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Von Traumtypen, Fröschen und dem ganz normalen Chaos, das man Leben nennt: „Nur Liebe ist schöner“ von Gabriella Engelmann als eBook bei dotbooks. Hallo? Das sollte doch ganz einfach sein! Leider scheitert das Konzept „Frau trifft Mann, sie werden glücklich“ aber allzu oft in der Umsetzung. Davon können auch die drei Freundinnen Nelly, Inka und Tinette ein Lied singen: Tinette verliebt sich meist in Männer, die ein bisschen zu verheiratet sind, Inkas Herzbuben hingegen wohnen stets viel zu weit entfernt. Und Nelly? Die ist hoffnungslos romantisch – aber als sie einem echten Traumprinzen begegnet, fällt sie trotzdem unsanft aus ihren rosaroten Wolken. Vermutlich wäre es besser, die drei würden ab sofort die Finger von den Kerlen lassen. Frauenfreundschaft ist doch auch viel wert! Aber Liebe ist schöner … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Gabriella Engelmanns turbulente Komödie „Nur Liebe ist schöner“. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 303
Über dieses Buch:
Hallo? Das sollte doch ganz einfach sein! Leider scheitert das Konzept »Frau trifft Mann, sie werden glücklich« aber allzu oft in der Umsetzung. Davon können auch die drei Freundinnen Nelly, Inka und Tinette ein Lied singen: Tinette verliebt sich meist in Männer, die ein bisschen zu verheiratet sind, Inkas Herzbuben hingegen wohnen stets viel zu weit entfernt. Und Nelly? Die ist hoffnungslos romantisch – aber als sie einem echten Traumprinzen begegnet, fällt sie trotzdem unsanft aus ihren rosaroten Wolken. Vermutlich wäre es besser, die drei würden ab sofort die Finger von den Kerlen lassen. Frauenfreundschaft ist doch auch viel wert! Aber Liebe ist schöner …
Über die Autorin:
Gabriella Engelmann, geboren 1966 in München, lebt in Hamburg. Sie arbeitete als Buchhändlerin, Lektorin und Verlagsleiterin, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen, Kinder- und Jugendbüchern zu widmen begann.
Bei dotbooks veröffentlichte Gabriella Engelmanns bereits die vier Kurzromane der Glücksglitzern-Serie »Ein Kuss, der nach Lavendel schmeckt«, »Zeit der Apfelrosen«, »Inselglück und Friesenkekse« und »Der Duft von Glück und Friesentee«, den Roman »Schluss mit lustig« sowie die Kurzromane »Eine Liebe für die Ewigkeit«, »Verträumt, verpeilt und voll verliebt«, »Te quiero heißt Ich liebe dich«, »Kuss au chocolat« und »Dafür ist man nie zu alt«.
Die Website der Autorin: www.gabriella-engelmann.de Die Autorin im Internet: www.facebook.com/AutorinGabriellaEngelmann
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eBook-Neuausgabe Oktober 2014
Dieses Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel »Nur lieben ist schöner« und dem Autorenpseudonym Rebecca Fischer im Diana Verlag.
Copyright © der Originalausgabe 2011 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von shutterstock/Zelfit
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95520-796-0
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Gabriella Engelmann
Nur Liebe ist schöner
Roman
dotbooks.
Liebesäpfel
Mit zitternden Händen umfasste Ariane ihr Sektglas. Wenn Gregor von Haldersleben sie nicht endlich küssen würde, wäre das ihr baldiges Ende. Noch nie hatte sich Ariane derart danach gesehnt, in den Armen eines Mannes zu liegen. Während sie verzückt seine muskulösen, gebräunten Unterarme betrachtete, auf denen sich goldgelber Flaum abzeichnete, schwelgte sie in Fantasien. Es war schon sehr lange her, dass ein Mann sie derart fasziniert hatte. Doch wie sollte sie es anstellen, dass der Zauber, dem sie bereits vollends erlegen war, endlich auch ihn ergriff?
Seufzend drücke ich auf »Speichern« und betrachte die Zeilen, die ich soeben in meinen Laptop getippt habe. Heute bin ich überhaupt nicht in Form und erst recht nicht in Stimmung für meine Arbeit.
Kann man das, was ich da treibe und womit ich zugegebenermaßen ziemlich viel Geld verdiene, überhaupt guten Gewissens als Arbeit bezeichnen?, sinniere ich, während ich mit mir ringe, den PC ganz auszuschalten und es für heute gut sein zu lassen. Schließlich habe ich schon fünf Seiten geschrieben! Natürlich habe ich Ariane gegenüber ein schlechtes Gewissen, denn so wie es aussieht, muss sie sich wohl noch bis morgen gedulden, bis sie sich endlich in Gregors Armen rekeln darf Aber wieso sollte es ihr bessergehen als mir?
Immer noch ein wenig traurig, denke ich an den vergangenen Abend und meine Verabredung mit Ben, meiner ersten großen Liebe. Dem ersten Mann (dummerweise einer von vielen), der mir das Herz gebrochen hat.
Ich sehe es noch wie heute vor mir, wie wir Seite an Seite zusammen über den Verkehrsteppich robben und bei Fräulein Waterbeck die Bedeutung des Stopp-Schildes und der Ampelfarben erlernen.
Das »Stopp«-Schild hätte sich Ben lieber gleich auf die Stirn tätowieren lassen sollen, damit ich es nicht übersehen konnte, wie ich es damals in meiner grenzenlosen Naivität tat. Doch weil ich das Leben schon immer gern als Herausforderung betrachtet habe, tapste ich in die erstbeste Falle – die ich mir zugegebenermaßen selbst gestellt hatte. Zu meiner Verteidigung kann ich nur hervorbringen, dass Ben mich vom ersten Tag an total umhaute. Schon in dem Moment, als er in einem coolen, riesigen Wagen vorfuhr, im Gegensatz zu mir, die auf dem Fahrrad gekommen war. Ich hatte gerade meinen Helm abgenommen, da öffnete sich die Tür (Bis heute könnte ich schwören, dass es damals ein Chauffeur war, der Ben den Weg ins Freie und damit direkt in mein Herz ebnete) und heraus sprang, total lässig, BEN. Das blonde Haupthaar zerzaust und Sommersprossen über sein ganzes Gesicht verteilt, als hätte man Konfetti über Parkett gestreut. Seine Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen fand ich mindestens ebenso charmant wie seine leicht abstehenden Ohren. Ich fürchte nur, dass Ben sich trotz (oder gerade wegen?) dieser kleinen Unzulänglichkeiten schon damals seiner Wirkung auf Frauen bewusst war – erstaunlich für einen vierjährigen kleinen Kerl!
***
Mein Gedankenausflug in eine längst vergangene Zeit wird jäh von einem Klingelton unterbrochen.
Eigentlich habe ich keine Lust zu telefonieren. Ich telefoniere nämlich ausgesprochen ungern. Aber heute könnte ich mal eine Ausnahme machen, für den Fall, dass es Ben ist, der mir sagen möchte, dass er gestern Abend etwas immens Wichtiges vergessen hat: nämlich mich zu küssen.
Ich melde mich mit der samtigsten und schmusigsten Stimme, zu der ich um diese Tageszeit fähig bin.
»Ach, du bist's!«, sage ich eine Sekunde später, zugegebenermaßen nicht besonders charmant. Und ganz und gar nicht samtig. Eher kratzig.
»Entschuldige bitte, wenn ich störe, Nelly. Wen hast du denn erwartet? Den Dalai-Lama?«, ertönt es fröhlich am anderen Ende der Leitung. Es ist meine Freundin Tinette. Offensichtlich hat sie gerade Langeweile und ist in Plauderstimmung. Ohne meine Antwort abzuwarten, startet sie auch schon ihr Inquisitionsprogramm: »Wie war's gestern Abend? Was hattest du an? Wo wart ihr? Und habt ihr's getan?«
Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und zähle bis zehn. Tinette ist eigentlich eine intelligente, gestandene Frau, die ganz nebenbei auch noch erfolgreich im Beruf ist. Aber wenn es um das Thema Männer geht, sinkt ihr IQ binnen Sekunden Richtung null, und sie mutiert zu einer dieser Frauen, die wir sonst gemeinschaftlich verabscheuen. Zusammen mit Inka, der Dritten unseres Kleeblatts.
Man sollte meinen, dass es im Leben dreier Freundinnen Mitte dreißig Wichtigeres gibt als Männer und Liebe, auch wenn ich mit dem Schreiben über genau diese Themen mein Geld verdiene. Aber das ist eine andere Sache.
»Bist du noch dran?«, quengelt Tinette, und ich kann förmlich spüren, wie sie beinahe an ihrer Neugier erstickt. Ob ich sie noch ein wenig zappeln lasse?
»Ja, ich bin noch dran«, antworte ich zögerlich und ergebe mich dann in mein Schicksal. Schließlich weiß ich, dass meine Freundin nicht eher Ruhe gibt, bis sie auch das letzte Detail aus mir herausgequetscht hat. Und da ich sowieso gerade eine Arbeitspause eingelegt habe, kann ich es genauso gut gleich hinter mich bringen ...
***
Aber nun zurück zu Ben und unserer Liaison im Kindergarten. Der Held meiner Kindertage stieg also aus seiner Limousine, sah mich, entblößte seine sexy Zahnlücke, und ich wäre vor Aufregung beinahe über meinen offenen Schnürsenkel gefallen. Hätte ich zu dieser Zeit schon über das lange, honigblonde Lockenhaar verfügt, das ich heute mein Eigen nennen darf, hätte ich es geschüttelt und Ben damit um den Finger gewickelt. Doch meine Mutter war damals (zusammen mit vielen anderen ihrer Generation) dem Aberglauben aufgesessen, dass Haare durch regelmäßiges Schneiden dicker würden, und so sah ich Prinz Eisenherz zu meinem großen Bedauern weitaus ähnlicher als Rapunzel.
Um es kurz zu machen: Ich verliebte mich augenblicklich in Ben, und für eine wundervolle Woche dachte ich, dass es ihm genauso ginge. Wir teilten einträchtig unsere Pausenbrote, und ich fütterte ihn mit Apfelschnitzen. Eva hatte mit diesem Obst bekanntlich auch schon Erfolg. Ich hingegen hatte nichts weiter davon als Vitaminmangel, denn Ben liebte Äpfel, wie sich schnell herausstellte. Gerührt sah ich zu, wie sich seine kleinen Zähnchen genussvoll in das saftige Obst schlugen und sich in der Lücke zuweilen ein wenig weißer Brei sammelte.
Nach dem dritten Tag beschloss ich – fürsorglich, wie ich es heute immer noch bin –, mein Repertoire zu erweitern. Ich leierte meiner Mutter Apfelsaft im Tetrapack, Joghurt mit Apfelgeschmack und getrocknete Apfelringe aus den Rippen. Natürlich hätte ich auch mein kostbares Taschengeld dafür opfern können, doch damit hatte ich etwas anderes vor: Ich wollte Ben ganz groß zum Eisessen ausführen. Ob es auch Apfeleis gab, hatte ich noch nicht herausgefunden, aber das würde ich bald.
Doch gerade, als ich zu ihm nach draußen in den Garten stürmen wollte, um ihm meine Einladung zu übermitteln, sah ich das UNFASSBARE, das absolut UNAUSSPRECHLICHE!
Dort, wo ich meinen Helden, meinen Gott, mein Universum vermutet hatte, gähnte ganz große Leere; von Ben weit und breit keine Spur. Zunächst rieb ich mir verwundert die Augen, bis ich schließlich aus einer Ecke weit hinten im Garten etwas vernahm, das wie Kichern klang. Und dann sah ich es auch schon und könnte heute immer noch losheulen, wenn ich an diese unsägliche Schmach denke: Dahinten im Gebüsch war eindeutig etwas im Busch! Zuerst sah ich einen kurzen, knallroten Minirock, bestrumpfte lange Beine und dann die dunkelblaue Cordhose, die eindeutig zu Ben gehörte. Die Wollstrumpfwaden waren für meinen Geschmack ein wenig zu dicht an dem Cordstoff, doch fürs Erste dachte ich noch nichts Negatives. Noch war meine Kinderwelt in Ordnung, ungetrübt von Enttäuschungen und Traumata aller Art. Leise schlich ich näher und spitzte meine Ohren. Immer noch Gekicher. Das dünne Stimmchen klang nach Luisa, der ungekrönten Königin des Waldkindergartens. Ben und sie waren anscheinend so mit dem beschäftigt, was sie da gerade taten, dass sie mich nicht kommen hörten. Also ging ich weiter.
Und was ich dann sah, ließ mir schier den Atem stocken: Luisa fütterte Ben, der dies widerstandslos, ja ich möchte fast sagen genussvoll, mit sich geschehen ließ, mit Apfelmus.
Apfelmus – dass ich nicht selbst längst darauf gekommen war! Strafend tippte ich mir selbst an die Stirn, bis mir einfiel, dass es momentan nicht darum ging, dass ich einen Fehler gemacht hatte, sondern darum, dass ich anscheinend nicht länger Bens exklusive Apfellieferantin war.
***
Fast zwanzig Jahre später kreuzten sich Bens und meine Wege erneut – passenderweise auf dem Wochenmarkt. Zwar nicht an einem Stand mit Äpfeln aus dem Alten Land, dafür aber bei einem mit Birnen, was ja so ähnlich ist.
Beinahe hätte ich Ben nicht erkannt, denn seine Sommersprossen waren etwa auf ein Drittel dezimiert (Bleichmittel? Laseroperation? Gesichts-Camouflage?), seine Ohren nicht mehr ganz so abstehend (mit Sicherheit das Ergebnis eines chirurgischen Eingriffs), und auch die Zahnlücke war professionell geschlossen.
Im Grunde war es auch nicht ich, die Ben erkannte, sondern – erstaunlich, erstaunlich – er mich.
»Nelly, bist du's?«, fragte er mit weit aufgerissenen Augen, und ich war nicht minder überrascht. Vor allem, weil ich im ersten Moment keine Ahnung hatte, wer da vor mir stand.
»Ja, das bin ich«, antwortete ich und lächelte, während ich versuchte, Zeit zu gewinnen und mein Gedächtnis zu durchforsten. Wer war dieser unverschämt gut aussehende Mann?
»Ben – erinnerst du dich nicht mehr?«
Ben – Ben ...? Erneut rief ich die Suchfunktion in meinem Kleinhirn auf (oder ist das Großhirn für derlei Aufgaben zuständig?), und irgendwo tief in meinem Inneren klingelte es.
»Ben aus dem Waldkindergarten.« Der attraktive Mann half mir auf die Sprünge, und da fiel mir alles wieder ein. Ein bisschen beschämt war ich schon, denn ich war bislang davon ausgegangen, dass man eine Art von Dauersensibilität dafür haben müsste, wenn man einem so wichtigen Menschen wie der ersten großen Liebe wieder begegnet. Doch meine Freundin Inka, ihres Zeichens diplomierte Psychologin und Paartherapeutin a. D., hat mir erst vor Kurzem bestätigt, dass das Gehirn eines Menschen bei traumatischen Erfahrungen durchaus in der Lage ist, partielle Amnesie zu erzeugen. Dieser temporäre Gedächtnisverlust ist ein wunderbarer Schutzmechanismus für die Seele, der offenbar nach meinem Apfelmus-Desaster bestens funktioniert hat.
»Na, das ist ja eine Überraschung«, entgegnete ich freudig erregt, obwohl tief in meinem Inneren die Warnblinkanlage losging. »Was machst du denn hier?«, fuhr ich fort – zugegebenermaßen nicht besonders intelligent. Denn was macht man im Allgemeinen an einem sonnigen Nachmittag auf dem Isemarkt in Eppendorf?
Richtig! Einkaufen!
»Dasselbe wie du, einkaufen.«
»Ach so, schön«, antwortete ich und wünschte verzweifelt, mich auf der Stelle in jemanden zu verwandeln, der all das war, was ich gerade nicht war: schlagfertig, witzig – und geschminkt! Wie so oft war ich auch heute nach mehreren Stunden am Schreibtisch vollkommen benebelt aus den rosigen Gefilden meiner Fantasiewelten aufgetaucht und hatte nun Probleme, mich wieder in der Realität zurechtzufinden. Das Leben ist eben kein Roman, das weiß ich auch, aber gelegentlich neige ich leider dazu, beide Ebenen miteinander zu verwechseln.
»Die Birnen hier sind besonders gut«, fuhr ich fort, obwohl ich Birnen hasse.
Ben grinste und sagte nichts.
»Groß bist du geworden«, war alles, was mir noch einfiel.
»Du auch«, entgegnete Ben, auch wenn das bei einer Größe von einem Meter sechzig nicht ganz stimmen konnte. Andererseits: Wie groß war ich im Kindergarten gewesen? Mit Sicherheit war im Laufe der letzten Jahre der eine oder andere Zentimeter dazugekommen. Aber bei Weitem nicht so viele wie bei Ben, der sich bei geschätzten ein Meter neunzig und gefühlten zwei Meter fünfzig befinden musste. Ich verrenkte mir den Hals bei dem Versuch, an ihm hochzusehen, und blinzelte hilflos in die Frühlingssonne. Dann warf ich verlegen fünf Birnen in meinen geflochtenen Weidenkorb. Keine Ahnung, was ich mit denen machen würde. Vielleicht verschenken?
Und dann stellte Ben die Frage aller Fragen, nach der ein jedes Mädchen sich sehnt, wenn es darauf hofft, eine zweite Chance zu bekommen. Eine zweite Möglichkeit, sich auf ein Treffen vorzubereiten und dann souverän und wunderschön aufzutreten.
»Wollen wir mal einen Kaffee zusammen trinken gehen?«
Nun, da die magischen acht Worte über Bens volle Lippen gekommen waren, wurde ich auf einmal übermütig.
»Ich trinke eigentlich keinen Kaffee. Aber Rotwein!«
Liebe mit Hindernissen
Drei Tage später saß ich, gestylt und geschminkt, im Bistro Guter Wein und wartete mit klopfendem Herzen auf Ben. Obwohl ich aus taktischen Gründen fünfzehn Minuten zu spät gekommen war, fehlte vom Hauptdarsteller des von mir so sorgfältig geplanten Szenarios jede Spur. Obwohl ich zum x-ten Mal gecheckt hatte, dass mein Handy sowohl über genug Saft verfügte (ja, tat es) als auch Empfang hatte (auch das) und vor allem laut genug gestellt war, um die Stimme von Jacques Brel zu übertönen, dessen Chansons dem Bistro einen Hauch von französischem Flair verliehen, passierte ... gar nichts. Die Kellnerin warf mir bereits mitleidige Blicke zu, die ich in einem trockenen Sherry zu ertränken suchte.
Um zwanzig Uhr fünfundvierzig, also exakt eine Dreiviertelstunde zu spät, betrat Ben schließlich das Bistro und schenkte mir sein unschuldiges Jungenlächeln, mit dem er schon den Apfelmus-Betrug wegzulächeln versucht hatte.
Nicht mit mir!, hatte ich wütend gedacht, als er auf mich zukam und mir eine langstielige rote Rose überreichte. »Als kleine Entschuldigung für die Verspätung«, murmelte er zerknirscht, und ich überlegte fieberhaft, woher ich diese Szene und diese Worte kannte.
Richtig: Das war exakt die Geste, mit der Gregor von Haldersleben Ariane, die Heldin meines neuesten Romans, um Verzeihung gebeten hatte.
Weshalb sind Männer nur so einfallslos?, sinnierte ich, während ich huldvoll Bens Wangenkuss entgegennahm und die freundliche Kellnerin die Rose ins Wasser stellte.
»Sorry, aber ich hatte unendlich viel zu tun und habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflogen ist«, setzte Ben seine Verteidigung fort, und ich wartete gespannt darauf zu erfahren, was so wichtig gewesen war, dass er Zeit und Raum, vor allem aber MICH vollkommen vergessen hatte.
***
Das Telefon klingelt schon wieder.
Wahrscheinlich ist es Inka, die ebenfalls wissen möchte, wie es mit Ben gelaufen ist. Offensichtlich hat Tinette ausnahmsweise nicht bei ihr angerufen, um sofort alles brühwarm weiterzutratschen. Okay, heute kann ich das Schreiben wohl endgültig vergessen, seufze ich innerlich, schließe den Deckel meines Laptops und gehe ans Telefon.
»Lydia Fuchs hier«, ertönt es am anderen Ende der Leitung, und binnen Sekunden bin ich das personifizierte schlechte Gewissen. Doktor Lydia Fuchs ist nämlich meine Lektorin und wartet zusammen mit meiner Protagonistin Ariane darauf, dass es endlich zum ersehnten Happy End mit Gregor und damit zur längst überfälligen Veröffentlichung meines Romans kommt.
»Ich wollte mich erkundigen, wie es bei Ihnen läuft und wann ich mit dem Manuskript rechnen kann«, fragt sie in strengem und unnachgiebigem Tonfall. Ich werfe schuldbewusst einen Blick auf meinen Tischkalender, in dem ganz deutlich der kommende Freitag als Abgabetermin notiert ist.
»Alles super. Ariane und Gregor geht's bestens!«, lüge ich, dass sich die Balken biegen, und habe das dumpfe Gefühl, dass ich erröte. »Ich gebe pünktlich am Freitag ab. Wenn nicht sogar schon vorher«, erkläre ich mit so fester Stimme wie möglich. Muss ja keiner wissen, dass es mir dieses Mal erstaunlich schwerfällt, das Buch zu schreiben, und vor allem, es zu beenden.
»Das höre ich gern. Dann will ich Sie mal nicht länger in Ihrem Schreibfluss stören«, antwortet Lydia Fuchs und beendet das Gespräch zum Glück ohne weiteren Small Talk, wofür ich ihr äußerst dankbar bin. Schreibfluss! Von wegen ... Meine Produktivität ähnelt momentan eher einem Stausee, was mir noch nie passiert ist, schließlich bin ich ein echter Profi auf dem Gebiet der Liebesromane. Nicht, dass ich das immer schon werden wollte. Ich habe Germanistik studiert, und ursprünglich hatte ich mal vor, meinen Doktor zu machen (und wäre damit auf Augenhöhe mit DOKTOR Lydia Fuchs!), aber dann ist mir der Amor-Verlag dazwischengekommen. Ich musste während des Studiums schließlich meinen Lebensunterhalt verdienen, und Kellnern war irgendwie nicht so mein Ding. Da war das Angebot, Liebesromane mit garantiertem Happy End zu schreiben, doch ziemlich verlockend. Zu meiner eigenen Überraschung trafen meine Geschichten und meine Art zu schreiben offensichtlich genau den Nerv der Amor-Leserinnen, sodass man mir schließlich sogar meine eigene Buch-Reihe (Herzblatt!) anbot. Was zunächst ganz harmlos als kleine Auftragsarbeit begonnen hatte, wurde so zu einem echten Beruf. Und zwar zu einem, in dem ich richtig gut bin. Normalerweise wenigstens. Nur eben nicht in letzter Zeit. Hm ...
Kaum habe ich aufgelegt, klingelt das Telefon schon wieder. Diesmal ist es tatsächlich Inka. Während ich ihr alles Nennenswerte erzähle, koche ich zu meiner Beruhigung einen Melissentee (allmählich habe ich wirklich Angst, dass mein Roman nicht pünktlich fertig wird) und gehe in rosa Fellpuschelschuhen in der Altbauwohnung auf und ab. Die Lektorin ist momentan nicht mein einziges Problem. So ganz habe ich die Geschichte mit Ben nämlich auch noch nicht verdaut, wenn ich ehrlich bin.
»Da bist du schon mal mutig, und dann muss so was passieren«, kommentiert Inka meinen Bericht, und ich höre ehrliches Bedauern in ihrer sonst so strengen Stimme. »Aber ich finde es toll, dass du endlich mal selbst die Initiative ergriffen hast«, sagt meine Freundin lobend. Als Therapeutin weiß sie natürlich, dass es gut ist, einen Menschen nach einer Niederlage durch bedingungslose Affirmation aufzubauen. Ich nicke, und erneut steigt mir Schamesröte ins Gesicht. Wenn ich nur daran denke ...
»Außerdem finde ich nicht, dass es eine Katastrophe ist, wenn man versucht, einen Mann zu küssen, und dieser sich abwendet, ohne den Kuss zu erwidern. Du wirst sehen, dass es bei eurem zweiten Date ganz anders laufen wird. Vermutlich will er nur nichts überstürzen«, redet Inka weiter, doch ich kann ihr an diesem Punkt einfach nicht zustimmen. Sie sagt das sicherlich nur, weil ihr so etwas noch nie passiert ist. Auch ich habe eine derart peinliche Abfuhr nicht mehr bekommen, seit Hanno (Nachfolger von Ben) sich in der Schule von mir wegsetzte, weil er sich dadurch gestört fühlte, dass ich ihn fortwährend anhimmelte und seine Mathehefte mit roten Herzchen verzierte. Ich persönlich fand das alles sehr romantisch, aber Männer und Frauen empfinden ja bekanntlich unterschiedlich. Und wie hätte ich damals schon von diesem dummen Venus/Mars-Ding wissen sollen? Selbst heute kann ich kaum glauben, dass das schon in der zweiten Klasse voll zum Tragen kam.
»Mhm«, nuschle ich undefiniert – was im Klartext heißen soll: Ich möchte jetzt nicht länger über den vergangenen Abend und die damit verbundene Niederlage reden.
»Okay, du willst nicht darüber reden, verstehe«, entgegnet Inka, ganz verständnisvolle Psychologin. »Was hältst du davon, wenn Tinette und ich heute Abend vorbeikommen? Dann bist du nicht allein mit Doctor House– es sei denn, du möchtest ihn lieber exklusiv für dich.«
Ich überlege kurz. Stimmt, heute ist Dienstag. Das hätte ich ja fast vergessen.
Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee. Ich habe meine Freundinnen in den letzten Wochen nicht so häufig gesehen wie sonst, und außerdem kann ich eine kleine Aufmunterung gebrauchen.
»Okay, ich besorge Sushi«, antworte ich fröhlich. »Rufst du Tinette an?«
Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, tigere ich durch meine Wohnung. Bevor die Mädels kommen, sollte ich lieber meine Stofftierkollektion in den Schrank verbannen. Als Therapeutin weiß Inka zwar, wie wichtig es auch für eine Fünfunddreißigjährige ist, das innere Kind in sich zuzulassen, aber ich habe den Verdacht, dass ich jedes Mal wieder in ihrer Achtung sinke, wenn ich gestehe, dass ich unmöglich an dem Hasen mit den roten Socken vorbeigehen konnte, ohne ihn zu kaufen. Im Laufe der Jahre ist meine Sammlung größer und größer geworden. Wenn die Erwachsene in mir wieder das Regiment übernimmt, beschließe ich, das Ganze schnellstmöglich einem Kinderheim zu spenden und nur einen kleinen, exquisiten Rest zu behalten, für den Fall, dass ich wider Erwarten eines Tages selbst Kinder haben sollte. Aber meine erwachsenen Phasen waren leider bislang zu kurz, und so kommen die Tiere eben in den Schrank.
***
Punkt neunzehn Uhr klingelt es, und meine Freundinnen strahlen mich an.
Bewaffnet mit Stäbchen, geben wir uns Minuten später dem Genuss von Sushi und Sashimi hin. Dazu trinken wir Jasmintee.
»Ich finde das total retro«, kommt es von Tinette, die gerade rohen Thunfisch verspeist.
»Retro?«, fragt Inka irritiert und vermischt ihr Wasabi mit Sojasoße.
»Ja«, antwortet Tinette kauend. »Sushi ist doch irgendwie Endachtziger, oder irre ich mich?«, fragt sie, und ich denke nach. Stimmt, momentan sind Sushi & Co. nicht gerade hip. Aber das tut doch ihrem Geschmack keinen Abbruch? Für Tinette, Mitarbeiterin einer Künstleragentur, sind Mode und Trend allerdings Lebenselixier. Wenn es sie nicht gäbe, hätte ich absolut keine Ahnung davon, dass der momentan herrschende Shabby-Chic im Bereich Interieurdesign nur eine nette Bezeichnung dafür ist, Möbel vom Sperrmüll zu holen und schlecht zu streichen. Und dass Sleek-Look nichts anderes bedeutet, als sich die Haare endlich mal ordentlich glatt zu bürsten und zu föhnen. Nicht, dass mein Leben ohne dieses Wissen irgendwie anders oder gar glücklicher verlaufen wäre ...
Nachdem wir zu Ende gegessen haben, beginnt der Frageteil des Abends. Bis Doctor House bleiben uns fast achtzig Minuten. Das sollte reichen, um uns gegenseitig auf den neuesten Informationsstand zu bringen. Zumal mein persönliches Debakel heute bereits ausreichend thematisiert wurde.
»Also, Inka«, beginne ich und mustere meine kluge Freundin. Inka ist im Gegensatz zu mir in Beziehungsfragen komplett desillusioniert, was unter anderem daran liegt, dass sie nach ihrer Ausbildung zur Therapeutin lange Zeit in der Paarberatung gearbeitet hat. Dieser Beruf ging ihr irgendwann so auf die Nerven, dass sie ihn von heute auf morgen an den Nagel gehängt hat. Den winzigen Teil von ihr, tief in ihrem Inneren, der doch noch an die Liebe glaubte, zog es dann dahin, wo der Weg zur Paartherapie beginnt: zur Eheschließung. Seit nunmehr zwei Jahren arbeitet sie freiberuflich als Organisatorin von Hochzeiten, weist jegliche Ähnlichkeit mit Jennifer Lopez in Wedding Planner–Verliebt, verlobt, verplant aber energisch von sich. Da sowohl der Akt selbst als auch das damit verbundene Feierspektakel durchaus psychologisches Fingerspitzengefühl erfordern, ist dies genau die Art von Aufgabe, die Inka braucht. Und Inka ist genau die Art von Hochzeitsplanerin, welche die Paare brauchen, die sie beauftragen. Also ist Inka sehr erfolgreich in ihrem Beruf
Eigentlich sind wir das alle drei – erfolgreich im Beruf, denke ich und schaue stolz auf meine Freundinnen.
»Was gibt's bei dir Neues?«, fahre ich fort.
»Nur das Übliche«, entgegnet Inka knapp, aber wer sie so gut kennt wie ich, sieht in ihren dunkelgrünen Augen ein verdächtiges Funkeln. O nein – ist es etwa wieder so weit?
Auch Tinette schwant nichts Gutes, das sehe ich an der Art, wie sie den harten, rabenschwarzen Strich über ihrem linken Auge – auch Braue genannt – pikiert nach oben zieht. Niemand, den ich kenne, beherrscht diesen Gesichtsausdruck so perfekt wie Tinette. Hätte sie ein besseres Textgedächtnis, könnte sie problemlos die Seiten wechseln und in ihrer Agentur als Schauspielerin arbeiten, anstatt immer nur selbige zu vermitteln und zu betreuen.
»Wo wohnt er denn diesmal?«, fragt Tinette streng.
»Gar nicht sooooo weit weg«, verteidigt sich Inka, und ich beobachte amüsiert, dass sie sich trotz ihres sonst so ausgeprägten Selbstbewusstseins in Beziehungsfragen immer wieder von uns verunsichern lässt.
»Also, wo genau?«
Tinette lässt nicht locker, und auch ich bin gespannt, in welche Stadt Inka für die Dauer ihrer neuesten Affäre jetten wird. Im Laufe der Jahre ist sie schon ziemlich weit herumgekommen, da Inka einen fatalen Hang zu Männern hat, die es in die Ferne zieht: Piloten, Hotelmanager, neulich sogar einen Entwicklungshelfer. Es gab Zeiten, da hörten wir hauptsächlich durch Postkarten von ihr – aus New York, Hongkong, Dubai ...
»Wuppertal«, erwidert Inka zögerlich, und ich unterdrücke ein Kichern. Wow, das nenne ich mal einen exotischen Ort! Tinette sieht irritiert aus, aber ihre Braue befindet sich mittlerweile wieder an ihrem angestammten Platz.
»Wuppertal? Du meinst die Stadt mit dieser – äh, Dingsbums – äh ...«
»Schwebebahn«, vervollständigt Inka Tinettes Satz.
Stimmt, etwas anderes als Schwebebahn fällt mir zu dieser Stadt ehrlich gesagt auch nicht ein. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nicht einmal weiß, in welchem Bundesland sie liegt.
»Die Schwebebahn ist technisch gesehen eine Hängebahn«, erklärt Inka ungefragt, was ich als Versuch werte, uns in die Irre zu führen und davon abzulenken, dass sie es – trotz aller Beteuerungen, Schwüre und Versprechen – wieder getan hat: Sie hat eine Fernbeziehung.
»Na, wenn das so ist«, entgegnet Tinette und schenkt uns Tee nach. »Und diese Stadt findest du also wirklich schön?«, fragt sie, ihre hellgrauen Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Das sieht immer sehr bedrohlich aus, aber wer Tinette kennt, weiß, dass dahinter nur die Angst steckt, Inka eines Tages wirklich als Freundin zu verlieren, weil sie einem australischen Farmer ins Outback folgt oder beschließt, es mal in der Mongolei zu versuchen.
Inka räuspert sich kurz, scheint aber für einen Angriff dieser Art gewappnet zu sein. »Na, immerhin ist Wuppertal die siebtgrößte Stadt Deutschlands, hat eine Uni, das berühmte Straßenbahn- und Uhrenmuseum, einen Zoo, einen botanischen Garten, dreihundertachtundfünfzigtausend Einwohner und sogar ein eigenes Sinfonieorchester.«
»Ich würde lieber wissen, wann das passiert ist und wo du den Mann kennengelernt hast, der dir weismachen will, dass eine Stadt in Nordrhein-Westfalen toller ist als Hamburg.«
»In der U-Bahn«, entgegnet Inka.
»Wie, in der U-Bahn?«, echot Tinette fassungslos, und ich verspüre den Impuls, ihren helmartigen, rabenschwarzen Pagenkopf zu zerzausen, damit sie ein bisschen lockerer wird. Schließlich spricht sie mit ihrer Freundin Inka und nicht mit einem dieser grenzdebilen Starlets, die sie persönlich zum Filmset schleifen muss, weil die sich sonst verlaufen oder statt ins Taxi in einen Abschleppwagen steigen.
»Jetzt hab dich mal nicht so«, sage ich und schlage mich damit auf Inkas Seite, während ich meinen CD-Bestand nach dem ROMANTIK-Album von Element of Crime durchwühle. Ah, da ist es ja!
»Wulfger ist Ingenieur und spezialisiert auf den öffentlichen Nahverkehr«, erklärt Inka. »Er war zu Feldforschungszwecken in Hamburg, sah mich in der U1 und lud mich auf ein Bier ein. Das ist auch schon die ganze Geschichte.«
»Wulfger?«, frage ich nach, in der Hoffnung, mich verhört zu haben. Was ist denn das nun wieder für ein Name? Wulfger aus Wuppertal? Zu Feldforschungszwecken in der Hamburger U-Bahn?
Ich sehe Tinette an, dass auch sie mit dem Lachen kämpft.
Im Laufe der Zeit ist bei uns ja schon einiges an seltsamen Männernamen zusammengekommen, aber Wulfger? Wenn das kein Kandidat für die Top Five ist! Damit sehen die Spitzenplätze auf der Liste der skurrilsten Männernamen unter unseren Exfreunden jetzt so aus:
1. Adalbrand
2. Drudmunt
3. Ingram
4. Richbert
und nun, neu im Programm:
5. Wulfger
»Na dann ...«, ist alles, was Tinette dazu sagt, und ich sehe mit einer gewissen Erleichterung, dass es jetzt einundzwanzig Uhr zehn ist. Bis zum Beginn von Doctor House bleiben uns nur noch fünf Minuten.
Wir machen es uns auf meinen geblümten Sitzkissen vor dem Fernseher gemütlich, was offensichtlich sogar Rosamunde, meine Katze, die sich bislang dezent im Hintergrund gehalten hat, animiert, sich zu uns zu gesellen. Genussvoll lässt sie sich von mir unter dem Kinn kraulen, und ich stelle den Lautstärkeregler höher, weil ihr Schnurren sonst die sonore Stimme von Hugh Laurie, dem neuen Gott am Fernseharzthimmel, übertönt. Während die Vorgeschichte zu Doc Houses neuestem Fall über den Bildschirm flimmert, denke ich an Ben. Für immerhin zwei Stunden hatte ich ihn vergessen. Aber nun, da Inka offensichtlich frisch verliebt ist, fällt es mir wieder ein, wie schön es ist, jemanden zu haben, an den man voller Sehnsucht denken kann ...
Mit großer Faszination verfolge ich in den nächsten sechzig Minuten, wie sich die weiblichen Kollegen von Doctor House vergeblich darum bemühen, dessen ungeteilte Aufmerksamkeit zubekommen, zumindest, wenn es darum geht, sie als Mensch, respektive Frau, wahrzunehmen. Doch da haben sie die Rechnung mit dem falschen Mann gemacht, denn diese Figur verkörpert beides: Er ist zugleich Traum und Albtraum der modernen Frau.
Die Tatsache, dass die meisten Männer bindungsunfähig und emotional gestört sind, ist ja hinlänglich bekannt und muss an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden. Aber allen Vertretern der männlichen Spezies ist normalerweise zumindest eine Fähigkeit gemein: nämlich die, sich selbst ganz, ganz toll zu finden. Dieser Arzt jedoch ist eine ganz eigene Spezies – er liebt niemanden, noch nicht mal sich selbst.
Doch zurück zu meinen Freundinnen. Während Inka an Hugh Lauries Lippen hängt und sich versonnen das lange rote Haar zu einem Zopf flicht, beobachte ich Tinette, die mit unbeweglicher Miene vor dem Fernseher sitzt, in Gedanken aber offensichtlich woanders weilt. Ich bin mir sicher, dass sie an Alexander denkt, ihre derzeitige Affäre. Wo Inka einen fatalen Hang zu Fernbeziehungen ohne jede Aussicht auf Zukunft hat, jagt Tinette permanent nach einem anderen Typ Mann: dem V-Mann.
Nein, nicht die Art von V-Mann, die als Teil einer Eliteeinheit undercover arbeitet, um die Welt zu retten, sondern einer von der anderen Sorte, die zwar auch undercover agiert, aber mit dem wenig hehren Ziel, Herzen zu brechen. Dieser V-Mann ist entweder VERLIEBT (natürlich in eine andere!), VERLOBT (heutzutage eher selten, kommt aber immer noch vor) oder, last but not least, VERHEIRATET (ebenfalls mit einer anderen). Um welche Variante von V-Mann es auch immer sich handelt – sie bedeutet vor allem eines: NICHTS GUTES!
Der V-Mann
Inka verabschiedet sich etwas früher, weil sie am darauffolgenden Tag um fünf Uhr aufstehen muss, um irgendwo in der Schleswig-Holsteinischen Pampa ein Landgut auf Hochzeitstauglichkeit hin zu überprüfen. Trauungen auf dem Land sind wahrlich nicht Inkas Liebstes, aber was tut man nicht alles, um seine Miete zu bezahlen?
Während sich meine Freundin auf den Fahrradsattel schwingt und auf den Weg ins Schanzenviertel macht, wo sie sich mit einer militanten Kampflesbe namens Ruthild eine Wohnung teilt, kehre ich zu Tinette zurück.
»Du warst ja heute so still«, sage ich in der Hoffnung zu erfahren, was hinter ihrer Stirn vor sich geht. »Ist alles in Ordnung mit Alexander und dir? Wie war denn euer Date im Strandhotel?«
»Beschissen!«, knurrt sie und sieht in diesem Moment richtig gefährlich aus. Das findet auch Rosamunde, die mit einem Satz von Tinettes Schoß springt und anschließend einen nicht minder bedrohlichen Katzenbuckel macht.
»Oh«, antworte ich bedauernd. »Aber was ist denn passiert?«
»Nichts«, antwortet sie, und ich lasse meinen Fantasien freien Lauf. Hat sie etwa versucht, ihn ins Bett zu zerren, und Alexander hat, nennen wir es mal vorsichtig ... versagt? Worin auch immer? Zum Beispiel im pannenfreien Öffnen einer Magnumflasche Champagner?
»Er ist nicht gekommen.«
Aaaaaah, schreie ich in Gedanken und setze mein unschuldigstes Gesicht auf. Man muss bei doppeldeutigen Bemerkungen dieser Art schließlich nicht gleich von dem einen ausgehen.
»Ich habe fantastischen Zander gegessen und einen Neunziger Château Petrus dazu getrunken.«
So weit, so gut, denke ich und warte auf eine Fortsetzung.
»Ich habe in einem traumhaft schönen Badezimmer gebadet, habe in blütenweißer Bettwäsche gelegen, in einem wunderschönen Erkerzimmer mit Blick auf die Elbe, und am nächsten Morgen mit Elbblick gefrühstückt. Allein.«
»Aber das klingt doch trotzdem alles sehr gut«, erwidere ich und versuche, aus dem berühmten halb leeren Glas ein halb volles zu machen. Funktioniert bei meinen eigenen Problemen übrigens so gut wie nie, aber vielleicht klappt es ja bei Tinette?
Es klappt nicht!
»Sehr witzig«, lautet ihre genervte Antwort, und nun verzieht Rosamunde sich endgültig. So viel negative Energie ist nichts für eine sensible Katze. »Ich möchte dich mal sehen, wenn du dich auf ein Date freust, unglaublich viel Geld für Dessous und Trallala ausgibst, Himmel und Hölle in Bewegung setzt, damit auch alles so klappt, wie du es haben möchtest, und dann taucht der Hauptdarsteller des Ganzen einfach nicht auf«
Hauptdarsteller – das ist typisch Tinette. So wie ich gelegentlich Fiktion und Realität miteinander vermenge, vergisst auch meine Freundin mit schöner Regelmäßigkeit, dass das Leben nicht immer drehbuchgemäß verläuft oder eben zuweilen nur nach einem sehr schlechten Skript. Und was, bitte, ist in diesem Fall unter Trallala zu verstehen?
Ich beschließe, zunächst einmal nichts zu fragen oder zu sagen und Tinette einfach in Ruhe erzählen zu lassen.
Alexander ist Tinettes neueste Eroberung auf dem Sektor V-Mann. In diesem Fall: »V« für »verheiratet«. Der smarte Herzchirurg fällt per se in das Beuteschema von Millionen Frauen, doch bislang hatte es nur eine geschafft, ihn fest an sich zu binden: Isabella. Sie ist ebenfalls sehr erfolgreich, und zwar als Anwältin für Familienrecht. Trotz der Existenz dieser Ehefrau techtelten Tinette und Alexander, was das Zeug hält, obwohl es bisweilen schwierig war, Zeit und Ort dafür zu finden. Umso erstaunlicher, dass sich schließlich sogar die Möglichkeit ergab, sich an einem lauschigen Sonntagnachmittag zu treffen und die Zeit bis zum darauffolgenden Vormittag gemeinsam zu verbringen. Tinette war dementsprechend komplett aus dem Häuschen. Um alles so romantisch wie möglich zu haben, hatte sie ein Zimmer im Strandhotel Blankenese gebucht und sich zuvor ausgiebig ihrem äußerst aufwendigen Beautyprogramm gewidmet.
»Wir sind eben nicht mehr die Jüngsten«, pflegt sie in regelmäßigen Abständen zu sagen, und ich frage mich, was sie eigentlich machen will, wenn sie mal fünfzig Jahre alt ist. Oder gar sechzig, siebzig. Will sie sich dann mumifizieren lassen? Oder begeht sie Selbstmord, weil sie ihrer Meinung nach das Verfallsdatum überschritten hat?
Doch trotz der sorgfältigen Vorbereitung fehlte Tinette letztlich ihr entscheidender Faktor zum Glück: Alexander.
»Als ich die Nummer seines Handys gewählt habe, um ihn zu fragen, wo er bleibt, höre ich plötzlich eine Stimme sagen: ›Die gewählte Rufnummer ist uns nicht bekannt.‹«
»Hä?«, frage ich und ziehe meine Nase kraus.
»Nach einer weiteren Stunde, in der nichts passiert ist und meine Strapshalter mich beinahe umgebracht haben, habe ich schließlich bei ihm zu Hause angerufen.«
Momentan weiß ich nicht, was mich mehr schockiert: die Tatsache, dass Tinette Strapse trägt, oder dass sie etwas getan hat, das im Umgang mit einem verheirateten Mann absolut verboten ist: sich auf dem ehelichen Festnetzanschluss zu melden.
»Und?«, frage ich gespannt.
»Nichts«, lautet die lapidare Antwort. »Wie sollte es auch? Weder Isabella noch Alexander war ja zu Hause.«
Auch wieder wahr ...
»Es wurde zehn Uhr, und allmählich gingen mir die Nerven durch. Ich wusste nicht, ob ich sauer sein oder mir Sorgen machen soll. Es gibt ja wirklich nichts Schlimmeres, als zu Passivität verdammt zu sein und nicht zu wissen, wie es weitergeht.«