No Teen Crush - Kay Kerr - E-Book

No Teen Crush E-Book

Kay Kerr

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Einfühlsame, ehrliche und warmherzige RomCom und Coming-of-Age-Story mit Witz, Charme und Herz aus der Feder einer OwnVoice-Autorin Zoe Kelly fängt endlich ihr neues Leben an: die Highschool liegt hinter ihr. Zum Glück! Als Autistin hatte sie es nicht immer leicht und die Erinnerungen an Mobbing und Ausgrenzung begleiten sie immer noch. Doch das Journalismus-Praktikum bei Bubble soll ihr Leben ändern, sie ist bereit, sich selbst neu zu erfinden. Das ist leichter gesagt als getan, auch wenn ihre Schwester sich alle Mühe gibt, Zoe in die Welt der Dating-Apps einzuführen. Als ihr Chef sie ermutigt, einen Artikel über ihr nicht-existentes Datingleben zu schreiben, ergreift Zoe und damit stellt sich ihr Leben auf den Kopf: Der Artikel geht viral und Zoe ist mehr als irritiert von den Rückmeldungen. Mit einer Liste von Verehrerinnen und Verehrern aus der Vergangenheit startet sie ein soziales Experiment und lernt dabei nicht nur mehr über sich selbst und die Liebe, sondern auch darüber, für sich und ihre Bedürfnisse einzustehen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 358

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ein Hinweis zu Beginn

No Teen Crush ist ein fiktives Werk, doch es behandelt Themen, die potenziell triggernd wirken können.

Eine Auflistung dieser Themen (Achtung, Spoiler!) sowie mögliche Hilfestellen findet ihr hinten im Buch.

Euer Magellan Verlag

Kay Kerr

Aus dem australischen Englisch

von Katharina Herzberger

Für Aggie & Arth

1

Im nebligen Übergang zwischen Schlaf und Wachwerden greife ich nach meinem Handy. So starte ich meistens in den Morgen, noch ehe ich die Augen öffne. Dieser Griff geschieht so unbewusst wie das Atmen oder meine Nieser, die mich wie eine Zeichentrickmaus klingen lassen.

Der Gedanke an neue Benachrichtigungen macht mich unfassbar nervös, deshalb checke ich mein Handy tagsüber etwa alle zwanzig Minuten und auch nachts ein paarmal. Zumindest laut der Übersicht zu meiner Bildschirmzeit, die mich übrigens ebenfalls unfassbar nervös macht. Dieser unsichtbare Sog meines Handys ist noch stärker geworden, seitdem ich mich letzten Monat bei einigen Dating-Apps angemeldet habe. Oder eher, seitdem meine Schwester Harriet mir letzten Monat Profile bei einigen Dating-Apps angelegt hat. Nach drei Wochen auf diesen Apps habe ich schon mehr über die Regeln der Dating-Welt gelernt als in den achtzehn Jahren zuvor. Zum Beispiel sind Menschen viel interessierter daran, zwischen 21 Uhr und Mitternacht zu schreiben als am Morgen, was ziemlich enttäuschend ist, weil ich gerne früh ins Bett gehe und morgens am besten mit sozialen Interaktionen klarkomme.

Außerdem dachte ich früher, dass sich nur autistische Menschen wie ich auf feste Drehbücher verlassen, um schwierige erste Gespräche durchzustehen, aber das tun wohl alle. Sie mögen es zwar nicht so nennen, aber nachdem mich drei Typen innerhalb einer Woche mit demselben Satz angeschrieben haben, wurde mir ziemlich schnell klar, dass es genau dasselbe ist. »Du hast das schönste Lächeln, das ich hier je gesehen habe.« Als Anmache ist das schon in Ordnung. Für einen der drei Typen ist ein Date dabei rausgesprungen, also stehen die Chancen, dass der Spruch funktioniert, gar nicht so schlecht. Und es gibt noch mehr Regeln: wie lange man nach einem Match warten sollte, um der anderen Person zu schreiben (frühestens vierundzwanzig Stunden später, hat meine Feldforschung ergeben, damit bloß keiner verzweifelt rüberkommt, auch wenn der ganze Sinn der App nur darin besteht, miteinander zu matchen und zu schreiben), und die Sprachcodes in den Profilen. Harriet hat mir damit geholfen. Ich swipe jetzt direkt nach links, um alle auszusortieren, deren Profile folgende Beschreibungen beinhalten: »No Drama« (wahrscheinlich misogyn), jegliche Erwähnung des eigenen Gehalts (Vollidiot) oder zu spezifische Regeln, was den Typ Frau angeht, den er sucht (wahrscheinlich ein misogyner Vollidiot). Falls Menschen auf all ihren Profilbildern Alkohol trinken, ist das auch ein Nein von mir. Das ist eine meiner Präferenzen. Trinken kann zwar Teil ihres Lebens sein, aber wenn ihre gesamte Persönlichkeit daraus besteht, habe ich kein Interesse. Das soll nicht heißen, dass ich besser bin als die Menschen, die ich online kennenlerne. Es geht mir eher darum, dass mir nur eine bestimmte Menge sozialer Energie zur Verfügung steht und wir uns alle Zeit sparen, wenn zu Beginn wenigstens eine gewisse Kompatibilität besteht.

Wie gesagt, gibt es also Regeln beim Online-Dating und unglücklicherweise – für mich – befolgt MadDog03 sie an diesem wunderschönen Montagmorgen nicht. Wenn ich mich richtig an meine Swiping-Session gestern Abend erinnere, heißt er eigentlich Michael. Ich habe ihn zwar nach links geswiped (Erwähnung seines Gehalts), aber er hat über Nacht mein Instagram-Profil gefunden und jetzt wartet eine DM auf mich. Ich kann die ersten Worte lesen. »Hey, dachtest wohl, du kommst einfach so davon …«, beginnt die Nachricht. Ich versinke in meiner Bettdecke und balanciere das Handy mit meinem Daumen, der allmählich in dieser Haltung festwächst. Ich glaube, ich weiß, worauf er hinauswill. Wenn ich die ganze Nachricht antippe, sieht er, dass ich sie »Gelesen« habe, und ich riskiere eine unvorhersehbare Reaktion. Dass er die Regeln nicht respektiert, ist ein klarer Hinweis darauf, dass er auch mich nicht respektieren wird.

Tief einatmen. Ehrlich gesagt, ist das alles ganz schön viel auf einmal. Zur Abwechslung kann mein Handy sich ausnahmsweise auf dem Nachttischchen ausruhen.

Meine Gedanken blubbern und kreisen – hinter meinen Augen herrscht Chaos. Im März habe ich noch alle drei Teile von To All the Boys I’ve Loved Before zum trillionsten Mal angeschaut und von meinem eigenen Peter Kavinsky geträumt. Im April bin ich dann achtzehn geworden und ta-da, jetzt versuche ich völlig unbeabsichtigt, mit dem Ego einer Person zurechtzukommen, die ich nie getroffen habe, die mich aber zu einem Date schleppen will, an dem ich nicht interessiert bin. Oder die mir zumindest einen Vorwurf machen will, weil ich kein Interesse habe. Und ich muss mich für die Arbeit fertig machen. Aber erst mal brauche ich fünf Minuten, um an die Decke zu starren und mein Hirn alles verarbeiten zu lassen.

Dann setze ich die Füße auf den Boden, schüttle meine Handgelenke aus und stehe auf. Harriet hätte sicher irgendeine clevere Antwort, aber ich stelle mein Profil einfach auf Privat.

Am liebsten würde ich die Jalousien runterziehen und mich drinnen verstecken. Plötzlich bin ich mir meiner Online-Präsenz übermäßig bewusst. Sollte ich alles löschen? Aber im Internet verschwindet sowieso nie alles. Meinen Namen zu ändern wäre vielleicht übertrieben. Wenn sich die Leute nicht an die Regeln halten können, weiß ich nicht, ob ich in die Online-Dating-Welt passe. Meine Gedanken spulen vor zur möglichen Alternative: ich in meinen Achtzigern als exzentrische alte Jungfer mit zu vielen Katzen. Es ist ganz offensichtlich, dass sich ein Mann dieses Klischee ausgedacht hat, denn aus meiner Sicht klingt das eigentlich ziemlich schön.

Die Entscheidung zum Online-Dating war nicht durchdacht, genau genommen, war es nicht mal eine richtige Entscheidung. Harriet kam bei einer meiner RomCom-Binge-Sessions rein und hat beschlossen, dass es doch traurig sei, wie ich all diese Liebesgeschichten konsumiere, ohne sie selbst zu erleben, also hat sie mir die Profile angelegt, und jetzt stehe ich da. Einmal Kaffeetrinken, einmal Geghostet-werden und ein paar Nachrichten, die noch nirgendwo hingeführt haben, es aber potenziell könnten, wenn ich es schaffen würde, länger als bis 21 Uhr wach zu bleiben. Und jetzt das. Wie auch immer man das nennen mag.

Wie MadDog03 mein »Nein« ganz lässig ignoriert, beunruhigt mich, aber ich habe gerade keine Zeit, um darüber nachzudenken. Lieber konzentriere ich mich darauf, mein Bett zu machen. Die Decke falten, das Kopfkissen aufschütteln und alles unter viel zu vielen Dekokissen begraben. Schon komisch. Ich kann mich an kein einziges Passwort erinnern, aber ich werde mich immer Wort für Wort an den Artikel erinnern, in dem ich vor ein paar Jahren gelesen habe, dass es ein Zeichen für Wohlbefinden und Erfolg ist, morgens sein Bett zu machen. Also mache ich jeden Morgen mein Bett.

Ich denke, dass die Lektion hier ist, dass ich lieber bei meinen imaginären Beziehungen bleiben sollte. Wenigstens sind die Drehbücher besser geschrieben. Die Umstände und Beteiligten ändern sich, aber die Geschichten folgen immer demselben Muster, das ich mir schon seit meiner Kindheit zu Gemüte führe: Zwei Personen treffen sich, meist unter ungewöhnlichen Umständen, stellen sich kleineren Missverständnissen und Herausforderungen, ehe sie zusammenkommen und das auch bleiben. Allerdings fühlt sich mein Leben an wie eine endlose Kette aus Missverständnissen und Herausforderungen, die absolut nicht klein sind. Und jetzt erinnert mich MadDog03 daran, dass ich nicht zwangsläufig kontrollieren kann, wie diese ganze Dating-Sache abläuft.

Das einzig Positive, das ich daran sehen kann, ist vielleicht, dass Joseph diese Geschichte bei unserem Brainstorming später gefallen könnte. Es lohnt sich, an diesem Gedanken festzuhalten. Vielleicht will er sogar, dass ich darüber schreibe, einen persönlichen Artikel über die Gefahren des Online-Datings, als gäbe es nicht schon eine Milliarde davon. Und ich will der Typ Mensch sein, der das als unterhaltsame Anekdote sieht, über die man im Freundeskreis lachen kann. Überhaupt will ich wie eine Person wirken, die Freunde und Freundinnen hat, im Plural. Joseph weiß nicht, wer ich in der Highschool war. Meinen Lebenslauf hat er neben zwei anderen aus einem Stapel von Hunderten Bewerbungen für die Praktikumsstellen bei Bubble ausgesucht, das vermute ich zumindest, da es nur wenige solcher Stellen in Brisbane gibt. Die anderen beiden sind schon in ihrem fünften Semester und ich in meinem ersten. Das muss doch etwas heißen. Meine erste Woche war keine Vollkatastrophe, aber ich glaube, Joseph kennt meinen Namen noch nicht, also kann ich auch nicht behaupten, dass sie ein voller Erfolg war. Meine Aufgaben habe ich gut abgearbeitet, aber noch war ich nicht mutig genug, um meine eigenen Ideen zu pitchen. Joseph nennt mich »Liebes« wie eine Verkäuferin, die mir durch die Umkleide zuruft, ob ich eine andere Größe brauche. Ich habe noch drei Wochen, um das zu ändern.

»Kann ich dein Outfit heute aussuchen?«, fragt Harriet. Sie klopft nicht an oder respektiert meine Privatsphäre. Für ihre Vorstellung vom Schwesternsein braucht es keinerlei Input von mir, aber ich habe es mir mit dieser Unbequemlichkeit bequem eingerichtet. Manchmal tue ich so, als wäre es ein Spiel, bei dem sie die nervige Rolle übernimmt und ich die genervte. Das macht es einfacher.

»Ja bitte«, antworte ich. »Ich versuche heute, bei unserem Meeting eine Artikelidee zu pitchen. Ich will interessant, aber nicht komisch aussehen. Smart, aber nicht nerdig. Professionell, aber nicht langweilig. Wie ein mysteriöses, aber nahbares Wunderkind.«

Harriet nickt. Ich denke zu viel, sie redet zu viel. Keine von uns macht der anderen deswegen das Leben schwer. Es ist lustig, weil wir keine Freundinnen geworden wären, hätten wir uns in der Schule oder an der Uni getroffen. Zumindest sie hätte sich definitiv nicht mich als Freundin ausgesucht, aber trotzdem, oder vielleicht deshalb, verbringe ich meine Zeit am liebsten mit ihr. Egal, wie viel witziger, klüger, hübscher oder selbstbewusster Harriets Freundinnen sind, keine von ihnen wird jemals ihre Schwester sein. Und daran wird sich auch nichts ändern, egal, was ich tue.

»Jemand, den ich gestern nach links geswiped habe, hat mich auf Instagram gefunden«, sage ich und versuche, entspannt zu klingen. Ich fühle mich nicht entspannt.

»WAS?« Sie reißt die Augen auf. »Wer?«

»MadDog03. Ich glaube, er heißt Michael. Schon ein bisschen gruselig, oder?«

»Hundert Prozent gruselig. Zeig mir mal sein Profil.«

Während sie durch die kleinen Quadrate scrollt, spottet und stöhnt sie abwechselnd.

»Er postet so viele Fotos mit Fischen. Und Fitnessstudio-Selfies oben ohne.«

»Komischer Typ, oder?«

»Zoe, es ist absolut nicht in Ordnung, dass irgend so ein Typ dein Insta-Konto raussucht, nachdem du klargemacht hast, dass du kein Interesse hast. Das ist so eine red flag!«

»Ich weiß. Ist schon okay, ich habe mein Profil jetzt auf Privat gestellt. Können wir jetzt mit dem Outfit weitermachen? Ich muss in zwanzig Minuten los.«

Harriet schnalzt mit der Zunge und verschwindet durch die Schiebetür zwischen unseren Zimmern. Als wir klein waren, haben wir es geliebt, die Tür offen zu lassen und zu reden, bis wir einschliefen. Dann wurde ich älter und hasste die Tür immer mehr. Denn ich konnte nie so ungestört und alleine sein, wie ich meistens wollte. Es ist schwer, eine extrovertierte Schwester zu haben, wenn man so introvertiert ist wie ich. Mein Bedürfnis nach Ruhe wird sie nie ganz nachvollziehen können. Seitdem ich mit der Schule fertig bin und angefangen habe zu studieren, mag ich die Tür allmählich wieder. Harriet arbeitet oft nachts, deshalb ist es besonders schön, wenn sie mal zu Hause ist und wir wieder bis zum Einschlafen reden können. Nach einem langen Tag mit jemandem durch die Tür zu reden, der so unkompliziert und angenehm und vertraut wie Harriet ist, fühlt sich an, wie die Füße von den Pedalen zu nehmen, während ich einen Hügel hinunterfahre, und den Wind in meinem Haar zu spüren.

Mit einem riesigen Kleiderstapel, der ihr Gesicht verdeckt, kämpft sie sich zurück durch die Tür. Die Klamotten sind wie ein regenbogenfarbener Turm, um den ich beim Einkaufen einen riesigen Bogen schlagen und stattdessen die schwarzen, weißen und grauen Sachen ansteuern würde. Aber ich versuche, die neue Zoe zum lebenden Inbegriff von »New year, new me« zu verwandeln, und dazu braucht es anscheinend laute Muster und grelle Farben.

Aus dem Nichts, oder dem Schrank vielleicht, erscheint Peaches und schlängelt sich zwischen Harriets Beinen hindurch, anstatt zwei Sekunden zu warten, bis sie weg ist, weil Peaches das natürlich so macht. Harriet springt zur Seite, um nicht auf sie zu treten. Peaches wirft ihr einen herablassenden Blick zu und springt auf meinen Schoß. Ihr Schnurren ist das beste weiße Rauschen. Mir zuliebe tolerieren sich Peaches und Harriet.

»Als Erstes muss ich dir sagen, dass du heute nicht deinen schwarzen Jumpsuit anziehen wirst, egal, wie viele meiner Outfits du schrecklich findest«, sagt Harriet und lässt den Stapel mit einer theatralischen Armbewegung auf mein Bett fallen. Meine Schwester hat ein Gespür für Drama.

»Den kann ich sowieso nicht tragen, ich hatte ihn letzte Woche schon zweimal an.«

»Na super, perfekt. Zweimal in deiner ersten Woche ist … in Ordnung. Ist jetzt eben so. Ich glaube, heute solltest du mit etwas anfangen, das dir ins Auge springt. Nimm dir irgendwas, das du magst, und ich helfe dir dabei, das restliche Outfit zusammenzustellen.«

Schon seit ich in den Kindergarten gegangen bin, hat Harriet mir mit meinen Outfits geholfen, weil ich jeden Tag meinen Schlafanzug anziehen wollte, um in die fortschrittliche, unabhängige Schule zu gehen, für die uns Mum und Dad angemeldet hatten und in der es keine Uniformpflicht gab. Oh, was hätte ich alles für eine Schuluniform gegeben! Der Schlafanzug war in Ordnung, bis ich sieben oder acht war. Als die anderen Kinder anfingen, Kommentare abzulassen, hat Harriet übernommen. Seitdem hat sie den Hut auf und niemand hat je wieder über meine Klamotten gelacht. Zu Beginn des Praktikums habe ich sie Sachen aus ihrem eigenen Schrank wählen lassen anstatt nur aus meinem. Es war eine rein praktische Entscheidung, weil ich kaum passende Kleidung für ein Büro habe, aber ihr macht das viel zu viel Spaß.

Mir fällt eine Hose mit Blumenmuster ins Auge, sowohl wegen des Musters als auch, weil sie so weich aussieht. Und sich so anfühlt.

»Perfekt. Das Muster ist ziemlich auffällig, also lass uns ein schlichtes Top nehmen. Diese pinke Bluse wird dir super stehen, und du kannst die Schleife offen lassen, damit sie dich nicht stört.«

Harriet geht einen Schritt zurück und betrachtet ihre Outfitwahl auf dem Bett wie einen Monet, ganz offensichtlich ist sie zufrieden mit ihrer Arbeit. Den restlichen Inhalt ihres Schranks bringt sie zurück in ihr Zimmer und lässt mich in Ruhe duschen. Ich weiß genau, dass sie wiederkommen wird, um meine Frisur und mein Make-up abzunicken. Anderen mag das vielleicht übergriffig vorkommen und vielleicht ist es das auch. Aber es ist eine Sache weniger, die ich selbst entscheiden muss, und während ich versuche, mit diesem Praktikum und meinem ersten Jahr an der Uni fertigzuwerden, überlasse ich gerne jemand anderem das Steuer.

Mein Messy Bun und das natürliche Make-up sind anscheinend in Ordnung, die New-Balance-Sneaker wiederum nicht. Schuhe sind mein Erzfeind. Warum sind alle hübschen Schuhe so unbequem? Und warum führt der Anblick der bequemen dazu, dass Harriet so tut, als müsste sie sich in den Mülleimer neben meinem Schreibtisch übergeben?

»Zieh meine Brogues an. Ich verspreche, dass sie bequem sind. Das Leder ist total weich«, sagt sie.

Spoiler: Sie sind nicht bequem. Die Rückseiten graben sich in meine Fersen, als wäre ihre einzige Existenzberechtigung, so schnell wie möglich für Blasen zu sorgen. Heute muss eine doppelte Schicht Pflaster ran.

Meinen Smoothie habe ich schon gestern Abend gemixt, damit ich ihn auf dem Weg zum Bahnhof trinken kann. Ich schleiche auf Zehenspitzen durch die Küche, ehe ich mich erinnere, dass ich das gar nicht muss. Mum hat Frühschicht und Dad schläft wahrscheinlich noch. Mit seinen Medikamenten würde ihn nicht mal ein Erdbeben aufwecken. Harriet bietet an, mich auf ihrem Weg zur Arbeit mitzunehmen, aber ich mag den laubbedeckten Weg zum Bahnhof. Selbst in diesen mörderischen Brogues. Das ist meine redefreie Zeit und sie ist wertvoll. Heute Morgen genieße ich sie besonders, während ich vor mich hin schlendere und die Risse im Bürgersteig meide.

Ich brauche mehr Zeit allein als die meisten Menschen und suche sie mir bei jeder Gelegenheit. Umso ironischer ist es, dass gerade ich mich jetzt einsam fühle. Selbst das Wort ist lächerlich, also passt es ganz gut zu seiner Bedeutung. Ich schäme mich, dass ich es überhaupt denke, und würde eher auf ein Date mit MadDog03 gehen, als es laut auszusprechen.

Aber ich fühle mich nicht nur wegen dieser willkürlichen Darbietung ungewollter Aufmerksamkeit so. Meine Anxiety war am Ende der Highschool so schlimm wie noch nie, und dann bin ich im Laufe der Sommerferien zusammengebrochen, also ist die Einsamkeit vielleicht ein Symptom ausgebrannter Nebennieren oder Hirnchemie, die Zeit braucht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich fühle mich wie in einer Wolke all dieser Dinge und weiß nicht, wie ich wieder klarsehen kann. Für diese Gefühle gibt es keinen Grund. An der Uni gibt es kein Mobbing wie zu Schulzeiten – es interessiert einfach niemanden –, aber schon der Gedanke, jemand könnte entdecken, dass ich eine Person bin, die früher gemobbt wurde, lässt Angst und Schrecken in mir aufsteigen. Mein Hirn versucht, sich mit neuen Ideen rauszumogeln. Dating! Ein radikaler neuer Haarschnitt! Ein cooler neuer Spruch! Offensichtlich bringt es nichts, meine Gefühle wegdenken zu wollen. Das weiß ich, gebe aber trotzdem mein Bestes. Da gibt es also sehr viel zu bedenken, während ich am Bahnsteig ankomme und auf den Zug warte. Den guten Zug. Ja, der Bus wäre zwar näher, ist aber so unzuverlässig. Wenn es einen Unfall gibt, bin ich zu spät. Und es gibt mindestens einmal in der Woche einen Unfall. Außerdem sind Busse so eng und die Fahrer:innen manchmal unhöflich. Züge sind das perfekte Transportmittel. Sie sind fast immer pünktlich, es gibt genug Platz zum Hinsetzen und Lesen und die Leute kommen mir selten zu nah. Und jetzt kommt mein Zug, um 7:51 Uhr, genau nach Plan.

Die Bahnfahrt dauert zwölf Minuten, dann noch vierzehn Minuten laufen, also bleibt mir genug Zeit, um meine Mails zu checken, einen neuen Blogpost von Autie Girl und ein halbes Kapitel meines Buchs zu lesen sowie ein Viertel eines Podcasts über Modegeschichte zu hören. Die Büroräume von Bubble sind mitten im Stadtzentrum, und von Josephs Büro aus sieht man den Fluss, aber der Rest von uns arbeitet in einer fensterlosen Großraumbürohölle. Mit meinen Noise-Cancelling-Kopfhörern, die in der Schule mindestens komische Blicke auf mich gezogen haben, passe ich hier perfekt zu allen Tech-Fans und Gamern im Team.

Ich komme um 8.20 Uhr an, vierzig Minuten zu früh, und bin trotzdem die letzte von uns drei Praktikant:innen. Dana und Arjun haben es sich schon an ihren Schreibtischen gemütlich gemacht. Laut einer unausgesprochenen Regel sollten wir früh da sein, um als besonders »engagiert« und »ehrgeizig« wahrgenommen zu werden, aber wie früh genau wir da sein sollen, habe ich noch nicht herausgefunden. An meinem ersten Tag kam ich vor 8 Uhr an, aber weil das Büro noch geschlossen war, habe ich mir einen Kaffee geholt. Als ich um 8:30 Uhr wieder ankam, waren alle schon da.

»Morgen, Liebes, wie war dein Wochenende?« Joseph erscheint und bleibt an meinem Schreibtisch stehen. Es ist beinahe lachhaft, wie genau sein Outfit meins spiegelt – ein Hemd mit Blumenmuster und hellpinke Chinos, aber seine Brogues sehen aus, als hätten sie zehnmal so viel gekostet wie die von Harriet.

»Es war toll. Ich habe dein Memo zum Thema Blumen und Pink gelesen.«

Als er versteht, was ich meine, lächelt er. Solche Witze scheinen im Büro immer gut anzukommen, insbesondere um die Lage zu entschärfen, wenn mehrere Personen ähnlich angezogen sind. Das habe ich letzte Woche mitbekommen, als Dane und Arjun beide hellblaue Hemden mit hellbraunen Chinos trugen. Ich wünschte, ich könnte einfach Chinos und eine Reihe Hemden in unterschiedlichen Farben tragen, aber als Frau im Büro ist das schwerer. »Untertreibung des Jahrtausends«, höre ich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. Joseph lehnt sich an die Ecke meines Schreibtischs, als wäre er bereit zu quatschen.

»Ich hoffe, du pitchst heute Morgen ein paar Ideen. Ich bin wirklich gespannt auf deine Stimme.«

Ich habe schon mal etwas in einem Meeting gesagt, also weiß ich, dass er meine Stimme nicht wortwörtlich hören will. Er will »meine Stimme« hören im Sinne von: was ich in einem Beitrag für die Website zu sagen habe. Wenn ich besonders unsicher bin, fühle ich mich durch diese Betonung »meiner Stimme«, als hätte man mich nur aus Diversitätsgründen angestellt, aber rational weiß ich, dass ich diese Stelle durch mein Schreiben bekommen habe, weshalb er tatsächlich ein paar Pitches von mir hören sollte. Dane und Arjun sind so selbstbewusst, dass sie wahrscheinlich keine wertvollen Minuten ihres Tages damit vergeuden, sich zu überlegen, ob sie diese Stellen tatsächlich verdient haben, also muss ich meine Anxiety beiseiteschieben. Und zur Frage, über was ich schreiben soll, habe ich natürlich den Vorfall in der App im Kopf. Ich war mit den Gedanken woanders, und Joseph ist weg, bevor ich auch nur mit einem Nicken antworten kann. Ups.

Morgens kümmere ich mich um die Horoskope – ist das sexistisch? Vielleicht wenn man bedenkt, dass sich die Jungs abwechselnd um den Sport und das Wetter kümmern. Aber so oder so muss bis zum Pitch-Meeting um 9:30 Uhr klar sein, was in den Sternen steht. Maia, die mittlerweile fest angestellt ist, hat mir an meinem ersten Tag erzählt, dass sie sich die Horoskope als Praktikantin einfach ausgedacht hat. Das fühlt sich falsch an, selbst innerhalb eines ohnehin irreführenden Konzepts. Ich lese lieber die Tabellen und »echte« Horoskope online, um eine vage, aber hoffentlich tiefgründig klingende Mischung daraus zu erstellen. Und natürlich kriegen Widder das beste Horoskop, trotz all meiner Skepsis.

So kann man angenehm in den Tag starten, umgeben von Menschen, aber mit genug Arbeit, um mich auf etwas konzentrieren zu können und vor möglichem Small Talk zu retten. Das ist der schwierigste Teil in jedem Job, das war mir schon immer klar. Die Kennenlerntreffen in der Uni habe ich überlebt und war sehr erleichtert, dass die Angestellten bei Bubble sehr viel weniger an mir oder meinen Interessen interessiert sind. Es gibt etwa fünfzehn Festangestellte in der Redaktion und einige Freie, die in und aus dem Büro schweben, wenn sie einen Pitch für Joseph haben oder Taxigutscheine oder Hautpflegetester vom Tisch mit den Werbegeschenken mitnehmen wollen. Mein Schreibtisch ist ein abgegrenzter Bereich, auf dem normalerweise Druckerpapier gelagert wird, und mein Stuhl lässt sich nicht mehr verstellen. Zum Glück ist er genau auf der richtigen Höhe für mich stecken geblieben, auch wenn die Rückenlehne etwas weiter hinten sein könnte. Morgen wird kein guter Tag für Wassermänner.

»Kommt, meine Kinder. Es ist so weit.«

Joseph ruft uns zu den morgendlichen Meetings, als wäre er der Anführer einer Sekte und wir auf dem Weg zu unserem täglichen Opferritual. Laut Mum gehört es sich nicht, wenn ein Chef zu entspannt und vertraut mit seinen Angestellten umgeht, insbesondere mit Praktikant:innen, aber bei Joseph ist das anders. Seine Seltsamkeit finde ich irgendwie beruhigend, vielleicht weil es im Gegensatz dazu nicht auffällt, dass ich oft seltsame Dinge sage. Als er uns ruft, versammeln sich die Leute um ihn.

Der Konferenzsaal ist ein Überbleibsel des Finanzunternehmens, dem früher diese Büros gehörten. Alles ist hellgrau. Es gibt ein Whiteboard, das niemand nutzt, und eine auf halber Höhe hängen gebliebene Leinwand. Bestimmt gibt es bei Bubble genug Geld, um sie zu reparieren, aber stattdessen gibt man lieber Geld für ausgefallene Aktionen aus, wie die komplette Queen-Street-Mall zum Launch mit Seifenblasen zu füllen oder ein Schlauchbootrennen über den Brisbane River zu organisieren, als Bubble letztes Jahr irgendeinen Award für Online-Berichterstattung gewonnen hat. Und wahrscheinlich geben sie das Geld auch für die Lohntüten der Führungskräfte aus. Die Webseite selbst besteht zum Teil aus Nachrichten, zum Teil aus Popkultur und kriegt trotz der großen Bandbreite beides ziemlich gut hin.

»Die Besucherzahlen sind letzte Woche eher stagniert, also überspringen wir jetzt den Teil, wo ihr mir erzählt, was ihr alles Wildes am Wochenende getrieben habt, und legen direkt mit den Pitches los. Zoe, Liebes, ich finde, du solltest anfangen.«

Also weiß er meinen Namen doch. Was für eine unglückliche Art, das herauszufinden. Wie immer reagiere ich zuerst mit Erstarren, während mein rasendes Herz mich darauf hinwies, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Waren letzte Woche auch schon so viele Leute in diesem Meeting? Oder sind die extra dazugeholt worden, um sich anzuschauen, wie ich meine erste große Chance vermassle?

»Oh, ähm. Danke, Joseph. Also, ich habe nachgedacht …«

»Das ist ein guter Anfang.«

Das Lachen über seinen Witz soll die Anspannung lösen, fühlt sich aber erniedrigend an. Mein Gesicht wird wärmer und noch wärmer, wenn ich daran denke, wie warm es wird. Aber ich schaffe das.

»Ich habe mich vor Kurzem bei einigen Dating-Apps angemeldet, und bisher ist es eine ziemlich interessante Erfahrung gewesen«, sage ich.

Mehr Gelächter, aber dieses Mal lachen sie mit mir, nicht über mich.

»Das kann ich mir vorstellen«, entgegnet Joseph. »Wir haben allerdings schon einige Artikel über Dating-Apps. Kannst du uns noch etwas mehr erzählen?« Er versucht, mich anzuleiten, was ich zu schätzen weiß. Mein hämmerndes Herz bemüht sich, auf eine normalere Geschwindigkeit zurückzuschalten. Tief einatmen.

»Also, es ist so, dass ich noch nie ein Date hatte und noch nie jemand in mich verliebt war. Ich war nie der Teen Crush von irgendwem. So etwas ist mir in der Highschool einfach nicht passiert. Währenddessen haben meine Freunde und Freundinnen Liebesbriefe, romantische Gesten und Nächte im Autokino bekommen. Ich glaube, deshalb ertrinke ich etwas in den Apps, ohne diese anfängliche Beziehungserfahrung. Ich habe überhaupt gar keine Ahnung, was ich da tue. Meine Schulzeit war hart, und ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die mit diesen Gefühlen ins Online-Dating startet. Ich will das alles zusammenbringen: Dating und Mobbing und die Schule hinter sich zu lassen.«

»In den Apps ertrinken. Das gefällt mir sehr gut. Und du würdest dich damit wohlfühlen, darüber zu schreiben?«

»Ich denke schon, ja.«

»Dann sprich mich nach dem Meeting an und wir können zusammen daran arbeiten. Die Story hat was.«

Das Meeting geht weiter, aber ich höre nichts mehr. Meine Idee war kein Schrott. Sie hat was. Das hier ist besser als die Stelle in den RomComs, wenn die beiden Verliebten endlich verstehen, welche Missverständnisse sie bisher voneinander getrennt haben. Ich habe das Gefühl, dass ich in dieser Sache tatsächlich gut sein könnte. Oder zumindest könnte ich es lernen.

Joseph winkt mich in sein Büro, als alle anderen zu ihren Arbeitsplätzen zurückkehren. Er zeigt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, damit ich mich setze.

Ich setze mich.

»Ich hoffe, es war in Ordnung, dass ich dich so unter Druck gesetzt habe. Ich hatte einfach im Gefühl, dass du heute etwas für mich hast, und ich hatte recht.«

Er sonnt sich länger darin, als nötig wäre.

»Ich wünschte, ich hätte die Idee vor dem Pitch noch etwas weiter ausgearbeitet. Aber ich freue mich drauf loszuschreiben.«

»Bist du dir sicher, dass du dich mit so einem Artikel wohlfühlst?«

»Ja, ich glaube sogar, das würde mir guttun. In der Schule hatte ich etwas mit Mobbing zu kämpfen, und ich glaube, dass sich die Leserschaft damit identifizieren könnte.«

»Und jetzt geht es dir gut damit? Schreib über eine Narbe, nicht über eine offene Wunde, sagt man das nicht so?«

»Ja, ich freue mich drauf, den Artikel zu schreiben. Ich habe jede Menge zu sagen.«

»Na dann, perfekt. Meine Tür steht immer offen, falls du Hilfe brauchst.«

Eigentlich ist seine Tür immer geschlossen, aber diese Floskel scheinen Leute oft zu verwenden.

Ich weiß nicht einmal, wo mein Bedürfnis herkommt, darüber zu schreiben. Die Schule war die schlimmste Zeit meines Lebens und ich habe sie gerade erst hinter mir. Aber Joseph unterstützt mich. Ich frage mich, wie er als Teenager war. Jetzt ist er sehr selbstsicher. Kann er wirklich ganz verstehen, was es bedeutet, in der Schule gemobbt zu werden? Kann ich darüber schreiben, wie es mir damit ging? Ich weiß zumindest, dass Mobbing dich verändert. Es nagt an deinem Innersten, bis du dir nicht mehr ganz sicher bist, welche Teile von dir echt sind und welche du dir ausgedacht hast, um den Hänseleien zu entkommen – als ob das wirklich so funktionieren würde. Generell gilt, dass andere Leute das nicht verstehen. Weder Eltern noch Lehrkräfte noch Ärzte oder Ärztinnen noch Geschwister oder beste Freundinnen, die das Land verlassen, bevor man ihnen sagen kann, dass man sie hier braucht. Sie wollen nicht glauben, dass Autistisch-Sein Grund genug ist, um gemobbt zu werden. Lieber wollen sie glauben, dass man etwas »missverstanden« oder »in den falschen Hals bekommen« hat oder man es doch einfach ignorieren könnte, als würde es reichen zu wissen, dass die Mobbenden schreckliche Leute sind, um sich selbst nicht schrecklich zu fühlen.

Natürlich haben die Leute in meiner Schule nicht explizit gesagt, dass sie mich nicht mögen, weil ich autistisch bin. Das wäre viel zu offensichtlich gewesen. Stattdessen waren viele kleine Dinge an mir falsch, wie meine Stimme oder dass ich Sarkasmus nicht immer verstanden habe und keine lauten Geräusche mochte. Ich war falsch, weil ich Die Sims zu sehr mochte und mich nicht genug für die Serien interessierte, die anscheinend alle in meinem Umfeld liebten. Manchmal habe ich gar nicht gemerkt, dass sie sich über mich lustig machten, zum Beispiel wenn mir jemand eine Frage stellte, nur damit sie über meine Antwort lachen konnten. Ich habe nie irgendetwas Lustiges gesagt. Mittlerweile verstehe ich, dass meine Antworten immer auf Eigenschaften anspielten, die mit meinem Autismus zu tun hatten, aber das hätten die Leute in meiner Schule nie zugegeben oder auch nur reflektiert und verstanden. Ich war einfach falsch und so war es eben. Und dieses Jahr gebe ich mein Bestes, um nicht falsch zu sein. Diesen Artikel zu schreiben, fühlt sich an wie ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Als ich an meinen Schreibtisch zurückkehre, wartet Dane auf mich. Ich versuche, Leute nicht nach dem ersten Eindruck zu beurteilen, weil ich selbst nie einen guten ersten Eindruck hinterlasse, aber bei Dane konnte ich nicht anders. Er ist ein perfektes Beispiel für einen Typen, der in der Innenstadt aufgewachsen ist und an einer Privatschule für Jungen war, nur manchmal zur Uni geht, wo er wegen seines Rugby-Stipendiums aufgenommen wurde, und der zum Achtzehnten einen BMW von seinem Dad bekommen hat. Er fühlt sich hier schon wohler, als ich es jemals tun werde. Dass ihm das überhaupt nicht bewusst ist, macht mich fertig. Dank all dieser Sicherheit und ohne jeglichen Grund für Sorgen muss er so viel mehr freie Zeit haben.

»Ich kann nicht fassen, dass wir uns noch nicht auf Tinder begegnet sind«, verkündet er und bewegt sich keinen Millimeter, als ich mich an ihm vorbei auf meinen Schreibtischstuhl quetsche.

»Wir wären kein Match«, antworte ich.

Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er noch nie in Erfwägung gezogen hat, er könne nicht genau das sein, was andere wollen.

2

Mit 15 habe ich die Liebe verpasst und jetzt ertrinke ich in den Apps

Auf der Suche nach ihrer ersten echten Lovestory kämpft sich Zoe Kelly durch die Regeln des Online-Datings

Während meine besten Freundinnen Rosen zum Valentinstag und Einladungen zum Abschlussball bekamen, habe ich Steine gesammelt. Das meine ich wörtlich: Ich arbeite schon seit sechzehn Jahren an meiner Steinsammlung und sie ist wirklich hammer. Falls »Hammersteinsammlung« für dich nicht »super dateable« schreit, hast du den richtigen Riecher. Ich hatte noch nie ein Date, ich war nie der Teen Crush von irgendjemandem und bis vor Kurzem hatte ich nicht einmal den kleinen Zeh in die Welt der Liebe gehalten. Wenn dein Coming of Age zufällig in die Zeit einer weltweiten Pandemie fällt, während der man ein Jahr lang keine anderen Leute anfassen darf, ist es doch sehr schwer, diese Angst abzulegen. Deshalb hat mich meine große Schwester (Hi, Harriet!) an meinem Achtzehnten bei einigen Dating-Apps angemeldet, und bisher war das eine abenteuerliche Reise in die Welt der Anthropologie, um es vorsichtig zu sagen.

Warum haben so viele Typen Bilder mit Fischen auf ihren Profilen? Warum tun die Leute so, als suchen sie nach Liebe, wenn sie nur Sex wollen? Warum können wir uns erst nach 21 Uhr unterhalten?

Zuerst habe ich es geliebt, wie strukturiert die Profile sind. Alle Informationen lagen bereit, damit ich sie durchsuchen und herausfinden konnte, wessen Werte mit meinen übereinstimmen. Als Erstes habe ich mit einem Typen, nennen wir ihn Jacob, gechattet und ein bisschen über Arbeit und die Uni und unsere Haustiere gequatscht. Es war nett, ein bisschen langweilig, aber harmlos. Bis ich ihm meine Nippel beschreiben sollte. WTF, Jacob?!

Als Nächstes war ein selbstbewusster Typ dran, bleiben wir bei J und nennen ihn Jeff. Ungefähr zwei Minuten, nachdem ich ihn nach rechts geswiped hatte, schrieb er mich an. In der Zwischenzeit habe ich gelernt, dass zeitnahe Kommunikation ein No-Go ist. Er hatte jede Menge Familienfotos auf seinem Profil und sah wie ein ganz netter Mensch aus. ÄÄÄÄÄÄHM. FALSCH. Er könnte auch ein echter Psychopath gewesen sein. Er hat so viel toxischen Scheiß über seine Ex-Freundinnen auf mich projiziert, dass ich sie am liebsten kontaktiert hätte, um ihnen zu erzählen, wie er über sie redet. Das habe ich allerdings nicht gemacht, sondern ihm einfach nicht mehr geantwortet. Dann gingen die Beschimpfungen los. Anscheinend kann man als junge Frau nichts Bösartigeres tun, als nicht zu antworten. Er dachte, er hätte einen Anspruch auf meine Zeit. Also habe ich eine neue Strategie ausprobiert und ihm gesagt: »Ich will dich nicht daten, denn ich finde, du hast eine schlechte Haltung gegenüber Frauen, und ich hätte gerne, dass du mir nicht mehr schreibst.« Das hatte nicht den erhofften Effekt. Abschließend sage ich nur, dass Jeff immer noch im Keller seiner Eltern hockt und sich neue Beleidigungen für mich ausdenkt, die Bezeichnungen für weibliche Körperteile beinhalten.

Und gestern hatte ich eine neue Nachricht auf Instagram – von einem Typen, den ich nach links geswiped hatte. Er hatte entschieden, dass er ein Nein nicht akzeptieren kann. Eine Frau im Internet zu sein, ist komisch. Es ist ziemlich heftig. Nach diesen letzten Erfahrungen weiß ich nicht, ob ich genug Mut habe, diese Apps wieder zu öffnen. Aber ich will Liebe finden, wirklich. Ich liebe Liebe. Seitdem meine allerbeste Freundin Ariana in der dritten Klasse einen anonymen Liebesbrief bekommen hat, liebe ich diese ganze Geheimnistuerei, das Drama und die Romantik. Ariana hat mehr Liebeserklärungen bekommen als alle anderen, die ich kenne, und zwar nicht nur, weil sie wunderschön ist. Sondern weil sie nett ist. Sie ist klug und gutherzig und witzig. Wirklich süße, herzensgute Typen verlieben sich auf den ersten Blick in sie, und zwar richtig, nicht nur in eine Vorstellung von ihr. Es ist einfach, sie zu lieben.

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht so einfach zu lieben bin. Ich habe definitiv mehr Ballast. Das autistische Mädchen in der Grundschule zu sein, die an regnerischen, stürmischen Tagen einen Meltdown hatte, weil sie trotzdem unbedingt rausgehen wollte, die bei Highschool-Ausflügen riesige pinke Kopfhörer trug und nie bei anderen übernachten durfte, na ja, das hat alles nicht dazu beigetragen, mich zur Heldin meiner eigenen Liebesgeschichte zu machen. Ich war seltsam oder zumindest hat es sich so angefühlt. Und das war in Ordnung, bis es plötzlich nicht mehr in Ordnung war.

Ariana lebt jetzt im Ausland (Hi, Ari!), und ich versuche, meine eigene Geschichte zu schreiben – mit mir als Protagonistin. Ich brauche zwar keine Beziehung, um glücklich zu sein, aber trotzdem hätte ich gerne jemanden. Ich hasse es, wenn Leute sagen »Du musst erst lernen, dich selbst zu lieben«. Als hätten wir keine Liebe verdient, falls wir gemobbt wurden oder Traumata oder Mental-Health-Probleme haben, durch die unser Selbstwertgefühl verringert wurde. Doch, das haben wir! Ich gebe mein Bestes, die Lektionen zu verlernen, die mir in der Schule von denen beigebracht wurden, die mich gemobbt haben. Und in der Zwischenzeit habe ich ein heißes Date mit einer emotional intelligenten Person verdient.

Der Artikel ging um Mitternacht online. Und jetzt explodieren die Benachrichtigungen auf meinem Handy. Ich klicke auf die Vorschau und überfliege den Artikel – das sieht gut aus. Joseph hat kaum etwas gekürzt. Als ich im Büro ankomme (8:11 Uhr als zweite Praktikantin, perfekt), gibt es schon mehr als hundert Kommentare auf der Webseite und noch mehr bei Social Media. Joseph begrüßt mich mit einem breiten Grinsen.

»Dein Beitrag kommt richtig gut an«, sagt er und klingt dabei, als wäre das der entscheidende Faktor und nicht die steigenden Besucherzahlen für Bubble.

»Danke, das ist toll. Dann lege ich am besten gleich mit dem nächsten Artikel los, oder?«

»Na das lobe ich mir. Ich habe bisher nur Positives gelesen, aber bereite dich gut vor, falls du die Kommentare lesen möchtest, okay? Es gibt immer eine Arschlochquote von zwanzig Prozent, egal, was man schreibt. Ignoriere sie, und lies lieber, was andere junge Frauen schreiben. Du bist gerade ihre Heldin.«

Ich hatte nicht vor, mit den Kommentaren in meinen Tag zu starten, aber jetzt kann ich nicht anders. Joseph hat recht, es gibt sehr viel tolles Feedback. Jede Menge junge Frauen teilen meinen Eindruck, dass die Apps schwierige Orte sind, um ohne Erfahrung nach Liebe zu suchen. Sogar einige autistische Frauen haben den Artikel kommentiert, was mehr als cool ist. Aber Joseph hat auch recht, was die Arschlöcher angeht. Angeblich bin ich »naiv« und eine »Mimose/Weichei« und »egozentrisch«. Das liegt wohl in der Natur persönlicher Essays. Warte mal, was ist das denn? »Autistische Schlampe«? Das ist ziemlich beleidigend und scheiße. Und jemand nennt mich sogar Sp– nein, ich werde das nicht wiederholen. Es wird wohl Zeit, das Fenster mit den Kommentaren zu schließen und mich an die Horoskope zu machen.

Ich möchte mit Ari sprechen, aber jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür. Wahrscheinlich schläft sie gerade, selbst wenn sie so lange aufbleibt wie immer. Ich wünschte, ich könnte bei ihr zu Hause vorbeischauen, in ihrem Bett liegen und darauf warten, dass ihre Mum Marie uns zwei Tassen Kräutertee bringt.

Ich schreibe Joseph eine Mail, damit die Kommentare moderiert werden. Er würde keine diskriminierenden Inhalte zulassen, auch nicht, um »eine Diskussion auszulösen«, obwohl ich weiß, dass er die liebt.

Eigentlich dachte ich, das hätte mich nicht mitgenommen, aber meine Hände zittern über der Tastatur, und ich atme flach, also habe ich vielleicht doch den Hauch eines Schocks abbekommen, der mein Hirn noch nicht erreicht hat. Beinahe fühle ich mich wie beim Anblick der DM von MadDog03, mit der das alles angefangen hat. Ich fühle mich bloßgestellt. Zu verletzlich, ich würde am liebsten alle Social-Media-Apps löschen, mich in eine Hütte im Wald verziehen und nie wieder schreiben oder mit jemandem reden. Früher, wenn ich mich aufgeregt habe, vor allem am Anfang eines Meltdowns, habe ich immer »Schau mich nicht an« geschrien, weil ich nicht wollte, dass mich jemand in diesem Zustand sieht. Jetzt ist es genauso. Schau mich nicht an.

Zeit, eine alte Freundin zu besuchen: die Toilettenkabine. Die Toilettenkabine unterstützt mich schon seit der Grundschule, als ich »Dornröschen« genannt wurde, weil ich meinen Schlafanzug in der Schule getragen habe. Sie verurteilt mich nie, zwingt mich nie dazu, mich wieder »rauszutrauen«. Sie beschützt mich immer und gibt mir eine Minidosis Alleinsein, um mich dem zu stellen, was auf mich zukommt.

Heute scheine ich eine doppelte Dosis meiner Minidosis genommen zu haben, weil jemand an die Kabinentür klopft und fragt: »Zoe, alles gut bei dir?«

Es ist Maia. Wie peinlich. Sie ist eine leitende Nachrichtenredakteurin und kümmert sich normalerweise um Staats- und Bundespolitik und korrupte Mainstreammedien. Jetzt versucht sie, die Praktikantin zu sich zu locken, die wegen ein paar Kommentaren durchgedreht ist.

»Hey, alles in Ordnung, ich habe nur Krämpfe«, antworte ich.

»Oh, entschuldige die Störung. Ich dachte, dich hätten ein paar der Kommentare unter deinem Artikel getroffen. Ich habe sie mittlerweile gelöscht. Das ist so ein großartiger Beitrag geworden, Zoe, wirklich authentisch und verletzlich. Wenn du fertig bist, würde ich dir gerne etwas zeigen. Aber keine Eile.«

Ihre Schritte klick-klacken weg und die Toilettentür schwingt hinter ihr zu. Den ganzen Tag High Heels zu tragen, finde ich so beeindruckend. Wer das schafft, muss sein Leben echt im Griff haben. Ich wette, sie hat auch eine schöne Wohnung mit einer coolen WG. Ich wette, ihre Hobbys sind Töpfern und Shibori.

Wenn ich an mir herunterschaue und meinen schwarzen Jumpsuit und die New-Balance-Sneaker sehe, na ja, dann sehe ich ein Outfit, das wie eine blinkende Leuchtreklame schreit, dass hier jemand sein Leben nicht im Griff hat. Als ich heute Morgen losmusste, war Harriet auf der Arbeit. Ich versuche, nicht daran zu denken, was sie zu meinen Klamotten sagen würde.

Fünf tiefe Atemzüge, etwas kaltes Wasser ins Gesicht und ein neu gebundener Pferdeschwanz bringen mich zurück in meinen Körper. Alles ist in Ordnung. Ich bin klug. Ich bin freundlich. Ich kann schreiben. Menschen lesen meine Arbeiten. Ich habe dieses Praktikum bekommen trotz wahrscheinlich Hunderten Bewerbungen. Joseph ist mein Mentor. Meine Familie liebt mich. Ich habe Harriet. Ich habe meine beste Freundin Ariana, auch wenn sie gerade am anderen Ende der Welt lebt. Das Internet stürzt sich sehr schnell auf die nächste Sache. Bei Frauen, insbesondere autistischen Frauen, kommt an, was ich geschrieben habe. Das zählt.

Auf der anderen Seite des Büros wartet Joseph an meinem Schreibtisch. »Zoe, ich habe deinen nächsten Artikel parat.«

»Okay, super.«

»Ich denke, es gibt hier genug potenzielle Fortsetzungen, um eine ganze Serie daraus zu machen. Ich könnte ein Banner erstellen lassen, falls du Interesse daran hast.«

Maia stellt sich zu uns. »Ich würde dich sehr gerne dabei unterstützen, wenn du möchtest«, sagt sie, lächelt und drückt meinen Arm. Ihre Berührung fühlt sich wie eine kratzige Decke an, und ich möchte die Stelle reiben, an der sie mich angefasst hat. Aber Leute sehen nicht gerne, wie man ihre physische Nettigkeit abreibt, also widerstehe ich dem Drang.

»Das fände ich toll«, antworte ich.

»Ich kann Zoe bei den Fortsetzungen helfen, wenn du magst, Joseph. Bei mir ist es ruhig genug, solange das Parlament Sommerpause macht«, sagt Maia.

Sie winkt mich zu ihrem Schreibtisch. Es ist einer der exklusiven Eckplätze, und die Dekoration wirkt, als wäre sie sich ihrer sicheren Festanstellung bewusst. Viele Fotos und stapelweise schöne Schreibwaren. Bei ihrer erstaunlichen Fähigkeit, regelmäßig exklusive Nachrichten zu enthüllen, ist das kein Wunder. Bubble kann sich mit ihr glücklich schätzen.

»Du scheinst wohl eine kleine Herzensbrecherin zu sein, Zoe Kelly«, sagt sie und öffnet ein Dokument voller Webkommentare und Links.

»Was ist das?«, frage ich und deute darauf. Wenn ich eins bin, dann direkt.

»Bisher behaupten fünf Personen, dass sie dich kennen, und sie folgen dir entweder auf Social Media oder haben gemeinsame Kontakte, also scheint das zu stimmen. Sie sagen alle, dass du ihr Teen Crush warst.«

Sie spricht »Teen Crush« genauso gewichtig und ernst aus wie »kontroverser Staatsabgeordneter«. Aber viel wichtiger: »WAS?«

Sie zeigt auf den Bildschirm.

»Schau sie dir an. Vielleicht alte Schulfreunde oder Kommilitoninnen? Wenn du magst, kann ich dir die Liste schicken.«

Der erste Name auf der Liste fällt mir ins Auge und bringt mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Gabriel Ricci. Jetzt ergibt das Sinn. Das ist ein Witz. Bei dem Rest wird es genauso sein. Er macht sich über mich lustig, in der Öffentlichkeit. Schon wieder. Was für ein Idiot.

»Meine Idee, ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich Joseph schon davon erzählt habe, und er war total begeistert, aber nur, wenn du auch dabei bist …«