Naschkatze und Weinlese - Jane Tomsen - E-Book
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Jane Tomsen

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Beschreibung

Nach 25 Jahren Ehe entflieht die Deutsch-Französin Charlotte dem Alltagstrott in Paris und wagt einen Neuanfang auf dem Land. In der beschaulichen Gascogne will sie erkunden, ob das Gras anderswo grüner ist. Ohne die Brücken zu ihrem in Paris gebliebenen Ehemann und ihren zwei Kindern abzubrechen, stürzt sich die 50-Jährige im kleinen Ort Bourguet ins dörfliche Leben. Die Renovierung ihres neuen Domizils und ihr kleines Kätzchen Filou nehmen die aufs Land geflüchtete Städterin und Weinliebhaberin ebenso in Beschlag wie ihre Arbeit als Lektorin im Homeoffice. Aber mehr als das bestimmen die Rivalitäten der Dorfbewohner ihren Alltag. Und in Bourguet gibt es eine Menge davon! Charlotte knüpft Freundschaften, pflegt Feindschaften und macht sich einen Spaß daraus, die kleine Welt während der traditionellen Weinlese und des Weinfests zu beobachten. Doch als die mürrische Jeanne nach einem Glas Rosé zusammenbricht, wird die Sache spannend. Auch David, ihr junger, unsteter Ehemann, gerät unter Verdacht. Doch Charlotte geht bei der Sache etwas gegen den Strich. Und den Warnungen der Gendarmerie zum Trotz beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln.

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Präsentation

Nach 25 Jahren Ehe entflieht die Deutsch-Französin Charlotte dem Alltagstrott in Paris und wagt einen Neuanfang auf dem Land. In der beschaulichen Gascogne will sie erkunden, ob das Gras anderswo grüner ist. Ohne die Brücken zu ihrem in Paris gebliebenen Ehemann und ihren zwei Kindern abzubrechen, stürzt sich die 50-Jährige im kleinen Ort Bourguet ins dörfliche Leben. Die Renovierung ihres neuen Domizils und ihr kleines Kätzchen Filou nehmen die aufs Land geflüchtete Städterin und Weinliebhaberin ebenso in Beschlag wie ihre Arbeit als Lektorin im Homeoffice.

Aber mehr als das bestimmen die Rivalitäten der Dorfbewohner ihren Alltag. Und in Bourguet gibt es eine Menge davon! Charlotte knüpft Freundschaften, pflegt Feindschaften und macht sich einen Spaß daraus, die kleine Welt während der traditionellen Weinlese und des Weinfests zu beobachten. Doch als die mürrische Jeanne nach einem Glas Rosé zusammenbricht, wird die Sache spannend. Auch David, ihr junger, unsteter Ehemann, gerät unter Verdacht. Doch Charlotte geht bei der Sache etwas gegen den Strich. Und den Warnungen der Gendarmerie zum Trotz beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln.

 

 

Jane Tomsen ist das Pseudonym eines deutsch-französischen schriftstellerischen Trios. Die französische Autorin Sylvie Kaufhold, die deutsche Übersetzerin Julia Wetter und die deutsche Lektorin Constanze Stratz sind in Freiburg im Breisgau zu Hause. Wie ihre Hauptfigur Charlotte sind die drei Schreibfreundinnen und Weinliebhaberinnen in ihren besten Jahren.

Jane Tomsen

NASCHKATZE UND WEINLESE

Ermittlungen in der Gascogne #1

aus dem Französischen von Julia Wetter

Les Éditions du 38 verlag

Handlungen, Personen und genauere Orte des Romans sind frei erfunden.

1 - Coco

Ein breites Lächeln über einem Teller mit Keksen begrüßt mich auf meiner Veranda. Schon wieder! Meine Ankunft in Bourguet hat sich herumgesprochen wie ein Lauffeuer. Ich frage mich langsam, ob es sich wirklich um eine nette Begrüßungaktion handelt oder eher um einen Versuch, die neu eingezogene Pariserin unter einem Berg von Süßigkeiten zu begraben? Wenn es so weitergeht, dann muss ich gleich eine Diät machen! Sonst wird mir der Umzug aufs Land ein paar Pfunde mehr bescheren …

„Coucou Charlotte!“, ruft fröhlich das Gesicht hinter den Keksen.

„Corinne?“

Das Lächeln verzieht sich zu einer verärgerten Grimasse.

„Coco!“, korrigiert meine Besucherin. „Ich muss wirklich darum bitten. Wir sind doch unter Freundinnen.“

Und sie meint es wirklich so, wie sie es sagte. Sie besucht mich nicht zum ersten Mal diese Woche. Während meine anderen Besucherinnen fast alle, so wie ich, aufs Land geflüchtete Städterinnen im Homeoffice sind, stammt Coco hier aus der Gegend. Sie ist ein paar Jahre älter als ich, aber sie hat die Aura jener Frauen, die stets aktiv und aufgeschlossen bleiben. Eine Schleife im Nacken bändigt ihr graumeliertes Haar. Ihr Gesicht hat den wettergegerbten Teint einer Gärtnerin.

Um ehrlich zu sein, wirkt sie ziemlich beeindruckend auf mich. Diese Frau hat eine große Familie gemanagt und gleichzeitig erfolgreich Karriere in der Luft- und Raumfahrtindustrie gemacht. Heute sind ihre Kinder in alle Ecken der Welt verstreut. Vor drei Jahren, als ihre Kinder das Nest verlassen hatten, musste sie ihre Eltern beerdigen. Frei von Familienverpflichtungen ist sie ihren Mann auch gleich losgeworden. Sie ließ ihn, ihren Job und Toulouse sausen, um in ihr Elternhaus zurückzukehren und endlich alleine den Vorruhestand zu genießen.

„Konntest du den Elektriker erreichen?“

Ich höre ihre Frage, aber meine Gedanken kreisen noch um etwas ganz anderes: Muss ich Coco jetzt auch meinen Kosenamen verraten oder darf ich es lassen? Handelt es sich hier vielleicht um einen Brauch, eine soziale Verpflichtung, einen Code unter Nachbarn, ein Muss beim Schließen von neuen Freundschaften? Leider ist mein Spitzname in Frankreich eher ungewöhnlich. Meine deutschen Freunde nennen mich Lotte, aber auf Französisch klingt das wie der Name eines Fisches, la lotte. Das brachte meine Bekannten in Paris immer zum Schmunzeln. Ich müsste die Herkunft dieses seltsamen Spitznamens erklären, und dazu würde man es mit dem hiesigen Akzent aussprechen. Allein der Gedanke daran graust mich! Ich weigere mich. Wenn ich hier einen neuen Anfang wage, darf ich ein paar Altlasten hinter mir lassen und diese alberne lotte vergessen. Aber genug gegrübelt. Hier und jetzt gibt es Dringenderes zu tun!

Ich seufze. In diesem verschlafenen Nest hier scheint nichts schwieriger zu sein, als einen Handwerker zum Arbeiten zu bewegen. Ich muss zugeben, dass auch mich die Langsamkeit der Dinge und das Vergnügen, auf der Terrasse ein Sonnenbad zu nehmen, bisweilen von Wichtigerem ablenkt. Aber wenn man jemanden braucht, der anpackt, ist diese Art zu leben nicht sehr praktisch!

Dieser Umstand, an dem ich ohnehin nichts ändern kann, hindert mich jedoch nicht daran, zum Teller mit den noch warmen Keksen zu greifen und Coco in meine Küche zu bitten. Sie wirft einen mitleidigen Blick auf das Ensemble aus Farbeimern und aufgerolltem Sisalteppich, der in der Ecke steht.

„Es ist nicht einfach, oder?“, fragt sie besorgt. „Weißt du, ich war anfangs auch etwas überfordert von der ganzen Arbeit.“

Ich kann kaum glauben, dass diese selbstbewusste Frau mit ihrem unfassbar starken Akzent von irgendetwas überfordert sein könnte. Aber wenn sie es sagt, werde ich ihr nicht widersprechen.

„Tee?“, frage ich rhetorisch, während ich das Wasser auf dem Herd zum Kochen bringe. Den alten Holzofen habe ich von meinen Vorgängern geerbt, einem Ehepaar, „so alt wie das Dorf“, wie es Coco, die keine Scheu vor Übertreibungen hat, einmal formulierte. Das Paar, das somit etwa dreihundert Jahre alt gewesen sein müsste, segnete zwei Jahre zuvor an einem winterlichen Morgen gemeinsam friedlich das Zeitliche. Die Erbengemeinschaft tat ihr Übriges, und dank der zauberhaften Wirkung von Familienstreitigkeiten konnte ich dieses märchenhafte Haus für wenig Geld erwerben. Nun gut, es war nicht so wenig, da es meine gesamten Ersparnisse aufbrauchte, aber immerhin ein Preis, für den ich in Paris nicht einmal ein Dienstmädchenzimmer kaufen könnte.

Coco lässt sich auf einem der Stühle am großen Holztisch nieder, den ich endlich fertig abgeschliffen habe. In ihren, von der Gartenarbeit braun gebrannten Händen betrachtet sie eine Tasse mit der deutschen Aufschrift „Beste Mama der Welt“. Ihre rechte Augenbraue hebt sich. Das macht sie immer, wenn sie nachdenkt.

„Ein Souvenir aus dem Urlaub?“

„Ein Geschenk meiner Schwester ... vor langer Zeit. Als die Kinder noch klein waren.“

„Auf Deutsch?“ Mein Gast ist erstaunt.

„Ich komme ursprünglich aus dem Schwarzwald. Vor Paris natürlich.“

„Dachte ich mir schon, mit so einem Namen. Charlotte Kling-Delamarche ...“

Dabei dehnt sie Delamaaaaarche so lange, bis ihr die Luft ausgeht. Offensichtlich erwartet sie eine Erklärung, mehr noch eine Geschichte. Warum auch nicht ihre Neugier stillen? Von meinem Leben zu erzählen, könnte mir vielleicht helfen, alles ein wenig klarer zu sehen.

Ich serviere ihr eine große Tasse Tee, biete ihr Zucker an, den sie höflich ablehnt. Stattdessen nimmt sie lieber einen ihrer selbst gebackenen Kekse. Die beiden Keksteller, die auf dem Buffet thronen und von ihren „besten Freundinnen“ Judith und Liliane stammen, ignoriert sie geflissentlich.

Ich rühre in meinem Tee, um das Zuckerstück aufzulösen, während Coco an ihrem Keks knabbert. Sie hat Geduld, sie weiß, dass ich mich gleich fügen werde. In diesem stillen Augenblick des Wartens fliegt eine neugierige Biene in die Küche hinein und entschwindet dann wieder durch das weit geöffnete Fenster in Richtung des Lavendelbeets. Die Spannung im Raum ist förmlich zu greifen.

„Ich bin Deutsche, habe aber in Frankreich studiert.“

„Du hast nicht den geringsten Akzent!“, ruft sie begeistert.

Ich würde ihr liebend gerne sagen, dass sie genug Akzent für uns beide hat, aber ich lasse es lieber sein. Ich möchte sie nicht kränken. Dazu höre ich ihr viel zu gerne zu. Ihr Zungenschlag ist so, als ob warme Sonnenstrahlen das Haus durchfluten.

„Delamarche ist der Name meines Mannes.“

„Dein Ex-Mann?“

„Nein, mein Mann Romain. Wir sind nicht getrennt.“

Sie wirft mir einen ungläubigen Blick zu. Fest wohne ich erst seit einer Woche hier, aber seit dem Vertragsabschluss vor vier Monaten kam ich oft zu Stippvisiten hierher, jedoch stets alleine. Ich setze zu einer Erklärung an:

„Wir ... wir legen eine Pause ein. Meine Kinder sind jetzt erwachsen. Romain und ich haben verschiedene Wege gewählt. Ich ...“.

„Du konntest das alles nicht mehr ertragen!“, ruft sie mit einer Begeisterung, die mich überrascht. Sie zeigt kein Mitleid und wirkt eher wie eine Mitwisserin. Frauen aller Länder vereinigt euch! „Ah, ich fühle mit dir“, sagt sie verständnisvoll, „ich habe das auch schon mitgemacht. Egal wie sehr wir die Männer lieben, sie sind schwer zu ertragen.“

„Ja, ich denke, das bringt es auf den Punkt. Ich musste mal nur für mich sein, um zu wissen, wer ich außerhalb meiner Rolle als Mutter und Ehefrau bin. Ich fühlte mich, als hätte ich mein wahres Ich jahrelang zurückgehalten, um die zu sein, die meine Kinder und mein Mann gebraucht haben. Wie auch immer, er ist in Paris, ich bin hier. Aber wir sind immer noch verheiratet.“

Sie nimmt diese Information zur Kenntnis, trinkt einen Schluck Tee, nimmt einen weiteren Keks und entscheidet, es dabei zu belassen. Wenn auch nur für den Augenblick.

„Und Du bist im Homeoffice?“, fragt sie und späht durch die Tür ins große Wohnzimmer, wo sich meine Akten auf einem winzigen Schreibtisch türmen. Ich muss dringend ein paar Möbel kaufen.

„Ja, ich arbeite für mehrere Verlage. Ich übersetze, ich korrigiere, ich mache alles, was so anfällt. Ich kann von überall aus arbeiten, ich muss nicht in einem Büro sein, um mit den Autoren oder den Verlagen zu kommunizieren. Hin und wieder habe ich eine Videokonferenz mit der Redaktion.“

„Du wirst sozusagen fürs Bücherlesen bezahlt?“

Ich bemerke eine Mischung aus Unglauben und Missgunst in ihren Augen, wie immer, wenn ich Menschen versuche zu erklären, dass Lektorin tatsächlich ein echter Beruf ist. Ich versuche nicht einmal mehr, mich zu rechtfertigen, esse meinen Keks und murmele vor mich hin:

„Irgendwie schon.“

Ich werfe einen Blick auf die alte Wanduhr über dem Buffet. Ich habe sie auf dem Dachboden gefunden, und nachdem ich sie abgestaubt hatte, läuft sie mit der Energie vergangener Tage.

„Oh lala, in deiner Gesellschaft vergeht die Zeit wie im Fluge, Coco! Ich habe eine Videokonferenz und ich ...“

„Kein Problem, ich mach‘ mich auf die Socken. Ich muss mich um Loulou kümmern. Nicht dass er mir alle Katzen im Dorf terrorisiert!“

Sie ist auf dem Weg zur Tür, als sie sich plötzlich umdreht und mir eine Visitenkarte überreicht. Szyska – Reparaturen aller Art – Montréal-du-Gers.

„Ruf’ dort auf meine Empfehlung an. Herr Szyska und seine Söhne machen alles. Klempner, Strom, Malerarbeiten, was immer du willst. Und behalte es bitte für dich, aber sie arbeiten besser als die Einheimischen.“

2 - Renovierung

Ich beobachte den jungen Apoll, wie er die Terrassenbeleuchtung repariert und dabei auf zwei Stühlen balanciert. Ich an seiner Stelle wäre im Handumdrehen auf die Nase gefallen, aber ich bin fasziniert von seinem Gleichgewichtssinn. Er sieht aus wie ein Balletttänzer beim Spitzentanz. Er schwebt, ich halte den Atem an.

Apoll ist Pole, wie alle seine Kollegen – sein Vater, seine Brüder und ein Onkel, wenn ich es richtig verstanden habe – alle verstreut in meinem Haus. Auf den ersten Blick ist er so alt wie meine Erstgeborene. Er ist der Jüngste der Geschwister, hat blonde Locken und ein schüchternes Lächeln zum Dahinschmelzen. Eigentlich sollte einer mich in meinem Alter nicht mehr sprachlos vor Bewunderung machen können, während ich über die Lesebrille schiele und vorgebe, einen langweiligen Text voller Rechtschreibfehler zu korrigieren, der mir jedes Mal fast aus den Händen fällt, wenn ich ihn zu lesen versuche. Aber er ist einfach unwiderstehlich – Apoll und nicht der Text – so schön wie ein Renaissancegemälde.

„Ist es so gut?“, fragt er mich plötzlich und richtet die Lampe auf den großen Tisch auf der Steinterrasse. Ohne meine Antwort abzuwarten, springt er mit atemberaubender Leichtigkeit von seinen Stühlen. Ich schrecke auf und lasse beinahe das verfluchte Manuskript fallen. Ich hüstele etwas, um meine Fassung wiederzugewinnen und schaffe es endlich, mich zu artikulieren:

„Oui, oui, très bien, Apoll ... äh, Filip, merci! Das ist gut so.“

„Schöne Aussicht“, fährt er fort und zeigt mit dem Finger auf die Weinberge, die sich über die Hügel jenseits der alten gotischen Kirche aus dem 15. Jahrhundert erstrecken. Sie wurde im Laufe der Zeit vielfach umgebaut, verleiht dem Dorf dennoch einen besonderen Charme.

„Ja, in der Tat ein schöner Ausblick.“

Meine Terrasse öffnet sich hin zu einem Garten in Richtung des Dorfes. Mehr noch als das Haus selbst war es die Aussicht, die es mir angetan hatte, als ich zum ersten Mal mein zukünftiges Zuhause besichtigte. Während meiner sechsmonatigen Suche habe ich einige Landhäuser angesehen. Ich wäre das ein oder andere Mal beinahe schwach geworden. Aber als ich an diesem Tag in Bourguet ankam, diesem entzückenden kleinen Dorf mit kaum zweihundertfünfzig Einwohnern im Norden des Départements Gers, wusste ich einfach, dass ich hier sesshaft werde.

Jeden Abend, wenn die Sonne am Horizont zu verschwinden beginnt und den Himmel in eine Farbpalette aus Rot- und Orangetönen taucht, wohnt ein Zauber dem Augenblick inne. Das Licht ist von einer Sanftheit, die mich jeden Abend aufs Neue ergreift und mir die Tränen in die Augen treibt, wenn ich ganz allein an einem kleinen Glas Rosé Pilaho nippe, frisch und prickelnd. Es wird der einen Steinwurf von hier entfernt angebaut. Ich kann mir vorstellen, dass der Winter weniger lustig wird, aber für den Augenblick genieße ich den Ausklang des Sommers auf dem Land mit jedem Schluck.

Als ich aufschaue, ist Filip im Haus verschwunden. Ich höre ihn mit seinen Brüdern lachen. Das Lachen gilt hoffentlich nicht mir! Aber ich bin bereit, der Truppe alles zu verzeihen, denn sie haben mir das Leben gerettet. Nach einem Dutzend erfolgloser Anrufe beim örtlichen Elektriker David Laffargue, der sich nicht dazu herablassen konnte, mich zurückzurufen, hatte ich mich dazu entschlossen, den Rat von Coco zu befolgen und mir die Konkurrenz einmal anzuschauen. Ein einziger Anruf genügte, und am nächsten Tag fielen die Männer der Familie Szyszka bei mir ein mit dem festen Vorsatz, sämtliche meiner Probleme auf einmal zu lösen. Sie parkten ihren Lieferwagen in der Einfahrt, stießen meine nie verschlossene Türe auf und nahmen das Haus in Beschlag, ohne sich an meinem derangierten Zustand, dem rosaroten Pyjama und meinen zerzausten Haaren zu stören. Ich muss gestehen, ich kam nach einer langen Lesenacht nur langsam aus den Federn und steckte gerade die Nase in meine Kaffeetasse, in der Hand ein Brot mit gesalzener Butter – eine Schwäche von mir – , als die Horde Bauarbeiter einfiel.

„O kurcze“, war das Erste, was ich vernahm, als Herr Szyszka – Piotr für seine Freunde und sympathischen Kunden, zu denen ich die Ehre habe zu gehören – den Kopf schüttelte. Er betrachtete dabei meine Malerversuche in dem langen Flur, der zur Terrasse führt. Ich spreche kein Polnisch, aber es brauchte keine meiner Fähigkeiten als Übersetzerin, um zu verstehen, was er damit meinte.

„Nun gut, Sie führen uns durchs Haus“, befahl er in dem unmissverständlichen Ton von Leuten, die sich mit der Materie auskennen. Und bevor ich verstand, was mit mir geschah, ging ich mit meiner Kaffeetasse in der Hand vor ihm von Zimmer zu Zimmer.

Seitdem kümmere ich mich um nichts mehr, was mit den Renovierungsarbeiten zu tun hat. Ich lese, korrigiere, versehe Texte mit Anmerkungen, mal das Laptop auf den Knien ruhend, mal auf einer Ecke des Terrassentisches, sofern das Septemberlicht es zulässt, mal in einem der Zimmer, in dem gerade nicht gearbeitet wird. Ich bin ständig in Bewegung und versuche mich in dieses gut orchestrierte Ballett einzufügen. Schließlich möchte ich sie nicht stören, während sie ein Wunder vollbringen.

Piotr streckt den Kopf durch das Wohnzimmerfenster.

„Sagen Sie, Charlotte, haben wir uns auf Grau geeinigt für die Fensterläden?“

„Ja, warum? Gibt es ein Problem?“

„Schauen Sie, ich habe etwas ausprobiert.“

Ich verlasse den sonnigen Platz auf der Mauer, die die Terrasse abgrenzt. Eine Sekunde später stehe ich begeistert vor Piotrs Farbeimer:

„Das ist ja hinreißend!“

Er hat meinem Mausgrau einen Hauch Blau beigemischt. Das Resultat ist perfekt. Er lächelt. Er hat das gleiche Lächeln wie sein jüngster Sohn, vielleicht ein bisschen verschmitzter, und auch die gleichen großen blauen Augen. Ich verliere mich für einen Augenblick, bevor ich wieder in der Realität angekommen bin, und unterdrücke einen mehr als unangenehmen Seufzer. Er hat nichts bemerkt oder ist immerhin so galant, es mich nicht spüren zu lassen. Vor allem aber ist er mit meiner Reaktion zufrieden.

„Gut, also machen wir es so?“, fragt er mich, obwohl er die Antwort schon kennt.

„Machen wir!“

Sein Lächeln wird noch breiter. Aber ich lasse mich nicht täuschen. Er lässt mir immer die Illusion, ich hätte die Kontrolle. Aber es ist mir egal, solange sein Geschmack mit meinem übereinstimmt. Und ihm zu widersprechen, übersteigt meine Kräfte.

Mein Handy klingelt auf der Mauer. Ich schenke Piotr entschuldigend mein schönstes Lächeln und springe zum Telefon. Vielleicht ist es Romain? Mein Herz schlägt schneller. Ich mag alleine glücklich sein und für meine Handwerker schwärmen, aber er ist immer noch ein Teil von mir. Und vor allem ist nichts wirklich geregelt zwischen uns. Unsere Beziehung ist in der Schwebe, und keiner von uns will den ersten Schritt tun, um die Dinge unwiederbringlich zu lösen.

Ein Rauschen ist zu hören, ich kann zuerst nichts verstehen, dann ist die Leitung plötzlich frei und verständlich. 

„Elektrobetrieb Laffargue, haben Sie uns eine Nachricht hinterlassen?“, fragt mich eine Stimme, die für einen Dienstleister doch äußerst autoritär klingt.

Fast wäre mir vor Überraschung mein Handy aus der Hand gefallen. Durch das lange Warten hatte ich das fast vergessen.

„Äh ... ja, um ehrlich zu sein, mehrere Nachrichten, aber nein, mein Problem hat sich gelöst, merci.“

„Gelöst?“, wundert sich die Stimme, die ich einer Frau in meinem Alter zuschreibe, irgendwo in den Fünfzigern, vielleicht sogar etwas älter. Auf jeden Fall klingt sie ganz und gar nicht freundlich, ein wenig verhärmt und leicht entnervt. Ich stelle sie mir ziemlich groß vor, eher dürr und gewohnt, dass man ihr gehorcht. Ich war schon immer sehr erfolgreich darin, mich in Stimmen hineinzuversetzen. Das ist eine Marotte von mir.

„Ja, ganz genau, gelöst. Ich benötige ihre Dienste nicht mehr.“

„Aber Sie haben uns angerufen!“, protestiert meine Gesprächspartnerin.

Das absurde Gespräch beginnt mir auf die Nerven zu gehen.

„Und Sie hatten nicht die Güte, mich zurückzurufen.“

„Im September, meine Liebe! Wenn Sie denken, Sie wären unsere einzige Anfrage …“

Ihr Ton wurde säuerlich. Ich versuche noch immer höflich zu bleiben.

„Nun gut, dann ist das in Ordnung, kümmern Sie sich um Ihre anderen Kunden und lassen mich mein Problem allein regeln.“

„Sind Sie vielleicht Elektrikerin?“

Sie wird honigsüß und ist offensichtlich darauf aus, an Informationen zu kommen, wittert Verrat, den Rückgriff auf die Konkurrenz, ausländische noch dazu.

„Nein, aber es ist wie mit Ihren Kunden, Sie sind nicht die Einzigen hier.“

Natürlich sind sie die Einzigen in Bourguet, aber die Welt beschränkt sich ja trotzdem nicht auf das Dorf.

„Oh!“

Sie verschluckt sich fast an ihrer Empörung.

„Sie haben nicht ...?“

„Oh, doch. Au revoir, Madame.“

Ich lege auf, stolz auf mich mit dem albernen Gefühl, einen Sieg errungen zu haben. Herrgott noch mal, sie hält mich für eine einfältige Pariserin. Der habe ich es gezeigt. Puh.

Piotr schaut mich kopfschüttelnd aus dem Fenster an. Er sieht wieder genauso betrübt aus wie am ersten Morgen, als er sich meine vermeintlichen Kunstwerke betrachtet hatte.

O kurcze ... Ich hoffe, ich habe gerade keinen Krieg erklärt.

 

 

 

3 - Judith

Ich strecke mich auf einem der knallblauen Liegestühle aus, die ich gerade im Baumarkt in Condom gekauft habe. Es ist verrückt, was man dort alles findet. Dabei habe ich in Paris nur auf Designerläden geschworen! Judith lacht lauthals, als ich ihr von meinem Telefonat am Vortag erzähle. Sie sieht reizend aus, wie sie ihre langen, von der immer noch intensiven Spätsommersonne gebräunten Beine unter ihrem Blumenkleid kreuzt. Die junge Mutter, die sich überall zuhause fühlt, macht sich auf liebenswürdige Art über mich lustig:

„Du hast dir Jeanne zum Feind gemacht! Ich weiß nicht, ob das mutig war oder leichtsinnig.“

Völlig überfordert zucke ich mit den Schultern. Jedenfalls ist der Schaden nun angerichtet.

„Sie sitzt in allen Gremien“, erklärt mir die hübsche Brünette. „Beim Schulbus für Montréal entscheidet sie mit.“

„Ich habe keine Kinder.“

Judith sieht mich schockiert an, und sofort verstehe ich warum. Natürlich habe ich meine Kinder nicht vergessen. Junior und meine Älteste sind mit Romain in Paris geblieben, genervt von den hohen Mieten für ein brauchbares Zimmer, aber unter dem Strich doch ziemlich glücklich, glaube ich. Zumindest höre ich das aus ihren meist einsilbigen Nachrichten über WhatsApp heraus, wenn sie die Güte haben, mir einmal zu schreiben. Ich korrigiere mich:

„Ich meinte nur, keine Kinder hier.“

Judith nickt, sichtlich erleichtert, und fährt fort:

„Der Bridgeclub am Freitagabend, wieder sie.“

„Bridge? Gibt es noch Leute die Bridge spielen?“, frage ich skeptisch. „Ich schmökere lieber in Ruhe daheim.“

„Sie ist das Ohr des Wanderpfarrers, der kommt jeden dritten Sonntag.“

Ich verdrehe die Augen. Nach dem Bridgespiel auch noch die Messe!

„Die Religion und ich sind ohnehin zweierlei.“

„Das Weinfest ...“

Ich richte mich auf, jetzt wird es ernst. Diese Nervensäge macht sich keine Vorstellungen.

Judith kringelt sich vor Lachen auf dem Liegestuhl und prustet los.

„Nein, keine Sorge, wir vertrauen ihr doch keine ernsten Angelegenheiten an!“

Erleichtert schenke ich ihr ein Glas perlenden Rosé ein, einen Pilaho natürlich. Dieser heimische Tropfen mit Himbeergeschmack ist eine echte Versuchung und macht schwer süchtig. Ich gönne mir einen Schluck, dann noch einen, er fließt von ganz alleine, ein wahres Wunder. Es ist erst Mittag und ich pichle wie eine alte Alkoholikerin! Ich muss ein bisschen aufpassen – oder dem Weingut Pellehaut umgehend einen Besuch abstatten, um Vorräte anzulegen.

„Wann ist es denn?“, frage ich, verführt von dem Gedanken an ein solches Fest.

„Wann ist was?“

„Das Weinfest. Du hast gerade gesagt ...“

„Ah ja, am letzten Sonntag im September. Du wirst es bald miterleben, es ist wirklich sehr nett. Mit traditioneller Weinlese in den Weinbergen der Gemeinde. Jeder macht mit. Coco dirigiert das Ganze und sie kann Jeanne nicht ausstehen. Wenn du so weitermachst, wirst du Ehrengast ...“

Judith deutet auf mein Glas, das bereits wieder leer ist. Ich ignoriere ihre Stichelei.

„Hassen sie sich?“

„Ja, nicht umsonst hat sie dir die Szyszkas empfohlen. Sie kann den Betrieb von Laffargue nicht ausstehen. In Bezug auf die Arbeit sind sie trotzdem sehr korrekt, nicht schnell, aber gut.“

Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, von meiner neuen Freundin manipuliert zu werden! Aber ein einziges Lächeln von Filip, der einen Katzensprung entfernt die Fensterläden fertig streicht, versöhnt mich mit meiner Entscheidung. Es war die richtige.

„Aber warum?“, hake ich nach, höchst interessiert daran, in die Geheimnisse des Dorfes eingeweiht zu werden.

Judith beugt sich vertrauensselig zu mir herüber und raunt mir wie eine Tratschtante zu:

„Die düstere Geschichte eines gestohlenen Vespers.“

„Eines Vespers?“

Judith wirft mir einen verräterischen Blick zu. Die Enthüllung naht ...

„Im Kindergarten“, lässt sie allen Ernstes fallen.

Fast verschlucke ich mich an meinem nächsten Schluck Rosé.

Sie beginnt mit mir zu schimpfen. Meine Erheiterung enttäuscht sie, schließlich sprechen wir über gewichtige Dinge.

„Nimm das nicht auf die leichte Schulter. Fünfzig Jahre Feindseligkeit zählen in einem Dorf.“

„Natürlich, so gesehen, fünfzig Jahre Hass über den Gartenzaun ...“

„Voilà“, sagt sie, zufrieden, mich zur Räson gebracht zu haben. „Und das hat sich auch nicht wieder eingerenkt, als Jeanne einen viel jüngeren Mann geheiratet hat.“

„Den Elektriker? David Laffargue?“

„Laffargue ist ihr Name. Das war der Name ihres Vaters, der Beruf des Elektrikers wurde von Generation zu Generation weitergegeben, schon seit der Erfindung der Glühbirne, wenn du so willst.“

Sie kichert.

„Lange Rede, kurzer Sinn, wenn man ihrem Firmenschild glauben darf ..., wobei ich bezweifle, dass Bourguet schon 1880 Elektrizität hatte! Kurzum, der Alte hatte keinen Sohn, aber einen jungen, adretten Lehrling. Als ihr Vater starb, heiratete sie David. Sie hat sich einen jungen Typen geangelt, an dessen Arm sie auf den Markt und in den Gottesdienst spaziert. Und sie genießt es sichtlich, was Coco auf die Palme bringt. Was ihn betrifft, er hat sich ein florierendes Geschäft geangelt, muss aber mit dem Drachen leben. Und mit den Jahren wird es nicht besser. Zumal sie die Fäden bei finanziellen Dingen in der Hand hält. Alles gehört ihr. Aber gut, er hat seine Wahl getroffen. Und außerdem weiß David sich zu trösten, wenn du weißt, was das bedeutet. Er ist sehr gefragt in der Umgebung, er bringt das Licht auf allen Ebenen wieder zum Leuchten.“

„Nein!“

„Doch.“

Nach dieser recht pikanten Andeutung, steckten wir beide unsere Nase wieder ins Glas. Ich wage nicht sie zu fragen, ob sie auch schon in den Genuss des betreffenden Leuchtens gekommen ist. Obwohl ich Judith sehr schätze, kennen wir uns dafür noch nicht gut genug. Ich werde stattdessen mit Coco sprechen, um an die Liste der Kunden des Gigolo-Elektrikers zu kommen.

Wir lassen schweigend ein wenig Zeit verstreichen.

Dieses Dorf ist wirklich faszinierend. In zwanzig Jahren im fünften Pariser Arrondissement habe ich nicht mehr als das Nötigste von meinen Nachbarn erfahren. Und hier dringe ich ohne Mühe gleich bis zu den intimsten Geheimnissen der Bewohner von Bourguet vor. Mein neues Leben gleicht einem Roman. Am Ende sollte ich mir Notizen machen!

Judith streckt ihre Glieder von sich wie eine Katze in der Sonne. Apropos Katze ...

„Meine Katze hat vor zwei Monaten Junge bekommen“, meint sie plötzlich. „Sie kosten mich genauso viel Zeit und Aufmerksamkeit wie die eigene Brut. Die Knirpse sind wenigstens tagsüber in der Schule und lassen mich durchatmen. Mit den Kätzchen ist es anders. Es gibt keine Verschnaufpause! Letzte Woche habe ich sie entwöhnt. Es sind schon fast alle vergeben, aber möchtest du vielleicht eines adoptieren? Ein kleines, vorwitziges Weibchen, das überall hinaufklettert, habe ich noch. Ich bin mir sicher, es würde dir gefallen. Die Kinder gehen mir auf die Nerven, weil sie sie behalten wollen, sie ist wirklich drollig, aber zu viel ist zu viel.“

Mein Herz öffnet sich. Schon immer habe ich davon geträumt, eine Katze zu haben. Aber Romain ist allergisch, also war es unmöglich. Und in Paris in einer Wohnung ist es nicht gerade ideal für ein Haustier.

„Ich denke ja, das täte ich gern. Dieses Haus braucht eine Katze!“

Umgehend stellt sie ihren Rosé ab und schlüpft in ihre weißen Espadrilles.

„Komm, du musst ihre Bekanntschaft machen!

---ENDE DER LESEPROBE---