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Die utb-Reihe „Frag doch einfach!“ beantwortet Fragen, die sich nicht nur Studierende stellen. Im Frage-Antwort-Stil geben Expert*innen kundig Auskunft und verraten alles Wissenswerte rund um ein Thema. In diesem Band werden unter anderem Antworten auf diese Fragen zu lesen sein: Warum hat die erste Euphorie von der Rio Konferenz 1992 nachgelassen? Was bringt uns die Agenda 2030 und die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie? Gibt es öffentliche Einrichtungen, die Verantwortung für das Nachhaltigkeitsziel übernehmen? Gibt es positive Beispiele zu nachhaltigem Konsum? Die wichtigsten Fachbegriffe werden zudem prägnant vorgestellt und es wird verraten, welche Websites, YouTube-Videos und Bücher das Wissen aus diesem Band vertiefen können.
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Seitenzahl: 202
Michael von Hauff
Nachhaltigkeit für Deutschland? Frag doch einfach!
Klare Antworten aus erster Hand
UVK Verlag · München
Umschlagabbildung: © iStock – peopleImages
DOI: https://doi.org/10.36198/9783838555034
© UVK Verlag 2024— Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]
Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung
utb-Nr. 4767
ISBN 978-3-8252-6353-9 (Print)
ISBN 978-3-8463-6353-9 (ePub)
Nachhaltige Entwicklung gilt unter Experten als zukunftsorientiertes Leitbild bzw. Paradigma. Diesem Leitbild hat die Völkergemeinschaft erstmals 1992 auf der Konferenz in Rio de Janeiro als dem Leitbild des 21sten Jahrhunderts zugestimmt. Die Neuorientierung, die durch dieses Leitbild vorgegeben wurde und den global vorherrschenden Mainstream des Neoliberalismus ablösen sollte, führte zunächst zu einer großen Euphorie. Sie basierte auf der Hoffnung, dass nachhaltige Entwicklung bei konsequenter Umsetzung einen wichtigen Beitrag zur Lösung oder zumindest zur Verringerung der drängenden Probleme wie Klimawandel, Rückgang der Biodiversität, Armut, Hunger, ungleiche Verteilung, Gendergerechtigkeit aber auch militärische Konflikt beitragen könnte.
Zwischen Hoffnung und der konkreten Entwicklung kam es jedoch zu einer Kluft: vielfach beließ man es dabei die Probleme zu beklagen oder zu verdrängen. Viele Verantwortungsträger gingen überwiegend auf den vertrauten Pfaden einer nicht nachhaltigen Entwicklung weiter, oder beschränkten sich auf einige wenige Reformen. Eine umfassende Transformation, wie sie in dem Leitbild angelegt und gefordert wird, bleibt bisher aus. Dabei steht gerade jetzt in der aktuellen Krise die verbreitete Forderung: „so können wir nicht weiter wirtschaften“, verstärkt im Raum und wird in zunehmendem Maße von Politikern, Wissenschaftlern, Vertretern der Kirche aber auch von Vertretern aus der Wirtschaft vorgetragen.
Nachhaltigkeit wurde bisher begrifflich in verschiedene Bereiche der Gesellschaft in unterschiedlicher Intensität und Intention eingeführt. In der Wirtschaft wird bei der Produktion und den Produkten vieles schon als nachhaltig ausgewiesen. Besonders in der Werbung wird der Begriff häufig genutzt, ohne dass Experten oder auch allgemein den Konsumenten immer klar wird, warum eine Produktion oder ein Produkt als nachhaltig ausgezeichnet und beworben wird. Für viele Unternehmen gehört es in diesem Kontext heute zur Imagepflege sich im Internet in Hochglanzbroschüren als nachhaltiges Unternehmen und damit als progressiv und verantwortungsvoll zu generieren. Dabei gibt es durchaus Unternehmen, die sich dem Leitbild ernsthaft verpflichtet fühlen und bei der Umsetzung auf einem guten Weg sind.
In der Wissenschaft gibt es einige Disziplinen, wie z. B. die Architektur oder das (Bau-)Ingenieurwesen, aber auch die Sozialwissenschaften, die Nachhaltigkeit zunehmend entdecken. Die Ingenieurwissenschaften wenden sich bisher primär der ökologischen Nachhaltigkeit zu. Es geht also darum umweltschonendere Produktionsanlagen bzw. Maschinen und Produkte zu entwickeln und herzustellen. Dabei geht es dann um eine höhere Energieeffizienz oder um eine ressourcensparende Produktion. Hier gibt es teilweise vielversprechende Entwicklungen. Aber auch in den Sozialwissenschaften wenden sich einige Vertreter der verschiedenen Disziplinen der nachhaltigen Entwicklung teilweise systematisch zu. So entstand beispielsweise die Nachhaltigkeitsökonomie, die sich von der noch dominierenden Mainstream Ökonomie deutlich unterscheidet.
Der Bildungssektor, der sich besonders der nachhaltigen Entwicklung zuwenden sollte, da Schüler und Studierende in ihrem zukünftigen Arbeitsleben mit dem Thema vertraut sein sollten, geht das Thema noch eher zurückhaltend bzw. partiell an. Fragt man Schüler oder Studierende über ihre Kenntnisse zur nachhaltigen Entwicklung, so haben sie zu dem Thema meistens – wenn überhaupt – nur rudimentäre Vorstellungen bzw. Kenntnisse. Es gibt jedoch einige Schulen und Hochschulen, die eine Vorreiterrolle einnehmen. Zu nennen sind beispielsweise die Universität Lüneburg oder die Hochschule für Nachhaltigkeit Eberswalde. Aber sie sind bisher in Deutschland noch die Ausnahme.
In der Politik kann man eine gewisse Ambivalenz feststellen: Einerseits hat Deutschland eine ambitionierte nationale Nachhaltigkeitsstrategie und auch Bundesländer haben auf Landesebene oft eigene Nachhaltigkeitsstrategien, die im Vorwort als wichtige Grundlage für die Politikgestaltung ausgewiesen werden. In politischen Statements oder Diskussionen wird von Politikern jedoch darauf kaum Bezug genommen. Auch die Politikstile, die z. B. auf mehr Partizipation ausgerichtet sein sollten, haben sich noch nicht konsequent in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickelt. Eine häufige Begründung ist: mit Nachhaltigkeit kann man keine Wahl gewinnen. Daher ist eine nachhaltigkeitsorientierte Politik (noch) nicht opportun. Dabei mangelt es nicht an Literatur zur Gestaltung bzw. Umsetzung einer nachhaltigen Politik. (vgl. u. a. v. Hauff, Nguyen 2013)
Die Medien nehmen das Thema bisher auch noch nicht in ausreichendem Maße wahr. Die Vielzahl der Talkshows beschränkt sich in kaum zu überbietenden Wiederholungen auf „Tagesereignisse“. Natürlich werden einige Themen, die der nachhaltigen Entwicklung zuzuordnen sind, diskutiert. Dabei steht der Klimawandel im Mittelpunkt, wobei z. B. der dramatische Rückgang der Biodiversität und seine Folgen auch in den Medien viel mehr Beachtung verdient. Klimawandel wird jedoch häufig unzureichend bzw. verengt wahrgenommen und diskutiert.
So wurde z. B. bisher die Beziehung zwischen Klimawandel und Wirtschaftswachstum, ein sehr komplexes Thema, weitgehend verdrängt. Dabei ist die Kausalität klar: ein steigendes Wirtschaftswachstum trägt tendenziell zur Verschärfung des Klimawandels bei und ein fortschreitender Klimawandel wirkt sich tendenziell negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung bzw. das Wachstum aus. Dabei ist Wachstum in unserem Wirtschaftssystem eine wichtige Voraussetzung für eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt, die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und für das Staatsbudget, das für die wachsenden Aufgaben des Staates u. a. für Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft von großer Bedeutung ist. Dennoch gilt auch hier: Einige Medien beschäftigen sich mit nachhaltiger Entwicklung immer wieder im Rahmen von fundierten Beiträgen, die den ganzheitlichen Ansatz behandeln und Möglichkeiten zur Umsetzung aufzeigen.
Ein erstes Resümee ist somit: Nachhaltige Entwicklung fordert einen grundsätzlich neuen Denk- und Politikstil, der ganzheitlich ausgerichtet ist. Es reicht nicht sich auf einige Aspekte nachhaltiger Entwicklung zu beschränken. Es geht vielmehr darum die ökologische, die wirtschaftliche und die soziale, d.h. die gesellschaftliche Dimension zusammen zu denken, was dann auch zu einem ganz neuen Stabilitätsdenken führt. Dabei muss die nachhaltige Stabilitätsformel von den Grenzen der Belastbarkeit der Natur bzw. der ökologischen Systeme ausgehen und diese als unwiderruflich akzeptieren.
Das komplexe Leitbild wird in diesem Buch vorgestellt. Es wird auch exemplarisch aufgezeigt, wie sich nachhaltige Entwicklung umsetzen lässt und welche Hemmnisse zu überwinden sind. Eine wesentliche Forderung dieses Buches primär an die Politik aber auch an andere gesellschaftliche Akteure ist, dass ein kohärentes Nachhaltigkeitskonzept bzw. Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt und angestrebt wird. Die zentrale Grundposition dieses Buches, die auch eine Antwort auf die Feststellung gibt „so kann es nicht weiter gehen“ ist:
Es gibt für die Menschheit keine Alternative zur nachhaltigen Entwicklung die erfolgversprechender für eine nationale, aber auch globale Stabilität im Sinne einer ökologischen, ökonomischen und sozialen Ausgewogenheit einschließlich der Gerechtigkeit ist.
In dem Buch werden hierzu wichtige Fragen beantwortet. Dabei können nicht alle relevanten Fragen in der ausreichenden Tiefe beantwortet werden. Eine Vertiefung wird daher durch weiterführende Literaturquellen möglich. Die mehr als zwanzigjährige Forschungsarbeit des Autors zur Nachhaltigkeitsökonomie wurde durch viele Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiter aber auch Studierende bereichert. Allen gilt Dank, ohne sie im Einzelnen nennen zu können. Im Rahmen dieses Buches gilt mein besonderer Dank Herrn Dr. Jürgen Schechler vom UVK Verlag München, der die Konzeption entwickelt hat und mir mit wichtigen Anregungen ganz wesentliche Impulse gab. Dank gilt auch meiner ehemaligen Mitarbeiterin Julie Vesque, die mich bei der Gestaltung stets hilfsbereit unterstützt hat.
Stuttgart im August 2024 Michael von Hauff
Toni verrät dir spannende Literaturtipps, YouTube-Seiten und Blogs im World Wide Web.
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Wichtige Begriffe sind mit einem Pfeil gekennzeichnet und werden im Glossar erklärt.
Dieses Kapitel gibt anhand von einigen Grafiken und Statistiken einen ersten Einblick in das Thema.
Das Leitbild nachhaltige Entwicklung wurde 1992 auf der Konferenz in Rio de Janeiro als neues globales Leitbild von der Völkergemeinschaft angenommen. Bisher ist das Leitbild jedoch auch in Deutschland nur bedingt verankert, obwohl eine ambitionierte nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorliegt. Dabei steht schon in dem Aktionsprogramm →„Agenda 21“, das auf der Rio Konferenz beschlossen wurde, dass die Bevölkerung jedes Landes, aber auch die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure wie Unternehmen, Schulen und Hochschulen, Kirchen und Verbände bei der Ausgestaltung und Umsetzung in einem partizipativen Prozess verantwortlich mitwirken sollen. Daher stellt sich zunächst auch für Deutschland die Frage nach dem Bekanntheitsgrad des Begriffs nachhaltige Entwicklung. Dabei zeigt sich, dass in den vergangenen Jahren zwei Auffälligkeiten festzustellen sind:
Der Begriff Nachhaltigkeit ist etwas mehr als einem Drittel der Bevölkerung gut bekannt. Zwischen 45 und 47 Prozent der Befragten kommt der Begriff bekannt vor. Ob und in welchem Maße ihnen die Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung bekannt sind, d.h. was damit wirklich angestrebt und erreicht werden soll, wird aus der Befragung nicht deutlich. Etwa 15 Prozent haben zu dem Begriff keinen Bezug.
Fast 85 Prozent der Befragten ist der Begriff schon „einmal begegnet“. Es lässt sich jedoch eine gewisse Stagnation feststellen. Mit zunehmendem Alter der Befragten bis 50 Jahre nimmt die Bekanntheit zu und sinkt dann wieder ab. Der Bekanntheitsgrad hat sich sowohl geschlechtsspezifisch als auch regional (Ost – West) weitgehend angeglichen.
Die Bekanntheit des Begriffs Nachhaltigkeit stagniert
Quelle: GfK 2015
In einer neueren Befragung des Umweltbundesamts sieht die Bevölkerung in einer nachhaltigen Entwicklung große Chancen. Etwa 80 Prozent sind der Ansicht, dass nachhaltige Entwicklung ihre Lebensqualität verbessert und mehr Naturverbundenheit ermöglicht. Mehr als 50 Prozent erwartet von einer nachhaltigen Entwicklung, dass sie zu mehr Gemeinschaft unter den Menschen führt und mehr Zeit für selbstbestimmte Lebensgestaltung lässt. Schließlich erhofft sich die Mehrheit, dass sich die Wirtschaft mehr an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet.
Aus der folgenden Abbildung wird deutlich, wie die Befragten die einzelnen Kategorien einschätzen: sie reichen grundsätzlich von sehr wahrscheinlich bis überhaupt nicht wahrscheinlich. Bei der Kategorie „Mehr Gesundheit für die Menschen“ sind die Erwartungen mit „sehr wahrscheinlich“ 38 Prozent und „eher wahrscheinlich“ 46 Prozent am höchsten. Bei der Kategorie „Die Verbreitung von Lebensweisen, in denen EinkommenEinkommen, Konsum und Besitz weniger wichtig sind“ fällt dagegen deutlich ab: 36 Prozent der Befragten schätzen das als „eher nicht wahrscheinlich“ bzw. 9 Prozent als „überhaupt nicht wahrscheinlich“ ein. Fazit: Die Auswirkungen nachhaltiger Entwicklung auf wichtige Lebensbereiche sind bisher noch nicht „überschwänglich“.
Die Bedeutung einzelner Lebensbereiche im Rahmen nachhaltiger Entwicklung
Quelle: Umweltbundesamt 2019
2015 wurde auf dem UN-Sondergipfel die →Agenda 2030Agenda 2030 mit den 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development GoalsSustainable Development Goals SDGs) von der Völkergemeinschaft angenommen. Durch die SDGs bekam die nachhaltige Entwicklung eine weitere Konkretisierung. Daher konzentriert sich die Frage der Bekanntheit ab 2015 auf die →Agenda 2030. Die Agenda gilt für alle Länder, d.h. für Entwicklungs- und Industrieländer. Dadurch wurde weltweit ein gemeinsames Grundverständnis von nachhaltiger Entwicklung angestrebt und alle Länder haben durch die SDGs die gleiche Ausgangssituation: Alle Länder haben sich dazu verpflichtet auf der Grundlage der 17 Ziele eine nationale NachhaltigkeitsstrategieNachhaltigkeitsstrategienationale zu entwickeln.
Insofern sollte heute also die →Agenda 2030 im Mittelpunkt des Interesses stehen. Bisher wird jedoch in den meisten Ländern vernachlässigt die Bevölkerung in den Prozess der Ausgestaltung und Umsetzung ausreichend mit einzubeziehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in Deutschland weniger als 10 Prozent der Befragten angaben, dass sie von der Agenda 2030 schon gehört hätten und auch eine Vorstellung haben, was damit angestrebt wird. 23 Prozent haben den Begriff schon einmal gehört, aber wissen nicht, worum es geht. Zwei Drittel haben davon noch nichts gehört. (Gleser, Schneider, Buder 2018, S. 50) Auffällig dabei ist, dass in dem Zeitraum zwischen 2015 und 2017 keine Veränderung hinsichtlich der Bekanntheit stattfand.
Nun geht es richtig los: der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird erklärt, seine Bedeutung und Ziele erläutert und der aktuelle Stand in Punkto nachhaltige Entwicklung dargestellt.
Auf der Konferenz in Rio de Janeiro (United Nations Conference on Environment and Development/UNCED) verpflichteten sich 178 Nationen zu dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung. Besondere Beachtung verdient das Programm zur Umsetzung des Leitbildes: die →Agenda 21 als Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert. Obwohl das Leitbild zunächst international eine große Popularität erfuhr, ist es – wie schon aufgezeigt wurde – bis heute in der Bevölkerung nur in relativ geringem Maße bekannt. Um die Frage beantworten zu können, wofür steht Nachhaltigkeit, müssen zunächst einige grundlegende Zusammenhänge geklärt werden. Dabei geht es auch um die Fragen, ob sich der Begriff inhaltlich verändert hat, wie er heute inhaltlich verwendet wird und wie es zu diesem neuen Leitbild kam.
Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung hatte viele Vorläufer. Seinen Ursprung hat der Begriff jedoch in der Wald- bzw. ForstwirtschaftForstwirtschaft. Die damaligen Erkenntnisse haben heute wieder eine große Bedeutung. Es war der Freiberger Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz der den Begriff nachhaltig prägte (v. Hauff 2021, S. 2). Er fügte ihn in seiner Abhandlung „Sylvicultura Oeconomica“ aus dem Jahr 1713, also vor über 300 Jahren ein. Er forderte in seiner Abhandlung eine „continuierliche und beständig nachhaltende Nutzung“ von Holz. Hierzu ein wörtliches Zitat von ihm:
„Denn je mehr Jahr vergehen, in welchem nichts gepflanzet und gesaet wird, je langsamer hat man den Nutzen zugewarten, und um so viel tausend leidet man von Zeit zu Zeit Schaden, ja um so viel mehr geschickt weitere Verwüstung, daß endlich die annoch vorhandenen Gehöltze angegriffen, vollends consumiret und sich je mehr und mehr vermindern müssen. … Wo Schaden aus unterbliebener Arbeit kommt, da wächst der Menschen Armuth und Dürfftigkeit. Es lässet sich auch der Anbau des Holtzes nicht so schleunig wie der Acker-Bau tractiren (von Carlowitz 1713, S. 105).“
Seine Überlegungen basierten darauf, dass der Bergbau und die Verhüttung einen hohen Holzbedarf verursachten. Dadurch kam es zu einer zunehmenden Entwaldung und das Holz musste über immer größere Entfernungen transportiert werden. Dadurch stieg der Preis für Holz und es wurde eine wachsende Holzknappheit befürchtet. Hinzu kam, dass die Menschen in diesen Regionen befürchteten, dass sie aufgrund des Holzmangels ihre Arbeit verlieren. Das wurde im Prinzip vielfach als Vorläufer des ersten Berichts an den Club of RomeClub of Rome mit dem Titel „Grenzen des Wachstums“ gesehen.
Von Carlowitz beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Darstellung des Problems, sondern entwickelte neue Grundsätze wie die Holzknappheit für immer überwunden werden kann. Sein Grundgedanke war: in der Forstwirtschaft muss ökonomisches Handeln mit den Erfordernissen der Natur in Einklang gebracht werden. Heute würde man sagen: Forstwirtschaft aber auch andere Bereiche wirtschaftlichen Handelns müssen mit den Grenzen oder Leitplanken der Natur harmonieren. Seine Maxime, die dann 1775 in die Weimarische Forst-Ordnung einging, war: Pro Jahr darf nicht mehr Holz geschlagen werden, als nachwächst.
Es konnte gezeigt werden, dass die Idee der Nachhaltigkeit im Kontext der Forstwirtschaft eingeführt wurde und hier sehr stark in die Bedingungen der Natur eingebunden wurde. Dieses Verständnis wurde weiterentwickelt. Das begründet sich daraus, dass viele Probleme bzw. Konflikte komplexer wurden wie beispielsweise der Klimawandel. Eine wichtige Entscheidung der Vereinten Nationen in diesem Zusammenhang war 1980 die Bildung der „World Commission on Environment and Development (WCED)“.
Die Kommission setzte 1983 die Brundtland-KommissionBrundtland-Kommission unter dem Vorsitz der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ein. Die Kommission sollte im Rahmen der wachsenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme Handlungsempfehlungen zur Erreichung einer dauerhaften Entwicklung erarbeiten. 1987 legte die Kommission ihren Bericht, den sogenannten Brundtland-BerichtBrundtland-Bericht vor. Er enthielt die berühmt gewordene Definition für nachhaltige Entwicklung, die bis heute ein wichtiger Ausgangspunkt für die inhaltliche Konkretisierung ist: