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Frauke Dobermann wird zur Todfeindin der "Organisation" erklärt und auf die Todesliste gesetzt. Aber sie lässt sich dadurch nicht aufhalten: Unter ständiger Lebensgefahr dringt sie weiter in die Machenschaften der "Organisation" vor und versucht mit ihrem so ungleich zusammengesetzten Team, den Sumpf des Verbrechens in der Landeshauptstadt trockenzulegen, sei es bei der Geldwäsche oder dem Handel mit lebensgefährlichen Arzneifälschungen. Doch die Macht der "Organisation" ist so groß, dass Frauke schließlich nicht mehr weiß, wer gut und wer böse ist ...
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Seitenzahl: 355
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Rainer Dissars-Nygaard, Jahrgang 1949, studierte Betriebswirtschaft und war als Unternehmensberater tätig. Er lebt als freier Autor auf der Insel Nordstrand. Im Emons Verlag erschienen unter dem Pseudonym Hannes Nygaard die Hinterm Deich Krimis »Tod in der Marsch«, »Vom Himmel hoch«, »Mordlicht«, »Tod an der Förde«, »Todeshaus am Deich«, »Küstenfilz«, »Todesküste«, »Tod am Kanal«, »Der Inselkönig«, »Der Tote vom Kliff«, »Sturmtief« sowie der Niedersachsen Krimi »Mord an der Leine«. In der Emons-TATORT-Reihe erschienen »Erntedank« und »Borowski und die einsamen Herzen«.
www.hannes-nygaard.de
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
© 2010 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch, Berlin eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-000-1 Niedersachsen Krimi Originalausgabe
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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Agentur EDITIO DIALOG,
Für Conny, Achim und Ann-Kathrin
Einer neuen Wahrheit ist nichts schädlicher als ein alter Irrtum.
Johann Wolfgang von Goethe
EINS
Wie auf Kommando erstarb die Geräuschkulisse, als der Pianist eintrat. Er verharrte einen Moment am Flügel und verneigte sich, um den Beifall der Gäste über sich ergehen zu lassen. Dann setzte er sich an das Instrument, ließ dreimal in der Luft seine Hände über die Tastatur gleiten, schüttelte seine Finger demonstrativ aus, schlug mit dem rechten Fuß zweimal auf den Fußboden, murmelte dabei sicht-, aber unhörbar: »Drei – vier«, und hämmerte ansatzlos in atemberaubender Geschwindigkeit in die Tasten.
Frauke Dobermann war sprachlos. Es war faszinierend, in welchem Tempo der Künstler »Boogie Woogie with me« intonierte. Ein Lächeln erschien auf seinem sonst konzentriert wirkenden Gesicht, als mitten im Stück Beifall aufbrandete.
Auch Frauke spendete Applaus. Den hatte sich der Mann redlich verdient. Es folgte der »Swanee River Boogie«, und beim »Powerhouse Boogie-Woogie« gab es kein Halten mehr unter den Zuschauern. Der Pianist hatte sie alle in seinen Bann gezogen.
Frauke war überrascht, überwältigt und begeistert. Das hätte sie Nathan Madsack nicht zugetraut. Der korpulente Hauptkommissar und neben Putensenf zweite Mitarbeiter ihres Teams war ein außergewöhnlicher Pianist.
In einer Pause zwischen zwei Stücken beugte Putensenf sich zu ihr herüber. »Na? Zu viel versprochen?«
Sie wollte antworten, konnte aber nur nicken, weil die Worte in den ersten Tönen des nächsten Stücks untergegangen wären.
Madsack hatte sich den tosenden Applaus und die Pause verdient.
»Ich kümmere mich um den Getränkenachschub«, sagte Putensenf und wurde kurz abgelenkt, als Fraukes Handy klingelte.
Böse Blicke und launische Kommentare von anderen Tischen straften sie dafür ab, dass sie vergessen hatte, das Telefon auszuschalten.
»Dobermann«, sprach sie leise in das Gerät und deckte das Telefon mit der flachen Hand ab.
»Sie haben einen Fehler gemacht«, sagte eine fremdländisch klingende Männerstimme. »Sie werden sterben.«
Dann hatte der Teilnehmer aufgelegt.
Nachdenklich starrte Frauke auf ihr Telefon. Warum hatte sie vergessen, das Gerät abzuschalten? Nach ihrem turbulenten Einstand beim Landeskriminalamt in Hannover war es der erste Abend, an dem sie es für ein paar Stunden vergessen hatte: den unfreiwilligen Wechsel von der Leitung der Flensburger Mordkommission in die Niedersachsen-Metropole, die niederträchtigen Intrigen und Verleumdungen, die der Anlass gewesen waren, das Hineingestürztwerden in die Ermittlungsgruppe für organisierte Kriminalität und der erste Fall in Hannover, der an Dramatik kaum zu überbieten war und an dessen Ende sie die Leitung der Gruppe übertragen bekommen hatte.
»Ist was?«, fragte Jakob Putensenf und reichte ihr ein Glas Rotwein.
Frauke staunte über die charmante Art des Kriminalhauptmeisters. Putensenf hatte ihr mit seinem Machogehabe viele Steine in den Weg gelegt, als sie zu der männerdominierten Ermittlungsgruppe gestoßen war. Er machte keinen Hehl aus seiner Überzeugung, Frauen würden nicht in den Polizeidienst gehören, schon gar nicht zur Kriminalpolizei. Tatsächlich traf man in den sogenannten »harten Sachgebieten« Frauen nur in geringer Zahl an. Jetzt war sie seine Vorgesetzte.
»Ich habe vergessen, mein Handy auszuschalten«, sagte Frauke.
Doch Putensenf musterte sie argwöhnisch.
»Privaten Ärger?«, fragte er leise und war erst beruhigt, als Frauke nickte.
Es hatte sich herumgesprochen, dass sie verheiratet war, aber Herr Dobermann in Flensburg residierte und das offensichtlich Beste an dieser Ehe das beiderseitige Schweigen war.
Frauke prostete dem Kriminalhauptmeister zu, dann erhob sie das Glas in Richtung seiner Frau. Anschließend nippte sie am Rotwein. Es war eine gute Idee von Putensenf gewesen, sie hierher in den Jazzclub zu entführen, zum ersten ruhigen Abend seit ihrer Ankunft an der Leine. Und dass das dritte Mitglied ihres Teams, der schwergewichtige Hauptkommissar Nathan Madsack, der bei jeder Bewegung ins Schnaufen kam, hier als fetziger Boogie-Woogie-Pianist auftrat, war eine besondere Überraschung gewesen. Das hätte sie dem korpulenten Mann nicht zugetraut.
Erneut nippte sie am Weinglas und sah sich um. Geschwätziges Treiben herrschte in den Katakomben des Clubs, der in Hannover Kult war. Im Publikum fehlten die ganz jungen Leute, die offenbar keinen Bezug zu dieser Musik hatten. Dafür fanden sich hier Damen und Herren, denen man getrost das Attribut »betagt« zusprechen konnte, bewusst lässig gekleidete »Silveragers«, wie die Generation der Fünfzig- bis Sechzigjährigen genannt wurde, ein paar auf jugendlich getrimmte Oberstudienräte und andere, die mit ein wenig Glück nicht zum Schaulaufen hier waren, sondern weil sie Gefallen an dieser Musik fanden. Sicher gehörten auch Jakob Putensenf und seine Frau dazu.
Frauke lächelte ihn an und musterte das zerfurchte Gesicht mit den grauen Haaren, dem gepflegten Bart, der Oberlippe und Kinn zierte und in dem das Weiß dominierte. Ob es Putensenf in diesem Moment schwerfiel, auf seine geliebten Zigarillos zu verzichten?, dachte Frauke. Kriminalhauptmeister – einer der wenigen Beamten, die noch zum mittleren Dienst gehörten, da der Einstieg in die Polizeilaufbahn heute beim Kommissar begann. Putensenf, so hatte Kriminaloberrat Ehlers ihn damals vorgestellt, war ein altgedienter Haudegen, dessen Lebensweg ihn irgendwann vom gelernten Handwerker zur Kriminalpolizei geführt hatte, eine Karriere, die heute undenkbar war. Damit verzichtete man aber auf Menschen, die auf andere Art schon Einblicke in »das Leben« genommen hatten, dachte Frauke.
Sie zuckte unmerklich zusammen, als ihre Gedanken zu dem Anruf zurückkehrten. Man hatte ihr eine Todesdrohung zukommen lassen. Natürlich war die Ermittlungsgruppe für organisierte Kriminalität etwas anderes als das Aufklären von Einbrüchen in Gartenlauben. Trotzdem kam es selten vor, dass Polizeibeamte mit Mord bedroht wurden. Irgendwie schien Frauke in ein Wespennest gestochen zu haben, als sie die drei Morde und die Zusammenhänge zwischen diesen Tötungsdelikten aufgeklärt hatte. Täter und Motive waren ermittelt. Doch die auf ihren Prozess wartenden Mörder waren nur Handlanger gewesen. Die Auftraggeber, die hinter diesen Taten standen, liefen noch frei herum. Und diese Freiheit wollten sie sich bewahren. Deshalb schreckten diese Leute nicht davor zurück, der Ermittlungsleiterin die Drohung zukommen zu lassen: »Wir werden Sie töten!«
ZWEI
Während das Wochenende für die meisten Menschen Entspannung und Ausgleich bedeutete, hatte Frauke dem Montag entgegengefiebert. Der Sonntag verhieß Untätigkeit. Sie kannte niemanden in der Stadt, und der kurze Spaziergang am Sonntagnachmittag hatte ihr auch nicht die Zerstreuung gebracht, die sie sich erhofft hatte. Im engen Hotelzimmer fühlte sie sich nicht zu Hause, und die Möglichkeiten der Beschäftigung reduzierten sich auf Lesen und Fernsehen. Nach einer unruhigen Nacht war sie schon früh ins Landeskriminalamt gefahren.
Sie gestand sich ungern ein, dass die Drohung vom vergangenen Samstag sie mehr beschäftigte, als ihr lieb war. In Flensburg hätte sie das K1 auf die weiteren Ermittlungen angesetzt. Hier galt es, Kriminaloberrat Ehlers zu überzeugen, dass die Mordserie noch nicht abgeschlossen war. Es fehlten noch die Hintermänner. Zudem konnte sie die Ernsthaftigkeit der Drohung nicht einschätzen. Es gab immer wieder überführte Straftäter, die im Zorn Drohungen gegen die Beamten oder die Strafverfolgungsbehörden ausstießen. Das war meistens nicht ernst zu nehmen. In diesem Fall waren es aber nicht die überführten Täter, sondern unbekannte Dritte.
Frauke hatte sich in ihr Büro zurückgezogen und studierte noch einmal die Akten des Falls, auch wenn der Abschlussbericht noch nicht erstellt war. Sie fand keinen Ansatz für weitere Verdächtigte. Das musste folglich den Verhören von Bernd Richter und Simone Bassetti vorbehalten bleiben. Sie schreckte hoch, als von der offenen Flurtür Nathan Madsacks Stimme erklang.
»Guten Morgen, Frau Dobermann. Hatten Sie ein schönes Wochenende?«, fragte der Hauptkommissar.
Frauke erwiderte den Gruß. »Danke. Leider zu kurz«, log sie und betrachtete Madsack, der sich stets mit »nicht verwandt und nicht verschwägert« vorstellte und damit ausdrücken wollte, dass es keine verwandtschaftlichen Beziehungen zur bekannten Verlegerfamilie der Landeshauptstadt gab. Sie betrachtete den Hauptkommissar. Er ging auf die vierzig zu. Die gescheitelten dunkelblonden Haare, das runde Gesicht mit den buschigen Augenbrauen und den Pausbacken, die fleischige Nase und das mächtige Doppelkinn machten den Mann nicht zu einer attraktiven Erscheinung. Da half auch die stets korrekte Kleidung nicht. Heute trug Madsack einen dunkelbraunen Anzug und ein roséfarbenes Hemd, das sich über den mächtigen Bauch wölbte. Die dezent gemusterte Krawatte war vortrefflich darauf abgestimmt.
»Haben wir heute Vormittag Termine?«, fragte Madsack.
Frauke tippte auf die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch. »Ich würde gern die Ermittlungsakte besprechen. Außerdem müssen wir noch den Abschlussbericht erstellen. Und die beiden Beschuldigten verhören.«
»Wenn es Ihnen recht ist«, bot der Hauptkommissar an, »dann kümmere ich mich um den Bericht.«
Frauke nickte. »Danke.«
»Bis später«, verabschiedete sich Madsack und ging weiter in Richtung seines Büros.
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