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Seit wann schlafen Menschen eigentlich in einem Bett? Wer hat das Zähneputzen erfunden, und wer hat sich überhaupt "Arbeit" ausgedacht? TV-Historiker Greg Jenner, Englands populärster Geschichts-Erklärer nimmt uns mit auf eine Reise in die Geschichte unseres Alltags. Wir begleiten seinen Protagonisten vom Aufstehen ins Bad und zur Arbeit; wir sitzen mit am Tisch, wenn er isst und telefoniert, und erfahren, welche Kulturen die alltäglichen Dinge erfunden oder entscheidend weiterentwickelt haben - Geschichte zum Anfassen und Miterleben!
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Seitenzahl: 554
Seit wann schlafen Menschen eigentlich in einem Bett? Wer hat das Zähneputzen erfunden, und wer hat sich überhaupt „Arbeit“ ausgedacht? TV-Historiker Greg Jenner, Englands populärster Geschichts-Erklärer nimmt uns mit auf eine Reise in die Geschichte unseres Alltags. Wir begleiten seinen Protagonisten vom Aufstehen ins Bad und zur Arbeit; wir sitzen mit am Tisch, wenn er isst und telefoniert, und erfahren, welche Kulturen die alltäglichen Dinge erfunden oder entscheidend weiterentwickelt haben - Geschichte zum Anfassen und Miterleben!
Greg Jenner gehört zu den profiliertesten Historikern und Comedians Englands, er berät Fernsehsender, Serienautoren und schreibt Sketche unter anderem für Stephen Fry. Er lebt in Woking. Folgen Sie ihm auf Twitter: #greg_jenner
Greg Jenner
NEUES VONVORGESTERN
Die ganze Geschichte der alltäglichen Dinge
Aus dem Englischen vonBernhard Schmid
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2015 by Greg Jenner
Titel der englischen Originalausgabe: »A Million Years in a Day«
Published by arrangement with Weidenfeld & Nicholson
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Sylvia Gredig, Köln
Umschlaggestaltung: Bürosüd, München
Einband-/Umschlagmotiv: © Harry Haysom Illustration and Design
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-2323-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Ich gehe vermutlich recht in der Annahme, dass Sie im Augenblick sitzen. Darf ich raten? In einem üppigen Polstersessel, jener Bastion aufrechten Sitzkomforts, einen Arm leicht angewinkelt, das Buch in der offenen Hand? Oder sind Sie die archetypische Couch-Potato, die sich gern quer über den Dreisitzer fläzt? Im Falle einer auch nur annähernden Seelenverwandtschaft mit mir lesen Sie dieses Buch im Stehen, in einem so überfüllten wie überteuerten Pendlerzug, die Nase eine Handbreit neben der verschwitzten Achselhöhle eines Fremden, auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause. Auf eines jedoch möchte ich wetten … in einer Höhle lesen Sie dieses Buch mit Sicherheit nicht.
Auch wenn sich Abgründe aufzutun scheinen bei dem Gedanken, aber Sie und ich, wir unterscheiden uns anatomisch in keiner Weise von unseren Vorfahren von vor 30.000 Jahren. Wir mögen über Karikaturen sogenannter Neandertaler schmunzeln, die einander Keulen überbraten und ihre Frauen wie Müllsäcke in ihre Höhlen ziehen; die Wahrheit nimmt sich um einiges nuancierter aus. So waren die Neandertaler keinesfalls grunzende Honks. Sie waren sehr wohl der Sprache mächtig und verfügten über den zur Problemlösung nötigen Intellekt; sie beschützten ihre Lieben, begruben ihre Toten, und sie beweinten sie. Unsere Vorfahren waren in jeder Hinsicht moderne Menschen wie Sie und ich. Und doch unterscheiden sich ihre von unseren Lebensweisen ganz gewaltig. Wie also kommt es, dass wir heute so anders leben?
Na ja, sehen Sie sich doch nur mal um. Jeder Aspekt unseres Lebens ist ein Nebenprodukt der Geschichte und trägt Tausende von Jahren Entwicklung in sich. Machen Sie einfach mal eine Besichtigungstour durch Ihr Zuhause – die meisten Gegenstände werden vermutlich nicht sehr alt sein, manche vielleicht sogar kürzlich erst angeschafft, und doch trägt alles und jedes Ding ein außergewöhnliches Erbe in sich. Werfen Sie einen Blick auf die Uhr an der Wand. Sind Sie je davor stehengeblieben, um darüber nachzudenken, wer als Erster die Zeit zu messen versuchte und wie er das angestellt haben könnte? Oder warum man in manchen Ländern im Sommer die Uhren umstellt?
Sehen Sie sich nur mal das Buch in Ihrer Hand näher an – es wurde vor zweitausend Jahren erfunden, sowohl der heilige Paulus als auch Kaiser Nero hätten es als solches erkannt. Die Buchstaben darin sind in einem Alphabet zusammengefasst, das sich über Jahrtausende aus dem von den alten Phöniziern geschaffenen Prototyp entwickelt hat, und folgt einer Tradition der Kommunikation, die über Hieroglyphen und in Wachstafeln gepresste Keilschriftzeichen auf die ersten Strichmännchen an den Wänden prähistorischer Höhlen zurückgeht; die Lebensmittel in unseren Schränken kommen aus aller Welt und mochten einst vielleicht nur für die Azteken als solche erkennbar gewesen sein; die Kleidung in Ihrem Schrank könnte aus Fasern sein, die zum ersten Mal vor 5000 Jahren im alten Indien angebaut wurden, und Tutanchamuns Leinenunterhosen unterschieden sich vermutlich nicht wesentlich von der Wäsche auf Ihrem Bett.
Fast jeder von uns durchläuft tagtäglich gewohnheitsmäßige Routinen, die Menschen seit Jahrtausenden wiederholen – aufstehen, auf die Toilette gehen, frühstücken, waschen, sich für etwas zum Anziehen entscheiden, auf die Uhr schauen, kommunizieren, gemeinsam essen, trinken, Zähne putzen, zu Bett gehen, den Wecker stellen … Und jedes dieser Alltagsereignisse birgt seine eigene, von ungezählten Generationen unserer Vorfahren geschriebene Geschichte.
Ich habe dieses Buch so angelegt, als schildere es den routinemäßigen Ablauf eines modernen Samstags; jedes Kapitel konzentriert sich auf eine ganz bestimmte Aktivität, die Ihnen vertraut sein dürfte, nur dass sie mir lediglich als Ausgangspunkt für eine historische Betrachtung ihrer Ursprünge dient. So erstaunlich die Vorstellung sein mag, wir könnten etwas mit den Höhlenbewohnern der Steinzeit zu tun haben, alles, was wir den lieben langen Tag tun, haben wir mehr oder weniger schon immer getan. Landläufiger Meinung nach waren die »Höhlenbewohner« schwerfällige Dummköpfe verglichen mit uns. Hätten sie tatsächlich mit einem Mobiltelefon umgehen können? Oder ein Auto fahren? Aber sicher – wenn ihnen jemand den Umgang damit erklärt hätte. Leider haben sie die Umstände dazu verurteilt, auf das Vergnügen einer Spritztour in einem Meisterwerk der Ingenieurstechnik ebenso verzichten zu müssen wie darauf, heimlich im Zug Bon Jovis Greatest Hits mit Flauberts Madame Bovary in der Hand zu hören. Während wir nämlich das jüngste Kapitel unserer monumentalen Saga bevölkern, mussten sie sich im langweiligen Teil ganz am Anfang abplagen.
So möchte dieses Buch zum einen den Ruf unserer Vorfahren wiederherstellen, während es sich zum anderen an Antworten auf einige lang gehegte Fragen versucht, warum wir so leben, wie wir das heute tun. Das soll nicht heißen, dass Sie nicht hier und da verwundert die Augen verdrehen werden ob der einen oder anderen Merkwürdigkeit vergangener Zeiten, zumal mir daran gelegen war, die Unterschiede des Humors damals und heute zu zeigen. Vor allem jedoch erhoffe ich mir Ihr Staunen über die vielen Gemeinsamkeiten mit Menschen, die Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende vor uns gelebt haben, die Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende vor uns gestorben sind.
Letztendlich geht es in diesem Buch um Sie und mich; nur dass es sich eben größtenteils der Vergangenheit widmet.
Das Schrillen des Weckers schreckt uns aus dem Land der Träume. Wir heben den Kopf aus den sabberfeuchten Falten unseres warmen Kissens und sperren unsere vom Sandmann verklebten Augen auf, um nach der Uhrzeit zu schielen. Dabei hoffen wir inständig, dass unser Wecker falsch geht und uns noch zwei Stündchen Schlaf gegönnt sind. Leider bestätigt ein Blick auf unser Handy – es ist höchste Zeit.
Warum spielt die Anzeige unserer Uhr eine so große Rolle? Warum machen wir die Augen nicht einfach wieder zu, bis wir richtig ausgeruht sind? Nun, weil Zeit die Architektur ist, die die Rhythmen unserer Existenz bestimmt – sie zu ignorieren hieße, dem Chaos Tür und Tor zu öffnen. Und dennoch, so sehr die Zeit seit Millionen von Jahren eine stabile Größe ist, ihre Messung gab dem Menschen seit jeher Rätsel auf. Ihre strikte Einteilung in genormte Einheiten – Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre – ist keineswegs ewiges und universelles Gesetz, sondern auf Übereinkunft beruhender Usus, ein verzweifelter Versuch, einer heillosen Unordnung zu begegnen, der im Lauf vieler Jahrhunderte allgemeine Annahme fand. Die eingehendere Beschäftigung mit der Geschichte der Zeitmessung gleicht denn auch dem Versuch, einer belgischen Seifenoper ohne Untertitel zu folgen – zunächst unergründlich, entwickelt sie langsam, aber sicher eine merkwürdige Anziehungskraft.
Heute ist Samstag und wir wissen das, weil gestern Freitag war. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir von einem »Tag« sprechen? Es mutet irgendwie albern an, dass ausgerechnet das Englische, das gern als die wortgewaltigste aller Sprachen bezeichnet wird, mit einem Wort – day – zwei unterschiedliche Sachverhalte benennt: 1) den Zeitraum von 24 Stunden, in dem die Erde sich einmal um ihre Achse dreht, und 2) das Gegenteil von »Nacht«. Trotz eindeutig vorprogrammierter Missverständnisse beharren wir auf dieser nicht eben eleganten Lösung – stolz und stur wie wir nun mal sind und in diesem Fall buchstäblich eben auch ein bisschen schwer von Begriff. Das Deutsche hält es mit seinem Tag genauso; viele andere Sprachen dagegen haben keinen Sinn für derlei Albernheiten. Das Holländische etwa umgeht jede Verwirrung mit den Wörtern dag (die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang) und etmaal (24 Stunden); Bulgaren, Dänen, Italiener, Finnen, Russen und Polen halten es ähnlich. Einem Begriff wie etmaal noch am nächsten kommt das Englische mit dem geradezu absurd prickelnden griechischen Wort nychthemeron (Tagnacht), hinter dem sich freilich auch eine finnische Heavy Metal Band verstecken könnte; im Deutschen muss man sich mit einem ganzen oder vollen Tag behelfen, will man besagte Zeitspanne von einem lichten Tag unterscheiden. Mir ist nychthemeron im Gespräch nie untergekommen, und selbst Wissenschaftler ignorieren das Wort; nur Etymologen halten es zu besonderen Anlässen hoch, um sich schwärmend über seine grandiose Absurdität zu ergehen.
Aber der Anglofone kommt durchaus zurecht oder behilft sich gelegentlich bei der Messung von Zeitspannen mit der night, etwa bei der Buchung von Hotelzimmern, wo er sich clever des angelsächsischen fortnight bedient, wenn er vierzehn Nächte im Stück bleiben will. Aber selbst das will nicht so recht aufgehen, weil das Reisebüro unweigerlich nachhakt: »Sind das vierzehn Tage, dreizehn Nächte?« Spätestens dann nehmen wir die Finger zu Hilfe wie Kinder beim Einmaleins. Aber gehen wir nicht zu hart mit uns ins Gericht, schließlich ist diese Schwäche nicht zuletzt erblich bedingt; die Terminologie für den Tag ist für die Menschheit seit jeher ein vertracktes Problem. Im 3. Jahrhundert sprach der römische Philosoph Censorinus sich dafür aus, den 24-Stunden-Zyklus als »bürgerlichen Tag« zu bezeichnen und die Stunden des lichten Tags als »natürlichen Tag«. Was sich zunächst einmal ganz vernünftig anhört, nur dass eine Schar Wichtigtuer im 7. Jahrhundert für ein heilloses Durcheinander sorgte, als sie den 24-Stunden-Rotationszyklus zum »natürlichen Tag« erklärte und die lichte Zeit zum »künstlichen Tag«.
Aber Sie brauchen das erst gar nicht auswendig zu lernen in der Hoffnung, ihre Bekanntschaft damit zu beeindrucken, da die moderne Astronomie zur Bezeichnung einer ganzen Erdumdrehung einmal mehr auf den »bürgerlichen Tag« zurückkam. Das hatte zur Folge, dass man sich heute unter einem »natürlichen Tag« nach der Bezeichnung zweier unterschiedlicher Konzepte überhaupt nichts mehr vorstellen kann, während man sich für den »künstlichen Tag« bei der Glühbirne bedanken muss. Alles klar? Na ja, mir auch nicht … aber ich fürchte, in diesem Kapitel ist nichts so ganz einfach, noch nicht einmal die Definition von Anfang und Ende des Tags.
Öffnen wir unsere müden Augen etwas weiter, sehen wir, dass die Sonne sich durch einen Spalt zwischen den Vorhängen zwängt; es ist also definitiv Morgen – nicht dass Tageslicht notwendigerweise eine Voraussetzung für den Morgen wäre. Sowohl im Westen als auch im Osten beginnt heute ein Tag im Finstern um 00 Uhr 00. Deshalb stimmt der Brite in feuchtfröhlicher Silvesternacht die ersten beiden Zeilen von Auld Lang Syne auf den Glockenschlag um Mitternacht an. Man stelle sich vor, die angeheiterten Partygäste müssten mit ihrem Gedenken der Verstorbenen bis zur Dämmerung warten, von Minute zu Minute betrunkener – das Ganze hörte sich weniger nach gemeinschaftlichem Gesang als nach einer ertrinkenden Viehherde an. Einerseits handelt es sich bei »Mitternacht«, wie die erste Hälfte des Wortes uns deutlich macht, um die Mitte der Nacht, andererseits signalisiert der Zeitbegriff auch das Einsetzen des Morgens. Es ist also nicht ganz richtig, eine um ein Uhr morgens ausgestrahlte Sendung als »late-night TV« zu bezeichnen; desgleichen sollten wir eigentlich nicht damit prahlen, »die ganze Nacht durchgemacht zu haben«, wenn wir um vier Uhr morgens nach Hause gekommen sind. Dieses Verwischen der Grenzen, wir lassen den Tag ja über seine offizielle Schlafenszeit hinaus aufbleiben, gibt unserem Tagesablauf eine überraschende Parallele zu dem einer Kultur, die ihren Höhepunkt vor 3500 Jahren erreichte: der des Alten Ägypten.
In dieser hyperreligiösen Kultur begann der neue Tag nicht um Mitternacht, sondern mit der Morgendämmerung. Folglich galt ihr der Sonnenaufgang als heiliges Ereignis, als der Augenblick, in dem der Sonnengott Ra in seinem Wagen die Reise über das Firmament und damit den heroischen Kampf gegen die Schlangengottheit Apophis antrat. Um dieser ewig wiederkehrenden Routine Sinn zu verleihen und die Sonne auch tatsächlich aufgehen zu lassen, musste der halbgöttliche Pharao bei einer morgendlichen Zeremonie in den heiligen Tempeln von Karnak und Heliopolis Reinigungsrituale zelebrieren. In der Praxis besorgte das allerdings eher ein Stellvertreter des Königs und es musste auch nicht unbedingt Karnak sein. Aber die Vorstellung hat doch etwas: Ein Priester, der hastig einige halb vergessene Worte murmelt, während eine Dienerschaft verzweifelt einen grantigen Tutanchamun aus dem Bett zu bekommen versucht.
Den Tag mit der Morgendämmerung zu beginnen war freilich auch in der Antike kein universeller Brauch. So hatten vor 4000 Jahren etwa die Babylonier, die die majestätischen Städte des heutigen Irak erbauten, zwar eine Menge gemein mit ihren ägyptischen Nachbarn der Bronzezeit, aber ihr Tag begann mit Einbruch der Dunkelheit, wenige Augenblicke vor dem Schlafengehen. Diesem Beispiel folgten später die alten Griechen, die Kelten, germanische Stämme und selbst noch die Italiener des Mittelalters, was ebenso zum Florentinischen Kalender gehörte wie der Umstand, dass das Jahr am 25. März begann und am 24. März endete. Und es handelt sich hierbei keineswegs um eine längst vergangene Praxis, bedenkt man, dass ein orthodoxer Jude noch heute zwischen dem Sonnenuntergang am Freitag und der Abenddämmerung am Samstag den Sabbat einhält. Wie ist also die moderne Welt darauf gekommen, den neuen Tag um Mitternacht beginnen zu lassen? Nun, die Antwort ist vermutlich bei den Römern zu finden, bei denen Tag und Nacht in Blöcke von jeweils zwölf Stunden eingeteilt waren.
Die große Frage bleibt natürlich, auf wen die Erfindung der Zeitmessung überhaupt zurückgeht? Ist ein Sumerer eines Morgens aufgewacht und sagte sich: Hm, sieht aus wie sieben Uhr morgens, und der Rest der Welt fand sich damit ab? Wohl kaum! Da müssen wir schon etwas weiter zurückblicken.
Das Makapan Valley in der südafrikanischen Provinz Limpopo mutet in seiner Großartigkeit an wie von CGI-Spezialisten für einen Hollywoodfilm erdacht. Fast erwartet man in diesem üppigen v-förmigen Tal voll grüner, im Herbst rostbrauner Bäume einen Schwarm Flugsaurier am Himmel zu sehen. Aus den Wäldern ragen imposante Kalksteinberge, in die das Wasser über Jahrmillionen ein Netz von Höhlen gegraben hat, in denen Archäologen einige ganz außergewöhnliche prähistorische Überreste gefunden haben wie etwa die Knochen eines unserer ältesten Vorfahren, des Australopithecus.
Dort musste, schon vor drei Millionen Jahren, eines dieser kleinwüchsigen, aber aufrecht gehenden Geschöpfe auf dem Weg in den Schutz dieser Höhlen die in der Abenddämmerung länger werdenden Schatten bemerkt haben. Der Schutz, den die Felswände ihnen geboten haben dürften, war jedoch nicht von Dauer; er konnte die dort Zuflucht suchenden Hominini nicht vor dem Unvermeidlichen bewahren, sodass die Gattung in diesen Kalksteinhöhlen schließlich auch ihren letzten Atemzug tat. Erst Paläontologen des 20. Jahrhunderts sollten sie entdecken. Der Australopithecus verfügte praktisch über keine unserer intellektuellen Fähigkeiten, er hätte mit Sicherheit kein Kreuzworträtsel lösen können, aber selbst diesen primitiven Kreaturen dürften die zyklischen Rhythmen der Natur nicht entgangen sein: das Zu- und Abnehmen des Monds, das Auf und Ab der Gezeiten, der Reigen der Jahreszeiten. Die Erde dreht sich unaufhörlich um ihre eigene Achse und taucht dabei in stetigem Herzschlag unser Leben in Licht und Dunkelheit; der Australopithecus könnte sich also sehr gut auf den von der Sonne Tag für Tag am Himmel beschriebenen Bogen verlassen haben, im festen Vertrauen darauf, dass sie ihre Reise am nächsten Tag aufs Neue antrat. Kurz gesagt, wir dürfen ihm ein elementares Verständnis von Zeit unterstellen.
Was freilich reine Vermutung blieben muss. Gibt es einen greifbaren Beweis für eine Zeitmessung in der Steinzeit? Drücken wir doch mal auf FASTFORWARD in die Zeit von vor 30.000 Jahren, eine Zeit, in der sich der moderne Mensch den Planeten mit dem Neandertaler teilte, dann stoßen wir auf ein Objekt von faszinierender Mehrdeutigkeit, das man bei Le Placard in der Dordogne gefunden hat. Es handelt sich um einen Adlerknochen, den eine Reihe horizontaler Kerben ziert, deren Abstände das Zunehmen des Mondes über 14 Tage hinweg, vom Neumond zum Vollmond, zu dokumentieren scheint. Man ist also stark versucht, in diesem Knochen den ältesten bekannten Kalender der Welt zu sehen.
Es ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass dieser Kalender von einem Neandertaler gefertigt wurde, aber den Vermutungen vieler Archäologen nach hatte dieser rivalisierende Clan von Hominini unserer überlegenen kognitiven Anpassungsfähigkeit kaum etwas entgegenzusetzen – er war eher Judge Dredd als Sherlock Holmes: kräftiger, robuster, einer, der mit der blanken Faust auf einen Bären losgeht, aber wahrscheinlich in frustriertes Geheul ausbricht, wenn er die Uhr an einer Mikrowelle einstellen soll. Es war also wahrscheinlich eher ein Mensch wie wir – ein findiger, vor angeborener Neugier berstender Homo sapiens, der sich verwundert den Mond ansah und irgendwann auf die Idee kam, dessen Phasen auf einem vom letzten Abendessen übriggebliebenen Knochen zu dokumentieren, ein Wesen also, das sich mit seinem differenzierten Verstand an einem elementaren Verständnis des Kosmos versuchte. Freilich besteht auch die Möglichkeit, dass an dem Knochen einfach jemand rumgeschnitzt hat – womöglich bei der Verrichtung seines großen Geschäfts.
Nur weil wir heute die Zeit einheitlich mit Uhren messen, heißt das noch lange nicht, dass unsere Vorfahren das auch so gehalten haben. Immerhin ist es gerade mal ein paar Jahrhunderte her, dass es zu einem großen Umsturz bei der Zeitmessung kam, der die uns so lieb gewordene 24-Stunden-Uhr mit großer Geste verwarf …
Wir schreiben das Jahr 1793, Frankreich windet sich unter dem gnadenlosen Griff der Revolution. Ludwig XVI. war bereits einen Kopf kürzer; er war dem Fallbeil der Guillotine zum Opfer gefallen, die bald das Kopfsteinpflaster der französischen Hauptstadt mit dem Rot sowohl noblen als auch bäuerlichen Bluts färben sollte. Europas Politiker verfolgten das Treiben starr vor Entsetzen ob der Vorstellung, der Aufruhr könnte ihr eigenes Volk infizieren. Die Welt war von großen Ideen entflammt; von der Philosophie der Aufklärung berauscht, richtete ein Kader radikaler Intellektueller die französische Gesellschaft auf einer Tabula rasa völlig neu aus. Nichts sollte seinem gestrengen Blick entgehen, und selbst die Zeit bekam von oben verordnet ein neues Design …
Über 4000 Jahre lang hatte sich das Duodezimalsystem der Babylonier wacker gehalten – nur warum hatte es die Zwölf zur Grundzahl und nicht etwa die Zehn? Nun, zehn ist nur durch die Ganzzahlen Zwei und Fünf teilbar, wogegen zwölf sich durch zwei, drei, vier und sechs teilen lässt, was die Zahl für mathematische Berechnungen weitaus flexibler macht. Darüber hinaus baute der Einsatz des aus der Beobachtung sowohl der Sonne als auch des Mondes abgeleiteten lunisolaren Kalenders auf die Tatsache, dass ein Jahr zwölf Mondphasen (mit einem dreizehnten Schaltmonat alle zwei, drei Jahre) hat, was die Zwölf zum numerischen Eckpfeiler des Universums macht. Es ist also nur logisch, auch die Zeit in duodezimalen Kategorien zu messen – mit 60 Sekunden pro Minute und 24 Stunden pro Tag.
Für die Franzosen von 1793 war das Schnee von gestern! Ihre Revolution war weit mehr als die Quittung eines hungrigen Mobs für Zopf tragende Blaublüter; es ging seinen Anführern um einen radikalen Bruch mit einer korrumpierten Vergangenheit zugunsten eines wissenschaftlichen Rationalismus. Bereits über zwei Jahrhunderte hatten europäische Philosophen untereinander die Möglichkeit eines metrischen Systems diskutiert; jetzt bot sich die Gelegenheit, es auszuprobieren. Und so stimmte die neue Nationalversammlung am 5. Oktober für einen bereits ein Jahr früher eingebrachten Vorschlag von Jean-Charles de Borda. Der 24-Stunden-Tag wurde damit per Gesetz in zehn Stunden mit jeweils 100 Minuten aufgeteilt, von denen jede Minute 100 Sekunden dauerte.
Und wie Sie bereits ganz richtig vermuten, beließ man es nicht dabei: Wochen wurden zu zehntägigen Dekaden – was unbeabsichtigt die alte ägyptische Woche reflektierte; die Monate wurden einer wie der andere 30 Tage lang und bekamen herrlich prosaische Namen wie etwa Ventôse (Windmonat) – was sich übrigens auf die Februarstürme bezog und nicht etwa auf die peinlichen Folgen der eben beseitigten adeligen Völlerei. Die dezimale Zeitmessung wurde stolz als französische Innovation präsentiert, aber um genau zu sein, hatten die Chinesen damit bereits seit Jahrhunderten experimentiert, bis – welch Ironie – ausgerechnet europäische Kaufleute sie dazu überredeten, sie sausen zu lassen. Aber offensichtlich hatte den französischen Behörden das niemand gesagt. Schon bald sollten sie ihre Ignoranz bedauern.
Die metrische Zeit war furchtbar unpopulär; trotz Beschwichtigungsversuchen in Form von Hybriduhren mit sowohl 24 als auch zehn Stunden auf dem Zifferblatt hielt man das Unterfangen weithin buchstäblich für Zeitverschwendung. Massenenthauptungen per Fallbeil mochten ja noch angehen, aber Zehn-Stunden-Uhren waren dem Franzosen denn doch zu viel. Schierer Wahnsinn war das. Peinlich für alle Beteiligten, währte die vielgerühmte dezimale Revolution kaum 18 Monate, bevor man wieder auf die gute alte duodezimale Zeit zurückkam.
»Aber Augenblick mal«, höre ich Ihren einstimmigen Aufschrei, »wie war das gleich wieder mit den Ägyptern und deren Zehn-Tage-Woche? Was hat die mit duodezimal zu tun?« Tja, da ist was dran … Das wäre vielleicht der richtige Augenblick, näher auf die Lehre von der Zeitmessung einzugehen. Sie müssen sich jetzt etwas konzentrieren, also machen Sie es sich bequem. Der folgende Abschnitt wird ziemlich technisch.
Werfen wir einen Blick auf den Kalender an unserer Wand, so sehen wir, dass unser System jeder Woche sieben Tage zuweist, ganz wie die alten Babylonier; die Ägypter jedoch haben diesem Usus ihre eigenen Innovationen hinzugefügt, was zu einem separaten System der Zeitmessung geführt hat. Im Gegensatz zu den Mesopotamiern zogen sie es vor, ihrem Kalender 36 Zehn-Tage-Wochen zu verpassen, sodass ihnen fünf Bonustage übrigblieben, die sie willkürlich hinten dranhängten. Darüber hinaus bedeutete die Zehn-Tage-Woche, dass sie nur drei Jahreszeiten zu je vier statt vier Jahreszeiten mit jeweils drei Monaten sahen. Dies lag vor allem an der Launenhaftigkeit des Nil, der einen Großteil des Jahres für Überschwemmungen und damit für einen Kalender sorgte, der nach agrarischen Zyklen – Überflutung, Aussaat und Ernte – statt nach Frühling, Sommer, Herbst und Winter unterteilt war.
Aber wie war der Tag selbst aufgeteilt? Nun, ein ägyptisches 24-Stunden-Nychthemeron (sorry, das Wort ist einfach zu schön …) war nicht wie bei uns in zwei Hälften zu je zwölf Stunden aufgespalten, sondern in vier Phasen: eine Stunde Zwielicht, gefolgt von zehn Stunden Tageslicht, denen wiederum eine Stunde Zwielicht folgte, dann kamen zwölf Stunden Dunkelheit. Drängt sich die Frage auf, ob die Ägypter Stunden messen konnten und wenn ja, wie. Die Antwort ist ein triumphierendes »Ja, aber …«. Das Wie ist nämlich etwas komplizierter und hatte im Prinzip mit dem Himmel zu tun. Was die lichten Stunden angeht, so war die Sonnenuhr die bevorzugte Technik, wir kommen gleich noch auf sie zu sprechen, die Nachtstunden zu verfolgen war weitaus schwieriger, was die ägyptische Lösung jedoch umso genialer erscheinen lässt.
Haben Sie sich je kurz vor der Morgendämmerung die Sterne angesehen? Romantisch, wie man mit 18 ist, dachten meine Freunde und ich, machen wir das doch am ersten Morgen des neuen Jahrtausends. Wir hatten buchstäblich abgefeiert »like nineteen ninety-nine«, als wir betrunken einen Hügel hochstiegen, um die Sonne über einer wunderbaren neuen Epoche aufgehen zu sehen. Dummerweise war der Himmel bewölkt, und dem nicht genug ruinierte den glorreichen Sonnenaufgang auch noch der orangefarbene Schein der Straßenbeleuchtung von Sevenoaks. Also trotteten wir enttäuscht wieder nach Hause, um uns an Donuts gütlich zu tun. So viel zur romantischen Seite unserer Frage … Aber hätten wir einen Aussichtsort mit weniger Lichteinfall gewählt, in einem Land mit besserem Wetter, wir hätten etwas gesehen, was Astronomen als heliakischer Aufgang bekannt ist.
Kurz vor der Morgendämmerung blitzen kurz bestimmte, als Dekane bezeichnete Sterne über den östlichen Horizont. Diese Gruppen von 36 Konstellationen wandern jeden Tag um einen einzigen Grad nach Westen, tauchen also Morgen für Morgen etwas weiter westlich auf, bis sie schließlich für ein ganzes Jahr völlig verschwinden. Alle zehn Tage schnellt, wie der Kopf eines neugierigen Erdmännchens, ein neuer Stern über den östlichen Horizont (daher auch ihr Name, von griechisch deka zehn), was die Ägypter möglicherweise in ihrer Entscheidung für eine Zehn-Tage-Woche beeinflusste. Aber was spielt das für eine Rolle für die Uhrzeit an sich? Nun, auf Sarkophagen und an den Wänden von Grabkammern haben altägyptische Gelehrte uns ihre Sternkarten und Kalender hinterlassen, die es modernen Archäoastronomen ermöglichen, ihr raffiniertes System zu entschlüsseln, mithilfe des heliakischen Aufgangs eine nächtliche Uhr zu kreieren. Die altägyptische Diagonalsternuhr ähnelt auf den ersten – und so manch weiteren – verwirrten Blick einem durch Softwarefehler in Hieroglyphen verwandelten Busfahrplan. Horizontal über den Kopf der Tabelle sind die 36 Zehn-Tage-Wochen des Jahres aufgeführt; unter jeder der 36 Spalten befinden sich Symbole, an denen sich ablesen lässt, in welcher Woche des Jahres die betreffenden Dekan-Sterne zu sehen sind. So einfach wie irgend möglich ausgedrückt: Wenn man das genaue Datum kannte, dann ließ sich anhand der Sternuhr die Position eines bestimmten Dekan-Sterns am Himmel mit den Daten in der Tabelle in Einklang bringen, und man konnte ungefähr sagen, wie spät es war.
Etwa 1500 vor unserer Zeitrechnung wurde dieses System durch eine gar noch komplexere Alternative, der Ramessidischen Sternuhr, ersetzt (Ramesside Star Clock – hört sich an wie ein Prog-Rock-Album aus den 70er-Jahren). Das bemerkenswert Neue an dieser altägyptischen Sternuhr war, dass sie das Jahr in 24 Monate von je 15 Tagen einteilte und auf einer neuen Gruppe von 47 »Stundensternen« fußte. Sieht man sich das Design näher an, man findet es wieder in Grabkammern und auf Sarkophagen, so meint man die Anleitung für ein komplexes Brettspiel vor sich zu haben. Am unteren Rand der Darstellung finden wir einen knienden Priester in flottem Leinenkilt und über dessen Kopf ein schwarzweißes Raster mit sieben vertikalen Linien und dreizehn Zeilen, eine Art archaisches Schachbrett, in das sich die Bewegung der Sterne einzeichnen ließ.
Soweit die Wissenschaft das heute sagen kann, hatte der angehende Astronom die Haltung dieses Priesters einzunehmen, womöglich ein Senkblei in der gestreckten Hand, die eigenen Körperteile als Referenz für die Stellung der Sterne, wie sie in der Tabelle eingezeichnet waren. Womöglich hatte er dabei aber auch über einem Wasserbecken zu kauern, das die Sterne über ihm reflektierte. Die furiose Debatte darüber hält an.
Den Weg der Sterne zu verfolgen war eine clevere Lösung für ein vertracktes Problem nächtlicher Zeitmessung, aber wir dürfen uns die ägyptische Stunde dennoch nicht als genormte Einheit von 60 Sekunden Länge vorstellen. Je nach Jahreszeit war sie mal länger, mal kürzer – so konnte eine lichte Stunde im Winter nur 45 Minuten dauern, im sonnigen ägyptischen Sommer eher 75 Minuten. Man erklärte sich das seinerzeit dadurch, dass die Sonne sich nicht am Äquator um die Erde drehe, sondern auf einer ekliptischen Ebene, die im Winter unterhalb des Äquators begann und dann schräg nach oben verlief, sodass sie sich im Sommer darüber hinaushob, bevor sie wieder abfiel. Falls das, Pardon, nicht ganz einleuchten will, stellen Sie sich einen beringten Frisbee in diagonaler Schrägneigung über der Mitte eines Wasserballs, links tiefer und rechts höher, vor. Das erklärte, jedenfalls ägyptischer Ansicht nach, weshalb die Sonne im Sommer höher am Himmel steht.
Folglich gab es rund ums Jahr zehn Stunden lichten Tags (plus zwei Stunden Zwielicht), nur waren diese Stunden im Juli eben länger als im Dezember, ein Phänomen, das sich als saisonale Stunden bezeichnen ließe. Aber selbst eine saisonale Stunde war am helllichten Tag unmöglich allein an den Sternen zu messen, sodass sich die alten Zeitmesser etwas anderes einfallen lassen mussten, um den Überblick nicht zu verlieren …
Waren die Sterne verschwunden und die Sonne lachte am Himmel, musste also eine andere Methode her. Herodot – dem »Vater der Geschichtsschreibung« – zufolge waren es die cleveren Babylonier, die als Erste auf die Sonnenuhr kamen, aber wahrscheinlicher ist, dass sie unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen entstand, schließlich bestand die ganze Technologie nur in einem Stecken in der Erde.
Wie auch immer, würde ich Sie nach einer berühmten alten Sonnenuhr fragen, Sie kämen vermutlich nicht auf die Babylonier; falls Sie jedoch in Paris, London oder New York zuhause sind, würden Sie vermutlich ein ägyptisches Beispiel vorschlagen, an dem Sie vorbeigekommen sind, und nicht etwa hinter Glas in einem Museum, sondern stolz hoch aufgerichtet an der frischen Luft. Wovon ich spreche? Nun, das Volk bezeichnete sie gemeinhin als Obelisken oder Nadeln der Kleopatra in London und New York, obwohl sie mit der berühmten Königin nichts zu tun haben. Sie sind schließlich fast 3500 Jahre alt; als Kleopatra und Caesar ihr Techtelmechtel hatten, standen Obelisken bereits 1400 Jahre in der dem Sonnengott geweihten Stadt Heliopolis Wache.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, die Archäologen sind sich nicht sicher, ob sie bewusst als Chronometer aufgestellt wurden oder einfach als gewaltige Ornamente gedacht waren, die zufällig auch imposante Schatten warfen. Und selbst wenn sie tatsächlich der Zeitmessung dienten, so machte allein schon ihre Größe sie untauglich für den Hausgebrauch; es mussten also kleinere Alternativen her. Die einfachste waren die Schattenuhren, die im Prinzip nur aus einer langen Planke mit einem Winkelstück am Ende bestanden, auf das quer ein weiterer Balken aufgesetzt war, sodass eine T-Form entstand – stellen Sie sich den Heckspoiler eines Dragsters vor; der Querbalken war damit von der Erde abgehoben und warf einen diagonalen Schatten auf die Längsplanke. Stand die Sonne tief am Himmel, war der Schatten lang und reichte bis ans Ende der Planke wie eine schwarze Katze, die sich in der Mittagshitze streckt; gegen Mittag stand die Sonne am Zenit, fast direkt über dem Querbalken, der Schatten war entsprechend kurz.
Mittags war die Schattenuhr schlagartig zur Nutzlosigkeit verdammt, was man selbst an unseren Mobiltelefonen gemessen als blitzartige Obsoleszenz bezeichnen kann, nur dass damals kein teures Upgrade vonnöten war – man musste die Uhr nur einfach umdrehen, sodass sie gen Westen guckte statt gen Osten; damit war dann statt des Aufstiegs der Sonne ihr Niedergang zu verfolgen. So jedenfalls sieht es heute die Theorie. Das Problem bei der Geschichte ist, dass es aus Ägypten keine – weder schriftliche, archäologische noch illustrative – Beispiele für das tatsächliche Vorhandensein eines solchen Querbalkens gibt. Offen gesagt, wir wissen eigentlich nicht, wie Schattenuhren funktionierten, ja noch nicht einmal, ob sie tatsächlich mit Querbalken versehen waren.
Etwas zuverlässiger sind unsere Informationen über Sonnenuhren. Spätestens im 8. Jahrhundert v. Chr. hatten die Ägypter elegant abgeschrägte Steinblöcke entwickelt, die sie das Sonnenlicht besser einfangen und messen ließen, indem man den Weg des Schattens über die exponierte Oberfläche verfolgte. Der Philosoph Anaximander aus Milet brachte die Sonnenuhr irgendwann um das Jahr 546 vor unserer Zeitrechnung von Ägypten nach Griechenland, wo sie bald – neben Philosophie, Olivenöl und Sex mit kleinen Jungs – unabdingbarer Bestandteil ägäischer Kultur geworden war. Bis zu Beginn des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung hatte Berosus der Chaldäer die Sonnenuhr zum Halbkreis umgeformt; sie nahm sich jetzt aus wie ein unfertiges Waschbecken, ein Steinblock, in den eine gewölbte Vertiefung gehauen war; Schlüssel seiner Funktionalität war der Gnomon, der spitze Finger in der Mitte, der für den Schatten verantwortlich war.
Griechische Schlauberger mit wallenden Bärten galten als die kreativen Genies ihrer Zeit, aber als sich einige italienische Parvenüs unter ihnen breitzumachen begannen, ging es auf dem antiken Technologiemarkt bald etwas hemdsärmeliger zu. 264 vor unserer Zeitrechnung fielen diese aggressiven Römer auf der griechischen Inselkolonie Sizilien ein, und nachdem sie – angeblich aus Versehen – dessen berühmtesten Einwohner, den brillanten Exzentriker Archimedes – genau, den mit dem »Heureka!« – umgebracht hatten, stahlen sie zu allem Überfluss auch noch die offizielle Sonnenuhr der Stadt Syrakus. Diese freilich, und dass die römischen Plünderer das nicht kapiert hatten, entbehrte nicht einer gewissen Ironie, war auf die lokale Breite geeicht, und als man die Uhr nach Rom brachte, stellte man fest, dass die Ausrichtung um vier Grad daneben war, was sie völlig »falsch gehen« ließ. Nun, die Plünderer wollten die Uhr nicht umsonst nach Rom geschleppt haben und stellten sie stur trotzdem auf. Angeblich versicherten sie ein geschlagenes Jahrhundert lang den Besuchern: »Nein, nein, das gehört so, ehrlich«, bevor man der Uhr schließlich 164 vor unserer Zeitrechnung ein Upgrade spendierte.
Mit der Ausbreitung römischer Macht über ganz Europa und in den Nahen Osten sowie der Wandlung Roms vom Stadtstaat zum Imperium tauchten Sonnenuhren überall in der antiken Welt auf, und als der brillante römische Architekt Vitruvius sich an seine Abhandlungen über so komplexe Bauten wie Aquädukte setzte, konnte er bereits 13 verschiedene Designs dieses neuen Zeitmessers aufzählen. Selbst der große Kaiser Augustus errichtete einen gewaltigen ägyptischen Obelisken als Gnomon auf dem Marsfeld in Rom, und es ist gut möglich, dass sein Freund und Schwiegersohn Marcus Agrippa ganz bewusst ein Loch im riesigen Pantheon gelassen hat, das zu einer bestimmten Stunde die Sonne in den Bau blitzen ließ.
Angesichts der vielen Sonnenuhren könnte man nun meinen, die römische Welt sei vom verlässlichen Rhythmus der Sonnenstunden regiert worden, aber dem scheint nicht so gewesen zu sein. Es gibt ein berühmtes Zitat aus einem Stück von Plautus, in dem eine der Personen verärgert lamentiert, die Sonnenuhr habe seinem Tag eine unselige Strenge verliehen, weil er nicht mehr essen könne, wenn seinem Magen nach etwas zu essen sei. Den meisten Römern jedoch scheint die akkurate Messung der Zeit herzlich schnuppe gewesen zu sein. In unserer modernen Besessenheit vom unaufhörlichen Trommelschlag der Zeit hätten sie wohl eine merkwürdige Marotte gesehen. Aber woher kommt denn nun unser Zwang, ständig nach der Uhr zu sehen? Nun, dafür dürfen Sie wahrscheinlich Gott verantwortlich machen – oder einen seiner Stellvertreter auf Erden …
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Ein neuer Tag bricht an und mit ihm ertönt der vertraute Schlag der Glocke. Sie sind schon eine Weile auf den Beinen; ihr Klang reißt Sie also nicht brutal aus dem Schlaf. Überhaupt passiert das Tag für Tag, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und das wird so weitergehen, bis Sie eines Tages das Zeitliche segnen. Was Sie da hören, ist der Ruf zum Gebet, dem ersten des Tages (den Laudes), und ihm folgt buchstäblich eine Litanei weiterer: Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und als Nachtgebet das Komplet; nachts folgen die Vigilien bzw. das Matutin mit zwei bis drei Nokturnen alle paar Stunden; dann geht das Ganze wieder von vorn los. Klingt strapaziös? Nun, sagt ja auch keiner, dass das Mönchsleben als Honiglecken gedacht war …
Wer im Mittelalter ins Kloster ging, sah sein Leben vom strengen Takt täglicher Gebetsrituale – den Offizien oder Horen – regiert. Im Gefolge eines ungeheuer einflussreichen Edikts von Papst Sabianus im 7. Jahrhundert wurde jedes dieser Gebete mit dem Schlagen der Glocke ausgerufen, und auch wenn der endlose Lärm nur für die Diener Gottes gedacht war, er war weit und breit nicht zu überhören – das ist nun mal der Glocken Sinn. In der exaltierten Welt mittelalterlicher Frömmigkeit war ein Europäer nie zu weit von einer Kirche, einem Kloster oder einer Kathedrale entfernt, um nicht Gottes ohrenbetäubenden Wecker zu hören. Und so wurden die Horen mit der Zeit unbeabsichtigt zum pulsierenden Rhythmus des Alltags auch für Millionen gewöhnlicher Menschen – so wie ich heute bei mir zuhause jeden Mittag die Uhr zuverlässig nach dem Lärm spielender Kinder auf dem Pausenhof gegenüber stellen kann.
Die Unterteilung des Tages nach religiösen Gesichtspunkten beschränkte sich nicht nur auf den christlichen Westen. In der islamischen Welt galten die obligatorischen fünf Zeiten des Gebets (Salāt) für alle Gläubigen, nicht nur für solche, die das Gelübde abgelegt hatten; entsprechend richtete man ein Benachrichtigungssystem für die Masse – mit öffentlichen Sonnenuhren an den Wänden und Muezzinen, die das Volk von Dächern aus zum Gebet riefen – ein. Auch wenn die islamische Welt mit der saisonal bedingten Flexibilität der Stunde an sich kein Problem hatte, so verfügte sie natürlich auch über eine beachtliche Anzahl von genialen Wissenschaftlern, von denen einer ganz besonders fasziniert war von den Zusammenhängen zwischen Himmel und Zeit. Ibn asch-Schatir war vermutlich der größte Astronom des 14. Jahrhunderts, was ziemlich praktisch war angesichts der Tatsache, dass er auch der offizielle Hüter der Zeit an der Umayyaden-Moschee in Damaskus war. Sein großer Beitrag zur Weltgeschichte war die Sonnenuhr mit gleich langen Stunden.
Die horizontale Sonnenuhr, die er 1371 auf einem Minarett der Moschee installierte, hatte einen Durchmesser von zwei mal einem Meter und verfügte über drei Ziffernblätter; sie maßen die Stunden von Sonnenuntergang, bis Sonnenuntergang und die genaue Zeit selbst. Bahnbrechend richtete er seinen solaren Zeitmesser parallel zur Polachse der Erde aus, rückte mit einigen detaillierten Tabellen dem alten Gegner, der saisonalen Zeit, zu Leibe und sorgte für gleichmäßige Stunden, die unabhängig von der Jahreszeit 60 Minuten lang waren. Dies signalisierte buchstäblich den Beginn der modernen Zeit. Selbst wenn man den Zeitfaktor hintanstellt – die Welt stand an der Schwelle gewaltiger Veränderungen, und die Zeit sollte dabei eine entscheidende Rolle spielen …
Während wir uns schläfrig aufrichten, die warme Decke noch über der Brust, werfen wir wieder einen Blick auf die Uhr auf unserem Nachttisch. Es ist Samstagvormittag, wir können die nächsten Stunden ausspannen, und trotzdem sind wir besessen vom Konzept der Zeit. Wir können nicht anders. Womöglich empfindet der eine oder andere seine Tage als ständigen Wettlauf gegen die Uhr, und ich benutze diese Wendung ganz bewusst.
Es ist kein Zufall, dass das 13. Jahrhundert, das den Merkantilismus hervorbrachte, der viele europäische Städte zu mächtigen Wirtschaftszentren machte, auch die Premiere der mechanischen Uhr erlebte. Man brachte diese gewaltigen Apparate hoch oben in Belfrieden – weltlichen Glockentürmen – unter, sodass sie im Gegensatz zu den lautlosen, von den meisten Römern gar nicht zur Kenntnis genommenen Sonnenuhren als ständig lärmende Mahner des Hier und Jetzt fungierten. Sie erinnerten einen an die wertvollen Geschäftsstunden, in denen man auf den Beinen zu sein hatte, um Geld zu verdienen wie ein mittelalterlicher Donald Trump (wenn auch mit weniger alberner Haartracht, nehme ich an). Unter dem wachsamen Auge des Glockenturms kapitulierte der Feudalismus schließlich vor dem Kapitalismus. Jetzt war Zeit plötzlich Geld.
Es sieht also ganz so aus, als hätte uns der Fortschritt in der Zeitmessung eine ganz neue Besessenheit von Profit und Effizienz beschert. Aber binnen weniger Jahrhunderte sollte das Streben nach Profit und Effizienz zur Besessenheit vom Gedanken besserer Zeitmessung führen …
Eines Morgens im Jahre 1784 sah sich ein amerikanischer Sondergesandter in Frankreich unsanft aus dem Schlaf gerissen; Benjamin Franklin hatte vergessen, die Läden an seinen Fenstern zu schließen, und die warme Pariser Sonne weckte ihn auf. So entsetzt wie verwirrt warf der renommierte Wissenschaftler einen Blick auf seine Taschenuhr und sah zu seinem Erstaunen, dass es erst sechs Uhr morgens war. Was um alles in der Welt hatte die Sonne um diese Zeit am Himmel verloren? Träumte er? War er betrunken? Fieberhaft blätterte er im Almanach nach den Sonnendaten für den Tag und stellte fest, dass seine Uhr nicht stehen geblieben war. Er wiederholte das Experiment noch dreimal in dieser Woche, bis er seine Vermutungen wissenschaftlich bestätigt sah. Tatsächlich, die Sonne geht mit der Sonne auf!
Ich hoffe, Sie haben gemerkt, dass Franklin hier seine metaphorische Narrenkappe trug – im Gegensatz zu seiner ausgesprochen realen Biberfellmütze, mit der er in Europa eine der merkwürdigeren Modewellen lostrat. Als ein Mann mit kolossaler politischer Verantwortung hatte er nichts von der jugendliche Häme verloren, mit der er als junger Mann leichtgläubigen Zeitungslesern weisgemacht hatte, er sei eine zänkische Alte namens Silence Dogwood. Mittlerweile nicht mehr der Jüngste, sah Franklin sich in der Enge seines Pariser Domizils dazu verurteilt, einen Verstand von Weltklasse auf die Lösung der neckischen kleinen Aufgaben zu verwenden, vor die ihn sein Freund, ein Herr mit dem fabelhaften Namen Antoine Alexis-François Cadet de Vaux, zu stellen beliebte. In dankbarer Anerkennung für die kleine Zerstreuung hatte Franklin den erwähnten Brief zum Amüsement seines Gönners an das Journal de Paris geschickt, dessen Herausgeber Letzterer war.
Ihre Leser, denen, ganz wie mir, nie auch nur eine Spur von Sonnenschein vor dem Mittage zu gewahren vergönnt war und die zudem selten in den astronomischen Teil des Almanachs sehen, werden so erstaunt sein, wie ich selbst es war, wenn sie von diesem zeitigen Aufgange hören; und dies umso mehr, wenn ich ihnen versichere, daß sie bereits vom Beginn ihres Aufstiegs an Licht abgibt.
Die Ursprünge von Franklins Scherz lagen auf der Hand. Erst kürzlich Zeuge der glamourösen – durchaus mit dem Vorstellen des neuesten iPhones zu vergleichende – Präsentation einer neuen Art von Öllampe geworden, hatte er sofort Bedenken ob deren energetischer Effizienz angemeldet – wobei mir sofort die allzu kurze Lebensspanne meines Handyakkus einfällt. In dem Bewusstsein, dass Kerzen ein kostspieliger Haushaltsposten waren, stellte der »Erste Amerikaner« in seinem Juxbrief eine für ihn typische Kostenanalyse auf. Mit der ebenso scherzhaften wie frechen Feststellung, der durchschnittliche Pariser wache erst zu Mittag auf, kam er zu dem Schluss, dass die Stadt es zwischen März und September am Abend auf 128.100.000 Stunden bei Kerzenlicht brachte und dabei 29 Millionen Kilo Kerzenwachs verbrannte. Um Geld zu sparen, hatte Franklin der französischen Regierung die satirische Empfehlung ausgesprochen, ihren Bürgern die morgendliche Faulheit mit saftigen Steuern auf Fensterläden und einer ohrenbetäubenden Kanonensalve bei Morgendämmerung zu verleiden – »um die Faulpelze aufzuwecken«. Auch wenn dieser wissenschaftliche Jux als harmloser Insiderwitz gedacht war, er bot durchaus interessante Einsichten in die Ökonomie des Lichts.
Franklin hatte den sarkastischen Vorschlag gemacht, die Leute früher aufzuwecken, aber wieso sollte man den Leuten die Änderung ihrer Gewohnheiten aufzwingen – warum nicht einfach die Zeit selbst manipulieren? 1895 reichte ein gewisser George Vernon Hudson, ein in England geborener Neuseeländer, bei der Wellington Philosophical Society einen Aufsatz mit eben diesem Vorschlag ein. Hudson war einer von Neuseelands renommiertesten Insektensammlern, aber – wichtiger noch – er war Postbote, sodass er früher aufstand als alle anderen. Da er so aus erster Hand wusste, dass die Welt den Sonnenaufgang verschlief, schlug Hudson vor, doch einfach die Uhren vorzustellen, so hätte man am Abend noch eine helle Stunde, wenn die meisten Leute noch wach waren. Die Idee war gut, aber keiner wollte sie hören. Stattdessen zockelte die Welt noch ein Jahrzehnt unverändert weiter, bis wieder mal einer zu demselben Schluss kam.
William Willett war ein englischer Geschäftsmann, ein respektabler Bauunternehmer mit einem prachtvollen Schnurrbart und betuchter Klientel. Er stieg jeden Morgen um sieben auf sein Pferd und durchmaß im leichten Galopp die Wälder seiner heimatlichen Grafschaft Kent. Eines Tages bemerkte er, dass an einem der Häuser in der Nachbarschaft noch die Läden geschlossen waren; die Sonne stand am Himmel, der Tag hatte begonnen, aber niemand war auf den Beinen, um sich daran zu erfreuen. Willett mochte die Ausstrahlung eines verknöcherten Industriekapitäns gehabt haben, aber unter dem gestärkten Hemd schlug ein Herz voll ungezügelter Leidenschaft – wenn auch nicht die skandalöse Sorte, für die sein lebenslustiger König Edward VII. bekannt war. Nein, Willetts Obsession war das Einfangen des Tageslichts; ein »Haus von Willett«, so sein stolzes Motto, maximiere wie kein anderes die Ausleuchtung durch das natürliche Licht.
Erfüllt von dem Gedanken, die Menschen in Chislehurst darauf aufmerksam zu machen, was sie versäumten, trabte er nach Hause und stellte seine Überlegungen an. Franklins Kanonensalven zum Sonnenaufgang wären völlig unnötig; Willetts Überlegungen waren eher konzeptueller Art. 1907 schließlich veröffentlichte er eine Denkschrift mit dem Titel Die Verschwendung von Tageslicht, in der er einem ganz neuen Konzept das Wort redete, das er Daylight Saving Time (DST) taufte, aus dem in anderen Ländern meist eine »Sommerzeit« – z. B. l’heure d’été, horario de verano – wurde. Er regte an, die Uhren an den vier Sonntagen im April um jeweils 20 Minuten vorzustellen, um so hellere Sommerabende zu haben.
Es mag unnötig erscheinen, achtmal im Jahr bis Mitternacht aufzubleiben, um an der Uhr zu drehen, aber das Konzept der Zeit als bewegliche Größe, das muss man Willett der Fairness halber einräumen, war vielen Menschen durchaus vertraut. Seit Jahrhunderten hatten Menschen lokal die Stunden des Tages am Schatten der Sonne gemessen; man hatte also bei Reisen nach Osten oder Westen auf derselben geographischen Breite seine Uhr nachzustellen. So liegt Bristol, um nur ein Beispiel zu nennen, 185 Kilometer westlich von London, die Sonne geht dort neun Minuten später auf; anders gesagt, man steckte dort noch unter der Bettdecke, während die meisten Cockneys bereits in Puschen ihren Dick van Dyke gaben.
So hatte jede Stadt ihr ganz persönliches Verhältnis zur Zeit, bis das Aufkommen von Personenzügen in den 1840ern selbst abgelegene Winkel des Landes miteinander in einem Hochgeschwindigkeitstransportnetz verband. Was ganz offensichtlich großartig war, aber es führte auch vorübergehend zu einem nicht vorhersehbaren Chaos. So fuhr ein Zug nach Bristol in London zur Ortszeit um 12.00 Uhr am Mittag ab, kam aber vier Stunden später nicht etwa um 16 Uhr an, sondern um 15 Uhr 51. Es waren also neun Minuten auf der Strecke geblieben. Verständlicherweise führte das zu einer kolossalen Verwirrung unter Pendlern, sodass en masse Züge versäumt wurden.
Kaum hatten die Eisenbahngesellschaften das Problem erkannt, handelten sie und führten auf allen ihren Strecken die Greenwicher Zeit oder Greenwich Mean Time ein. Das führte zu Fahrplänen, die im ganzen Land stimmig waren, löste aber mitnichten das Problem für den einzelnen Pendler. Wenn er nämlich nicht gerade unter der berichtigten Bahnhofsuhr stand, richtete sich sein Tag immer noch nach der Ortszeit auf Kirchen- und Taschenuhren. So schlenderte er sorglos zum Bahnhof, nur um dort in einer weißen Dampfwolke seinen Zug vorbeirauschen zu sehen.
Was es brauchte, das war eine Standardisierung der Zeit nicht nur für die Eisenbahnen, sondern für die ganze Nation – ein Bedürfnis, das freilich nicht jeder empfand. Nicht bereit, die Tradition lokaler Sonnenrhythmen aufzugeben, die immerhin Jahrtausende zurückgingen, reflektierten Städte wie Exeter und Oxford den unseligen Kompromiss des metrischen Desasters in Frankreich in Form von Uhrhybriden mit zusätzlichem Minutenzeiger, an denen gleichzeitig Orts- und »Eisenbahnzeit« abzulesen waren. Lange halten sollte sich die ebenso unhandliche wie halbherzige Methode jedoch nicht, zumal die in den 1860ern aufkommende Telegraphie die Bedeutung einer einheitlichen akkuraten Zeitmessung in einer zunehmend globalen Kultur aufzeigte. 1880 schließlich gaben sich die Traditionalisten geschlagen, und die britische Nation unterwarf sich der Greenwicher Zeit. Was sich denn für alle als vorteilhaft erwies – außer für die chronischen Langschläfer, die sich nun andere faule Ausreden einfallen lassen mussten, wenn sie den Zug verpassten.
So hielt man denn auch William Willetts Idee, die Uhr an bestimmten Tagen um 20 Minuten vor- oder zurückzustellen, nicht unbedingt für verrückt; so mancher dürfte sich daran erinnert haben, wie es war, beim Erreichen seines Reiseziels die Taschenuhr auf Ortszeit stellen zu müssen. Mit Unterstützung eines jungen Winston Churchill und eines – nicht mehr ganz so jungen – David Lloyd George erschien Willett voll Zuversicht vor einem parlamentarischen Ausschuss und fuhr sein Hauptargument auf: Eine nach der Einführung einer solchen Maßnahme geborene Person hätte an ihrem 28. Geburtstag ein zusätzliches Jahr bei Tageslicht zugebracht. Wer wollte sich einer solchen Logik widersetzen? Leider hatte Willett nicht mit einer derart starken Opposition gerechnet. Nach drei Jahrzehnten allgemein standardisierter Zeit gab es kaum einen, der nostalgisch die Tage herbeisehnte, in denen man an seiner Uhr herumschrauben musste – und das auch noch achtmal im Jahr!
Hatte Willett als respektierter Gentleman begonnen, so endete er, weithin als weltfremder Spinner verspottet, seine Glaubwürdigkeit in Trümmern, als Witzfigur. Sechs Jahre hintereinander bügelte das Parlament seine Eingabe ab. Schließlich fiel er, typisch für einen, der gern etwas früher als später erledigt sieht, gerade mal 58-jährig tot um. Das war 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, als König Georg V sich verzweifelt seines deutschen Zunamens zu entledigen versuchte (er taufte die Royals 1917 von Sachsen-Coburg und Gotha in Windsor um). Dass das Inselreich je die Sommerzeit annehmen würde, konnte man getrost vergessen. Dafür führte man sie im April 1916 ganz plötzlich in Deutschland ein. In der Bekanntmachung vom 6. April des Jahres hieß es dazu lapidar: »Vom 1. Mai bis 30. September 1916 wird die gesamte Zeitrechnung um eine Stunde vorverlegt.«
Leute mit Köpfchen, hatten die Berater des Kaisers ausgeknobelt, dass ein Mehr an natürlichem Tageslicht den Bedarf an künstlicher Beleuchtung senken würde und der so eingesparte Brennstoff sich den Kriegsanstrengungen zuführen ließ. Oder wie es in den Amtlichen Kriegsdepeschen vom 6. April 1916 hieß: »Zweck der Maßnahme ist die bessere Ausnutzung des Tageslichtes und die gerade im Ersten Weltkrieg erwünschte Ersparnis an Rohstoffen und den Erzeugnissen für Beleuchtungszwecke. Die Ersparnis wird auf etwa 900 Millionen Mark geschätzt.« Die Soldaten in den Gräben dürfte das kaum interessiert haben, aber das Argument an sich war so überzeugend, dass es den Weg über den Ärmelkanal fand. Vielleicht, so meinte jetzt mit einem Mal so mancher – der William Willett öffentlich durch den Kakao gezogen hatte – verlegen, ist diese Daylight Saving Time ja doch keine so dumme Idee. Nur einen Monat, nachdem Deutschland den Sprung gewagt hatte, sprang Großbritannien hinterher. Man war zwar gescheit genug, den ursprünglichen 20-Minuten-Plan durch den einfacheren einmaligen Sprung um eine Stunde zu ersetzen, aber die Umstellung auf die Sommerzeit war geschafft. So kam William Willett denn doch noch zu seiner eigenen Zeit. Oder um es mit MC Hammer zu sagen: »Now, stop … it’s Willett time!« Bis Ende des Ersten Weltkriegs hatten auch viele andere Staaten das neue System übernommen, sogar Australien, aber die Kontroverse fing damit erst richtig an.
Insbesondere Amerikas Übernahme der Idee erwies sich als spektakulärer Schuss in den Ofen; die Vereinigten Staaten sorgten damit – wie ein begeistertes Kätzchen sich in einem Wollknäuel verfängt – für eine Krise, die ein halbes Jahrhundert anhielt.
Eine Standardzeit für die ganze Breite des amerikanischen Kontinents war nicht akzeptabel – andernfalls hätte Dolly Partons Song über den Job von »9 to 5« die eine oder andere Zeile über die Arbeit im Dunkeln gebraucht. Ursprünglich war es ein Ingenieur bei der kanadischen Bahn, Sandford Fleming, der sich für eine gemeinsame Standardzeit auf der Basis der 24-Stunden-Uhr stark machte, und zwar für die ganze Welt. Diese »kosmische Zeit«, wie er sie nannte, war seine große Idee; eines Tages, so hoffte er, würden die Angehörigen aller Nationen Uhren tragen, die sowohl die lokale als auch die kosmische Zeit anzeigten. Als daraus nichts wurde, trat Fleming für ein neues System von 24 regionalen Zeitzonen ein; jede davon umfasste genau 15 Längengrade, war also der vorhergehenden um eine Stunde voraus. Es war dies eine pragmatische Antwort auf das Eisenbahnchaos, und schließlich schuf man 1883 fünf separate Zeitzonen für Nordamerika: Eastern, Central, Mountain, Pacific und Intercolonial, die nach Flemings großer Ingenieursleistung, der Intercolonial Railway of Canada, benannt war.
Zur weiteren Stabilisierung des Systems empfahl im Jahr darauf eine internationale Konferenz, die Greenwich Mean Time zum Hauptmeridian für die globale Einteilung der geographischen Länge zu machen, auch wenn die pikierten Franzosen ihrem Ruf als querschießende Mimosen alle Ehre machten, indem sie sich weigerten, eine andere Stadt als Paris ins Zentrum ihrer Karten zu stellen. Ungeachtet der schmollenden Gallier funktionierten die neuen Zeitzonen in Amerika recht gut, obwohl einige Städte – wie Detroit und Cleveland – die Zonen wechselten, um am Abend mehr Licht zu haben, aber das waren lokale Entscheidungen von Leuten mit Interessen vor Ort; wogegen sich der landesweite Umstieg auf die Sommerzeit 1918 – mit dem man auch hier des Krieges wegen Energie zu sparen hoffte – als totales Desaster erwies.
Wie heute bei amerikanischen Wahlen mehr als deutlich zu sehen, gibt es kaum etwas, worüber man sich in allen 50 Bundesstaaten einig wäre, aber mit der Abneigung gegen die Sommerzeit war man nahe dran. Nach nur acht Monaten ließ man das einschlägige Bundesgesetz ohne viel Federlesen wieder fallen. Dummerweise ließ man es – wie schon vor dem Krieg – den einzelnen Staaten und Städten frei, ob sie sich dieser Entscheidung anschließen wollten oder nicht. Nur hatten inzwischen neue Technologien dem Land ein völlig neues Gesicht gegeben. Nach 1945 gab es glamouröse neue Industrien wie zum Beispiel Fluglinien für den Personenverkehr oder Fernsehsender, die ihr Programm ins amerikanische Leben zu integrieren versuchten, nur dass deren detaillierte Zeitabläufe unmöglich mit all den verschiedenen Zeitzonen in Einklang zu bringen waren. Man konnte sogar von Glück sagen, wenn sich lokale Busfahrpläne vierzehn Tage ohne erhebliche Überarbeitung hielten, als Städte und Staaten die Sommerzeit erst übernahmen und dann wieder fallen ließen wie launische Kinder, die sich schon zu Neujahr mit ihren eben noch heißersehnten Weihnachtsgeschenken langweilen.
Wenn man bedenkt, dass Amerika nur fünf Zeitzonen hatte, ist es fast schon beeindruckend, dass etwa auf den 56 Kilometern zwischen Moundsville, West Virginia, und Steubenville, Ohio, der Bus sieben Zeitzonen passierte. Das bedeutete, dass die Gewissenhafteren der Fahrgäste auf dieser Strecke ihre Uhren alle acht Minuten hätten umstellen müssen. Nicht dass die Pendler mit dem Auto besser dran waren. Es finden sich zahlreiche Berichte von Leuten, die nach dem üblichen Rushhour-Verkehr erleichtert die Staatsgrenze passierten, nur um sich im nächsten Rushhour-Stau zu sehen, weil der Nachbarstaat eine Stunde hinten dran war.
So endete in den 1950er- oder frühen 1960er-Jahren der Gang zu einem offiziellen Termin oder zur Bank durchaus mal mit einer verlegenen Entschuldigung für das späte Erscheinen oder einem frustrierten Tritt gegen eine verschlossene Tür. In Idaho musste sich die Kundschaft gar mit unterschiedlichen Öffnungszeiten von Geschäften in ein und derselben Straße herumschlagen – Geschäften, die sich zum Teil in ein und demselben Gebäude befanden! Hier und da geriet die Absurdität des Ganzen aber auch zur ernsthaften Gefahr, wenn etwa Autofahrer an höhengleichen Bahnübergängen einen pfeifenden Güterzug auf sich zudonnern sahen, der erst in einer Stunde hätte fällig sein sollen.
Der amerikanische Normalbürger sah sein Leben also von einem Zeitsystem regiert, das in seiner verwirrenden Undurchschaubarkeit geradewegs aus Gullivers Reisen hätte sein können, und Dr. William Markowitz vom United States Naval Observatory meinte es durchaus ernst, als er sagte, Amerika sei das Land mit der schlechtesten Zeitmessung auf der ganzen Welt.
Um Amerika aus den Krämpfen der Asynchronizität zu holen, trat ein Ausschuss mit dem heroischen Titel Committee For Time Uniformity auf den Plan, eine Gruppe von Lobbyisten maßgeblicher Akteure betroffener Industrien, die Washington schließlich zum Handeln zwang. So kam es 1966 zum Uniform Time Act, der als nationalen Standard die sechs Monate zwischen den letzten Sonntagen in April und Oktober als Sommerzeit festlegte. Nicht nur sprangen vier Bundestaaten sofort wieder ab, es war auch sonst nicht der erhoffte Wandel, der dem Spuk ein für alle Mal ein Ende gemacht hätte. Die nächsten Turbulenzen folgten, als sich Präsident Nixon 1973 angesichts der Ölknappheit im Gefolge des Jom-Kippur-Kriegs vorübergehend zum Rückgriff auf die Kriegszeit gezwungen sah.
Angesichts eines derartigen Durcheinanders sah Amerika sich schließlich gezwungen, sein Problem einzugestehen und in temporale Reha zu gehen. Clean und nüchtern kam die Nation mit einer machbaren Lösung von sieben Monaten Sommerzeit wieder heraus – ein Erfolg, der bis dato nicht zu peinlichen Rückfällen geführt hat.
Nicht dass die Kontroverse um die Sommerzeit damit abgehakt wäre …
Wenn Sie 1968 in Schottland oder Nordirland gelebt haben, fiel der Winter für Sie womöglich besonders deprimierend aus. Die britische Insel, eigentlich gern auf vom europäischen Festland unabhängigem Kurs, stürzte sich damals vom Gedanken internationaler Harmonie berauscht Hals über Kopf in ein dreijähriges Experiment namens British Standard Time. Sie brachte dem Königreich die Gleichschaltung mit einem Gutteil kontinentaler Uhren. Das war recht nett, wenn Sie einem Belgier einen britischen Wagen verkaufen wollten, aber für Menschen, die im Norden der britischen Inseln zuhause waren, verwandelte sie die Wintermorgen in trostlose, schier nicht enden wollende Intervalle postapokalyptischer Finsternis, da die Sonne sich oft nicht vor Viertel vor zehn sehen ließ. Entsprechend heftig waren die Proteste aus dem Norden, und so gab man das Experiment 1971 denn auch wieder auf, und das, obwohl die helleren Abende nachweislich für einen Rückgang der Verkehrstoten sorgten. Trotzdem taucht die British Standard Time selbst heute noch wie ein nicht tot zu kriegendes B-Movie-Monster immer wieder mal in der politischen Debatte auf.
Daran zeigt sich, dass selbst in einem kleinen Land die natürliche Welt sich nicht immer ganz problemlos mit den Einheitslaunen der Politik verträgt. Wir leben in einer Ära, in der die Zeit zum unaufhaltsam tickenden Metronom unseres Lebens geworden ist und wir unsere Uhren längst nicht mehr umstellen müssen, wenn wir 150 Kilometer in die nächste große Stadt fahren. Aber wenn wir uns das Kleingedruckte ansehen, wird rasch eines klar: Unsere Regulierung der Zeit ist größtenteils das Resultat von Kompromissen, praktischen Erwägungen und gutem Willen. Es ist schon erstaunlich, welche Rolle selbst in einer Welt voll nanosekundengenauer Atomuhren bei der Aufteilung des Tages nach wie vor Vernunft und Pragmatismus spielen. Zeitmessung ist nicht nur ein Gebiet wissenschaftlicher Forschung, sondern Teil unsers kulturellen Erbes. Wir definieren Zeit nicht weniger, als wir durch sie definiert werden.
Aber genug davon! Es wird Zeit, endlich aufzustehen. Aber nach einer langen durchschlafenen Nacht verspüren wir zunächst einmal eine menschliche Regung, der wir unbedingt nachkommen müssen. Der wachsende Berg Hausarbeit mag sich getrost ignorieren lassen, nicht so unsere angefüllte Blase. Also, Füße in die Puschen und ab aufs Klo …
Nachdem wir uns aus dem Bett geschleppt haben, meldet sich auf der Höhe der Küchentür plötzlich grummelnd der Magen – Koffein und Cornflakes wären jetzt genau das richtige Stimulans; aber die Bedürfnisse der Blase schlagen die des Bauchs jederzeit aus dem Feld, und im Augenblick setzt sie uns unter Druck wie ein, Pardon, von Notdurft geplagter Terrorist.
Also hasten wir weiter zum … tja, wohin gehen denn Sie, wenn Sie wohin müssen?
Jede Sprache verfügt über eine ganze Reihe herrlicher Synonyme für die bescheidene Toilette; das Englische etwa kennt, um nur einige zu nennen: john, loo, can, bog, lav, commode, potty, urinal, latrine, privy, porcelain, head, und das Deutsche steht dieser Vielfalt, angefangen mit dem alten Abtritt, Abort oder Donnerbalken über Thron, Klo, Klosett, Häuschen, Lokus bis hin zum mehr oder weniger stillen, aber immer gewissen Örtchen, kaum nach; die Damen gehen verschämt für kleine Mädchen, die Herren für kleine Jungs, das Kaufhauspersonal ist mal rasch auf 17, und an Vulgarität nimmt es das Scheißhaus jederzeit mit dem shitter auf. Es handelt sich hier um umgangssprachliche bis vulgäre Ausdrücke; in der Öffentlichkeit finden wir eher Schilder wie toilet, gents, ladies oder gelegentlich auch WC. Letzteres haben die Deutschen als Wasserclosett bereits um 1840 entlehnt, sie benutzen jedoch im Gegensatz zu den Briten neben dem diskreten H oder D auch gern mal ein 00, was zuerst in Hotels praktiziert wurde, um die Toilette von regulären Gästezimmern zu unterscheiden. Die Amerikaner neigen eher dazu, einen bathroom oder restroom aufzusuchen, obwohl sie dort weder baden noch – außer von der Schlummersucht übermannt – ruhen.
Obwohl wir allem Anschein nach in vertrauter Umgebung zur Vulgarität neigen, halten wir es als Gesellschaft eher mit dem charmanteren Hüllwort. Ein größeres Haus in Großbritannien dürfte über mehrere commodes (Spülklosetts) verfügen, wahrscheinlich wenigstens eines davon, zusammen mit einem Waschbecken, in einer eigenen kleinen Kammer, die wir als loo, toilet oder lavatory bezeichnen. Die Diskussion darüber hält noch an, aber es ist durchaus glaubwürdig, dass es sich hier um ursprünglich französische Wörter handelt. Dabei ist loo besonders schwierig festzumachen; möglicherweise stammt es von dem verhüllenden lieu (Ort); andererseits ist loo im englischen Sprachgebrauch erst ab den 1920er-Jahren tatsächlich belegt, sodass es sich dabei durchaus um eine gekürzte Form von Waterloo Cisterns handeln könnte, einem Markennamen, der Anfang des 20. Jahrhunderts auf Außentoiletten zu sehen war. Kein Problem dagegen bietet das deutsche Klo als verkürzte Form des Klosetts.
Das Wort Toilette, selbstverständlich aus dem Französischen, bezeichnete ursprünglich das Tuch (toile) auf dem Putztisch der Dame, dann den Waschlappen, dann einen Raum mit einem Waschgeschirr und schließlich – erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts – einen Raum mit einer Kloschüssel. Ähnlich kommt lavatory selbstverständlich vom französischen Verb für waschen:laver. Merkwürdigerweise ist der Raum, der unsere toilet