Nachtmahr - Katharina Feulner - E-Book

Nachtmahr E-Book

Katharina Feulner

4,9

Beschreibung

Das Leben hat einen doppelten Boden. Irgendwo, in den Gassen einer ganz normalen Stadt, in einem durchschnittlichen Hotel, in ländlicher Idylle lauern sie: die Verfolger. Die Schattenfresser. Die Nebelgänger. Die Zombies. In 10 unheimlichen Geschichten lässt Katharina Feulner Gänsehaut entstehen.

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Katharina Feulner

Nachtmahr

Albträume und Monstrositäten

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© by Verlag Kern GmbH

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage 2015

Autorin: Katharina Feulner

Layout/​Satz: www.winkler-layout.de

Bildquelle Cover: fotolia | © daskleineatelier

Lektorat: Manfred Enderle

Sprache: deutsch, broschiert

ISBN: 9783957161-758

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN E-Book: 9783957161-956

www.verlag-kern.de

Widmung

Für P., G., S., A., F., und L. Weil ihr mich so akzeptiert, wie ich bin.

Sämtliche Geschichten sind Fiktion. Ähnlichkeiten mit toten oder lebenden Personen sowie realen Ereignissen sind rein zufällig.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Dels Welt

Die Frau

Der Anfang der Reise

Die Nebelgänger

Der Waggon auf der Brücke

Die Schattenfresser

Cabaret Noir

Der Aufzug

Hotel

Rauch

In unserer Gruppe

Noch ein paar Worte in eigener Sache

Weitere Bücher

Dels Welt

Eine dunkle Gasse in New York. Keiner der Orte, an den man sich nach Dunkelheit wagen sollte. Tagsüber übrigens auch nicht. Der obligatorische Dreck überall, inklusive ausgebrannter oder ausgeschlachteter Autowracks. Zerrissene Pappe, gebrauchte Spritzen, leere Flaschen, Lumpen. Scheiße, Pisse und Kotze überall. Wenn man nicht aufpasst, stolpert man über irgendjemanden, der sich mitten in diesem Dreck auf die Straße geknallt hat, um dort zu schlafen. Die Menschen, die hier leben, bestehlen sich gegenseitig. Allerdings hat kaum jemand etwas, das die Mühe lohnt. Manchmal gehen sie zur nächsten Suppenküche wegen ein bisschen Essen oder zum Obdachlosenheim, um dort vielleicht einen Schlafplatz zu bekommen, wenigstens für eine Nacht. Aber die Schlangen vor beiden Institutionen sind so endlos, dass sie es meistens gar nicht erst versuchen. Wer hier lebt, hat aufgegeben. Und in dieser Gasse lebt Del.

Del hat nicht immer hier gewohnt. Früher hatte er eine kleine, aber schmuck eingerichtete Wohnung, eine Verlobte, Freunde und einen Beruf. Er wusste seine Tage mit „sinnvollen“ Dingen auszufüllen: Wenn er nicht arbeitete, spielte er Golf, schließlich musste er ja mit seinen Chefs mithalten. Er ging mit seiner Verlobten, Jacinda, ins Theater oder auf Soireen. Sie diskutierten mit ihren Freunden über Kunst und Literatur, die aktuelle Weltpolitik und Bekannte, die gerade Familien gründeten. Jacinda und er verdienten gut genug, um sich den einen oder anderen Extrawunsch leisten zu können. Ja, es war ein sorgenfreies Leben gewesen, allerdings auch etwas eintönig. Nach und nach beschlich Del das Gefühl, dass er etwas verpasste. Konnte das wirklich schon alles gewesen sein? Hatte er sich das erarbeitet, was er wirklich wollte? Oder gab es nicht vielleicht noch andere Möglichkeiten zu leben? Del kam zu dem Schluss, dass er es irgendwann bereuen würde, wenn er es nicht ausprobierte. Als er mit Jacinda darüber reden wollte, starrte sie ihn nur ungläubig an. All das, wofür sie gearbeitet hatten, einfach aufgeben – wofür? Wollte er vielleicht in einem Entwicklungsland Brunnen graben? Oder Wale retten? Oder was hatte er sich vorgestellt? Er hatte doch nichts anderes gelernt, als mit Zahlen zu jonglieren. Del war von ihrer ablehnenden Haltung gekränkt und beschloss, Jacinda von nun an nichts mehr zu erzählen. Sie würde schon sehen, was er alles auf die Beine stellen konnte. Aber – sie hatte recht, wo sollte er anfangen?

Die Gelegenheit ergab sich wenige Tage nach dem Gespräch mit Jacinda. Del war wie jeden Nachmittag in der U-Bahn, als er mitbekam, wie ein offensichtlich verwahrlost aussehender Kerl einer jungen Frau die Tasche stahl, während sie versuchte, das schreiende Kind in ihrem Kinderwagen zu beruhigen. Der Dieb drängte sich durch die Leute und sprang an der nächsten Haltestelle aus der Bahn. Durch das Gezeter der Bestohlenen aufmerksam geworden, hechtete Del kurzerhand hinterher. Der Handtaschenräuber rannte einige Straßen entlang, Del immer hinterher, bis er in eine der Gassen einbog, die Del nur aus dem Fernsehen kannte. Als ihm auffiel, dass er keine Ahnung hatte, wo er war, war der Kerl längst in einem der Schlupfe verschwunden, die alle paar Meter in eine der Häuserruinen führten. Dafür bekam Del andere Gesellschaft. Zerlumpte Menschen, Männer und Frauen, umschlichen ihn und er konnte hören, wie sie sich über ihn unverhohlen lustig machten. Schließlich fragte ihn einer der Männer, ob er sich verlaufen habe. Ehe Del etwas sagen konnte, antwortete ein anderer Mann, dass er ihnen wohl gern irgendetwas Wertvolles verkaufen wolle. Das schien ein Stichwort gewesen zu sein, denn ehe Del sich versah, hatten die Leute ihn umzingelt und begannen, ihm alles wegzunehmen, was er bei sich hatte, von seinem wertvollen Kamelhaarmantel bis zu seinen Schuhen. Del wusste, dass er sein Leben riskierte, wenn er sich wehrte. Zwar wollte er sich nicht ausrauben lassen, doch als er Anstalten machte, Widerstand zu leisten, bekam er von dem Mann, der als Erster gesprochen hatte, derart eine verpasst, dass ihm kurz schwarz vor Augen wurde. Als Del wieder bei klarem Verstand war, kniete er auf der Straße. Die Leute waren verschwunden, und seine Sachen auch. Nur die Unterhosen trug er noch. Das hatte er nun davon, dass er versucht hatte, etwas Außergewöhnliches zu tun. Er war ausgeraubt und geschlagen worden! Nur notdürftig mit ein paar alten Lumpen, die er aus der Gosse gefischt hatte, bedeckt, machte sich Del auf den Heimweg. Er schämte sich, als er die Blicke der anderen Leute auf der Straße bemerkte. Hoffentlich sah keiner der Kollegen ihn so! Zu Hause angekommen bekam Jacinda einen Kreischanfall, als er erzählte, was geschehen war. Sie drängte ihn, alles der Polizei zu melden, doch Del wehrte energisch ab. Was hätten die auch tun sollen?

Ein paar Wochen nach dem Vorfall war Del immer noch schlecht gelaunt. Er wollte nicht ständig bei jedem Treffen mit seinen Freunden die Geschichte noch einmal aufwärmen. Auf Jacinda hatte er eine mordsmäßige Wut, weil sie die Story natürlich jedem brühwarm weitererzählt hatte. Irgendwie war die Sache auch ins Büro gelangt, und Del wusste, dass viele Kollegen heimlich über ihn lachten.

Nachdem er wieder einmal ein paar Überstunden heruntergerissen hatte, um am Wochenende mit Jacinda wegzufahren, in der Hoffnung, ihre inzwischen kriselnde Beziehung wieder zu kitten (eigentlich ulkig, da sie seit einem dreiviertel Jahr verlobt waren), ging er durch die nur noch von Straßenlaternen erleuchtete Bürogegend Richtung U-Bahn, als er ihn wieder sah. Den zerlumpten Mann, der in der Bahn die Tasche gestohlen hatte. Er stand ihm gegenüber, ein paar Meter von ihm entfernt, und starrte ihn an. Dann besaß dieser Penner auch noch die Frechheit, ihm ziemlich maliziös zuzugrinsen, bevor er sich umdrehte und langsam wegging. Del wurde auf einmal wütend. Wenn dieser Kerl nicht gewesen wäre, hätte er jetzt viel weniger Ärger am Hals. Del wusste nicht, wieso, aber er rannte hinter ihm her. Doch wie schon damals, war der Mann plötzlich verschwunden. In Erinnerung an den Überfall von neulich drehte Del um, um endlich zur U-Bahn zu gehen. Er schüttelte den Kopf wie nach einem wirren Traum. Zu Hause erzählte er nichts von der Begegnung.

In den folgenden Wochen begegnete der abgerissene Mann Del immer wieder. Verfolgte er ihn etwa? War er einer dieser verrückten Stalker, von denen im Fernsehen immer wieder berichtet wurde? Oder wollte er Del einschüchtern? Aber wozu? Um ihn dazu zu bringen, ihm noch einmal zu folgen, damit er erneut ausgeraubt werden konnte? Del wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber ihn beschlich von Mal zu Mal größere Unruhe, wenn er den Anderen sah. Jacinda erzählte er nichts davon, sie hatte sich nach ihrem Wochenendtrip gerade erst wieder eingekriegt. Doch vielleicht musste er sich auch Sorgen um ihre Sicherheit machen.

Als Del an einem der Tage, an dem er ausnahmsweise später als Jacinda aus dem Haus ging, allein in der Wohnung war, schien der Kerl den Bogen endlich überspannt zu haben. Del war im Bad – und schrie auf, als ihm das Gesicht des Penners daraus entgegen sah. Er fuhr zurück, drehte sich um, und blieb erst einmal keuchend im Bad stehen, um seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Er lauschte auf verdächtige Geräusche, doch er hörte weder jemanden in der Wohnung gehen noch rumoren noch irgendwo eine Tür schließen. Mit dem Erstbesten bewaffnet, das er in die Finger bekam, einer Nagelschere, schlich Del aus dem Bad, um die Wohnung zu inspizieren. Keine abgerissene Gestalt weit und breit. Hatte er bereits Halluzinationen? Er war doch schon von Berufs wegen stressresistent und daher nicht übermäßig anfällig für Psychoterror – zumindest hatte er das bisher immer geglaubt.

Er behielt auch diesen Vorfall für sich, doch bei sich dachte er, dass dieses Pack immer dreister wurde.

Endgültig gelöst wurde der Fall nie, denn Del bekam es nicht mehr mit. Dafür seine Umwelt umso mehr. Seine Kollegen wunderten sich zunächst, später fanden sie es abstoßend, dass Del immer weniger auf sein Äußeres achtgab, zunehmend ungepflegt wirkte und stank. Schließlich bat sein Chef ihn zu einem ernsten Gespräch, und er machte Del klar, dass er, wenn sich sein Verhalten nicht änderte, seinen Job riskierte; immerhin repräsentierte er die Firma, und ein solches Auftreten war den Kunden gegenüber nicht sehr professionell. Del jedoch machte den Eindruck, als würde er kaum etwas mitbekommen.

Eine Woche später machte der Chef ernst: Er setzte Del, der inzwischen gar nicht mehr auf sein Äußeres achtgab, vor die Tür. Jacinda, die die Veränderungen, die mit ihrem Verlobten vor sich gingen, natürlich schon längst bemerkt hatte, war vor Kurzem zu einer Freundin gezogen. Sie hielt es mit Dels permanenter Vernachlässigung sich selbst gegenüber, seiner geistigen Abwesenheit und seinen nächtlichen Streifzügen durch die schlimmsten Straßen der Gegend nicht mehr aus. Sie hatte nur den Ring zurückgelassen, den Del ihr vor beinahe einem Jahr geschenkt hatte. Del schien dies nicht aus der Fassung zu bringen.

Ebenso wenig störte es ihn, als sein Vermieter ihm kündigte, da die Miete nach Dels Rausschmiss ausblieb, und als nach keinerlei Reaktion von Dels Seite die Zwangsräumung erfolgte. Tatsächlich ließ er, als er vor dem Haus, in dem er so lange gewohnt hatte, stand, seine paar Habseligkeiten einfach stehen. Es zog ihn wie mit einem Magnet in die Gasse, in der alles angefangen hatte. Jetzt sah er so aus wie der Mann, von dem er zunächst gedacht hatte, er würde ihn verfolgen. Mehr noch, Del war zu ihm geworden. Der Penner – Del war es selbst gewesen. Seine Persönlichkeit hatte sich gespalten, und schließlich hatte die Seite, die Abenteuer und Freiheit, ein komplett anderes Leben versprach, die Oberhand gewonnen. Die Sticheleien und ungläubigen Bemerkungen seiner Freunde und Kollegen, der Stress im Beruf und Dels Selbstzweifel hatten dafür gesorgt, dass er nun alles hinter sich gelassen hatte, um in der Gasse zu leben. Und er war nicht einmal unglücklich. Für ihn war dieses Leben die Welt.

Ab und zu sieht man Del noch in der eingangs beschriebenen Gasse. Er nennt sich jetzt allerdings Matt – und fragt, wer dieser Del sei. Nach anfänglichen dummen Bemerkungen und Rangeleien wurde Matt in der Gasse akzeptiert. Keiner der anderen Einwohner bringt ihn mit dem eleganten Mann in Verbindung, den sie einmal ausgeraubt hatten. Dennoch ist es nach wie vor keine gute Idee, diese Gasse zu betreten, weder tagsüber noch nachts. Denn Matt und die anderen fackeln nicht lange, wenn sich zufällig jemand dorthin verirrt und auch nur halbwegs danach aussieht, als hätte er etwas Wertvolles dabei.