Nachsitzen - Klaus Hager - E-Book

Nachsitzen E-Book

Klaus Hager

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Beschreibung

"Dies ist ein Loblied auf die Schule. Es kann aber sein, dass diese es nicht bemerkt". So liest man es im Vorspann zur "Feuerzangenbowle". Der Autor singt hier auch ein Loblied auf seine Schule, das alte Casimirianum in Coburg. Er erzählt, wie er auf Reisen und bei vielen anderen Gelegenheiten wieder so ein bisschen Gymnasiast wurde, ein wesentlich emsigerer als er in der Schule war! Er berichtet zum Beispiel, wie er auf dem Forum in Rom im Schnellzug durch die römische Geschichte gefahren ist, wie ihm auf Kreta, 30 Jahre nach dem Abitur, Homer als Geist aus der Rakiflasche erschien, warum er sich als Humanist in Großbritannien wie der Mann auf dem Damenklo vorkam, und wie er dabei vieles wiederentdeckt hat, was man ihm auf der Schule schon vermitteln wollte, "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!" - Das alte Sprichwort stimmt doch nicht so ganz. Ganz im Gegenteil: Vieles, das Hänschen nicht lernt, oder nicht lernen will, lernt Hans viel besser! Davon erzählt dieses Buch. Wer auch mal nachsitzen will, der soll es lesen

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Inhaltsverzeichnis

Zu allererst

Vorwort

Tatortbeschreibung

Erste Lektion: Im Alten Rom

Start

Erstes Nachsitzen auf dem Forum Romanum

Der rechte Lehrer

Die Gründung Roms

Der König ist weg – es lebe die Republik

Der große Trumpf: SPQR

S - P - Q - R.

Die drei Punischen Kriege

Schicksalhafte Lateinische Wortkunde

"Virtus –Tugend, Tüchtigkeit".

"Vitium - Fehler, Laster".

"Vulgus - Niederes Volk, Pöbel",

Die Bürgerkriege

Die Gracchen

Krötenduft bei Marius und Sulla

Quo usque tandem: Die Catilinarische Verschwörung

Der Aufstieg des Herren G. J. C.

Der Würfelfall am Rubikon

Victoria, Venus und Caesar

Veni, Vidi, Vici auf Abo

Die schicksalhaften Iden des März

Shakespeare versus Sueton: Caesars Begräbnis

Die weißen Frauen Roms

Pause

Die Augustussaga - fast ein Märchen

Die Wandlung des Octavius

Octavian - Mark Anton: Ein Kampf in mehreren Runden

Runde 1: Cäsars Erbe

Runde 2: Das Glückslos bei Mutina

Runde 3: Philippi

Runde 4: Kleopatras Come Back

Runde 5: Das Wunder von Brindisi

Runde 6: Finale furioso

Octavians Gipfelsturm

"Kaiser Augustus"

Und wenn er nicht gestorben wäre....

Die Kaiserzeit

Titus

Tiberius

Caligula

Erstes Nachsitzen in Religion

Claudius

Nero

Domitian

Oh wie wohl ist mir am Abend

Was die Kaiserforen erzählen

Vespasian

Nerva

Trajan

Hadrian

Mark Aurel

Die drei großen Meilensteine von Roms steiler Talfahrt.

1. Meilenstein: Der Luxus pur.

2. Meilenstein: Brot und Spiele.

Die Christenverfolgung

Zweites Nachsitzen in Religion

3. Meilenstein: Das Laster.

Arrividerci Roma

Zweite Lektion: Nachsitzen bei den alten Griechen.

1994 Kreta

Knossos – ein archäologisches Disneyland

Nachhilfe in Lato

Drittes Nachsitzen in Religion

Kunsterziehung in Panagia i Kira

Homer - der Geist aus der Rakiflasche.

Nachlese

2. 1996 Chalkidiki

Alt und neu: Greek-Lession

Der Peloponesische Krieg – eine Lehre für´s Leben?

Genie oder Wahnsinniger?

1997 Rhodos,

Nachsitzen mit Ovid

Lindos

Go West! Das große Abenteuer - nicht nur in den USA

Kein Anschluss unter dieser Nummer: Kameiros

Casimirianertreffen auf Rhodos

Im Archäologischen Museum von Rhodos

Eine Deutschstunde auf Rhodos

"De Vecis Pappfestung"

Wer ist Balder?

Der gute Rat von Leonidas

Dritte Lektion: Der Mann auf dem Damenklo

Wohin? Nach England?

Oh sorry, I didn´t understand

Meine englischen Flegeljahre

Erfolgreiches Nachsitzen in Britischer Geschichte und Kultur

Wer hätte das gedacht?

Vierte Lektion: Musik

Fünfte Lektion: Erlebte Zeitgeschichte

Start zur Abifahrt

Bestandsaufnahme

Erster Fokus: Brandenburger Tor

Zweiter Focus: Reichstag

Dritter Focus: Eine S-Bahnfahrt vom Bahnhof Zoo zum Bahnhof Friedrichstraße

Sechster Focus: Der Alex(anderplatz)

Fünfter Focus: Potsdamer Platz

Sechster Focus: Kurfürstendamm

Kapitalismus ist schön!

Sechste Lektion: Das Dresdener Fanal

Siebte Lektion: Deutschstunde

Hermann Löns, es brennt die Heide!

Ein Edelfisch mit vielen Gräten

Tragikkomödie

Geschichten vom guten und vom bösen Wolf

Blick zurück im Zorn

Nach 55 Jahren: Blick zurück ohne Zorn

Achte Lektion: Thüringen

Schlussbilanz: Der wahre Freund

Ein letzter Blick zurück

Zu allererst

Ein Epitaph für Michael

Lieber Michael!!

Dieses Buch ist für dich, zu deinem Andenken. Du hast mich eigentlich veranlasst, es zu schreiben!

Dass sich unser Haufen, von dem ich gleich sehr viel erzählen werde, nach unserem Abi 1964 am Casi nicht in alle Winde verstreut hat, haben wir hauptsächlich dir zu danken. Du hast uns zusammengehalten, hast viele Treffen organisiert, und du hast schließlich auch gemeinsam mit Sibylle unsere Gruppe "Harter Kern Abi 64" ins Leben gerufen. Da warst du immer unser Mittelpunkt und das belebende Element!

Unser 35. Abiturjubiläum im Jahr 1999 hast du auch organisiert. Ich hatte dazu ein kleines Buch mit Erinnerungen an unsere Schulzeit verfasst:

"Wir waren schon so ein Haufen".

Du warst mein aufmerksamster Leser, und kanntest es fast besser als ich selber, hast mich oft mal mit Stellen aus meinem "Werk" zitiert, an die ich mich selber kaum noch erinnern konnte. Und als wir im Jahr 2014 unser Fünfzigjähriges gefeiert haben, hast du mich etwas vorwurfsvoll gefragt:

"Warum hast du denn nicht wieder etwas geschrieben?"

Da habe ich mir gleich fest vorgenommen: 2019, zu unserem 55-sten, werde ich nachliefern.

Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Zum 55-sten warst du schon nicht mehr da! Gerade du, der immer sportlich und gesund war! Jeder von uns hatte ganz sicher geglaubt, dass du bis 90 und auch noch darüber hinaus voll und fit bei uns bist, und ganz bestimmt einer der letzten von uns sein wirst, der geht.

Aber es kam leider anders!

Das Werden dieses Buches ging dann nur noch sehr schleppend voran. Sehr oft dachte ich es wird gar nichts mehr daraus. Ich arbeitete zwar ab und zu noch daran, aber die Phasen wurden immer kürzer, es schien bald so, als schliefe das ganze Projekt langsam ein.

Aber dann kam das Jahr 2024 näher, damit rückte unser Sechziger-Abijubiläum in Sichtweite! Das gab mir dann den entscheidenden Anstoß, mein ewig unvollendetes Werk doch noch fertig zu stellen – zu deinem Andenken.

Du hast sehr oft einmal gesagt, wenn du mich aus "Wir waren schon so ein Haufen" zitiert hast: "Dem (oder der) hast du da auch ein schönes Denkmal gesetzt". Mit diesem Buch will ich, wollen wir vom "Harten Kern Abi 64", dir ein Denkmal setzen.

Wir grüßen dich, wo du jetzt auch immer sein magst. Wir vermissen dich, sind traurig, dass du nicht mehr bei uns bist, aber wir freuen uns auch, dass es dich gegeben hat!

Vorwort

"Nachsitzen": Auf diesen Titel brachte mich Elise.

Nein, nicht das Klavierstück von Beethoven, das jeder Pianist mal klimpert, wenn er aus der Unterstufe in die Mittelstufe aufsteigt. - Die Elise, für die Beethoven das geschrieben hat, war sicher ein junges Mädchen.

'Meine' Elise war eine alte Frau! Sie war schon hoch in den Achtzigern, aber sie konnte immer noch die großen Flüsse Europas aus dem Kopf hersagen. Mit der Wolga im Osten fing sie an, der Guadalquivir im Westen kam ganz am Schluss.

"Guadalquivir?", wunderte ich mich, "den kenne ich gar nicht!

Wo fließt der denn?“

"Na, in Spanien! Das haben Sie auf der Schule wohl nicht gelernt?"

"Na, ja, da habe ich wahrscheinlich nicht aufgepasst", gab ich ehrlich zu, "das ist bei mir öfter mal vorgekommen, besonders in Erdkunde."

Sie sah mich an wie eine strenge Lehrerin: "So! Dann müssen Sie aber mal nachsitzen".

Etwa ein Jahr später konnte ich ihr verkünden: „Ich habe nachgesessen! Ich war am Guadalquevir!“

So kam ich auf den Titel für dieses Buch:

"Nachsitzen". - Ich erzähle darin, wo ich überall nachgesessen habe. Ich erzähle, wie ich auf dem alten Forum in Rom im Schnellzug durch die römische Geschichte gefahren wurde, und wie ich bei den Ausgrabungen von Knossos die Sagenwelt der alten Griechen wiederentdeckt habe.

Ich berichte, wie mir 30 Jahre nach meinem Abitur auf Kreta Homer als Geist aus der Rakiflasche erschienen ist, und warum ich mich als Humanist in Großbritannien wie der Mann auf dem Damenklo gefühlt habe.

Ich sitze unsere Abifahrt nach Berlin nach, und erzähle, wie ich zu Hause, beim Aufräumen meines Bücherregals etliches im Fach Deutsch nachgesessen habe.

Dabei bin ich jedes Mal wieder so ein bisschen Gymnasiast geworden, ein wesentlich emsigerer als ich in der Schule gewesen bin!

Da war ich "ein gutwilliger, aber etwas zu bequemer Schüler, der mehr Mitarbeit zeigen, und sich mehr am Unterrichtsgespräch beteiligen müsste". So konnte ich es alle Jahre wieder in meinem Jahreszeugnis lesen.

Damals ignorierte ich das. Jetzt, viele Jahre nach meinem Abi, entwickelte ich vor Ort den Eifer und den Fleiß, den meine Lehrer seinerzeit immer vergeblich bei mir angemahnt hatten.

"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!"

Das alte Sprichwort stimmt doch nicht so ganz. - Ganz im Gegenteil! Vieles, das Hänschen nicht lernt, oder nicht lernen will, lernt Hans viel besser! Davon erzähle ich hier in diesem Buch.

Tatortbeschreibung

"Dies ist ein Loblied auf die Schule. Es kann aber sein, dass diese es nicht bemerkt".

So, oder so ähnlich liest man es im Vorspann zur "Feuerzangenbowle", dem köstlichen Film aus dem Jahre 1944. Ich singe jetzt auch so ein Loblied auf meine Schule, das manch einer vielleicht nicht so recht bemerken könnte.

Meine Schule ist das alte Casimirianum in Coburg. Dem bin ich echt familiär verbunden. Am 01.09.1955 habe ich dort meine Karriere als „Bürger Casimirs“ gestartet. Seither waren insgesamt sieben Leute aus meiner erweiterten Familie dort Schüler oder Lehrer.

Das 'Casi' wird unsere Schule jetzt salopp genannt. Als ein modernes Gymnasium bietet es heutzutage einen sprachlichen, sowie auch einen naturwissenschaftlich, technologischen Zweig an. Zu unserer Zeit war das ganz anders:

Vom 'Casi' redete da keiner. Man sprach nur, fast ehrfürchtig, vom 'Casimirianum'! Das war ein reiner Tempel des Humanismus, der wurde dort noch richtiggehend gepflegt. Wir paukten emsig Latein und Altgriechisch, wir beschäftigten uns sehr viel mit der Antike und ihrer Kultur. - Englisch, Mathe und Physik, das waren 'so moderne Sachen', die wurden uns nur sehr halbherzig beigebracht; Chemie war sogar nur Wahlfach!! Dazu lasse ich ab und an auch mal etwas kritische Töne hören, über die könnten etliche, eingefleischte Altcasimirianer, denen ihr Humanismus heilig ist, etwas sauer sein, und mein Loblied nicht so recht bemerken!

Nicht-Coburgern sollte ich vielleicht noch erklären, was "Casimirianum" bedeutet:

Die Schule ist nach dem Coburger Herzog Johann Casimir benannt, der hat sie schon im Jahr 1605 gestiftet. Sie feiert bis heute alljährlich ein Stiftungsfest. Casimir wird am Abend davor mit der 'Bekränzung' geehrt:

Ihm, der in Stein gemeißelt an der Nordostecke des Gebäudes steht, wird da ein Kranz aus Eichenlaub auf das Haupt gesetzt, einen bekommt er an den Arm gehängt.

Zu unserer Schulzeit war diese Bekränzung noch ein großes Ereignis. Wir sind noch vom heutigen Utopolis, das damals noch UT (Union Theater) hieß, durch die Stadt marschiert. Vorneweg die Coburger Stadtkapelle, dahinter wir Schüler, alle mit grünen Schülermützen und festlich gekleidet. Am Marktplatz hatte sich sogar der Oberbürgermeister auf den Rathausbalkon bemüht, um unsere Parade abzunehmen. Durch die Steingasse ging es dann zum Casimirianum am Kirchplatz.

Der 'Primus omnium', (das war der, der das beste Abitur geschrieben hatte), stieg dann über eine Feuerwehrleiter zu dem steinernen Herzog hinauf und bekränzte den. Danach hielt er hoch oben von der Leiter herab eine Rede, in der er die Schule und ihren edlen Stifter in Hexametern pries. Zum Schluss wurden ihm nacheinander drei Glas Bier zugereicht, die musste er zu folgendem Toast auf Ex leeren und mit Schwung auf den Kirchplatz hinunter werfen:

Herzog Johann Casimir und sein altehrwürdiges Gymnasium Vivant", (Tusch, erstes Glas), (sollen hochleben),

"Crescant“, (Tusch, zweites Glas), (wachsen)

"Floreant in aeternum“, (Tusch, drittes Glas). (und blühen, in Ewigkeit).

Die Splitter wurden von den Schülern unten eifrig aufgesammelt, sie sollten ihnen Glück und gute Noten für das nächste Schuljahr bringen. Danach sangen wir dem edlen Stifter ein recht salbungsvolles Lied:

Brüder, singet dem Geschmückten,,

Singt dem Vater der Beglückten

Lasst uns jubeln, lasst uns jauchzen

Dankesvoll sein Lob erhöh'n.

Wir Lausbuben konnten es uns nicht verkneifen, dem "Vater der Verrückten" zu singen, und statt zum "Ewigen zu flehen: Lass noch tausend Jahre stehen / Casimirs ehrwürdige Mauern", baten wir ihn: "Lass (sie) in tausend Stücke gehen!"

Zum Schluss stieg der Secundus auf ein Podium zu ebener Erde und hielt von da noch eine freie Rede zu einem von ihm selbst gewählten Thema.

Damit war aber noch nicht Schluß! Abschließend zogen wir noch zum Ketschenanger. Der Primus und der Secundus wurden dahin getragen.

Die Bekränzungsfeier gibt es heute noch. Allerdings etwas "abgespeckt". Die heutigen "Bürger Casimirs" marschieren nur noch etwa 200 Meter weit, von der unteren Anlage aus zum Kirchplatz; sie werden jetzt aber von einer schuleigenen(!) Blaskapelle angeführt.

Den Herzog bekränzt heute nicht mehr der Primus, das tut einer aus den sechs besten Schüler*innen der 12. Klasse. Der/die wird dafür frei gewählt!

Zuvor hält er/sie noch die freie Rede, auf dem Podium, die früher der Secundus gehalten hat. Die Ansprache im Hexameter aus luftiger Höhe ist gestrichen.

Den Toast mit anschließendem Splittersammeln für gute Noten, gibt es noch. Er lautet heute aber nur noch:

"Das Gymnasium Casimirianum vivat, crescat, floreat in aeternum.“

Casimir wird weggelassen, und das Preislied an ihn als „Vater der Verrückten“ wird ihm auch nicht mehr gesungen. - Warum? - Er war eine sehr zwielichtige Persönlichkeit, und er hat nicht nur Gutes getan. Darüber zu diskutieren gehört aber nicht hierher.

Danach ist Schluss, zum Anger wird keiner mehr getragen.

Casimirs Stiftung von 1605 erlangte bald einen sehr guten Ruf, der sich weit über die Grenzen des kleinen Herzogtums verbreitet hat! Immerhin schreibt kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe über seinen Vater Johann Caspar:

"Er hatte seine Jugend auf dem Koburger Gymnasium zugebracht, welches unter den deutschen Lehranstalten eine der ersten Stellen einnahm. Er hatte daselbst einen guten Grund in den Sprachen, und was man sonst zu einer gelehrten Erziehung rechnete, gelegt".

Das wurde uns natürlich immer wieder bewusst gemacht:

“Ihr könnt stolz sein, auch zu den Bürgern Casimirs zu gehören!“ So, als wäre Johann Wolfgang von Goethe ganz bestimmt nie so ein großer Dichter geworden, wenn sein Vater "seine Jugend nicht auf dem Koburger Gymnasium zugebracht" hätte!

Jetzt habe ich den 'Tatort' ausführlich beschrieben, wir können dann wohl langsam zur Sache kommen. Ein paar Angaben will ich aber doch noch machen

Ich habe eben den Beginn der 'Feuerzangenbowle' erwähnt. Am Ende gibt der Johannes Pfeiffer, dargestellt von Heinz Rühmann, zu: "Ich habe alles erfunden. Solche Lausejungen wie wir gibt es ja gar nicht."

Bei mir ist das Gegenteil der Fall!!

Ich habe nur ab und zu mal etwas erfunden, hauptsächlich bei meinen Reiseberichten, aber die Erzählungen über meine Zeit als "Bürger Casimirs" sind alle wahr, vom Anfang bis zum Ende! Da habe ich nichts ausgedacht, solche Lausejungen waren wir tatsächlich!

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind daher nicht rein zufällig. Die Leute gab es! Ihre Namen habe natürlich abgewandelt!

Die Jahrgänge zählte man zu unserer Zeit noch anders. Wir begannen unsere Karriere am Gymnasium mit der ersten Klasse, unser Abitur machten wir nach der Neunten. Damit aber alles klar bleibt, setze ich die heute gebräuchlichen Zahlen in Klammer dahinter, von der 1. (5.) Klasse an bis zur 9. (13.).

Abschließend noch ein Wort zum Genderstern: Den gebrauche ich ab und zu. Da, wo ich ihn für sinnvoll halte.

Aber wie sagt doch der Sohn des Casimirianers Johann Caspar Goethe in seinem Faust?

"Der (Vor)Worte sind genug gewechselt, lasst uns nun endlich Taten (oder auch Daten) seh´n." Dann wollen wir mal!

Erste Lektion: Im Alten Rom

Im Schnellzug durch die römische Geschichte

Start

Pfingsten 1973. Ich bin 29 Jahre alt (oder jung); in der Woche nach den Feiertagen habe ich Urlaub. Da will ich eine kleine Reise machen, die plane ich gerade. Ein Katalog liegt vor mir aufgeschlagen. "Fünf Tage Rom" habe ich darin als attraktives Angebot ins Auge gefasst. Eines von den vielen bunten Bildern zeigt einen Kanaldeckel mit Aufschrift "SPQR".

"SPQR!?", überlege ich, "das bedeutete doch: 'Senatus Populusque Romanus - Der Senat und das Volk von Rom'. Das war das Hoheitszeichen der alten Römer, ihr Logo? Oder wie war das gleich?"

"Wie war das gleich?", frage ich mich noch öfter. Zum Beispiel bei drei schneeweißen Säulen, die da in einen azurblauen Himmel ragen.

"Reste des Castor und Pollux Tempels auf dem Forum" erklärt mir der Text dazu.

Castor und Pollux? An die zwei Namen erinnere ich mich auch noch, sogar recht gut, aber wer waren die beiden?

Da höre ich ganz deutlich unseren Doktor Ford mit seinem sanften, melancholisch tadelnden Ton:

"Ja, Hager, neun Jahre ist es nun schon her, dass Sie Ihr Abitur bei uns gemacht haben. Da ist doch schon so manches arg verblasst".

"Da müssen Sie aber mal Nachsitzen", höre ich noch die alte Elise.

Dr. Ford war von der 7. (10.) bis zu 9. (13.) Klasse unser Klassleiter, er hat uns zum Abitur geführt. Dabei hat er echt unter uns leiden müssen. Wir waren schon so ein Haufen, der seinen Lehrern das Leben nicht unbedingt schöner gemacht hat. Nicht etwa, weil wir bösartig waren, bestimmt nicht! "Sie waren doch alle gute Kerle", das hat uns sogar Dr. Ford selber nach unserem glücklich bestandenen Abitur bestätigt. Aber alle diese "guten Kerle" waren halt stinkfaul; und das von Anfang an!

Im September 1955 sind wir als Klasse 1b am Casi gestartet. Unser erster Klassenlehrer hieß Dr. Lieb, und der stöhnte schon sehr: "Ach Kinderchen! Bei euch fühlt man sich oft mal nicht als Studienrat, sondern als Stupidenrat."

Dr. Lieb war ein ganz fabelhafter Lehrer, ein feiner, gütiger Mann, richtiggehend väterlich. Er redete uns auch in den Oberklassen noch mit "Kinderchen" an. Wir machten dafür im Gegenzug aus ihm ein Mäxle, obwohl er eher ein Hüne war. Und weil er wegen eines leichten Spitzbauches seine Hose, an Hosenträger gehängt, mit dem Bund ein gutes Stück über dem Bauchnabel trug, hieß er bei uns: "Das Mäxle mit der langen Hose".

In der 2. (6.) übernahm uns dann "die Kröte", ein uriges, altes Paukeroriginal.

Das 'Sie' oder das 'Die' setze ich deswegen immer in Anführungsstriche, wiel 'sie' ein Mann war! Wer dem den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Kröte" verpasst hatte, wusste niemand; wann und wieso, wusste auch keiner, der hieß einfach so bei uns! Da wurde dann auch konsequent nur von 'ihr' geredet, sodass die meisten Uneingeweihten glaubten, "die Kröte" sei eine Frau!

'Ihr' Urteil über uns fiel wesentlich derber und drastischer aus als bei dem feinen Dr. Lieb:

"No, Köäle! Faul wie die Stinktiere seids, dumm wie die Nacht, frech wie die Wanzen, und obendrein noch gefräßig."

In der 5. (9.) stellte dann Herr Findeis ganz nüchtern und sachlich fest:

"Herrschaften! Dumm sind wir nicht! Aber faul sind wir! Stinkfaul!"

Matthias meinte dazu: "Wir hätten ihn eigentlich mal fragen sollen: 'Herr Findeis, wen meinen Sie denn mit 'wir'‘?“

Und Dr. Lieb seufzte bei einem Wiedersehen in der 8. (12.) mal ganz tief:

"Ach Kinderchen! - Ich habe in den letzten Jahren ja öfter eine Oberklasse gehabt, und hab dabei leider immer wieder feststellen müssen: Besser wird´s net! Aber ihr! Ihr schlagt da wirklich alle bisherigen Rekorde!"

Diesen Haufen musste der arme Dr. Ford ab der 7. (11.) Klasse übernehmen! Er war ganz schwer frustriert über die geballte Ladung an träger Interesselosigkeit, die ihm da entgegenschlug:

"Also, bei Ihnen redet man aber wirklich wie gegen eine Wand! - Wie gegen eine Wand", klagte er immer wieder, und einmal, oh wie peinlich, sprach er dabei mich direkt an:

"Dabei wären schon einige unter Ihnen, die könnten, wenn sie nur wollten! - Hager! Sie zum Beispiel sind so einer! Wollen Sie denn nicht?"

Ich grunzte nur leicht verlegen: "Na, ja! - Doch! – Schon."

Dr. Ford sagte nur ganz resigniert: "Anscheinend nicht, dem unwilligen Brummen nach zu schließen".

Wir machten es ihm wirklich nicht leicht. Als ich mal meiner Mutter recht amüsiert davon erzählte, war ich ganz perplex, dass die voll seine Partei ergriff:

"Na Klaus, warum macht ihr denn das? Glaubt ihr denn nicht, dass es für den Mann ein ganz großer Auftrieb wäre, wenn er da nur etwas Widerhall bei euch fände. Und du wärest doch in der Lage dazu. Willst du denn nicht?"

"Das hat mich der Ford auch schon gefragt", sagte ich darauf nur wurstig.

Da war meine Mutter richtig entsetzt: "Und da fühlst Du nicht veranlasst, dem Mann mal ein klein wenig zu helfen. Da bin ich aber schon recht enttäuscht von dir!"

Ich unterließ es aus diplomatischen Gründen, ihr zu erzählen, dass "der Ford" auch das schon gesagt hatte. Ihr schon fast leidenschaftlicher Appell an mich verhallte. Warum sollte ich mich gerade anstrengen? - Und da bei uns in der Klasse ziemlich jeder so dachte, wurde das einfach nichts rechtes. Dr. Ford sang weiter seine "Klagelieder" über uns. Wir grinsten darüber.

Nun sehe ich ihn auf einmal wieder ganz deutlich vor mir. Er schaut mich genauso tadelnd an wie seinerzeit in der Schule: "Na Hager, nicht gar so bequem. Fahren Sie mal nach Rom!" Inzwischen bin ich aber doch etwas reifer geworden und grunze nicht mehr unwillig.

Also: Nach Rom!

Erstes Nachsitzen auf dem Forum Romanum

Da bin ich nun! Ich stehe in Rom auf dem alten Forum: Leicht verwirrt schaue ich rund herum, überall sehe ich Steine. Dazwischen zeugen ab und zu noch ein paar Säulen und zwei recht gut erhaltene Triumphbögen von verschwundener Pracht. Wenn die nicht wären, könnte man denken man sei auf einer Bauschuttdeponie!

Plötzlich fühle ich mich wieder als Schüker im Casi. In der dritten (siebten) Klasse haben wir Geschichtsunterricht bei der Kröte. Ich rieche ganz deutlich "Krötenduft". So nannten wir den eigenartig süßlichen Geruch der immer mit 'ihr' ins Klassenzimmer schwebte, wenn 'sie' hereinkam; der stammte von 'ihrem' Pfeifentabak.

Ich spüre auch die knisternde Spannung, die sich immer ausbreitete, wenn 'sie' mit ihrem schleichenden, geduckten Gang zum Pult schlurchte, etwas ächzend dort Platz nahm, und ihr gefürchtetes "Notenbiechel" aus der rechten Jackentasche heraus fingerte. Das studierte 'sie' erst einmal lang und gründlich, dabei brabbelte sie immer halblaut vor sich hin:

"No, heit ämol.....ämol...".

"Hoffentlich nicht ich!", dachte sich da jeder, denn wer da zu 'ihr' ans Pult gerufen wurde, dem stand kein Honigschlecken bevor.

Wenn das Opfer für heute ausgemacht war, plärrte 'sie' dessen Namen immer laut und schrill in den Raum. - Mir ist, als hätte ich da gerade "HAGER!!" gehört, und ich spüre jetzt genau das Gefühl, das ich immer hatte, wenn ich schlecht vorbereitet zur Abfrage aufgerufen wurde. Nervös blättere ich in meinem Spicker. (Polyglott).

Mit Spicker hätte ich mich von 'ihr' allerdings nicht erwischen lassen dürfen! Dafür hatte 'sie' einen ganz besonderen Riecher, und Augen wie ein Luchs.

"No, zeig her, wos host du da?!", schoss 'sie' plötzlich auf einen los. "Wos Schlimmes?" Und dann tappte sie auch schon mit 'ihrer' großen Hand suchend im Fach unter der Tischplatte herum. Und wehe, wenn 'sie' dann fündig wurde! Da bekam der Überführte das Beweisstück um die Ohren geschlagen und eine saftige Strafarbeit dazu.

Reguläre Schulstrafen, wie Arrest oder „Verwöis“ gab die Kröte kaum einmal. 'Sie' hatte da ihr eigenes System. Und ‚ihre‘ Strafarbeiten waren gesalzen.

Da durfte man beispielsweise die lateinischen Zahlen von eins bis tausend in Worten aufschreiben. Das war eine recht zeitaufwendige Sache. Die lateinischen Zahlen ergeben ja oft ellenlange Wörter. 775 zum Beispiel. Das heißt septingenti septuaginta quinque. Bis man die von unus bis mille alle zusammen hat, braucht man seine Zeit. Über vier Stunden hätten sie darüber gesessen, erzählten die zwei, die das aufgebrummt bekommen hatten.

Um sich vor solchen Attacken der Kröte zu schützen, hatte Matthias an seinem Platz eine starke, dicke Schraube von unten so weit in das Fach gedreht, dass ihre scharfe Spitze noch ein bis zwei Zentimeter hinein ragte.

"Das ist meine Krötenfalle", grinste er hintergründig. "Wenn die Kröte mal bei mir 'was Schlimmes' sucht, dann hat sie die Schraube in der Pfote".

'Sie' tappte da aber nicht hinein. "Leider" sagten wir damals als pubertäre Lümmel, "Gott sei Dank" sage ich heute.

Spicken wurde zu unserer Schulzeit von den meisten Lehrern richtiggehend kriminalisiert! Selbst unser Lieblingslehrer Dr. Lose, der ja für so manches Verständnis zeigte, das andere Lehrer nicht aufbrachten, war beim Thema Spicken unerbittlich. Im Unterricht sah er das zwar nicht so eng wie ‚die Kröte’, aber wenn der einen bei der Schulaufgabe dabei erwischte, dann gab es auch bei ihm keine Gnade. Dem nahm er das Blatt weg, der bekam die Note Sechs und eine Stunde Arrest. Da schlug dann selbst er so übertrieben alberne Töne an wie „arglistige Täuschung“ und „Vertrauensmissbrauch.“ So was schien auch er, der sonst eigentlich sehr großzügig dachte, fast als persönliche Kränkung aufzufassen.

Dabei ist „Spicken“ doch im Grunde genommen harmlos und in keiner Weise kriminell, das finde ich auch noch heute. Solange es Schüler gibt, werden die „spicken“. Das gehört ganz einfach dazu. Und alle Pädagogen, die sich darüber heute noch maßlos erregen, möchte ich mahnen: Seht das doch nicht gar so eng und dramatisch, und wenn ihr wieder mal einen beim Spicken ertappt, dann haltet mal ein bisschen die Luft an. Sicher ist das ein Regelverstoß, der natürlich auch entsprechend geahndet werden muss, klar, aber ich meine, so schlimm, dass man das gleich kriminalisiert, ist es auch nicht.

Das muss doch nun wirklich auch da nicht sein!

Ich kehre aus meinen Wachträumen wieder auf das Forum zurück, die Kröte ist reell ja gar nicht da, ich kann meinen 'Spicker', den Polyglott, gefahrlos benutzen. Doch einer, der ziemlich blank ist, wie ich jetzt, der kommt mit einem Spicker auch nicht wesentlich weiter. Das habe ich schon in der Schule festgestellt, das merke ich auch jetzt.

Da lese ich was von einer Basilika Aemilia. Gleich rechts neben dem Eingang soll die sein. Wo denn? Ich sehe dort überhaupt nichts!

"Moment mal", fällt mir noch ein, während ich etwas planlos weiter blättere. "Die Römer haben ja unter einer Basilika keine Kirche verstanden, sondern - ja was?"

"So weiß er nicht" höre ich die Kröte.

Gleich hinter dieser Basilika, lese ich weiter, sei die Kurie.

Die Kurie? - Die war das Gebäude in dem der römische Senat getagt hat. Das weiß ich sogar noch! Aber was hatte der Senat eigentlich für eine Funktion im alten Rom?

"So, weiß er wieder nicht", höre ich die Kröte drohen.

Den Platz der Curie gegenüber nenne man 'die Comitia', spicke ich dann weiter.

"Comitia"? Ganz dunkel erinnere ich mich an dieses Wort.

Hieß das nicht "Versammlungen"?

"No, weiß er wieder nicht".

Drei Mal hintereinander "weiß er nicht" bedeutete bei der Kröte das absolute Aus:

"Köal, wieder nix gelöant; setzen sechs!"

Meistens kriegte der, der da so deftig weggeschickt wurde, von 'ihr' noch eine knackige Bemerkung mit auf den Weg:

"No ja, Zech, wennst so weiter machst, wirst deine Zechinen bald selber verdienen missen".

Oder: "No, warst gestern wieder mit deiner Dulcineia im Kino und host nix studiat!"

Ich glaube jetzt, ganz deutlich zu hören:

"No, ja, Köal! Warst gestern Abend wieder zu lange beim Frascati gesessen!"

Den Frascati habe ich gleich nach meiner Ankunft hier in Rom kennen und schätzen gelernt! Bei meinem ersten orientierenden Abendbummel, war ich ganz zufällig an der Piazza Navona gelandet, einem der malerischsten und stimmungsvollsten Plätze in Rom. Die Einheimischen sagen, hier zeige Rom seinen lebendigen Charme.

Dort hatte ich ein kleines, gemütliches Lokal gefunden. Der Ober sprach sehr gut deutsch, er redete mir gleich mal den Vino Rosso aus, den ich bestellen wollte, weil ich den für ganz Italien obligatorisch hielt:

"In Rom man trinkt Weißwein - Frascati! Probieren Sie! "

Er war sehr frisch, herb und süffig, fast wie unser fränkischer Silvaner.

"Ah molto bene", nickte ich anerkennend.

Er stellte mir gleich einen halben Liter hin. Ich trank ihn vollständig aus. Recht weinselig schlenderte ich danach zu meinem Hotel zurück. Das hatte ich mit dem halben Liter Frascati "schön gesoffen".

Vor ein paar Stunden, als ich hier angekommen war, hatte ich mein Zimmer noch kritisch gemustert. Ich meinte, es gliche mit seinen vier windschiefen Wänden, einem etwas wackeligen Tisch und einem knarrenden Bett eher einer Mönchszelle als einem Hotelzimmer. Ich hatte es mit einem recht skeptischen "Na, ja" taxiert. Jetzt fand ich es urgemütlich hier.

Zum Duschen musste ich hinaus auf den Balkon, der war zur Hälfte mit Reliefglas notdürftig verkleidet, und damit zu einer recht improvisiert wirkenden Duschkabine umfunktioniert. Bei meiner Ankunft hatte mich das sehr gestört, jetzt fand ich es saukomisch, wie das Abwasser durch ein offenes Rohr im Balkonboden aus etwa fünf Meter freier Fallhöhe sehr lautstark in einen Hinterhof hinunter plätscherte.

"Da Mario", so heißt die kleine Kneipe dort an der Piazza Navona, habe ich inzwischen zu meinem Stammlokal erklärt. Auch gestern Abend war ich dort, habe gut gespeist, (ich sage absichtlich nicht "gegessen"), habe den köstlichen Frascati getrunken und habe wirklich "nix studiat". Ich höre wieder die alte Elise: "Da müssen Sie aber Nachsitzen." Dann will ich das jetzt mal tun!

Der rechte Lehrer

Zum Nachsitzen sollte ich mich wohl einer Führung anschließen. Am Eingang habe ich gelesen, dass da auch welche in deutscher Sprache angeboten werden. Gerade will ich mich dahin auf den Weg machen, da höre ich auf einmal heimatlich fränkische Laute ganz in meiner Nähe:

"So, dann kommen´s bitte alle mal her!"

Ein Mann, vielleicht Mitte bis Ende dreißig, ruft eine Gruppe von etwa fünfundzwanzig Leuten zusammen. Er hat ein flottes Hütchen auf, und trägt ein T-Shirt mit "SPQR" auf der Brust, weiß auf Dunkelblau.

Leute jeden Alters scharen sich um ihn; ihr Bildungsgrad scheint so ziemlich 'querbeet' zu sein. Da sind welche, die recht akademisch wirken, ein katholischer Geistlicher ist auch darunter. Andere wieder sehen etwas einfacher strukturiert aus. Eine recht hübsche, junge Frau ist für meine 29-jährigen Augen ein sehr erfreulicher Anblick.

"Hier sind wir jetzt auf dem Forum Romanum, von hier aus wurde das ganze römische Reich regiert", höre ich in typisch fränkischem Hochdeutsch. "Ich kenn da fast jeden Stein, und werde jetzt ein paar davon für Sie zum Reden bringen. Wenn man die einigermaßen verstehen gelernt hat, dann wird das alles hier zu einem großen, steinernen Geschichtsbuch! Damit fahren wir mal im Schnellzug durch die Geschichte Roms. Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang".

Das klingt gut. Mal sehen, ob ich hier ein bisschen schmarotzen kann! Meine erste Wissenslücke wird auch gleich gefüllt. Er kommt auf diese Basilika zu sprechen, die ich vorhin vergeblich gesucht habe:

"Eine Basilika war bei den alten Römern keine Kirche, sondern eine Versammlungshalle. Das Untergeschoss war meistens eine Markthalle mit vielen Geschäften, in den oberen Etagen, wurde Gericht gehalten, oder man traf sich zu Vorträgen, oder Theater!"

(Jawohl! Jetzt, wo er das sagt, fällt mir das auch wieder ein!)

"Und wo ist die, diese Basilika? Man sieht doch gar nichts!", fragt einer aus der Gruppe.

(Das habe ich mich ja gerade auch schon gefragt).

"Das sollen uns gleich mal die Steine hier direkt vor uns erzählen!"

Der Führer zeigt auf ein Trümmerfeld, aus dem erkennt man bei genauerer Betrachtung einen Grundriss; über dem lässt er die dreischiffige Basilika Aemilia auferstehen: Ein eleganter Bau, 70 x 29 Meter, mit vielen, schwungvollen Säulenbögen.

Der Mann ist wirklich gut! Bei dem würde ich sehr gerne weiter nachsitzen. Aber die ganze Zeit heimlich und verstohlen als Schmarotzer hinter ihm und seiner Gruppe her schleichen will ich doch nicht! Ich spreche ihn an:

"Verzeihung, wenn ich recht gehört habe, sind Sie aus Franken".

"Ja, aus Bamberg!"

"Dann sind wir sogar oberfränkische Landsleute! Ich komme aus Coburg. Darf ich ihnen folgen? Ich zahle gerne auch meinen Obolus dafür".

"Ich bin hier nicht der Boss. Da müssen sie den Herrn Pfarrer hier fragen."

Der geht direkt neben ihm und lächelt freundlich:

"Ich persönlich habe da nichts dagegen. Sehen wir halt mal, wie unserer Gruppe darüber denkt. - Hallo! Wir haben hier einen oberfränkischen Landsmann aus Coburg, der möchte sich uns gerne anschließen. Hat einer was dagegen? - Keiner? - Sehr schön! - Sie sind uns willkommen."

Den Obolus, den ich ihm anbieten will, lehnt er großzügig ab: "Lassen Sie nur, das brauchen Sie wirklich nicht!"

An der Kurie machen wir zuerst einmal nur einen kurzen Zwischenstop. Der Führer - als Stefan Meringer hat er sich mir vorgestellt, ich soll ihn einfach mit 'Stefan' ansprechen - deutet nur mal kurz darauf:

"Das hier war die Kurie, die war etwa das, was bei uns in Bonn das Bundestagsgebäude ist".

"Wos? Des Getreidesilo da?", fragt einer, mit wachen Äuglein und einer Stupsnase; ich nenne ihn gleich den "Pfiffikus". Er ist auch einer! Der Führer nickt ihm grinsend zu:

"Ja, das Getreidesilo da! Mit dem werden wir uns gleich noch ganz ausführlich beschäftigen. Zuerst aber gehen wir mal da rüber zu der Wellblechgarage."

Er führt uns zu einem kleinen Dach auf ein paar recht wackeligen Eisenpfeilern: Darunter sei der Lapis niger, der schwarze Stein; angeblich der Grabstein des Romulus, des Gründers der Stadt Rom.

Die Gründung Roms

Sage und Wahrheit

"Sieben, fünf, drei - kroch Rom aus seinem Ei", repetiere ich. Gründer waren die Zwillingsbrüder Romulus und Remus. Die beiden wurden von einer Wölfin gesäugt! Ich bin richtig stolz, was ich alles noch weiß, da höre ich gleich wieder die Kröte:

"No, und warum wurden die von einer Wölfin gesäugt? Wer waren denn die Eltern? - Weiß er wieder nicht!"

Das sitze ich jetzt nach: Die Mutter der beiden war die latinische Königstochter Rhea Sylvia, Die war gerade mit den beiden schwanger, da wurde ihr Vater, der König Numitor, von einem Bösewicht namens Aemulius abgesetzt!

Rhea Sylvia gebar Zwillinge. Da sich keiner als deren Vater bekannte, gab sie den Gott Mars dafür an. Dieser Aemulius, dachte sich: "Die zwei dürfen nicht erwachsen werden, die könnten mir Schwierigkeiten machen! - Weg mit denen!"

Unmensch, der er war, befahl er, die Kleinen in eine Kiste zu packen, und die in den Tiber zu werfen. Die Kiste wurde an Land gespült, eine Wölfin fand die zwei Kleinen. Sie waren wohlbehalten und quicklebendig! Doch sie hat sie nicht gleich nach Wolfsart verspeist, sondern hat sie gesäugt, bis sie von einem Hirten aufgelesen wurden. Der hat sie dann zusammen mit seiner Frau weiter groß gezogen.

Sie wurden zwei kräftige junge Männer, fanden auf wunderbare Weise zu ihrem Großvater Numitor zurück, erschlugen den Bösewicht Aemulius, und setzten ihren guten Opa wieder auf den Thron von Latium. Der erlaubte ihnen, am Fuße des Hügels Palatin eine Stadt zu gründen. Das war die Stelle, wo man sie gefunden hatte.

Bis dahin war ja alles blendend gelaufen, aber dann gab es Streit: Nach wem sollte die Stadt heißen? Die Frage wollten die beiden durch ein Vogelflug - Orakel, entscheiden lassen.

Jeder stieg auf einen Hügel und zählte die Adler, die da vorüber flogen. Remus wollte sechs gesehen haben! Sein Bruder Romulus verdoppelte auf zwölf. Er erklärte sich damit zum Sieger, nahm einen Pflug, und zog eine tiefe Furche. Die aufgeworfenen Schollen seien die Stadtmauer Roms!

Remus war natürlich stocksauer und spöttelte: "Über deine Stadtmauer steigt doch jedes Kind." Er sprang darüber. Da hat ihn sein Bruder Romulus erschlagen, und hat sich dann selber zum ersten König von Rom erklärt.

Die Kröte hat uns dieses Drama als lebhaftes Szenario vorgespielt: Mit einem eleganten Hopser führte 'sie' uns vor, wie Remus sprang, dann hieb 'sie' krachend mit der Faust auf den Tisch, dass wir alle zusammenzuckten, und röhrte uns den Satz entgegen, den Romulus nach seinem Brudermord gesagt haben soll:

"So soll es künftig jedem gehen, der die Mauern Roms übersteigt."

Na, ist das nicht eine interessante Geschichte?

Aber die Historiker von heute sagen, sie sei nicht wahr, das sei alles nur Sage! Die Geschichtsschreiber der Antike waren eben auch eifrige Geschichtenschreiber, für die war natürlich so eine spannende Erzählung mit Mord und Totschlag viel interessanter als die nüchterne und ganz undramatische Wahrheit. Die sagt: Rom ist nie richtig gegründet worden. Es ist ganz von selber entstanden!

Das hat uns die Kröte auch beigebracht, und 'sie' hat es natürlich auch "geprieft": Der, den 'sie' da gerade in der Mangel hatte, berichtete eifrig von zwei 'Furts', die da über den Tiber führten.

"Furten heißt das nicht Furts", verbesserte die Kröte streng. Unser Kichern und Lachen bremste sie mit einem energischen: "No, was gibt´s da! Werd´s gleich!!"

Auf den sieben Hügeln rund herum siedelten Menschen. Diese Dörfer wuchsen dann ganz von selber allmählich zu einer Stadt zusammen.

Aber, ob man der Sage mit den zwei Brüdern glaubt, oder sich an die nüchterne Wahrheit mit den "zwei Furts" hält, eines können wir festhalten: 753 war Rom da!

Der König ist weg – es lebe die Republik

Die Stadt, die hier ganz von selbst und völlig undramatisch entstand, soll erst 'Alba Longa' geheißen haben! Dass sie sich heute 'Rom' nennt, das könnte tatsächlich ein König veranlasst haben, der Romulus hieß. Den hat es wirklich gegeben, der ist historisch einwandfrei belegt.

Aber Könige mochten die Römer nicht, das haben wir schon in der ersten (fünften) Klasse beim "Mäxle mit der langen Hose" gelernt. Aus unserem Lateinübungsbuch, den "Lectiones Latinae", haben wir den Satz übersetzt:

"Reges Romanis semper odiosi erant - Könige waren den Römern immer verhasst".

Doch die Römer hielten sie aus, sehr widerwillig zwar, aber sie beugten sich. Bis Tarquinius Superbus kam. Der soll ein ganz gewaltsamer, brutaler Herrscher gewesen sein. Das sagt schon sein Beiname "Superbus"; das bedeutet soviel wie "stolz, hochmütig, rücksichtslos". Den überraschten die Römer mit einer originellen, unblutigen Revolution.

Tarquinius war viel unterwegs, mal zu Raub- und Beutezügen, mal zu galanten Abenteuern. Als er mal wieder von einem "flotten Ausflug" zurückkam, verrammelten die Römer ihre Stadttore, und ließen ihn nicht mehr rein.

Wutentbrannt kehrte Tarquinius um, und bat seinen Freund, den Etruskerkönig Porsenna aus Clusium, (heute Chiusi in der Toskana), um Hilfe. Der trommelte auch gleich sein Heer zusammen, und zog mit Tarquinius los, diesen Römern kräftig eines drauf zu hauen.

Am Regillussee, - der liegt in der Gegend, wo der gute Frascati wächst, - kam es zum ersten Schlagabtausch. Dort sollen zwei geheimnisvolle Lichtgestalten zu Pferd erschienen sein, die verhalfen den Römern zum Sieg. Die beiden sah man kurze Zeit später noch einmal auf dem Forum. Dort verkündeten sie dem Römischen Volk den Triumph am Regillussee, dann waren sie plötzlich verschwunden. Die Römer waren überzeugt, in den beiden Castor und Pollux erkannt zu haben. Zum Dank hat man ihnen hier einen Tempel gebaut

Stefan hat uns jetzt zu drei schneeweißen Säulen geführt. Deren Bild habe ich ja schon beim Planen dieser Reise als „Reste des Castor und Pollux Tempels“ im Katalog abgebildet gesehen. Er schließt jetzt meine nächste Wissenslücke: Wer waren Castor und Pollux?

Die beiden waren Zwillingsbrüder, sie werden auch "die Dioskuren" genannt, das bedeutet "Söhne des Zeus". Ihre Mutter hieß Leda, sie war eine hübsche, griechische Königstochter. Der hat sich Zeus in der Gestalt eines Schwanes genähert und hat sie dann verführt.

Das sagt zumindest sie.

Es war bei den Damen der Antike allgemein üblich: Wenn keiner sich als Vater für zu erwartenden Nachwuchs verantwortlich zeigte, dann wurde eben ein Gott bemüht.

Gerade hatten wir das ja schon bei Rhea Sylvia, die gab den Gott Mars als Vater von Romulus und Remus an.

Leda machte hier für ihre Zwillinge den Zeus verantwortlich, Dann gab es noh die phönizische Königstochter Europa. Die behauptete, der Vater ihrer drei Söhne, Minos, Rhadamantis und Sarpedon sei ebenfalls Zeus.

Im neuen Testament gibt es ja auch so eine Geschichte, aber die behalte ich doch lieber für mich. Schließlich hat mich der Herr Pfarrer gerade sehr freundlich als Gast seiner Pilgergrupppe willkommen geheißen. Da will ich nicht gleich durch frivole Äußerungen unangenehm auffallen.

Porsenna und Tarquinius waren aber noch nicht besiegt! Sie kamen bald wieder. Da sollen zwei unerschrockene Helden die Stadt Rom gerettet haben!

Der erste hieß Horatius Cocles!

Den kenne ich auch noch! Auch bei dem erinnere ich mich an einen Satz aus unseren 'Lectiones Latinae': "Horatius Cocles solus contra inimicos Romanorum pugnavit et oppidum tutavit. - Horatius Cocles hat alleine gegen die Feinde Roms gekämpft und die Stadt geschützt".

Doktor Lieb hat uns auch die Geschichte dazu erzählt: "Porsenna und Tarquinius drängten die Römer immer mehr in die Defensive. Kurz vor der Stadt Rom gab es eine strategisch wichtige Brücke über den Tiber, über die führten alle Wege nach Rom. Cocles hat sich da als Einzelkämpfer davor gestellt, und jeden Etrusker abgewehrt, der da rüber wollte. Er hat solange ausgehalten, bis die Römer den Übergang hinter ihm abgerissen, und sich hinter den Stadtmauern von Rom verschanzt hatten! Dann soll er in voller Rüstung in den Fluss gesprungen sein, und sei da durchgeschwommen, obwohl er sehr viel Eisen anhatte".

Hier grinste Dr. Lieb:

"So erzählt es die sagenhafte Version der Geschichte. Die zweite, wahrscheinlich wesentlich reellere, sagt: Er ging unter und ist ersoffen! "

An den zweiten Helden, Mucius Scaevola, kann ich mich auch erinnern, als ich seine Geschichte höre. Das war der, auf den die Redensart zurückgeht: "Dafür lege ich meine Hand ins Feuer!" (oder auch nicht). Das hat der getan!

Er wurde dabei geschnappt, als er als Römer mit dem Dolch im Gewande im Lager der Etrusker herum geschlichen ist. Auf die klassische Frage: "Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich!", gab er ohne Zögern zu, dass er damit Porsenna umbringen wollte. Der erklärte ihm, er könne seine Haut noch retten und unbeschadet nach Hause gehen, wenn er ihm und seinem Heer die Stadttore von Rom öffne.

Scaevola sagte dazu kein Wort, legte stumm seine rechte Hand in ein Feuer, und ließ sie, ohne mit der Wimper zu zucken, total verbrennen. Davon soll Porsenna so beeindruckt gewesen sein, dass er die Belagerung abbrach.

Stefan Meringer erzält uns jetzt: Auch diese zwei schönen Geschichten, seien erfunden; der Cocles und der Scaevola seien Sagengestalten! Sie verkörperten einfach das, was die Römer groß gemacht hat, sie zur Weltmacht werden ließ:

Die Virtus Romana!"

Der Pfiffikus setzt seine schlaue 'Amtsmiene' auf: "Was is denn des!? Virtus Romana?"

Unser Führer schaut aufmunternd in die Runde: "Jetzt sind unsere Lateiner gefordert! Was ist Virtus?"

"Tugend", hört man gleich ein paar Mal. Es sind offenbar mehrere Lateiner da!

"Richtig, Tugend. Aber was soll man sich denn unter "römischer Tugend" vorstellen? Darüber macht sich auch Joachim Fernau in seinem Buch 'Cäsar lässt grüßen' seine ganz speziellen Gedanken. Er meint, "Tugend", das sei doch so ein typischer Gummibegriff von der Penne; man solle "Virtus Romana" am besten unübersetzt lassen. Im Grunde genommen umfasse der Begriff Zweierlei:

Die Selbstdisziplin. 'ich möchte mich nicht vor mir selbst schämen müssen', (dafür steht der Scaevola)

und der Gemeinsinn: 'Wer, wenn nicht ich, ist Rom?' (das ist der Cocles)

Cocles und Scaevola sollen also niemals wirklich gelebt haben. Porsenna und Tarquinius dagegen sind historisch echt; ihr gemeinsamer Feldzug gegen Rom ist belegt. Aber Porsenna hat dabei wohl erkannt, dass er die Römer mit ihrer starken Virtus Romana unterschätzt hatte. Er ist dann aber nicht so einfach abgezogen, wie das die Sage behauptet; das hat er erst nach längeren, zähen Verhandlungen getan. Dafür opferten die Römer so viel, dass sie faktisch pleite waren, aber sie waren frei!

Das war die Geburtsstunde der römischen Republik. Die Historiker schätzen, das müsste etwa 500 vor Christus gewesen sein.

Der große Trumpf: SPQR

Stefan führt uns wieder zurück zur Curie. Auf dem Weg dahin zeigt er uns noch einen ganz unscheinbaren, steinernen Sockel: "Das ist der 'Miles aureum', der 'goldene Meilenstein'. Auf dem hat früher eine vergoldete Pyramide gestanden, darauf waren die Entfernungen von allen Provinzhauptstädten nach Rom eingraviert".

"Sixtes, do wär'n mer jetztet dran vorbeiganga, wenn mer unsern Meringer net hätt'n", stellt die Frau Pfiffikus sachlich fest.

"Scho", meint er wurstig. "Abber wär uns do wos abganga?"

Genau diesen Standpunkt haben wir als Pennäler auch immer vertreten. Wir wurden dann immer ganz streng gerügt:

„Die Schule will euch Bildung vermitteln nicht Ausbildung!“

Das wollten wir damals nicht so recht verstehen, und wenn ich ganz ehrlich bin: Ich denke auch heute noch öfter mal: „Lernen wir in der Schule wirklich alles nur für das Leben?“ Die Geschichte mit diesem Miles aureum ist zwar recht interessant, aber wenn man sie nicht weiß, geht einem doch auch nichts für das Leben ab, oder?

Die Römer hatten ihren König los, Rom war nun eine Republik. Ab jetzt galt nur noch: (Stefan deutet auf die Buchstaben auf seinem T-Shirt)

S - P - Q - R.

'Senatus Populusque Romanus - der Senat und das Volk von Rom'!"

Die bestimmten jetzt für etwa 600 Jahre in Rom die Richtlinien der Politik.

Die Wiederkehr der Monarchie wollte man für alle Zeit verhindern. Daher stellte man nun zwei Konsuln an die Spitze, die teilten sich in den Oberbefehl. Jeder hatte ein Vetorecht über die Entscheidung des anderen.

Die Verfassung, die sich die Römer für ihre neue Republik gaben, erinnert sehr an die der USA: Diese zwei Konsuln waren im alten Rom etwa das, was in den USA der Präsident ist. Genau wie der waren sie Staatsoberhaupt, Regierungschefs und Oberbefehlshaber des Heeres in einem, und sie wurden vom Volk gewählt. Ihre Amtszeit betrug aber nur ein Jahr, danach mussten sie lebenslänglich abtreten. – So stand es auf dem Papier! Diese Bestimmung wurde aber sehr rasch verwässert.

Der Senat hatte in Rom alle Zeiten Bestand; den gab es schon bei den Königen, in der Republik und zur Kaiserzeit bestand er fort. Seine Rechte waren nie gesetzlich festgeschrieben, aber er bestimmte die Staatsführung immer ganz entscheidend mit. Die Senatoren wurden allerdings nicht vom Volk gewählt, die wurden in einem recht komplizierten Verfahren von zwei Zensoren gekürt.

Neben dem Senat gab es noch die Comitia. So nannte man die gesetzgebenden Versammlungen des römischen Volkes. Die trafen sich unter freiem Himmel auf diesem Platz da drüben". (Stefan zeigt auf ein Trümmerfeld gegenüber der Curie).

"Als junge Republikaner waren die Römer noch richtig sympathisch. Ihre Virtus war ihre Stärke. Sie hat ihnen oft geholfen, auch schwere Niederlagen zu verkraften. Wenn es sein musste, fingen sie unverdrossen wieder bei Null an, wenn sie siegten, dann zeigten sie Noblesse und keine Vae Victis Mentalität. Dank ihrer starken Virtus Romana hatte die kleine, unbedeutende Republik bald den gesamten Stiefel der Apenninen-Halbinsel unter ihre Kontrolle gebracht. Dann kam die Machtprobe mit dem großen Rivalen Karthago: Die drei Punischen Kriege! Die Römer gewannen alle drei. Damit waren sie Weltmacht - das verdarb ihre Virtus!"

Die drei Punischen Kriege

Der erste und der zweite Punische Krieg zeigen deutliche Parallelen zum ersten und zweiten Weltkrieg.

1914 löste Serbien, ein kleiner, relativ unbedeutender Staat, den ersten Weltkrieg aus. Im Jahr 264 v. Chr. war das Messanien, (heute Messina), ein ganz unbedeutender, kleiner Stadtstaat auf Sizilien.

Die Messanier fühlten sich von Syrakus bedroht. Sie baten die Karthager um Hilfe. Die Karthager kamen.

Gleichzeitig riefen sie auch noch die Römer. Die kamen auch!

Und dann krachte es halt zwischen den zweien.

Der wahre Kriegsgrund war 1914, genau der gleiche wie 264 v. Chr.! Der Kampf um die Macht, ein ganz fatales Kräftemessen! Auch beim Friedensschuss haben wir wieder eine deutliche Parallele zum ersten Weltkrieg: Die Römer als Sieger hatten ihre Noblesse, die sie bisher als Sieger immer gezeigt hatten, vergessen. Genau wie die Sieger von 1918 die Deutschen, demütigten sie die Karthager mit einem äußerst brutalen Diktatfrieden, verlangten ganz Sizilien als Siegesprämie, dazu noch unmäßig hohe Reparationszahlungen.

Hamilkar Barkas, der Feldherr der besiegten Karthager, erzog seinen Sohn Hannibal zum Rächer. Er ließ ihn schwören, sein ganzes Leben der Vernichtung Roms zu weihen. Der zweite punische Krieg war damit vorprogrammiert.

Den hat uns Dr. Lieb so spannend wie Karl May erzählt: Diesen Hannibal ließ er für uns zum Winnetou werden, ließ uns mit ihm und seinen 50.000 Soldaten, 9.000 Reitern und 37 Kriegselefanten, erst die Rhone überschreiten und danach über die Alpen ziehen.

Wir bejubelten ihn, als er im Frühjahr 217 v. Chr. am Trasimenischen See den Römern die erste große Schlappe verpasste, und ihnen ein Jahr später, am 2. August 216 v. Chr., bei Cannae in Apulien die schlimmste Niederlage zufügte, die sie in ihrer ganzen Geschichte erlebten.

Umso enttäuschter waren wir, dass 'unser Winnetou' den Krieg doch noch verlor. Nach Cannae machte er den wahrscheinlich kriegsentscheidenden Fehler:

Statt schnurstracks nach Rom zu marschieren und die Stadt, schutzlos wie sie war, einzunehmen, tat er nichts!

"Ihr Jungens spielt doch alle gerne Fußball", erklärte uns Dr. Lieb. "Stellt euch mal einen Spieler vor, der die gesamte gegnerische Abwehr, einschließlich Torwart, überspielt hat, nun alleine vor dem leeren Tor steht, aber er schießt nicht. Wie würdet ihr den nennen?"

"Flasche", riefen ein paar.

Dr. Lieb nickte: "Genau das dachten die Karthager auch und genauso wie die Fußballvereine einen feuern, mit dem sie nicht mehr zufrieden sind, wollten sie den Hannibal aus Italien zurückrufen. Der aber ist einfach dort geblieben und suchte die endgültige Entscheidung auf dem Schlachtfeld

Doch die Römer waren sehr gute Strategen. Die wussten sehr wohl: Mit den wenigen Leuten, die das Debakel von Cannae überlebt hatten, wären sie in der offenen Feldschlacht völlig chancenlos gewesen. Sie führten nun einen Guerillakrieg gegen Hannibal, waren überall und nirgends, schnitten ihm den Nachschub ab, steckten die Felder in Brand, bevor man sie ernten konnte und brachten damit ihn damit so in Bedrängnis, dass er schließlich doch nach Afrika zurückkehrte

Scipio, der Ältere verfolgte ihn, und verpasste ihm 202 v. Chr. bei Zama eine vernichtende Heimniederlage. Als 'Scipio Africanus' ist er in die Geschichte eingegangen.

Nach ihrem zweiten Sieg hatten die Römer offenbar ihre Virtus ganz vergessen; sie fielen über das besiegte Karthago schlimm her, raubten, plünderten, mordeten und zerstörten. Einen Großteil der Bevölkerung verschleppten sie in die Sklaverei.

Karthago konnte Rom nun nicht mehr gefährlich werden, aber eine Gruppe von radikalen Feinden gab immer noch nicht Ruhe. An ihrer Spitze stand der ältere Cato, der leierte gebetsmühlenartig immer wieder einen Satz herunter, den kennt jeder, der mal Latein gelernt hat:

"Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam - Ich meine übrigens, dass Karthago zerstört werden muss".

Damit ging er den Römern so lange auf die Nerven, bis sie im Jahr 149 v. Chr., aus einem völlig fadenscheinigen Anlass, den dritten Punischen Krieg vom Zaun brachen, und Karthago endgültig platt machten.

Nun hatten sie im gesamten Mittelmeerraum keinen ernst zu nehmenden Gegner mehr. Sie unterwarfen sich eine Nation nach der anderen. 'Mare nostrum - unser Meer' - nannten sie das Mittelmeer bald stolz.

Jetzt waren sie Weltmacht! Und da zeigte sich ein Phänomen, das in der Weltgeschichte immer wieder passiert ist. Es stellten sich die typischen Zeichen des moralischen Verfalls ein. Nach dem Aufstieg kam der Abstieg!

Schicksalhafte Lateinische Wortkunde

"Virtus –Tugend, Tüchtigkeit".

Dieses Wort, das den Aufstieg Roms ganz wesentlich bewirkt hat, haben wir ja eben schon kennen gelernt.

Das Gegenteil ist

"Vitium - Fehler, Laster".

Das haben wir auch schon sehr bald aus unseren "Lectiones Latinae" gelernt.

"Herr Doktor Lieb, was hat denn ein Fehler mit einem Laster zu tun?", fragte einer von uns ganz verdutzt.

Das "Mäxchen" schaute erst ziemlich überrascht aus seiner langen Hose, dann grinste er:

"Ach Gott, Junge, das ist kein Auto! Das Laster ist damit gemeint, die Schlechtigkeit, nicht der Laster!"

Der Frager durfte gleich den zugehörigen Satz im Übungsteil übersetzen:

"Vitia foeda sunt - Laster sind hässlich".

Noch heute, wenn ich auf einer engen, kurvigen Landstraße einem Laster "ewig lange" hinterher schleichen muss, dann fluche ich lateinisch:

"Vitia foeda sunt!"

Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir!

"Vitium - das Laster" war es, das Rom nach seinem großartigen Aufstieg wieder absteigen ließ!

"Rom wird nicht durch euch besiegt - Es wird durch seine Laster untergehen", lässt Vincenzo Bellini die Titelheldin seiner Oper Norma den Galliern ankündigen. Das nahm jetzt seinen Anfang und führte dann etwa ab 300 nach Christus zu einer ganz rasanten Talfahrt.

Drei Jahrhunderte lang hatte die Zauberformel SPQR sehr gut funktioniert. Jetzt auf einmal kam Sand in das Getriebe. Der Senat und das Volk von Rom verstanden sich nicht mehr als eine Einheit! Aus ihnen waren zwei Klassen geworden, die arbeiteten nun nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander! Im Senat saßen die Patrizier, die Vertreter des konservativen Adels, die Rechten. Die nannten sich hochmütig 'die Optimaten' (die Besten). Wenn man beim Vergleich mit den USA bleiben will, waren die die Republikaner Roms.

Populus Romanus wurde zu 'den Popularen' (den Völkischen). Die waren die Linken, so in etwa die Demokraten. Sie waren in den Comitia vertreten.

Die Optimaten hatten in den langen Kriegsjahren großen Reibach gemacht, ihr oberstes Ziel war es jetzt, ihr Gut, zu sichern, denn das hatten sie sehr oft nicht so ganz rechtmäßig erworben.

Bei den Popularen war ein großer Teil durch die langen Kriegsjahre (insgesamt waren es 43!) total verarmt. Als Kleinbauern und Handwerker hatten die ihr bescheidenes, aber ausreichendes Einkommen, solange man sie, im wahrsten Sinne des Wortes, zu Hause in Frieden leben ließ. Doch wenn sie das liebe Vaterland zum Kriegsdienst rief, konnten sie ja ihrem Broterwerb nicht nachgehen. Dafür erhielten sie aber keinerlei Entschädigung, mussten sogar noch die Waffen selber mitbringen!!

Viele von denen kamen heim, Haus und Hof fanden sie völlig verkommen vor, Geld hatten sie auch keines mehr, total 'abgebrannt' strömten sie massenweise in die Stadt, weil sie sich dort bessere Chancen auf Broterwerb erhofften. Vergeblich! Aus denen bildete sich eine dritte Klasse: der Vulgus.

"Vulgus - Niederes Volk, Pöbel",

hatten wir da aus unserer Wortkunde gelernt. - Das Wort 'Pöbel' amüsierte mich. Ich hielt es für ordinär.

(Wahrscheinlich habe ich es mit "Popel" asoziiert.) Feine Menschen, dachte ich, zu denen wir auf dem Casi ja erzogen werden sollten, dürften das gar nicht in den Mund nehmen. Da sollte ich einen Satz über die Verschwörung des Catilina übersetzen.

"Vel vulgo conspiravit