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Geschichten, die einen das Gruseln lehren, haben eine lange Tradition in der Literatur. Man findet sie bei allen Völkern und in sämtlichen Epochen der Literaturgeschichte. Das Böse, das plötzliche, unerwartete Unheil, das Unerklärliche faszinierten die Menschen aller Jahrhunderte. Heute sind es subtile, psychologische Zusammenhänge, die uns gruseln lassen, nur sollen sie den modernen, aufgeklärten Menschen in erster Linie unterhalten. Je skurriler, je makabrer die Geschichten sind, desto beliebter sind sie bei ihrem Publikum. In dem vorliegenden Buch findet sich eine Auswahl besonders gruseliger Geschichten. Die Figuren sind normale, in ihren Reaktionen genau beobachtete Durchschnittsmenschen, wie etwa ein junges Ehepaar, das in einem Hochhaus wohnt, eine Familie, die ihren Urlaub an der Nordsee verbringt, ein Lehrer, der einen sehr schwierigen Schüler hat. Alltagssituationen also, die überschaubar sind. In dieses normale Leben bricht plötzlich das Übernatürliche ein, das Unfassbare, an das zu glauben sich die Betroffenen zunächst weigern, bis es über sie hereinbricht, sie grausame Weise vernichtet oder im günstigsten Falle verzweifelt zurücklässt.
Neue Geschichten des Grauens von Kult-Autor Diethard van Heese enthält 23 Storys, die sämtlich zu Klassikern der modernen Horror-Literatur aus Deutschland zählen. Besonders populär wurden die Erzählungen Mein Freund, der Blutegel und Gugli hat Geburtstag.
Erstmals im Jahr 1978 erschienen (und 1981 vom Universitas-Verlag neu aufgelegt), veröffentlicht der Apex-Verlag eine durchgesehene Neuausgabe dieses lange Zeit nicht mehr erhältlichen Werkes.
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DIETHARD VAN HEESE
Neue Geschichten
des Grauens
Erzählungen
Apex Horror, Band 39
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Das Puzzle
Die Klaue
Wurzeln des Grauens?
Flächenlandung
Blut für den Regenten
Die Hand meiner Mutter
Der Finger Gottes
Geteiltes Protoplasma
Die Invasion der Ptomantis
Pyromania
Mein Freund, der Blutegel
Gugli hat Geburtstag
Skorpionbiss und Flammenzungen
Teufel, gibt’s die?
Der Bluter
Reise wohin?
Werbung tut not
Die Nadel
Rehlein
Erinnerung an My Lai
Das Grab des letzten Pharaos
Besuch von Phobos drei
Angst macht frei
Geschichten, die einen das Gruseln lehren, haben eine lange Tradition in der Literatur. Man findet sie bei allen Völkern und in sämtlichen Epochen der Literaturgeschichte. Das Böse, das plötzliche, unerwartete Unheil, das Unerklärliche faszinierten die Menschen aller Jahrhunderte. Heute sind es subtile, psychologische Zusammenhänge, die uns gruseln lassen, nur sollen sie den modernen, aufgeklärten Menschen in erster Linie unterhalten. Je skurriler, je makabrer die Geschichten sind, desto beliebter sind sie bei ihrem Publikum. In dem vorliegenden Buch findet sich eine Auswahl besonders gruseliger Geschichten. Die Figuren sind normale, in ihren Reaktionen genau beobachtete Durchschnittsmenschen, wie etwa ein junges Ehepaar, das in einem Hochhaus wohnt, eine Familie, die ihren Urlaub an der Nordsee verbringt, ein Lehrer, der einen sehr schwierigen Schüler hat. Alltagssituationen also, die überschaubar sind. In dieses normale Leben bricht plötzlich das Übernatürliche ein, das Unfassbare, an das zu glauben sich die Betroffenen zunächst weigern, bis es über sie hereinbricht, sie grausame Weise vernichtet oder im günstigsten Falle verzweifelt zurücklässt.
Neue Geschichten des Grauens von Kult-Autor Diethard van Heese enthält 23 Storys, die sämtlich zu Klassikern der modernen Horror-Literatur aus Deutschland zählen. Besonders populär wurden die Erzählungen Mein Freund, der Blutegel und Gugli hat Geburtstag.
Erstmals im Jahr 1978 erschienen (und 1981 vom Universitas-Verlag neu aufgelegt), veröffentlicht der Apex-Verlag eine durchgesehene Neuausgabe dieses lange Zeit nicht mehr erhältlichen Werkes.
Erik war enttäuscht, als er auf dem Gabentisch nichts weiter vorfand als einen Geburtstagskuchen mit zehn brennenden Kerzen und eine große, halb gefüllte Plastiktüte.
Den Tränen nah griff er in die Tüte, und als er darin nichts anderes entdeckte als etwa dreihundert buntbedruckte Pappstücke, zu eigenartig geformt, als dass er damit etwas anzufangen gewusst hätte, ließ er seinen Tränen freien Lauf. Wie konnten ihm seine Eltern so etwas antun! Im letzten Jahr hatte er immerhin ein Fahrrad geschenkt bekommen, ganz zu schweigen von den vielen Kleinigkeiten, mit denen der Tisch überhäuft war. Und diesmal sollte er sich mit albernen Pappdingern zufriedengeben?
Schließlich wischte sich Erik die Tränen ab und packte die Papierstückchen in die Tüte zurück. Dann schlug er mit ihr zweimal wütend auf die Tischplatte, wobei er so fest die Zähne zusammenbiss, dass sie knirschten, und versetzte dem Kuchen mit der Handkante einen Schlag, dass er in zwei Teile auseinanderbrach. Einige Kerzen rollten vom Tisch; zwei brannten noch, als sie den Teppich erreicht hatten. Erik wartete, bis es verbrannt roch und trat dann die rußenden Flammen der Kerzen aus. Zurück blieben zwei schwarze mit Kerzenwachs durchsetzte Flecken auf dem Teppich.
In der Tür erschien Eriks Mutter. »Na«, meinte sie, und Erik merkte, dass sie ein Lachen krampfhaft unterdrückte, »was sagst du zu deinem Geschenk?« Erst jetzt fiel ihr Blick auf den zerdepperten Geburtstagskuchen. Die Brandflecke sah sie kurz darauf.
»Das sage ich zu deiner Pappe«, zischte Erik und drehte seinen Fuß über einer Kerze mehrmals hin und her, bis das zerkrümelnde Wachs den Brandfleck bedeckte. Nun war es Eriks Mutter, der die Tränen kamen.
»Aber es sollte doch ein Scherz sein«, weinte sie, biss sich auf die Oberlippe und fuhr fort: »Oder glaubst du, Papa und ich wären so gemein, dir nur ein Puzzlespiel zum Geburtstag zu schenken?«
Eriks Augen begannen zu leuchten. »Hätt’s mir doch denken können«, krakeelte er, »dass ihr noch etwas in petto habt! Was ist es?« Ungeduldig tippte er mit der Fußspitze gegen den Boden. »Na?«
»Du musst das Puzzle zusammensetzen«, sagte seine Mutter und begann, hin und wieder aufschluchzend, den Teppich von den Resten der Kerzen zu säubern. »Ist es fertig, weißt du es.«
Erik grinste, weil es doch zu komisch aussah, wie seine Mutter vor ihm auf dem Boden herumkroch, steckte sich einen großen Kuchenbrocken in den Mund und schüttete laut schmatzend die Puzzleteile auf den Tisch. »Vergiss nicht, den Tisch sauberzumachen«, knurrte er dann und schnippste einige Krümel durch die Gegend. »Hinterher verarbeite ich noch den halben Kuchen in dem Puzzle.«
»Sofort«, keuchte Mutter. Immer noch liefen ihr Tränen aus den Augen. »Warte, ich hole nur schnell einen Lappen aus der Küche.«
Als sie zurückkehrte, hatte der Junge bereits zwei Teile entdeckt, die zusammenpassten. Der Kuchen lag nicht mehr als solcher erkennbar auf dem Teppich. »Brauchst deinen albernen Lappen nicht mehr«, sagte Erik. »Und nun verschwinde, um so früher werde ich fertig mit dem Mist.«
»Ja«, schluckte seine Mutter und schloss leise die Tür hinter sich.
Immer ungeduldiger wurde Erik. Hatte es zunächst so ausgesehen, als ob er bald alle Teile zu einem Ganzen zusammengesetzt haben würde, so schienen ihn nun die einzelnen Pappstücke ärgern zu wollen. Ein Drittel des Bildes war fertig, jedoch konnte er noch nicht erkennen, was es darstellte. Links war nichts weiter zu sehen als eine weiße Fläche, die von schwarzen Linien durchzogen war. Daran anschließend befanden sich sinnverwirrende braune und gelbe Flecken, unregelmäßig geformt, sich nach rechts hin verdichtend. Eine elektrische Eisenbahn konnte es schon mal nicht ergeben. Auch kein ferngelenktes Flugzeug, wie er es sich schon so lange gewünscht hatte.
Schließlich zwang er sich zur Ruhe und ordnete die einzelnen Bruchstücke nach Farben. Eine Handvoll hatte weitere gelbe und braune Tupfer auf grauem Untergrund. Nach einer Weile hatte er sie zusammengefügt und schob die beiden Bildsegmente lückenlos ineinander.
Etwa die Hälfte des Puzzles hatte er nun fertig. Doch es war immer noch nicht zu erkennen, was es darstellte. Nicht einmal einem modernen Gemälde glich das Ganze, höchstens dem Geschmiere eines ausgelassenen Schimpansen. Vielleicht nimmt das Bild eine falsche Position ein, dachte Erik. Er ging langsam um den Tisch herum. Der helle Rand könnte ein bedeckter Himmel sein, von irgendwelchen Strom- oder Telegrafenleitungen durchzogen. Und dieses gelbbraune Gewaber... Aber nein, es gab nichts, das gelb und braun gefärbt vom Himmel fiel.
Erik schaute sich die übrigen Teile genauer an. Hier und da erkannte er etwas, das klarere, nicht ganz so verwaschen wirkende Formen aufwies. Auf einem Puzzleteil fand er sogar ein Gesicht, auf anderen offensichtliche Fragmente von Fenstern und Mauerwerk. Dann eine Katze, der der Schwanz fehlte. Blumen. Wollten ihm seine Eltern etwa ein Häuschen schenken? Eine Katze? Einen Strauß Blumen?
Er starrte noch einmal auf das Gesicht. Ähnelte es nicht dem seinen? Fieberhaft suchte er nach Teilen, auf denen Gliedmaßen, ein menschlicher Körper abgebildet waren. Aber er fand nichts in dieser Richtung. Dann versuchte er Teile aufzuspüren, die an das Puzzlestück mit dem Gesicht passten. Endlich hatte er zwei entdeckt und verband sie mit dem Gesicht.
Kein Wunder, dass er sonst nichts gefunden hatte, aus dem er einen Menschen hätte zusammensetzen können. Denn das Gesicht gehörte ohne Zweifel zu einem Kopf, der fein säuberlich von einem nicht zu entdeckenden Rumpf getrennt worden war. Er lag in einem Korb, und aus der Schnittfläche am Hals sickerte Blut! Der rote Lebenssaft färbte ein Fallbeil, zog eine breite Spur über den Fuß einer Guillotine und bildete auf dem Kopfsteinpflaster einen kleinen See. »Hübsch«, freute sich Erik. Plötzlich erwachte in ihm so etwas wie Idealismus. Dass er etwas zusammensetzen wollte, das auf ein Geschenk hinwies, war ihm fast entfallen.
Er schöpfte neuen Mut.
Wenige Minuten später hatte er weitere Puzzleteile entdeckt, mit deren Hilfe er eine Verbindung zu dem bereits fertiggestellten Fragment herstellen konnte. Dann schienen sich die verbliebenen Teile wie von selbst zusammenzusetzen. Es dauerte nicht lange und Erik hatte es geschafft.
Das Bild zeigte einen Marktplatz. In seiner Mitte befand sich die Guillotine, davor der Korb mit dem abgetrennten Kopf. Das, was er zu Beginn für nichtssagende braune und gelbe Flecken gehalten hatte, waren Schaulustige, die die Szene bevölkerten. Im rechten Vordergrund des Bildes verdeckte ein Fachwerkhaus die Menge. Blumenkästen hingen vor den Fenstern; auf dem Dachfirst kroch eine Katze. Aber etwas stimmte nicht auf dem Bild, passte nicht hinein, bedeutete einen Anachronismus. Erik musste nicht lange nachdenken, bis er dahinterstieg.
Auf dem Dach des Hauses befand sich eine Fernsehantenne. Das, was er zunächst für Leitungen gehalten hatte, waren Reflektoren, die wie ein gigantisches, grotesk anmutendes Spinnengewebe aussahen. Erik runzelte die Stirn. Wollten ihn seine Eltern verulken? Nahmen sie an, er wäre so dumm, um nicht zu merken, dass eine Fernsehantenne nicht zu einer Enthauptungsszene passte? Oder...
Erik musste plötzlich grinsen - gab es heute noch Länder, in denen Verbrecher geköpft wurden?
»Gefällt’s dir, mein Junge?« ließ ihn die Stimme seines Vaters erschrocken herumfahren. »Ahnst du schon, was wir dir schenken?«
Eriks Stimme klang belegt, als er antwortete: »Eine Fernsehantenne?« Er schaute noch einmal auf das Bild. »Was soll ich mit einer Antenne?«
»Richtig«, sagte Vater. »Was solltest du schon mit einer Antenne anfangen, nicht wahr? Na, kommst du immer noch nicht drauf?«
Erik schüttelte den Kopf. Er war nahe daran, seinem Vater einen Boxhieb zu erteilen. Ob er dieses alberne Puzzle wohl besorgt hatte? Oder seine Mutter, die alte Quengeltante?
»Nun?«
»Eine Guillotine?«, hauchte Erik.
Warum sagte denn Vater nun nichts mehr? Hatte er etwa die Brandflecke im Teppich entdeckt? Würde er es wagen, ihn dafür auszuschimpfen? Erik drehte sich um.
»Richtig«, sagte sein Vater. Halb hinter ihm versteckt stand Mutter. »Richtig, für dich das Beil, mein Sohn!« Und damit fuhr seine Rechte herab, und Erik fühlte, wie etwas in seinen Hals fuhr.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Erik!«, hörte er von weit her die Stimme seiner Mutter. »Nun, du Langschläfer, willst du nicht schauen, was dir der Geburtstagsmann gebracht hat?«
Erik öffnete die Augen, sah, wie seine Mutter strahlte.
Er seufzte und ließ sich von ihr einen Kuss geben. »Habe schrecklich geträumt«, sagte er. »Ganz schauderhaftes Zeug.« Aber dann war er doch zu neugierig, was er geschenkt bekommen hatte, und er sprang aus dem Bett.
Als er die Tür zum Wohnzimmer öffnen wollte, knallte hinter ihm die Haustür ins Schloss. »Endlich ausgeschlafen?«, fragte sein Vater. Erik zuckte zusammen, als er in seiner Hand ein Beil entdeckte. »Herzlichen Glückwunsch!«, sagte Vater und kam näher. Erik trat zwei Schritte zurück, bis die Wand ihm den weiteren Fluchtweg abschnitt. »Aber, aber«, lachte Vater und war ihm nun so nahe, dass er seinen Atem spüren konnte, »hast du etwa Angst vor mir, weil ich ein Beil in der Hand habe?« Erik sah, dass es voller Blut war, schlug abwehrbereit die Hände über den Kopf und sank an der Wand nach unten. »Habe doch bloß ein Huhn geschlachtet«, sagte Vater und ergriff ihn am Arm. »Aber nun komm! Schau dir dein Geschenk an!«
Er zog den Jungen ins Wohnzimmer. Zehn Kerzen brannten dort auf einem Geburtstagskuchen. Daneben lag eine Plastiktüte.
Wie in Trance begann Erik die Puzzleteile zusammenzusetzen...
Die Dunkelheit vor ihnen erschien Klaus wie eine poröse Wand, in die sich der Wagen mit Hilfe seiner Scheinwerfer weiter und weiter hineinbohrte. Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe, voller Wut, mit schweren Tropfen, kleinen Geschossen gleich. Die Scheibenwischer mit ihren spröden Gummikanten waren dem Ansturm des sintflutartigen Schauers nicht gewachsen. Sie wischten die Nässe nicht fort, sondern schlugen hilflos durch einen prasselnden See, der das ab und zu auftauchende Scheinwerferlicht entgegenkommender Fahrzeuge zu blendenden Reflexen zersprenkelte.
»Wie weit ist es denn noch bis zur Klinik?«, fragte Cornelia mit brüchiger Stimme. »Ich glaube, ich bekomme wieder einen Anfall.« Sie schluckte schwer und fuhr dann wimmernd fort: »Vielleicht war der Ausflug zu viel für mich. Eine Kranke wie ich sollte eben besser im Bett bleiben.«
»Aber es ist eine offene Klinik«, warf Klaus ein. »Und Doktor Chemnitz hatte keine Bedenken, dass du mal einen Tag außerhalb des Krankenhausbetriebes verbringst.«
»Doktor Chemnitz, Doktor Chemnitz!« gab sie - nunmehr zornig - zurück. »Was weiß er schon von diesen schrecklichen Anfällen! Er ist doch längst am Ende seines Lateins angelangt. Acht Wochen lang beißen sich bereits die Ärzte die Zähne aus, um zu einer exakten Diagnose zu kommen. Inzwischen hat man mir so oft Blut abgenommen, dass meine Arme zerstochen sind wie die eines Rauschgiftsüchtigen. Mit dem Papier, auf das man meine Gehirnstromkurven aufzeichnete, könnte man bereits ein Lagerfeuer veranstalten.«
»Aber man hat deine Krankheit doch diagnostiziert«, sagte er, bereits müde geworden, sich immer und immer wieder auf derartige Diskussionen einzulassen. »Du leidest an epileptischen Anfällen.«
»Unsinn!«, zischte ihn Cornelia an. »Epileptische Anfälle! Wenn ich das schon höre!« Plötzlich brach ihre Stimme und im nettesten Tonfall fuhr sie fort: »Ich bin nicht krank. Wirklich nicht. Es ist die Klaue, diese widerwärtige Klaue in meinem Kopf. Sonst nichts.«
Klaus stöhnte, aber nicht nur, weil er auf die letzte Bemerkung Cornelias nichts mehr zu entgegnen wusste, sondern auch, weil er kaum noch die Fahrbahn vor sich erkennen konnte.
»Ich bitte dich«, seufzte er schließlich. »Versuche wenigstens zu schweigen, bis wir die Klinik erreicht haben. Vielleicht bringst du es sogar fertig, bis dahin deinen Anfall zu unterdrücken.«
»Anfälle - pah!«, geiferte Cornelia. »Ich bin weder Epileptikerin noch verrückt, hörst du? Es ist die Klaue, sonst nichts! Und jetzt beginnt sie mich wieder zu quälen. Fahr zu! Die Ärzte sollen endlich einmal mitbekommen, wie sehr sie mich peinigt.«
Plötzlich nahm er wieder den eigentümlichen Schweißgeruch wahr, mit dem sich jeder ihrer Anfälle ankündigte.
»Fahr! Fahr!«, schrie sie. »Oh, mein Gott, wie weit ist’s denn noch bis zur Klinik! Ich habe Angst, scheußliche Angst! Die Klaue - sie rührt bereits bei mir im Kopf herum. Gleich wird sie sich wieder um mein Gehirn, um meinen Verstand legen.«
Aura hatte Doktor Chemnitz die seltsamen Sinnesempfindungen genannt, mit denen sich der eigentliche Anfall ankündigte. Manche Epileptiker empfanden als Vorboten Geruchssensationen, andere wiederum hatten in der Aura das Gefühl anzuschwellen, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen oder von einem warmen Wind angehaucht zu werden. Cornelias Aura bestand eben darin, dass sie in ihrem Kopf eine Klaue spürte. Eines hatten jedoch alle Epileptiker gemeinsam: Dass vor dem Grand mal eigentümlich riechende Schweißabsonderungen auftraten.
Klaus öffnete das Seitenfenster einen Spaltbreit und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, dass bald die Klinik vor ihnen auftauchen möge. Nasser, kalter Staub sprühte in sein Gesicht. Cornelia griff nach seiner Hand, riss sie vom Steuerrad. Ihre Stimme bestand jetzt nur noch aus lallend hervorgestoßenen, kaum mehr verständlichen Worten: »Je-hetzt! Es be-eginnt! Ha-halt an! Die Klaue... A-ha-anhalten!«
Er ahnte, dass es diesmal noch schlimmer werden würde. Einen kurzen schreckensvollen Moment lang glaubte er, ihr Anfall würde auch ihn überkommen.
Als Klaus rechts heranfuhr und den Motor abstellte, kamen keine menschenähnlichen Laute mehr über ihre Lippen. Er fühlte sich so hilflos, so schrecklich ohnmächtig, denn er wusste, dass er nichts für sie tun konnte.
Nein, er konnte sie nicht umarmen, sie nicht an sich drücken, sie nicht trösten. Denn der Krampf bog ihren Leib zu einer weit nach oben gewölbten Brücke, wobei ihr Kopf mit den heraustretenden Arterien und bis zum Zerreißen angespannten Halsmuskeln über die Rückenlehne nach hinten hing. Ihr Bauch schien sich gegen den Wagenhimmel drücken zu wollen, die Knie stemmten sich knirschend gegen das Handschuhfach. Wie bei einem tetanischen Anfall bekam ihr Gesicht diesmal sogar etwas Sardonisches. Ihre Lippen entblößten schaumumspülte Zähne; die Augen wurden zu weißen, halbwegs aus ihren Höhlen tretenden Kugeln.
Und dann geschah’s.
Plötzlich artikulierten sich die lallenden, gurgelnden Laute, die sie hervorsprudelte, zu klar verständlichen Worten, was noch niemals zuvor während ihrer Anfälle geschehen war. Sie ergaben einen unheimlichen, unfassbaren, entsetzlichen Sinn.
»Sie packt zu, die kleine Klaue«, kam es von ihren konvulsivisch zuckenden Lippen. »Diesmal noch kraftvoller als sonst. Zerquetscht mir das Gehirn, raubt mir den Verstand. Bin nicht krank, nein, nicht krank. Packt mich, wringt mein Gehirn aus wie ein nasses Handtuch. Hilf mir, so hilf mir doch - um Himmels willen!«
Der Deckel des Handschuhfachs zersplitterte unter dem Druck ihrer Knie. Gleichzeitig begann der Wagen, vom Sturm gepackt, hin- und herzuschaukeln. Das Trommeln des Regens auf dem Wagendach, Cornelias nunmehr martialisch klingende Schreie, das heftige Wanken des Fahrzeugs und die Untätigkeit, zu der Klaus verdammt war, ließen ihn bis ins Mark erbeben. Plötzlich hatte er die beklemmende Gewissheit, bald selbst verrückt zu werden.
Er schlug die Hände über den Kopf, wünschte sich weit fort, irgendwohin, wo es still und licht wäre.
»Gehirn zerfließt«, konnte er jedoch nicht dem Grauen entfliehen. »Zerfließt und quillt zwischen den zupackenden Gliedern der Klaue hindurch. Bahnt sich nun einen Weg ins Freie... ins Freie... frei...« Damit erstarb ihre Stimme, und er drehte sich um. Nahm, wie unter einem unheimlichen Zwang stehend, die Hände von seinem Gesicht fort und sah das Schreckliche, ohne seine Bedeutung zu erahnen.
Sah, wie ihren weit geöffneten Nasenlöchern zunächst zwei erbsengroße Blasen entquollen. Sah, wie sie zerplatzten und einen widerwärtigen, zäh fließenden Schleim nach sich zogen.
Sah, wie kurz darauf ein dunkler Schwall aus ihrer Nase schoss und Fäden ziehend, auf das Polster troff.
Der Geruch süßen Blutes ließ ihn würgen. Doch gleichzeitig lähmte ihn das grässliche Geschehen derart, dass sich sein Magen, der nach Entleerung schrie, nicht mehr heben konnte.
Und dann vernahm er nur noch das Hämmern des Regens auf dem Wagendach. Cornelia hing schlaff im Polster des Beifahrersitzes, ihren schleim- und blutbesudelten Kopf zur Seite geneigt, die Hände in ihrem Schoß ruhend.
Ihr Anfall war vorüber.
Es war ihr letzter.
»Sehen Sie«, sagte Doktor Chemnitz, »es gibt kaum eine Krankheit, die in so vielfältiger Weise auftreten kann wie die Epilepsia. Und es gibt nur wenige Erkrankungen, die uns Mediziner immer noch vor solche Rätsel stellt wie ein cerebrales Anfallsleiden.« Der Arzt senkte den Kopf, als schämte er sich ob dieser Eröffnung, und betrachtete eine Zeitlang aufmerksam seine Fingernägel. »Tja«, fuhr er dann fort und schaute Klaus aus traurigen Augen an, »wir unterscheiden beim sogenannten Grand mal, der eigentlichen Fallsucht, hauptsächlich zwei Arten. Die genuine, erbliche Epilepsie, die zumeist zwischen der Pubertät und dem zwanzigsten Lebensjahr beginnt, und die sogenannte symptomatische Epilepsie, für deren Entstehung in den meisten Fällen eine Hirnschädigung in Frage kommt. Wir vermuten, dass Ihre Frau - nun ja - an der symptomatischen Fallsucht litt, dass sie sich also irgendwann eine Hirnschädigung zugezogen hat, vielleicht auch...«
»Pardon«, unterbrach Klaus den Arzt, »meine Frau war bis zu ihrem ersten Anfall vor etwa drei Monaten sowohl körperlich als auch geistig völlig gesund. Sie war keine Trinkerin und ist niemals von der Leiter gefallen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es gibt rein gar nichts, was ihr eine Hirnschädigung eingebracht haben könnte.«
Einen Augenblick lang verschwand der traurige Ausdruck im Gesicht des Arztes und machte pfiffiger Aufmerksamkeit Platz. »Sie haben Ihre Gattin niemals geschlagen?«, fragte er. Klaus sprang empört auf.
»Wollen Sie etwa damit sagen, ich hätte meiner Frau eine Hirnverletzung beigebracht?«, fuhr er Doktor Chemnitz an. Er merkte, wie ihm vor Zorn die Halsarterien anschwollen.
Natürlich - ab und zu war ihm mal die Hand ausgerutscht, wenn sie wieder mal heimlich an seine Brieftasche gegangen war, um sich Geld für ihre modischen Eskapaden auszuborgen. Oder wenn sie, wie es oftmals geschehen war, die Pille vergessen hatte. Aber niemals hatte er so fest zugeschlagen, dass sie sich dadurch eine ernsthafte Krankheit hätte zuziehen können.
»Nun nehmen Sie mal wieder Platz«, versuchte der Arzt Klaus zu beruhigen. »Es können ja auch Intoxikationen, irgendwelche Gifte, zum Ausbruch der Epilepsie geführt haben.«
»Wie gesagt, meine Frau trank nicht.«
»Es gibt noch andere Gifte als Alkohol«, erwiderte der Arzt. »Hat Ihre Gattin Beruhigungsmittel, Schlaftabletten - etwas in dieser Richtung - in höheren Dosen eingenommen?«
»Nicht, dass ich wüsste«, seufzte Klaus. Von irgendwoher kam ein animalisch klingendes Brüllen. Es ähnelte dem, welches Cornelia kurz vor ihrem Tod ausgestoßen hatte. Doktor Chemnitz zuckte mit den Achseln.
»Einer unserer Heroinpatienten«, erklärte er lakonisch und fuhr sich mit dem Zeigefinger nachdenklich über die Unterlippe. »Zurück zu Ihrer Frau - halten Sie es nicht doch für möglich, dass sie irgendwelche Drogen, Tabletten...«
»Ich halte es nicht für möglich«, fiel ihm Klaus ins Wort.
»Hmmh«, machte der Arzt, sah Klaus einige Sekunden lang schweigend an und griff dann zu einer neben ihm auf dem Schreibtisch liegenden Mappe. Er öffnete sie und hielt ihm eine Röntgenaufnahme vor die Nase.
Zunächst sah er nur konturenarme graue Flächen, Schatten verschiedener Nuancierung. Dann glaubte er etwas zu erkennen, das einem Fötus glich, Kopf, Beine, alles eigentümlich ineinander gerollt, Schutz suchend und Geborgenheit.
Es war ein Fötus.
»Sie hat Ihnen nicht erzählt, dass sie schwanger war - oder?«, fragte Doktor Chemnitz. »Sie war’s, wie Ihnen die Aufnahme zeigt. Im vierten Monat.«
Klaus ließ das Röntgenbild sinken und starrte den Arzt an. Sein Herz schlug plötzlich wie toll gegen seinen Brustkorb und hinderte ihn am Sprechen.
»Sie hatte Angst vor Ihnen«, fuhr der Arzt fort. »Angst, dass Sie sie wieder schlagen würden. Sie hatte die Pille vergessen, verstehen Sie? Natürlich rieten wir ihr zum Schwangerschaftsabbruch, zumal...« Doktor Chemnitz schwieg einen Moment lang, als müsste er sich sammeln, bevor er das Ungeheuerliche aussprach. »...zumal nicht nur sie krank war, sondern auch die Frucht in ihrem Leib.«
Klaus schaute erneut auf die Röntgenaufnahme, sah genau hin. Fühlte, wie etwas seine Kehle zuzudrücken begann, als er erkannte, dass das Kind, welches mit Cornelia zusammen gestorben war, vielleicht niemals ein wirklich glückliches Leben hätte führen können. Oh, mein Gott! dachte er, warum wollte sie bloß nicht auf den Rat der Ärzte hören? Hatte sie einer - Missgeburt das Leben schenken wollen?
»Sie verstehen jetzt, warum wir annehmen, dass Ihre Frau Drogen eingenommen hat, bevor sie zu uns in die psychiatrische Klinik kam, nicht wahr?«, fragte Doktor Chemnitz.
»Ja«, brachte Klaus nur noch ein Hauchen zustande.
»Dann werden Sie auch verstehen, dass das Mittel, das sie offensichtlich eingenommen hat, auch durchaus zu einer Gehirnschädigung mit nachfolgenden epileptischen Anfällen geführt haben könnte - oder?«
»Ja, ja, ja!«, brach es aus ihm heraus. »Aber woran ist sie denn nun tatsächlich gestorben? Ist sie verblutet?«
»Sie starb, indem sie sich durch heftigste Anspannung ihrer Muskulatur das Genick brach«, erklärte Doktor Chemnitz. »Zugegeben - der Blutsturz ist ungewöhnlich. Doch die Obduktion, die gerade durchgeführt wird, mag dieses Rätsel lösen.«
Bestimmt, dachte Klaus und schaute noch einmal auf die Röntgenaufnahme.
Auf der etwas fehlte.
Das zweite klauenförmige Händchen...
Als man mich vor langer Zeit als den ersten Astronauten, der seinen Fuß auf die Mars-Oberfläche setzte, nach meinem eindrucksvollsten Erlebnis fragte, da antwortete ich: »Der Sonnenaufgang über dem Mars.«
Wenn man mich heute fragt, welches das unheimlichste Ereignis war, mit dem ich während meiner dreißigjährigen Dienstzeit in der Weite des Alls konfrontiert wurde, so ist meine Antwort: »Die Begegnung mit den Jrubs.«
Ich will Ihnen erzählen, was es mit den Jrubs auf sich hat. - Ich beginne meine Erzählung dort, wo die Berichte der Zeitungen und Video-Aufzeichnungen aufgrund einer Nachrichtensperre endeten.
»Es ist eigenartig«, sagte Commander Brunswick und starrte auf den gelblich glühenden Sonnenball des Alpha- Centauri-Systems. »Wir wissen zwar alle, dass wir weit über vierzig Billionen Kilometer von der Heimat entfernt sind, aber es gibt nicht einen Mann in der Mannschaft der SUNBEAM - mich nicht ausgeschlossen -, der begreifen kann, dass wir diese ungeheure Strecke innerhalb von vier Tagen zurückgelegt haben sollen.«
»Der SLASER-Antrieb der SUNBEAM nimmt eben keine Rücksicht auf die traditionelle Raum-Zeit-Empfindung«, entgegnete ich. »Es wird eine Weile dauern, bis wir uns an die neuen Gegebenheiten gewöhnt haben.«
»Sie haben recht, Redstone«, seufzte Commander Brunswick. »In zwei, drei Jahren wird auch der Sprung zu den Sternen zur Routine gehören. Und dann...«
»Commander!« klirrte in diesem Moment die Membrane der Multiphonanlage über unseren Köpfen. »Ted Swan hat’s diesmal erwischt. Er entwickelt Kräfte wie der vierschwänzige Drache vom Ganymed. Was sollen wir tun?«
»Wir kommen«, entgegnete Brunswick und warf mir einen bekümmerten Blick zu. »Versucht ihm erst einmal vom Halse zu bleiben. Lasst ihn ruhig toben und schließt die Kabinentür hinter ihm.«
Dann waren wir draußen auf dem Gang.
»Das ist nun der vierte Fall von Raumkoller«, keuchte ich hinter Brunswick her. »Wird Zeit, dass wir endlich wieder festen Boden unter die Füße bekommen.«
Der vierte Planet des Systems hatte jedoch weicheren Boden, als uns lieb sein konnte. Dafür war er der einzige Planet dieses dreisonnigen Systems, der eine Sauerstoffatmosphäre besaß.
»Und jetzt benötigen wir nur noch einen Namen für dieses weiche Schlamassel«, sagte Brunswick, nachdem wir gelandet waren und sich die SUNBEAM fast vier Meter tief in die schlammige Oberfläche gebohrt hatte. »Wie wär’s mit Moorhen, also Sumpfhuhn?«
Keiner wagte es, dem Commander zu widersprechen.
Und so hatten annähernd fünf Trillionen Tonnen Materie innerhalb weniger Sekunden einen Namen erhalten.
Moorhen war von der gelben Hauptsonne etwa doppelt so weit entfernt wie Terra von Sol. Trotzdem betrug die durchschnittliche Tagestemperatur auf diesem Planeten immerhin zwölf Grad Celsius.
Wir blieben vierzehn Stunden lang in Warteposition, bis die Bordpositronik der SUNBEAM sämtliche Werte über die genaue Zusammensetzung der Atmosphäre, Strahlungsaktivität, Schwerkraft, Bodenstruktur und weitere Daten erfasst und analysiert hatte.
Schließlich stand fest, dass wir eine erste Exkursion in die nähere Umgebung der SUNBEAM wagen konnten, ohne befürchten zu müssen, von irgendwelchen geheimnisvollen Strahlen verseucht oder von dem morastigen Boden verschlungen zu werden. Ein mit der Positronik gekoppelter Bioanalysator hatte festgestellt, dass es in dem Schlamm Moorhens ein dichtes Geflecht von Wurzeln gab, die dem vergleichsweise geringen Gewicht eines Menschen genügend Widerstand boten, um ihn nicht allzu weit einsinken zu lassen.
Es war wundervoll, endlich wieder natürliche Luft zu atmen. - Commander Brunswick war der erste von uns, der seinen Fuß auf Moorhen setzte. Und dann folgten nacheinander Clarence Power, Stan Goldman, Ted Swan, dessen Anfall von Raumkoller vergessen war, und meine Wenigkeit. Wir ließen die SUNBEAM schnell hinter uns und hielten auf eine etwa eine Meile entfernte Baumgruppe zu, als Brunswick noch einmal seine Order wiederholte.
»Nichts anfassen, nichts mitnehmen, zusammenbleiben!«, brüllte er, »Wir wissen nicht, was uns auf Moorhen erwartet. Der Bioanalysator hat zwar behauptet, dass sich in diesem Matsch nichts bewegt, das uns gefährlich werden könnte, aber vielleicht erwacht hier und da etwas zum Leben, wenn es den Schweiß eurer Plattfüße wahrnimmt.«
Power, Goldman und ich nickten gehorsam. Nur Ted Swan machte ein Gesicht, als könne er es gar nicht mehr erwarten, Brunswick bei der nächsten sich ihm bietenden Gelegenheit über sein ausgestrecktes Bein in den Schlamm stolpern zu lassen.
Obwohl die Landschaft bis auf einige Mulden flach war und nur aus wenigen Baumgruppen mit grünen Rinden bestand, wirkte alles beunruhigend, so, als lauere irgendwo ein zum Sprung bereites Ungeheuer auf uns.
Schließlich gab ich dem Licht die Schuld daran, dass mir ständig eisige Schauer den Rücken hinabliefen. Ich bemerkte, dass jeder von uns drei verschieden lange und verschieden intensive Schatten warf. Außerdem missfielen mir die Farben, die das Licht der drei Sonnen über uns erzeugte. Das Braun des morastigen und von einem schier endlosen Wurzelgeflecht durchzogenen Bodens war zu rotstichig, und das kräftige Grün der Baumstämme wirkte grotesk und unheimlich zugleich. Auch die Blätter der Bäume wirkten unecht. Sie funkelten in einem wässrigen Blau, über das ab und zu - einer Welle gleich - ein opalisierendes Glühen waberte.
Plötzlich schrie Ted Swan auf und versank bis über die Knie im Morast.
»Scheint so, als mögen die Wurzeln Sie nicht«, sagte Brunswick, als wir fluchend und keuchend damit begonnen hatten, Ted aus dem Schlammloch zu ziehen. »Uns tragen sie, aber Mister Swan scheinen sie zu sich hinabziehen zu wollen.«
»Doch wohl eher ein Zeichen, dass die Wurzeln mich besonders mögen«, gab Ted Swan zischend zurück. »Euch stoßen sie ab. Deshalb sinkt ihr nur knöcheltief ein.«
Kurz darauf fiel mir auf, dass sich um seinen linken Fuß eine zusammen mit ihm aus dem Boden gerissene Wurzel geschlungen hatte. Als ich bald darauf auf Teds Stiefel sah, war das Wurzelsegment verschwunden.
Endlich hatten wir die nächste Baumgruppe erreicht. Sie bestand aus etwa einem Dutzend annähernd fünfzig Fuß hohen Exemplaren, deren blaue Laubkronen im leichten Wind eigenartig schepperten, als bestünden die einzelnen Blätter aus kleinen Holzscheiben. Die Blattkronen bildeten ein derartig dichtes Dach, dass sie trotz dreier Sonnen einen völlig schwarzen Schatten warfen.
»Unheimlich«, hauchte Clarence Power und berührte einen der grünen, wie von innen heraus glühenden Stämme. »Woher nehmen die Bäume die Energie, wie Glühbirnen zu leuchten?«
»Nichts anfassen«, wurde er sofort von Brunswick angeschnauzt. Clarence’ Hand fuhr zurück. »Und stellen Sie nicht so dumme Fragen. Die Stämme besitzen selbstverständlich keine Energie mehr. Wenn Sie genauer hingeschaut hätten, würden Sie erkannt haben, dass wir es
auf Moorhen mit versteinerten Wäldern zu tun haben. Das, was dort so eigenartig glimmt, ist nichts anderes als Lumineszenz, also die Eigenschaft, das ultraviolette Licht, das durch die Baumkronen dringt, zu längerwelligem und somit sichtbarem Licht umzuwandeln. Kapiert?«
»Versteinert«, hauchte Clarence Power ergriffen. »Wie lange mögen sie bereits diese Struktur besitzen?«
»Nach Angaben des Bioanalysators sind die Bäume seit etwa einhunderttausend Jahren tot«, erklärte der Commander. »Es scheint, als ob sie damals ganz plötzlich keine Nahrung mehr gehabt hätten.«
»Keine Nahrung?«, fragte ich ungläubig. »Bei diesem feuchten, so fruchtbar scheinenden Boden?«
»Richtig«, gab Brunswick zurück und schaute an einem der Stämme empor, so dass seine Halswirbel knackten. »Und das außerdem noch bei einem Wurzelgeflecht, das den ganzen Planeten durchzieht!«
»Was?«, stieß Ted Swan aus. »Dieses knollengittrige Zeug im Schlamm sind die Wurzeln dieser versteinerten Bäume?«
Commander Brunswick schaute uns seltsam an. Dann ließ er die Bombe platzen, dieser Geheimniskrämer: »Der Bioanalysator hat noch etwas festgestellt, meine Herren. Die Wurzeln haben niemals dazu gedient, Wasser und Nährstoffe aus dem Boden zu ziehen. Stattdessen haben sie etwas anderes vermocht. Nämlich wie ein gigantisches Verdauungssystem den Stoffwechsel für die Bäume zu bewirken. Mit anderen Worten: das, was wir hier mit Wurzeln bezeichnen, war in Wirklichkeit einmal ein
monströses, fleischverarbeitendes Darmsystem. Allerdings wissen wir noch nicht, wessen Fleisch dazu gedient hat, Bäume in diesen verfluchten Himmel wachsen zu lassen.«
Ob wir es jemals erfahren sollten?