Nach dem Sturm - Maryanne Becker - E-Book

Nach dem Sturm E-Book

Maryanne Becker

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Beschreibung

Friedenskinder, das sind die Kinder, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurden und in der Nachkriegszeit aufwuchsen. Die Autorin hat 13 Frauen und Männer porträtiert. Gemeinsamkeiten und Unterschiede treten zu Tage. Es wird deutlich, dass Kinder von Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ihre Fremdheit zu spüren bekamen und nicht selten das Gefühl von Diskriminierung hatten.

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Maryanne Becker, Jahrgang 1952, ist in Belgien geboren und aufgewachsen. Seit vielen Jahren lebt sie in Berlin, wo sie Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaften studiert hat. Sie schreibt Romane, Sachbücher und Kurzkrimis:

www.maryanne-becker.de

Inhalt

Einleitung

Nachkriegszeit

Interviewpartner

Porträts – Kindheitsgeschichten

Heimatlos – Anne

Schwer erziehbar – Kurt

Mutters Geschichten und Vaters kritischer Geist – Ursula

Berliner Nachkriegskindheit – Heinz

Öfter abgestellt als ein kleiner Hund – Friedel

Der Krieg war weit weg für mich – Mathias

Der stets präsente, ungeladene Gast – Marita

Kartoffelkäfer – Lorbass

Paradox – Stephanie

Die Dampfmaschine – Alfred

Weihnachtstrauma – Veronika

Evangelisch im katholischen Rheinland – Nikolas

Eine herzliche Geschichte

Ein Beitrag von Gerald Drews

Quintessenz

Dank

Bibliografie

Einleitung

»Und doch waren wir Kinder kluge kleine Leute und kümmerten uns.«

Friedel, Jahrgang 1945

Zwischen 1945 und 1955 erblickte die erste Generation der Friedenskinder das Licht der Welt. Kinder, die von Bombennächten, Angst und Schrecken des Krieges verschont geblieben waren. Sie wurden hineingeboren in eine Zeit, als der Silberstreif am Horizont langsam hinter dem Schatten der Vergangenheit zum Vorschein kam. Es ging aufwärts. Aufbauen und nicht zurückschauen lautete das unausgesprochene Motto.

Das vorliegende Buch fokussiert auf Kindheit in der Nachkriegszeit. Es geht um das Kindsein in einer Ära, die von der jüngeren Vergangenheit und den Herausforderungen der neuen Zeit geprägt war.

In autobiografischen – persönlich oder über Internet-Video geführten – Erzählinterviews berichten sechs Frauen und sechs Männer, was ihnen unter dem Stichwort »Nachkriegskindheit« hinsichtlich ihrer Lebensgeschichte wichtig erscheint.

Für die Interviews wählte ich die Methode der narrativen Identität.1 In der autobiografischen Erzählung ist »narrative Identität die Art und Weise, wie ein Mensch in konkreten Interaktionen Identitätsarbeit als narrative Darstellung und Herstellung von jeweils situativ relevanten Aspekten seiner Identität leistet.«2

Diese Vorgehensweise gewährt den erzählenden Personen die größtmögliche Freiheit des Erinnerns und des Empfindens von Kindheitssituationen und –verläufen. Die Interviewten selbst setzten den Schwerpunkt dessen, was sie zum Zeitpunkt des Interviews erinnerten und erzählen wollten. Die Methode der narrativen Identität zielt auf die Möglichkeit der biografischen Selbstdeutung3 ab. Folglich enthalten die hier präsentierten Kindheitsgeschichten keinerlei personen- oder verhaltensbezogene Bewertung oder Schlussfolgerung.

Anhand dieser Erzählungen: »Ich bin die/der X und habe das so und so erlebt« erstellte die Autorin Kindheitsporträts der interviewten Frauen und Männer. So entstanden zwölf individuelle Geschichten. Während der Großteil der Erzählenden berichtet, dass sich die soziale und ökonomische Situation ihrer Familie im Laufe der Fünfzigerjahre stabilisierte, blieb die Lage in anderen Fällen aufgrund individueller Voraussetzungen prekär.

Am wiederkehrenden Topos »Hunger« lassen sich wesentliche Unterschiede im Erlebten verdeutlichen. »Hunger« zog sich als Thema durch alle Familien, manche Kinder haben den Hunger am eigenen Leib erlebt, andere wunderten sich, wie ihre Eltern mit Lebensmitteln umgingen und sich auf die Erfahrung des Hungerns beriefen.

Die 1945 geborene Friedel erinnert sich: »Ich war ein Kind mit schönen langen roten Locken, und ich hatte so eine Art, anderen Erwachsenen auf ihre Brote zu schauen, bis sie was abgaben, da mal einen Apfel, dort ein Stück Brot.«

Die später Geborenen kannten offenbar kein Hungern aus eigenem Erleben, betonen jedoch den hohen Stellenwert von Nahrungsmitteln: Nichts durfte verderben oder gar weggeworfen werden. Der wohlhabende Vater der 1957 geborenen Veronika fischte noch in den Sechzigerjahren Brotreste aus dem Mülleimer, um sie zu essen, wenn die Familie sie ihm nicht mit Verweis auf Schmutz und Bakterien wieder aus der Hand genommen hätte.

Lorbass schildert, Vater und Bruder hätten das Essen immer förmlich in sich hinein gestopft, als hätten sie den erlittenen Hunger im Nachhinein stillen können.

Wesentliche Unterschiede werden auch im Bereich »Aufgaben und Pflichten« deutlich. Die Handwerkersöhne Mathias und Lorbass mussten ihren Vätern regelmäßig zur Hand gehen, und Anne als ältester Tochter einer kinderreichen Familie wurden zahlreiche Pflichten im Haushalt und bei der Versorgung der jüngeren Geschwister aufgebürdet. Bemerkenswert ist auch, dass die beruflich selbstständigen Eltern ihre Kinder zum Kassieren offener Rechnungen losschickten.

Veronika dagegen musste nur dann arbeiten, wenn sie sich etwas wünschte, was der Vater nicht zu zahlen bereit war.

Dass bzw. wie der Zweite Weltkrieg und dessen Folgen die Generation ihrer Eltern, damit die eigene Kindheit und zum Teil die gesamte Biografie maßgeblich beeinflussten, war nicht allen Erzählenden präsent. Manche Zusammenhänge und Kausalitäten wurden erst während des Erzählens deutlich. So berichtet Mathias von der rheumatischen Erkrankung seines Vaters und vermutet die Ursache dafür in einem Unfall bei der Marine, wo der Vater lange in der kalten Ostsee gelegen und auf Rettung gewartet hatte.

Gemeinsam ist den Interviewten, dass sie in einer Zeit aufwuchsen, die von Krieg, Zerstörung, Flucht und Vertreibung auf der einen und von neuen Werten auf der anderen Seite gekennzeichnet war.

Nicht alle porträtierten Frauen und Männer verspürten in der Vergangenheit das Bedürfnis nach psychotherapeutischer Hilfe, nicht alle erlebten ihre Kindheit so belastend, dass sie sie retrospektiv als traumatisch bezeichnen würden.

Zum besseren Verständnis der einzelnen Kindheitsgeschichten werden die Porträts mit relevanten familiengeschichtlichen, historischen und geografischen Informationen eingeleitet.

Im Unterschied zu anderen Publikationen basieren die hier erstellten Porträts auf dem freien Erinnern und Erzählen der Interviewten. Sie stellen ihre Kindheit selbst dar, bewerten sie selbst und ziehen eigene Schlussfolgerungen. Es geht hier immer um das subjektive Erleben.

Über Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel wurde in den vergangenen Jahren viel publiziert.4 Diese Veröffentlichungen basieren zum Großteil auf Erkenntnissen aus psychotherapeutischen Settings. Der These, die Nachkriegszeit habe sich belastend bis traumatisierend auf die psychosoziale Entwicklung der damaligen Kinder ausgewirkt, wird in diesen Schriften ein zentraler Stellenwert zugewiesen.

In diese Kategorie gehört auch die sogenannte »Betroffenheitsliteratur«, in der sich die Autorinnen und Autoren mit der eigenen, traumatischen Kindheit auseinandersetzen.5

Andere Sachbücher betrachten den Familienalltag in den Fünfzigerjahren, wobei die »Nachkriegszeit« zwar implizit, quasi als Synonym für den Begriff »Fünfzigerjahre«, aber nicht explizit als Aufhänger behandelt wird.6

Dem gegenüber widmen sich die oftmals reich bebilderten Erinnerungs- und Geschenkbücher den meist positiv erlebten Alltagsgeschichten und Anekdoten der Kindheit in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, wobei häufig nach Mädchen- und Jungengeschichten unterschieden wird.7

Die hier vorgelegten Geschichten vereinen Gemeinsamkeiten, Vielfalt und Einzigartigkeit. Es geht nicht um objektive Wahrheit, sondern um subjektive Erinnerung.

Sie zeigen auf, dass die Kindheit der Erzählenden sowohl von den individuellen (familiären) Umständen als auch von den gesellschaftlichen Gegebenheiten der Nachkriegszeit geprägt war.

1 Lucius-Hoene, Gabriele, Deppermann Arnulf, Rekonstruktion narrativer Identität, Wiesbaden 2004

2 Ebd. S. 55

3 Lucius-Hoene, A. Deppermann, S. 9

4 Z. B. Bode, Sabine, Nachkriegskinder. Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter, Stuttgart 2011

5 Z. B. Baur-Timmerbrink, Wir Besatzungskinder: Töchter und Söhne alliierter Soldaten erzählen, Berlin 2015

6 Z. B. Seifert, Claudia, Wenn du lächelst, bist du schöner. Kindheit in den 50er und 60er Jahren, München 2004. (Interviews mit sieben 45–50-jährigen Frauen)

7 Z. B. Müller, Jochen, Unsere Kindheit in den 50er Jahren,

Nachkriegszeit

Als der vom Deutschen Reich 1939 angezettelte Zweite Weltkrieg am 7. bzw. 8. Mai 19458 mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht endete, lag Deutschland in Schutt und Asche. Über fünf Millionen deutsche Soldaten – Söhne, Ehemänner, Verlobte, Väter – und mehr als eine Million deutsche Zivilisten hatten ihr Leben verloren.9 Über 11 Millionen deutsche Soldaten waren in Kriegsgefangenschaft geraten.10 Durch Flucht und Vertreibung hatten zwischen 1945 und 1950 etwa 12 bis 14 Millionen Deutsche ihre Heimat verloren. Beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes waren 1,7 Millionen Vermisste – Soldaten, Zivilisten, Kinder – registriert.11

In Ermangelung einer Stunde Null, eines Neubeginns frei von den psychischen und physischen Belastungen der Vergangenheit, waren die erschöpften, zermürbten und oft orientierungslosen Menschen mit kaum zu bewältigenden Herausforderungen konfrontiert.

Ruinen und Provisorien bestimmten das Bild der Städte, schwer Kriegsversehrte und von Hunger und Elend gezeichnete Menschen waren allgegenwärtig. Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemals deutschen Ostgebieten kamen in Übergangslager, von wo aus ihnen Unterkünfte zugewiesen wurden, und zwar nahezu ausschließlich als Einquartierung in bewohnten Häusern und Wohnungen, die aus Behördensicht entsprechenden Platz aufwiesen. Weder im Westen noch in der Ostzone12 waren diese Menschen willkommen, galten sie doch als Fremde, als Konkurrenz beim Bemühen um Wohnraum und auf dem Arbeitsmarkt. Nicht selten wurden sie von ihren ortsansässigen Landsleuten als Rucksackdeutsche, Kartoffelkäfer und Polacken stigmatisiert.

Treibende Kraft und gleichzeitig Gebot der Stunde war der Wiederaufbau. Es galt, Trümmer zu beseitigen, ein neues Dach über dem Kopf zu schaffen, das Überleben zu sichern und den Blick nach vorn zu richten.

Ein völliger Bruch mit der Vergangenheit war ebenso wenig möglich wie die rasche Akzeptanz und Umsetzung der neuen, vielfach als Oktroyierung empfundenen Gesellschaftsordnungen13. Sowohl die Demokratie nach westlichem Muster als auch der von der Sowjetunion eingeführte Sozialismus im Osten Deutschlands waren den meisten Menschen fremd. In den Köpfen herrschten vielfach noch überkommene Vorstellungen und die Ideologie der Nazizeit. Neue Werte und Normen lösten erst allmählich und nur teilweise die bisherigen Glaubenssätze ab.

Verbitterung, Frustration, Aufbauwillen, Zweckoptimismus und die Verdrängung der jüngeren Vergangenheit, die mit einem sturen Blick in die Zukunft gepaarte Ignoranz und das Festhalten an autoritären Erziehungsmethoden, kennzeichnen die Elterngeneration der Fünfzigerjahre.

Zwölf Jahre nationalsozialistischer Gewaltherrschaft hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Elterngeneration der Nachkriegskinder war in ihrer Kindheit und Jugend dem Einfluss der Nazi-Ideologie in Schule und Freizeit ausgesetzt gewesen14.

Vielfach sahen die Kriegsheimkehrer, die Ausgebombten, die Flüchtlinge und Vertriebenen, die Hinterbliebenen der Gefallenen und Vermissten in erster Linie sich selbst als Opfer, genauso wie die Profiteure und Claqueure des Nationalsozialismus, die dem verpassten Endsieg nachtrauerten. Sie sahen sich als Opfer der Alliierten, bestenfalls des Kriegs, ohne die Rolle des Nationalsozialismus und seiner Machthaber als Auslöser zu reflektieren.

Und da war die Scham der Opfer. Die Scham über den sozialen Abstieg derjenigen, die bis 1945 auf der vermeintlich richtigen Seite gestanden hatten und nun Ansehen und Vermögen verloren hatten. Die Scham der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Und schließlich die Scham der überlebenden Opfer des Holocausts, ihre Scham über die unvergleichliche Erniedrigung. Es ist nicht auszuschließen, dass es auch Täter gegeben haben mag, die sich schämten und Reue empfanden.

Am 11.11.1948 präsentierte Karl Berbuer15 der rheinischen Öffentlichkeit einen Karnevalsschlager mit dem Titel »Trizonesien-Song«. Der Historiker Dirk Urbach bezeichnete den Liedtext treffend als »Spiegel der Mentalitäts- und Politikgeschichte 1948«16.

Dieser Text erlaubt einen bemerkenswerten Einblick in die Befindlichkeit vieler Nachkriegsdeutschen. Ungeachtet der jüngsten Vergangenheit verweist er auf Kultur und Humor der Trizonesier17, bezeichnet die Deutschen als Opfer von »Diplomaten«, denen er die Schuld an der Teilung und Kolonialisierung Deutschlands gibt. Die Deutschen seien keine Menschenfresser, sondern diejenigen, die besser küssen. Mit dieser Aussage werde die Schuld an der Vernichtung der Juden derealisiert und versucht, sich als Mörder reinzuwaschen.18

Dass dieser Song bei Sportveranstaltungen ersatzweise als Nationalhymne gespielt wurde, spricht für sich.

Die folgenden Porträts dokumentieren die Vielfalt der Faktoren, die das Denken und Handeln der Erwachsenen in den Nachkriegsjahren beeinflussten. Die Art und Weise, wie sie ihre Elternrolle ausfüllten, spiegelt ihre Überzeugungen wider. Elterliche – vor allem väterliche – Strenge konnte sowohl pädagogisch motiviert als auch Ausdruck von Geringschätzung und Despotie sein.

Trotz der in Deutschland herrschenden Gemütslage offenbaren die meisten Porträts auch Verantwortungsbewusstsein und Optimismus der Elterngeneration. Die Kinder sollten es besser haben, wenngleich die Methode, mit welcher der elterliche Wunsch durchgesetzt wurde, meist der schwarzen Pädagogik entstammte.

Neben der Feindseligkeit Flüchtlingen und Vertriebenen gegenüber erfuhren einige der Porträtierten aber auch Unterstützung durch Alteingesessene, z. B. durch Überlassung gebrauchter Gegenstände.

In der 1949 auf Veranlassung der Westalliierten gegründeten, die drei westlichen Besatzungszonen umfassenden Bundesrepublik Deutschland ging es langsam, aber stetig wirtschaftlich aufwärts. Somit verbesserte sich sowohl die ökonomische Situation der Familien der hier Porträtierten als auch die Versorgung mit adäquatem Wohnraum. Bereits in den Fünfzigerjahren wurde in der Bundesrepublik ein den USA vergleichbarer Standard erreicht. Dieser wirtschaftliche Aufschwung ging als »Wirtschaftswunder«19 in die Geschichte ein.

Die wirtschaftliche Entwicklung der auf Betreiben der Sowjetunion gegründeten Deutschen Demokratischen Republik20 verlief entsprechend der sozialistischen Doktrin und vor dem Hintergrund umfassender Industriedemontagen durch die Sowjetunion deutlich schleppender. Anders als in der jungen Bundesrepublik fehlten hier Arbeitskräfte: Sowohl die materielle Not als auch die elementare Abneigung gegen das DDR-Regime veranlassten mehr als zwei Millionen Bürger, in den Westen zu fliehen.21

8 Es gab zwei offizielle Kapitulationserklärungen: Die erste wurde am 7. Mai 1945 im französischen Reims unterzeichnet, die zweite in der Nacht zum 9. Mai in Berlin (www.wissen.de)

9 Insgesamt fielen weltweit etwa 80 Millionen Menschen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. www.wikipedia.de Tote des Zweiten Weltkriegs. Ich beschränke mich hier nur deshalb auf die Zahlen für Deutschland, um die Nachkriegszeit in Deutschland zu verdeutlichen.

10www.wikipedia.de Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs

11 Dabei handelte es sich ausschließlich um Meldungen aus der Bundesrepublik Deutschland. www.drk-suchdienst.de, Verschollene des Zweiten Weltkriegs

12 Den Begriff Ostzone verwende ich für die sowjetisch besetzte Zone vor Gründung der DDR.

13 In den drei Westzonen ging es um die Demokratisierung entsprechend den Vorstellungen der Westalliierten, während in der Ostzone eine sozialistische Gesellschaft nach sowjetischem Muster vorgegeben wurde.

14 Auch dann, wenn die Familie die Weltanschauung der Nazis nicht teilte oder ablehnte, konnten sich die Kinder kaum entziehen.

15 Karl Berbuer, Köln 1900–1977, deutscher Komponist, Krätzchen- und Schlagersänger.

16 Dirk Urbach, Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, in: Praxis Geschichte 17, 2004/5 S. 26–30. Der Wortlaut des Lieds ist immer Internet lesbar;siehe: Trizonesien-Song

17 Die drei von den West-Alliierten besetzten Westzonen wurden spaßhaft als Trizonesien und deren Einwohner als Trizonesier bezeichnet.

18 Clemens Heni, Heil Hitler und Alaaf, in: Tagesspiegel vom 25.1.2008

19https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftswunder

20 Aus der sowjetischen Besatzungszone, im Volksmund »Ostzone« genannt

21 2,5 Millionen Menschen verließen die DDR bis zum Mauerbau 1961 siehe: Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, Die Mauer und ihr Fall, Auflage 1996

Interviewpartner

Auf der Suche nach Interviewpartnern stellte ich das Projekt Nachkriegskinder in sozialen Netzwerken vor und bat im Bekanntenkreis um Mundpropaganda.

Es bekundeten zunächst etwa 25 Personen ihr Interesse, von denen etwa die Hälfte die Voraussetzungen nicht abdeckten bzw. deren Vorstellungen zu Inhalt und Gestaltung der Porträts nicht meinem Konzept entsprachen. Schließlich erfüllten sechs Frauen und sechs Männer meine Auswahlkriterien: In einem ca. 75-minütigen Interview (persönlich bzw. über Skype-Video) sollten sie frei, offen und spontan über die eigene Kindheit das erzählen, was ihnen berichtenswert erschien. Sie mussten in der Zeit von 1945 (nach Ende des Zweiten Weltkriegs) bis 1957 geboren sein. Voraussetzung war auch das schriftlich festgehaltene Einverständnis mit der Erstellung und Veröffentlichung der anhand ihrer Erzählung von mir erstellten Einzelporträts. Etwa die Hälfte der Befragten wählte ein Pseudonym.

Die Frauen gehören den Jahrgängen 1945, 1950, 1951, 1953, 1956 und 1957 an. Die interviewten Männer wurden 1946, 1947, 1949, 1950 (2) und 1955 geboren.

Von Flucht, Vertreibung, Um- und Aussiedlung waren die Familien von acht Interviewpartnern betroffen. Drei Frauen und zwei Männer hatten die Flucht bzw. Umsiedlung in den Westen als Kinder selbst miterlebt. Die aus dem Osten stammenden Eltern der drei anderen Männer wohnten zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Söhne bereits in der Bundesrepublik. Drei Frauen und zwei Männer wurden in der Heimatregion der Eltern bzw. eines Elternteils geboren und wuchsen dort auf.

Schwer körperlich kriegsversehrt waren drei Väter. Hinsichtlich der psychischen Folgen von Krieg und Nationalsozialismus sind wir auf Deutungen und Vermutungen der Erzähler angewiesen. Dass die Erlebnisse für einen Großteil der Elterngeneration nicht folgenlos geblieben sind, liegt auf der Hand.

Porträts – Kindheitsgeschichten

Heimatlos – Anne

Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren Annes Eltern gerade 20 Jahre alt, besaßen das Abitur und Kriegserfahrung. Die Mutter als Flakhelferin, der Vater als Soldat an der Westfront. Beide waren streng gläubige Katholiken. Eigentlich hätte der Vater selbst Priester werden sollen, hatte aber zur Enttäuschung seiner Eltern einen anderen Weg gewählt. Sein jüngerer Bruder dagegen erfüllte den Eltern diesen Wunsch.

Dass die Nazis so massiv gegen die Kirche eingeschritten waren, hatte den Vater empört und seine Sympathie für das System deutlich gedämpft, obwohl er »wie alle« von manchen Aspekten des Nationalsozialismus beeindruckt war. Im großbürgerlichen Elternhaus der Mutter dagegen sei auf die Braunhemden und alles, was damit zu tun hatte, herabgesehen worden.

Nach der Heirat lebten die Eltern in einem kleinen Ort im westlichen Eichsfeld, wo Anne 1951 als zweites Kind geboren wurde. Nach der Kapitulation kam das bis 1945 zur preußischen Provinz Sachsen gehörende Gebiet zunächst unter amerikanische Besatzung, fiel dann im Sommer 1945 im Rahmen der Neuordnung Deutschlands durch die Alliierten an die sowjetische Zone, wo 1949 die DDR gegründet wurde.

Der Vater hatte nach dem Krieg ein Lehrerseminar besucht und anschließend eine Anstellung im Dorf erhalten. Nicht nur ihres katholischen Glaubens wegen fühlten sich die jungen Eheleute eingeengt und bevormundet. Der Vater beharrte auf sein Recht der freien Meinungsäußerung und kritisierte offen die politischen und sozialen Verhältnisse im neuen Staat. Als er trotz mehrfacher Verwarnung nicht bereit war, sich zurückzuhalten, drohte ihm die Gefangennahme und Lagerhaft in Sibirien. Dank des Hinweises eines Freundes konnte die Familie in letzter Minute bei Nacht und Nebel fliehen. Mit den beiden zwei und drei Jahre alten Kindern durchquerten sie den von Stacheldrahtzäunen gesäumten, frei gepflügten Streifen Land – die von schussbereiten Soldaten bewachte grüne Grenze – Richtung Westen. Aller Vorsicht zum Trotz wurden die Flüchtenden bemerkt und die Soldaten feuerten mehrere Schüsse auf die Familie ab. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt.

Erste Anlaufstelle für die Familie war das Grenzdurchgangslager Friedland im Landkreis Göttingen. Anschließend siedelten sie in das Flüchtlingslager Massen bei Unna um. Von dort aus wurden sie einige Monate später in einem Schloss im Sauerland einquartiert, wo sie eine kleine Dienstbotenwohnung zugewiesen bekamen.