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Josina leidet weiter unter der Horror-Kombination aus Burn-out und Liebeskummer. Während sie tagsüber versucht, Remy aus dem Kopf zu bekommen und sich für das Liebesglück ihrer besten Freundin zu freuen, ist sie nur nachts in ihren Träumen stark und tatkräftig. Als Schwarze Träumerin setzt sie in der germanischen Asenwelt alles daran, den EINEN zu retten. Doch die Gemeinschaft ihrer Gefährten ist zerschlagen, und ein dämonischer Pakt bedroht die WELT. Nacht für Nacht begreift Josina besser, wie eng ihre Träume mit der Realität verknüpft sind. Und wie sehr ihre eigene Welt bedroht ist vom Untergang Asenwelt ... In "Die Schwarze Träumerin" begann Josinas Reise in die WELT der Asen. Hier in "Nicht schon wieder Ragnarök" findet die Geschichte ihr Ende.
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Seitenzahl: 220
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ÜBER PATRICIA ECKERMANN
Patricia Eckermann wurde in Bielefeld geboren.
Nach einer Handwerkerlehre wurde sie Beamtin, sie kämpfte für die Gewerkschaft und studierte Theater-, Film-, und Fernsehwissenschaft, Anglistik und Pädagogik.
Heute arbeitet sie als Fernsehautorin im Team der antagonisten und engagiert sich für mehr Diversität in den Medien.
In den Sozialen Medien findet man sie unter @feireficia. Mehr Infos gibt’s auf www.antagonisten.de
PATRICIA ECKERMANN
NICHT SCHON WIEDER RAGNARÖK
Roman
Triggerwarnung
In dieser Geschichte werden die Figuren u.a.
mit folgenden Themen konfrontiert:
• Angststörungen und Panikattacken
• Burnout
• Tod & Todeskampf
• Blut
Solltest du davon getriggert werden, empfehle ich dir, ein anderes Buch zu lesen.
Es gibt inzwischen viele tolle Werke von progressiven, deutschsprachigen Autor*innen, du wirst sicher fündig!
Gerade Selfpublisher und die kleineren Verlage freuen sich sehr über deine Unterstützung.
Für Anregungen & Feedback schreib mir gern eine Mail an: [email protected]
© 2023 Patricia Eckermann
Autorin: Patricia Eckermann Cover, Umschlaggestaltung, Illustration: meladesign Lektorat und Korrektorat: Judith Vogt Layout: Judith Vogt
Sensitivity Reading: Alexandra Boisen Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg ISBN: 978-3-347-83952-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
Schab’ Liebe, mailof
»Unsere Träume können wir erst dann verwirklichen,
wenn wir uns entschließen, einmal daraus zu erwachen.«
Josephine Baker
Cover
ÜBER PATRICIA ECKERMANN
Titelblatt
Urheberrechte
Panik
SCHMERZ UND SCHAM
MÖNCHSWEIHE
WIEDER AUF SPUR
AM ZIEL
TACHELES
DIE LIEBE UND DAS LICHT
BEGEGNUNG DER BESONDEREN ART
DAS BUCH DER WÄCHTER
BONNIE UND CLYDE
EIS UND FEUER
STACHEL IM HERZ
IM KERKER
SEELENVERWANDT
STREIT IM ROSENGARTEN
DER PLAN
DÄMONENGEBO
HOLZTÜR ZUM PARKDECK
KEINE KRAFT MEHR
ZUM NIEDERKNIEN STUPSIG
DER FREMDE IM SPIEGEL
ANFANG UND ENDE
ABSACKER
KONTROLLE
ZWISCHEN TÜR UND ANGEL
BIFRÖST
WÄCHTERPFLICHTEN
VERSUCHUNG
VERTRAUEN
BRÜDER UND RIVALEN
FLUCHT NACH VORN
EINE HÖHERE MACHT
ZERSPLITTERTES GLAS
VANDALEN IM DOM
YMIR
DIE NEUE WELT
DER FEUERBRINGER
NUR GETRÄUMT
GEWISSHEIT
DER PAKT MIT HEL
DIE KRÖNUNGSFEIER
EPILOG
NACHWORT
DANKESCHÖNS
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Panik
DANKESCHÖNS
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Panik
Armin lag auf dem Boden und japste verzweifelt nach Luft. Ihm war übel vor Angst. Sein Herz raste so unnatürlich schnell, dass es jeden Moment vor Erschöpfung kollabieren musste. So hatte er sich seinen Tod nicht vorgestellt. »Fünfundzwanzigjähriger Japan-Deutscher an Herzattacke in Küche verreckt«, ging es ihm durch den Kopf; und das wäre noch der freundlichste Abgesang auf sein desolates Leben: Schule abgebrochen, Lehre verkackt, ADS-Diagnose und obendrauf null Plan, wie die Zukunft aussehen könnte. Scheiß-Leben mit Scheiß-Migrationsgeschichte, Scheiß-Rassismus, Scheiß-in-welche-Welt-gehör-ich-eigentlich, Scheiß-auf-euch. Der einzige Lichtblick war Sina. Und sie war auch sein größtes Problem.
Armin zwang sich, tief ein- und auszuatmen und dachte an die Worte seiner Therapeutin: »Sie können nicht an einer Panik-Attacke sterben. Versuchen Sie es einfach mal. Ich garantiere: Es klappt nicht. Wenn Sie das einmal erfahren haben, macht Ihnen die nächste Attacke schon nicht mehr ganz so viel Angst.«
Was für ein hirnrissiger Rat. Zitternd legte er sich die Hand auf die Brust. Das Herz schlug nicht mal mehr im Takt. Er spürte es deutlich: Das jetzt war das Ende. Er würde jeden Moment das Zeitliche segnen.
Du wirst nicht sterben, hörte er etwas in sich sagen. Hör auf, dich zu wehren, es gibt keinen Grund für deine Angst.
Armin erinnerte sich an seinen Rucksack, er lag auf dem Stuhl neben ihm. Er zog das bundeswehrgrüne Ungetüm zu sich runter und kramte die Dose Notfall-Bonbons raus, die Sina ihm geschenkt hatte. Der Geheimtipp bei Angstanfällen und schwerem Lampenfieber, hatte sie versprochen. Ihr Wort in Gottes Ohr. Die Hälfte der Bonbons landete auf dem Boden, die rettenden zwei auf seiner Zunge. Zuerst passierte nichts. Das Gewicht auf seiner Brust, das Herzstechen, die Atemnot – alles weiter auf Vollanschlag. Aber Sina hatte gesagt, es könnte eine kleine Weile dauern. Er versuchte, sich auf seinen Atem zu fokussieren. Aus und ein. Aus und ein. Oder ein und aus? Wann kam nochmal die Pause? Vor oder nach dem Einatmen?
Er musste unbedingt mit Sina reden. Sie sollte wissen, dass er sie liebte und mit ihr zusammen sein wollte. Auch wenn er Angst davor hatte, dass sie ihn abwies und ihre Freundschaft damit ein Ende fand.
Überrascht bemerkte Armin, dass die Panik verflogen war. Auch sein Herzschlag hatte sich normalisiert, er atmete wieder ruhig und gleichmäßig. Unglaublich, dass ein paar Weichgummidrops mit Johannisbeergeschmack so eine grandiose Wirkung hatten. Er setzte sich auf und sammelte die verstreuten Notfall-Bonbons zusammen. Bei der nächsten Attacke würde er die Dinger auf jeden Fall sofort wieder einschmeißen, soviel war klar. Hoffentlich waren die Schübe damit bald Geschichte. Auf die Todesangst, die ihn seit einigen Tagen immer wieder überfiel, konnte er getrost verzichten. Sein Leben war auch so schon vertrackt genug. Die Sache mit Sina stellte alles auf den Kopf.
Sina.
Sein bester Freund aus Kindertagen, der sich im Teenageralter als Mädchen geoutet hatte. In das Armin jetzt schon seit Monaten rettungslos verliebt war. Es hatte ewig gedauert, bis er es sich endlich eingestanden hatte. Doch damit fingen die Probleme erst richtig an. Und als ob es in seinem Leben nicht schon genug Komplikationen gab, schwirrte ihm in den letzten Tagen ständig die Schwarze Freundin dieser Fernsehmoderatorin im Kopf herum, die anscheinend irgendwo in der Nachbarschaft wohnte. Wann immer er sie auf der Straße sah, überschlug sich sein Herz. Verknallte er sich gerade in eine andere, weil er zu feige war, zu seiner Liebe zu Sina zu stehen?
Doch während ich die WELT aktiv mitgestaltete, nutzte ich mein Gebo in der Wirklichkeit nicht.
Das wollte ich ändern. Ich wollte arbeiten. Doch ich wollte meine Kraft nicht weiter ausbeuten lassen. Ich wollte faire Bedingungen. Und ich wollte selbst bestimmen, wie viel Zeit ich investierte.
Diese Erkenntnis kam mir nicht einfach so. Sie dämmerte während der Nächte, in denen ich alles versuchte, um Surt aus dem GAP herauszubekommen. Während ich mein Möglichstes gab, um uns an irgendeinen sicheren Ort der WELT zu träumen. Oder während wir uns mit Werkzeugen, die ich mit meinem Gebo erschaffen hatte, mehr oder weniger erfolgreich die Gesteinsbrocken nach oben katapultierten. Oder wie Freeclimber an ihnen hochkletterten. Doch der Lichtstrahl, der aus der WELT auf uns herabfiel und unter uns in die Dunkelheit stach, wurde unaufhörlich schmaler. Irgendwann war das Licht vollständig verschwunden, und wir fielen immer noch.
Surt schien keine Angst zu haben. Weder davor, was ihn am Grund erwartete, noch davor, dass das Fallen vielleicht niemals aufhörte. Für mich wäre es okay gewesen, von jetzt an in jedem meiner Träume im GAP zu erwachen, mit ihm an meiner Seite. Aber ich hatte meine Freunde, wenn ich wach war. Kamille, Shane, bald das Baby. Gerta, sogar Remy, auch wenn unser Beziehungsstatus wohl auf ewig »es ist kompliziert« lauten würde. Surt dagegen war allein, wenn ich nicht bei ihm war. Deshalb wünschte ich mir, dass sein einsames Fallen ein Ende haben würde. Gleichzeitig hatte ich Angst, dass der Grund des GAPS seinen Tod bedeutete.
In meinen Träumen sprachen wir darüber. Irgendwann hörten wir auf, nach einem Ausweg zu suchen, und ich machte es uns bequem. Wenn ich mich ab jetzt zu ihm träumte, erwartete er mich auf einer gemütlichen Hängematte. Seine wölfisch grünen Augen strahlten vor Freude, wenn er mich sah. Wir sprachen über alles, was uns beschäftigte. Über Remy, die Amazone, über unsere Hoffnungen und Träume. Und natürlich über die Prophezeiung, die uns zusammengeführt hatte. Im letzten Vers war von einem Regenbogen die Rede. Surt war überzeugt, dass das auf Bifröst anspielte, eine Brücke in Asgard, die vom Asen Heimdall bewacht wurde. Surt spekulierte, dass er über diese Brücke zurück in seine WELT kehren musste. Während unserer Gespräche schaukelte die Hängematte zwischen den fallenden Gesteinsbrocken, und um uns herum fielen tausende weitere Steine in die Tiefe. Manche so groß wie Autos oder Getränkekisten, andere so klein wie Tennisbälle oder Kiesel. Einige Steinchen setzte Surt in Brand, so dass sie uns wie Sternbilder an einem schwarzen Nachthimmel begleiteten. Der Fallwind zerrte nur sanft an unseren Haaren, auch war es merkwürdig still. Da war nur ein Rauschen, wie ein entferntes Donnern, das die Härchen auf meinen Armen elektrisierte, zu schwach, als dass ich es hören konnte: Abertausende seelenlose Schatten, die dem Ruf des Dämonenfürsten folgten und sich im ungereiften Zustand aus den Bruthöhlen stürzten, hoch in die WELT, um Finsternis zu verbreiten. Doch da das Urdswasser aufgebraucht war, konnten wir nichts dagegen tun.
Tagsüber, wenn ich nicht bei Surt war, lag ich auf der Couch. Wenn ich die Augen schloss und versuchte, mich mit ihm zu verbinden, spürte ich ein leichtes, warmes Pulsieren: Surts Feuer, das in mir brannte, seitdem wir in der QUELLE DER URD Sex gehabt hatten.
Trotz der Sorgen, die ich mir machte, tankte mein Körper Energie. Ich wachte jeden Morgen ein wenig fitter auf und wurde täglich tatkräftiger.
Dann, eines Nachts, war Surt nicht mehr da. Ich fiel allein in die Tiefe, zusammen mit Tonnen von Gesteinsbrocken.
SCHMERZ UND SCHAM
Anton rannte. Seitdem er die KRAFT getötet und den EINEN in den GAP GINNUNGA gestürzt hatte, war er auf der Flucht. Hinter jeder Ecke vermutete er den Berserker, jeden Moment fürchtete er, dass sich die Schwarze Träumerin vor ihm manifestierte und einen ihrer tödlichen Pfeile in sein Herz schoss. Antons Lunge brannte vor Anstrengung, seine Kehle schmerzte vor Trockenheit, doch nichts übertraf die Scham, die er empfand. Er hatte gelogen, das Gebo der Steine verraten und eine Gefährtin getötet. Er hasste sich dafür. Und doch würde er es wieder tun. Er würde alles tun – für Brigid.
Ein entferntes Donnergrollen ließ die Luft erzittern, und Anton lief schneller. Auch Odin war sicher außer sich vor Zorn. Jeder Sturm, jedes Gewitter konnte bedeuten, dass der weiseste aller Asen ihn vor dem Berserker gefunden hatte. Nicht auszudenken, was Odin mit ihm anstellen würde.
Der Wald der Wacholderhexe, der hinter der üppig bewachsenen Ziegenweide in Sichtweite kam, sah abstoßender aus als beim letzten Mal. Mit dem Sturz des EINEN in die Schlucht waren auch die Sonne und der Mond RAGNARÖK vom Himmel verschwunden. Seitdem war es kalt und düster, nur das Licht der Sterne erhellte die WELT. Es war nicht stark genug, um die Farben der Dinge hervorzuheben, fast alles, was das Auge sah, war grau und trist.
Anton fürchtete sich zwar davor, sich wieder im Wacholderhexenwald zu verirren, doch er musste zurück in die Höhle. Vielleicht war seine Frau dort. Vielleicht lag sie noch immer wie schlafend auf dem Boden, belegt mit Balders magischem Bann. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er daran dachte, wie verletzlich sie ausgesehen hatte. Egal, was es ihn kostete, er musste diese Höhle finden. Jetzt, nachdem er seinen Teil des Pakts eingelöst hatte, würde es ihm vielleicht gelingen, Brigid aufzuwecken. Oder sie war schon längst wieder zu sich gekommen und irrte nun im Wald herum, auf der Suche nach ihm und ihrem Zuhause.
Dass Balder und der Dämonenfürst nicht auf sein Rufen reagierten, war sicher kein gutes Zeichen. Was bezweckten sie damit? War seine Arbeit vielleicht doch noch nicht getan? Was erwarteten sie denn noch von ihm? Gab es weitere schreckliche Dinge, die er tun musste, um seine Frau auszulösen? Würde das jemals aufhören?
Ein greller Blitz zuckte vom Himmel, und für einen kurzen Moment wurde die WELT taghell. Stand da jemand? Am Waldsaum? Zwischen den knorrigen Wacholderbäumen? Vielleicht der Berserker? Die Schwarze Träumerin? Odin oder der undurchsichtige Loki? Anton schlug einen Haken und warf sich flach auf den Boden. Das Herz hämmerte ihm in den Ohren, und Schweiß verklebte seine Stirn. Was tun? Er wollte nicht wieder töten. Die Gefährten waren nicht seine Feinde. Doch bei einem Angriff würde er sich verteidigen. Sein Leben bedeutete ihm zwar nichts mehr, aber wenn er starb, wäre Brigid auf ewig verloren. Und das würde er um jeden Preis verhindern.
MÖNCHSWEIHE
Die WELT, wie der Berserker sie kannte, gab es nicht mehr. Die Hoffnung auf die NEUE WELT, für die Surt in den GAP GINNUNGA gestürzt und für die die KRAFT gestorben war, hatte sich nicht erfüllt.
Nach Surts Sturz in die Schlucht hatte Loki den Berserker und die tote Amazone nach NIFLHEIM gebracht, wo die Eisriesen den Leichnam in dem Iglu aufbahrten, in dem sich die KRAFT zu Beginn der Reise als Motte entpuppt hatte. Der Verräter Anton war entkommen und die Regenten, Odins ungleiche Söhne, hatten sich zerstritten. Es ging das Gerücht, Hödur habe sich der Riesenbefreiungsfront angeschlossen und sein Bruder Balder mache gemeinsame Sache mit dem Dämonenfürsten. Angeblich landete jeder Ase, der sich ihnen widersetzte, im Kerker, so wie Freya, Tyr und Heimdall. Nichts hatte sich zum Besseren verändert. Im Gegenteil. Als ob die WELT von einer Schlangengrube ins Maul der Midgardschlange gefallen wäre.
Der Berserker sah in den Sternenhimmel. Auch dort war alles anders, seit die Sonne und der Mond RAGNARÖK verschwunden waren. Die daraus folgende Dunkelheit wurde verstärkt von dem Schattenheer, das aus dem GAP GINNUNGA emporgestiegen war und jetzt weite Teile der WELT verfinsterte. Wie düstere Wolken hingen die Seelenlosen am Himmel, still und unheilverheißend warteten sie darauf, die Befehle des Dämonenfürsten zu erfüllen. Doch das war längst nicht alles:
Mit dem Verschwinden des EINEN hatten die Feuerriesen ihr Gebo verloren. Nicht einmal mehr die Ältesten konnten noch ihr inneres Feuer entfachen. Nur einige wenige Feuerhüterinnen aus den BRENNENDEN FELDERN MUSPELLSHEIMS beherrschten ein Ritual aus der ALTEN WELT, mit dem es ihnen noch gelingen konnte, ihr inneres Feuer hervorzuholen. Dafür benötigten sie Holz vom Stamm YGGDRASILS, einen Zunderpilz aus den Wäldern der Alben, die Magie der heiligen Runen und meditative Geduld. Kaum ein Riese brachte das alles auf – was bedeutete, dass die Magie des Feuers nun fast völlig aus der WELT verschwunden war.
»Nicht mal heute zu deiner Weihe zum Mönch lässt du Freude in deine Augen?« Loki prostete dem Berserker zu. »Kopf hoch! Was geschehen ist, musste sein. Vertrau auf die Prophezeiung.«
Der Berserker brummte. Laich war zu Fröschen geworden, seit Surt in den GAP GINNUNGA gefallen war. Nichts hatte sich seitdem zum Guten gewendet. Die meisten Riesen, Alben, Zwerge und Amazonen hatten mit dem EINEN auch die Hoffnung auf eine NEUE WELT verloren. Der Berserker selbst wollte nicht glauben, dass sein Vetter tot war, auch wenn alles dafürsprach. Surt durfte nicht tot sein. Er musste aus dem GAP zurückkehren. Eine WELT ohne das Licht der Sonne, ohne das Feuer der Riesen, dazu von Dämonen beherrscht, war nicht lebenswert.
Wie so oft, seit sie in seinen Armen gestorben war, dachte der Berserker an Motte. Daran, wie sie sich vor seinen Augen in die Amazone verwandelt hatte. Es würde Surt das Herz brechen, wenn er erfuhr, dass seine wahre Liebe die ganze Reise über in seiner Nähe gewesen war. Oder hatte er Mottes Verwandlung noch beobachtet, bevor er in die Schlucht gestürzt war?
Das Stimmengewirr um den Berserker schwoll an. Er stand auf dem Thingplatz, hinter ihm lag der Versammlungsraum aus blankem Eis, in dem Surt ihn, Anton und Odin zu seinen Gefährten gemacht hatte. Der Raum und auch der Platz davor waren für die Zusammenkunft nach der Zeremonie feierlich geschmückt. Drinnen und draußen wurde Met aus dem Horn heiliger Hirsche getrunken. Die Stimmung war ausgelassen, Pilgernde und Angehörige sprachen und lachten durcheinander. Eine Handvoll Eismönche servierte Esskastanien, Steckrübenmus und geeiste Erdbeeren. Auch unter ihnen glaubten manche, dass der EINE gescheitert war. Gestorben beim Versuch, die Prophezeiung zu erfüllen. Raureif überzog den Körper des Berserkers. Doch so schnell der Schauer kam, so schnell verschwand er auch wieder.
»Auf Surt, deinen tapferen Vetter.« Odin erhob sein Trinkhorn. Der Berserker stieß seines dagegen. Loki knallte sein Horn zuletzt dazu und der Met schwappte über.
»Auf den EINEN!«
Sie tranken schweigend.
»Und jetzt, da du ein Eismönch bist«, Odin wischte sich ein paar Tropfen Met aus dem Bart, »lass uns endlich Surt zurückholen.«
Der Berserker verschluckte sich. Bisher hatten Odin und Loki sein Vorhaben belächelt. »Ihr klettert doch mit mir in den GAP?«
Die dunkelblauen Augen des Gestaltwandlers blitzten vielsagend. »Das ist unmöglich«, sagte er kopfschüttelnd.
Odin leerte sein Horn. »Ach was. Die Runen sagen, dass Surt den GAP längst verlassen hat.«
»Und wo ist er jetzt?« Das Herz des Berserkers klopfte aufgeregt. Loki spitzte den Mund und lächelte vielsagend.
»Die richtige Frage ist: Wie schaffen wir es, dass er weiß, wo wir sind?«
Eine Riesin, deren Sohn zusammen mit dem Berserker die Weihe zum Mönch erhalten hatte, mischte sich ein. Sie war überraschend klein und hager, ihre Stimme ungewöhnlich rau.
»Du bist also der Eismönch, der hilft, das Licht zurückzubringen.« Sie musterte den Berserker neugierig. Loki hob irritiert die Augenbrauen. Der Berserker ließ überrascht sein Trinkhorn sinken.
»Bitte was?«
Die kleine Riesin wandte sich an Loki. »Kennt er die PROPHEZEIUNG DER ALTEN WELT etwa nicht?«
Loki und Odin schwiegen betreten. Der Berserker sah von einem zum anderen.
»Odin, Loki?« In seinem Inneren knackte das Eis vor Anspannung. Seit Surt in den GAP GINNUNGA gestürzt, Motte gestorben und Anton zum Verräter geworden war, standen die beiden ihm zur Seite. Inzwischen war so etwas wie eine Freundschaft entstanden, und trotzdem hatten sie ihm nichts von einer weiteren Prophezeiung erzählt? Dickes Eis umhüllte seine Fäuste. War es ein Fehler gewesen, ihnen zu vertrauen? Spielten sie ein Spiel mit ihm? Er spreizte die Finger beider Hände, und das Eis platzte splitternd ab.
»Du musstest erst ein Mönch werden«, beruhigte ihn Loki endlich. Die kleine Riesin nickte ungeduldig und klopfte dem Berserker auf die Brust.
»Nur mit deiner Hilfe können der EINE und das Licht zurückkehren.«
Allmählich sickerte zum Berserker durch, was allen anderen schon klar zu sein schien: Sein Vetter war tatsächlich nicht tot! Und die Prophezeiung konnte sich noch immer erfüllen!
»Was muss ich tun?«
»Die Prophezeiung ist sehr alt«, wich die kleine Riesin aus. »Und sie wurde nur mündlich überliefert«, ergänzte Loki. »In einer Sprache, die wir nicht mehr ganz verstehen«, schloss Odin. Jetzt ahnte der Berserker, was das Problem war.
»Ihr wisst also nicht, was ich tun muss, um Surt zu retten?«
»Wir wissen nur,« gestand Odin, »dass der EINE ohne deine Hilfe verloren ist.«
WIEDER AUF SPUR
Als mir klar wurde, dass Surt aus dem GAP GINNUNGA
verschwunden war, war es, als würde ich zum ersten Mal wirklich erwachen.
Und das nicht nur in meinem Traum.
Ich begriff endlich, das alles zusammenhing. Dass ich weder im Traum noch in der Realität alle Fäden in der Hand hielt.
In der WELT hatten YMIR und die NORNEN ihre Finger im Spiel: Wenn Skuld Surts Lebensfaden zerschnitt, konnte mein Gebo ihn nicht retten. Und wenn Verdanda unsere Lebensfäden voneinander trennte, würde ich ihn nie wiedersehen.
Außerdem gab es Situationen, Orte und Wesen, bei denen mein Gebo nicht stark genug war. Ich konnte dann zwar Dinge beeinflussen, aber nicht grundsätzlich ändern. Im GAP zum Beispiel schien es ähnlich schwach zu sein wie gegenüber dem Fenriswolf. Während es am BRUNNEN DES MIMIR so mächtig gewesen war, dass ich Surt vor dem sicheren Feuertod hatte bewahren können.
Nicht ich träumte also meine Träume. Ein anderes Wesen erträumte all die Abenteuer, die ich als die Schwarze Träumerin erlebte und mitgestaltete. Mir fiel nur ein Wesen ein, das diese Macht besaß: YMIR.
Und war es in der Realität nicht ähnlich? War ich nicht wie eine Schlafende, die den Traum der Chef-Etage lebte?
Anfangs hoffte ich, dass Surt einen Weg zurück in die WELT gefunden hatte. Den ganzen Traum über versuchte ich, mich aus dem GAP heraus zu ihm zu träumen. Aber es funktionierte nicht.
In der nächsten Nacht träumte ich mich zum Berserker. Vielleicht wusste er, wo Surt war. Und ob es ihm gut ging. Doch ich erwischte einen ungünstigen Moment und platzte mitten in seine Mönchsweihe.
»Warum hast du nicht gewartet? Du hättest doch danach mit ihm reden können«, fragte Kamille. Wir saßen in der Küche und tranken heiße Hafermilch mit Kakao und Zimt. Es war viel zu früh, der Wecker würde erst in zwei Stunden klingeln. Auf dem Tisch stand eine flackernde Kerze, seit Kamille schwanger war, hasste sie künstliches Licht.
»Ich wollte ja warten und mit ihm sprechen«, gähnte ich. »Aber du hast mich geweckt, schon vergessen?«
»Sorry.« Sie kraulte sich die Kopfhaut und verknotete die lockigen Haare zu einem Dutt. »Aber Shane ist einfach nicht wachzukriegen … und das Baby …« Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. »Ich mach mir Sorgen, dass etwas nicht stimmt.«
Kamilles Schwangerschaft verlief tatsächlich atypisch. Ihr Bauch vergrößerte sich übertrieben schnell, und ihr Biorhythmus war außer Rand und Band. Sie war abwechselnd müde und munter, ihre Nägel wuchsen so schnell, dass man ihnen fast beim Wachsen zusehen konnte, und ihr Hunger kannte keine Grenzen. Für heute stand der erste Termin bei der Gynäkologin an, hoffentlich wusste die ein paar Mittel, die Kamille halfen, etwas zur Ruhe zu kommen. Dem Bauch nach zu urteilen war sie schon monatelang schwanger – was natürlich unmöglich war, denn Shane war ja erst vor wenigen Wochen wieder aufgetaucht.
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich Kamille. »Shane ist riesig. Ist doch kein Wunder, dass auch das Baby größer als der Durchschnitt ist.«
Kamille musste grinsen.
»Apropos groß,« wechselte sie das Thema, »träumst du dich heute Nacht noch mal zum Berserker?«
»Unbedingt«, antwortete ich entschlossen. »Wir müssen rausfinden, wo Surt steckt und ihn retten. Und wenn das nicht klappt, dann müssen wir die Prophezeiung ohne ihn erfüllen. Die NEUE WELT, für die Surt gelebt hat, wird entstehen.«
Genau das war der Moment, in dem ich beschloss, wieder ins Büro zu gehen. Ich würde nicht nur weiter meine Träume aktiv mitgestalten. Auch meine Realität wollte ich zu meinen Bedingungen verändern.
Keine vier Stunden später saß ich endlich wieder an meinem Schreibtisch im Redaktionsbüro des Senders. Ich war wochenlang weg gewesen, aber natürlich hatte sich nichts verändert. Dieselben Abläufe, derselbe schlechte Radiosender, der den Raum beschallte, derselbe Holger, der mich schon fünf Minuten nach meiner Ankunft nervte. Wenigstens freute sich das Team, dass ich wieder da war und half mir bei der Einarbeitung.
Die Liveshows der kommenden Woche waren durchgeplant, die Abläufe der einzelnen Sendungen hingen an fünf überdimensional großen Pinnwänden an der Wand. Daran steckten Karteikarten, auf denen die einzelnen Module jeder Sendung notiert waren. An jeder Pinnwand hing außerdem ein Bild mit dem jeweiligen Gast, den Kamille interviewen würde. In der Regel wurden die Interviews drei bis vier Stunden vor der Liveshow aufgenommen, damit noch genügend Zeit blieb, die wichtigsten Passagen zusammenzuschneiden.
Am späten Nachmittag, kurz bevor unten im Senderstudio die Live-Sendung on air ging, saß ich allein im Büro. Ich hatte das Radio ausgestellt und genoss die Stille, die den Raum erfüllte. Der Rest des Redaktionsteams sah sich im Studio die Sendung an und die meisten würden von dort direkt in den Feierabend gehen. So hatte ich die Ruhe, mich um den Feinschliff der Sendungen der kommenden Woche zu kümmern. Ich checkte die Abläufe und vervollständigte die Gästedossiers. Danach setzte ich mich an die Aufzeichnungspläne für die Interviews, die Kamille in der nächsten Zeit bevorstanden. Da kam ein ziemliches Pensum auf sie zu. Spannende Gäste, für die sie sich Grundwissen in Geomantie, in germanischer Mythologie und in Quantenphysik aneignen musste. Hoffentlich wurde ihr das nicht zu viel, die Schwangerschaft zehrte schon genug an ihren Nerven.
Mein Handy klingelte. Ein Schnappschuss von Shane erschien auf dem Display. Das Bild zeigte einen Schwarzen Mann mit ebenholzfarbener Haut in einem schmal geschnittenen, braunen Anzug mit braunem Hemd und gleichfarbigem Hut. Er trug eine elegante Brille aus braunem Holz und lächelte selbstbewusst. Ich nahm das Gespräch an.
»Hey Shane! Ausgeschlafen?«
»Geht so«, sagte er am anderen Ende der Leitung. »Zum Glück hab ich heute frei.« Er gähnte. »Wo seid ihr alle? Bringst du Falafel mit?«