Nachtschwarz (Elfenblüte, Spin-off) - Julia Kathrin Knoll - E-Book

Nachtschwarz (Elfenblüte, Spin-off) E-Book

Julia Kathrin Knoll

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Beschreibung

21. Jahrhundert. Niemals hätte sich die verwöhnte Bürgermeistertochter Anna-Maria vorstellen können, wie schwer ihr der Umzug aus dem bayerischen Heimatstädtchen in die Großstadt London fallen würde. Weder das luxuriöse Erbe ihres Vaters noch die glücklose Affäre mit dem Frauenschwarm Morgan sind ihr eine große Hilfe. Erst als sie auf der Suche nach Inspiration für ihr Modeportfolio über ein Gemälde der Kunstakademie stolpert und sich auf vollkommen unerklärliche Weise in den darauf abgebildeten Adligen verliebt, nimmt ihr Leben eine Wendung… 19. Jahrhundert. Shawn ist das, was man in seinen Gesellschaftskreisen eine exzellente Partie nennt. Er wurde nicht nur mit einem makellosen Aussehen gesegnet, sondern verfügt auch über die beste Abstammung weit und breit. Doch an Reichtum und Bälle ist nicht zu denken, als ihn ein mysteriöser Fluch für Jahrhunderte auf die Leinwand eines kostbaren Gemäldes bannt. Von nun an ist er absolut unwiderstehlich. Für absolut jeden. Doch nur wenn er seine wahre Liebe finden kann, eine Liebe, die über jeden Zauber erhaben ist, kann er seine Seele zurückerlangen… //Alle Bände der fantastischen Bestseller-Reihe: -- Himmelblau (Elfenblüte, Teil 1) -- Sonnengelb (Elfenblüte, Teil 2) -- Glutrot (Elfenblüte, Teil 3) -- Nebelgrau (Elfenblüte, Teil 4) -- Wiesengrün (Elfenblüte, Teil 5) -- Elfenblüte. Alle fünf Bände in einer E-Box -- Nachtschwarz (Elfenblüte, Spin-off)// Die Elfenblüte-Reihe ist abgeschlossen.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Julia Kathrin Knoll, 2016 Lektorat: Konstanze Bergner Umschlagbild: shutterstock.com / © Zaretska Olga / © Vojislav Markovic Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Wer unter die Oberfläche dringt, tut dies auf eigene Gefahr.

Oscar Wilde, »Das Bildnis des Dorian Gray«

PROLOG

Irland, 1795

Das Meer war ruhig wie ein schlafendes Kätzchen auf der Ofenbank, nur leichte, sanft wiegende Wellen zerkräuselten die in der Sonne silbrig glänzende Wasseroberfläche. Kein Wölkchen verdunkelte den Himmel, kein Lufthauch zeugte von dem grässlichen Sturm, der noch in der Nacht hier draußen gewütet hatte.

Einzig die zerborstenen Wrackteile des Schiffes, die überall am Strand verteilt lagen, brüllten lautlos ihre stumme Anklage gegen die gleichgültige See. Sie und die Toten, die in weiße Laken gehüllt in der Kirche aufgebahrt waren.

Dutzende Tote, nur wenige Überlebende, und dann gab es da noch die, die das Meer gierig verschluckt hatte. Hilflose Beute eines gigantischen, ewig hungrigen Ungeheuers.

»Bring ihn mir zurück, bitte …«, entwich es den vor Kälte aufgerissenen Lippen einer Frau. Sie saß schon seit Stunden am Strand, die mittlerweile blutig geschürften Finger in den kalten Sand gekrallt.

»Bitte, bring ihn mir zurück, meinen Liebsten … Bring ihn zurück …«

Unzählige Gebete hatte sie schon gen Himmel geschickt, weinend, flehend, von Angst und Verzweiflung geschüttelt.

Doch kein Trost kam von oben und auch die See blieb unerbittlich und stumm.

Da, mit einem Mal, begann sie sich zu erinnern, an Worte, so alt wie der Mond, an Beschwörungen, zu düster, um sie beim Namen zu nennen. Ihre blutigen Finger zeichneten Muster in den Sand, immer wieder, unermüdlich. Ihre bleichen Lippen formten lautlose Worte.

Schwarz und dunkel senkte sich die Nacht hernieder, aber sie hörte nicht auf zu flüstern: Worte in der Sprache der Alten, Worte, wie ihre Großmutter sie ihr gelehrt hatte, Worte, von denen sie geglaubt hatte, sie längst vergessen zu haben.

Doch es gab anscheinend Dinge, die sich ins Gedächtnis eingruben wie scharfe Klingen in weiche Haut. Finstere Dinge, böse Dinge …

Endlich sank sie über den Zeichen im Sand zusammen und die Flut brach herein, leckte an ihrem Haar und an ihren Kleidern. Doch sie hatte nicht mehr die Kraft sich zu erheben, lag reglos im Wasser, die Augen halb geschlossen.

Da hörte sie plötzlich ein Wispern neben sich. Mühsam öffnete sie die zitternden Lider – und sah die Fremde.

Hochgewachsen und schlank war sie, in ein schimmerndes, silbrig weißes Gewand gehüllt, so zart wie verlorene Schaumkronen am Strand. Ihre Augen glänzten in sämtlichen Farben des Ozeans, die Haut so rein wie Perlen, welche nur die edelsten Muscheln tief in ihrem Inneren bargen.

»Was wünschst du, mein Kind?«

Ihre Stimme prickelte wie der Regen, wenn er den Ozean küssend ins Meer eintauchte.

Lady of the Lake …

Die Frau wagte nicht den Namen auszusprechen, doch sie wusste, wer die Fremde war.

Tylwith Teg …

»Bring mir meinen Geliebten zurück«, wisperte die Frau und zwang sich, dem Blick des betörend schönen Geschöpfs standzuhalten, obwohl er ihr Herz wie mit glühenden Fingern berührte. »Bring mir zurück, was die See mir genommen hat.«

Im Gesicht der Fremden rührte sich nichts. »Was gibst du mir dafür?«, fragte sie reglos und kalt.

»Alles …« Kraftlos richtete sich die Frau auf, ihr flammend rotes Haar, in Salzwasser getränkt, klatschte schwer über ihre Schulter. »Alles, was du willst …«

Da nickte die Fremde lautlos, und obwohl sich kein Muskel in ihrem Gesicht rührte, glaubte die Frau, ein Lächeln über ihre Lippen zucken zu sehen.

KAPITEL 1

EIN WIEDERSEHEN

London, 1815

Das Wasser war schwarz und eiskalt. Unbarmherzig peitschten ihm die Wellen ins Gesicht, Salz brannte in seinen Augen und auf der Zunge. Verzweifelt versuchte er, gegen den Sog der Tiefe anzukämpfen, doch er spürte bereits, wie die Kälte jedes Quantum Kraft aus seinem Körper saugte, die Muskeln lähmte und sein Bewusstsein der Finsternis entgegentrieb.

Schäumende Gischt schlug über ihm zusammen, presste ihm den Atem aus den Lungen und zog ihn mit grausamer Gewalt unter Wasser. Silbrige Bläschen tanzten über ihm empor, dann wurden seine Augen blind, er vermochte nicht mehr zu sagen, wo der Ozean endete und der Himmel begann. Schmerzhaft krampften seine Lungen sich zusammen, schrien nach Sauerstoff und atmeten doch nur Wasser – salziges, eiskaltes Wasser, das ihn in einer tödlichen Umarmung empfing, ihn langsam erstickte und seine Gedanken für immer auszulöschen drohte …

Lord Shawn Dunsney, jüngster Sohn des Marquess of Haysburry, schlug mit einem keuchenden Schrei die Augen auf. Nur widerwillig zogen sich die Klauen des Albtraums zurück und es dauerte einen schauderhaften Moment lang, bis die tödliche Unterwasserwelt, emporgeschwappt aus den Tiefen seiner Erinnerungen, sich wandelte in die sichere Umgebung seines vertrauten Schlafzimmers.

Luft bekam er jedoch noch immer nicht und ein heftiger Hustenkrampf schüttelte ihn wild. Ächzend krümmte er sich unter der Bettdecke zusammen und presste die Lippen angstvoll gegen das Kissen, aus Furcht, man könnte ihn hören. Verdammte Erkältung! Würde er sich denn nie davon erholen?

Als der Anfall endlich vorüberging, ließ er sich – gierig nach Luft schnappend, mit wild klopfendem Herzen und brennendem Schweiß auf der Stirn in sein Kissen zurücksinken. Die kunstvollen Eichenholzschnitzereien an der Decke, angeblich noch aus dem 16. Jahrhundert, verschwammen sekundenlang vor seinen Augen.

Doch verbissen kämpfte Shawn sowohl gegen die Schwäche als auch gegen den Husten an und war noch damit beschäftigt, als sich die Tapetentür neben dem Bett öffnete und Francis mit dem Frühstück eintrat.

»Guten Morgen, my Lord.« Der alte Kammerdiener neigte respektvoll das Haupt, stellte das Silbertablett mit duftendem Gebäck und einer dampfenden Teetasse auf dem Tisch ab und öffnete schwungvoll die schweren Brokatvorhänge, um das goldene Sonnenlicht hereinzulassen.

Shawn blinzelte gegen die Helligkeit, presste die Hand vor die Stirn, um seine Benommenheit zu vertreiben, und richtete sich, als Francis sich umdrehte, hastig im Bett auf, eine Munterkeit vortäuschend, die er ganz und gar nicht empfand.

»Wie fühlen Sie sich heute Morgen, mein Lord?«, erkundigte sich der Kammerdiener scheinbar beiläufig, doch mit einem Ausdruck von Sorge in den Augen, der Shawn gerührt hätte, wäre er nicht so eifrig darum bemüht gewesen, seinen desolaten Zustand zu verbergen.

»Besser«, log er und zwang seine ausgetrockneten Lippen zu einem faden Lächeln, während er sich fahrig das schweißverklebte Haar aus der Stirn strich. »Viel besser.«

»Soll ich einen Arzt rufen lassen?«, entgegnete Francis mit hochgezogenen Brauen, als hätte Shawn exakt das Gegenteil behauptet.

»Nein.« Diesmal war das Lächeln fast echt. »Es geht mir gut. Ich glaube sogar, das Fieber ist gesunken.«

»Das freut mich zu hören.« Der Kammerdiener verneigte sich behutsam.

Shawn fühlte eine Woge von Erleichterung in seinem Inneren aufsteigen. Bloß keinen Arzt! Er hatte keine Lust, sich in irgendein grässliches Sanatorium schicken zu lassen oder zur Kur nach Bath, zusammen mit scheußlich langweiligen, alten Damen und schwindsüchtigen Jungfrauen. Es war eine Erkältung. Nur eine dumme, kleine Erkältung, hartnäckig und lästig, aber nichts weiter. Er würde sich nicht den Sommer davon verderben lassen!

»Und Ihren Besucher wird es gewiss auch freuen«, bemerkte Francis, an seine Worte von vorhin anknüpfend.

»Besucher?« Shawn schlüpfte vorsichtig aus dem Bett, ließ sich von Francis in den Morgenmantel helfen und wandte sich dankbar der zierlichen Teetasse zu, das Gebäck bewusst ignorierend. Er hatte keinen Appetit, aber die Wärme der Flüssigkeit tat ihm gut, streichelte seine wunde Kehle und vertrieb den metallischen Geschmack von Blut auf der Zunge. Woher das Blut kam, wusste er nicht. Er wollte es auch lieber gar nicht wissen.

»Ja, ein junger Gentleman, Offizier der Kavallerie, so wie es aussieht.« Francis' Tonfall drückte äußerste Missbilligung aus und die Tatsache, dass er den Namen des Gentlemans nicht in den Mund nehmen wollte, konnte eigentlich nur eines bedeuten:

»Morgan!« Der Ausruf entschlüpfte Shawn, bevor er es verhindern konnte. Morgan war zurückgekehrt!

Mit einem Mal in höchster Aufregung stellte er klappernd die Teetasse ab. Womöglich würde das doch kein so langweiliger Sommer werden …

»Wieso hast du das nicht gleich gesagt?«, schnurrte er, von einer jähen Eile erfasst, beinahe als drängte es ihn zu einem Rendezvous.

Der Kammerdiener überging diese unangemessene Reaktion geflissentlich, zog stattdessen erneut die Brauen hoch und bemerkte kühl: »Er wartet im Salon auf Sie, my Lord. Soll ich Ihnen einen Anzug bereitlegen?«

»Natürlich!« Shawn hastete ins Ankleidezimmer. »Aber beeil dich, bitte!«

***

Ungeduldig spielte Morgan mit dem Degengriff an seiner Seite, während er wartete. Dabei richtete er den Blick auf das Porträt des alten Marquess of Haysburry an der gegenüberliegenden Wand und studierte es eingehend – nur um nicht das Bild von dessen Frau ansehen zu müssen, das direkt daneben hing. Ja, sie war eine ausnehmende Schönheit gewesen und Shawn war seiner Mutter geradezu aus dem Gesicht geschnitten, wie sich Morgan sehr wohl erinnerte. Das jedoch war nicht die Erinnerung, die er verzweifelt zu meiden suchte.

Shawns Mutter war Irin gewesen, mit den Zügen einer Fee, den dunklen Augen eines Raubtiers und dem leuchtend roten Haar einer Zauberin. Selbst auf dem Bild sah sie märchenhaft aus, sogar für jemanden wie Morgan, der an Wunder mehr als nur gewöhnt war.

Doch sie erinnerte ihn mit so schmerzhafter Heftigkeit an Sarah, dass er den Anblick kaum ertragen konnte.

Das war die Erinnerung, vor der er sich so sehr fürchtete.

Er hätte einfach nicht zurück nach England gehen sollen. Alles hier erinnerte ihn an sie. Eigentlich hätte er dieses Land hassen müssen, doch das Gegenteil war der Fall: Er schaffte es nie, lange zu bleiben – aber er schaffte es auch nie, lange fortzubleiben. Ein paar Monate, manchmal sogar einige Jahre, dann zog es ihn unweigerlich wieder hierher zurück. Zurück zu dem Ort, an dem er geboren war, zurück zu dem Ort, der ihn einst glauben ließ ein Mensch zu sein.

Schlurfende Schritte kündigten die Ankunft des Kammerdieners an, bevor die Melancholie in Morgans Innerem zu quälend werden konnte.

»Sir, Lord Dunsney erwartet Sie nun«, teilte Francis ihm mit kühlem Blick und frostiger Miene mit.

Morgan wusste, was er dachte. Ein dahergelaufener Soldat mit zweifelhafter Abstammung und dem finsteren Aussehen eines Raubritters war wohl kaum der richtige Umgang für einen jungen Adeligen wie Shawn. Dummerweise schien Lord Shawn Dunsney gerade wegen Morgans unkonventioneller Art einen Narren an ihm gefressen zu haben.

Morgan unterdrückte ein selbstgefälliges Grinsen.

»Wollen Sie nicht Ihren Mantel ablegen?«, fragte der Diener prompt. »Oder wenigstens den Degen?«

Da reichte ihm Morgan großzügig den schlammbespritzten Umhang, den Degen jedoch behielt er. Er passte einfach zu gut zu der Uniform …

Francis' linke Augenbraue rutschte ein beeindruckendes Stück nach oben, Morgan jedoch ignorierte es und trat an dem Kammerdiener vorbei die Treppe hinauf, um sich selbst in Shawns Privaträume einzulassen.

Der Junge zeigte keinerlei Überraschung über dieses ungehörige Benehmen. Mit leuchtenden Augen sprang er von seinem Sessel auf, als Morgan durch die Tür schlüpfte.

Der Döckalfar nutzte die wenigen Sekunden, die Shawn brauchte, um den Raum zu durchqueren, und musterte den Jungen verstohlen. Unmerklich schreckte er zusammen, als ihm klar wurde, wie sehr sich der Freund während der letzten Monate, die sie einander nicht gesehen hatten, verändert hatte. Natürlich: Shawns Erscheinungsbild war noch immer so tadellos, als hätte man ihn soeben erst in Stein gemeißelt. Das kastanienbraune Haar war, der aktuellen Mode entsprechend, in leichte Wellen gelegt. Eine davon fiel, kecke Nachlässigkeit vortäuschend, verwegen in die alabasterfarbene Stirn. Sein Rock war aus edelstem Tuch gefertigt und von jener schlichten, sonderbar unaufdringlichen Eleganz, wie sie in letzter Zeit nur noch der ehrwürdigste Adel Londons besaß. Kein Stäubchen verunzierte den dunklen Stoff, keine Falte trübte den matten Seidenschimmer des blütenweißen Hemdes.

Trotzdem konnten jene nach Perfektion strebenden Äußerlichkeiten nicht über die Spuren von Erschöpfung hinwegtäuschen, die das Gesicht des Jungen zeichneten. Die nobel geschwungenen Wangenknochen traten stärker hervor, als Morgan es in Erinnerung hatte, die sinnlichen Lippen, erschaffen, um jungen Damen den Verstand zu rauben, waren blutleer und rissig vom Fieber. Unter den schönen Augen, grün wie die Hügel an Irlands Küsten, lagen tiefe, dunkle Schatten.

Und doch war der Junge noch immer der attraktivste Sterbliche, den Morgan je gesehen hatte.

»Morgan, mein Freund!« Kurz hielt Shawn abwägend inne, die Arme vor der Brust verschränkt. »Mir scheint, die Sterne fallen zahlreich vom Himmel dieser Tage.« Ohne eine Miene zu verziehen, in perfektem englischem Understatement, glitt sein Blick über die goldenen Rangabzeichen auf Morgans Uniform. Dann lachte er plötzlich, durchbrach sein Schauspiel und breitete die Arme aus, sprang dem Freund entgegen, übermütig wie ein Kind.

Morgan erwiderte die Umarmung, sein Lachen jedoch war gezwungen, denn die schmale Gestalt des Freundes fühlte sich unter der Berührung sonderbar fragil an, mager und ausgezehrt.

Der Döckalfar biss sich auf die Lippen. Er hatte gewusst, dass Shawn krank war. Doch er hatte nicht gewusst, wie schlimm es wirklich um ihn zu stehen schien.

Einen winzigen Moment länger als eigentlich angemessen behielt er die Hand auf der Schulter des Freundes, tauchte ein in die Aura des Jungen und suchte vor seinem inneren Auge nach dessen Lebensfaden. Da war er: silbrig schimmernd, aber sehr schwach.

Morgan zog die Hand zurück.

»Gratuliere zur Beförderung!« Shawn grinste ihn breit an, seine Augen glänzten, ob von aufrichtiger Freude oder vom Fieber, Morgan vermochte es nicht zu sagen.

Gedankenverloren strich der Döckalfar über das Gold an den Ärmelaufschlägen seiner Uniform. Er war gerade erst zum Hauptmann der englischen Kavallerie ernannt worden, hatte einen Orden für besondere Tapferkeit erhalten, wie so viele Male zuvor. Allmählich wurde es ermüdend, die Rangleitern sämtlicher Armeen dieser Welt zu durchlaufen, immer und immer wieder. Es war nicht schwer, tapfer zu sein, wenn man nicht sterben konnte, doch Morgan hatte auch nie etwas anderes gelernt als zu kämpfen. Er war ein Krieger, was also blieb ihm schon zu tun übrig?

»Tee?«, erkundigte sich der Junge beiläufig, während er bereits selbst eine geblümte Porzellantasse von der Anrichte nahm, ohne sich die Mühe zu machen, Francis zu rufen.

»Danke«, murmelte Morgan geistesabwesend. »Nur das Wasser, bitte …«

Shawns Aristokratenstirn legte sich einen Augenblick lang in Falten, aber er war höflich genug, um ihnen beiden jeden weiteren Kommentar zu ersparen. In einer Bewegung, die selbst dieser banalen Tätigkeit noch einen Hauch von Eleganz verlieh, füllte er die Tasse mit heißem Wasser aus einem chinesischen Samowar und reichte sie Morgan.

»Zucker?« Er wies Morgan einen seidenbespannten Sessel zu, während er die Zuckerdose auf einem silbernen Tablett drapierte und damit auf dem zierlichen Mahagonitischchen abstellte. Dann ließ er sich selbst in einen Sessel sinken.

Morgan schaufelte schneeweißen Kandis in seine Tasse und beobachtete dabei verstohlen den Freund. Mit einer fahrigen Geste strich sich Shawn das Haar aus der Stirn, das im einfallenden Sonnenlicht sanft rötlich schimmerte. Die weiße Hand zitterte ein wenig, als er sie wieder sinken ließ. Auf seinen ansonsten blassen Wangen blühten zwei ungesunde rote Schatten, eindeutig vom Fieber dorthin gezeichnet.

Morgans Hand krampfte sich um die Tasse. Der Junge würde sterben. Und es brauchte beinahe keine übernatürlichen Fähigkeiten, um dies festzustellen. – Verdammt! Sie waren allzu zerbrechlich, diese Sterblichen, allzu vergänglich. Alahrian hatte vielleicht Recht, sich nicht mehr auf sie einzulassen, sich fernzuhalten von jeder emotionalen Bindung.

Aber Shawn war noch so jung … und Morgan hatte sich bereits tiefer auf diese Freundschaft eingelassen, als ihm lieb war. Er hatte den Jungen gern. Wie dumm das auch gewesen sein mochte, jetzt war es zu spät.

»Wie war Waterloo?«, fragte der junge Lord im unverfänglichen Plauderton der englischen Salonkultur, obwohl er gewiss bis ins kleinste Detail über die jüngsten Ereignisse im Krieg gegen die Franzosen Bescheid wusste.

»Feucht«, entgegnete Morgan abwesend. »Ein fürchterlicher Regen war das!«

Eine wohlgeformte, mahagonifarbene Braue rutschte missbilligend ein Stück nach oben. Unglaublich! War es möglich, dass Shawn Dunsney sich diese Mimik von seinem Kammerdiener abgeschaut hatte?

»Es war nicht das Wetter, von dem ich hören wollte.« Shawn zog eine Grimasse, die der Attraktivität seines Gesichts jedoch nicht den geringsten Abbruch tat.

Morgan wusste natürlich genau, worauf Shawn hinauswollte. Er wollte hören, wie sie den großen Napoleon besiegt hatten, er wollte Abenteuergeschichten und Heldenmythen. Und auch wenn er es nicht laut ausgesprochen hatte: Er brannte darauf zu erfahren, wie Morgan den hübsch geformten Orden an seiner Brust errungen hatte.

Also tat Morgan ihm den Gefallen und ließ sich zu einer spannenden, unterhaltsamen und ruhmreichen Geschichte bewegen. Es gelang ihm sogar, so zu tun, als hätte er Dergleichen zum ersten Mal erlebt, als wäre er wirklich in Gefahr gewesen.

Der bewundernde Ausdruck in den moosgrünen Augen des Freundes jedoch hinterließ einen schalen Nachgeschmack auf seiner Zunge. Sich als Kriegsheld zu inszenieren, obwohl man unsterblich war … Was Morgan gleichzeitig zu seiner eigentlichen Sorge zurückführte.

Angespannt nahm er einen Schluck Zuckerwasser, sah dem Jungen direkt in die Augen und sagte ernst: »Shawn?« Sein Tonfall war durchdringend genug, um dem Freund zu signalisieren, dass die Phase unverbindlicher Konversation nun vorüber war.

»Ja?« Der Junge bewegte sich unruhig, als Morgan nicht weitersprach.

»Was ist passiert, während ich weg war?«

»Oh … Nicht viel … Der übliche Londoner Klatsch und Tratsch …« Shawn entspannte sich ein wenig, während er in einen wasserfallartigen Redeschwall verfiel. »Es gab einen kleinen Skandal um Lady Mirren. Und der junge Duke of –«

»Das meine ich nicht«, unterbrach Morgan ihn jäh. Sein Blick ruhte auf dem des Freundes. »Ich meine: Man sagte mir, du seist seit Wochen nicht im Club gewesen, habest keinerlei Einladungen angenommen. Man sagte mir, du seist krank, Shawn.«

»Ach, das …« Eine grazile Hand erhob sich zu einer wegwerfenden Geste. »Das ist nur eine lästige, kleine Erkältung, sonst nichts!« Der Junge erhob sich und wandte sich dem Fenster zu, eine unbewusste Fluchtreaktion, wie sie deutlicher nicht hätte sein können. »Es ist wunderschön draußen!«, rief er plötzlich, künstlich vergnügt. »Lass uns eine Ausfahrt unternehmen, ja?«

»Eine Ausfahrt?« Morgan runzelte die Stirn, beobachtete besorgt, wie Shawn sich einen Moment lang am Fensterbrett festhielt, als wäre ihm schwindelig. Sein Gesicht hatte kaum mehr Farbe. »Du solltest dich besser ausruhen, denke ich.«

»Oh, bitte!« Der Junge seufzte theatralisch. »Du glaubst diese dummen Gerüchte doch nicht etwa! Morgan bitte, ich werde hier noch wahnsinnig! Den ganzen Tag sperrt man mich in diesem grässlichen Zimmer ein!«

Fast gegen seinen Willen musste Morgan lächeln. Das »grässliche Zimmer«, von dem Shawn da sprach, war in Wahrheit eine weitläufige, mehr als nur elegant eingerichtete Räumlichkeit in einem der nobelsten Herrenhäuser Londons, mitten im modischen Stadtteil Mayfair. Dennoch verstand Morgan, was der Freund meinte. »Wird deine Familie London nicht ohnehin bald verlassen?«, bemerkte er, nicht direkt auf Shawns Vorschlag eingehend.

»Oh ja, wir fahren wie jeden Sommer nach Old Creek Manor.« Shawn verdrehte gelangweilt die Augen.

Old Creek Manor war das Landhaus seiner Familie, ein verträumtes kleines Schlösschen ganz in der Nähe der Küste.

»Es wird gewiss furchtbar werden!«, stöhnte Shawn. »All diese öden Bälle mit den noch öderen Nachbarn und ihren schrecklichen Töchtern im heiratsfähigen Alter, deren Mütter mich anstarren, als wäre ich ein besonders fetter Wurm in einem Fischteich!«

»Du bist eben eine gute Partie.« Morgan grinste böse. »Und es gibt schlimmere Schicksale, als von den Mädchen umschwärmt zu sein!«

»Warum begleitest du mich dann nicht?« Es schien nur so dahingesagt, Shawns Augen jedoch begannen mit einem Mal zu leuchten. »Oh ja! Komm den Sommer über mit meiner Familie nach Old Creek Manor! Wir könnten im Meer schwimmen gehen und auf die Fuchsjagd und Kricket spielen und –« Ein trockener Husten durchfuhr seine Worte.

»Shawn?« Morgan legte seinem Freund die Hand auf die Schulter, um nochmals seinen Lebensfaden zu kontrollieren. Silbrig und matt und flackernd. Verdammt! Wenn das so weiterging, würde der Junge keinen weiteren Sommer mehr erleben!

»Was hältst du von der Idee?«, erkundigte sich Shawn, noch immer vor Begeisterung glühend, als er wieder zu Atem gekommen war. »Hast du nicht einen Vetter in Cornwall? Du könntest ihn besuchen. Oder besser noch: Lad ihn auch gleich mit ein! Das wird ein großes Vergnügen, du wirst sehen.«

Morgan unterdrückte ein Lächeln sowie das Bedürfnis, ihn über die wahre Natur dieses »Vetters« aufzuklären. Oje, der kleine Leuchtkäfer würde ausrasten, wenn er von dieser Einladung erfuhr …

Der Döckalfar hingegen befand sich kaum in der Lage, seinem menschlichen, sterblichen, allzu sterblichen Freund einen solchen Wunsch abzuschlagen. Dennoch zögerte er.

»Oh, komm schon!« Der Junge bettelte nun wie ein Hündchen. »Du kannst mir das einfach nicht verweigern. Mich erwartet ein grauenvoll langweiliger Sommer. Du bist gewissermaßen meine einzige Hoffnung!«

Morgan verdrehte die Augen. »Lass uns zunächst diese Ausfahrt machen, von der du gesprochen hast«, meinte er ergeben. »Damit du ein bisschen frische Luft schnappen kannst. Währenddessen überlege ich es mir.«

Shawn strahlte über das ganze Gesicht. »Warte einen Moment, ja? Ich hole nur noch meinen Mantel.«

Schwungvoll warf er seinen Überrock über einen Sessel, um ihn gegen einen anderen, kaum weniger eleganten auszutauschen. Dabei fiel ein glänzender Gegenstand heraus und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden.

Blitzschnell streckte Shawn die Hand aus, um ihn aufzuheben, Morgan aber sah trotzdem, was es war: ein kunstvoll gearbeitetes, mit eng verschlungenen Mustern verziertes keltisches Kreuz. Da der Junge irisches Blut in den Adern hatte, wunderte Morgan dieses Kreuz nicht, es war das Material, was ihn die Stirn runzeln ließ. Shawn Dunsney war wohlhabend, von edler Herkunft und ein klein wenig dandyhaft. Er hätte sich Gold, Silber und die teuersten Juwelen leisten können. Das Kreuz aber war aus mattem, an einigen Stellen verrostetem Eisen.

»Ein Erbstück von meiner Mutter«, erklärte der Junge und wurde rot, als er Morgan ansah. »Mein Vater sagte mir, ich solle es bekommen, wenn ich neunzehn wäre.«

Und das war seit ein paar Wochen der Fall, wie Morgan sehr wohl wusste. – Ein Eisenkreuz. Merkwürdige Hinterlassenschaft für den einzigen Sohn, vor allem, da Shawns Mutter seit sieben Jahren tot war. Das Kreuz war offensichtlich nichts wert. Wenn es nur ein Erinnerungsstück war, warum hatte der Junge es dann nicht gleich bekommen?

»Es ist ein Talisman gegen Feen«, bemerkte Shawn halblaut – und Morgan musste sich beherrschen, um keinen verblüfften Laut von sich zu geben.

»Gegen … Feen?«, würgte er mühsam hervor.

Gleich darauf kam er sich albern vor. Shawns Mutter war Irin, man sagte sogar, sie sei die Nachkommin eines alten Druidengeschlechts gewesen. Und viele Iren glaubten an Feen, der alte Aberglaube war stark auf den grünen Inseln. Ein solcher Talisman hatte nichts zu bedeuten!

»Ja, albern, nicht wahr?« Shawn errötete noch ein wenig mehr, steckte das Kreuz aber dennoch ein.

»Nein, gar nicht.« Morgan hätte sich am liebsten auf die Lippen gebissen, aber er fügte sogar noch hinzu: »Eisen vertreibt sie. Doch vor dem Kreuz haben sie keinen Respekt.« Einem plötzlichen Impuls folgend zog er eines seiner Messer aus dem Stiefel, ein altes, arabisches Messer aus vielfach gefaltetem Damaszenerstahl. Er zeigte dem Jungen die gemusterte Klinge. »Das hier ist eine wirksame Waffe gegen Feen.«

Shawn nahm die Klinge entgegen, drehte sie kurz bewundernd in den Händen und wollte sie dann wieder zurückgeben.

Doch Morgan winkte ab. »Lass nur. Behalt sie. Nur zur Sicherheit.« Er zwinkerte spöttisch, doch das Lächeln auf seinen Lippen erreichte mit einem Mal nicht mehr sein Innerstes.

KAPITEL 2

SPURENSUCHE

London, Gegenwart

Der Duft seiner Haut haftete noch am Laken. Als Anna-Maria jedoch, noch halb vom Schlaf umfangen, instinktiv die Hand nach ihm ausstreckte, war das Bett neben ihr kalt und leer.

Natürlich. Morgan blieb nie über Nacht. Manchmal wartete er, bis sie eingeschlafen war, aber spätestens bei Tagesanbruch war er verschwunden, als sei er nichts als ein Geist, der sich im Morgengrauen stets in Luft auflöste.

Seit einigen Wochen ging das nun schon so. Anna-Maria hatte sich, so glaubte sie, längst damit abgefunden, dennoch durchzuckte sie nun ein leiser Stich der Enttäuschung.

Sie ignorierte ihn, drehte sich stattdessen zur Seite und versuchte, noch ein wenig zu schlafen. Ein kurzer, blinzelnder Blick auf den Wecker auf dem Nachtkästchen hatte ihr verraten, dass es erst kurz nach sieben war. Viel zu früh, um an einem Samstagmorgen schon aufzustehen, vor allem, wenn man die halbe Nacht in einem der angesagtesten Clubs der Stadt verbracht hatte.

Mit einem unterdrückten Gähnen schloss sie wieder die Augen. Das Hupen eines Autos allerdings, gefolgt von quietschenden Bremsen, ließ sie schon nach wenigen Minuten aus ihrem oberflächlichen Schlummer hochschrecken. Unwillig zog sich Anna-Maria die Decke über den Kopf.

London war eine der coolsten Städte, die sie sich vorstellen konnte, an den Großstadtlärm aber würde sie sich wohl nie gewöhnen. Und der war, wie sie hatte feststellen müssen, im noblen Kensington-Viertel, in dem sich ihr Apartment befand, fast genauso lästig wie am Piccadilly Circus. Edle Nobelkarossen bewegten sich, wenn man die Stille auf dem Land gewohnt war, eben kein bisschen leiser fort als Durchschnittsautos.

So gab sie nach ein paar Minuten auf und schälte sich widerstrebend aus dem Bett. Mit einem Seufzen zog sie die Vorhänge zurück und blinzelte durchs Fenster. Kein Nebel diesmal, dafür leichter Nieselregen. Seit einigen Tagen schon machte das Londoner Wetter seinem schlechten Ruf wirklich alle Ehre!

Wenigstens passte es zu ihrer gedrückten Stimmung. Denn über Morgan und ihre … – Ja, ihre was eigentlich? Ihre Affäre? Freundschaft mit gelegentlichen Extras? Sie wusste noch nicht einmal, wie man es bezeichnen sollte, denn von einer Beziehung konnte wohl kaum die Rede sein. Für eine feste Partnerschaft war Morgan eindeutig nicht der Typ!

Jedenfalls wollte sie jetzt nicht über Morgan nachdenken, was natürlich nur dazu führte, dass er sich umso heftiger in ihren Kopf drängte.

Nach dem Tod ihres Vaters war er großartig gewesen, ein wahrer Freund, der ihr das Einzige geboten hatte, was ihr wirklich durch diese schreckliche Zeit geholfen hatte: Ablenkung, Abenteuer, Leben. Irgendetwas, das sie davon abhielt, den ganzen Tag mit verquollenen Augen zu Hause zu sitzen, alte Fotos anzustarren und zu heulen. An ihrem achtzehnten Geburtstag schließlich hatte sie erfahren, dass ihr Vater ihr nicht nur eine wundersam aussehende Kiste mit einem höheren Geldbetrag in Goldgulden – Jawohl Gulden! hinterlassen hatte, sondern auch diese superschicke Wohnung in einem mega teuren Londoner Szeneviertel, von der anscheinend nicht einmal ihre Mutter etwas geahnt hatte.

Und da Anna-Maria nach dem Abi ohnehin nicht genau gewusst hatte, was sie nun mit ihrer Zeit anfangen sollte – die Modeschule in Berlin, wo sie sich für ein Modedesignstudium beworben hatte, hatte sie abgelehnt – war sie nun hier. Offiziell, um ein paar Sprachkurse zu belegen, ihren Lebenslauf mit einem Auslandsaufenthalt aufzupolieren und nebenher einige BWL-Seminare zu besuchen. Wenn sie irgendwann einmal ihr eigenes Modelabel haben wollte, konnte entsprechendes Basiswissen schließlich nicht schaden.

Inoffiziell jedoch besuchte sie die Kurse nur halbherzig, manchmal sogar gar nicht, und war stattdessen auf der Suche nach … – Ja, auch das konnte sie nicht einmal richtig benennen. Nach Antworten vielleicht.

Antworten auf all die brennenden Fragen, die ihr Vater Anna-Maria hinterlassen hatte. Allein diese Wohnung hier, gelegen in einer Gegend, in der auch schon Virginia Woolf und Freddy Mercury gewohnt hatten, unweit des Kensington Palace, mit einem atemberaubenden Blick auf den Hyde Park … Wie war das nur möglich? Und warum? Als Geldanlage? Als schicker Ferienwohnsitz?

Nun, Anna-Maria hatte gewusst, dass ihr Vater als Bürgermeister nicht gerade arm war, aber gleich sooo reich?

Und dazu noch diese piratenartige Schatzkiste mit den Goldgulden darin! Angeblich aus dem 17. Jahrhundert. Anna-Maria war nicht einmal klar gewesen, dass sich ihr Vater fürs Münzsammeln interessierte – und nun gleich das?

Selbst ihre Mutter hatte ihr darüber keine Auskunft geben können. Oder wollte sie es nur nicht?

Ihre Fragen glichen diesen russischen Puppen, in deren Inneren sich stets neue Püppchen befanden. Ein unendlich scheinendes Spiel. Anna-Maria hatte bisher auf keines der Rätsel eine Antwort bekommen. Nur neue Fragen – eine absurder als die andere.

Wehmütig blickte sie auf das Foto ihres Vaters in dem silbernen Rahmen auf dem Schreibtisch.

Wer warst du? Wer warst du wirklich?

Und wer war sie, Anna-Maria, die Tochter des Bürgermeisters, die Schulsprecherin, das beliebteste Mädchen im ganzen Dorf? Wer war sie, nun, da ihr Vater tot, die Schule vorbei und ihre Freunde – zum Studium, zur Ausbildung, zur Arbeit – in alle möglichen Himmelsrichtungen verstreut waren?

Sie war nach London gekommen, in diese Wohnung, um ihrem Vater hier womöglich näher zu sein. Sich selbst jedoch schien sie dabei irgendwie verloren zu haben.

Und als, kaum dass sie hier angekommen war, auch noch Morgan in der Stadt aufgetaucht war, schien das gedankliche Chaos perfekt! Angeblich war er nur gekommen, weil es ihm zu Hause in Bayern zu langweilig geworden war, aber Anna-Maria hatte nicht aufhören können zu hoffen, dass es noch einen ganz anderen, herzflatternden Grund dafür gegeben hatte. Und dann, in einer wilden Partynacht kurz nach seiner Ankunft, war schließlich ES geschehen.

Das, worauf sie seit Jahren schon gehofft hatte.

Versonnen fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen, während sie wehmütig aus dem Fenster starrte, so als könnte sie die Spuren seines ersten Kusses noch immer auf der Haut schmecken, noch immer die Berührung seiner überraschend sanften Hände auf ihrem zitternden Körper fühlen. Er war so leidenschaftlich gewesen, so voller Hunger …

Und das war er auch jetzt noch. Für ein paar Stunden, für eine Nacht … Aber das Erwachen blieb einsam. Kein genussvolles Frühstück am Morgen, kein zärtliches Aneinanderkuscheln im Bett, keine geflüsterten Liebesschwüre. Er war wie ein Gewitter in einer allzu überhitzten Sommernacht. Hatte sich die Leidenschaft entladen, blieb keine Spur mehr am wolkenlosen Himmel zurück.

Wehmütig griff Anna-Maria nach ihrem Handy, das neben dem Foto auf dem Schreibtisch lag. Nichts. Keine Nachricht. Keine wider jede Erwartung abgeschickten Morgengrüße. Nur ein verpasster Anruf von Lilly gestern Abend und eine SMS von Thommy, der ihr Grüße aus München schickte, wo er gerade eine Ausbildung zum Bankkaufmann angefangen hatte.

Energisch legte Anna-Maria das Handy zur Seite und marschierte in die Küche, um erst einmal die Kaffeemaschine anzuschalten. Kein Wunder, dass sie in so schlechter Stimmung war! Ohne Kaffee konnte man um diese Uhrzeit ja gar nicht anders als Trübsal blasen.

Und tatsächlich, der Gang zur Küche brachte eine völlig unerwartete Aufheiterung mit sich. Denn neben der Kaffeemaschine am Kühlschrank prangte ein leuchtend gelber Klebezettel.

Anna-Marias Herz machte einen freudigen Hüpfer, als sie ihn abnahm.

Hey Süße! Ich musste weg. Geschäftlich. Ruf dich im Lauf des Tages an. Kuss, Morgan.

Kuss, Morgan … Sie musste zweimal hinsehen, um es wirklich glauben zu können. Was für eine ungewohnt emotionale Nachricht! Konnte das vielleicht bedeuten, dass er … dass … Sie wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu bringen, drückte stattdessen jubelnd den Zettel an die Brust, wirbelte voll überschwänglichen Herzklopfens durch die Küche und schaltete dann, wieder halbwegs zur Vernunft gekommen, endlich die Kaffeemaschine ein.

KAPITEL 3

TODGEWEIHT

London, 1815

Die Sonne hatte ihre volle Kraft entfaltet, da sie nun im geschlossenen Wagen durch die Straßen fuhren. Als sie im Hyde Park ausstiegen, war es bereits sommerlich warm. Trotzdem zog Shawn den dünnen Umhang enger um seine Schultern, während er den Kutscher anwies zu warten, bis sie ihren kleinen Spaziergang beendet hatten.

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