Nachricht von Dad - Matt Haig - E-Book

Nachricht von Dad E-Book

Matt Haig

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Beschreibung

Der wunderbar einfühlsam erzählte Roman vom Autor des SPIEGEL-Bestsellers und der großen TikTok-Sensation "Die Mitternachtsbibliothek" Ein kleiner Junge auf den Spuren Hamlets, eine Nachricht aus dem Jenseits und ein ungewöhnlicher Auftrag ... Philip Noble ist erst elf Jahre alt, doch sein Leben ist voller Probleme. Sein Vater ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen und seine Mutter lässt sich auf die Annäherungsversuche seines schmierigen Onkels ein. Als Philip der Geist seines verstorbenen Vaters aus dem Jenseits erscheint und ihm eröffnet, dass er ermordet wurde, ist Philip endgültig überfordert. Ausgerechnet der Onkel soll schuld sein und sein Vater verlangt, dass Philip ihn rächt. Aber wie soll ein elfjähriger Junge das hinbekommen? »›Nachricht von Dad‹ ist eines dieser seltenen Bücher, die einen zum Lachen und zum Weinen bringen und bis zum unerwarteten Ende spannend sind.« Culture »Diese überraschende und ungewöhnliche Geschichte spielt in ihrer eigenen Liga!« Guardian Entdecken Sie auch die anderen Romane von SPIEGEL-Bestsellerautor Matt Haig:Die Mitternachtsbibliothek, Der fürsorgliche Mr. Cave, Die Familie Radley, Für immer, euer Prince

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Seitenzahl: 366

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Matt Haig

Nachricht von Dad

Roman

Aus dem Englischen von Tatjana Kruse

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Philip Noble ist erst elf Jahre alt, doch sein Leben ist voller Probleme. Sein Vater ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen und seine Mutter lässt sich auf die Annäherungsversuche seines schmierigen Onkels ein. Als Philip der Geist seines verstorbenen Vaters erscheint und ihm eröffnet, dass er ermordet wurde, ist Philip endgültig überfordert. Ausgerechnet der Onkel soll schuld sein und sein Vater verlangt, dass Philip ihn rächt. Aber wie soll ein elfjähriger Junge das hinbekommen?

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Wie ich Dad das erste Mal nach seinem Tod sah

King of the Castle

Die schlechte Nachricht

Die Schrecken

Guppy Nummer sechs

Die Wahrheit über Geister

Onkel Alan ist gefährlich

Das Loch in der Wand

Hadrianswall

Die Disco

Nach der Disco

Der Minibus

Pochpochpoch

Dad dy

Mrs. Palefort

Rudyard Kipling

Kaiserfisch

Die Männer, die den Pub kaputt schlugen

Barbarei

Sin

Mr. Fairview und die Forelle

Die vier Schichten der Erde

Ross und Gary

Der gute Hirte

Die Hundegeräusche

Spiderman 2

Die hungrige Schule

100 Meilen

Rugby

Halloween und die Protz-Geister und Schlafauge Terry

PrayStation

Wie ich Onkel Alan töten kann

Der stille Teilhaber

Samstag im Boots

Das goldene Haus

Dancing Queen

Der Geisterwind

Der Fisch im Meer

Mr. Wormwood und der Schmelzpunkt von Metallen

Ray Ray Goodwin

Der Veränderer

Der Mord an Gonzago

Sklaven

Die Farben im Aquarium

Das Pub-Quiz

Unter dem H

Das Pfählen

Die Badezimmerbombe

Ein Regenschirm aus Sternen

Die Furien

Die Zeitmaschine

Der wahre Onkel Alan

Daddy Long Legs

Taschengeld

Kaiser Nero und Kaiser Neros Mum

Der Kondomautomat

Die tickenden Uhren

Tick tack tick tack

Heimkehr

Diazepam

Hallo.

Fernsehen mit Mum

stirb stirb stirb stirb [...]

Die tickenden Tage

Das Tropf Tropf und der Windsorknoten

Die Hochzeit

Die Werkstatt

In den Armen von Morpheus

Mr. Fairview ist tot

Die Stimmen aus der Wand

Diese verdammte Stadt

Gras anspucken

Geisterworte

Tot und gestorben und weg

Mr. Fairview bringt mich dazu, die Wahrheit zu sagen

Besuch für mich

Der Papiervogel

Auf der Brücke

Im Fluss

Im weißen Wasser

Im Schlamm

Menschen, die vorbeikommen und auf dem Stuhl sitzen

Als ich das erste Mal aufwachte

Als ich das zweite Mal aufwachte

Der Vogel vor dem Fenster

Wie ich Dad das erste Mal nach seinem Tod sah

Ich ging den Flur hinunter und stieß die Tür auf und trat in den Rauch und alle verstummten, als ob ich der Geist wäre.

Carla, die Barfrau, trug ihre runden Ohrringe und ihre müden Augen. Sie schenkte Bier ein und lächelte mir zu und wollte etwas sagen, aber da floss das Bier über.

Onkel Alan, der Dads Bruder ist, trug den Anzug, der ihm zu eng war, und sein Hals wölbte sich über den Kragen wie der Schaum über dem Bierglas. Seine großen Hände waren noch fleckig vom Reparieren der Autos in seiner Werkstatt und sie lagen auf Mums Händen und Mum hatte den Kopf gesenkt, als ob sie traurig wäre, und Onkel Alan senkte auch den Kopf und hob Mums Kopf mit den Augen hoch. Er redete auf Mum ein und sah mich eine Sekunde lang an. Er schaute mich an, sagte aber nichts. Er wandte sich nur wieder Mum zu und Worte purzelten aus seinem Mund, die sie Dad vergessen ließen.

Oma mit ihren silbernen Krücken auf dem Stuhl neben ihr saß abseits und trank Saft, der rot war wie Blut.

Als sie mich entdeckte, kniff sie die Augen zusammen und ihr Gesicht sah noch faltiger aus. Ihre knochige Hand sagte Komm her, komm her, also ging ich hin und setzte mich zu ihr und sie starrte mich zuerst nur an, ohne etwas zu sagen. Sie blickte alle der Reihe nach an und machte Ssssss wegen ihrer Schmerzen, als ob sie etwas gestochen hätte.

Nach einer Weile sagte sie Ist ja gut, Kleiner. Alles wird wieder gut.

Oma wohnt in Sunderland und sie spricht Sunderländisch. Mum wohnte früher auch in Sunderland, aber sie hasst es und sagt, es ist eine Geisterstadt, und nur wenn sie sich mit Oma unterhält, spricht sie ein klein wenig Sunderländisch, aber meistens spricht sie ganz normal.

Oma sagte Jetzt bist du kein kleiner Hüpfer mehr, mein Sohn. Jetzt bist du der Mann im Haus.

Ich bin elf, also bin ich kein kleiner Hüpfer und ich bin auch kein Mann, aber ich sagte nichts, nickte nur ein bisschen mit dem Kopf und dann kam Carla mit einem Glas Pepsi.

Carla sagte mit ihrer krächzigen Froschstimme Da hast du ein Glas Pepsi, Süßer.

Sie stellte es auf den Tisch und lächelte mich mit ihren schmalen Lippen an und kratzte sich an einer trockenen Stelle am Arm und lächelte dann Oma an und ging zurück zur Theke.

Oma redete weiter und ich trank einfach meine Pepsi und sah die anderen Leute an. Ich glaube, die meisten waren froh, dass der Pub geöffnet hatte, und sie unterhielten sich lauter als bei der Beerdigung, weil Beerdigungen leise machen und Bier laut macht, also unterhielten sie sich jetzt fast normal.

Die Stammgäste wie Big Vic und Les standen an der Theke und rauchten Hamlet-Zigarren und redeten mit Carla.

Carla redete ständig mit Männern, seit sie geschieden ist und seit sie nicht mehr dauernd hinfällt und sich blaue Flecken holt. Mum hat immer zu Dad gesagt, dass sie Carla zwar für ein altes Flittchen hält, sie aber trotzdem richtig gernhat. Ich weiß nicht, ob Carla älter ist als Mum, weil sie nämlich Zwillinge in meiner Jahrgangsstufe an der Schule hat, aber sie sieht älter aus als Mum.

Les sah nicht glücklich aus, aber Les sieht nie glücklich aus und darum hat Dad ihn immer Les Miserable genannt. Und als ich zu ihm und Big Vic hinüberschaute, sah Big Vic zu mir und normalerweise lächelt er, wenn er mich sieht, oder sagt was Lustiges wie He, Philip, die Runde geht auf dich. Aber an diesem Tag sah er ganz schnell weg, als wir uns ansahen, als ob es gefährlich wäre, mir in die Augen zu blicken, oder als ob es ihn krank machen würde oder als ob meine Augen Laserstrahlen wären, die ihn in der Mitte halbieren könnten.

Ich sah auch weg und beobachtete Mum und Onkel Alan und ich wollte, dass Onkel Alans Hände aufhörten, Mums Hände zu halten, und sie hörten auch auf, als Renuka hinging und mit Mum sprach. Renuka ist Mums beste Freundin und geht mit ihr montags und donnerstags zum Stepp-Unterricht, wo sie eine Stunde lang auf Podeste treten, um ihren Hintern kleiner zu machen. Renuka war diese Woche oft bei Mum und sie hat 700 Tassen Tee gemacht. Onkel Alan sah auf einmal verärgert aus, denn wenn Renuka spricht, dann kann kein anderer reden, weil sie nie eine Pause macht.

Ich schaute mich weiter in der Bar um und Oma redete weiter auf mich ein und da habe ich ihn gesehen. Da habe ich Dads Geist gesehen.

King of the Castle

Eigentlich soll man ja Angst haben, wenn man einen Geist sieht, aber ich hatte keine Angst, weil es sich total normal anfühlte, was komisch war, weil ich nämlich noch nie einen Geist gesehen hatte. Er stand einfach dort, hinter der Rauchwolke von Big Vics Zigarre, und sah mich an und hatte keine Angst vor meinem Blick wie all die anderen.

Carla stand neben ihm und servierte Getränke, aber sie bemerkte ihn nicht, und ich schaute mich um und außer mir schien ihn niemand zu bemerken. Nachdem Carla die Getränke serviert hatte, ging sie durch Dads Geist hindurch und sah sich im Spiegel an, auf dem Castle & Falcon steht, weil das der Name von unserem Pub ist.

Dads Geist trug dieselben Sachen, die Dad trug, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, und das war beim Frühstück an dem Tag, an dem er starb. Ich hatte ihn wütend gemacht, weil ich eine PlayStation wollte. Er trug sein T-Shirt, auf dem King of the Castle stand, und das Wort CASTLE war in roten Großbuchstaben geschrieben wie auf dem Schild vor dem Pub. Aber jetzt waren die Farben verblasst, weil Dad ganz bleich war und durchscheinend wie die Geister im Spukhaus in Disney World, und aus seinen Haaren sickerte Blut.

Oma sagte Was ist los, mein Kleiner?

Sie drehte sich um, um zu sehen, was ich sah, aber sie konnte nichts sehen, und Dads Geist forderte mich mit der Hand auf, ihm zu folgen.

Ich sagte zu Oma, dass ich aufs Klo müsse.

Ich ging an der Theke vorbei und den Flur hinunter zum Hinterzimmerbüro, durch dessen Tür Dads Geist einfach hindurchging.

Ich sah schnell nach, ob mich jemand beobachtete, aber das tat keiner, also machte ich die Tür auf, weil ich nicht hindurchgehen konnte, und Dads Geist stand in der Ecke beim Schreibtisch und der Computer war eingeschaltet, was komisch war.

Er nickte in Richtung Tür, also machte ich sie zu und dann sagte er Hab keine Angst.

Ich sagte Hab ich nicht.

Seine Stimme klang wie immer, aber anders, als ob er weit weg stand, aber ich konnte ihn deutlicher hören als je zuvor. Das ergibt keinen Sinn, aber so klang er eben.

Und das Zweite, was er sagte, war Es tut mir leid.

Ich sagte Was denn?

Er sagte Alles.

Und als er das sagte, dachte ich, er würde über die Vergangenheit sprechen, als er noch am Leben war, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Ich ging durch den Raum und wollte ihn berühren und meine Hand fuhr direkt durch ihn hindurch und ich spürte gar nichts, nur dass es ein wenig wärmer wurde, aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.

Ich glaube, es hat Dads Geist nicht gefallen, dass ich das gemacht hatte, aber er hat nichts gesagt. Trotzdem habe ich es nicht wieder getan.

Ich sagte Bist du ein Geist?

Eine blöde Frage, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Er sagte Ja.

Ich sagte Wo warst du?

Er sagte Ich bin nicht immer hier. Es ist, als ob ich an- und wieder ausgeknipst werde.

Und ich sagte Wie eine Glühbirne?

Und er lächelte, aber traurig, und meinte Ja, wie eine Glühbirne. Es fällt mir schwer zu kontrollieren, wohin ich gehe, aber ich mache Fortschritte.

Und ich sagte Warst du schon einmal im Pub?

Er nickte und sagte Du hast geschlafen.

Dann fragte ich ihn, ob er andere Geister sehen könne, und er sagte Es gibt viele Geister in Newark und an manche muss man sich erst gewöhnen, weil sie alle aus verschiedenen Zeitaltern stammen.

Und ich sagte Es muss komisch sein, Geister sehen zu können.

Er sagte Das stimmt.

Dann waren wir eine Weile still und dann sagte er Philip.

Also sagte ich Was ist?

Aber ich wollte es eigentlich gar nicht wissen, weil ich seiner Stimme anhören konnte, dass er etwas Schlimmes sagen würde, wie damals, als Opa gestorben war.

Er sagte Ich muss dir etwas sagen.

Und dann schwieg er kurz und sah zur Tür und ich fragte mich, warum er zur Tür sah, aber da kam auch schon Onkel Alan herein, der sonst nie ins Büro kam, und Onkel Alan warf einen Blick auf den Computer und sagte Deine Mum hat gesagt, ich soll nach dir schauen.

Und er lächelte und mit seinen großen Händen hielt er sich ein Glas Whisky vor den großen Bauch. Und er kam zu mir und berührte mich an der Schulter und sagte Geht es dir gut, Philip?

Und ich sagte Ja.

Und er sagte Es war ein harter Tag für uns alle.

Ich sagte Ja.

Ich wollte nichts weiter, als dass er mich nicht länger an der Schulter anfasste.

Ich konnte sehen, wie Dads Geist ihn musterte, und er sah ihn auf eine Weise an, wie ich es noch nie erlebt hatte, schon gar nicht bei seinem Bruder, und ich wusste, es gefiel ihm nicht, dass Onkel Alan im Büro war. Also sagte ich Ich komme gleich, ich such nur was.

Onkel Alan seufzte, wodurch die Luft nach Whisky roch, und er wollte etwas sagen, aber er war nicht mein Dad, also ging er wieder nach draußen und schloss die Tür hinter sich.

Dann sah ich Dads Geist an und der flackerte und schrie, aber ohne Ton, und dann wurde er wieder sichtbar und meinte Ich kann wahrscheinlich nicht mehr lange bleiben.

Dann verblasste er fünf Sekunden lang völlig, bevor er zurückkam.

Er versuchte etwas zu sagen, aber ich konnte nur hören Es war kein

Und dann versuchte er es immer wieder.

Es war kein

Es

Es war

Es war kein

Es war kein Un

Er verschwand und ich rief Dad Dad Dad! Komm zurück!

Aber er kam nicht zurück.

Dann hörte ich eine Stimme sagen Oh Philip und es war die Stimme von meiner Mum und ich wusste nicht, wie lange sie schon dort gestanden hatte, und Onkel Alan stand hinter ihr und berührte ihre Schulter, aber ihr lief es dabei nicht kalt den Rücken herunter wie mir.

Die schlechte Nachricht

Dad war gestorben, weil sein Auto kurz vor Kelham, das ist ein Dorf in der Nähe von Newark, gegen ein Brückengeländer gerast war. In East Midlands Today wurde eine Aufnahme gezeigt und darauf sah man den Wagen, der über den Rand der Brücke hing, als ob er gleich in den Fluss Trent stürzen würde. Alle Scheiben waren zersplittert, wie Spinnweben, und eine Frau sagte in den Nachrichten, dass die Brücke zwei Monate gesperrt werden müsste, als ob die Brücke das Wichtigste wäre.

Bevor wir die Nachrichten ansahen, kam ein Polizist an die Hintertür und ich kannte den Polizisten, weil er schon einmal im Pub gewesen war und mit Dad geredet hatte. Der Polizist hatte ein Gesicht wie ein leerer Teller und er öffnete und schloss den Mund ganz oft, ohne dass etwas anderes herauskam als Luft.

Ich beobachtete sie vom Treppenabsatz aus und sie konnten mich unten nicht sehen. Alles konnte ich nicht hören, aber ich wusste, dass etwas nicht stimmte, weil der Polizist seine Mütze an die Brust presste.

Und dann gingen sie ins Büro und schlossen die Tür und ich konnte ewig nichts hören, doch dann hörte ich Mum. Sie heulte wie ein WOLF und das Geräusch tat mir im Bauch weh und ich schloss die Augen und versuchte, den Polizisten zu hören, aber ich verstand nur Es tut mir leid und das sagte er immer und immer wieder.

Es tut mir leid

Es tut mir leid

Es tut mir leid

Und ich wusste, dass er nichts falsch gemacht hatte, weil er Polizist war, und Polizisten sagen nur, dass es ihnen leidtut, wenn etwas ganz Schlimmes passiert ist. Also wusste ich sofort, was mein Bauchweh zu bedeuten hatte. Und ich sah, wie der Polizist ging, und er hielt seine Mütze in der Hand, aber nicht mehr an die Brust gepresst, als ob die schlechte Nachricht, die da drin gewesen war, entwichen wäre. Und ich sah Mum und sie sah mich, aber sie sah mich nicht richtig, und sie ging zum Heizkörper an der Ecke im Flur und setzte sich ganz eingesunken auf den Boden und weinte und hielt sich den Kopf und schüttelte ihn und sagte Nein nein nein nein nein und alles um uns herum sah unverändert aus, nur größer, und ich wollte zu ihr gehen und ihr sagen, dass alles in Ordnung war, aber das wäre eine Lüge gewesen, und darum setzte ich mich nur und tat gar nichts.

Die Schrecken

Dads Geist kam später zurück, als alle im Pub gegangen waren und ich auf meinem Zimmer war.

Dads Geist tauchte flackernd auf und anfangs sah er so aus, als ob er zu große Schmerzen hätte, um sprechen zu können, aber dann sagte er Philip, du musst keine Angst vor mir haben.

Ich sagte Hab ich nicht.

Er sagte Ich muss dir etwas sagen.

Er verschwand flackernd und tauchte wieder auf.

Er sagte Es war kein Unfall.

Ich sagte Was?

Er sagte Es war kein Unfall, mein Sohn.

Ich sagte Wie meinst du das?

Er sagte Schau aus dem Fenster.

Ich stand vom Bett auf und trat hinter den Vorhang und sah zum Parkplatz hinunter und die Straßenlampe zeigte, dass er leer war, bis auf den Ford Ka.

Er sagte Kannst du sie sehen?

Ich sagte Wen?

Er sagte Dort bei den Altglascontainern.

Ich sah zu den drei Altglascontainern, die Dad auf Befehl der Stadt hinten auf dem Parkplatz hatte aufstellen müssen.

Ich sah nach links und da stand ein Einkaufswagen und in einem von seinen Rädern hatte sich eine Plastiktüte verfangen und sie flatterte im Wind, als ob sie versuchte zu fliehen.

Er sagte Rechts davon.

Ich blickte zur anderen Seite der Altglascontainer und konnte nur die Betonverkleidung sehen und den Sockel, aus dem ein Stück herausgebrochen war.

Er sagte Sie sind alle dort, kannst du sie jetzt sehen?

Ich sagte Wen?

Er sagte Den Club.

Ich sagte Was für ein Club?

Er sagte Der Club der toten Väter.

Meine Augen taten mir weh, so sehr bemühte ich mich, etwas zu erkennen, aber es sah immer noch aus, als wäre niemand dort.

Ich trat hinter dem Vorhang vor und sagte Was für ein Club der toten Väter?

Ich stellte die Frage zu laut, denn ich konnte hören, wie sich Mum im Nebenzimmer umdrehte, weil sie noch nicht schlief, und sie rief Philip?

Ich rief Ja?

Sie sagte Was machst du da?

Ich sah Dads Geist an und er legte den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.

Dads Geist sagte Mum darf nichts davon erfahren.

Ich sagte Nichts.

Mum rief Versuch zu schlafen.

Ich rief Ist gut.

Und dann rief Mum Gute Nacht.

Und ich rief Nacht.

Und ich sagte nichts mehr, ich hörte nur zu, wie Dads Geist mir vom Club der toten Väter erzählte.

Zum Club der toten Väter gehörten Geister von Vätern aus Newark, die sich hinter dem Pub trafen, weil die meisten schon immer hierhergekommen waren, denn es ist der älteste Pub in der Stadt.

Sie trafen sich nicht im Pub, weil Geister drinnen leichter flackern als draußen, und es ist sowieso egal, wenn man ein Geist ist, weil man keine Kälte mehr spürt und die Beine vom vielen Stehen nicht müde werden.

Ich fragte flüsternd, damit Mum mich nicht hören konnte Gibt es im Club der toten Väter auch Römer?

Dads Geist sagte Römer?

Ich nickte und sagte Römische Soldaten?

Er sagte Nein, aber es gibt einen aus der viktorianischen Ära.

Ich sagte Oh.

Viktorianer waren nicht so gut wie Römer, aber Dads Geist schien traurig zu sein, dass ich nicht an dem Viktorianer interessiert war, also fragte ich Wie heißt er?

Dads Geist sagte Er redet nicht.

Ich kletterte ins Bett und fragte Hat ihm jemand die Zunge herausgeschnitten?

Er sagte Nein.

Dann sagte Dads Geist eine Weile nichts, er stand nur so da und ich beobachtete ihn und ich konnte durch seinen Bauch hindurch mein Aquarium sehen.

Dann sagte Dads Geist Die Schrecken haben ihn gekriegt.

Ich sagte Die Schrecken?

Dads Geist sagte Am Ende kriegen sie jeden Geist.

Ich zog meine Decke hoch und fragte Was sind die Schrecken?

Dann erzählte er mir, was die Schrecken sind, und während er es mir erzählte, spürte ich, wie das Blut in meinem Körper ganz kalt wurde, und nachdem er es mir erzählt hatte, flackerte Dads Geist und ich sah, wie sein Gesicht beim Flackern aufschrie, aber ich konnte den Schrei nicht hören.

Dann sagte er Die meisten Geister leiden für sich allein, aber es ist leichter, wenn man mit anderen reden kann.

Ich fragte Gibt es deshalb den Club?

Und ich glaube, er sagte Ja, aber ich weiß es nicht genau, weil er flackernd verschwand und in die Schrecken eintrat, und ich rief Dad? Dad? Dad? Aber er kam nicht zurück.

Mum rief Philip?

Ich sagte nichts. Ich kroch nur tiefer unter die Decke, aber ich konnte nicht einschlafen.

Guppy Nummer sechs

Es war morgens früh und ich dachte gerade darüber nach, was Dads Geist damit meinte, dass es kein Unfall war. Ich wollte, dass er zurückkam und es mir sagte, aber er kam nicht. Ich sah aus dem Fenster zu den Altglascontainern, doch da war er nicht, also setzte ich mich ans Fußende von meinem Bett und schaute meinen tropischen Fischen zu.

Ich dachte, wie komisch es sein musste, in einem Aquarium zu leben, einfach nur herumzuschwimmen und darauf zu warten, dass etwas zu essen herabsinkt. Ich wusste nicht, ob es nett ist oder nicht, so als Fisch in einem Aquarium zu leben und nichts zu tun. Ich fand, dass es bestimmt nett war, weil sie nicht miteinander stritten, sondern sich alle gut verstanden. Die Neonfische und die Guppys und die Mollys und der Kaiserfisch. Sie schnappten nie nacheinander. Ich sah genauer hin und dachte, da stimmt doch was nicht, da ist doch was komisch. Und ich zählte die Guppys.

eins

zwei

drei

vier

fünf

Und ich suchte nach einer anderen großen Flosse, aber sie war nicht da, darum hob ich den Deckel und spürte die Wärme des Wassers auf meinem Gesicht. Ich sah den Guppy mit dem Bauch nach oben im Wasser schwimmen und er war weiß. Das passiert, wenn ein Guppy stirbt. Die Farbe geht dann weg und dann sind sie nur Leichen, einfach weiße Leichen. Und die anderen Fische schwammen unten und es machte ihnen nichts aus, dass sie eines Tages mit dem Bauch nach oben schwimmen würden und alle Farbe aus ihnen verschwunden sein würde, und ich fragte mich Wo geht die Farbe hin? Und ich wusste es nicht.

Ich nahm das Netz und fischte den Guppy heraus und als das Netz ins Wasser tauchte, bekamen die anderen Fische Angst vor dem Netz und schwammen schnell weg, aber sie mussten umdrehen, weil das Aquarium kein Fluss wie der Amazonas war, wo sie herstammen. Ich holte den Guppy heraus und ließ das Wasser wie Regen, wie Tränen abtropfen und ich sagte Ist ja gut, das Netz ist jetzt weg.

Und die anderen Fische beruhigten sich wieder und ich holte den Guppy aus dem Netz und spülte ihn im Klo hinunter und er war vom Aquarium befreit und auf dem Weg zum Fluss, wenn auch nicht zum Amazonas, und ich legte das Netz wieder neben das Aquarium und zog den ganzen Rotz hoch und schluckte ihn hinunter. Ich hörte, wie sich Mum im Bett umdrehte, und kurz darauf klingelte das Telefon und ich rannte schnell nach unten, falls Mum noch schlief.

Ich nahm den Hörer ab und sagte Hallo.

Die Frau in der Leitung sagte Hallo? Hallo? Bist du das, Philip?

Ich kannte die Stimme, weil sie sich wie eine Feder auf meinem Nacken anfühlte. Es war meine Geschichtslehrerin, Mrs. Fell.

Ich sagte Ja.

Es war das erste Mal, dass ich seit der Stunde über Familienstammbäume mit Mrs. Fell redete.

Sie sagte Hallo Philip, ich bin es, Mrs. Fell. Ich wollte nur wissen, wie es dir geht?

Ich log und sagte Es geht mir gut.

Es fühlte sich komisch an, mit einem Lehrer zu telefonieren, selbst wenn es Mrs. Fell war. Es war noch komischer, als mit Dads Geist zu reden.

Sie sagte Alle an der Schule sind in Gedanken bei dir.

Und ich dachte Was denken die wohl? Aber ich sagte das nicht laut und dann sagte Mrs. Fell Wir können es kaum erwarten, dich wiederzusehen.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und das einzige Wort, das mir in den Kopf schoss, war Ja, also verwendete ich es.

Sie fragte Ist deine Mum da, Philip?

Ich sagte Ja.

Ich wollte noch etwas über die Römer sagen, aber ich tat es nicht.

Sie sagte mit einer Stimme, die klang, als würde sie auf Zehenspitzen schleichen Kann ich mit ihr sprechen?

Also rief ich Mum! Mum! Telefon!

Und Mum stand auf und kam mit ihrem Schlafhaar die Treppe herunter und sie fragte mit den Augen Wer ist es?

Ich antwortete Schule.

Mum nahm den Hörer und sagte mit ihrer traurigen Stimme Hallo? Ja. Ja, das ist es. Ja. Nein. Das war es, aber es wird besser. Nein. Allem Anschein nach nicht. Nein. Ja. Oh, ja, das denke ich schon. Ich glaube, er will. Ich denke, es wird ihm guttun. Ja. Absolut. Danke schön. Oh, das. Oh. Danke. Auf Wiederhören.

Mum legte den Hörer auf die Gabel und sagte gähnend Sie wollte nur nachfragen, ob du an dem Ausflug zum Hadrianswall teilnimmst. Sie meint, es würde dir guttun. Ich habe ihr gesagt, dass du mitfährst.

Ich sagte Aber

Aber mir fiel nichts ein.

Während Mum im Bad war und sich fertig machte, setzte ich mich vor das Aquarium und sah die fünf Guppys an und dann sah ich, dass sich etwas im Aquarium spiegelte. Es spiegelte sich nicht normal, es spiegelte sich wie die Spiegelung von etwas, also drehte ich mich um und es war Dads Geist und ich sagte laut Dad?

Er sagte Leise.

Er legte den Finger auf die Lippen und dann sagte er mir, was er mir sagen musste.

Er erzählte mir von einem Mann aus dem Club der toten Väter, der Ray Goodwin hieß.

Ray Goodwin war der erste Geist, den Dads Geist gesehen hatte, nachdem er seinen Wagen verlassen hatte, und er war es auch, der ihm vom Club der toten Väter erzählte.

Ray Goodwin war Minenarbeiter gewesen, der seine Arbeitsstelle verloren hatte, und er war vor elf Jahren ermordet worden, ein Jahr, bevor Dad den Pub gekauft hatte, und das Jahr, in dem ich auf die Welt gekommen war.

Ich fragte Wie ist er ermordet worden?

Und Dads Geist stockte, als ob er die Antwort nicht wüsste, und dann sagte er Ich weiß es nicht. Ray redet über alles, nur nicht darüber.

Ich fragte mich, warum Dads Geist mir von Ray Goodwin erzählte. Dann sagte er, Ray Goodwin sei der Einzige, der ihm die Wahrheit über Geister erzähle.

Die Wahrheit über Geister

1. Menschen werden nur zu Geistern, wenn sie ERMORDET werden.

2. Einige Geister – wie Dad – erfahren erst, dass sie ermordet wurden, wenn sie schon tot sind, aber sie finden es immer heraus.

3. Die Schrecken kriegen alle Geister.

4. Die Schrecken lassen sich nur aufhalten, wenn die Geister keine Geister mehr sind.

5. Geister hören nur dann auf, Geister zu sein, wenn sie gerächt werden.

6. Geister sind erst dann gerächt, wenn der Mörder getötet wird.

7. Nicht alle Lebenden können Geister sehen, nur ein paar Lebende und das sind meistens die Kinder der Geister.

8. Wenn die Lebenden in der Nicht-Zeit keine Rache nehmen, dann bleiben die Geister für immer Geister.

Onkel Alan ist gefährlich

Ich sagte nichts, weil ich nichts begriff. Ich starrte nur einfach durch Dads Geist hindurch und beobachtete die schwarzen Mollys und die fünf Guppys, die wie in Wolkenformation gemeinsam durch das Aquarium schwammen.

Er sagte Alle Geister wurden ermordet.

Ich hörte, wie Mum aus der Dusche kam, und sie rief Philip? Alles in Ordnung? Philip?

Und Dads Geist sagte Sag Ja, Philip.

Ich sagte laut Ja.

Dann sagte Dads Geist Ich musste es dir sagen, Philip. Ich musste es dir sagen, weil du der Einzige bist, der mich sehen kann.

Ich flüsterte In den Nachrichten war da niemand.

Er schüttelte den Kopf und sagte Es war auch keiner da.

Dann sagte er Die Bremsen haben nicht funktioniert. Ich drückte das Bremspedal und da war nur Luft.

Und ich sagte Oh.

Und er sagte Das hat jemand getan. Jemand hat das Bremskabel vorsätzlich gekappt, Philip. Jemand, der sich gut auskennt mit Autos.

Die Worte drangen zwei Mal in meinen Kopf. Beim ersten Mal waren es nur Worte und das zweite Mal, nachdem Dads Geist sie ausgesprochen hatte, kam eine Silbe nach der anderen.

Je

 

mand

 

der

 

sich

 

gut

 

aus

 

kennt

 

mit

 

Au

 

tos

Die letzten beiden Silben klangen lauter, als ob sie in Großbuchstaben wären.

AUTOS.

Und dann sagte er etwas, was ich genau zur selben Zeit dachte, wie er es sagte, weil ich zuerst glaubte, die Stimme sei in meinem Kopf, und er sagte Es war dein Onkel Alan.

Und ich sagte Nein.

Dann sagte er Alan will dieses Haus. Er will deine Mum. Er war immer eifersüchtig.

Und ich sagte Nein.

Und Dads Geist sagte Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn gesehen, Philip. Ich habe gesehen, wie er sagte Es tut mir leid. Er sagte ES TUT MIR LEID, Philip. Ich habe gesehen, wie er über die Brücke fuhr und nach Spuren suchte. Ich weiß, dass er es war, Philip.

Und dann sah er mich an und sagte es noch einmal.

Ich weiß, dass er es war.

Du musst mir vertrauen.

Ich weiß, dass er es war.

Und ich sagte Nein nein nein.

Er sagte Onkel Alan ist gefährlich. Er wird jeden umbringen, der ihm im Weg steht, Philip. Dazu gehörst auch du, Philip. Und was passiert, wenn der Tag kommt, an dem Mum ihn langweilt? Dann wird er sie auch umbringen, Philip.

Die Worte quetschten meine Brust zusammen und ich musste fest ans Atmen denken, um Luft zu kriegen.

Er sagte Du musst ihn aufhalten, Philip.

Ich meinte Ich sag’s der Polizei.

Er sagte Du kannst der Polizei nichts sagen, weil es keine Beweise gibt.

Ich sagte Aber du hast ihn doch gesehen.

Er sagte Geister zählen nicht als Beweis.

Ich sagte Ich werd’s Mum erzählen.

Er sah jetzt wirklich wütend aus und sagte Du kannst Mum nichts erzählen, Philip. Das bringt euch beide nur noch mehr in Gefahr.

Ich sagte Ich werde ihn bitten, uns in Ruhe zu lassen.

Er sagte Nein, Philip, nein. Er wird nicht auf dich hören.

Ich sagte Was soll ich denn dann tun?

Er stand da und sein Gesicht bewegte sich ungeheuer lange gar nicht, als ob er ein durchsichtiges Foto wäre, und dann sagte er mit einer Stimme, die meine Brust noch viel mehr zusammenquetschte Du musst ihn umbringen, Philip.

Du musst mich rächen.

Das Loch in der Wand

Nachdem Dads Geist weg war, ging ich nach unten zum Bücherregal im Büro und zog das Buch mit dem Titel Murder Most Foul heraus. Als ich aus dem Büro kam, stand Mum auf der Treppe und sie hatte ihr komplettes Make-up aufgelegt und sie trug ihre engen Jeans und ihr weißes Top mit dem kleinen Krokodil darauf und sie sagte Was versteckst du da hinter deinem Rücken?

Ich sagte Ein Buch über die Römer.

Sie klatschte in die Hände und sagte mit ihrer Ich-reiße-mich-zusammen-Stimme Tja, beeil dich, mach dich fertig. Wir müssen dir Geld für den Hadrianswall besorgen.

Ich ging nach oben und versteckte das Buch unter dem Bett und machte mich dann fertig.

Als wir zu dem Loch in der Wand kamen, tippte sie die Zahlen ein und gab ein Geräusch von sich und tippte die Zahlen noch einmal ein und gab wieder ein Geräusch von sich und dann tippte sie die Zahlen noch einmal ein und sagte Nein.

Ich sah sie an und sie flüsterte leise Nein. Warum? Nein.

Wir betraten die Bank und stellten uns in der Schlange an und warteten und eine riesige Fettfrau kam und sagte Will hier jemand mit Scheck bezahlen?

Mum sagte Nein, aber der Automat hat gerade meine Karte eingezogen.

Die riesige Fettfrau sagte Da müssen Sie sich an den Auskunftsschalter wenden.

Mum sagte Das Geld ist vor drei Tagen eingegangen, mit der Karte ist alles in Ordnung.

Die riesige Fettfrau sagte Am Auskunftsschalter hilft man Ihnen weiter.

Mum sagte Normalerweise ist das Konto ausgeglichen.

Die riesige Fettfrau sagte Der Auskunftsschalter ist gleich dort drüben.

Sie wies in Richtung des Auskunftsschalters und ich und Mum gingen zu einem Schild, das wie ein großer schwarzer Lutscher aussah, und dahinter warteten wir und wir warteten ziemlich lange, weil ein alter Mann in einem Altmännermantel sich über eine Frau ärgerte, die dem alten Mann zunickte und lauter Sachen sagte, die ihn nur noch ärgerlicher machten.

Und ich sah mich unter den ganzen Leuten um und all diese Leute sahen sehr traurig aus, bis auf die Menschen hinter den Schaltern und die Menschen auf den Bankpostern und den Bankprospekten. Alle Posterleute sahen sehr glücklich aus und alle lächelten und hinter allen war es weiß, als ob sie im Himmel wären.

Mum trat zu der Frau mit dem breiten Lächeln und den Roboteraugen hinter dem Schalter und sagte Der Automat hat gerade meine Karte eingezogen. Ich weiß wirklich nicht, aus welchem Grund.

Die Frau sagte Aha. Sind Sie hier Kundin?

Mum sagte Ja. Ich habe versucht, Geld von meinem …

Die Frau trug ein Namensschild, auf dem Janice Greenfield stand. Sie sagte Aha, ich brauche nur einige Angaben, dann sehe ich auf dem Bildschirm nach.

Janice Greenfield stellte ihre Fragen und Mum gab ihre Antworten.

Janice Greenfield sagte Carol Noble, richtig? Verheiratet?

Mum sagte Ja.

Janice Greenfield lächelte und tippte in die Computertasten und sagte Aha. Ja. Sie haben Ihr Konto überzogen.

Mum sagte Nein, das kann nicht sein nein ich

Janice Greenfield sagte Aha. Laut Computer haben Sie bereits mit mehreren Zahlungen Ihr Konto überzogen.

Mum sagte Das Geld ist gestern eingegangen.

Janice Greenfield sagte Aha.

Sie tippte noch mehr Sachen in den Computer und sagte Aha. Ja, hier ist es. Aber Ihr Konto ist trotzdem nicht ausgeglichen.

Und Mum sah nach hinten auf die Schlange trauriger Menschen und dann sagte sie mit leiser Stimme zu Janice Greenfield Wie kann ich meine Karte wiederbekommen? Ich brauche sie heute.

Janice Greenfield sagte Aha. Ich will sehen, ob wir Sie bei einem Kundenberater unterbringen.

Und sie sah in einem großen Buch nach und sie nickte in das Buch und dann lächelte sie Mum an und sagte Ja, wenn Sie mir bitte folgen wollen, Mrs. Noble.

Und wir folgten Janice Greenfield zu einer Gruppe Stühle und sie ging weg und da trat ein Mann mit Brille und komischen Schultern aus einer Tür und sagte Mrs. Noble und Mum ging in das Zimmer und ich wurde allein auf einem Stuhl zurückgelassen.

Und dann flackerte Dads Geist vor mir auf, mitten in der Bank, und er sagte Es ist nicht mehr viel Zeit.

Ich sagte Wofür?

Er sagte Um Onkel Alan umzubringen.

Ich sagte Warum?

Er sagte Jedes Jahr meines Lebens wird zu zwei Tagen.

Ich sagte Wie bitte?

Ein Mann mit einer Aktentasche und einem Stockschirm, der wie ein Schwert aussah, spazierte durch Dads Geist hindurch und sah mich an, als ob ich verrückt wäre, und dann ging er nach draußen.

Dads Geist sagte Das ist die Nicht-Zeit.

Ich fragte Was ist die Nicht-Zeit?

Er sagte Die Zeit, in der die Rache stattfinden muss.

Ich fragte Und was ist, wenn die Rache nicht stattfindet?

Er sagte Mein Geist würde nie zur Ruhe kommen und ich würde auf ewig die Schrecken erleiden müssen. Ray Goodwin sagt, die Schrecken werden immer schlimmer, bis jeder Geist so stumm endet wie der Viktorianer. Ray hat versucht, den Schrecken zu entkommen, aber er hat es nicht geschafft. Niemand konnte ihn sehen, nicht einmal seine Tochter. Aber ich habe dich, Philip. Du kannst mir zur Flucht verhelfen, Philip. Du musst mir helfen, in Frieden zu ruhen.

Ich wollte nicht, dass Dad unter den Schrecken leiden musste, also sagte ich Wie lange dauert die Nicht-Zeit?

Er sagte Bis zu meinem nächsten Geburtstag.

Dads Geburtstag war der 10. Dezember. Wir hatten den 20. September.

Dads Geist sagte Du hast elf Wochen, Philip.

Ich rechnete im Kopf nach und sagte Zweiundachtzig Tage.

Dad sagte Stimmt.

Ich sagte Ich fahre zum Hadrianswall.

Er nickte und sagte Du musst fahren. Du musst so tun, als sei alles ganz normal, sonst bringst du deine Mum in große Gefahr, Philip. Du musst es tun, wenn du zurückkommst.

Dann sagte er Der 10. Dezember. Das ist der letzte Termin.

Ich sagte Der 10. Dezember.

Dads Geist sagte Wenn du mich lieb hast, Philip, wenn du mich auch nur ein wenig lieb hast, dann wirst du mir Frieden schenken.

Ich wollte nicht, dass Dad die Schrecken für alle Ewigkeit spüren musste, also sagte ich, ich tu’s.

Da kam Mum aus dem Raum und sagte Philip, mit wem um alles in der WELT redest du da?

Dads Geist sah mich an und sagte Erzähle ihr nichts, Philip. Sie darf es nicht wissen.

Ich sagte nichts und sie sah mir ins Gesicht und sah etwas darin, das sie nicht wütend auf mich werden ließ, und sie ging nach draußen und ich ging mit ihr nach draußen und sie sagte Verdammte, blöde Bank.

Dads Geist war flackernd verschwunden, als wir in den Ford Ka stiegen, und Mum war irgendwie weggeflackert, weil sie überhaupt nichts sagte. Sie fuhr den falschen Weg und ich fragte mich, wohin wir fuhren, und dann parkten wir vor Onkel Alans Werkstatt.

Onkel Alan gehört die Werkstatt zusammen mit einem anderen Mann, der Mr. Fairview heißt. Mr. Fairview zitiert immer die Bibel, aber Mr. Fairview kommt nie in die Werkstatt, weil er kein MECHANIKER ist wie Onkel Alan.

Onkel Alan hat viel Geld und Mr. Fairview auch und wenn man viel Geld hat, dann ist man mit anderen Leuten, die viel Geld haben, befreundet, wie in einem Club.

Onkel Alan wollte Dad einmal Geld geben, um die Hälfte des Castle zu kaufen, aber Dad hatte Nein gesagt und Mum und Dad haben gestritten und Mum hat die blau-weiße Salatschüssel zerschlagen, die sie in den Ferien auf Mallorca gekauft hatte. Das waren die Ferien gewesen, als wir in einem Glasbodenboot gefahren waren und die Fische unter Wasser gesehen hatten.

Mum sah in den Rückspiegel und sagte Es dauert keine Minute, Philip.

Ich hatte Angst, dass Mum sich mit Onkel Alan traf, weil er ein Mörder war, aber ich versuchte, normal zu tun, wie Dads Geist es mir aufgetragen hatte, und ich sagte zu Mum Ist gut.

Mum mag Onkel Alan, weil er ein Charmeur ist. Ein Charmeur ist ein Mann, der Frauen mag, und er schaut Frauen in die Augen und lächelt nur mit der Hälfte des Mundes, meistens mit der rechten Hälfte. Ein Charmeur ist meistens geschieden. Onkel Alan ist von einer Frau geschieden, die Trisha heißt und nicht ermordet worden ist. Trisha lebt in Devon und Mum sagt, sie nimmt Schmerzmittel, auch wenn sie gar keine Kopfschmerzen hat.

Onkel Alan trägt eine blaue Uniform und er hat immer schwarze Hände von den Autos und er ist fünfzig, also älter als Dad, aber er ist größer als Dad, weil Dad nur mittelgroß war.

Ich beobachtete sie und konnte sehen, wie Onkel Alan Mum etwas gab, und ich sah einen anderen Mann in einem Trainingsanzug, der sich über einen Motorraum beugte.

Mum kam nach sechs Minuten aus der Werkstatt, nicht nach einer, und auf dem Heimweg gab sie mir an der Ampel das Geld für den Hadrianswall und sie sagte mir nicht, dass es von Onkel Alan war, aber ich wusste es und ich hoffte, dass Dads Geist mich nicht beobachtete.

Hadrianswall

Mrs. Fell sagte Viele Römer glaubten, der Hadrianswall sei das Ende der Welt, weil in jenen Tagen alle davon ausgingen, dass die Erde eine Scheibe ist und wenn man zu weit geht, fällt man vom Rand und stirbt.

Dann sagte sie Wo ihr jetzt steht, war einmal das nördliche Ende des Römischen Reiches und darum war es für viele Soldaten, die hier arbeiteten, ein Furcht einflößender Ort.

Es war kalt und der Wind machte pfeifende Geräusche unter unseren Mänteln, als wären sie Musikinstrumente, und ich glaube, alle wollten wieder nach drinnen gehen und sich aufwärmen, sogar Mrs. Fell, die einen orangefarbenen Mantel trug, auf dem QUIKSILVER stand, aber Charlotte Ward hob die Hand.

Mrs. Fell sagte Ja, Charlotte?

Und Charlotte fragte Kamen die Soldaten alle aus England oder kamen sie aus Rom?

Der Kragen von Mrs. Fells Mantel schlug ihr ins Gesicht und sie zupfte ihn wieder zurecht und sagte Die meisten waren keine Britannier. Nicht alle kamen aus Rom, sie stammten oft aus wärmeren Orten in den südlichen Teilen des Reiches. Stellt euch vor, wie das gewesen sein muss! Nach vielen Jahren im warmen Sonnenschein überquerten sie den stürmischen Ärmelkanal und kamen in ein Land, das als überaus unfreundlich bekannt war. Hier gab es nicht nur schlechtes Wetter und Berge, viele Britannier hassten es, zum Römischen Reich zu gehören, und warfen Steine oder Gemüse oder spuckten die neuen Soldaten sogar an.

In diesem Augenblick spürte ich, wie mir jemand in den Nacken spuckte, und ich langte mit der Hand hin und drehte mich um und sah, wie mich Dominic Weekly und Jordan Harper mit geschlossenen Lippen auslachten. Mrs. Fell konnte sie nicht lachen sehen, aber sie sah, wie ich mich umdrehte.

Sie sagte mit einer weichen Stimme, die in dem Wind sehr leise und still war Philip, stimmt etwas nicht?

Ich sagte Nein, Miss.

Ihre lockigen Haare wurden ihr ins Gesicht geweht und sie schob die Locken hinter die Ohren und redete weiter.

Dominic sagte Helmchen, was macht dein Dad?

Jordan kicherte hinter mir und Dominic wiederholte es lautlos.

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Mrs. Fell sagte Die Soldaten wussten, dass hinter diesem Wall nicht nur das Ende der Welt war, sondern dass sich dort auch die gewalttätigsten Stämme befanden, von denen sie je gehört hatten.

Ich wischte mir die Hand an der Jeans ab und da fragte Charlotte Ward Wie lang war der Wall, Miss?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Mrs. Fell sagte Der Wall verlief quer durch das ganze Land, von Osten nach Westen. Er maß 80 Meilen und war über viereinhalb Meter hoch, drei Mal so groß wie ich.

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Was macht dein Dad?

Mrs. Fell sagte Dominic, möchtest du uns etwas mitteilen?

Dominic sagte Nein, Miss.

Jordan kicherte einen Furz aus dem Mund.

Dann sagte Mrs. Fell Wo wir jetzt stehen, befand sich einst einer der Wachtürme. Könnt ihr in der Erde die Steine sehen, die einen Bogen bilden? Diese Wachtürme schickten Signale den Wall entlang, wenn Eindringlinge kamen. Meistens kämpften die Soldaten allerdings nicht. Einen Großteil der Zeit versahen sie langweiligere Aufgaben, mussten beispielsweise Reparaturen durchführen oder die Leute kontrollieren, die den Wall passierten. Wie wenn ihr in den Ferien verreist und euren Pass zeigen müsst! Es gab Dörfer in der Nähe und Orte, an denen die Soldaten essen und trinken konnten, aber dennoch muss es für sie sehr schwer gewesen sein, in diese raue Welt zu kommen, weit weg von ihren Familien, und hier neu anzufangen.

diese

 

raue

 

Welt

Charlotte sagte Haben sie ihre Familien jemals wiedergesehen?

Mrs. Fell sagte Manchmal haben sie sie wiedergesehen, aber sie mussten 25 Jahre in der Armee dienen und hinterher blieben einige hier und einige kehrten nach Hause zurück, aber die römischen Männer lebten im Durchschnitt 41 Jahre und beendeten den Dienst frühestens mit 43 Jahren, weil man in die römische Armee erst mit 18 eintreten konnte. Darum hatten viele von ihnen keine Möglichkeit, ihre Familien jemals wiederzusehen, Charlotte.

Und sie redete immer weiter, aber ich sah nicht hin, ich dachte, dass Dad genau 41 war, als er starb, und ich fand das komisch.

Wir wohnten in einer Jugendherberge und die lag am Ende der Welt und bestand aus drei Gebäuden. Eines der Gebäude war groß und das war das Hauptgebäude und dort aßen wir. Und in diesem Gebäude bekamen wir Kartoffelbrei, der aus dem größten Topf aller Zeiten serviert wurde, und er schmeckte EKELHAFT und war klumpig.

Ich saß am Tisch der Lehrer und Mr. Rosen sagte Ist alles in Ordnung, Philip?

Und ich sagte Ja.