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Paul-Philipp Hanske

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Beschreibung

Ende der siebziger Jahre zeigte sich Albert Hofmann schwer enttäuscht vom Schicksal der von ihm entdeckten »Wunderdroge«: LSD – mein Sorgenkind lautete der Titel des damals erschienenen Erinnerungsbuchs. Hatte man die Substanz noch in den sechziger Jahren als Königsweg zur Erkundung der Psyche gefeiert, folgte bald der Rückschlag: Halluzinogene wurden flächendeckend verboten, ein Effekt des »War on Drugs«. Heute scheint das Tabu zu bröckeln: Weltweit wird über die Legalisierung von Marihuana diskutiert; junge Menschen pilgern an den Amazonas, um sich mit Ayahuasca auf Jenseitsreise zu begeben; Mediziner erforschen das therapeutische Potenzial von MDMA oder der Pilzdroge Psilocybin; selbst im Mainstream-Kino wird an den Pforten der Wahrnehmung gerüttelt. Die Autoren beleuchten die Renaissance des Psychedelischen aus unterschiedlichen Perspektiven, sprechen mit Hirnforschern, Usern und Juristen. Sie befassen sich mit dem Menschheitsthema Rausch und erklären, warum ihm kein Verbot einen Riegel vorschieben wird.

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Ende der siebziger Jahre zeigte sich Albert Hofmann schwer enttäuscht vom Schicksal der von ihm entdeckten »Wunderdroge«: LSD – mein Sorgenkind lautete der Titel des damals erschienenen Erinnerungsbuchs. Hatte man die Substanz noch in den sechziger Jahren als Königsweg zur Erkundung der Psyche gefeiert, folgte bald der Rückschlag: Halluzinogene wurden flächendeckend verboten, ein Effekt des »War on Drugs«.

 Heute scheint das Tabu zu bröckeln: Weltweit wird über die Legalisierung von Marihuana diskutiert; junge Menschen pilgern an den Amazonas, um sich mit Ayahuasca auf Jenseitsreise zu begeben; Mediziner erforschen das therapeutische Potenzial von MDMA oder der Pilzdroge Psilocybin; selbst im Mainstream-Kino wird an den Pforten der Wahrnehmung gerüttelt.

 Die Autoren beleuchten die Renaissance des Psychedelischen aus unterschiedlichen Perspektiven, sprechen mit Hirnforschern, Usern und Juristen. Sie befassen sich mit dem Menschheitsthema Rausch und erklären, warum ihm kein Verbot einen Riegel vorschieben wird.

Paul-Philipp Hanske, geboren 1975, lebt als Journalist und Autor in München. Er schreibt u. ‌a. für die Süddeutsche Zeitung, Neon und Geo.

Benedikt Sarreiter, geboren 1976, lebt als Journalist und Autor in München. Er schreibt u. ‌a. für das Magazin der

Paul-Philipp Hanske/Benedikt Sarreiter

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2015

© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil desWerkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlagabbildung: Ciborium emesis, Acryl auf Leinwand, 60 cm × 80 cm, 2008, © James Roper

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-74043-9

Inhalt

Warum wir über Drogen reden müssen

Zeit für gute Nachrichten

Ein aussichtsloser Krieg

Der reine Rausch

Eine Geschichte mit Unterbrechung

Was wirkt? Von kalten Kräutern und partiellen Serotonin-Agonisten

Eine stinkende Salbe

Chemischer Wahnsinn

Serotonin und andere Rätsel

Schaufenster ins Gehirn

Welche Realität?

»Aus einem ontologischen Schlaf erwacht« – Eine kurze Geschichte der Psychedelika in den 1950er und 1960er Jahren

Dubiose Pilze

»Man lernt zu sterben auf LSD« – Wiedergeburt in Hollywood

Psychedelische Kriegsführung – LSD als Waffe

Und alles wurde grün – Das Edgewood Arsenal

»Wie Menschen jederzeit verrückt gemacht werden können« – MK Ultra

»Sie sind für die Gesellschaft und für sich verloren« – Die Gegenkultur

Vertrauen in Kapseln – MDMA

Rachels Hoffnung

Aus dem Behandlungszimmer auf die Straße

Gegen die Prohibition

Eine neue Epidemie?

Das Hirn neu verkabeln

Der Plan

Jede Stunde einer – Das Veteranen-Problem

»Sie lehrten uns töten, nicht leben« – Bericht eines 38-jährigen Ex-Soldaten über seine Erfahrungen mit MDMA

Gefühle lesen lernen

Jenseits der Depression

Ein anderer Übergang – Sterben mit LSD und Psilocybin

Himmel, Moksha, Nichts

»Geh, geh, lass los, Liebling«

Urlaub von sich selbst – LSD in der Palliativmedizin

Der hängenden Nadel einen Schubs geben

Interview mit dem Psychiater Peter Gasser

Das kosmische Bewusstsein – Die vielen Dimensionen von Ayahuasca

Die lebensverändernde psychedelische Erfahrung als Trend

Zwei Dimensionen, eine Welt

Die Suche nach den Wirkstoffen

»Also was machen wir mit dem jetzt, soll ich den umbringen?« – Erfahrung eines 32-jährigen Autors

Die kosmische Intelligenz und das alte Ägypten – Phänomene unter dem Einfluss von Ayahuasca

Wort und Tat – Ayahuasca im religiösen Kontext

»Du bist, aber was bist du?« – Bericht eines 31-jährigen Wirtschaftsingenieurs, der schon mehrere Male an Sitzungen der União do Vegetal teilgenommen hat

Rausch gegen Sucht?

Interview mit dem Suchtmediziner Gabor Maté

Iboga – Das Gedächtnis-Theater

Auf der Suche – Psychedelika im Freizeitkonsum

»Alle kennen sich aus«

»Etwas tritt ein« – Erfahrungen eines 41-jährigen Dozenten mit LSD

Die psychedelischen Gefahren

»Es hört nicht mehr auf« – Erfahrungen eines 35-jährigen Journalisten mit einem Bad Trip

»Unterwirf dich dem Prozess!« – professionelle Hilfe, wenn die Spirale abwärtsgeht

Light Drogen, Horrordrogen, komische Drogen – neue psychedelische Substanzen

Ein blaues Wunder

Der blinde Fleck des Rechts

Dr. W.s Labor

Räuchermischungen, Badesalze, »Forschungschemikalien«

»Elektronisches Cannabis« – Erfahrungen eines 25-jährigen Studenten mit Spice

LSD light?

»Wie chemischer Kurzurlaub« – Erfahrungen eines 31-jährigen Grafikers mit N-Bomb

Die dunkle Seite der Forschung

Eine chemische Liebesgeschichte: Alexander Shulgin

Terra incognita

»Die beiden Tütchen« – Erfahrungen eines 35-jährigen Computerspielentwicklers mit legal highs

How to put the High into High Potentials – Psychedelika im Silicon Valley

»Hoffentlich macht er unsere besten Leute nicht verrückt« – Problemlösung in den 60er Jahren

»… keine bahnbrechenden Offenbarungen« – Warum LSD nicht zwingend zum Nobelpreis führt, manchmal aber doch

»Wie ein Knall, Momente absoluter Klarheit« – Psychedelika und die transhumane Zukunft

Die Mensch-Maschine

»Wenn es draußen nichts mehr zu entdecken gibt, geht die Forschungsreise nach innen.« – Erfahrung eines 36-jährigen psychedelisch interessierten Silicon Valley-Bewohners

What a long strange trip it's been: Psychedelische Musik

Haschischschwaden in der Oper

Ekstase tanzen, Teil 1

Kosmische Kuriere

Ekstase tanzen, Teil 2

Altes Brummen, neues Kreischen

Acid Rap

1965, 1985, 2015?

Jenseits der Wellen und Schlieren: Psychedelik und Kunst

Schlüssel zum Unbewussten?

Rausch vs. Genie

Das Konzept Bewusstseinsveränderung

Kakteen und Schlangen

Das zersplitterte Selbst – Psychedelische Filme

Kaleidoskope und seltsame Zooms

Psychedelischer Okkultismus

Der Rausch als Bildgeber

Sehnsucht nach der anderen Seite

Nach dem Tabu – die psychedelische Renaissance und wie es weitergehen könnte

Ein zahmer Rausch

Die andere Seite

Institutionen des Anderen

Eine Tür – aber für wen?

Literaturverzeichnis

Dank

Warum wir über Drogen reden müssen

You're an antenna,sending your pattern outacross a million lives at night,and they're your lives too.Thomas Pynchon

Zeit für gute Nachrichten

Kaum jemand kennt heute noch Bill Hicks, was eine Schande ist. Legte dieser US-Stand-Up-Comedian doch schon vor mehr als zwanzig Jahren so kompromisslos wie kaum jemand vor oder nach ihm die Abgründe von Politik, Gesellschaft, Popindustrie und nicht zuletzt auch seine eigenen frei. Sein Einfluss auf heutige Comedy-Stars wie Louis CK oder Ricky Gervais ist unübersehbar. Doch seine Schärfe erreichen sie nicht. Hicks' Tiraden konnten jeden ereilen, vom Schmusesänger bis zum Abtreibungsgegner. Vor allem aber zielten sie auf die Widersprüche der Drogenprohibition. Einer seiner bis heute meistzitierten Jokes stammt aus dem Programm »Sane Man« (1989) und handelt von der stereotypen Berichterstattung über LSD. Hicks wundert sich, wieso in den Medien immer nur die gleiche Geschichte erzählt wird: »Mann springt auf LSD aus dem Fenster und stirbt!« Hicks' Kommentar: Was für ein Trottel! Würde man nicht, wenn man wirklich dächte, man könne fliegen, eher vom Boden starten? Und weiter: »Wie wäre es mal mit einer positiven LSD-Geschichte? Mal auf Grund von Informationen urteilen anstatt von Angstmacherei, Aberglauben und Lügen? Wäre nicht so was mal berichtenswert: ›Heute erkannte ein Mann auf Acid, dass Materie Energie ist, die zu einem langsamen Vibrieren verdichtet wurde; dass wir alle ein gemeinsames Bewusstsein haben, das sich selbst subjektiv erlebt; dass es den Tod nicht gibt und wir nur eine Einbildung von uns selbst sind.‹ Und jetzt: Tom mit dem Wetter ‌…«

Hicks starb 1994 mit 32 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Würde er heute wieder auferstehen, er wäre überrascht, wie nah die Wirklichkeit an seine Vision herangerückt ist. Denn seit etwa zehn Jahren zeichnet sich immer deutlicher eine Tendenz ab, die man als psychedelische Renaissance bezeichnen könnte. Weltweit werden zahlreiche Studien durchgeführt, die den Nutzen psychedelischer Substanzen belegen. MDMA wird gegen Posttraumatische Belastungsstörungen eingesetzt, die Todesangst sterbenskranker Patienten wird mit Psilocybin oder LSD behandelt, DMT ist ein hochwirksames Arzneimittel der Suchttherapie. Daneben gibt es einen regelrechten Boom spiritueller Praktiken, bei denen psychedelische Substanzen zum Einsatz kommen. Und all das wird flankiert von einer Medienberichterstattung, die – anders als früher – überraschend wohlwollend ist. So utopisch Hicks' fiktiver Fernsehbeitrag vor zweieinhalb Jahrzehnten schien, heute kann man ähnliche Berichte regelmäßig auch in etablierten Medien finden.

Ein aussichtsloser Krieg

Bei all den freundlichen Stimmen über den Nutzen psychedelischer Substanzen darf man freilich nicht vergessen, dass LSD, Psilocybin, DMT und MDMA weiterhin verboten sind und ihr Verkauf und Gebrauch außerhalb streng reglementierter klinischer Versuchsreihen drakonisch bestraft wird. Dabei ist offensichtlich, dass der War On Drugs, den Richard Nixon Anfang der 1970er Jahre ausrief und den die USA mit Hilfe der Vereinten Nationen über die ganze Welt verbreiteten, verloren ist. Das sehen nicht nur liberale Drogenexperten so, auch 82 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung und sogar hohe US-Generäle sind inzwischen überzeugt, dass Drogenkonsum und -handel nicht mit Gewalt zu stoppen sind. Selbst in der Exekutive denkt man um. In einem Interview äußert sich André Schulz, der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, jüngst kritisch über die unsinnige Praxis, User zu kriminalisieren und damit ein Leben lang zu stigmatisieren. Und dann spricht er, der Polizist, sich dafür aus, auch in Deutschland endlich eine Debatte über eine Entkriminalisierung des Konsums weicher Drogen zu führen.

Seit jeher ist der Rausch ein Menschheitsthema: Wir möchten mit verschiedenen Bewusstseinszuständen spielen, unsere Wahrnehmung manipulieren, für einige Momente enthemmter, offener, mutiger, inspirierter, lustiger, stärker, sensibler, erleuchteter oder einfach nur irrationaler sein. Diesen Drang hemmt kein Verbot. Und trotzdem wiederholt sich seit etwa einem Jahrhundert ein Muster, dessen fatale Dynamik schon bei der Prohibition von Alkohol in den USA zu beobachten war – und das im Zuge des Kampfes gegen Heroin, Kokain, Marihuana und Psychedelika global ausgeweitet wurde. Der War On Drugs fördert die Etablierung krimineller Strukturen und eröffnet der Mafia lukrative Geschäftsfelder. Der Substanzgebrauch geht dabei in keiner Weise zurück, er wird bloß »schmuddeliger« und objektiv gefährlicher. Der gepanschte Alkohol von einst ist das mit Bleipulver beschwerte Marihuana von heute. Oder es sind brandneue, im Zweifelsfall noch unverbotene psychoaktive Substanzen, von denen aktuell sicher das größte Risiko für User ausgeht.

Die Wurzeln des Anti-Drogen-Krieges und der damit einhergehenden Hysterisierung des Mainstream-Diskurses reichen bis weit vor Nixons Phantasma einer drogenfreien, nüchternen Welt zurück. In den 1930er Jahren startete Harry Anslinger – der Leiter des amerikanischen »Federal Bureau of Narcotics«, Vorläufer der »Drug Enforcement Administration« (DEA) – eine Kampagne gegen Marihuana. Das Kraut, das vor allem von der afroamerikanischen und mexikanischen Minderheit konsumiert wurde und heute in den USA, Uruguay, Portugal und etlichen anderen Ländern schrittweise legalisiert oder zumindest entkriminalisiert wird, wurde als Killerdroge verunglimpft, die Leute in den Wahnsinn triebe. Mit Erfolg. Der Besitz von Marihuana wurde landesweit verboten und sehr hart bestraft, obwohl es schon damals von den meisten Ärzten und Forschern als relativ harmlos eingestuft wurde. Doch Anslingers Behörde brauchte nach der Aufhebung des Alkoholverbots dringend eine neue Aufgabe, drohten doch sonst Kürzungen. Und war der Kampf für eine nüchterne Welt nicht auch ein hehres Unterfangen? Anslingers Paranoia vor einer Gesellschaft der Süchtigen, die in den von puritanischen Werten geprägten USA begierig aufgegriffen wurde, bildete die Keimzelle der Drogenpolitik, wie wir sie heute kennen.

Vor diesem Feldzug hatte es einmal einen anderen, weitaus vernünftigeren Umgang mit Drogen gegeben. Morphin war Bestandteil vieler Hustensäfte und Stimmungsaufheller, die in Apotheken frei verkauft wurden, Kokain wurde in Softdrinks gemischt. Es gab sogar einen mit Koka versetzten Wein, den Vin Mariani, dem die Päpste Leo XIII. und Pius X. ebenso frönten wie die gestrenge Queen Victoria. Gleich den meisten ihrer Zeitgenossen konnten sie den Gebrauch von derartigen Medikamenten und Genussmitteln in unbedenklichem Rahmen halten, als unschuldige Bereicherung eines Lebensvollzugs, der sonst in keiner Weise vom Substanzgebrauch geprägt oder gar definiert war. Natürlich wurden auch damals schon manche Menschen von den Wässerchen, Sirups und Tränken abhängig, so wie von Alkohol bis heute. Die Ärzte behandelten sie als Kranke. Mit der Politik Anslingers änderte sich das jedoch. Den Ärzten wurde nun verboten, ihren Suchtpatienten die Substanzen weiter kontrolliert zu verabreichen. Für die Abhängigen war das eine Katastrophe. Konnten sie zuvor mit ärztlicher Hilfe weiter ihren Beruf ausüben und einen normalen Alltag bestreiten, mussten sie nun zu dubiosen Dealern und bezahlten horrende Preise für gestreckte und nicht selten toxische Ware. Unversehens waren aus Zu-Behandelnden Zu-Bestrafende geworden.

Der reine Rausch

Wir wollen jedoch im Folgenden nicht über Kokain und Heroin berichten, auch nicht über der Medien liebste »Horrordroge« Methamphetamin, und selbst über Cannabis, das die aktuellen Legalisierungsdebatten dominiert, bloß am Rande. Was uns interessiert, ist speziell der psychedelische Rausch. Der Ausdruck »Psychedelik« geht zurück auf den britischen Psychiater Humphry Osmund. Dieser prägte ihn in einem Briefwechsel mit dem Schriftsteller und Philosophen Aldous Huxley, von dem wir ebenfalls noch einiges hören werden. Wörtlich übersetzt heißt »psychedelisch« so viel wie »die Psyche offenbarend«. Die klassischen psychedelischen Substanzen sind das 1943 von Albert Hofmann entdeckte LSD, ferner die Pilzdroge Psilocybin oder Meskalin, das etwa im Peyote-Kaktus vorkommt. Auch das als Hauptwirkstoff von Ecstasy bekannte MDMA ist eine psychedelische Substanz, ebenso das Narkotikum Ketamin oder Alkaloide aus Nachtschattengewächsen. Darüber hinaus aber gibt es seit einigen Jahren eine wahre Flut an ganz unklassischen, teils im Wochenrhythmus evolvierenden psychedelischen Substanzen, die so kryptische Namen tragen wie 25I-NBOMe.

Alle Räusche eröffnen eine Gegenwelt zum Alltag mit seinen festen Regeln, gewähren Urlaub vom starren und determinierten Ich. In diesem Sinne kann man die psychedelische Erfahrung als reinste Form des Rausches begreifen, konfrontiert sie einen doch entschiedener als jede andere mit einer fremden Realität. Das kann bis zur vollständigen Auflösung des Ich-Gefühls gehen, was dann entweder als beglückendes Aufgehen im All-Einen oder als Absturz in den Wahn erlebt werden kann. So oder so jedoch ist der psychedelische Rausch kulturbildend. Er steht am Beginn zahlreicher Gründungsmythen indigener Gesellschaften und hat – auch im Abendland und in der westlichen Moderne – ästhetische und philosophische Eigenwelten ausgebildet. Über den Kokain- und Amphetaminrausch, der einfach eine Steigerung bekannter Vitalfunktionen und Potenzen bewirkt, lässt sich wenig Bemerkenswertes berichten (eher von den Folgen). Ebenso auch über Opiate, sofern sie einen bloß einlullen und mit der Welt versöhnen. Der psychedelische Rausch dagegen ist grell und dunkel, erhaben und unheimlich, er ist von Mal zu Mal anders, anstrengend und erhellend. Kurz: Er war und bleibt ein Abenteuer. Und er lässt sich nutzbar machen.

Eine Geschichte mit Unterbrechung

Bis in die 1960er Jahre wurde LSD in der Psychotherapie oder zur Minderung des Suchtdrucks bei Alkoholabhängigkeit eingesetzt. Dann verließ die Substanz die Therapiezimmer und befeuerte die Partys wie die inneren Forschungsreisen der Hippies. Der psychedelische Hedonismus der Gegenkultur verstörte das Establishment. Das reagierte auf das Unbekannte mit Verbot und Bestrafung. Seit 1966 ist LSD in den USA illegal, seit 1971 auch in Deutschland und dem Rest der Welt. Und mit LSD wanderten viele andere psychotrope Stoffe auf die schwarze Liste. Herstellung, Vertrieb und Gebrauch werden mit ähnlicher Härte bestraft wie bei Heroin oder Kokain. Und das, obwohl es zu diesen Stoffen in jeder Hinsicht substantielle Unterschiede gibt – nicht bloß in der Wirkung. In den letzten Jahren wurden immer wieder Studien veröffentlicht, die die Schädlichkeit der gängigen Rauschsubstanzen untersuchten. Auf den ersten Plätzen landeten immer Heroin, Alkohol, Kokain und Nikotin, auf den hinteren MDMA, Psilocybin und LSD. Psychedelische Substanzen machen nicht süchtig, sie prägen höchstens Toleranzen aus, ernsthafte körperliche Schäden sind nicht bekannt. Auch eignen sie sich nicht zur touristischen oder habituellen Realitätsflucht – was nicht heißt, dass sie deshalb immer ungefährlich wären. Doch scheint es überfällig, diese Gefahren auf der Basis neuerer Erkenntnisse realistisch einzugrenzen und so eine sachliche Diskussion über den potentiellen Nutzen und die potentiellen Schäden psychedelischer Erfahrungen zu ermöglichen. Nicht zuletzt dies soll Gegenstand und Ziel unseres Buches sein.

Seit ein paar Jahren versuchen Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler den Schleier aus Fehlinformationen und Ressentiments zu lüften, der die realen Charakteristika und Potentiale von Psychedelika verdeckt. Sie greifen auf die Grundlagen zurück, die in den 1950er und -60er Jahren geschaffen wurden, und setzen die Arbeit fort, die durch die Prohibition unterbrochen wurde. Genauso halten Psychedelika wieder Einzug in Musik, Kunst und Film. Zwar waren sie in diesen Feldern nie völlig verschwunden, doch so explizit wie heute wurde die psychedelische Kultur seit ihren Anfängen vor 50 Jahren nicht mehr gefeiert. Im Silicon Valley nehmen Tech-Nerds LSD und DMT, Europäer fliegen nach Peru, um in Ayahuasca-Zeremonien die Selbsttranszendenz zu erfahren, und die Psychonauten der Gegenwart bestellen sich im Internet neu entworfene Substanzen. Dies alles sind Anzeichen für eine Wiederentdeckung des Psychedelischen. Es wird Zeit, einen anderen Blick auf diese Substanzen zu etablieren, einen vorurteilsfreien, ohne Angstmacherei und die alten Mechanismen der Dämonisierung, kurzum: einen Blick, wie schon Bill Hicks ihn damals forderte.

Für dieses Buch haben wir Therapeuten, Psychologen und Hirnforscher besucht, die mit psychedelischen Substanzen arbeiten, und lassen sie ausführlich zu Wort kommen. Wir untersuchen die Mechanismen des Rausches, berichten über die Geschichte und die neuesten Entwicklungen der psychedelischen Forschung. Wir erkunden die unübersichtliche Schattenwelt der neuen psychedelischen Substanzen, führen in die spirituell-psychedelische Bewegung ein und beschreiben den Zusammenhang von Psychedelika und Informationstechnologie. Wir begegnen Psychedelia in Kunst, Pop und Kino und fragen, wieso es eigentlich gerade jetzt zur psychedelischen Renaissance kommt. Vor allem aber versuchen wir den psychedelischen Rausch von innen zu zeigen, indem wir User sprechen lassen: Trauma-Opfer, die mit MDMA geheilt wurden, LSD

Was wirkt? Von kalten Kräutern und partiellen Serotonin-Agonisten

Eine stinkende Salbe

Im Jahr 1545 erhielt Andrés Laguna, Leibarzt des Papstes Julius III., Kunde von einem Ehepaar, das der Hexerei beschuldigt wurde. Der frühneuzeitliche Hexenwahn, dem unzählige Frauen und Männer zum Opfer fallen sollten, griff gerade um sich, doch der von den Ideen des Humanismus beeinflusste Laguna stand den Schreckensberichten von nächtlichen Hexenritten und Teufelsorgien skeptisch gegenüber. Er interessierte sich für den Fall und kam in Besitz einer grünen Salbe, die man bei dem verdächtigen Ehepaar gefunden hatte. Als vorsichtiger Wissenschaftler probierte er das »übelriechende Gemisch« nicht selbst aus, sondern rieb stattdessen lieber erst einmal die Frau des Henkers von Metz damit ein (die näheren Umstände des Versuchs sind leider nicht bekannt). Diese fiel schnell in ein Delirium, und als sie nach 36 Stunden wieder zu sich kam, berichtete sie die vertraute Geschichte vom Stelldichein mit dem Teufel – obwohl sie nachweislich das Bett nicht verlassen hatte. Der Gedanke, dass die Erlebnisse der Henkersgattin nicht real, sondern Halluzinationen waren, die von einer Substanz in der Salbe ausgelöst wurden, war noch nicht konsensfähig. Zwar wurden Nachtschattengewächse wie Stechapfel und Tollkirsche von den Inquisitionsbehörden immer wieder mit der Hexerei in Verbindung gebracht, jedoch nicht aufgrund von Inhaltsstoffen, sondern weil diese giftigen Pflanzen, wie der schwarze Hahn, als Insignien des Teufels galten. Laguna berief sich bei seiner Einschätzung des Falls auf den spätantiken Arzt Dioskurides. Der beschrieb in seiner materia medica die Wirkung verschiedener psychotroper Pflanzen. Die bewusstseinsverändernden Eigenschaften dieser Drogen lägen, so Dioskurides, in der »Kälte«, die sie hervorriefen. Die sinnliche Wahrnehmung, also die sichere Verbindung zur Welt, würde dadurch gedämpft, was zunächst zu angenehmen Effekten, in höheren Dosierungen aber zum Tode führe. Mehr als mit Dioskures zu vermuten, dass »kalte Kräuter«, vermutlich Bilsenkraut, Stechapfel oder Tollkirsche, in Verbindung mit einer vulgären Phantasie für die Zustände der Henkersgattin verantwortlich seien, konnte de Laguna freilich nicht. Sein experimentelles Vorgehen jedoch, vor allem aber sein Drang, nach dem Substrat der Sinnestäuschung zu suchen, weisen schon eindeutig in Richtung eines modernen Umgangs mit dem Rausch.

Die Erkundung des Rausches, vor allem die Erforschung von veränderten Bewusstseinszuständen und Halluzinationen, ist eng verbunden mit der Entwicklung der modernen Humanwissenschaften. Seit Psychologen, Mediziner und Neurowissenschaftler sich über das Bewusstsein, über die Funktionsweise der Nerven und des Gehirns Gedanken machen, interessieren sie sich auch für den Rausch als Abweichung von der Normalität. Lange Zeit konnten sie dabei nur rein deskriptiv vorgehen und die verschiedenen Rauscharten in ihren emotionalen und kognitiven Aspekten vergleichen. Die erste wissenschaftliche Monographie über Rauschzustände erschien 1762 unter dem Titel Inebriantia. Autor war der schwedische Universalgelehrte Carl von Linné, der sich vor allem als Botaniker einen Namen machte und dessen binäres System die Grundlage der modernen botanischen und zoologischen Taxinomie ist. Linné merkte an, dass es »keine Nation ohne Rauschmittel« gebe, systematisierte alle ihm bekannten Drogenpflanzen (neben den Nachtschattengewächsen, Hanf und Schlafmohn auch so exotische wie die syrische Steppenraute, deren Alkaloide dieselben sind wie ein Bestandteil des amazonischen Ayahuasca), bemerkte, dass die meisten Drogen einen bitteren Geschmack hätten, und gab überdies freimütig zu, dass auch er für die Wirkmechanismen der psychotropen Substanzen keine befriedigende Erklärung habe.

Chemischer Wahnsinn

Das sollte sich erst über hundert Jahre später ändern. 1886 erhielt der Berliner Pharmakologe Louis Lewin, der sich später auf die Chemie von Giftstoffen spezialisieren sollte, auf einer Amerikareise eine Anzahl getrockneter Kakteen-stücke, die seine Gewährsleute als »Peyote« bezeichneten. Nach seiner Rückkehr machte er sich mit dem Botaniker Paul Hennings an die Klassifikation der noch unbekannten Pflanzen. Zu Lewins Ehren wurde sie Anahalonium Lewinii genannt. Lewin veranstaltete mehrere Tier- und Selbstversuche, veröffentlichte zahlreiche Artikel, in denen er die Wirkung des Peyote-Kaktus beschrieb, beklagte jedoch, »dass auch das schärfste philosophische und psychologische Eingehen auf das Problem der Sinnesempfindung aus inneren Ursachen keinen Weg findet, um Entstehen oder richtige und falsche Beurteilung einer Empfindung im Nervenstück deuten zu können.« Sollte dieses biochemische Rätsel jedoch dereinst gelöst werden können, so versprach sich Lewin viel davon, etwa eine Aufklärung verschiedener Wahnkrankheiten: »Wenn überhaupt je in das absolute Dunkel, das über solchen Gehirnvorgängen lagert, Licht gebracht werden sollte, so könnte dieses nur aus der chemischen Forschung ausstrahlen.«

Im Jahr 1920 synthetisierte der österreichische Chemiker Ernst Späth als erster Meskalin, den wirksamen Bestandteil von Peyote. Meskalin war nicht die erste Droge, die in Reinform zur Verfügung stand. Schon 1859 wurde in Göttingen Kokain isoliert. Mit Meskalin lag nun jedoch erstmals ein chemischer Reinstoff vor, der Sinnestäuschungen und Halluzinationen hervorrief. Schnell begann damit eine vielfältige Forschung. In Tierversuchen wurde Meskalin bis zur letalen Dosis getestet, um auf Stoffwechselvorgänge zu schließen. In Tübingen beschreibt der Psychiater Hans Bensheim die Wirkung der Droge und kommt dabei zur Unterscheidung verschiedener »Rauschpersönlichkeiten«: »Der Cyclothyme sieht ornamental, der Schizothyme figürlich. Beim Cyclothymen finden wir somit Schilderungen von Farben und Formen, die kaleidoskopartig sich ändern, die in ständigem Wechsel sich durchdringen, sich ausbreiten und zusammenschrumpfen. Beim Schizothymen jedoch ballen sich diese Bausteine zu Figuren, die rasch aufleuchten, um sich in neue Kombinationen zu verwandeln; aus Wolken formen sich Berge und Schlösser, Köpfe von Menschen und Tieren in abenteuerlichster Weise. Der eine schaut, objektiv und distanziert den realen Urstoff, der andere verarbeitet und gestaltet diese Materie.«

Vor allem geht die Forschung jedoch in die Richtung, die schon Louis Lewin vorgeschlagen hatte. Da psychedelische Substanzen wie Meskalin bei Gesunden Rauschzustände verursachen, die dem Krankheitsbild der Schizophrenie ähneln (Verwirrtheit, optische und akustische Halluzinationen, wahnhafte Vorstellungen), glaubte man, mit der Verabreichung der Droge wesentliche Erkenntnisse über diese damals völlig unerklärbaren Krankheiten gewinnen zu können. In den 1920er Jahren fand derlei Forschung zum Teil in einem ethisch sehr fragwürdigen Rahmen statt, wenn etwa der an der Universität Greifswald amtierende Psychiater Konrad Zucker Schizophrenen ohne deren Wissen Meskalin spritzte und sie daraufhin befragte, inwieweit sich ihr Zustand veränderte – die meisten Kranken konnten die Rauschbilder deutlich von ihren »normalen« Halluzinationen unterscheiden.

Die enge Verbindung in der Erforschung von psychedelischen Räuschen und Geisteskrankheiten sollte sich halten. Die auffallende Ähnlichkeit beider Zustände veranlasste den britischen Psychiater Humphry Osmond 1954 zu der Vermutung, Psychosen könnten durch ein endogenes, also vom Körper selbst erzeugtes Halluzinogen verursacht werden. Humphry beschäftigte sich schon lange mit psychotropen Substanzen, er war es auch, der den Schriftsteller Aldous Huxley mit Meskalin vertraut machte, was zu dessen wirkmächtigen Essays »Pforten der Wahrnehmung« und »Himmel und Hölle« führte. Humphry glaubte, dass Adrenochrom, ein Oxidationsprodukt des Adrenalins mit angeblich ähnlicher Wirkung wie Meskalin, für die Sinnestäuschungen Schizophrener verantwortlich sein könnte. Die Adrenochrom-Hypothese wurde einige Jahre lang heiß diskutiert, letztendlich jedoch verworfen, als entdeckt wurde, dass die meisten psychedelischen Substanzen schnell Toleranzen entwickeln – dass es also mit der Zeit immer größerer Dosen bedarf, um einen ähnlichen Rausch zu bewirken. Da das bei einem endogenen Halluzinogen auch der Fall wäre, würden die dadurch verursachten Sinnestäuschungen nach wenigen Tagen wieder verschwinden, was bei Schizophrenie offensichtlich nicht der Fall ist. Und doch spielen Psychedelika bis in die Gegenwart eine wichtige Rolle bei der Erforschung von Psychosen. Zum einen, weil bis heute darüber diskutiert wird, ob der psychedelische Rausch als »Modell-Psychose« verstanden werden könne, ob also das Erleben in beiden Fällen ähnlich sei, sich bloß in der zeitlichen Begrenztheit des Rausches und im Wissen um die Künstlichkeit des Zustands unterscheide. Vor allem aber wurde – auch nach der Adrenochrom-Hypothese – über eine Ähnlichkeit der Wirkmechanismen diskutiert. Auch heute noch weiß man erstaunlich wenig über die biologischen Ursachen einer Psychose. Klar ist jedoch, dass ein gestörter Stoffwechsel von Neurotransmittern wie Serotonin, Glutamat, vor allem aber Dopamin bei dem Krankheitsbild eine wichtige Rolle spielt. Deren Andockstellen, die Rezeptoren, sind es auch, an denen die psychedelischen Drogen ansetzen.

Serotonin und andere Rätsel

1938 synthetisierte Albert Hofmann zum ersten Mal LSD. Hofmann arbeitete bei Sandoz in Basel und forschte mit teilsynthetischen Chemikalien, also Stoffen, deren Grundbausteine natürlich vorkommen. In einer Versuchsreihe fügte er verschiedene Molekülgruppen an die Lysergsäure, die aus dem Mutterkornpilz, einem Roggen-Parasiten gewonnen wurde. Schon seit 1918 wurden ähnliche Präparate in der Geburtshilfe eingesetzt. Die 25. Substanz in der Versuchsreihe war das Diethylamid der Lysergsäure (daher der ursprünglich gebräuchliche Name LSD-25). Da das Diethylamid der chemisch verwandten Nikotinsäure kreislaufstärkende Wirkung hatte, vermutete Hofmann beim LSD einen ähnlichen Effekt. Es dauerte jedoch noch fünf Jahre, bis er die eigentliche, heftige halluzinogene Wirkung der Substanz selbst kennenlernte. Nachdem er im Labor unabsichtlich eine winzige Menge zu sich genommen haben musste und sich daraufhin über Sinnestäuschungen wunderte, probierte er es mit einer Dosis, von der er meinte, dass sie den unteren Schwellenwert der Wirksamkeit darstelle: 250 Millionstel Gramm. Was folgte, war sein berühmter erster, stark überdosierter Trip. Wieso die Droge so stark war und wie sie überhaupt wirkte, das konnte Hofmann freilich nicht erklären.

Es dauerte noch zehn Jahre, bis Wissenschaftler den Wirkmechanismus ahnten. 1949 konnte die chemische Struktur von Serotonin entschlüsselt werden. Die körpereigene Substanz war schon länger bekannt, allerdings wusste man nur von ihren Effekten auf den Darm sowie das Gefäßsystem (daher auch der Name: es wurde vermutet, dass Serotonin der Bestandteil des Blutserums ist, der den Gefäßtonus beeinflusst). Anfang der 1950er Jahre entdeckten die amerikanische Biochemikerin Betty Twarog und ihre Kollegen die Tatsache, dass Serotonin im Nervensystem eine zentrale Rolle spielt. Heute weiß man, dass Serotonin einer der wichtigsten jener Neurotransmitter ist, über die Nervenzellen miteinander kommunizieren und sich steuern. Da auch im Nervensystem der primitivsten Lebewesen Serotonin und dessen Rezeptoren vorkommen, wird vermutet, dass dieser Neurotransmitter einer der biologisch ältesten ist. Bis heute aber ist seine Funktion alles andere als klar. Serotonin hat Auswirkungen auf die Verdauung und das Gefäßsystem, auf den Schlaf- und Wachrhythmus, das Sexualverhalten und die Emotionen. In der Psychiatrie spielt Serotonin seit etwa zehn Jahren eine entscheidende Rolle, verschreiben Psychiater Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SRRIs) gern als Mittel gegen Depressionen. Diese erhöhen nicht nur den Serotonin-Spiegel im Gehirn, sondern haben auch eine angstlösende und stimmungsmodulierende Wirkung. Darüber hinaus wird vermutet, dass Serotonin die komplizierten Wahrnehmungsvorgänge steuert – und genau hier setzen die Halluzinogene an.

Allerdings dauerte es, bis sich diese Auffassung durchsetzte. Wohl angeregt vom Psychiater Humphry Osmond geht Aldous Huxley 1954 in seinem berühmten Essay »Pforten der Wahrnehmung« davon aus, dass das Halluzinogen Meskalin die Glukosezufuhr im Gehirn reduziere, dass auf diese Weise der »zerebrale Reduktionsfilter« in seiner Funktion gestört und das Bewusstsein so mit einer Unmenge an Informationen überschwemmt werde. Es wird sich zeigen, dass diese Vermutung richtig war, einzig die Ursache deutete Huxley falsch.

Serotonin ist, wie das ab den 1950er Jahren sehr prominente LSD, die Pilzdroge Psilocybin oder der Ayahuasca-Bestandteil DMT, ein Tryptamin. Die chemische Ähnlichkeit all dieser Substanzen ist auffällig, so unterscheidet sich Psilocin, der psychisch aktive Stoff, der im Körper aus Psilocybin gebildet wird, nur durch zwei kleine Molekülgruppen von Serotonin. Mithin liegt die Vermutung nah, dass Halluzinogene gewissermaßen vortäuschen, der körpereigene Botenstoff zu sein. Diese überaus plausible Hypothese wird jedoch dadurch fraglich, dass die zweite große Gruppe der Halluzinogene, die so genannten Phenylethylamine – wozu etwa auch Meskalin zählt– chemisch ganz anders aufgebaut und eher mit körpereigenen Stoffen wie dem Hormon Adrenalin oder dem Botenstoff Dopamin verwandt sind.

Seit den 1980er Jahren scheint zumindest so viel sicher zu sein: Halluzinogene Substanzen wie LSD, Psilocin, DMT oder Meskalin setzen an einem Subtyp des Serotonin-Rezeptors namens 5HT2a an. Dieser befindet sich auf allen Nervenzellen, in besonders großer Dichte jedoch auf den großen und besonders stark vernetzten Pyramidzellen im präfrontalen Cortex, jenem Teil des Gehirns, der unter anderem mit der Verarbeitung der eingehenden sensorischen Reize beschäftigt ist. Die Nervenzellen werden durch diese Aktivierung leichter erregbar, tauschen, vereinfacht gesagt, mehr Signale untereinander aus.

Nun aber werden die Dinge verworren. Denn die Halluzinogene ersetzen Serotonin nicht einfach, sondern wirken vielmehr als »partielle Agonisten«, d. ‌h. sie lösen in der Nervenzelle, auf der sich der Rezeptor befindet, die gleiche Reaktion aus wie Serotonin – jedoch schwächer. Während LSD aber nur etwa 20 Prozent des Aktivierungspotenzials von Serotonin hat, fungieren Meskalin oder halluzinogenes Amphetamin beinahe als »Vollagonisten«, aktivieren die Zelle also fast so stark wie der natürliche Botenstoff. Aber wie passt diese Tatsache mit dem Fakt zusammen, dass LSD in wesentlich niedrigerer Dosis wirksam ist als die meisten anderen Halluzinogene? Der Pharmakologe David E. Nichols, der selbst einige Halluzinogene entwickelt hat und als einer der umtriebigsten Forscher auf diesem Gebiet gilt, räumt unumwunden ein, dass die 5HT2a-Rezeptoren die Wirkweise dieser Substanzen bislang nur sehr unbefriedigend erklären.

Erschwerend kommt hinzu, dass es neben den prominenten Halluzinogenen wie LSD, Meskalin und DMT, von denen man inzwischen weiß, dass sie mit dem 5HT2a-Rezeptor agieren, noch eine Reihe anderer Substanzen gibt, die zwar ebenfalls halluzinogen wirken, jedoch erwiesenermaßen andere Signalpfade benutzen. Auch THC, der wichtigste Cannabis-Wirkstoff, löst in hohen Dosierungen Sinnestäuschungen aus, aktiviert jedoch die Cannabinoid-Rezeptoren, die unter anderem für die Koordination von Lernprozessen verantwortlich sind. Ketamin, eines der populärsten Halluzinogene in jüngerer Zeit (das in hoher Dosierung narkotisch wirkt), blockiert allerdings den NMDA-Rezeptor, während Nachtschatten-Drogen wie Atropin und Scopalamin mit dem Neurotransmitter Acetylcholin konkurrieren. Trotzdem können all diese Substanzen Halluzinationen auslösen und psychedelisch im Sinne von Humphry Osmond wirken. Und um es noch komplizierter zu machen: Personen, die an der Parkinson-Krankheit leiden, werden mit Medikamenten behandelt, die den Dopamin-Spiegel in ihrem Gehirn erhöhen. Bei einer Überstimulation leiden diese Patienten oft unter Halluzinationen. Es liegt also die Vermutung nahe, dass halluzinogenes Erleben von einer Verkettung verschiedener Signalpfade herrührt – die bisher noch nicht entdeckt ist.

Schaufenster ins Gehirn

Doch so vertrackt die biochemischen Mechanismen auch sind, so kann man doch die Hirnregionen betrachten, die dadurch aktiviert oder gedämpft werden. Halluzinogene stimulieren etwa den locus caeruleus, der zentral für die Steuerung von Aufmerksamkeit ist und gern als eine Art »Neuigkeitsdetektor« bezeichnet wird. Dessen Aktivierung könnte, so vermutet der Pharmakologe David E. Nichols, dafür verantwortlich sein, dass unter dem Einfluss von Halluzinogenen höchst gewöhnliche und sogar unscheinbare Objekte auf einmal überraschend und fesselnd wirken. In »Die Pforten der Wahrnehmung« berichtet Aldous Huxley, dass ihm beim Blättern in einem Bildband von Botticelli nicht etwa die bekannten Meisterwerke in ihren Bann zogen, sondern so unscheinbare Details wie der Faltenwurf eines Kleides – und gleich darauf seine eigene graue Hose.

Eine weitere partielle Auswirkung hat das Halluzinogen Psilocin (zu dem, wegen seiner Ähnlichkeit zum Serotonin, am häufigsten geforscht wird) auf die Amygdala-Region im limbischen System. Die Mandelkerne scheinen eine wichtige Rolle in der Verarbeitung negativer Emotionen zu spielen, vor allem von Angst. Eine Depression oder Angststörung geht immer auch mit einer übermäßigen Aktivität der Amygdala einher. Es wird vermutet, dass negative Umweltsignale auf diese Weise verstärkt wahrgenommen werden. Unter Psilocin verändert sich die Aktivierung der Mandelkerne, was sich emotional in einer Reduzierung von Furcht und negativen Gedanken bemerkbar macht – weshalb in jüngster Zeit zum Potenzial von Psilocybin als Antidepressivum geforscht wird.

Das alles sind jedoch nur interessante Nebenaspekte. Um dem Rätsel des psychedelischen Erlebens auf die Spur zu kommen, konzentrieren sich Forscher auf andere Gehirnregionen. Der Schweizer Neurowissenschaftler Franz-Xaver Vollenweider, einer der weltweit führenden Gehirnforscher, hat auch ein besonderes Interesse an veränderten Bewusstseinszuständen. Mit einem differenzierten Katalog, dem so genannten »APZ-Fragebogen«, sollen anhand von Angaben zu Wahrnehmung, Stimmung und Denkabläufen »außergewöhnliche psychische Zustände (APZ)« quantifiziert und kalibriert werden, egal ob diese durch Rausch, Meditation oder ein religiöses Erlebnis ausgelöst wurden. Ab den 1990er Jahren verabreichte Vollenweider Probanden Halluzinogene wie Psilocybin, erfragte die Rauschstärke mit dem APZ-Fragebogen und beobachtete die Gehirne der Psychonauten zugleich mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET), die es erlaubt, anhand von Glucose-Raten die Stoffwechselaktivität im Gehirn zu beobachten.

Dass er dies durfte, war zu jener Zeit mehr als ungewöhnlich – erreichte die Tabuisierung aller berauschenden Substanzen damals doch gerade ihren Höhepunkt. In der Schweiz jedoch besann man sich auf das Erbe Albert Hofmanns und genehmigte die Studien nicht nur, sondern finanzierte sie gar aus dem »Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung«.

Was in der PET-Röhre deutlich wurde: Je stärker der Rausch, umso mehr Stoffwechselaktivität im präfrontalen Cortex, der unter anderem für die Verarbeitung von sensorischen Signalen zuständig ist. Diese Region ist für Neurowissenschaftler und Psychiater von besonderem Interesse, scheint sie doch einer der Orte zu sein, an denen sich auch Schizophrenie manifestiert. Bei Psychotikern lässt sich eine verminderte Stoffwechselrate in diesem Bereich, eine so genannte Hypofrontalität, feststellen, bei akuten psychotischen Schüben jedoch – wie auch im Halluzinogen-Rausch oder nach intensivem Meditieren – eine erhöhte Tätigkeit.

Allerdings stehen neuere Studien zu diesen Ergebnissen im Widerspruch. Im Zuge der psychedelischen Renaissance, der Lockerung des Tabus, mit psychedelischen Substanzen zu forschen, finden seit einigen Jahren in England großangelegte Untersuchungen statt. Bedeutet die Beschäftigung mit Psychedelika doch heute nicht mehr zwangsläufig eine Karrieresackgasse. Und so hat Colin Carhart-Harris, ein junger britischer Hirnforscher, keine Probleme damit, die psychedelische Wirkung um ihrer selbst willen (und nicht etwa nur als Modell für Psychosen) zu erforschen. Das Team um Carhart-Harris verabreichte gesunden Probanden intravenös Psilocybin und beobachtete den Blutfluss im Gehirn mittels Magnetresonanzverfahren. Mit Blick auf die Vollenweider-Ergebnisse rechneten die Forscherinnen und Forscher mit einer erhöhten Hirnaktivität. Aber das Gegenteil war der Fall: Je stärker der Rausch, umso geringer war der Blutfluss und also die Aktivität im mittleren Präfrontalen Cortex (mPFC) und im Posterioren Cingluate Cortex (PCC). Carhart-Harris macht keinen Hehl daraus, dass er von diesem Ergebnis sehr überrascht war – und bisher nur sehr spekulative Erklärungen dafür hat. Vielleicht lassen sich die Ergebnisse aber doch versöhnen. Besagte Hirnregionen scheinen vor allem in einer Hinsicht eine wichtige Rolle zu spielen, nämlich in der Selbstwahrnehmung. Carhart-Harris sieht das neuronale Netzwerk mit dem Namen »Default Mode Network«, in welchem jene Hirnregionen aktiv sind, »als ziemlich genau das, was Freud mit ›Ego‹ beschrieben hat. Alle Vorgänge, die mit einer Reflexion einhergehen – Grübeln über sich selbst, der Abgleich von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aber auch das Denken über das eigene Denken – haben eine Aktivierung dieses Netzwerkes zur Folge«. Andere Untersuchungen zeigten, dass das »Default Mode Network« am aktivsten ist, wenn das Individuum ruht und von Außenreizen abgeschirmt ist. Richtet sich die Aufmerksamkeit dagegen auf die Umwelt – und das passiert etwa schon, wenn der Proband aus dem Fenster schaut –, so reduziert sich auch die Aktivität. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass eine Destimulation dieses Netzwerks zum einen jene Ich-Auflösung zur Folge hat, von der Berauschte oft berichten, zum anderen die übrige Kognition, etwa die Wahrnehmung, intensiviert.

Interessanterweise schließt diese Vermutung an eine der ersten Mutmaßungen über den psychedelischen Rausch an, nämlich dass dieser eine Art »Reduktion der Reduktion« sei. Aldous Huxley vermutete schon 1954, dass Meskalin eine Filterfunktion des Gehirns schwäche, die im Normalbewusstsein dazu führe, dass uns nur ein kleiner – der für das biologische Überleben wichtige Teil der Realität – zu Bewusstsein komme.

Welche Realität?

Doch wird auch diese Vermutung der Komplexität des Rauschphänomens nicht ganz gerecht. Denn selbst wenn man mit Huxley davon ausgeht, dass die Droge die Sensibilität steigert und bestehende Realitäten freilegt, die dem Normalbewusstsein verschlossen sind, so muss doch auch an den Teufelsritt der Henkersgattin von Metz erinnert werden. Deren offensichtliches Delirium wertete der frühneuzeitliche Rauschforscher Laguna ja gerade als Beleg für die Irrealität all der grassierenden Teufelsgeschichten. Die vermeintlich so klare Frage, wie sich nur vom Subjekt wahrgenommene Bilder von der »objektiven Realität« unterscheiden lassen, führt also auf dünnes Eis. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Denn hier kollidieren verschiedene Realitätsbegriffe. Zunächst ist jede Halluzination immer auch sozial und kulturell verankert: Der Henkersgattin erschien der Teufel, weil sie ihn aus Predigten und Schauermärchen kannte. Soziologisch verweist die Halluzination also auf eine sehr handgreifliche Realität. Anders, nämlich psychologisch, argumentiert Huxley, wenn er behauptet, dass die Wesen, denen man im Rausch begegne, nicht etwa »falsches« Trugbild, sondern eine »wahrnehmbare Realität« seien, dass sie lediglich einem »noch nicht kartographierten Borneo« entstammen, das jedoch entdeckt und beschrieben werden könne. Und schließlich würde jeder Schamane der indigenen Amazonas-Völker, der im DMT-Rausch mit den Geistern der Ahnen kommuniziert, die Unterstellung, dass er sich die Dinge nur einbilde, entschieden zurückweisen. Er würde sagen, dass der Rausch ihn in eine andere Welt führe, die dem Uneingeweihten bloß nicht zugänglich sei. Die Naturwissenschaft kann diese Art von Realität weder verifizieren noch falsifizieren – sie muss darüber schweigen.

Und auch in der exakten Wissenschaft gilt keineswegs als ausgemacht, wie die Welt »da draußen« sich im Bewusstsein darstellt. Seit langer Zeit arbeiten sich Neurowissenschaftler und Psychologen am sogenannten Bindungsproblem ab. Zur Frage steht, wie es das Gehirn schafft, aus einer Vielzahl von Sinneseindrücken diejenigen zu isolieren und vor allem zu synchronisieren, die uns zum Beispiel einen Apfel als Objekt wahrnehmen lassen, das man berühren, sehen, riechen und schmecken kann und an dem bestimmte Erinnerungen und Bewertungen haften. Die Neurowissenschaft schließt damit an das altbekannte philosophische Problem an, dass die Dinge, die uns umgeben, nicht einfach »da« sind und von uns nur passiv erkannt werden müssten. Vielmehr muss das Gehirn sie erst aus einer sensorischen Flut heraus formen, konstruieren.

Wieder scheinen es neuronale Netzwerke zu sein, die hier eine zentrale Rolle spielen. Diese Netzwerke synchronisieren ihre Feuerraten in verschiedenen Geschwindigkeiten – Schwingungen um die 10 Hz, im Alpha-Bereich, werden mit leichter Entspannung in Verbindung gebracht, während Konzentration auf Außenreize, aber auch Meditation Gamma-Wellen um die 30 Hz zur Folge haben. Robin Carhart-Harris beobachtete diese Hirnaktivität an gesunden Probanden mittels Magnetenzephalographie: »Wir konnten feststellen, dass es in allen Frequenzbereichen zu einer Desynchronisation kam – vor allem aber im Alpha-Bereich. Je stärker dieser Effekt war, umso deutlicher war zum einen der Ego-Verlust ausgeprägt, zum anderen berichteten die Probanden von übernatürlichen Erlebnissen.« Folgt man der Erklärung, dass die Welt-Konstruktion des Gehirns über synchronisierte Schaltkreise läuft, die aus dem Takt gebracht werden können, dann hätte der Psychedelika-Rausch weniger eine Reduktion des Wahrnehmungsfilters zur Folge (was ja gewissermaßen ein »Mehr« an Realität bedeuten würde), sondern vielmehr ein Brüchigwerden dessen, was wir Realität nennen – die feste Unterscheidung von Objekten untereinander, von Außen und Innen, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Genau das aber ist die psychedelische Erfahrung, zumindest in höheren Dosen. Dieses Konzept könnte jedoch auch ein weit verbreitetes Phänomen des milden Psychedelika-Rausches erklären, nämlich die Tatsache, dass sich das Gesichtsfeld mit geometrischen Mustern, mit Kreisen, Kacheln und Gittern überzieht. Laut Carhart-Harris ist die Wahrnehmung strikt hierarchisch organisiert, wie sich vor allem am Gesichtssinn zeigt: Was uns als realitätsgetreues Bild erscheint, ist in Wirklichkeit ein Zusammenspiel verschiedener visueller Zentren, von denen die primitiveren zum Beispiel nur für das Erkennen geometrischer Grundformen zuständig sind. Kommt es nun zu einer Desynchronisation, geschieht nichts anderes, als dass diese Zentren plötzlich autonom agieren. Was man sieht, sind nicht etwa Formen, die es »da draußen« wirklich gibt und für die man sonst nur keinen Sinn hat. Man sieht vielmehr das Sehen selbst.

Wir können davon ausgehen, dass sich die Erkenntnisse auf diesem Bereich in den nächsten Jahren rasant vermehren werden. Vor kurzem wurde Robin Carhart-Harris eine LSD-Studie genehmigt – die erste in Großbritannien seit Jahrzehnten. Dies geschah wohl nicht zuletzt auch in der Erwartung, dass das Wissen über künstlich veränderte Bewusstseinszustände für die Erforschung von Krankheiten wie Demenz, Parkinson oder Schizophrenie relevant sein wird. Was indes die subjektive Qualität des Rausches anbelangt, so wird die interessante Frage sein, welche ihrer Eigenschaften biologisch erklärbar sind und welche weiterhin im Dunkel bleiben. Wird etwa die Morphogenese der Halluzinationen jemals auf ihr biologisches Substrat abzubilden sein? Wird die Neurowissenschaft aufklären können, wieso gerauchtes DMT in eine kristalline Welt führt, DMT

»Aus einem ontologischen Schlaf erwacht« – Eine kurze Geschichte der Psychedelika in den 1950er und 1960er Jahren

Dubiose Pilze

An einem Augusttag des Jahres 1960 fragte der Psychologe Timothy F. Leary den Anthropologen Frank Braun: »Bist du sicher, dass sie nicht giftig sind?« Leary machte mit ein paar Freunden Urlaub in Cuernavaca, einem Städtchen südlich von Mexiko City. Während eines Nachmittags am Pool legte Braun, der damals an der Staatlichen Universität von Mexiko City lehrte, Leary schrumpelige Pilze in die Hand: Teonanacatl, das Fleisch Gottes, das schon die Azteken auf den Pfad zum Jenseitigen führte. Braun hatte sie von einem Schamanen aus der Gegend besorgt. Leary überwand seine Bedenken, spülte die übel schmeckenden Psilocybin-Fungi mit Bier hinunter und spürte eine halbe Stunde später zum ersten Mal in seinem Leben die psychedelische Woge: dass Bäume, Blumen und Büsche in einem gemeinsamen Rhythmus zu atmen scheinen, dass Vögel und andere Tiere sich in ihm bewegen, dass die Umwelt zur Welt wird. Leary reiste an diesem Nachmittag am Pool mit geschlossenen Augen ins alte Indien und Ägypten und sagte später:

»Ich hatte keine Ahnung, welches Potential die Erforschung dieser Substanzen haben kann, bevor ich nicht selbst Psilocybin ausprobierte. Grundsätzlich muss man wissen, dass es hier nicht um eine geistige Betätigung geht, man muss diese Dinge erfahren. Es ist, und mir ist es fast peinlich, das zu sagen, religiös. Ach nein, mehr als religiös, es ist über die Maßen erhebend. Es zeigt uns die unendlichen Fähigkeiten unseres Gehirns, das in Raum-Zeit-Dimensionen operieren kann, von denen wir keine Ahnung hatten. Ich fühle mich, als wäre ich aus einem langen ontologischen Schlaf erwacht.«

Leary war also erweckt und begeistert und zwar derart, dass er bald anfing, in Harvard, wo er Professor war, ein Psilocybin-Forschungsprojekt zu starten. Es war der erste Schritt auf Learys Weg zum wenig schmeichelhaften Titel »LSD-Papst«, der ihm noch sehr viel Ärger einbringen sollte. Er war durch sein Charisma – sein langjähriger Begleiter Richard Alpert (Ram Dass) sagte einmal, wo Leary gewesen sei, hätte alles möglich geschienen –, durch sein Selbstbewusstsein und seine Redekunst der ideale Mittler der neuen psychedelischen Kultur. Und zugleich auch ihr Problem, wie immer wieder konstatiert wird. Denn sein Enthusiasmus war kompromisslos. Er wollte der Welt mitteilen, welche Möglichkeiten in bewusstseinserweiternden Substanzen liegen; er wollte nicht, dass sie nur Kranken und einer gesellschaftlichen Elite zugänglich sind; und er wollte sicherlich auch den verknöcherten akademischen Apparat seiner Disziplin herausfordern und die amerikanische Mittelklasse provozieren, deren Konformität er verabscheute. Dass er sich damit mächtige Gegner schuf, war ihm bewusst, wie er in einem Interview mit dem Playboy 1966 bezeugte. In diesem Gespräch unterstrich er auch die Magie von Sex und freier Liebe unter LSD-Einfluss. Die Interviewer fragten begierig nach, und Leary tat ihnen den Gefallen, seine Erfahrungen zu präzisieren: Sex ohne LSD sei im Vergleich zu LSD-Sex so, als schliefe man mit einer Schaufensterpuppe. Frauen könnten während einer Session hunderte Orgasmen haben. Kein Wunder, dass die amerikanischen Puritaner in Leary einen bedrohlichen Verführer der Jugend sahen.

Wie sich der gesellschaftliche Umgang mit LSD und verwandten Substanzen in den Jahren zuvor verändert hatte, kann man an der Reaktion zu einem anderen Interview ablesen. Ende der 1950er Jahre hatte Cary Grant, Hollywoods Superstar dieser Zeit, ein paar Pressetermine zum Film »Unternehmen Petticoat«. Er sprach unter anderem mit der »New York Herald Tribune« und dem »Ladie's Home Journal and Good Housekeeping«. Aber nicht über seinen Lieblingsapfelkuchen oder darüber, wie man eine gute Ehe führt. Nein, zu Joe Hyams von der Tribune sagte er: »Ich durchlief gerade eine psychiatrische Erfahrung, die mich grundlegend verändert hat. Ich musste mich mit mir selbst auseinandersetzen, mit Dingen, die ich nie anerkannt habe, ja, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren. Ich weiß nun zum Beispiel, dass ich jede Frau, die ich geliebt habe, verletzt habe.« Hyams dachte zuerst, Grant würde nur »off the records« plaudern, aber der Schauspieler wollte ein Interview zu seinen umwälzenden Erlebnissen in psychotherapeutischen LSD-Sitzungen geben. Er hielt sich nicht zurück, weder bei Hyams noch in späteren Gesprächen noch in der Biographie »Archie Leach« (Grants eigentlicher Name war Archibald Leach). Besonders ein Zitat ist berühmt und bis heute vielfach wiederholt worden, weil es schon damals im Vergleich zu anderen PR-Beichten Prominenter von kaum fassbarer Offenheit und Einsicht war:

Wir verkrampfen alle unbewusst den Anus. In einem LSD-Traum habe ich auf den Teppich geschissen, den ganzen Boden habe ich vollgemacht. Ein andermal habe ich mich als riesigen Penis gesehen, der von der Erde wie ein Raumschiff abhebt. Und dann schien ich eine Welt von gesunden, feisten Babybeinen zu betreten, mit Windeln und verschmiertem Blut, eine Art allgemeine Menstruation fand da statt.

Grant berichtet in »Archie Leach«, über hundert Mal LSD genommen zu haben. Nur nach den Interviews Ende der 50er Jahre gab er sich schmallippig. Universal Pictures, der Verleih von »Unternehmen Petticoat«, wollte deren Veröffentlichung verhindern, und Grant ließ sich von der Angst seines Arbeitgebers anstecken, war er doch an den Einnahmen des Films beteiligt, und Geld sollte ihn seine Liebe zu LSD dann doch nicht kosten. Er setzte Hyams unter Druck. Doch die Interviews erschienen im April 1959. Im »Ladie's Home Journal« etwa unter dem Titel: »How LSD changed Cary Grant's private life« samt Babybildern und knallig rosa Aufmacherdesign. Und es passierte: nichts. »Unternehmen Petticoat« war ein großer Erfolg, Cary Grant wurde nicht zum »fallen angel« der City of Dreams. Stattdessen engagierte er den Reporter Hyams sogar als Ghost Writer für »Archie Leach«. Die Biographie erschien 1963 dreiteilig im »Ladie's Home Journal«. Und das Interesse an diesen merkwürdigen Therapien in Beverly Hills war entfesselt. Timothy Leary berichtet in »High Priest« von einem Gespräch mit Joe Hyams. Dieser sagte: »Nachdem meine Serie erschienen war, klingelte mein Telefon pausenlos. Psychiater beschwerten sich, dass ihre Patienten sie jetzt um LSD bitten. Jeder Schauspieler in der Stadt, der in Analyse ist, will es. Insgesamt habe ich an die 800 Briefe bekommen.«

»Man lernt zu sterben auf LSD« – Wiedergeburt in Hollywood

Cary Grant war 55 Jahre alt, als er das erste Mal die blauen Pillen von Dr. Mortimer Hartman schluckte. Hartman, ein Radiologe und Experte für Krebserkrankungen, hatte mit dem Psychiater Arthur Chandler Mitte der 50er Jahre »The Psychiatric Institute of Beverly Hills« gegründet. Sie boten eine neue Therapieform an, die sie »LSD Therapy« nannten und die folgendermaßen abgelaufen sein muss: Vor der ersten Sitzung überprüften die Ärzte, ob bei den Patienten psychotische Erkrankungen vorlagen. War das der Fall, konnte der Patient die Therapie nicht antreten. Die Gefahr einer Entfesselung der Psychose wäre zu groß gewesen. So viel wusste man schon damals über die weitgehend unerforschten Effekte von LSD. Hartman und Chandler wiesen die Therapiewilligen an, 24 Stunden vor der Sitzung auf Beruhigungs- und Schmerzmittel zu verzichten und vier Stunden davor nichts mehr zu essen. Als es dann so weit war, geleitete einer der beiden den Besucher in einen abgedunkelten Raum mit einer Liege, wie man sie aus der psychoanalytischen Praxis kennt. Der Arzt reichte die Substanz und ein Glas Wasser und bat den Patienten, sich hinzulegen. Die Dosis war gemäßigt. Chandler und Hartman wollten einen traumähnlichen Zustand herstellen, die Patientinnen und Patienten sollten mit durch eine schwarze Binde verschlossenen Augen ihr Unbewusstes durchwandern. Mystische Erlebnisse waren nicht erwünscht. Grants Trip-Berichte sprechen für diese Annahme. Wörter wie »Divine« und »God« tauchen kaum auf, nur selten ging es in die Höhen und Tiefen hochdosierter Ego-Auflösung.

Konfrontativ war die Zeit im dunklen Raum trotzdem: »Man lernt zu sterben auf LSD, stellt sich all seinen Zwängen – Liebe, Sex, Eifersucht, dem Wunsch zu töten«, sagte Cary Grants Frau Betsy Drake. Und 50 Jahre später in einem Interview mit Vanity Fair: »LSD gab mir den Mut, meinen Mann zu verlassen.« Sie hatte eine schwere Kindheit, die sie über weite Teile getrennt von ihren Eltern verbrachte, 1956 überlebte sie nur knapp den Untergang der SS Andrea Doria, und sie litt unter ihrer Ehe mit Grant, für den sie ihre Schauspielkarriere aufgegeben hatte, zur ausgezeichneten Köchin wurde, und der sie dafür mit Sophia Loren betrog. Bei Hartman und Chandler fand sie die Behandlung, die ihre Traumata löste. Drake überzeugte ihren Mann, es auch zu versuchen. Und so kam es zu Grants »Wiedergeburt« durch LSD. »My Mahatma« nannte Grant Hartman. In seinem Testament bedachte er ihn mit 10 ‌000 Dollar. Doch der frühere Radiologe hatte vorher schon gut verdient. Dank Grant und seinem öffentlichen Bekenntnis zu LSD war Hartman für ein paar Jahre wirklich der Mahatma von Hollywood.

Bevor er mit Chandler das »Psychiatric Institute of Beverly Hills« eröffnete, hatte sich Hartman selber einer dreijährigen Psychoanalyse unterzogen und danach mit LSD experimentiert. Das reichte damals offenkundig aus, um die Substanz zu erhalten. Er und Chandler übermittelten Sandoz in der Schweiz, dem damals einzigen Hersteller, den Antrag für eine fünfjährige Studie zur Erforschung der Substanz. Sandoz willigte ein. Zu dieser Zeit gab es in der Beschaffung keine Hürden. Der Professor für Sozialpsychologie George Litwin schreibt in Ram Dass' und Ralph Metzners Buch »Birth Of A Psychedelic Culture«, wie überrascht die Forscher des Harvard Psilocybin Projects, von denen er einer war, damals über den entspannten Umgang mit Substanzen waren. Für die Bestellung mussten kaum Formulare und Anträge ausgefüllt werden. Es wurde eine große Flasche synthetisierten Psilocybins geliefert, mit der Nachricht: »Viel Glück für Ihre Forschung. Teilen Sie uns Ihre Ergebnisse mit!« Hartman und Chandler waren nicht die Einzigen, die LSD zu therapeutischen Zwecken nutzten. Eine der entscheidenden Figuren in Kalifornien war der UCLA Professor Sidney Cohen. Er führte viele Psychiater und Interessierte an LSD heran, auch Mortimer Hartman und schon 1958 Henry Luce, den Gründer und Präsidenten von Time Inc. und dessen Frau Clare Booth Luce, die ihren Mann zu dem Experiment überredete. An diesem Tag in Phoenix, Arizona, soll Luce ein unsichtbares Orchester dirigiert und mit Gott Zwiesprache über Amerika gehalten haben.

Cohen, Hartman und Chandler waren Vertreter der Psycholytischen Therapie, einer der beiden großen Schulen LSD-induzierter Psychotherapie. Das Suffix -lytisch geht auf das griechische Wort »lysis« zurück, Lösung oder Auflösung. Den Begriff »psycholytisch« führte der britische Psychiater Ronald Sandison ein. Er zeigt an, worum es in der Therapie ging: um die Lockerung von Blockaden, die im üblichen Arzt-Patient-Gespräch nicht oder nur schwer zu überwinden waren. Sandison war Arzt am Powick Krankenhaus nahe Worcester und besuchte Anfang der 50er Jahre Albert Hofmann und Werner Stoll, den Sohn von Sandoz-Chef Arthur Stoll, in Basel, um sich die klinische Verwendung von LSD erklären zu lassen. Stoll hatte 1947 begonnen, die Effekte von LSD an sich selbst und an Freiwilligen zu testen. Seit 1949 vertrieb Sandoz LSD unter dem Namen »Delysid« als Mittel zur psychiatrischen Kur. Bald nach seinem Besuch gründete Sandison am Powick eine Abteilung für LSD-Therapie. Bis in die 1960er Jahre hinein behandelte er dort tausende Patienten, die depressiv oder neurotisch waren und bei denen übliche Therapieformen nicht anschlugen. Mit außergewöhnlichem Erfolg, wie Sandison bis zu seinem Tod 2010 immer wieder sagte.

Die Patienten lagen in einem abgedunkelten, dezent möblierten Raum. Die LSD-Dosen reichten von 75 bis 300 Mikrogramm, je nach Erkrankung und Prädisposition. In den ersten Stunden saß der Therapeut im Zimmer und begleitete die Patienten durch die Sitzung. Er fragte nach, half Bilder und Erscheinungen zu interpretieren, unterstützte die Patienten, wenn es ihnen körperlich schlecht ging, und beruhigte sie, wenn der Trip zu aufwühlend wurde. Durchschnittlich umfasste die Therapie vierzig LSD-Sitzungen, die sich mit normalen psychotherapeutischen Treffen und Gruppentherapien abwechselten. In Letzteren wurde sowohl über die Erlebnisse unter dem Einfluss des Halluzinogens gesprochen als auch darüber, welche Aufschlüsse sie über die Quelle der Erkrankung geben konnten. Transzendenz und Mystik, die Teil jedes Trips sein können, wurden von den Psycholytikern eher als zweitrangig angesehen. Sie waren Freudianer. Wichtig war die Realität. Und diese wurde durch ein Trauma bestimmt, das es zu lösen galt. Wie sollte Gott da helfen?

Die Psycholytische Therapie war die europäische Schule der LSD-Therapie. Sie wurde unter anderem in Norwegen, Holland und der Tschechoslowakei praktiziert. In Deutschland behandelte Hanscarl Leuner seine Patienten ab Mitte der 1950er Jahre mit LSD. Er wurde zu einer wichtigen Figur des psycholytischen Zweigs, veranstaltete 1960 an der Uni Göttingen das »Erste europäische Symposion für die Psychotherapie unter LSD 25« und gründete 1964 die »Europäische ärztliche Gesellschaft für psycholytische Therapie«. Noch vor Leuner setzte der Hamburger Psychiater Walter Frederking, der mit Hofmann und Ernst Jünger befreundet war, LSD und Meskalin ein, um seinen Patienten einen leichteren Zugang zu Kindheitserinnerungen und traumatischen Erlebnissen zu ermöglichen. Und er entdeckte noch einen anderen Effekt, den er 1953 in seinem Aufsatz »Über die Verwendung von Rauschdrogen« beschrieb:

Insbesondere wirkt das LSD