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Zwei, die nach den Sternen greifen: Im dritten New-Adult-Liebesroman der »Green Valley Love«-Reihe verliebt sich die 22-jährige Elara in einen zukünftigen Astronauten, dessen Ex-Freundin im Koma liegt Nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter bricht Elara fluchtartig zu ihrer Großmutter nach Green Valley auf – und wird mitten in der Nacht in den Rocky Mountains von einem Schneesturm überrascht. Zum Glück ist Noah zur Stelle, der sie mit nach Green Valley nimmt. In der idyllischen Kleinstadt in den Rocky Mountains will Elara sich über ihre Zukunft klar werden und beginnt, an der örtlichen Tankstelle zu jobben. Dort trifft sie Noah wieder, der in der angeschlossenen Autowerkstatt aushilft und davon träumt, als Astronaut zu den Sternen zu reisen. Hin- und hergerissen zwischen seinem Charme und Witz und seiner plötzlichen Unnahbarkeit, weiß Elara nicht, was sie von Noah halten soll – bis sie erfährt, dass seine Ex-Freundin nach einem schweren Autounfall im Koma liegt. Hat ihre Liebe gegen Noahs Schuldgefühle eine Chance? Die Green-Valley-Reihe Romantisch, prickelnd und gefühlvoll schreibt Lilly Lucas in der Liebesroman-Reihe »Green Valley Love« über die ganz große Liebe in den wilden Rocky Mountains. Die New-Adult-Liebesromane sind in folgender Reihenfolge erschienen – sie sind aber auch unabhängig voneinander lesbar: - New Beginnings (Lena & Ryan) - New Promises (Izzy & Will) - New Dreams (Elara & Noah) - New Horizons (Annie & Cole) - New Chances (Leonie & Sam) - Find me in Green Valley (Kurzroman; Sarah & Grayson) - New Wishes (Rebecca & Leo)
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Seitenzahl: 382
Veröffentlichungsjahr: 2020
Lilly Lucas
Roman
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter flüchtet die 22-jährige Elara zu ihrer Großmutter nach Green Valley. In der idyllischen Kleinstadt in den Rocky Mountains will Elara sich über ihre Zukunft klar werden und beginnt, an der örtlichen Tankstelle zu jobben. Dort trifft sie Noah, der in der angeschlossenen Autowerkstatt aushilft und davon träumt, als Astronaut zu den Sternen zu reisen. Es entspinnt sich etwas, das mehr als nur Freundschaft sein könnte – doch dann erfährt sie, dass seine Ex-Freundin nach einem schweren Autounfall im Koma liegt. Hat ihre Liebe gegen Noahs Schuldgefühle eine Chance?
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
Für Dich.
Du kleines Wunder.
Es waren nicht die Kirchturmglocken, die mich am nächsten Morgen weckten, sondern ein leises Kichern und ein Tippen gegen meine Schulter. Widerwillig öffnete ich die Augen und blickte in das Gesicht eines kleinen Mädchens. Dunkler Lockenkopf, niedliche Stupsnase. Gerade als sich ein verzücktes Lächeln auf mein Gesicht schleichen wollte, sah ich den schwarzen Spitzen-BH, den sie über ihrem Ringelpullover trug. Meinen schwarzen Spitzen-BH. Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich hoch. Ein, zwei Sekunden lang wusste ich nicht, wo ich war. Dann kamen die Ereignisse der letzten Nacht wie Flashbacks zu mir zurück – inklusive der Erinnerung, dass ich meinen BH und das Kleid ordentlich zusammengefaltet auf den Couchtisch gelegt hatte.
»Kann ich den vielleicht wiederhaben?«, fragte ich mit meiner süßlichsten Stimme.
Die Kleine schüttelte den Kopf und grinste. Eine niedliche Zahnlücke kam zum Vorschein. Wie alt mochte sie sein? Sechs? Sieben?
»Du … äh … bist aber noch ein bisschen zu klein dafür.« Ich unternahm einen vorsichtigen Versuch, ihr den BH abzunehmen, aber sie war schneller und rannte weg. Hastig sprang ich auf und eilte hinterher, wobei ich mit dem großen Zeh an der Sofakante hängen blieb und gerade noch so verhindern konnte, eine blamable Bauchlandung hinzulegen.
»Autschautschautsch«, jammerte ich und rieb mir den pochenden Zeh.
»Alles okay?«
Ertappt hob ich den Kopf. Noah stand im Türrahmen und musterte mich sichtlich amüsiert, während der kleine Lockenkopf kichernd versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. Wow, der Typ war wirklich groß. Und bei Tageslicht sah er noch besser aus. Sein dunkles Haar war feucht vom Duschen, sein Gesicht frisch rasiert. Er trug Jeans und eine graue Sweatshirt-Jacke über einem weißen T-Shirt. Nur die Schatten unter seinen Augen verrieten, dass es eine kurze Nacht gewesen war. Während ich ihn viel zu offensichtlich musterte, kitzelte er die Kleine und nahm ihr den BH ab.
»Nicht ganz deine Größe, Ruthie.« Dann wandte er sich wieder mir zu. »Ich schätze mal, der gehört dir?«
Röte schoss mir ins Gesicht, und ich wusste intuitiv, dass dieser Moment ein heißer Anwärter auf die Top 5 der größten Peinlichkeiten meines Lebens war. Mit einem gepressten Lächeln nahm ich den BH an mich. Im selben Moment ging die Haustür auf. Ein Mädchen in meinem Alter rauschte ins Wohnzimmer. Mit ihrer Softshelljacke, den geröteten Wangen und dem leicht zerzausten Pferdeschwanz sah sie aus wie ein Fahrradkurier. Sie schenkte mir einen langen prüfenden Blick und wandte sich dann an Ruthie. »Du hast recht. Sie sieht wirklich aus wie Magic Millie.«
Die Kleine nickte zufrieden.
»Magic Millie?«, fragte ich verdattert.
Statt mir zu antworten, lief Ruthie zu einer Holztruhe und kehrte mit einer Barbiepuppe zurück, die sie mir demonstrativ unter die Nase hielt. Sie hatte einen dunklen Teint, langes braunes Haar, trug ein gelbes Minikleid und Riemchensandalen.
»Magic Millie ist meine Lieblingsbarbie. Sie kann sich in eine Meerjungfrau verwandeln.«
Ihr Blick wanderte zu meinen Beinen, die, wie mir jetzt erst bewusst wurde, nackt waren. Mir war heute Nacht so warm gewesen, dass ich mir die Baumwollhose von den Beinen gestrampelt hatte.
»Äh … ich nicht«, entgegnete ich mit einem verlegenen Lächeln und zog das T-Shirt am Saum nach unten.
»Ich bin Rebecca«, sagte das Mädchen mit der Softshelljacke und lächelte. »Seine Schwester.« Ihr Daumen schoss in Noahs Richtung.
»Und meine«, bemerkte Ruthie und reckte das Kinn nach oben.
»Ich bin Elara.«
»Mollys Enkelin aus Phoenix, ich weiß. Du hast es geschafft, noch vor acht Uhr morgens das Thema im Diner zu sein.«
Ich hob die Brauen. »Im Diner?«
Rebecca zuckte mit den Schultern. »Hier passiert nicht viel. Wenn dann mal jemand ein Schaf überfährt und im Graben landet, ist das eben …«
»Ein Schaf?!«, platzte es aus mir heraus.
Rebecca schielte zu ihrem Bruder, der die Augen zusammenkniff und flüsterte: »Sie dachte, es wäre ein Bär gewesen.«
»Na ja, es war ein Bighorn-Schaf«, sagte Rebecca hastig und schenkte mir einen aufmunternden Blick. »Die wirken etwas … massiger.«
Das letzte Wort brachte sie gerade noch so über die Lippen, ohne zu grinsen. Auch Noah hatte sichtlich Mühe, seinen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten. Mit ungläubiger Miene starrte ich die beiden an. Das riesige Ding auf der Straße sollte ein Schaf gewesen sein? Ein Schaf?! Dieser Morgen war eine einzige Aneinanderreihung von Peinlichkeiten. So langsam wurde es wirklich Zeit, dass ich mich vom Acker machte. Zumal Grandma inzwischen sicher meine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter abgehört hatte und sich Sorgen machte, weil sie mich nicht erreichte.
»Könnte ich vielleicht mal kurz meine Grandma anrufen? Nicht, dass sie sich wundert …«
Obwohl sich Noahs Mund öffnete, antwortete eine Frauenstimme: »Ich habe Molly gleich heute Morgen angerufen. Sie weiß, dass du bei uns bist.«
Eine Frau in den Vierzigern kam durch die Küchentür ins Wohnzimmer und schenkte mir ein offenes, warmes Lächeln. Mit ihrem rotblonden Haar, das ihr wildgelockt auf die Schultern fiel, ihrem hellen, sommersprossigen Teint und der Schürze um ihre Hüften erinnerte sie mich sofort an Mrs. Weasley aus den Harry-Potter-Büchern.
»Ich bin Barbara Fitzgerald. Aber nenn mich ruhig Barb. Das machen alle.«
»Ich nicht«, quäkte Ruthie.
»Das stimmt, mein Engel. Du nicht.« Schmunzelnd drückte sie der Kleinen einen Kuss auf den Kopf.
»Elara«, sagte ich, obwohl sie das sicher längst wusste.
»Freut mich sehr, dich endlich mal kennenzulernen, Elara. Deine Grandma hat mir schon so viel von dir erzählt. Sie ist unglaublich stolz auf dich.«
Ich lächelte ein leicht verkrampftes Lächeln, weil ich mir nicht sicher war, ob Grandma immer noch stolz auf mich sein würde, wenn sie erfuhr, warum ich in einer wortwörtlichen Nacht-und-Nebel-Aktion nach Green Valley geflüchtet war.
»Danke, dass ich bei Ihnen übernachten durfte, Mrs. Fitzgerald.«
»Barb«, korrigierte sie mich zwinkernd.
»Barb«, wiederholte ich.
»Unser Haus steht jedem offen.« Sie lächelte wieder ihr warmes Lächeln. »Und es scheint ja eine echte Notsituation gewesen zu sein. Ich wünschte nur, wir hätten dir einen bequemeren Schlafplatz bieten können als«, sie schielte zum Sofa, »diese alte Krücke. Aber momentan ist meine Rasselbande wieder komplett. Da ist das Haus voll bis unters Dach. Apropos Rasselbande. Wo ist eigentlich Jacob?« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und rief nach ihm. »Jacob Fitzgerald, du kommst schon wieder zu spät zur Schule!«
Noah hatte also auch noch einen Bruder. Vier Kinder. Wow. Eine echte Großfamilie.
»Du bleibst doch noch zum Frühstück, Elara?«
Ich wollte höflich ablehnen, aber sie ließ mir keine Gelegenheit dazu.
»Du musst ja schrecklich hungrig sein nach der langen Anreise und den Strapazen der letzten Nacht.«
Ganz unrecht hatte sie nicht. Abgesehen von einem Müsliriegel hatte ich das letzte Mal an einer Raststätte in Arizona etwas gegessen. Ein Chicken-Teriyaki-Sandwich von Subway, das mir die restliche Fahrt über wie ein Ziegelstein im Magen gelegen hatte.
»Ruthie, deckst du bitte den Tisch? Noah, du machst Kaffee! Rebecca, du …«
»Ich hab schon die Bagels besorgt!«, nörgelte sie und wedelte demonstrativ mit einer braunen Papiertüte.
»Dann soll Jacob …« Barb stemmte die Hände in die Hüften und rief erneut nach ihrem Sohn.
»Ich komm ja gleich«, hallte eine brummige Jungenstimme durchs Haus.
Wie ein Zaungast verfolgte ich die Darbietung. Fasziniert und irritiert zugleich. So viel Trubel war ich nicht gewohnt – zu keiner Tageszeit. Mom und Larry arbeiteten beide im Krankenhaus in Phoenix. Dass wir alle drei zur selben Zeit zu Hause waren, kam eher selten vor.
»Da wird man nichtsahnend von der Straße aufgegabelt und landet im Irrenhaus«, kommentierte Rebecca meinen Blick und grinste.
»Rebecca!«, raunte ihre Mutter. »So wie du das sagst, klingt es, als wäre Elara eine …« Im letzten Moment schien ihr aufzufallen, dass auch ihre jüngste Tochter anwesend war.
»Eine was?«, fragte Ruthie mit kindlicher Neugier, während sie Teller neben Teller platzierte.
»Ja, Mom, eine was?«, kam es nun auch von Rebecca, die sich ein Lachen verkneifen musste und von ihrer Mutter einen eindeutigen Blick kassierte.
»Eine … Obdachlose«, sagte Barb.
»Was ist eine Obdachlose?«, fragte Ruthie.
»Jemand, der kein Haus hat«, erklärte Barb.
»So wie Olivia?«
»Nein!«, widersprach Barb sogleich. »Olivias Familie hat ja eine Wohnung.«
»Du hast gesagt …«
»Stimmt, Liebes, da habe ich mich falsch ausgedrückt. Obdachlos ist man, wenn man kein Haus, keine Wohnung oder … kein Zimmer hat.«
Die Kleine stieß ein nachdenkliches »Hm« aus.
»Kann ich vielleicht was helfen?«, fragte ich, während alle um mich herumwuselten.
»Nein, nein, das wäre ja noch schöner. Ich hab dir ein Handtuch und eine Zahnbürste ins Badezimmer gelegt. Falls du dich frisch machen möchtest«, sagte Barb.
Ich beschloss, das Angebot anzunehmen. Auf dem Weg ins Bad begegnete mir ein schlaksiger Junge mit demselben rotblonden Haar wie Barb. Er musterte mich kurz und nuschelte ein »Morgen«, bevor er in die Küche schlurfte.
»Wer ist das?«, hörte ich ihn noch fragen.
»Mollys Enkelin aus Phoenix«, antwortete seine Mutter.
»Sie ist ohnmachtslos«, erklärte Ruthie abgeklärt.
»Obdachlos«, korrigierte Barb.
»Sie hat kein Haus, keine Wohnung und kein Zimmer«, plapperte Ruthie vor sich hin.
»Und jetzt wohnt sie bei uns?«, fragte Jacob und klang nicht im Geringsten überrascht.
Mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck verschwand ich im Badezimmer. Als ich einen Blick in den Spiegel warf, erschrak ich. Ich sah aus wie eine Mischung aus Puffmutter und Wasserleiche. Aus meiner Frisur war über Nacht eine Katastrophe geworden, meine Wimperntusche war überall, nur nicht auf meinen Wimpern, und auf meiner Wange hatte ich einen fiesen Kissenabdruck. Noch dazu hatte sich über meiner rechten Augenbraue eine Beule gebildet. So viel zu Magic Millie. Mit einem Wattebausch entfernte ich notdürftig die Make-up-Reste und wusch mir das Gesicht. Anschließend putzte ich mir die Zähne und kämmte meine langen Haare, bis sie wieder halbwegs gepflegt aussahen. Ich schlüpfte aus dem T-Shirt, zog mein Kleid und die Sandalen an und folgte dem Geräuschpegel in Richtung Küche. Sechs Personen saßen inzwischen um einen großen Holztisch herum. Geschirr und Besteck klapperte, eine Kaffeekanne wurde herumgereicht, Kuchen geschnitten und Bagels bestrichen.
»Oh, da ist sie ja«, sagte Barb. Zwölf Augen richteten sich auf mich. »Thomas, das ist Elara, Mollys Enkeltochter aus Phoenix.«
Der Mann neben ihr blickte von seiner Zeitung auf und schenkte mir ein wohlwollendes Lächeln. Er sah aus wie eine ältere Version von Noah, hatte dieselben grünbraunen Augen, dasselbe dichte Haar. Nur dass sich durch seins erste graue Strähnen zogen.
»Thomas Fitzgerald. Freut mich sehr, dich kennenzulernen.« Ich schüttelte eine warme Hand mit einem schlichten Goldring. »Wie ich gehört habe, hattest du letzte Nacht einen Autounfall. Das muss ein ganz schöner Schreck gewesen sein. Ich hoffe, du hast dich nicht verletzt.«
»Nur eine kleine Beule.« Aus einem Reflex heraus fuhr mein Zeigefinger zu der Stelle über meiner Augenbraue.
»Für das Bighorn ist es nicht so glimpflich ausgegangen«, gluckste Rebecca und grinste mich über ihre Kaffeetasse hinweg an.
Röte schoss mir ins Gesicht.
»Du darfst neben mir sitzen«, quäkte Ruthie und klopfte zweimal auf den freien Stuhl zu ihrer Rechten, auf den sie die Barbie mit dem gelben Kleid gesetzt hatte.
»Oh. Danke schön.« Ich gab ihr die Puppe zurück und nahm Platz, wobei ich mir ein wenig beobachtet vorkam.
»Kuchen?«, fragte Barb, nachdem sie mir Kaffee eingegossen hatte.
»Gerne.«
Sie wuchtete mir ein riesiges Stück Apfelkuchen auf den Teller.
»Wie geht es denn deiner Mutter?«, fragte ihr Mann indessen. »Ich habe Pearl lange nicht mehr hier gesehen.«
Überrascht sah ich auf. »Sie kennen meine Mutter?«
»Wir sind alle zusammen zur Highschool gegangen«, erklärte Barb an seiner Stelle. »Pearl war«, sie dachte nach, »ein paar Jahre unter uns.«
Ihr Mann nickte bestätigend.
»Mom geht es gut«, beantwortete ich seine Frage. »Sie arbeitet im Phoenix Memorial in der Verwaltung. Larry, ihr Lebensgefährte, ist dort Anästhesist.«
»Wo liegt Phoenix?«, fragte Ruthie mit vollem Mund.
»In der Wüste«, gähnte Jacob.
»In Arizona«, erklärte ich der Kleinen. »Da gibt es riesige Kakteen, die furchtbar stacheln, wenn man sie anfasst. Ungefähr … so.« Ich pikste sie in die Seite, und sie kicherte.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Noah uns beobachtete. Als ich seinen Blick suchte, beschäftigte er sich wieder mit dem Bagel auf seinem Teller.
In der folgenden Viertelstunde tauchte ich tiefer in den Alltag einer typischen amerikanischen Großfamilie ein. Ruthie erzählte in aller Ausführlichkeit von einem Bastelprojekt in der Schule, Jacob informierte seine Mutter über die anstehenden Eishockeytrainingstermine, Mr. Fitzgerald ging mit seiner Frau eine To-do-Liste für irgendein Gemeindefrühstück durch, und Rebecca überredete Noah, ihr seinen Wagen zu leihen. Als Ruthie und Jacob schließlich zur Schule aufbrechen mussten, beschloss ich, mich ebenfalls zu verabschieden. Ich hatte die Gastfreundschaft der Fitzgeralds schließlich lange genug in Anspruch genommen.
»Noah fährt dich nach Hause«, sagte Barb und tauschte einen kurzen Blick mit ihrem Sohn.
»Ich dachte, sie hat kein Zuhause«, murmelte Ruthie stirnrunzelnd.
»Elara wohnt bei ihrer Großmutter, solange sie hier bei uns in Green Valley ist«, erklärte Barb ihrer jüngsten Tochter. »Du kennst doch Molly aus dem Blumenladen.«
»Ich kann zu meiner Grandma laufen«, bot ich an.
Erst eine Sekunde später wurde mir bewusst, dass ich den Weg gar nicht kannte. Und mein Handy mir keine große Hilfe sein würde, weil es noch immer im Dornröschenschlaf lag.
»Unsinn«, wehrte Barb ab. »In Green Valley helfen wir uns gegenseitig. Außerdem holst du dir in diesem Kleid sofort eine Erkältung.«
Wie recht sie damit hatte, stellte ich fest, als ich kurz darauf mit Noah das Haus verließ und mir verfroren die Arme vor die Brust hielt. Ich würde mir ein paar neue Klamotten zulegen müssen, wenn es nicht wärmer wurde. Ob es in Green Valley einen Klamottenladen gab? Ich konnte mich nur an ein Geschäft mit Outdoorzubehör erinnern. Grandpa hatte mir dort einmal Gummistiefel gekauft, als er mich zum Angeln mitgenommen hatte. Wie lange war das jetzt her? Zehn oder zwölf Jahre?
»Ich hätte wirklich auch zu Fuß gehen können«, sagte ich, als ich in den Wagen stieg. Irgendwie war es mir unangenehm, dass ich Noahs Hilfe schon wieder in Anspruch nehmen musste.
»Zu gefährlich.«
»Gefährlich?«
Er startete den Wagen und fuhr aus der Einfahrt. »Du hast unser Staatstier überfahren. Da verstehen die hier keinen Spaß.«
»Euer … Staatstier?«
»Das Rocky-Mountain-Bighorn-Schaf ist das offizielle Staatstier von Colorado. Und du, Magic Millie«, er deutete mit dem Zeigefinger auf mich, »hast es kaltblütig überfahren.«
»Kaltblütig? Es ist mir vors Auto gesprungen. Und ich wäre fast dabei …« Sein Schmunzeln ließ mich innehalten. »Du verarschst mich, oder?«
»Nur ein bisschen.«
Ich verdrehte die Augen.
»Aber es ist wirklich unser Staatstier. Und Teil des Stadtwappens.«
Noah setzte den Blinker und bog in die Aspen Road ein, die bei Tageslicht genauso idyllisch aussah, wie ich sie in Erinnerung hatte. Gepflegte Blockhäuser aus Holz und Naturstein reihten sich entlang der Straße. Gemauerte Schornsteine bliesen Rauch in den wolkenlosen Himmel, der sich strahlend blau über malerische Berggipfel und saftig grüne Tannen erstreckte. Andächtig blickte ich aus dem Fenster. Ich hatte vergessen, wie weitläufig hier alles war. Wie unbegrenzt. Dagegen war Phoenix ein einziges Tetris-Spiel. Dicht an dicht gebaut. Haus an Haus gequetscht.
»Du warst wirklich lange nicht mehr hier, oder?«, fing er meinen Blick auf.
Leicht abwesend nickte ich. Am Ende der Straße hielt er vor dem Haus meiner Grandma. Es zählte zu den kleineren Häusern, war mit seinem hübsch bepflanzten Garten und den Blumen auf der Veranda aber ein echtes Schmuckstück.
»Danke fürs Fahren.«