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Elisabeth Angel war in ihrem Leben vieles, nur nicht ein Engel. Doch als ihre Schwester zum gefallenen Engel wird und sie neben dem seltsamen Lucifer D. Evil einzieht und kurzerhand von ihren Nachbarn als Wiedergeburt ihrer Schwester erklärt wird, scheint sich alles zu ändern. Jeder scheint nur noch von ihr Hilfe anzunehmen, während sie damit nur ihre Schuldgefühle loswerden will. Doch ist diese Lüge, die sie lebt, wirklich richtig? Und was wird aus den Menschen, wenn sie herausfinden, dass all die netten Worte von ihr, die vielen neue Hoffnung geschenkt haben, nur eine Lüge sind? Einzig und allein James Lucifer D. Evil scheint Antworten zu wissen. So nah dem Himmel wie nie zuvor sind beide für den jeweils anderen der letzte Halt, doch noch trennt sie viel zu viel voneinander. Was bleibt von allem übrig, wenn die Realität die Traumwelt zunichte macht? Manchmal ist richtig nicht einfach richtig und falsch nicht einfach falsch---
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Seitenzahl: 192
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Prolog
Tag 30
Tag 30 – Einfach Fort
Tag 30 – Hass
Tag 30 – Fallen Und Fliegen
Tag 30 – James
Tag 29
Tag 29 – Bilder
Tag 29 – Adelsfamilien
Tag 28
Tag 28 – Verwechslungen
Tag 27
Tag 27 – Sara
Tag 27 – Gemeinheiten
Tag 26
Tag 26 – Unterhaltungen
Tag 26 – Familien
Tag 26 – Der Zweite Fall
Tag 26 – Absperrband
Tag 25
Tag 25 – Nutzlose Gedanken
Tag 24
Tag 24 – Erinnerungen
Tag 23
Tag 23 – Fall Nummer Drei
Tag 23 – Mister Genter
Tag 22
Tag 22 – Hasserfüllt
Tag 21
Tag 21 – Immer Wieder Einsam
Tag 20
Tag 20 – Geschäftsbedingungen
Tag 20 – Zurück
Tag 20 – Vater Und Sohn
Tag 19
Tag 19 – Freund Oder Feind
Tag 19 – Wiedersehen
Tag 19 – Zettel
Tag 18
Tag 18 – Einen Versuch Wert
Tag 18 – Teuflische Angewohnheiten
Tag 17
Tag 17 – Überheblichkeit
Tag 16
Tag 16 – Rache
Tag 16 – Gemeine Pläne
Tag 15
Tag 15 – Neuer Tag, Neue Chance
Tag 14
Tag 14 – Worte Wie Dornen
Tag 13
Tag 13 – Happy Birthday
Tag 13 – Letzte Chance
Tag 12, Tag 11, Tag 10
Tag 10 – Doch Gewonnen
Tag 9
Tag 9 – Gemeinsam
Tag 8, Tag 7, Tag 6, Tag 5, Tag 4, Tag 3
Tag 3 – Doch Nicht perfekt
Tag 2
Tag 2 – Richtig Und Falsch
Tag 1
Tag 1 – Perfekte Worte
Tag 1 – Elisabeths Rede
Tag 0
Tag 0 – Liebe
Sometimes I have that feeling I could fly
So I just have to open up my wings
Up to the clouds, to the sun and the sky
It's not time to think or to cry.
I'm going to fly even I can fall.
There's just nothing that could hold me.
I feel so free, I feel so good.
I only want to try to fly – that's all.
Why?
That's the question we always have to answer.
But if we answer, we'll never do.
The tears are going to come again
And we are going to start to cry.
I'm going to fly even I can fall.
There's just nothing that could hold me.
I feel so free, I feel so good.
I only want to try to fly – that's all.
Oh, I'm not going to wait for the right time in life.
I don't like tomorrow, yesterday or things like that.
If I can, I am going to,
Because you only can lose, what you had.
I'm going to fly even I can fall.
There's just nothing that could hold me.
I feel so free, I feel so good.
I only want to try to fly – that's all.
Looking down on this world is just strange
Because you know there's the evil everywhere
But you can't see it from above
Oh, how nice is that lie I adore.
I'm going to fly even I can fall.
There's just nothing that could hold me.
I feel so free, I feel so good.
I only want to try to fly – that's all.
„I'm going to fly even I can fall.
There's just nothing that could hold me.
I feel so free, I feel so good.
I only want to try to fly – that's all.”
Ich las die letzten Zeilen zum wiederholten Male durch und legte den Brief mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seite. Es konnte einfach nicht wahr sein.
„Wir sehen uns in der Hölle wieder!“ waren die letzten Worte meines Vaters gewesen. Tja, jetzt fehlte nur noch ich, auch wenn ich wirklich keinen Wert darauf legte, ihn wiederzusehen. Die zwei kleinen Engelchen – so wurden wir immer genannt. Und vielleicht sollte ich endlich auch auf das Dach des Hochhauses klettern und fliegen lernen. So wie meine Schwester Eleonore. Ja, das sollte ich. Ich konnte sie nicht einfach alleine lassen in der Hölle.
Verzweifelt saß ich auf dem Fußboden, während ich ernsthaft darüber nachdachte, Eleonore zu folgen. Sie hatte sich so auf mich verlassen und doch ließ ich sie jetzt im Stich. Das durfte ich einfach nicht! Doch ein Teil in mir glaubte noch immer, dass alles nur ein Scherz war und sie gleich kommen würde. In meinen Gedanken malte ich mir aus, wie sie um die Ecke biegen und lachen würde. Sie würde mich in den Arm nehmen und mir erklären, dass alles nur ein Scherz sei. Sie würde mir erklären, sie hätte mich nur zu Besuch einladen wollen. Sie würde mit irgendeiner absurden Theorie ankommen und wir würden uns vor Lachen auf dem Boden wälzen. So wie immer. Nur dass sie dieses Mal nicht einfach um die Ecke kam und auch nirgendwo ein Lachen erklang. Nur Stille umhüllte mich. Ich war allein.
Ich hätte mir schon denken können, dass es kein Scherz war. So geschmacklos war sie nie gewesen. Doch sie konnte nicht einfach weg sein! Nicht sie! Nicht meine Schwester!
Plötzlich durchbrach eine Stimme die Stille. „Meinen Sie nicht, dass Sie irgendwann einmal vom Hausflur aufstehen sollten? Ich würde äußerst gerne zu meiner Wohnung durchkommen.“ Die Worte klangen kalt, wie so oft hier, und doch vergaß ich diese Worte nie. Sie hatten irgendetwas Besonderes an sich, was ich einfach nicht beschrieben konnte. Sie waren einfach der letzte Halt, an denen ich mich mit meinen Fingern am liebsten festgekrallt hätte, um nicht zu fallen.
„Bist du der Nachbar von Eleonore Angel?“, fragte ich, ohne auf ihn einzugehen. Ihren Namen auszusprechen, schmerzte sehr. Ich wusste nicht annähernd, wieso ich ihn duzte und wieso ich ihn das fragte, doch es war ebenso. In den letzten Stunden ergab sowieso nichts einen Sinn, also war es mir egal, ob ich mich angemessen verhielt. Es zählte sowieso nichts mehr.
„Den gefallenen Engel, meinen Sie? Ja, ich kenne Eleonore. Sie hat mir viel von Ihnen erzählt, Elisabeth, dennoch würde ich Sie weiterhin bitten ...“, fing der Fremde an, bevor ich ihn unterbrach. Seine Stimme hatte keine einzige Sekunde den Tonfall geändert, doch starrte er mittlerweile einfach stur die Wand links von ihm an, was mich verwunderte. Es war, als ignorierte er mich, was mir einen Stoß ins Herz verpasste.
„Du bist James Devil? Oder ist der Name ein schlechter Scherz?“ Den Namen hatte sie einmal in einem Brief an mich erwähnt, doch würde es meiner Schwester zutrauen, sich diesen Scherz zu erlauben. Für sie schien die Welt immer nur ein schlechter Scherz zu sein. Sie konnte aus vollem Herzen lachen, während sie doch vor Verzweiflung weinte. Oh, ich habe sie nie verstanden. Aber vielleicht würde sie es mir bald erklären können. Wieder liefen mir Tränen über die Wangen. Wieso war sie nur weg? Oh, wie sehr hoffte ich, trotz dass es unmöglich war, darauf, dass sie zurückkommen würde. Sie durfte mich nicht verlassen! Nicht mich, die alle Jahre für sie da war. Nicht mich, die sie mehr als alles in der Welt geliebt hatte. Ich würde sie immer lieben und eines Tages würde sie verstehen, dass sie mich nicht für immer verlassen kann. Ja, sobald sie verstehen würde, wie sehr ich sie liebe, würde sie zu mir zurückkommen.
„James Lucifer Devilius Evil. Ein schöner Name, wie ich finde.“ Mit seinen trockenen Worten riss er mich wieder aus meinem nicht enden wollenden Gedankenfluss. James Lucifer Devilius? Wer war er denn bitte, der Teufel in Person? Keine Familie der Welt würde solch einen Namen vergeben! Das wäre doch total gestört! Irgendwie wirkte er amüsiert darüber, dass ich keine Antwort fand. Aber was sollte ich schon sagen? Ihm zustimmen, dass der Name schön sei? Ihm erklären, dass er eigentlich den, egal wie man es auch drehte, teuflischsten Namen der Welt hatte? Ich dachte kurz darüber nach, doch ich konnte nichts Gutes an daran finden. Lucifer Devilius ... Allein das klang schon grauenhaft, und noch dazu dieser Nachname. Selbst wenn man es abkürzte, kam Devil, also Teufel, heraus!
„Was für eine Scheiße“, murmelte ich nach einiger Zeit.
„Vielen lieben Dank“, antwortete er mir mit zuckersüßer Stimme. Kurz schien sich ein Lächeln auf sein Gesicht zu wagen, doch in der nächsten Sekunde war es schon wieder verschwunden. Außer schlechten Scherzen und Ironie bekam er wohl nichts auf die Reihe. Ein Wunder, dass sich meine wunderbare Schwester überhaupt mit ihm abgegeben hatte ...
Wieder krampfte ich mich zusammen und Tränen rollten über mein Gesicht. Wieso musste sie mich nur verlassen? War ich nicht gut genug gewesen? Oh, ich würde alles für sie tun! Alles! Und doch hatte sie mich nicht einmal genug geliebt, um bei mir zu bleiben.
„Miss! Würden Sie bitte den Weg freimachen? Ich möchte Sie durchaus nicht stören, doch ich würde gerne ungehindert zu meiner Wohnung kommen“, bemerkte er zum wiederholten Male. Langsam ging es mir echt auf die Nerven — was wollte dieser Kerl nur? Verdammt, er hatte Eleonore nicht geholfen! Er sollte froh darüber sein, dass ich sein Erbsenhirn nicht mit meiner Faust an die Wand nagelte!
„Mistkerl!“, schrie ich. Ich wollte ihm einfach nur in seine Fresse schlagen. Bestimmt war er der Grund für ihr Verschwinden gewesen. Und bestimmt würde sie zurückkommen, wenn sie nur wüsste, dass ich ihn losgeworden war.
Wie ich auf den Gedanken gekommen war, wusste ich nicht. Doch mir war die Logik vollkommen egal. Sie musste einfach nur zurückkommen! Oh, ich hätte alles getan. Ich dachte nicht daran, weshalb die Situation so war, wie sie eben war. Nein, mich interessierte nur, dass sie weg war. Ohne meine Schwester ergab einfach nichts mehr Sinn.
Nach ein paar Minuten hatte ich mich hochgerappelt und zog mich immer mehr an den Wand hoch. Meine Fingernägel brachen nach und nach ab, aber der Schmerz kam mir nur gelegen. Die sonst so weiße Tapete zerriss unter meinen Fingern und ich genoss das Geräusch. Der Schmerz und die Zerstörung waren doch sowieso alles in meinem Leben. Nur dieses Mal musste ich beides nicht in meinem Herzen spüren. Nein, dieses eine Mal war die Zerstörung real und ich hoffte mit meinem ganzen Herzen, dass er diesen Schmerz auch spüren würde. Dafür, dass er meiner lieben Schwester den Rücken zugewandt hatte. Dafür, dass sie nun fort war und mich verlassen hatte. Dafür, dass er sie nicht zurückgehalten hatte.
„Drecksschwein!“, schimpfte ich aus vollem Herzen und warf mich nach vorne. Mir war egal, was er von mir dachte. Mir war sogar egal, was alle Welt von mir dachte! Eleonore war tot und nur das zählte.
Mit all meiner Kraft warf ich mich nach vorne. „Ich hasse dich“, schrie ich, kurz bevor er meine Hände abfing.
Sonderlich stark war ich nie gewesen, davon abgesehen war ich im Moment kaum zu einem heftigen Schlag fähig. Es war bestimmt ein Leichtes für ihn, meine Hand in der Luft zu stoppen. Doch es war mir egal, ob ich ihn jemals ernsthaft verletzen konnte. Ich wollte nur diesen Schmerz in mir loswerden.
„Ruhig“, redete er beschwichtigend auf mich ein. Doch ich drehte durch und schlug wütend um mich.
„Bitte. Regen Sie sich nicht auf. Wut wird Ihnen auch nicht weiterhelfen.“ Genau diese Worte von ihm waren das Letzte, das ich gerade gebrauchen konnte. Ich war am Durchdrehen. Mir war es schnurzpiepegal, was für Folgen es für mich haben konnte. Ich wollte doch nur, dass Eleonore zurückkam! Verdammt, wieso kam sie denn nicht?
Wie wild schlug ich um mich, doch noch hielt er meine Hände fest. Meine Muskeln waren bis auf Äußerste gespannt und mein Herz schlug pausenlos. Adrenalin schoss durch meinen Körper und ich wollte einfach nur all diesen Schmerz loswerden. Den Schmerz, den ich über Jahre zusammengesammelt hatte und auch der, den mir meine Schwester mit ihrer Flucht bereitet hatte. Mit ihrem Sprung, besser gesagt.
Mit Kraft trat ich gegen James' Bein, doch er verzog keine Miene. Seine Hände verkrampften sich, doch offenbar riss er sich zusammen. Ich hielt es nicht aus! Er war wie Eleonore. Sie hatte sich auch immer die größte Mühe gegeben, fehlerfrei zu wirken. Und doch war sie nun weg und hatte mich verlassen. Wieso nur? War ich nicht gut genug? Bestimmt, denn sonst hätte mich nicht jeder verlassen.
Kurz hatte ich meine schmerzenden Gelenke ausgeruht, doch schon holte ich zum nächsten Schlag aus. Ich hasste diesen Kerl! Was wagte er auch, sich in meine Angelegenheiten einzumischen? Er war unmöglich! Nerviger ging es kaum!
Da er langsam locker gelassen hatte, zog ich meinen Arm aus seinem Griff. Nach einem kräftigen Schlag ins Zwerchfell ließ er nun endgültig los. Seine Augen funkelten bitterböse, doch immer noch kam nicht eine einzige Beleidigung aus seinem Mund. Verdammt! Sollte er doch schreien, alles war besser als die Ruhe! Ich konnte diese Stille nicht mehr ertragen! Immer alle, die so taten, als würden sie verstehen. Und dabei verstand es niemand! Immer dieses „alles wird gut“, dabei würde es nie mehr wieder gut werden! Immer dieses „nun lächle doch, lächeln macht dich hübscher“, dabei war mir die Schönheit verflucht nochmal egal! Ich wollte doch nur, dass Eleonore so schnell wie möglich wiederkam! Verdammt, wieso kam sie denn nicht? Ich hatte doch sonst niemanden!
„Wieso? Wieso nur?“, wimmerte ich leise und brach einfach in mir zusammen. Wieso kam sie nicht? Wieso ließ sie mich nur so im Stich? Ich brauchte sie doch! Wieso tat sie mir das nur an? Ich betete dafür, dass sie wiederkam. Sie konnte doch nicht so einfach weg sein!
James währenddessen hatte sich wieder gefasst und stand aufrecht, während er irgendwelche Taschen neben sich aufhob. Wollte er etwa gehen? Alle verließen mich doch! Niemand konnte mich ertragen!
Ich krampfte mich zusammen und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich hatte ihre Scherze nie gemocht. Immer musste sie mich im Stich lassen. Und immer war alles nur ein Scherz. Und ich lächelte und alles war in Ordnung. Nur dieses Mal nicht. Nein, diesmal kam sie einfach nicht, auch wenn ich bereit war, auf Knien darum zu betteln. Sie konnte nicht einfach gehen! Sie war doch meine Schwester!
„Sagst du Eleonore, dass ich auf sie warte?“, bat ich ihn leise. Meine Stimme zitterte und ich bekam kaum ein Wort heraus. Eigentlich war die Situation total obskur: Ich bat einen fremden Kerl, den ich einfach so geschlagen hatte, darum, meiner Schwester etwas mitzuteilen. Und trotz allem fühlte es sich nicht seltsam an — nein, trotz seiner äußerlichen Kälte strahlte er eine Wärme aus, die ich nicht wirklich beschreiben konnte. Auf seine Art und Weise war er wie Eleonore.
Er drehte sich noch einmal zu mir um und musterte mich kurz. „Sie kommt nicht zurück“, verkündete er letztendlich.
„Sie kommt! Sie wird kommen! Sie würde mich nie verlassen!“, schrie ich und hämmerte wie wild auf den Boden ein. Sie konnte doch nicht einfach weg sein, oder? Das konnte einfach nicht sein!
„Beruhigen Sie sich, Miss Angel. Und bitte zertrümmern Sie nicht den gesamten Hausflur“, entgegnete er trocken. Seine einfache Reaktion entgeisterte mich vollkommen. „Und bitte zertrümmern Sie nicht den Hausflur“, welcher Mensch würde so etwas sagen? Galt seine einzige Sorge in dieser Welt dem Hausflur? Musste er immer die Fassung bewahren?
„Nein, ich beruhige mich nicht! Ich will mich nicht beruhigen! Wieso auch? Hier sind doch eh nur verdammte Idioten!“ Dieses Mal zitterte meine Stimme nicht und meine Gedanken legten auch eine Pause ein. Diese Welt interessierte sich sowieso für nichts außer für Geld!
„Verfluchte Idioten!“, brüllte ich in die Welt hinaus, so laut ich nur konnte. Doch kaum hatte ich meinen Kopf wieder zu James gewandt, war die Tür hinter ihm auch wieder zu. Selbst der Teufel ließ mich allein. Wie verloren konnte man noch sein? Es gab wirklich nichts mehr, das mich hier hielt. Eleonore wollte sowieso nicht zu mir zurück. Nein, offenbar liebte sie mich nicht mehr. Ich war es nicht wert, geliebt zu werden. Nicht von ihr, nicht von jemand anderem. Ich war einfach nur abscheulich.
Ich zog meine Beine eng an meinen Körper und lehnte meinen Kopf an die Wand von Eleonores Wohnung. Hineingehen konnte ich wirklich nicht. Was, wenn sie ganz bald zurückkäme? Oh, sie würde bestimmt sauer werden. Ihre Ordnung durfte niemand zerstören, so war es schon als Kind gewesen. Und das Letzte, was ich wollte, war sie zu verärgern. Denn auch wenn sie mich wohl nicht mehr liebte, so war sie immer noch meine Schwester.
Aber wohin konnte ich gehen? Nachhause fahren? Nein, da würden mich nur all die Leute erwarten, die mir Lügen über sie erzählten. All die Leute, die mich in den Arm nahmen, und mir beteuerten, wie sehr es ihnen doch leidtäte, dass ... Egal. Ich wusste, dass alles nur eine Lüge war, und nur das zählte. Nichts würde mich und Eleonore jemals trennen können.
So saß ich also einfach vor der Tür und starrte ich die Ferne. Ich wollte weder weg, noch konnte ich ewig hier bleiben. Innerlich zerriss es mir das Herz, dass meine Schwester einfach nicht kam. Wieso nur? Ich hätte wirklich alles für sie getan, wenn ich nur wüsste, was!
Vielleicht konnte ich ihr folgen ... Ich verwarf den Gedanken sofort, da er völlig unlogisch war. Doch nach einigen Minuten kam ich wieder darauf zurück. Ihr folgen, ja, das war eine gute Idee. Doch wohin? Das zählte nicht. Sobald ich ihr nur folgen würde, würde ich wissen, wohin sie gegangen war. Denn schließlich konnte sie nicht auf ewig fort sein. Nein, sie würde mich niemals für immer verlassen.
Langsam rappelte ich mich hoch und holte tief Luft. Hier drinnen war es wirklich furchtbar stickig, doch ich würde bald wieder draußen sein. Oben, auf dem Dach, wo die Luft frisch vom Himmel kam. Wo all der Schmerz verfliegen konnte. Wo ich endlich fliegen lernen würde.
Ich seufzte und drückte meinen Rücken durch. Aufgeschürfte Haut schien meinen ganzen Körper zu umgeben, doch ich spürte diesen Schmerz kaum. Mein Herz schien von innen zu zerschmettern, doch ich wusste, dass es bald beendet sein würde. Eleonore hatte geschrieben, sie würde versuchen zu fliegen. Und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihr zu folgen.
Vorsichtig schritt ich auf die Treppe zu. Ich wusste, sobald ich oben war, gab es kein Zurück mehr. Egal, ob ich fallen würde oder fliegen. Doch an dem Punkt, an dem ich jetzt angelangt war, konnte ich wirklich nicht mehr tiefer fallen.
Die kalte Morgenluft ließ mich kurz frösteln, als ich hinaustrat. Die Sonne ging gerade erst am Horizont auf und erleuchtete die Stadt. An sich war es kein atemberaubender Ausblick — Wolkenkratzer, wohin man nur sah, wobei dieser hier nicht gerade einer der kleinsten war.
In Erinnerung an Eleonores Gedicht schloss ich die Augen. Einfach nur fliegen — ja, das war auch genau mein Wunsch. Einfach nur die Lasten dieses tristen Daseins zwischen Geldhaufen und Arbeitsstunden ablegen und fliegen. Auch wenn ich fallen konnte. Nichts zählte mehr. Ich wollte meine Schwester zurückbekommen. Und es schien mir der einzige Weg, wie ich ihr folgen konnte.
In dieser Welt gab es nichts, das ich vermissen würde. Niemand hatte mich je aus tiefstem Herzen gemocht und ich hatte nicht einmal etwas Wertvolles, von materiellem Schrott einmal abgesehen. Ich arbeitete, auch wenn ich nicht wusste, wofür. Lebte in einem Haus, das ich nicht ausstehen konnte. Verbrachte sogar meine Freizeit mit Freunden, die nur wegen meinen ewigen Geschenken bei mir blieben. Ich hatte nichts mehr. Bis auf ein paar bedruckte Zettel hatte ich nichts.
Mit jedem Schritt auf den Abgrund zu entfernte ich mich immer mehr von meinem Leben. Ich wollte nur noch all die Schmerzen loslassen und fliegen — vielleicht sogar einmal in meinem Leben über all das Böse in dieser Welt siegen. Ich wollte Eleonore folgen, egal, was es mich auch kosten würde.
Kurz vor der Kante blieb ich stehen und zögerte. Würde ich wirklich fliegen? Doch das zählte nicht. Nicht einmal vor dem Fall fürchtete ich mich mehr. Ich wollte nur noch diesem Leid ein Ende setzen.
„Miss Angel!“ Ein Schrei durchbrach die Stille. Doch ich reagierte nicht. Ich musste nur noch zwei Schritte machen, und dann würde alles ein Ende haben. Nur noch zwei Schritte, die mich von meiner Schwester trennten. Zwei Schritte bis zum Glück.
„Elisabeth! Sie werden nicht fliegen!“ Wieder diese schreckliche Stimme. Als ob er etwas wusste. James verstand doch nichts. Er hatte nicht einmal verstanden, wie es Eleonore ging. Und wegen ihm war sie fort. Doch sie würde zurückkommen, wenn ich sie nur darum bitten würde. Und deshalb musste ich einfach versuchen zu fliegen.
„Bitte, Elisabeth! Sie werden nur fallen!“, schrie James wieder. Doch keinen einzigen Schritt kam er auf mich zu. Er tat nichts, um mich aufzuhalten. So wie er meine Schwester nicht aufgehalten hatte.
Wütend drehte ich mich um; meine Fersen streiften schon die Kante. Dort stand er — neben dem Ausgang, sich verzweifelt an der Tür festklammernd. Panik war in seinen Augen zu erkennen, doch das geschah ihm nur Recht. Er war Schuld — und er musste damit leben. Er hatte einen Menschen getötet, indem er diesem nicht geholfen hatte. Und dafür hasste ich ihn.
„Was ist? Angst? Willst du etwa nicht hinunterfallen?“ Ich lachte, während mir Tränen über die Wangen liefen. Absichtlich langsam ging ich rückwärts, bis ich mich kaum mehr auf dem Dach halten konnte. Mein Leben lang hatte ich nur vernünftig überlegt und immer die beste Lösung für alle gesucht — nun wollte ich nur noch Eleonore folgen. Ich wollte nicht mehr dieses Leben. Sie sollte zu mir zurückkommen. Und er war derjenige, der mich von ihr fernhielt, weshalb ich den Schmerz in seinen Augen genoss. Er war längst nicht so perfekt, wie er wirken sollte, wie er genau in diesem Augenblick bewies.
Er ließ langsam von der Tür ab und kam auf mich zu. Jeder Schritt schien ihm alle Mühe zu kosten, was mich nur amüsierte. Ich genoss die Freiheit, während sie ihm Angst bereitete, was man bei jedem Schritt erkennen konnte. Bloß nicht zu nah an den Abgrund geraten, dachte er sich wohl gerade. Weshalb er es überhaupt riskierte, war mir ein Rätsel.
Ich blickte zum Himmel hinauf. Die Wolken über mir schwebten langsam hinfort. Vielleicht würden sie mich nun mitnehmen. Ich lächelte zart und konnte meinen Blick mit Mühe abwenden. Diese Reinheit, diese Perfektion, welche die Wolken widerspiegelten - wie sehr hätte ich sie mir in meinem Herzen gewünscht. Denn was gab es schon, das Elisabeth Angel Besonderes an sich hatte? Ihr ewiges Versagen. Ihre Unfähigkeit dazu, etwas richtig zu machen. Ansonsten hatte ich nichts, das wirklich bedeutend war.