Nichts Neues von Gurb - Eduardo Mendoza - E-Book

Nichts Neues von Gurb E-Book

Eduardo Mendoza

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Beschreibung

»Ein literarisches Antidepressivum« Cosmopolitan Zwei Außerirdische landen mit ihrem Raumschiff im Barcelona des Jahres 1992. Der Kapitän und sein Techniker Gurb reisen bereits seit hunderten von Jahren gemeinsam durchs All. Sie sind inzwischen nicht nur Kollegen, sondern auch gute Freunde. Doch als sie in Barcelona landen, wo die Menschen sich auf die olympischen Spiele vorbereiten, verschwindet Gurb beim ersten Kontakt mit der »Lebensform der Zone«... Gurb ist weg und der Kapitän muss immer wieder in seinem Logbuch notieren: Nichts Neues von Gurb. Am nächsten Tag macht er sich also auf den Weg, um seinen Freund zu suchen. Dabei nimmt er, genau wie Gurb auch, eine menschliche Gestalt an. Doch er muss sich erst an die Welt gewöhnen, in die er da gestolpert ist. Bereits am ersten Morgen schreibt er in das Logbuch: 08:01: Von einem Corsa überfahren. 08:02: Von einem Lieferwagen überfahren. 08:05: von einem Taxi überfahren. Und so nähert der unsterbliche Alien sich der menschlichen Zivilisation langsam an, während er Unmengen von Churros isst und versucht, seinen Freund aufzuspüren. Auf der Suche nach Gurb bleibt kein Stein auf dem anderen. Wird Barcelona diese außerirdische Invasion überleben? Wird der Kapitän seinen Techniker jemals finden? Gibt es in Barcelona genug Churros, um seinen intergalaktischen Appetit zu stillen?

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Seitenzahl: 145

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Dies ist der Umschlag des Buches »Nichts Neues von Gurb« von Eduardo Mendoza, Matthias Strobel

Eduardo Mendoza

Nichts Neues von Gurb

Aus dem Spanischen von Matthias Strobel

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Sin noticias de Gurb« im Verlag Seix Barral, Barcelona

© 1990 by Eduardo Mendoza

Für die deutsche Ausgabe

© 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: © Birigit Gitschier, Augsburg

unter Verwendung einer Abbildung von © Mark Oliver, UK

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-608-98771-3

E-Book ISBN 978-3-608-12316-6

TAG 9

00.01 (Ortszeit) Landung problemlos durchgeführt. Konventioneller (erweiterter) Antrieb. Landungsgeschwindigkeit: 6.30 auf der konventionellen (begrenzten) Skala. Geschwindigkeit im Moment des Aufsetzens: 4 auf der Unter-U1-Skala oder 9 auf der Molina-Calvo-Skala. Hubkraft: AZ-0.3.

Ort der Landung: 63Ω (IIß) 28 476 394 783 639 473 937 492 749.

Lokale Bezeichnung des Landeorts: Sardanyola.

07.00 Auf (meine) Anweisung hin schickt Gurb sich an, mit den (tatsächlichen und möglichen) Lebensformen der Zone Kontakt aufzunehmen. Da wir in körperloser Form reisen (Intelligenz-Analysefaktor 4800), ordne ich an, dass er einen analogen Körper der lokalen Bewohner annimmt. Ziel: nicht die Aufmerksamkeit der (tatsächlichen und möglichen) einheimischen Fauna zu erregen. Nach Konsultation des Astral-Terrestrischen Katalogs Annehmbarer Formen (ATKAF) wähle ich für Gurb die Gestalt des menschlichen Wesens namens Marta Sánchez.

07.15 Gurb verlässt das Raumschiff über Luke 4. Wetter: heiter mit leichtem Wind aus südlicher Richtung. Temperatur: 15 Grad. Relative Luftfeuchtigkeit: 56 Prozent. See: spiegelglatt.

07.21 Erster Kontakt mit lokalem Bewohner. Daten übermittelt von Gurb: Größe des Einzelwesens: 170 Zentimeter. Schädelumfang: 57 Zentimeter. Augenzahl: zwei. Schwanzlänge: 0.00 Zentimeter (da nicht vorhanden). Das Wesen kommuniziert mittels einer schlicht strukturierten, aber schwer zu artikulierenden Sprache, die sich innerer Organe bedient. Schwach ausgeprägtes Denkvermögen. Bezeichnung des Wesens: Lluc Puig i Roig (vermutlich fehlerhafter und unvollständiger Empfang). Biologische Funktion des Wesens: Professor (exklusive Beschäftigung) an der Universidad Autónoma de Bellaterra. Freundlichkeitsgrad: niedrig. Er verfügt über ein einfach strukturiertes, aber schwer zu steuerndes Fahrzeug namens Ford Fiesta.

07.23 Gurb wird von dem Wesen aufgefordert, in sein Transportmittel einzusteigen. Er bittet um Anweisungen. Ich ordne an, die Einladung anzunehmen. Grundsätzliches Ziel: nicht die Aufmerksamkeit der einheimischen (tatsächlichen und möglichen) Fauna zu erregen.

07.30 Nichts Neues von Gurb.

08.00 Nichts Neues von Gurb.

09.00 Nichts Neues von Gurb.

12.30 Nichts Neues von Gurb.

20.30 Nichts Neues von Gurb.

TAG 10

07.00 Ich beschließe, mich auf die Suche nach Gurb zu machen.

Bevor ich aufbreche, verberge ich das Raumschiff, um Entdeckung und Untersuchung desselben seitens der heimischen Fauna zu vermeiden. Nach Konsultation des Astral-Terrestrischen Katalogs beschließe ich, das Raumschiff zu verwandeln in einen irdischen Körper namens Einfamilienhaus, Heiz., 3 Schlafz., 2 Bäd., Balkon, Gemeinsch.-Pool, 2 Parkpl., günstige Finanzierung.

07.30 Ich beschließe, die Gestalt eines menschlichen Einzelwesens anzunehmen. Nach Konsultation des Katalogs fällt meine Wahl auf den Conde-Duque de Olivares.

07.45 Statt das Raumschiff über die Luke zu verlassen (jetzt eine einfach strukturierte, aber schwer zu handhabende Massivholztür), beschließe ich, mich an einem Ort zu materialisieren, an dem die Konzentration von Einzelwesen am größten ist, damit ich keine Aufmerksamkeit errege.

08.00 Ich materialisiere mich an einem Ort namens Diagonal-Paseo de Gracia und werde von Bus Nummer 17 Barceloneta-Vall d’Hebron überfahren. Ich muss den Kopf, der aufgrund der Kollision weggerollt ist, wieder einsammeln. Schwieriges Unterfangen aufgrund der Fülle von Fahrzeugen.

08.01 Überfahren von einem Opel Corsa.

08.02 Überfahren von einem Lieferwagen.

08.03 Überfahren von einem Taxi.

08.04 Ich sammle den Kopf wieder ein und wasche ihn an einem öffentlichen Brunnen unweit der Unfallstelle. Ich nutze die Gelegenheit, um die Zusammensetzung des Wassers zu analysieren: Wasserstoff, Sauerstoff und Kot.

08.15 Aufgrund der hohen Dichte von Einzelwesen wird es womöglich schwierig, Gurb mit bloßem Auge ausfindig zu machen, aber ich nehme Abstand von einer sensorischen Kontaktaufnahme, weil ich nicht einschätzen kann, welche Auswirkungen es auf das ökologische Gleichgewicht der Zone und infolgedessen auf ihre Bewohner haben könnte.

Menschliche Wesen gibt es in unterschiedlichen Größen. Die kleinsten sind so klein, dass sie, würden sie nicht von größeren Exemplaren in kleinen Wägelchen geschoben, sofort unter deren Füße geraten würden (und schon wäre der Kopf ab). Die größten sind selten über 200 Zentimeter lang. Überraschenderweise sind sie in liegendem Zustand genauso lang. Einige tragen Schnauzbart, andere Vollbart und Schnauzbart. Fast alle haben zwei Augen, die entweder im vorderen oder im hinteren Teil des Gesichts liegen, je nach Blickwinkel. Beim Gehen bewegen sie sich von hinten nach vorne, wodurch sie den Schwung der Beine mit einem kräftigen Schwung der Arme ausgleichen müssen. Die Eiligsten unter ihnen verstärken diesen Schwung mittels Handtaschen aus Leder oder Plastik oder Köfferchen namens Samsonite aus einem Material, das von einem anderen Planeten stammt. Das Fortbewegungssystem der Automobile (vier paarweise angelegte, mit stinkender Luft gefüllte Räder) ist vernünftiger und erlaubt höhere Geschwindigkeiten. Wenn ich nicht für exzentrisch gehalten werden will, darf ich nicht fliegen oder auf dem Kopf gehen. Merke: Immer schön Bodenhaftung bewahren, sei es mit dem Fuß – egal welchem – oder mit dem äußeren Organ namens Hintern.

11.00 Ich halte schon fast drei Stunden Ausschau nach Gurb. Vergeudete Zeit. Der Menschenstrom an dieser Stelle der Stadt schwillt nicht ab. Im Gegenteil. Meiner Schätzung nach liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Gurb hier vorbeikommt und ich ihn nicht sehe, bei dreiundsiebzig zu eins. Und es fehlen sogar noch zwei Variablen: a) dass Gurb nicht hier vorbeikommt; b) dass Gurb hier vorbeikommt, aber seine Gestalt verändert hat. In diesem Fall läge die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn nicht entdecke, bei neun Trillionen zu eins.

12.00 Das Angelus-Läuten. Ich gehe kurz in mich im Vertrauen darauf, dass Gurb nicht ausgerechnet jetzt vorbeikommt.

13.00 Die aufrechte Haltung, die ich meinem Körper schon seit fünf Stunde zumute, ermüdet mich allmählich. Zur Taubheit der Muskeln kommt noch der ständige Kraftakt des Ein- und Ausatmens. Als ich es einmal fünf Minuten lang vergesse, läuft mein Gesicht blau an, und die Augen springen aus den Höhlen, sodass ich schon wieder zwischen den Autos herumkriechen muss, um sie einzusammeln. Wenn das so weitergeht, werde ich doch noch Aufmerksamkeit erregen. Offenbar atmen die Menschen die Luft automatisch ein und aus, was sie dann schlicht Atmen nennen. Diesen Automatismus, der eines zivilisierten Wesens unwürdig ist und den ich hier aus rein wissenschaftlichen Gründen erwähne, wenden die Menschen nicht nur auf die Atmung an, sondern auf viele Körperfunktionen wie Blutkreislauf, Verdauung, Blinzeln – das im Gegensatz zu den beiden zuvor genannten Funktionen sehr wohl willentlich kontrolliert werden kann und dann Zwinkern heißt –, das Wachsen der Finger- und Zehnägel usw. Die Abhängigkeit der Menschen vom automatischen Funktionieren ihrer Organe (und Organismen) geht so weit, dass sie abscheuliche Dinge täten, wenn man ihnen nicht im Kindesalter beibrächte, die Natur dem Anstand unterzuordnen.

14.00 Ich komme an die Grenze meines Durchhaltevermögens und sinke auf die Knie, das linke Bein nach vorne gebeugt, das rechte Bein nach hinten. Als eine ältere Dame mich in dieser Körperhaltung sieht, gibt sie mir eine Fünfundzwanzig-Peseten-Münze, die ich, um nicht unhöflich zu erscheinen, sofort hinunterschlucke. Temperatur: 20 Grad. Relative Luftfeuchtigkeit: 64 Prozent. Leichter Wind aus südlicher Richtung. See: spiegelglatt.

14.30 Die Dichte des rollenden wie gehenden Verkehrs nimmt leicht ab. Noch immer nichts Neues von Gurb. Trotz des Risikos, das prekäre ökologische Gleichgewicht des Planeten zu stören, beschließe ich, sensorischen Kontakt aufzunehmen. Als gerade kein Bus vorbeifährt, konzentriere ich mich voll und ganz auf die Frequenz H76420ba1 400 009 und steigere auf H76420ba1 400 010.

Beim zweiten Versuch empfange ich ein anfangs schwaches, dann stärker werdendes Signal. Ich entschlüssele das Signal, das von zwei unterschiedlichen, aber in Bezug auf die Erdachse einander sehr nahen Punkten zu kommen scheint. Text des (entschlüsselten) Signals:

Von wo rufen Sie an, Señora Cargols?

Aus Sant Joan Despí.

Von wo, sagen Sie?

Aus Sant Joan Despí. Aus Sant Joan Despí. Können Sie mich hören?

Wir scheinen hier beim Sender ein kleines Empfangsproblem zu haben, Señora Cargols. Hören Sie uns gut?

Was?

Ich fragte, hören Sie uns gut, Señora Cargols?

Ja, ja, ich höre Sie sehr gut.

Hören Sie mich, Señora Cargols?

Aus Sant Joan Despí.

Aus Sant Joan Despí. Und hören Sie uns gut aus Sant Joan Despí, Señora Cargols?

Ich höre Sie sehr gut. Und Sie, hören Sie mich?

Sehr gut, Señora Cargols. Von wo rufen Sie uns an?

Ich fürchte, Gurb ausfindig zu machen, wird viel schwieriger, als ich dachte.

15.00 Ich beschließe, die Stadt systematisch zu durchstreifen, statt an einem festen Ort zu verharren. Damit verringere ich die Wahrscheinlichkeit, Gurb nicht zu finden, um eine Trillion, mit nach wie vor ungewissem Ergebnis. Beim Gehen halte ich mich an den heliografischen Stadtplan, den ich beim Verlassen des Raumschiffs in meine Schaltkreise eingespeist habe. Ich stürze in eine Baugrube der Katalanischen Gaswerke.

15.02 Ich stürze in eine Baugrube der Katalanischen Wasser- und Elektrizitätswerke.

15.03 Ich stürze in eine Baugrube der Wasserwerke Barcelona.

15.04 Ich stürze in eine Baugrube der Telefónica.

15.05 Ich stürze in eine Baugrube des Bürgervereins der Calle Córcega.

15.06 Ich beschließe, mich nicht mehr an den heliografischen Stadtplan zu halten und beim Gehen lieber darauf zu achten, wo ich hintrete.

19.00 Ich gehe schon seit vier Stunden und weiß nicht mehr, wo ich bin. Die Beine tragen mich kaum noch. Die Stadt ist riesengroß, überall herrscht Gedränge, der Lärm ist unerträglich. Seltsamerweise erblicke ich nirgends die typischen Bauwerke wie den Kenotaphen der Jungfrau von Pilar, die mir als Orientierung dienen könnten. Ich habe einen Fußgänger angehalten, der einen hohen Freundlichkeitsgrad zu besitzen scheint, und ihn gefragt, wo ich am besten nach einer vermissten Person suchen sollte. Er hat mich gefragt, wie alt diese Person sei. Auf meine Auskunft, sie sei sechstausendfünfhundertdreizehn Jahre alt, hat er mir empfohlen, es im Corte Inglés zu probieren. Am schlimmsten ist das Einatmen der mit fettigen Partikeln versetzten Luft. Bekanntermaßen ist die Luft in einigen städtischen Gebieten von einer solch hohen Dichte, dass ihre Bewohner sie in Hüllen stopfen und unter dem Namen Morcillas exportieren. Ich habe tränende Augen, eine verstopfte Nase und einen trockenen Mund. Wie viel schöner ist es in Sardanyola!

20.30 Nach Sonnenuntergang hätten sich die atmosphärischen Bedingungen um einiges verbessern können, wären die Menschen nicht auf die Idee gekommen, Straßenlaternen einzuschalten. Offenbar brauchen sie Licht, um weiterhin draußen sein zu können. Trotz ihrer mehrheitlich groben, ja geradezu hässlichen Physiognomie scheinen sie nicht leben zu können, ohne einander zu sehen. Auch die Autos haben ihre Scheinwerfer eingeschaltet und bedrängen sich gegenseitig. Temperatur: 17 Grad. Relative Luftfeuchtigkeit: 62 Prozent. Leichter Wind aus südwestlicher Richtung. See: leicht bewegt.

21.30 Basta. Ich gehe keinen Schritt weiter. Mein körperlicher Verfall ist beträchtlich. Ein Arm, ein Bein und beide Ohren sind mir abhandengekommen, und die Zunge hängt so tief, dass ich sie am Gürtel festbinden musste, weil ich schon vier Hundehaufen und unzählige Zigarettenkippen aufgeleckt habe. Unter diesen Umständen setze ich die Suche lieber morgen fort. Ich verstecke mich unter einem geparkten Lastwagen, löse mich auf und materialisiere mich im Raumschiff.

21.45 Ich lade mich elektrisch auf.

21.50 Ich ziehe den Pyjama an. Dass Gurb nicht bei mir ist, schlägt mir aufs Gemüt. Seit achthundert Jahren haben wir jeden Abend miteinander verbracht, und jetzt weiß ich nicht, wie ich die Stunden vor dem Schlafengehen rumkriegen soll. Ich könnte mir etwas im lokalen Fernsehen anschauen oder ein Kapitel der Abenteuer von Lolita Galaxia lesen, aber mir ist nicht danach. Ich kann mir nicht erklären, wieso Gurb nicht hier ist, und noch weniger, warum er sich nicht meldet. Ich war nie ein strenger Chef, sondern habe der Besatzung, also Gurb, immer erlaubt, nach Gutdünken zu kommen und zu gehen (in der Freizeit). Wenn er also nicht kommt oder weiß, dass er zu spät kommt, dann könnte er wenigstens so rücksichtsvoll sein, Bescheid zu sagen.

TAG 11

08.00 Noch immer nichts Neues von Gurb. Ich versuche erneut, sensorischen Kontakt aufzunehmen, und empfange die wütende Stimme einer Person, die im Namen der einfachen Bürger, als deren Vertreter er sich aufspielt, einen gewissen Guerra auffordert, die Verantwortung zu übernehmen. Ich lasse das mit dem sensorischen Kontakt lieber sein.

08.30 Ich verlasse das Raumschiff und erkunde als Haubentaucher die Gegend aus der Luft.

09.30 Ich beende den Erkundungsflug und kehre ins Raumschiff zurück. Schon die Städte sind in ihrer Anlage verworren und irrational, und für die Landschaft um sie herum gilt dies erst recht. Dort ist nichts regelmäßig oder flach, sondern scheint vielmehr absichtlich so angelegt, dass man es möglichst nicht nutzen kann. Die Küstenlinie ist aus der Vogelperspektive das Werk eines Irren.

09.45 Nach eingehendem Studium des Stadtplans (kartographische Version mit doppelelliptischer Achse), beschließe ich, die Suche nach Gurb am Rand derselben fortzusetzen, der bewohnt wird von einer menschlichen Unterart namens Arme. Da diese Unterart laut Astralkatalog einen etwas niedrigeren Freundlichkeitsgrad aufweist als die Variante namens Reiche und einen sehr viel niedrigeren als die Variante namens Mittelschicht, wähle ich die Gestalt des Einzelwesens namens Gary Cooper.

10.00 Ich materialisiere mich in einer offensichtlich verlassenen Straße des Stadtteils San Cosme. Ich bezweifle, dass Gurb sich freiwillig hier niedergelassen hat. Andererseits war er noch nie der Hellste.

10.01 Ein Bande Halbstarker mit Messern nimmt mir die Brieftasche ab.

10.02 Eine Bande Halbstarker mit Messern nimmt mir die Pistolen und den Sheriffstern ab.

10.03 Eine Bande Halbstarker mit Messern nimmt mir die Weste, das Hemd und die Hose ab.

10.04 Eine Bande Halbstarker mit Messern nimmt mir die Stiefel, die Sporen und die Mundharmonika ab.

10.10 Ein Streifenwagen der Polizei hält neben mir. Ein Beamter der Polizei steigt aus, belehrt mich über die von der Verfassung garantierten Rechte, legt mir Handschellen an und bugsiert mich per Kopfnuss in den Streifenwagen. Temperatur: 21 ​Grad. Relative Luftfeuchtigkeit: 75 Prozent. Böiger Wind aus südlicher Richtung. See: leicht bewegt.

10.30 Ich werde in die Zelle eines Polizeireviers gebracht. In dieser Zelle befindet sich eine verlottert aussehende Person. Ich stelle mich vor und schildere die Umstände, die mich unfairerweise an diesen Ort geführt haben.

10.45 Nach Überwindung des Misstrauens, das die Menschen gegenüber ausnahmslos all ihren Artgenossen hegen, beschließt die Person, mit der das Schicksal mich verbunden hat, ein Gespräch mit mir zu beginnen. Sie überreicht mir ihre Visitenkarte, auf der steht:

JETULIO PENCAS

Bettel-Agent

Experte für Tarot, Geigenspiel und Selbstmitleid.

Straßenservice und Hausbesuche

10.50 Mein neuer Freund berichtet mir, man habe ihn irrtümlich eingebuchtet, er habe sein Lebtag noch kein Auto aufgebrochen, um etwas mitgehen zu lassen. Mit Betteln könne man sich sein Geld auf ehrliche Weise verdienen, und das Pulver, das man bei ihm beschlagnahmt habe, sei nicht das, was die Polizei behaupte, sondern die Asche seines verstorbenen Vaters, Gott hab ihn selig, die er just an diesem Tag am Mirador del Alcalde habe verstreuen wollen. Doch alles, was er gerade erzählt habe, fügt er hinzu, werde ihm nichts nützen, weil die Justiz in diesem Land durch und durch korrupt sei und unsereins, allein wegen unseres Aussehens, ohne Beweise und ohne Zeugen, sowieso in den Knast stecken werde, wo wir uns beide AIDS und Flöhe einfangen würden. Ich sage, ich verstünde kein Wort, und er sagt, da gebe es auch nichts zu verstehen, und dann nennt er mich Alter und sagt, das Leben sei eben so, der Reichtum in diesem Land sei sehr ungleich verteilt. Als Beweis führt er den Fall einer Person an, deren Namen mir entfallen ist, die sich ein Haus mit zweiundzwanzig Klos gebaut habe, und er fügt hinzu, dass diesen Kerl hoffentlich der Dünnschiss befalle und dann alle zweiundzwanzig Klos besetzt seien. Anschließend steigt er auf eine der Pritschen und verkündet, wenn erst mal die seinen kämen (seine Klos?), werde er besagten Kerl zwingen, seine Notdurft im Hühnerstall zu verrichten, und die zweiundzwanzig Klos an Familien verteilen, die alle vom Arbeitslosengeld leben müssten. Dann hätten sie wenigstens was, fährt er fort, womit sie sich die Zeit vertreiben könnten, bis sie wieder einen Job fänden, so wie man es ihnen versprochen habe. Anschließend fällt er von der Pritsche und schlägt sich den Kopf auf.

11.30 Ein Beamter der Polizei, aber nicht der von vorhin, öffnet die Tür der Zelle und befiehlt uns, ihm zu folgen, ganz offensichtlich, weil wir vor dem Señor Kommissar erscheinen sollen. Nach all den Warnungen meines neuen Freundes beschließe ich, ein respektableres Aussehen anzunehmen, und verwandle mich in Don José Ortega y Gasset. Aus Solidarität verwandle ich meinen neuen Freund in Don Miguel de Unamuno.

11.35 Wir erscheinen vor dem Kommissar, der uns von oben bis unten mustert, sich am Kopf kratzt und erklärt, er wolle sich das Leben nicht unnötig schwer machen. Er ordnet an, uns auf freien Fuß zu setzen.

11.40 Mein neuer Freund und ich verabschieden uns am Eingang des Polizeireviers. Bevor wir auseinandergehen, bittet mein neuer Freund mich noch, ihm seine alte Gestalt zurückzugeben, denn mit dieser Visage werde ihm nicht mal Gott ein Almosen geben, selbst wenn er sich künstliche Pusteln aufklebe, die einem schier den Magen umdrehten. Ich erfülle ihm die Bitte, und er geht.

11.45 Ich nehme meine Suche wieder auf.

14.30 Noch immer nichts Neues von Gurb. Ich folge dem Beispiel der Leute um mich herum und beschließe, etwas zu essen. Da alle Geschäfte außer sogenannten Restaurants geschlossen sind, nehme ich an, dass Restaurants die Orte sind, an denen Essen serviert wird. Ich schnuppere an dem Müll vor dem Eingang mehrerer Restaurants, bis ich eines finde, das meinen Appetit anregt.

14.45 Ich betrete das Restaurant