Neugier bringt den Kater um - Maike Johnke - E-Book

Neugier bringt den Kater um E-Book

Maike Johnke

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Beschreibung

Sie denken, Sie kennen Ihre Feinde? Was passiert, wenn Sie im Fokus eines Unbekannten stehen und sein Hass unstillbar erscheint? Es wird weitere Opfer geben, wenn niemand ihn aufhält. Zum Inhalt: Das Leben von Mark Kater gerät aus den Fugen, als ihn eines Tages anonyme Botschaften mit mysteriösem Inhalt erreichen. Er kann es kaum glauben: Mitten in seiner beschaulichen Umgebung werden Ritualmorde an jungen Frauen verübt! Zusammen mit seinen Freunden versucht Mark, der finsteren Sekte, die ihr blutiges Unwesen treibt, das Handwerk zu legen und weitere Morde zu verhindern. Dabei kommt er einem alten Familiengeheimnis auf die Spur und wird immer tiefer in ein Machtspiel aus Hass und Rache hineingezogen. Mark Kater muss nicht nur um sein Leben kämpfen, sondern auch den Sog des Bösen aufhalten. Dem Bösen auf der Spur, ist ein packender, rasanter Thriller, in dem Vertrauen rar und die Wahrheit tödlich ist. Erleben Sie einen fesselnden Psycho-Thriller, bei dem Sie Zeuge eines perfiden Katz-und-Maus-Spiels werden. Dieser Krimi verspricht atemlose Spannung, die Ihnen den Schlaf rauben wird. Lesen Sie jetzt!

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Alle Rechte vorbehalten. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes, inklusive Bildern in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin erfolgen.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Maike Johnke

Ich seh´ Dich, Annabelle

Kaktus sucht Rose

Agentin Uhus Abenteuerliche Missionen: Frau Uhu rettet Weihnachten

Prolog

So schnell er konnte, rannte Mark durch die dunklen Gassen des alten Industriegebiets am Rande der Stadt. Sein Atem ging keuchend, das Blut rauschte in seinen Ohren, und er hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Immer wieder sah er voller Panik nach rechts und links, um zu sehen, ob jemand hinter ihm war oder sich in den vielen Ecken und Winkeln in seinem Umfeld versteckte und auf ihn lauerte. Doch er schreckte nur vor seinem eigenen Schatten und dem Hallen seiner Schritte zurück.

Wie ein gehetztes Tier flüchtete er instinktiv einfach ins Dunkle hinein. Die Orientierung hatte er schon nach wenigen Minuten verloren. Sein einziges Ziel war es nun, aus dem dunklen Sumpf der leerstehenden Gebäude heraus und wieder in den belebten Teil der Stadt zu gelangen.

Nach wenigen Augenblicken blieb er an einer etwas größeren Kreuzung stehen, um Atem zu schöpfen und einen genaueren Blick in seine Umgebung zu werfen. Erfüllt von der vagen Hoffnung, etwas zu sehen, das ihm bekannt vorkam. Der Herzschlag pochte in seinem Hals. Das Einzige aber, was er erkennen konnte, waren leere Lagerhallen und skelettartige, verfallene Metallzäune, die sich wie knochige Krallen von gefolterten Sklaven zum Himmel reckten.

Wo verflucht noch mal war er, fragte er sich.

Er wandte sich nach rechts und folgte der mit Schlaglöchern übersäten Straße. Dort hatte er das Gefühl, dass es etwas heller wäre, um auf eventuelle Angreifer schneller reagieren zu können. Um Kräfte zu sparen, war er in einen langsamen Trab verfallen. Sein Puls beruhigte sich nun ein wenig.

Was hatte er sich nur dabei gedacht, schimpfte er innerlich. Hierherzukommen war der reinste Irrsinn, sich eine solche Story entgehen zu lassen, aber auch undenkbar.

Die Straße machte eine langgezogene Linkskurve und verlief im Nichts.

Sackgasse.

Wieder eine seiner vielen Fehlentscheidungen.

Das nächste Mal musste er unbedingt besser recherchieren und sich eine Straßenkarte von der Gegend besorgen, in der er ermitteln wollte. Aber der Tipp war einfach zu heiß gewesen, um unnötig Zeit zu verschwenden.

Jetzt steckte er in der Klemme.

Es war mucksmäuschenstill, eine bedrückende und reizbare Stille. Nicht einmal die nachtaktiven Grillen waren noch zu hören. Wie sehr sehnte er sich nach dem Lärm der belebten Hauptstraße und ein paar freundlichen Gesichtern. Es musste doch eine Möglichkeit geben, hier wieder herauszufinden.

Er sah sich den hohen Gitterzaun am Ende der Straße, an der er stand, noch etwas genauer an und entdeckte ein paar Meter von ihm entfernt einen etwa 50 cm hohen Riss in den Maschen. Hier hatte der Rost den Metallstäben so zugesetzt, dass diese auseinandergesprungen waren. Mit etwas Mühe würde er sich dort hindurchquetschen können.

Mark ging vor dem Spalt in die Hocke und begann, hektisch an den spitzen, kantigen Stäben zu biegen, bis der Spalt etwa so breit war, dass er mit dem Oberkörper hindurch kam. Ein Gefühl sagte ihm, dass er sich beeilen sollte.

Ohne Rücksicht auf eventuelle Kratzer und Risse, die er sich zufügen könnte, schlängelte er sich durch den Spalt und ins Freie. Auf der anderen Seite des Zaunes legte er sich flach auf den Bauch, rappelte sich aber schnell wieder auf. Seine Kleidung würde er, falls er überlebte, ohnehin später wegwerfen können.

Er kroch auf allen vieren eiligst in den dunklen Schatten eines nahestehenden Gebüsches und hoffentlich in Sicherheit.

Keine Sekunde zu früh. Mehrere grell flackernde Lichtkegel von Pechfackeln tauchten zwischen den Lagerhallen auf. Aufgeregte Stimmen wehten zu ihm herüber, von denen er das Gesagte zwar nicht verstand, deren Ton ihm aber deutlich machte, dass die Botschaft keinen freundlichen Inhalt enthielt.

Sie suchten ihn immer noch. Zum Glück war der Moment der Überraschung auf seiner Seite gewesen, und er hatte sich einen kleinen Vorsprung verschaffen können. Mark versuchte, mit den dunklen Schatten des Strauches, in dem er saß, zu verschmelzen. Die vielen Kratzer, die er sich vom Zaun und vom Strauch zugezogen hatte, brannten wie Feuer auf seiner Haut. Seine Knie waren von der großen Anstrengung wackelig, und er hatte das Gefühl, dass er sich kaum auf den Beinen würde halten können, sollte er gezwungen sein, weiter um sein Leben zu laufen.

Dass es um sein Leben ging, war unbestreitbar. Was er gesehen hatte, wollte von diesen Gestalten bestimmt keiner an die Öffentlichkeit kommen lassen. Aus ihrer Sicht würde ein kleiner, unbedeutender Journalist, wie er es war, nicht weiter ins Gewicht fallen. Auf eine Leiche mehr oder weniger würde es ihnen nicht ankommen.

Er war der Story seines Lebens auf die Spur gekommen, und niemand würde ihn davon abhalten können, die ganze Geschichte ans Tageslicht zu zerren, sofern er überlebte.

Die Lichter verschwanden langsam wieder. Sie hatten das Loch im Zaun nicht bemerkt und waren wohl zu dem Schluss gekommen, dass er in eine andere Richtung gelaufen sein musste. Viele Verstecke gab es auf dem Gelände allerdings nicht.

Hervorragend, dachte Mark und erhob sich wieder aus seiner hockenden Position, wobei seine Knie heftig protestierten. Er humpelte weiter ins freie Feld hinaus.

Dahinten musste es irgendwo eine Straße geben. Er würde sie schon finden.

Seine Verfolger hatte er jetzt anscheinend endgültig abgehängt. Im Dunkeln suchte er sich einen Weg durch kniehohes, nachtfeuchtes Gras auf unebener Erde. Die Sterne leuchteten ihm schwach den Weg.

Nachdem er ein paar Hundert Meter querfeldein gelaufen war, sah er die Lichter der großen Industriestraße, die zurück in das Zentrum der Stadt führte. Dort würde er bestimmt auf Kneipen, Imbissbuden oder etwas in der Art treffen, wo es ein Telefon gab, sodass er sich ein Taxi nach Hause bestellen konnte.

Er hatte leider feststellen müssen, dass der Akku seines Handys ausgerechnet an diesem Abend nicht aufgeladen und damit unbrauchbar war.

Langsam kehrten wieder Energie und Leben in seinen Körper zurück, und er mobilisierte seine letzten Reserven, um aus eigener Kraft an sein Ziel zu kommen.

Kapitel 1

Freitag, etwa 8 Stunden zuvor

Mark Kater war 28 Jahre jung und hatte vor drei Jahren sein Journalistik-Studium beendet. Er arbeitete für das Wochenblatt in Sankt Augustin, bei dem er Jahre zuvor schon ein Praktikum als Journalist für Freizeit und Stadtaktivitäten abgeschlossen hatte.

Sankt Augustin ist eine kleine Stadt zwischen Bonn und Siegburg und gehört zum Rhein-Sieg-Kreis. Auch wenn es sich kaum vermuten ließ, war die Kleinstadt ausgesprochen großflächig und in vielerlei Dingen eigenständig und unabhängig von den benachbarten Großstädten.

An sich war das Schreiben von Kleinstadt-News keine besonders aufregende Tätigkeit. Hier mal ein Wochenmarkt, da ein Volleyballturnier oder, als Höhepunkt, ein Frühlingsfest mit Wohltätigkeits- und Spenden-Gala. Auch das jährliche Weinfest erfreute sich großer Beliebtheit.

Ein Tag nach dem anderen plätscherte ereignislos dahin, das Ganze hatte etwas von einer schlechten Seifenoper.

Da er in dieser Stadt geboren und aufgewachsen war, kannte er die Gepflogenheiten und die Menschen in- und auswendig.

Im Gegensatz zu seinen meisten Freunden war er in der Heimat geblieben und nicht der Karriere wegen in eine Großstadt wie Köln oder Bonn gezogen. Er mochte Umstellungen und Veränderungen nicht wirklich und freute sich jeden Abend darauf, sich in sein gemütliches, 50 qm großes Zweizimmerapartment mit direktem Blick auf den Markt zurückzuziehen.

Er liebte fertige Pizza, Bier aus der Flasche und ein gutes Fußballspiel im Fernsehen.

Es war Anfang Mai, die Tage wurden langsam wieder länger und das Wetter etwas wärmer. Die Stimmung in der kleinen Redaktion des Wochenblatts war heute besonders gut. Es war Freitag, das Wochenende stand vor der Tür und Mark hatte nur noch das Redaktionsschluss-Meeting vor sich. Er schielte zur großen Uhr über der Eingangstür.

Viertel vor vier. Das Meeting war auf vier Uhr angesetzt. Eigentlich noch Zeit genug, um eine Zigarette zu rauchen, entschied er und nahm seine Jacke, um vor die Tür zu gehen. Das Rauchen war in dem Gebäude schon seit Längerem untersagt.

„Ich bin gerade noch eine rauchen!“, rief Mark in den Raum zu niemand Bestimmtem und schlurfte zur Tür.

„Ich komme mit“, schloss sich Edgar, der einzige Noch-Raucher der Redaktion, an und schob seinen massigen Körper hinter Mark durch die Tür ins Treppenhaus.

Edgar Maus war trotz seines zarten Namens ein stattlicher Mann von 1,85 m und guten 100 kg Lebendgewicht. Er war 45 Jahre alt, geschieden und seit gut 20 Jahren beim Wochenblatt beschäftigt. In den ersten Monaten, in denen Mark für das Blatt tätig gewesen war, hatte Edgar als sein Mentor und Lehrer fungiert, und sie verstanden sich nach wie vor gut.

Da sie beide viel Zeit miteinander verbrachten, was zum einen mit dem Rauchen und zum anderen mit einem ähnlichen Betätigungsfeld (Edgar arbeitete im Bereich Sport und Gesellschaft) zusammenhing, hatten die Kollegen der Redaktion ihnen den Spitznamen „Katz und Maus“ angehängt. Das störte die beiden allerdings herzlich wenig, wobei Edgar mehr in Richtung Mark als sein „Kätzchen“ spöttelte, da dieser bei nur 1,70 m Körpergröße 58 kg Fliegengewicht auf die Waage brachte.

Schweigend stiegen sie die Treppen vom ersten Stock hinunter und gingen hinaus auf die gepflasterte Einfahrt, auf der immer eine große Anzahl an Fahrrädern im Weg stand.

Im dritten Stock des Gebäudes befand sich ein Fitnessstudio, und die vielen Teenager, die sich dort tummelten, kamen zuhauf mit dem Fahrrad.

Die beiden suchten sich einen Platz in der Sonne und ließen sich die wärmenden Strahlen in ihre Gesichter scheinen. Genüsslich inhalierte Mark das Nikotin seiner Zigarette und dachte an das bevorstehende freie Wochenende. Edgar stand schweigend neben ihm, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. Seine Gedanken schienen sich nicht um so angenehme Dinge wie das Wochenende zu drehen, aber er sagte nichts dazu. Er war nie ein Mann vieler Worte gewesen, sondern eher einer der „Mann und sein Lagerfeuer“-Vertreter. Mark störte das nicht im Geringsten, für ihn gab es nichts Schlimmeres, als wenn ihn jemand permanent zutextete.

Marks Gedanken wanderten wieder zurück zum „Wochenende“ mit zwei komplett freien Tagen zu seiner uneingeschränkten Verfügung!

Was man da alles machen konnte! Im Berufsleben als Journalist war es weitverbreitet, auch am Wochenende zu arbeiten und die freien Tage zwischendurch zu nehmen. Deswegen freute sich Mark auch wie ein Schneekönig über das ungewohnte Freihaben an den Ausgeh- und Partytagen.

Er könnte mit seinem Kumpel Benno den neuen Laden im Siegburger Stadt-Zentrum am Bahnhof ausprobieren.

„Poseidon“ hieß das Ding, soweit er sich erinnerte. Es war eher etwas für die ältere Generation und spielte hauptsächlich Hardrock und Punk Musik, das war genau das Richtige für die zwei Freunde. Außerdem lief man nicht Gefahr, dass sich dort rudelweise Teenager aufhielten.

Mark zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine SMS ein. Seine Zigarette war mittlerweile bis zum Filter abgebrannt, und Edgar schaute schon ungeduldig in seine Richtung. Er drückte auf Senden, warf seine Kippe in den Ascher neben der Eingangstür und folgte Edgar zurück in die Redaktion.

Auf in die letzte Runde.

Edgar und Mark huschten als Letzte in den kleinen Konferenzraum, in dem nur ein großer, runder Tisch und rundherum neun wacklige Stühle ihren Platz gefunden hatten.

An einer Seite stand noch ein bis zur Decke reichendes Regal, das zum Bersten mit Archivmaterial gefüllt war. Allerdings konnte man kaum frei darauf zugreifen, ohne über die Stühle klettern zu müssen.

Sie fanden keinen Sitzplatz mehr und quetschten sich direkt am Eingang an die Wand, umgeben von den übrigen Kollegen.

Das Wochenblatt umfasste insgesamt 25 freie und festangestellte Mitarbeiter. Edgar und Mark gehörten zu dem glücklichen Drittel mit einer Festanstellung.

„Da die letzten zwei nun auch endlich eingetrudelt sind, können wir ja anfangen“, schnarrte die heisere Stimme der Chefredakteurin Annette Pieper unfreundlich zu ihnen herüber. Dabei trommelte sie mit ihren langen, künstlichen Nägeln ungeduldig auf der Tischplatte, um ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen.

Annette Pieper war eine kleine, drahtige Blondine in den Fünfzigern, die sich durch Disziplin, Ehrgeiz und Souveränität einen guten Namen in der Medienwelt erarbeitet hatte. Das Wochenblatt hatte sie, nach dem Tod ihres Vaters, bereits mit dreißig Jahren von diesem übernommen und herrschte seitdem mit eisernem Regiment über ihr Personal.

„Gut, was haben wir, was ist dringend, was gibt es Neues, wo müssen wir vor Ort sein? Ich möchte Vorschläge hören. Ich hoffe, Sie hatten in der letzten Woche Augen und Ohren offen.“

Auffordernd blickte sie in die Runde und tippte mit ihrem blauen Kugelschreiber kleine Punkte auf ein weißes Blatt Papier.

Das Brainstorming dauerte eine gute Stunde und war wie immer verbunden mit lauten Diskussionen und Streitereien.

Besonders die freien Redakteure wollten sich unbedingt in ihrem besten Licht präsentieren und buhlten um die Gunst ihrer Chefin. Ein allwöchentlich sehr ermüdender, da nervenaufreibender Prozess. Die Luft in dem kleinen Raum wurde von Minute zu Minute schlechter und die Stimmung gereizter. Der Konferenzraum glich einem Hexenkessel, der stark an die Frankfurter Börse erinnerte. Doch wie jede Woche schaffte es Annette Pieper wieder, die Stimmung gekonnt zu kontrollieren und jeden Redakteur halbwegs zufriedenzustellen. Sie liebte ihre Arbeit und war schon zu lange dabei, als dass ihr die Situation entgleiten könnte.

Nach anderthalb Stunden wurde das Meeting für beendet erklärt und Mark flüchtete dankbar aus dem stickigen, kleinen Raum. Er schlenderte zu seinem Schreibtisch, der am anderen Ende der Redaktion direkt am Fenster stand. Es war ein harter Kampf gewesen, diesen Platz zu bekommen, und er hatte eine ordentliche Portion Glück gehabt. Nur noch schnell ein paar Notizen machen und dann ab durch die Tür, dachte er bei sich.

Er setzte sich auf seinen quietschenden Drehstuhl und griff nach seinem Kuli, als er den kleinen, blauen Zettel bemerkte, der auf seiner Computertastatur lag.

Mark sah sich in der Redaktion um, ob jemand in seiner Nähe stand, der ihm etwas dazu hätte sagen können, doch die Hälfte seiner Kollegen war schon zur Tür hinaus oder stand diskutierend im Türrahmen des Konferenzraums.

Er griff nach dem Zettel und faltete ihn auseinander. Dort stand in einer sehr krakeligen Handschrift:

„Wenn Sie die Story Ihres Lebens haben wollen, dann kommen Sie zu den Lagerhallen im alten Industriegebiet am Stadtrand von ST.A. gegen Mitternacht.“

Das ist ein schlechter Scherz, dachte er bei sich und zog die Stirn kraus. Er studierte den Zettel genauer, drehte und wendete ihn. Aber da stand nichts weiter, nur dieser eine Satz in einer schlecht leserlichen Handschrift. Prüfend sah er sich die einzelnen Buchstaben an, aber sie kamen ihm nicht bekannt vor. Ob Edgar sich einen Streich mit ihm erlaubt hatte, um ihn herauszufordern? Aber warum sollte er? Das war so gar nicht seine Art.

Im Geiste ging er die anderen Kollegen durch, aber niemand wollte ihm einfallen, zu dem eine solche Aktion passen würde. Beim Wochenblatt war jeder ein Einzelkämpfer, man scherte sich nur um die eigenen Angelegenheiten und Vorteile. Mark spielte kurz mit dem Gedanken, den Zettel in der Ablage P, also dem Papierkorb, zu entsorgen, entschied sich dann aber doch dagegen.

Etwas in ihm, sein Instinkt oder vielleicht auch nur die blanke Neugierde, hielt ihn davon ab. Er steckte den Zettel in die Hosentasche, packte seine Sachen und ging hinaus. Den anderen gegenüber verlor er über das Schriftstück kein Wort. Nicht einmal gegenüber Edgar, der sich in einer für seine Leibesfülle rekordverdächtigen Geschwindigkeit in Richtung Parkplatz auf den Weg machte, erwähnte er die Nachricht.

Er wollte erst mal eine Weile darüber nachdenken, bevor er eine Entscheidung diesbezüglich traf. Mark schlenderte langsam die belebte Straße entlang.

Er hatte es nicht allzu weit bis nach Hause, ungefähr eine Viertelstunde zu Fuß, wenn er quer durch den Stadtpark lief. Dieser grenzte unmittelbar an den Marktplatz, an dem er wohnte, und bescherte ihm eine herrlich grüne Aussicht von seinem Mini-Balkon aus. Bevor er zu Hause ankam, vibrierte sein Handy in der Hosentasche. Es war Benno, der die Verabredung für den Abend per SMS bestätigte.

Benno und Mark kannten sich schon von Kindesbeinen an und waren gleich alt. Sie hatten sich auf dem Spielplatz immer gegen die anderen Kinder verbündet und ihre Eltern mit so manchem Schabernack in die Verzweiflung getrieben. Auch wenn sich beider Leben in verschiedene Richtungen entwickelte, hatten sie doch nie den Kontakt oder den Respekt voreinander verloren. Benno war in die klassische Banker-Lehre gegangen und pflegte auch sonst einen recht konservativen Lebensstil mit Frau, Kind und Hund, während Mark immer noch den Freigeist verkörperte und sich nicht so recht an Regeln halten wollte. Deswegen war er auch nach wie vor Single und flirtete mit allen hübschen Frauen, die ihm über den Weg liefen. Nicht selten verirrten sich junge Damen für einen temporären Zeitraum in seine Wohnung, um dann nach kürzester Zeit festzustellen, dass sich dieser Mann nicht einfangen ließ und sie sich lieber umorientieren sollten.

Da am frühen Abend ohnehin nichts los sein würde, schlug Benno als Treffpunkt den Blumenladen am Bahnhof vor. Am Abend gegen 22 Uhr würde es passen. Mark war das nur recht. So hatte er vorher noch ein wenig Zeit, sich Gedanken über diesen geheimnisvollen Zettel zu machen und sich den Bauch vollzuschlagen.

Denn der knurrte mittlerweile schon hörbar wie eine Horde wilder Hunde. Freudig erinnerte er sich an die Pizza, die ihn daheim in der Tiefkühltruhe erwarten würde. Wozu lange kochen, wenn es so etwas Leckeres wie Pizza schon fertig für den Ofen gab? Zum Neid all seiner Kolleginnen machte seiner Figur das ständige Fast Food nichts aus. Er blieb weiterhin leicht untergewichtig, egal, wie viele Kalorien er über den Tag verteilt zu sich nahm.

Zu Hause angekommen schob er sich sein Essen in den Ofen, nahm eine schnelle Dusche, öffnete sein erstes Wochenendbier und setzte sich auf das ausgesessene, braune Sofa. Den Zettel legte er vor sich auf den Glastisch. Sein Ofen gab ein leises „Ping“ von sich, welches signalisierte, dass sein Essen fertig war.

Schnell holte er sich einen Teller und nahm auf dem Rückweg zum Wohnzimmer noch die Straßenkarte vom Ort mit, die im Flur auf der Kommode lag. Er benutzte Oldschool die gute alte Karte, um seine Umgebung zu erkunden. Ihm gefiel die nostalgische Erinnerung daran, als es noch nicht so viel Technik gab, und er hatte einfach gern Papier in den Händen. Auch beim Lesen eines Buches war ihm die greifbare Variante, in der man blättern konnte, lieber als ein E-Book.

Sorgfältig postierte er alles vor sich neben den Zettel auf dem Tisch und schlug, zwischen ein paar gierigen Bissen von seinem Essen, die Karte auf.

Er fand das Industriegebiet fast auf Anhieb und studierte die Umgebung. Wenn er heute Abend noch dorthin wollte, würde er sich vom „Poseidon“ aus ein Taxi nehmen müssen.

Das Gelände war nicht gerade um die Ecke, mit einem Taxi würde er aber keine zehn Minuten benötigen.

Während er den letzten Bissen mit einem Schluck Bier hinunterspülte, sinnierte er über die Frage, inwieweit er der Nachricht Glauben schenken sollte oder nicht. Schlussendlich entschied er sich für ein „Was soll’s, warum nicht?“

Der Zeiger seines Chronografen zeigte auf 21:30 Uhr, als Mark sich auf den Weg zum Bahnhof in die Stadt machte. Er hatte bewusst auf seinen Wagen, einen alten, verrosteten VW-Käfer, verzichtet und den Bus genommen. Er hätte den Wagen ohnehin nicht benutzen können, denn der war schon seit Jahren abgemeldet, aber ihn freute der Gedanke, dass die Option bestand.

Er war schon ein paar Mal in Notsituationen illegal damit gefahren. Bisher hatte er immer Glück gehabt und war nicht erwischt worden.

Es war der letzte Bus, der zu so später Stunde noch fuhr. In diesem Stadtteil wurden abends schon früh die Bordsteine hochgeklappt, und man musste entweder eine Alternative finden, wenn man den Bus verpasst hatte, oder gut zu Fuß sein. Nach nur drei Haltestationen hatte er sein Ziel erreicht und stieg erleichtert aus dem muffig riechenden Gefährt in die kühle Nachtluft aus.

Benno wartete bereits ungeduldig am verabredeten Platz auf ihn. Seine große, kräftige Gestalt war kaum zu übersehen und die Glatze leuchtete im schwachen Licht der Straßenlaterne wie blank poliert. Er genoss es sichtlich, mal wieder mit seinem Kumpel loszuziehen und nicht über seine Verantwortung daheim nachzudenken.

Mark kannte das schon. Die erste Stunde gab Benno Vollgas und feierte, als ob es kein Morgen gäbe, aber keine halbe Stunde später hatte er dann keine Lust mehr und würde nach Hause wollen. Heute kam ihm dieses Muster sehr gelegen. Wenn Benno dann, voll wie eine Haubitze, nach Hause abzog, würde er sich ein Taxi nehmen und der Spur des Zettels weiter folgend in das Industriegebiet fahren.

Weiter ging sein Plan noch nicht. Wenn er erst mal dort war, könnte er immer noch entscheiden, was zu tun sei.

Er begrüßte seinen Kumpel kurz per Handschlag.

Benno musterte Mark eingehend von oben bis unten und runzelte die Stirn. Mark sah ihn fragend an.

„Ist etwas?“

„Meinst du, die lassen dich so dort hinein? Du hättest dir wenigstens ein paar vernünftige Schuhe anziehen können“, Benno blickte naserümpfend auf die schwarzen Chucks seines Kumpels.

„Es ist nicht jeder bei einer Bank beschäftigt und kann sich so teuren Fummel leisten, wie du ihn trägst“, konterte Mark und grinste frech.

„Äh, geht der Scheiß schon wieder los“, stöhnte Benno und verdrehte die Augen, „komm, lass uns gehen.“

„Du fängst ja immer damit an“, stichelte Mark im Gehen weiter, „ich würde nie über deine Kleidung nörgeln.“

„Weil es daran nichts zu nörgeln gibt.“ Benno zupfte eine imaginäre Fluse von seiner maßgeschneiderten, schwarzen Anzughose. „Ich hoffe, der Türsteher hat heute einen guten Tag, aber wie ich dich kenne, hast du ohnehin wieder Glück, und es ist überhaupt keiner da oder so ähnlich.“

In friedlicher, schweigender Eintracht gingen sie weiter in Richtung Eingangstür. Diese Art von Sticheleien gehörte zu ihrer Freundschaft dazu, und keiner war dem anderen ernsthaft böse. Beide akzeptierten sich gegenseitig mit ihrer Andersartigkeit.

Wie Benno erwartet hatte, stand kein Türbewacher am Eingang, und sie konnten ungehindert eintreten.

Das Lokal war noch recht leer um diese Uhrzeit, nur ein paar einzelne Tische waren besetzt, und ein paar einsame Gestalten saßen am Tresen. Sie setzten sich in die hinterste Ecke an einen Tisch für zwei Personen und bestellten für den Anfang jeweils ein Weizen.

Mark hatte beschlossen, sich gegen seine sonstige Gewohnheit, heute mal zurückzuhalten, damit er später einen klaren Kopf hatte. Wer wusste, was nachher noch auf ihn zukommen mochte.

Benno hatte wie erwartet sein Glas schon nach zehn Minuten geleert und bestellte Nachschub. Die Zeit verlief schleppend, und es wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Die Besucherzahl stieg nur langsam, und die Gesprächsthemen nahmen merklich ab.

Pünktlich gegen halb zwölf räumte Benno ein, dass er nun genug hätte und sich so langsam auf den Heimweg machen würde. Anders als sonst, hinderte Mark ihn nicht daran, sondern winkte sogar nach der Kellnerin, um die Rechnung zu verlangen. Bedingt durch seinen Alkoholpegel fiel Benno das ungewöhnliche Verhalten seines Freundes jedoch nicht auf. Anstatt sich über dessen schnelle Kapitulation zu wundern, war er schon auf dem Weg nach draußen. Mark war sehr erleichtert, dass er sich so einfach hatte aus der Affäre ziehen können und keine nervigen Fragen beantworten musste. Benno diskutierte sonst ganz gern unter Alkoholeinfluss.

Nachdem dieser mit dem ersten Taxi, das am Taxistand am Bahnhof gewartet hatte, außer Sichtweite war, stieg Mark in das zweite Taxi ein und nannte dem Fahrer sein Ziel.

Dieser wirkte ziemlich erstaunt, dass ein Fahrgast um diese Uhrzeit an ein solch ungewöhnliches Ziel wollte, stellte aber keine Fragen, sondern schaltete wortlos den Taxameter ein.

Kurz vor den ersten Fabrikhallen ließ Mark den Taxifahrer anhalten, bezahlte und stieg aus. Er würde den Rest des Weges zu Fuß weitergehen.

Der Taxifahrer bot an, auf ihn zu warten, bis er erledigt hätte, was auch immer er hier tun wolle, doch Mark lehnte ab und schickte ihn weg.

Mit einem „Sie werden schon wissen, was Sie tun“ ließ der Taxifahrer Mark in der Dunkelheit zurück.

Der wartete, bis sich seine Augen an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, und folgte dann dem Schotterweg in Richtung der leerstehenden Hallen und Gebäude. Innerlich schimpfte er sich einen Idioten und fragte sich, was zum Henker er hier eigentlich wollte. Einem Impuls folgend schlug er dann den Weg in Richtung Fabrik-Zentrum ein, in den Teil des Geländes, in dem es am dunkelsten war, und wo er noch nicht einmal die Grillen zirpen hörte.

Ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn. Er fühlte einen beklemmenden Druck in der Brust. Die Angst schnürte ihm buchstäblich die Luft ab. Mark konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und zwang sich, weiterzugehen, obwohl ihm sein Instinkt zuschrie, umzukehren und rasant das Weite zu suchen. Es war beängstigend still. Er hörte nur seinen immer schneller werdenden Atem. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Dies war Adrenalin in seiner intensivsten Form, sodass er sich so lebendig wie lange nicht mehr fühlte.

Am Ende der Gasse sah er auf einmal ein flackerndes Licht wie von einer großen Fackel und verlangsamte seine Schritte. Gleichzeitig vernahm er ein leises Raunen, Flüstern und Summen.

Mark presste sich an den brüchigen Putz des alten, verlassenen Verwaltungsgebäudes, an dem er gerade vorbeiging, und lief geduckt weiter. Seine Sinne waren jetzt hellwach und geschärft. Lautlos schlich er weiter und versuchte, so gut es ging, die Schwärze der Nacht auszunutzen, um sich zu verstecken, aber nicht gleichzeitig bei einer unbedachten Bewegung den Hals zu brechen.

Das flackernde Licht wurde immer intensiver, und je näher er kam, desto mehr Details konnte er erkennen. Er hatte inzwischen das Ende der Gasse erreicht und kauerte sich hinter einen Schutthaufen als Deckung. Die Gasse mündete in einen großräumigen, kreisrunden Platz und war rundherum mit von schwarzem Ruß gefärbten Fackeln gesäumt. Das Bild, das er vor sich sah, faszinierte und erschreckte ihn gleichermaßen. Wie ein Kaninchen vor der Schlange beobachtete er das Geschehen von seinem Versteck aus.

In der Mitte des Platzes war eine Art Altar aufgebaut worden, die aus großen, schwarzen, steinernen Quadern bestand. Darauf brannten zwei dicke, schwarze Kerzen und auf ihnen waren mit roter Farbe satanische Symbole aufgemalt worden. Es sah aus wie ein umgedrehtes Pentagramm oder ein Kreuz. Auch waren die Ziffern 666 deutlich zu erkennen. Wäre das ganze Umfeld nicht so gruselig gewesen, hätte es fast albern wirken können.

Vor dem Altar standen, in einem großen Halbkreis aufgestellt, zehn Gestalten, die allesamt mit schwarzen Kapuzenmänteln bekleidet waren und mit monotoner Stimme einen sich immer wiederholenden Kanon intonierten. Dieses Raunen und das Licht waren es gewesen, das ihn angelockt hatte.

Mark vermutete, dass es sich um eine geheime schwarze Messe handelte und dass dies das Zielobjekt seiner geheimen Botschaft war. Seine Intuition riet ihm, sich im Verborgenen zu halten und das Ganze aus sicherer Entfernung zu beobachten. Was genau diese Männer dort sangen (der Figur nach mussten es Männer sein), verstand er nicht, da es sich dem Klang nach sehr wahrscheinlich um Latein handelte und er dieses Fach schnellstmöglich auf dem Gymnasium abgewählt hatte. Jetzt ärgerte er sich über seine damalige Faulheit. Benno wüsste bestimmt, worum es hier ging. Der hatte sein Abi mit der Note 1,3 abgeschlossen und noch nie ein Problem mit Fremdsprachen gehabt.

Gebannt beobachtete Mark das Geschehen auf dem Platz und versuchte, sich alles so genau wie möglich einzuprägen. Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er weder seine Kamera noch einen Zettel oder Stift eingesteckt hatte und sich somit komplett auf seine Erinnerungen verlassen musste. Er musterte die Männer aus seiner Position heraus, so gut er es vermochte. Leider konnte er unter den Kapuzen keine Gesichter erkennen und somit blieben ihm ihre Identitäten verborgen.

Langsam kam Bewegung in die Gruppe, als sich aus der Dunkelheit auf der anderen Seite des Altars mehrere Gestalten näherten.