ganzen zwei Wochen nutzen müssen, die wir für das Katapult bekommen haben, aber an dieser Schule sind die Erwartungen an mich hoch. Für mich ist jedes Detail wichtig und daher achte ich darauf, mir jeden einzelnen Punkt für eine Eins plus zu verdienen. Diese neuen Katapulte … Na ja. Ich will ja nicht gemein sein, aber die sehen furchtbar aus. Ich glaube, ich habe gerade Schüler mit einem Katapult gesehen, das aus achtzig Prozent Küchenrolle und zwanzig Prozent Unfähigkeit bestand.
Enttäuschend. Wenn ich diese Woche unbedingt ein neues Teammitglied auswählen muss, wäre mir jemand lieber, der zu einem interessanten Design fähig ist. Aber so wie es aussieht …
Mein Handy vibriert und reißt mich aus meinen Gedanken.
Dash: Siehst du das
Er ist wie üblich nur vier Plätze von mir entfernt, aber klar, lass uns texten. Ich blicke mich um und versuche rauszufinden, was er meint, entdecke aber nichts.
Teo: Was meinst du
»Luna«, sagt Mac, mein Physiklehrer, und ich stöhne innerlich. Eigentlich ist er Mr. MacIntosh, falls sich mal aus irgendeinem Grund der stellvertretende Schuldirektor hierher verirren sollte, aber ich glaube, er findest es ziemlich amüsant, dass wir ihn wie den Apple-Computer nennen. Es ist zwar nicht so amüsant, wie er denkt, aber nach drei Jahren in seiner Robotik-AG bin ich praktisch immun dagegen, was Mac lustig findet. Sein Humor besteht zu siebenundachtzig Prozent aus schlechten Wortspielen.
»Keine Handys im Unterricht«, mahnt er und zieht eine Augenbraue hoch. »Leg es bitte weg.«
Ich werfe Dash einen bösen Blick zu. Er zuckt nur mit den Schultern. Benimm dich, formt er lautlos mit den Lippen.
Manchmal hasse ich ihn echt.
»Also gut, beschäftigen wir uns heute mal mit der Kinematik«, sagt Mac, spiegelt das Display seines iPads auf die Tafel und gibt uns unsere Aufwärmübung. Mac liebt es, diese Figur namens Chad zu zeichnen, der seinen Freunden alle möglichen schlimmen Dinge antut: ihnen zum Beispiel von hohen Gebäuden Ambosse auf den Kopf zu werfen. Wir müssen nur die mathematischen Probleme lösen, aber ich denke, es ist ziemlich eindeutig, dass Chad ein paar unbewältigte psychische Probleme hat, die wahrscheinlich in seiner Kindheit verwurzelt sind.
Heute wirft Chad einen Ball auf jemanden: Geschwindigkeit, Entfernung, Beschleunigung, Zeit. Es gibt einen Grund dafür, warum das nur eine Aufwärmübung ist. Ich zücke meinen Stift und schreibe die Gleichung mit etwa der gleichen Geschwindigkeit auf, mit der ich mir die Schuhe zubinden würde.
»Teo«, zischt Dash und wirft eine Papierkugel gegen meinen Kopf. »Hey. Teo.«
Ich ignoriere ihn. Dashs richtiger Name ist Dariush, aber dafür hatte in der ersten Klasse keiner von uns die Geduld, daher die Abkürzung. Es könnte auch für Dashboard stehen. Nur dass mein Kumpel Dash keine Probleme aufzeigt, sondern sie in der Regel eher verursacht.
»Ma-te-o«, raunt Dash, die Hände zur Flüstertüte um den Mund gelegt. »Teo. Hey.«
»Dash, hör auf, Mann …«
»Schon fertig, Luna?«, fragt Mac und ich sehe auf. »Großartig! Schreib es an die Tafel«, sagt er und deutet mit dem Kinn über seine Schulter. Er wirft mir einen verschwörerischen Blick zu, als sei diese Bestrafung ein kleiner Insiderwitz zwischen uns. Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass ein bester Freund wie Dash schon Strafe genug ist.
Während ich aufstehe, zeigt Dash auf jemanden. Jamie Howard? Sie starrt verwirrt ihr Blatt an. Sie ist … na ja, schon unglaublich schlau, das muss ich zugeben, aber sie ist eher jemand, der einen Essay-Wettbewerb gewinnen oder über Shakespeare reden kann. Sie mag Mathe und Naturwissenschaften nicht und hat sie mal als »banal« bezeichnet. Ich glaube, dass sie hier lediglich ihren Notendurchschnitt für Stanford aufbessern will. Neben ihr sitzt Lora Murphy, die mit Dash und mir in der Robotik-AG ist (so wie der Großteil dieses Kurses außer Jamie, die zu sehr mit ihren simulierten Gerichtsverhandlungen oder der Modell-UN beschäftigt ist, oder was auch immer für einen Kunstquatsch sie sonst noch macht), und vor Lora sitzt …
Ah. Dash meint Neelam.
Okay, also nur um das klarzustellen, ich habe nichts gegen Neelam Dasari. Bekomme ich Schaltkreise besser hin als sie? Ja. Hat das was mit irgendeiner patriarchalischen Verschwörung zwischen Mac und mir zu tun? Nein. Aber das hält Neelam nicht davon ab, mir jedes Mal einen bösen Blick zuzuwerfen, wenn Mac und ich darüber reden, welche Videospiele wir übers Wochenende zocken wollen. Als ob es irgendwie eine Intrige wäre, dass Mac die Entscheidung des Teams unterstützt hat, dieses Jahr mich den Bot steuern zu lassen. Sie scheint zu denken, dass ich nur deshalb so weit gekommen bin, weil ich mich bei unserem Lehrer eingeschmeichelt habe, obwohl es eine Frage von Kompetenz ist.
Jedenfalls ist Neelam irgendwie an meinen Entwurf für den neuen sieben Kilo schweren Bot gekommen, den ich im Sommer entworfen habe, und sie nimmt ihn gerade mitten im Unterricht auseinander – was übrigens beweist, dass ich nicht der Einzige bin, dem es an Hingabe für unsere Aufwärmaufgabe mangelt. Nicht dass Mac das bemerken würde. Wer ist hier jetzt Lehrers Liebling, Neelam? Es ist ja nicht so, als wäre dieser Entwurf das endgültige Design oder so, aber ich würde es vorziehen, wenn sie sich dabei nicht wie ein Arsch aufführen würde. Es sind die kleinen Dinge.
Ich beginne, meine Gleichung auf die Tafel zu übertragen, als ich sehe, wie jemand vor dem Fenster unseres Klassenzimmers den Schulhof betritt. Es ist Ms. Voss, die Biologielehrerin (sie hat wegen Personalmangels dieses Jahr auch einen Physikkurs). Sie spricht mit der Neuen, die vorhin an der Mülltonne in mich reingerannt ist. Weil wir keine Kurse zusammen haben, weiß ich ihren Namen noch nicht, aber sie ist wirklich der seltsamste Mensch, dem ich je begegnet bin. Ich glaube, sie macht das nicht mal mit Absicht. Sie ist einfach so. Heute trägt sie einen superlangen Hippierock und eine Kette aus kleinen Löffeln.
»Okay.« Ich trete von der Tafel zurück. »Fertig.«
»Sehr schön, Luna«, sagt Mac. »Sieht gut aus.«
Natürlich tut es das. »Danke.«
Als ich an Neelams Platz vorbeigehe, wirft sie mir einen weiteren finsteren Blick zu. Diesmal schirmt sie meinen Entwurf mit ihrem Arm ab, als wüsste ich nicht ganz genau, was sie da macht. Soweit es mich angeht, kann sie so viele Änderungen machen, wie sie will. Dash wird auf meiner Seite sein, genauso wie Emmett und Kai. Ravi macht, was immer wir sagen, und Justin ist ohnehin praktisch nutzlos, also kann es mir eigentlich egal sein, was Neelam denkt. Sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie mich hasst, und genauso habe ich es aufgegeben, mich mit ihr gut stellen zu wollen. Es ist ja nicht so, als wäre sie eine tragische Außenseiterin oder so. Sie hat viele Freunde – ich gehöre nur zufällig nicht dazu.
Ich setze mich und starre aus dem Fenster, während Mac die Details meiner Arbeit zu erklären beginnt. Es ist erst die dritte Schulwoche, es wird also mindestens einen Monat lang nichts Interessantes im Lehrplan passieren. Am meisten Gedanken mache ich mir ums Robotikteam, weil wir uns am Freitag die neuen Anwärter ansehen. Ich persönlich finde nicht, dass wir jemand Neues brauchen, aber Mac lässt uns vorher nicht ins Labor. (Irgendwas wegen Fairness und Chancengleichheit, bla bla bla.)
Wenn keiner der Anwärter auf einer Ölplattform oder einem Marineschiff aufgewachsen ist, bedeuten neue Leute lediglich, dass ich mal wieder einen Anfängerkurs im Schweißen geben muss. Sowohl Captain des Robotik- als auch des Fußballteams zu sein ist schon schwer genug, auch ohne in sechs verschiedenen AP-Kursen zu sein und an meiner Bewerbung für eine frühzeitige Aufnahme im MIT zu arbeiten. Und gesellig soll ich dabei auch noch sein. Ich weiß einfach, dass der ganze Stress eines neuen Teammitglieds an mir hängen bleiben wird, also graust mir schon seit Schulbeginn davor.
Ms. Voss scheint die Neue draußen zur Rede zu stellen, was mich kurz ablenkt. Nicht dass es mich besonders interessieren würde, aber Ms. Voss ist echt streng, zumindest soweit ich mich aus meinem Biologiekurs im ersten Jahr erinnere. Ich bemerke, dass Jamie Howard ebenfalls aus dem Fenster sieht. Einen Moment später zückt sie unauffällig ihr Handy. Ich glaube, sie ist mit der Neuen befreundet und ist ihr Transferkumpel oder wie man das nennt. Ich habe keinen Überblick über Jamies außerschulische Aktivitäten, weiß aber, dass sie alles Mögliche macht. Vielleicht schreibt sie, um zu fragen, was los ist.
Meine Gedanken schweifen erneut ab, diesmal zur Neuen. Wer bitte wechselt im Abschlussjahr die Schule? Das muss echt ätzend sein. Natürlich kommt es mir so vor, als würde ich jeden hier schon seit dem Kindergarten kennen – und sie mich –, also kann ich es natürlich kaum abwarten, auf ein College am anderen Ende des Landes zu gehen und zur Abwechslung mal jemand Neues kennenzulernen. Aber hat sie keine Freunde? Ein Leben? Mindestens dreiundfünfzig Prozent der Zeit, die Dash und ich miteinander verbringen, mache ich darüber Witze, dass ich ihn hasse, aber trotzdem. Besser das, als einen neuen Dash finden zu müssen.
»… des Balls berechnet hast, Luna?«
Mir wird klar, dass Mac auf eine Antwort wartet.
»Hm?«, frage ich und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Unterricht.
»Was für Faktoren du bei deiner Berechnung der Verwirbelung benutzt hast?«, wiederholt Mac.
Oh. »Geschwindigkeit, Entfernung, Zeit.« Kinderspiel.
»Danke, dass du so gütig bist, uns an deiner Scharfsinnigkeit teilhaben zu lassen, Luna«, bemerkt Mac sarkastisch. »Will sonst noch jemand was zu Chad sagen?«
Ich schätze, sie sieht gar nicht so schlecht aus.
(Die Neue, meine ich. Ms. Voss ist vierzig oder so, sie also auf keinen Fall.)
»Teilt euch jetzt bitte in Vierergruppen auf«, ruft Mac und klatscht in die Hände. »Und macht euch an die Arbeit.«
Gar kein Problem. Das sind natürlich Dash, Emmett, Kai und ich. Jamie hingegen bleibt nichts anderes übrig, als mit Justin, Lora und … Neelam eine Gruppe zu bilden. Die Arme. Ich wette, sie wünschen sich gerade, dass in diesem Kurs noch ein weiteres Mädchen wäre.
»Hast du gesehen?«, fragt Dash und rammt mir seinen Ellbogen in die Rippen, als ich einen Hocker unter dem Labortisch hervorziehe.
»Autsch – ja, Dariush …«
»Es ist ja nicht so, als wären es keine stichhaltigen Ideen«, sagt Emmett, dessen Mutter ihn entweder mit einem netten chinesischen Mädchen oder Neelam verkuppeln will. Hängt davon ab, wer zuerst Ärztin wird. Und keiner von uns weiß, wie wir seiner Mutter beibringen sollen, dass das, was wir hier tun, nicht das Entfernteste mit Medizin zu tun hat.
»Hast du mal eine dieser angeblich stichhaltigen Ideen gehört?«, fragt Kai Emmett sarkastisch, während er seine Bücher auf den Tisch fallen lässt. Er und Emmett haben beide völlig durchgeknallte Eltern, deren Besessenheit von Noten nur von der Besessenheit übertroffen wird, wen die beiden mal heiraten werden.
»Nein«, murmelt Emmett kleinlaut. »Ich sage ja nur, es könnten welche sein.«
»Okay, toll, aber es geht hier nicht um Meinungen. Teo und ich haben ihn absichtlich so entworfen …«
»An die Arbeit, Jungs«, sagt Mac plötzlich hinter uns. »Konzentriert euch. Verstanden?«
»Klar«, erwidere ich.
Draußen verschwinden Ms. Voss und die Neue gerade rechtzeitig, um einen flüchtigen Blick auf die Versuchsanordnung zu werfen, die Mac vor uns stellt.
Noch mehr Verwirbelung. Juhu.
Nur ein weiterer ganz normaler Schultag, wie immer.
»Also«, sagt Ms. Voss. »Dein Katapult.«
»Äh … ja?« Ich stelle mich dumm. Ich habe gelernt, dass es am besten ist, nicht immer davon auszugehen, dass man etwas falsch gemacht hat. Man soll ja auch bei einer Verkehrskontrolle nicht sofort zugeben, wie schnell man eigentlich gefahren ist, nur für den Fall. Oder so ähnlich. (Keine Ahnung, das hat Jamie mir gesagt.)
»Isabel, hör mal zu«, seufzt Ms. Voss, was niemals ein gutes Zeichen ist. Aufgesetzte Vertrautheit ist nie ein gutes Zeichen – Wir sind doch alle Freunde hier! – und nur meine Mutter nennt mich bei meinem vollen Vornamen. »Wir beide wissen doch genau, dass du in dieses Projekt nicht so viel Energie gesteckt hast, wie du gekonnt hättest.«
»Oh, äh … Also …«
Ich sage lieber nichts mehr. Das scheint mir gerade die einzig sinnvolle Option.
Aus welchem Grund auch immer schenkt mir Ms. Voss ein seltsames schiefes Lächeln. »Welche naturwissenschaftlichen Kurse hattest du an deiner alten Schule?«, fragt sie mich.
Komische Frage, aber okay. »Bio und Chemie?«
»Ist das eine Frage oder eine Antwort?«
Ugh. »Entschuldigung. Eine Antwort. Bio und Chemie.«
»Und wie hast du dich in diesen beiden Kursen geschlagen?«
»Oh, ähm. Ich hatte eine Eins in beiden.«
»Aber du hast keine AP-Kurse belegt?«
»Ich … steh nicht so wirklich auf Naturwissenschaften.«
»Was ist mit Mathe?«
Ich runzle die Stirn. »Sie meinen, ob ich Mathe belegt hab?«
Sie schenkt mir noch ein schiefes Lächeln. »Ja. Welche Mathekurse hast du belegt?«
»Ähm, Algebra und Elementarmathematik. Jetzt bin ich in Differential- und Integralrechnung.«
»Und wie schlägst du dich in diesen Fächern?«
»In Algebra hab ich eine Eins minus bekommen. Glaub ich.« Das war ein seltsames Schuljahr. Ich war mit einem fürchterlichen Loser zusammen, wegen dem ich mindestens viermal nachsitzen musste, bevor ich endlich Schluss gemacht habe. »Aber in Differential- und Integralrechnung hatte ich eine glatte Eins.«
»Und bist du jetzt im AP-Kurs Algebra?«
»Ähm … nein. Nur im regulären«, sage ich. (Das hier ist schon schräg, oder?)
»Auf Mathe stehst du also auch nicht?«, hakt sie nach, und ich bekomme das Gefühl, dass sie … einen Scherz macht?
»Schätze nicht«, entgegne ich und klinge dabei alles andere als überzeugend.
»Ah«, macht Ms. Voss, bevor wir dieses Thema glücklicherweise endlich hinter uns lassen.
»Hast du dir eigentlich schon überlegt, was du als Hauptfach wählen willst, Isabel?«
Oh Gott, nicht diese Frage. Können wir bitte wieder über meine Noten reden? An meiner alten Schule galt ich als eine der besseren – was bedeutete, dass ich zu denen gehörte, deren Eltern nicht ständig angerufen werden mussten –, was mir das Privileg einbrachte, in Ruhe gelassen zu werden.
»Tja, vielleicht so was wie …« Welche Antwort wird sie zufriedenstellen? »Architektur? Ja, genau, Architektur«, sage ich ausdruckslos. »Ich mag … Sie wissen schon. Kunst und so Zeug.«
»Kunst und so Zeug?«, wiederholt sie.
»Na ja, ähm …« Das hier ist wirklich ein Albtraum. Ich meine, was soll ich denn sagen? Niemand, den ich kenne, hat »Hobbys« oder »Interessen« oder macht irgendwas statt »Abhängen«, was normalerweise bedeutet, Gratischips in Restaurants zu futtern oder auf einem Parkplatz zu chillen und darüber zu reden, warum irgendwas zu unternehmen Schwachsinn ist. Jamie könnte garantiert aus dem Stegreif eine Rede über all die philanthropischen Gründe halten, warum sie Jura studieren will, aber ich kann mir echt Schöneres vorstellen, als mit alten Leuten zu reden oder welchen ehrenamtlichen Tätigkeiten wir sonst so in unserer Freizeit nachgehen sollen. Ich werde meistens nur angemeckert, wenn ich meine Stifte liegen lasse, oder weggescheucht, wenn ich versuche, mir die Werkzeuge meines Bruders auszuleihen. (Meine Mutter denkt, dass ich nicht stillsitzen kann – doch in Wirklichkeit tue ich nur alles, um anderen aus dem Weg zu gehen.)
»Ich baue gern Dinge«, schaffe ich es plötzlich wie aus dem Nichts zu sagen, da Ms. Voss eindeutig eine Antwort erwartet. »Zum Spaß. Mein Schreibtisch besteht aus einer alten Nähmaschine, die ich in einem Antiquitätenladen gefunden hab.« So langsam komme ich in Fahrt. »Ich bin nicht so toll im Schweißen. Aber der Schreibtisch war mein erstes richtiges Projekt, das ein bisschen anspruchsvoller war, als eine Kiste zu bauen. Oh, und manchmal helfe ich meinem Bruder bei seinem Auto. Ich selbst steh nicht auf Autos, aber es ist interessant.«
Ich unterbreche mich, aber da Ms. Voss offenbar darauf wartet, dass ich zu irgendeinem tiefsinnigen Fazit komme, rede ich weiter. »Außerdem hatte ich mal eine Weile so eine Messerphase«, sage ich, bevor mir klar wird, dass sie mich gleich zum Schulpsychologen schickt, wenn ich es dabei belasse. »Also nicht so eine Phase«, erkläre ich schnell. »Ich hab nur einfach gern welche geschmiedet. Mein Dad hat eine Holzwerkstatt und Schmiede. So als Hobby, also benutze ich sein Zeug. Oder zumindest hab ich das, bevor er …«
Ich verstumme. So ungern ich über meine Zukunft rede, will ich das noch viel weniger über die Scheidung meiner Eltern.
»Tut mir leid.« Ich starre sie an. »Wie war noch mal die Frage?«
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund beginnt Ms. Voss zu lächeln.
»Dein Katapult«, sagt sie schließlich. »Es ist brillant.«
Ähm, was?
»Oh. Ich, äh, hab nicht erwartet, dass …«
»Ich kann dir keine Eins geben, weil zum Projekt ein schriftlicher Bericht erwartet wird, der aus mehr besteht als einem dahingekritzelten Diagramm.« Ich schwöre, dass sie ein Schmunzeln auf den Lippen hat. »Aber da dein Katapult das beste Leistungsgewicht hat, gebe ich dir eine …«
Sie hält inne und denkt kurz nach. »Eine Drei.«
»Was?«
Das Wort verlässt meinen Mund panischer, als ich beabsichtigt hatte.
»Tut mir leid«, schiebe ich schnell hinter. »Ich wollte nicht … Es ist nur …«
Sie wartet mit verschränkten Armen.
»Ich will nicht unhöflich sein«, sage ich in einem Ton, den meine Mutter ziemlich unhöflich finden würde. »Aber ich finde, da mein Katapult eine bessere Leistung als alle anderen gezeigt hat, sollte ich vielleicht eine bessere Note bekommen als …« Gott, mir wird schon schlecht, es aussprechen zu müssen. »… eine Drei.«
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, sagt Ms. Voss, was meinen Puls, der bei der Aussicht, meiner Mutter beibringen zu müssen, dass ich eine Drei bekommen habe, nicht besonders beruhigt. Ich habe wirklich keine Zeit für ein weiteres Projekt, und wenn ich einen Aufsatz oder so was schreiben soll …
»Ich will dich versetzen«, reißt mich Ms. Voss aus meiner zunehmenden Panik. »In einen der anderen Physikkurse. Genauer gesagt in den AP-Kurs.«
Ich erstarre. »Was?«
»Ich muss das natürlich noch mit Mr. MacIntosh klären«, fügt sie hinzu. »Aber ich möchte außerdem, dass du dich um einen Platz in der Robotik-AG bemühst.«
»Ist das ein Scherz?« Ich habe das Gefühl, dass ich sie wieder anstarre. »Die Robotik-AG? Soll das so was wie eine Bestrafung sein?«
»Überhaupt nicht«, sagt sie und hält mein kleines improvisiertes Katapult hoch. »Das hier ist genial. Es ist so clever, dass ich denken würde, du hättest geschummelt, wenn ich nicht genau wüsste, dass du es heute Morgen schnell zusammengebastelt hast.«
Eigentlich heute Nachmittag, aber das ist nicht weiter wichtig. »Ms. Voss«, beginne ich. »Es tut mir wirklich leid, dass ich das Projekt verschwitzt habe, aber …«
»Hör mal.« Plötzlich klingt sie ziemlich eisig. Ich hatte gehört, dass sie streng ist, es aber bis jetzt noch nicht selbst erlebt. Die Veränderung ist so abrupt, dass mir die Spucke wegbleibt.
»Isabel, du bist intelligent«, sagt sie in scharfem Ton. »Zu intelligent. Und du verschwendest dein Potenzial in meinem Kurs, statt woanders damit zu glänzen. Hast du schon mal daran gedacht, dich für ein Maschinenbaustudium zu bewerben?«
Plötzlich habe ich Bilder von Industriestrahlern und weißen Laborkitteln im Kopf. »Maschinenbau?«
»Da könntest du Dinge bauen«, führt sie aus. »Was immer du willst.«
Vor meinen Augen blitzen sinnfreie mathematische Formeln auf. Allein bei dem Gedanken kriege ich Stresspusteln.
»Aber ich … ich bin einfach nicht der Typ für Mathe oder Naturwissenschaften.«
»So was gibt es nicht«, entgegnet sie und niemand – mit Sicherheit kein Lehrer – hat jemals so verächtlich mit mir gesprochen. »Es ist offensichtlich, dass du ein Talent dafür hast, Dinge zu erschaffen, Isabel. Du hast einen wachen Verstand. Also nutze ihn.«
»Aber …«
»Ich werde dich für einen sofortigen Wechsel in den AP-Kurs Physik von Mr. MacIntosh empfehlen«, sagt sie. »Ich weiß, dass er seine Kurse immer klein hält. Es wird also einen Platz für dich geben.«
Ich kann nicht fassen, dass das hier gerade passiert. Ich bin nicht mein Bruder Gabe. Ja, klar, ich bekomme gute Noten, weil meine Mom mich umbringen würde, wenn nicht, aber ich bin keine Streberin oder so.
»Aber Ms. Voss …«
»Die Welt ist nicht sehr aufgeschlossen gegenüber schlauen Mädchen«, sagt Ms. Voss. »Sie wird versuchen, dich in eine Schublade zu stecken. Aber ich beschwöre dich, nicht darauf reinzufallen.« Sie wirft einen weiteren Blick auf mein Katapult, und weil ich ziemlich sprachlos bin und keine Ahnung habe, wohin mit meiner Verwirrung, tue ich das auch. »Wenn ich dich zu etwas dränge, für das du keine Leidenschaft empfindest, dann sag es mir, Isabel. Aber wenn du nur zögerst, weil du Zweifel an deinen Fähigkeiten hast, beschwöre ich dich, es zu wagen.«
Sie sieht mich an und mir wird ganz seltsam, während ich weiter auf den geklauten Abroller starre.
»Kannst du das?«, fragt mich Ms. Voss.
»Ich …«, setze ich an, komme jedoch sofort ins Stolpern. »Na ja, ich … Das …«
»Kannst du das?«, wiederholt sie. »Ich meine nicht, ob du es willst«, fügt sie hinzu. »Ich meine, kannst du es?«
Oh Gott, oh nein. Oh nein …
»Ja«, sage ich wie eine Idiotin. »Ja, ich kann es.«
»Wunderbar.« Sie lächelt zufrieden und räuspert sich. »Ich hätte dir wirklich ungern eine Drei gegeben.«
»Oh.« Ich runzle die Stirn. »Das war ernst gemeint?«
Ms. Voss wirft mir einen Blick zu, der mich an meine Mutter erinnert. »Ja, Isabel. Du hast die Aufgabe nicht erfüllt, trotz des Katapults.«
»Stimmt.« Ich verziehe das Gesicht. »Und, ähm, was die … Robotik-AG angeht …«
»Ja, du solltest dir dafür diese Woche etwas Zeit einplanen.«
Na toll! Genau das, was ich wollte, mehr Schulaufgaben! Ich habe gestern bereits den Großteil des Abends damit verbracht, die Make-up-Pinsel-Challenge zu ignorieren, bei der meine Freunde »vergessen« haben, mich zu fragen. (»Wir dachten, du wärst zu beschäftigt, aber lass uns am Donnerstag was machen!«, haben sie gesagt, als ob ich damit durchkommen würde, unter der Woche nach Van Nuys zu fahren.)
»Die werden dort irgendeine Art von Skizze sehen wollen«, fährt Ms. Voss fort. »Und ich hoffe, dass du darauf ein bisschen mehr Zeit verwendest als auf dein Katapult. Das Team trifft sich am Freitagnachmittag, um sich die Bewerber anzusehen.«
»Cool«, grummle ich.
Ms. Voss legt mir mitfühlend eine Hand auf die Schulter, was irgendwie ironisch ist, immerhin ist sie es ja, die mich dazu zwingt. »Ich unterstütze dich gern«, versichert sie mir. »Wenn es dir nicht gefällt, ist das völlig in Ordnung. Dann hast du es wenigstens versucht. Aber wenn es dir gefällt …« Sie zuckt mit den Schultern und führt mich in ihr Klassenzimmer zurück. »Dann wissen wir beide, dass ich recht hatte«, sagt sie.
Ich kann meine anarchistischen Teen-Impulse nicht länger unterdrücken, verdrehe die Augen und stöhne laut auf.
Dash: Liegt das an mir oder ist das echt einfach
Teo: Es ist einfach
Dash: Ok klar
Dash: Aber ist das
Dash: Ein test von Mac
Dash: Oder
Dash: Was?
Teo: Wie sollte er uns damit testen
Dash: Ka war nur ne Frage
Dash: Vergiss es
Teo: Nein ich mein das ernst
Teo: Ich will wirklich deine Antwort hören
Teo: Unbedingt
Dash: Ok ich denke
Teo: Ich kanns kaum erwarten
Dash: Also sagen wir mal … Mac sucht Leute für eine Geheimgesellschaft
Teo: Bis jetzt spitze
Dash: Und irgendwie hab ich das Gefühl da ist was im Busch
Dash: So was wie das sind nicht die Droiden die ihr sucht
Dash: So was in der Art
Teo: Total
Dash: Und dann gibts wahrscheinlich noch einen Geheimcode
Dash: Irgendwo hier drin
Teo: Du meinst in der Aufgabe?
Dash: Yo
Teo: Cool cool und was für ein Code soll das sein?
Dash: Ka
Dash: Mehr hab ich nicht bis jetzt
Teo: Ok na gut am Ende hast du ein bisschen nachgelassen aber es war knapp
»Teo!«
Ich schrecke auf, als mich meine Mutter von irgendwo im Haus ruft, wahrscheinlich aus dem Trainingsraum unten. Ihre Figur ist ihr sehr wichtig, was sie mir häufiger mitteilt, als mir lieb ist. »Mein Aussehen ist mein Job«, wie sie es immer ausdrückt, also bin ich sehr vertraut (vielleicht zu vertraut?) mit ihren rigorosen Work-outs und der zehnstufigen Skincare-Routine, die das Self-Magazin als »heiß« und »exklusiv« bezeichnen würde. Ehrlich gesagt geht mir das alles tierisch auf die Nerven.
Dash: Ok aber ich glaube echt ich bin da was auf der Spur
Teo: Bleib dran Alter
Teo: Brb
Ich jogge die Treppe runter und finde meine Mutter vor einem dieser seltsamen Spiegel, in dem sie ein Personal Trainer durch ihr Spiegelbild hindurch in Echtzeit coacht. Augmented Reality ist echt irre, Mann. Das Peloton-Bike ist auch irgendwo hier drin. Wahrscheinlich hinter dem Pilates-Reformer.
»Teo«, schnauft sie. »Hast du schon für morgen gepackt?«
»Mom, ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht kann.«
»Was? Aber du liebst Vail.«
»Es ist nicht in Vail, sondern in Denver, und das ist doch nur eine von Dads Tagungen.« Mein Vater, der ebenfalls Mateo Luna heißt, hat eins der erfolgreichsten Softwareunternehmen der jüngeren Geschichte gegründet, also spricht er oft auf Branchentagungen. Wo ununterbrochen irgendwelche Programmierer versuchen, ihm ihre Apps zu pitchen. Also gleichen seine Kaffeepausen meistens einer Folge von Die Höhle der Löwen.
»Ich hab am Freitag was Wichtiges vor«, rufe ich meiner Mutter ins Gedächtnis. »Das kann ich nicht verpassen.«
»Was? Ein Spiel? Jetzt schon?«
»Das ist nächste Woche. Am Freitag ist die Auswahl fürs Robotikteam.«
»Diese Nerd-Sache? Machst du das immer noch?«
»Mom.« Es soll ein Scherz sein, aber gleichzeitig bezeichnet sie das, was mein Vater macht, nicht als Nerd-Sache, was irgendwie komisch ist. Klar, seine Apps sind inzwischen bei Influencern und Promis beliebt, aber er hat mit Programmieren angefangen genau wie ich.
»Was denn?«, fragt sie und schwingt ihren verschwitzten Pferdeschwanz. »Nerds sind jetzt doch voll angesagt, Schatz …«
»Mom, nicht schon wieder«, stöhne ich, und sie zwinkert mir zu. Meine Mutter genießt es, mir in die Parade zu fahren, wie immer.
»Kannst du dir nicht am Wochenende Zeit nehmen?«, fragt sie, während sie sich mit einem Handtuch den Hals abtrocknet.
»Am Wochenende schon, aber nicht am Freitag.« Wir müssen Anwärter testen. Ich weiß, dass Mom sich alle Mühe gibt, aber sie kapiert einfach nicht, dass ich im Grunde das Rückgrat des Robotikteams bin. Ich war von Anfang an dabei, und ich will wirklich nicht arrogant klingen, aber im Prinzip ist jeder, der was taugt, nur dabei, weil ich ihn rekrutiert habe. Die anderen – Kai, Emmett, Dash, selbst Justin, der zumindest gut genug schweißen kann, um seine anderen Persönlichkeitsmängel auszugleichen – sind im Team, weil wir immer gewinnen, seit ich der Captain bin. Letztes Jahr sogar auf nationaler Ebene. An keiner anderen Schule ist das Robotikteam so cool.
»Aber ich kann dich schlecht allein hierlassen, Schatz. Ich glaube, darüber steht was im Handbuch.« Mom scherzt gern über einen universellen Elternratgeber, der nicht existiert, doch im Grunde handelt es sich um ganz normale Erziehung. (Ich liebe sie, aber die Feinheiten der Mutterschaft entziehen sich ihr irgendwie.)
»Ich komm schon klar«, versichere ich ihr. »Ich bleibe hier, um neue Anwärter für das Robotikteam auszuwählen. Denkst du echt, dass ich, was, ’ne wilde Party schmeiße oder so?«
»Machen das die Kids von heute noch? Wilde Partys schmeißen?«, erwidert sie nachdenklich. »Ihr habt euch doch inzwischen bestimmt was Interessanteres ausgedacht.«
»Niemand schmeißt hier eine wilde Party«, erinnere ich sie. »Genau das sage ich doch. Keine Partys.«
»Teo.« Sie hebt einen mahnenden Finger. »Nimmst du mich etwa auf den Arm?«
»Das würde ich niemals tun, Mom.«
Sie seufzt und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
»Du weißt, dass ich dich vergöttere«, sagt sie mit ernstem Blick.
»Ja, ich weiß.«
»Wahrscheinlich zu sehr.«
»Ja.«
»Und wir wissen beide, dass du lügst.« Sie ist zwar leicht abzulenken, aber leichtgläubig ist sie nicht. Der Effizienz wegen haben wir für den Fall, dass ich irgendwelchen Blödsinn vorhabe, ein System entwickelt, bei dem ich zwei Bedingungen einhalte: Erstens beschränke ich es auf unser Haus, wo die Sicherheit hoch und die Gefahr, einen Arm oder ein Bein zu verlieren, so gering wie möglich ist. Und zweitens, niemals eine ihrer Serien ohne sie zu schauen. Diese Regel ist zwar gerade nicht relevant, aber tief in mein Gehirn eingemeißelt.
»Ich biete dir glaubhafte Bestreitbarkeit«, erinnere ich sie. »Ist es nicht besser, einfach … mitzuspielen?«
Sie wirft mir einen liebevoll warnenden Blick zu.
»Und Dad hat gesagt, es wäre okay, wenn ich erst Samstag fliege«, füge ich hinzu, was stimmt. Auch wenn die Beziehung zu meinem Vater nicht ganz so … progressiv ist, hat er mehr Gründe als Mom, das Testen der Anwärter am Freitag als wichtig zu betrachten. Selbst auf seinem Erfolgslevel – einem Punkt, an dem sich die meisten CEOs auf ihre eigene Insel zurückziehen oder sich ihrer unausweichlichen Golfsucht hingeben – wählt Mateo Luna immer noch jedes einzelne Mitglied seiner Teams persönlich aus, selbst die freien Mitarbeiter und Kurzzeitberater. Einfach gesagt, Micromanagement liegt mir im Blut. (Genau wie Firmensprech. Oft beginnt er unsere Diskussionen mit »wie bereits besprochen« und er telefoniert nie mit mir oder schreibt Nachrichten, er pingt mich an. Synergie!)
»Na meinetwegen«, sagt Mom. Das hat ausgereicht, um sie zu beruhigen, genau wie ich mir dachte. Schließlich ist mein Dad der Strenge. »Aber Grandma wird ein bisschen nach dir sehen, okay?«
»Okay.« Das ist kein Problem. Die Mutter meiner Mom lebt in Beverly Hills und genießt vor allem drei Dinge im Leben: gutes Essen, ihre Meinung zu verkünden und Post-Lagerfeld-Chanel. Sie ist, wie meine Mutter, kulturell eher »jüdisch angehaucht«, wie Mom zu sagen pflegt, als strikt dem Buch der Bücher verpflichtet. Wenn überhaupt, wäre sie beleidigt, wenn ich nicht auf meinen Status achten würde, schon allein aus gesellschaftlicher Verpflichtung heraus. Meine Abuela hingegen lebt in Miami, liebt es zu kochen und geizt ebenfalls nicht mit ihrer Meinung sowie einer gehörigen Portion katholischer Schuldgefühle. Das erklärt wohl, warum meine Mutter und ich um ein Thema herumtanzen, das mir mein Vater niemals durchgehen lassen würde.
»Also gut«, sagt Mom und tätschelt meine Wange. »Du erledigst deine kleine Nerd-Sache und ich treffe dich dann am Flughafen von Vail.«
»Denver.«
»Hm?«
»Denver, Mom. Nicht Vail.«
»Jaja.« Sie wirkt einen Moment lang abgelenkt, dann lächelt sie mich plötzlich an. Es ist wie ein Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht. »Wie konnte ich nur so ein kluges Kind bekommen, hm?«, fragt sie mich fröhlich und zerwühlt meine Haare. »Und dann auch noch so hübsch.«
»Mom«, stöhne ich, und sie gibt mir einen spielerischen Knuff.
»Mach deine Hausaufgaben«, ruft sie mir hinterher. »Das steht im Handbuch.«
»Glaub ich sofort«, sage ich und lasse mich von ihr auf die Wange küssen, bevor sie Siri anweist, ihre 2000-Alternative-Pop-Playlist zu spielen.
»Thai zum Abendessen?«, fragt sie über die ersten Takte von »Teenagers«.
»Klingt gut«, rufe ich zurück, während ich zwei Stufen auf einmal nehme und die Tür zu meinem Zimmer hinter mir zuziehe. Auf meinem Handy habe ich acht neue Nachrichten von Dash bezüglich seiner Verschwörungstheorie, außerdem eine von Kai, in der er über Neelams Entwurf abkotzt.
Ugh, Neelam. Sie ist ja nicht schlecht in dem, was sie tut, oder so. Aber ich weiß längst, was nötig ist, um zu gewinnen. Ich habe die nationalen Meisterschaften dreimal gewonnen, einmal mehr als sie. Ich schreibe Kai irgendwas Belangloses, dass er sich keine Sorgen machen soll, aber das wird er natürlich trotzdem tun. Dann chatte ich mit Dash weiter.
Teo: Ja klingt alles voll logisch
Teo: Ach ja Party Freitagabend bei mir nach der Robotik-AG?
Dash: Niiiiiiiiice
Dash: Bin dabei
Der Donnerstag beginnt strahlend, mit zwitschernden Vögeln und dem süßen Versprechen bevorstehenden Unheils. Eine übernatürliche Kraft drückt die Schlummertaste meines Weckers (auf keinen Fall ich selbst, mit Sicherheit ein Geist) und ein streitlustiges Paar Schuhe meines Bruders Luke – die wie üblich einfach so mitten vor der Tür abgestellt wurden, wie es in unserem schuhlosen Haushalt üblich ist – schubst meinen großen Zeh direkt in die geliebte Vitrine meiner Mutter mit dem Porzellannippes, der für nichts gut ist. Natürlich reagiere ich mit einem gesalzenen Kraftausdruck – den Luke nicht hört, denn während ich schon ziemlich knapp dran bin, ist er noch nicht mal wach. Es würde mich wundern, wenn er es aus dem Bett schafft, bevor ich wieder nach Hause komme – obwohl wenn doch, wird er wahrscheinlich nur wieder meinen Netflix-Algorithmus durcheinanderbringen, also ist es im Grunde eine Lose-lose-Situation.
Es wird nicht besser. Am späten Vormittag stimmen dreißig oder mehr meiner Mitschüler in den dramatischen Chor meines Leidens ein und kichern hämisch, als ich kurz vor der großen Pause offiziell in Ms. Voss Klassenzimmer gebeten werde.
»Also gut.« Ms. Voss schiebt mir ein Blatt Papier über ihren Schreibtisch zu und bemerkt glücklicherweise nicht, wie Jamie mir von unserem üblichen Treffpunkt im Gang wild zuwinkt. Dann schließt sich die Tür und es gibt nur noch mich, mein Todesurteil und Ms. Voss.
»Ich habe gestern Abend eine Antwort von Mr. MacIntosh bezüglich der Aufnahme ins Robotikteam bekommen. Wie es aussieht, musst du nur diese Software runterladen«, sagt Ms. Voss und tippt mit einem unlackierten Fingernagel auf eine Zeile der Anweisungen. »Dann entwirfst und testest du darin einen Egg Drop. Weißt du, was das ist?«
»Ähm, ich glaub schon, ja«, antworte ich und winde mich ein bisschen auf meinem Platz. Ich war noch nie besonders gut mit Software und Computern und eigentlich habe ich keine Ahnung, worum es bei einem Egg Drop geht, außer, na ja, dass ein Ei fallen gelassen wird. Aber wenn ich das zugebe, wird sie es mir nur erklären, und ich will das lieber selbst rausfinden. Meiner Meinung nach fährt man besser damit, seine Unwissenheit für sich zu behalten.
Ms. Voss wirft mir einen prüfenden Blick zu, als wüsste sie genau, dass ich lüge, doch glücklicherweise fährt sie fort.
»Wichtig ist nur, dass du es versuchst«, sagt sie nur. »Du hast die richtigen Instinkte, Isabel. Du hast das Interesse. Die entsprechenden Fertigkeiten zu lernen ist etwas Gutes.« Wieder hält sie inne und mustert mich. »Hast du an deiner Collegebewerbung gearbeitet?«
Seit gestern? Haha, nö. Ich habe den gestrigen Tag hauptsächlich damit verbracht, mit Luke darüber zu streiten, ob er meinen Joghurt gegessen hat (ich WEISS, dass er es war), bis ich über dem Buch eingeschlafen bin, das ich für Englisch lesen sollte.
»Natürlich«, lüge ich ungeniert.
»Und noch mal über das Thema Maschinenbau nachgedacht?«
»Irgendwie schon.« Aber nur insofern, dass ich viel darüber nachgedacht habe, wie sehr mich meine alten Freunde verarschen würden, wenn ich in die Robotik-AG eintrete. Oder in irgendein anderes Team oder eine AG. Oder überhaupt irgendwas Ehrgeiziges mache, ganz zu schweigen davon, mich an Robotik zu versuchen. (»Ähm, das hier ist L. A.«, hat Sabrina mal zu Cristina gesagt, als die für das Frühlingsmusical vorsprechen wollte. »Du kannst doch entdeckt werden oder einen Vlog starten, auch ohne dich vor der ganzen Schule zu blamieren.«)
»Dann betrachte das hier doch einfach als Gelegenheit, es auszuprobieren. Um rauszufinden, ob das was für dich ist.« Ms. Voss schenkt mir ein schwaches Lächeln. »Du wirst es nie wissen, wenn du es nicht versuchst, oder?«
»Total.« Selbst ich merke, dass mich das wie eine Vollidiotin klingen lässt.
Ich weiß, dass Ms. Voss wahrscheinlich recht hat, aber ich kann mein latentes Unbehagen einfach nicht überwinden. Es ist nicht so, als würde ich es generell hassen, was Neues auszuprobieren, aber zu wissen, dass ein Publikum meinen Sieg oder meine Niederlage miterleben wird, ist ein zutiefst unangenehmer Gedanke. Es ist mir immer schon leichter gefallen, Dinge zu tun, bei denen ich schon weiß, dass ich gut bin.
Und Robotik … gehört definitiv nicht dazu.
Von meinen beiden Brüdern kann nur einer im klassischen Sinn als erfolgreich bezeichnet werden. Luke wirkte anfangs sehr vielversprechend, angesichts seines Modelgrinsens, seines guten Wurfarms und der Parade der gebrochenen Herzen, die praktisch wöchentlich durch unsere Küche zog. Doch mein anderer Bruder Gabe ist der Liebling meiner Mutter. Man würde es nicht meinen, wenn man diesen großen, schlaksigen Kerl sieht, aber was die Qualifikationen für den Posten des Lieblingssohns angeht, fährt Gabriel Maier die ganz schweren Geschütze auf. Während Luke derzeit wieder zu Hause wohnt und dieses Semester ein »Sabbatical« wegen eines angeblichen Kreuzbandrisses einlegt (in Wirklichkeit wurde er wegen irgendwas vorübergehend von der Baseballmannschaft der Cal State Fullerton suspendiert), ist Gabe im zweiten Studienjahr in Dartmouth. Seine Hauptfächer sind Computerwissenschaften und Medizin, und immerhin ist das eine Eliteuni