Nürnberg - Ein Stadtporträt in 50 Kapiteln (eBook) - Siegfried Zelnhefer - E-Book

Nürnberg - Ein Stadtporträt in 50 Kapiteln (eBook) E-Book

Siegfried Zelnhefer

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Beschreibung

Kein Geschichtsbuch, sondern ein Gegenwartsbuch – mit Geschichte Jeder kennt Nürnberg. Doch was macht Nürnberg wirklich aus? Bratwürste, 1. FC Nürnberg und Lebkuchen? Was bestimmt die Stadt mit ihrer reichen Geschichte? Albrecht Dürer, Industrialisierung, NS-Zeit. Aber da ist noch mehr. Siegfried Zelnhefer geht den langen Linien nach und beleuchtet viele Themen aus dem Hier und Heute. Er beschreibt, was die Stadt Nürnberg im öffentlichen Raum oder in der öffentlichen Diskussion im 21. Jahrhundert bestimmt, was die Nürnbergerinnen und Nürnberger bewegt, mit Bezug auf die Historie, aber auch mit Blick auf deren Relevanz in der Gegenwart. Am Beispiel von Orten, Schlüsselbegriffen und Ereignissen wird die Stadt lebendig. Ein Stadtporträt der ungewöhnlichen Art.

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SIEGFRIED ZELNHEFER, geboren 1956, war Leiter des Presse- und Informationsamts der Stadt Nürnberg. Er ist promovierter Historiker, Journalist und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen bei ars vivendi Nürnberg und die Spuren desNationalsozialismus, Das Nürnberger Christkind und Die Bratwurst.

THOMAS GEIGER, Jahrgang 1961, ist Fotografenmeister und Bildjournalist. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er als Freiberufler. Sein Spezialgebiet sind Reportagen und Porträts aus Industrie und Wirtschaft. Der Naturliebhaber hat für dieses Buch Nürnberg mit der Kamera so intensiv erkundet wie noch nie zuvor.

In diesem Buch wird in der Regel das generische Maskulinum verwendet, ohne Frauen und Diverse auszuschließen oder abzuwerten. Sie sind immer gleichwertig gemeint und angesprochen.

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage Juni 2024)

© 2024 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

www.arsvivendi.com

Lektorat: Dr. Eva Elisabeth Wagner Umschlaggestaltung: Annalena Weber Satz: Annalena Weber; ars vivendi

eISBN 978-3-7472-0604-1

INHALT

Vorwort

NAMEN UND BEGRIFFE

Sigena

Norenberc

Sandstein

Bratwurst

Lebkuchen

Mundart

Image

Mentalität

Der Club

Christkind

POLITIK UND WIRTSCH11

Mittelalter

Maschinenzeitalter

Ära Luppe

NS-Zeit

Nürnberger Prozesse

Nürnberger Nachrichten

Wiederaufbau

Strukturwandel

Spielwarenmesse

Sozial und liberal

BILDUNG UND GESELLSCH21

Schulwesen

Hochschulen

Tiergarten

Migration

Feste

Altstadtfreunde

KULTUR UND RELIGION

St. Sebald

St. Lorenz

Albrecht Dürer

Germanisches Nationalmuseum

Opernhaus

Symposion Urbanum

Kulturmeile

Glaube

Jüdische Gemeinde

Erinnerungskultur

ORTE UND INSTITUTIONEN

Pegnitz

Dutzendteich

Kaiserburg

Hauptmarkt

Rathaus

Heilig-Geist-Spital

Johannisfriedhof

Stadtpark

Plärrerhochhaus

Kanäle

Frankenschnellweg

Augustinerhof

Stadtteile

Reichswald

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Dank

ZU DEN DOPPELSEITIGEN FOTOS:

Blick über die Altstadt in Richtung Süden. Rechts im Vordergrund der Tiergärtnertorplatz mit dem Albrecht-Dürer-Haus..............................12-13

Die Zeppelintribüne und das Zeppelinfeld waren Schauplatz der NS-Reichsparteitage. Heute nutzen die Menschen den Ort für Freizeitaktivitäten..............................74-75

Die Egidienkirche und das Denkmal für Kaiser Wilhelm I. im magischen Licht bei der Blauen Nacht..............................164-165

Das Neue Museum Nürnberg bietet zu jeder Tages- und Nachtzeit einen imposanten Anblick..............................206-207

Ansicht der Kaiserburg, aufgenommen am Spittlertorgraben: für manche Nürnberger die schönste Perspektive auf das Wahrzeichen..............................276-277

Vorwort

Das was war, interessiert uns nicht darum, weil es so war, sondern weil es in einem gewissen Sinne noch ist.ERICH FRIED

Was macht Nürnberg aus? Nürnberg kann auf eine schriftlich dokumentierte Geschichte von fast tausend Jahren zurückblicken. Archäologische Funde belegen eine noch um ein paar Jahrtausende längere Existenz menschlicher Ansiedlungen. Seit dem Mittelalter hat sich Nürnberg stetig entwickelt, stieg auf zur Freien Reichsstadt, war eine beliebte Kaiserpfalz, europäische Metropole – »Quasi Centrum Europae«, meinte Regiomontanus –, erlebte einen bemerkenswerten Niedergang, wurde 1806 nicht freiwillig Teil des Königreichs Bayern, schwang sich mit der Industrialisierung nochmals zu neuer Größe auf, um im Jahrhundert nach kurzen demokratischen Jahren zu einer weltweit bekannten Symbolstadt des Nationalsozialismus zu verkommen. Und aus den Weltkriegstrümmern erwuchs wieder eine blühende Stadt, was sich 1945 niemand hätte vorstellen können.

Nürnbergs Vergangenheit ist geprägt von Erfolgen und Niederlagen, von Kontinuitäten und Brüchen, von Verbrechen und dem Eintreten für die Menschenrechte. Manche Linien ziehen sich durch viele Jahrhunderte. Die Stadt steht aber auch für mehr. »Nürnberg spiegelt nun einmal deutsche Geschichte in ihren Höheund Tiefpunkten«, stellte der Historiker Gerhard Pfeiffer im Dürerjahr 1971 fest. Das Nürnberg von heute ist auch das Ergebnis des Nürnbergs von gestern und vorgestern.

Manches vergangene Geschehen und Hinterlassenschaften wie die Reichsparteitagsbauten sind so berühmt (geworden), dass Nürnberg damit auch in Zukunft assoziiert wird – ob es die Bürgerinnen und Bürger wollen oder nicht. Bei aller Veränderung bleiben auch Konstanten, die für die Identität(sbildung) der Einwohner von Bedeutung sind.

Der Kölner Dom steht für Köln, das Ulmer Münster für Ulm und das Brandenburger Tor für Berlin. Nürnberg ist reich an solchen Erkennungsmerkmalen: Kaiserburg, Albrecht Dürer, Christkindlesmarkt, Bratwurst, Lebkuchen, der Club – und auch das Reichsparteitagsgelände, die »Nürnberger Prozesse« und die ganze NS-Vergangenheit mit all ihren Folgen. Die Stadt ist jedoch so vielfältig, dass sie sich nicht auf eines dieser Stichworte reduzieren ließe.

Vor allem drei geschichtliche Phasen prägen Nürnberg bis heute: die in der Dürerzeit an der Wende vom Spätmittelalter zur Renaissance kulminierenden erfolgreichen Zeiten von Aufstieg, Internationalität, Prosperität und stetem Bedeutungszuwachs; die Industrialisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts und – die NS-Zeit. Von all diesen Epochen künden in der Stadt viele Bauwerke. Heute strömen die Touristen in die Stadt wegen Kaiserburg, Henkersteg, Männleinlaufen – und wegen der beispiellosen NS-Bauten. Nürnbergs Rolle als führender Industriestandort Bayerns bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts haben weniger Menschen vor Augen. Vielleicht auch nicht einmal die Einheimischen.

Nürnberg ist in der Außenwahrnehmung noch immer bestimmt von seiner verklärenden romantischen Vergangenheit. Der Dichter Max von Schenkendorf (1783–1817) hat es so formuliert:

»Wenn einer Deutschland kennen / Und Deutschland lieben soll, / Wird man ihm Nürnberg nennen, / Der edlen Künste voll. / Dich, nimmer noch veraltet, / Du treue, fleißige Stadt, / Wo Dürers Kunst gewaltet / Und Sachs gesungen hat.«

Rund 200 Jahre später hat der Nürnberger Autor Klaus Schamberger seiner Heimatstadt ein Mundartgedicht mit der Überschrift »Närmberch an der Bengerz« gewidmet. Die erste Strophe lautet:

»Nix Halbs, nix Ganz / Nix Grouß, nix Glanns / Hald asuu zwischerdrin / zwischern Schuggerd und Nordosdring / Zwischer Kouhweiher, Kanal und Bengerz / Dou bumberd mei Lebkoungherz / Iich mecherd nercherds leem wäi dou / Iich bin hald a Bäiderlasbou.«

Dieses Buch zeichnet ein persönliches Bild der Stadt im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Bei allem Bemühen, das Wesentliche zu erfassen, ist die stoffliche Auswahl durchaus subjektiv. Was mir besonders wichtig erscheint, nimmt mehr Platz ein als andere Themen. Manche Inhalte tauchen in mehreren Kapiteln auf. Dieses Buch erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Der besseren Lesbarkeit wegen fehlen Fußnoten. Gleichwohl habe ich versucht, die Fachliteratur so gut wie möglich zu berücksichtigen. Medienberichte, schriftliche Dokumente, Gespräche mit Zeitzeugen, aber auch eigene Beobachtungen sind in meine Darstellung eingeflossen.

Nürnberg wird seit jeher intensiv erforscht. Es gibt zu vielen Themen sehr aufschlussreiche Aufsätze und Bücher. Wer sich genauer mit der Stadt beschäftigen will, findet im Literaturverzeichnis zahlreiche Hinweise. Ich danke allen akribischen Wissenschaftlern, Forschern, Journalisten, Heimatkundlern und anderen Neugierigen, deren veröffentlichte Erkenntnisse ich nutzen konnte.

Der Blick auf Geschichte und Gegenwart ist immer bestimmt von der eigenen Position, dem jeweiligen Zeitalter und dem Stand der Erkenntnisse. Als ein inzwischen einigermaßen gereiftes Kind dieser Stadt schaue ich auch mit einiger Anteilnahme und Sympathie auf »mein Nürnberg«.

Siegfried Zelnhefer

Sigena

Symbol der Freiheit

Am Anfang der verbrieften Geschichte der Stadt Nürnberg stand vielleicht so etwas wie Liebe. Wenn Liebe überhaupt eine Gefühlsempfindung war, die in diesen Zeiten eine Rolle spielte. Gerne würden wir von den handelnden Personen mehr wissen. Doch es gibt keine näheren Hinweise. Vielleicht ging es auch nur um einen formalen Akt oder um rechtliche Gewissheit. Auf jeden Fall ist mit einem besiegelten Dokument vom 16. Juli 1050 bezeugt, dass Kaiser Heinrich III. (1016/17–1056) in »Norenberc« (siehe Kapitel »Norenberc«) die Unfreie Sigena freigelassen hat. Damit erblickte erstmals der Stadtname Nürnberg das Licht der schriftlichen Welt. Deshalb ist die Sigena-Urkunde so bedeutsam.

Schon lange gilt der 16. Juli 1050 als »Stadtgründungstag«, was ein wenig irreführend ist. Denn gegründet wurde an diesem Tag nichts. Es konnte an einem namentlich benannten Ort ja nur etwas beurkundet werden, wenn es den Ort schon gab. Tatsächlich existierten schon einige Zeit zuvor eine Ansiedlung, eine Burg und zwei Königshöfe, in denen der Herrscher logierte, wenn er in Nürnberg Station machte. Wahrscheinlich hat Heinrich III. bei diesem Aufenthalt im Königshof südlich der Pegnitz bei der heutigen St. Jakobskirche residiert. Der andere Hof lag dort, wo seit 1718 die barocke St. Egidienkirche steht. Der König hatte keinen festen Sitz. Er war ständig unterwegs. Die Regierungsgeschäfte wurden auf Reisen und aus dem Sattel erledigt.

So machte Heinrich III. Mitte Juli 1050 auf dem Weg von Burgund nach Mitteldeutschland wieder einmal in Nürnberg

links Die überlebensgroße Figur steht vor dem Sigena-Gymnasium in Gibitzenhof. Leo Smigay hat die Statue 1958 geschaffen.

Station, um hier einen Hoftag, in diesem Fall eine Versammlung mit den bayerischen Fürsten, abzuhalten. Bei der Gelegenheit wurde auch ein Feldzug gegen die Ungarn beschlossen – eine schwerwiegende Entscheidung. So zeigt die Bedeutung der Zusammenkunft, dass Nürnberg schon Mitte des 11. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt haben muss.

Sigena – ein germanischer Name mit der Betonung auf der ersten Silbe – war eine Leibeigene des Adligen Richolf. Beider Herkunft ist ungewiss. Er war vermutlich ein nicht unbedeutender »Königsbeamter«, ein Königsgutsverwalter oder Burgkommandant, möglicherweise aus dem Raum Bamberg. Deshalb liegt es nahe, dass Heinrich III. gerne die Bitte seines »Mitarbeiters« um Freilassung erfüllt hat.

Leibeigene waren abhängig von ihrem Herrn, durften sich nicht vom Hof entfernen, wegziehen oder heiraten. Sie waren auch zu Abgaben, etwa Naturalien oder Geld, verpflichtet. Zum Zeichen, dass es diese Zinshörigkeit nicht mehr gab, schlug der König Sigena eine Münze aus der Hand. Der Schatzwurf (»manumissio«) war ein üblicher und jedem verständlicher bildhafter Akt.

Wie können wir uns die Leibeigenschaft von Sigena vorstellen? Unfreie Frauen erfüllten nach Gabriele Wood zahlreiche Aufgaben: »Sie brauten Bier, mahlten Getreide, backten Brot, versorgten das Vieh im Stall, sammelten Beeren, legten Gemüseund Kräutergärten an, ernteten Getreide und verarbeiteten Naturalien.« Dazu kamen die Herstellung von Kerzen, Seife, Tongefäßen und Textilarbeit. Sigena könnte auch in einer Webwerkstatt tätig gewesen sein. In der Urkunde wird sie als »serva« bezeichnet, was darauf hindeutet, dass sie keine »einfache« Leibeigene war. Möglicherweise hat sie wegen ihrer eigenen Verdienste selbst zu ihrer Befreiung beigetragen, vielleicht auch weil sie am Königshof schon eine gehobene Stellung innehatte.

Ihre Freilassung hatte bedeutsame Rechtsfolgen. In der Übersetzung der lateinischen Urkunde steht: »Wir haben sie ganz vom Joch der Hörigkeit gelöst, sodass die genannte Sigena von nun an das gleiche Recht und die gleiche Freiheit genießen soll, wie sie die übrigen von Königen und Kaisern freigelassenen Leibeigenen bisher genossen haben.« Das kam einer Nobilitierung gleich. Dabei waren in jener Zeit Freilassungen nicht selten. Die Nürnberger Urkunde war schon vorgefertigt wie ein Standardformular. Es wurde an einer Stelle nur der Name »Sigena« eingesetzt. Nun war Sigena rechtlich Richolf gleichgestellt. Vielleicht wollten die beiden heiraten und so sichergehen, dass ihre Kinder ebenfalls frei sein konnten. Vielleicht hatten sie schon gemeinsame Kinder, die sie legitimieren und ihnen die Unfreiheit ersparen wollten. Wir wissen es nicht. Auch nicht, was aus Sigena und Richolf geworden ist.

Für das 1958 gegründete Sigena-Gymnasium hat der polnische Künstler Leo Smigay (1900–1970), 1946 Gründer der noch heute existierenden Künstlergruppe

»Der Kreis«, eine vom Expressionismus beeinflusste überlebensgroße Statue aus Muschelkalk geschaffen. Die Figur ist gesichtslos, wirkt elegant und geheimnisvoll. Smigay »sah die Freigelassene als lang gewandete junge Frau, die, das Gesicht erhoben, in eine neue Zukunft schreitet.« Die Skulptur entstammt einem Steinblock, der für das Reichsparteitagsgelände vorgesehen war. Es sollte zeigen, »dass aus dem harten Stein der Diktatur weiche demokratische Linien entstehen können« (Gabriele Wood).

Dabei waren in jener Zeit Freilassungen nicht selten. Die Nürnberger Urkunde war schon vorgefertigt wie ein Standardformular.

In Ermangelung sicherer Quellen wurde Sigena immer wieder zur Projektionsfigur. Man muss nichts überinterpretieren. Fest steht: Am Anfang der schriftlich dokumentierten Geschichte Nürnbergs steht Sigena. Und schön ist der Gedanke schon, dass Nürnbergs erste urkundliche Erwähnung möglicherweise einer Liebesgeschichte zu verdanken ist. Sigena bleibt ein Symbol der Freiheit.

Norenberc

Woher der Stadtname kommt

Manches ist selbstverständlich. Namen zum Beispiel. Man heißt eben so, wie man heißt. Aber warum heißt Nürnberg Nürnberg? Sicher ist: In der Sigena-Urkunde vom 16. Juli 1050, der ersten schriftlichen Erwähnung Nürnbergs, ist von Norenberc die Rede. Später gibt es Varianten wie Norenberg (1061), Nuorenberc (1062), Nveremberc (1077), Nurnberg (1138), Nurinberch (1142), Norenberch (1155), Nuerenberc (1165) oder Nurnberc (1186). Im Mittelalter war sprachlich noch einiges im Fluss.

In den vergangenen Jahrhunderten kursierten zum Teil seltsame Ableitungen des Namens, etwa »Nur ein Berg«, »Neuromberg« oder »Nahrungsberg«. Originell ist auch die Rückführung auf den römischen Kaiser Nero, wonach Nürnberg seinen Ursprung in »Neroberg« habe. Dabei vergaßen die Erfinder dieser Theorie, dass der römische Einfluss am Limes bei Weißenburg endete und auch sonst nichts darauf hinweist, dass Nürnberg je etwas mit den alten Römern zu tun gehabt hätte. Ähnlich verhält es sich mit einer vermeintlichen Anlehnung an die römische Provinz »Noricum«, die überwiegend Teile des heutigen Österreichs umfasste.

Seriöse Forscher haben zwei sehr wahrscheinliche Erklärungsmuster für die Namensgebung gefunden. Nach der einen Version hat die Burg ein Mann namens »Noro« gegründet. Diese These haben über Jahrzehnte mehrere Wissenschaftler zu bekräftigen versucht. Ein bei Aalen gefundener Halsring eines Germanen aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. mit der Runenschrift des Namens des Trägers »Noru« sollte sie stützen. Doch eine schriftliche Quelle dafür gibt es nicht. Die zweite Version leitet den Stadtnamen vom alten Wort »nuor« oder »nor« für Fels ab. Die Adjektive »nuorin« oder »norin« bedeuten »felsig«. »Norenberc« meint also nichts anderes als »Felsberg«. Dieser Deutung kann man sich nicht verschließen.

links Der Stadtname ist an vielen Straßen zu sehen, manchmal auch in Kombination mit dem kleinen Stadtwappen.

Der Nürnberger Sprachforscher und Historiker Herbert Maas hat das einmal sehr anschaulich so zusammengefasst: »So kann man an den drei Stufen der Entstehung des Namens ganz deutlich die Entstehung der Stadt verfolgen: 1. der Norenberc: ein unbesiedelter, aus der eintönigen Gegend ragender Fels. 2 Nürnberg: der Name der auf diesem Berg erbauten Burg. 3. Nürnberg: der Name der zu Füßen und im Schutz der Verteidigungsanlage wachsenden Siedlung.«

Bleibt noch der gebräuchliche Name »Noris«, gern auch »alte Noris« genannt. Dabei schwingen Assoziationen an irgendeine »gute alte Zeit« mit, wann immer die gewesen sein möge. Dutzende von Firmen in der Stadt haben sich diesen Begriff für ihr Unternehmen zu eigen gemacht. Das Synonym für den Stadtnamen Nürnberg hat aber nichts mit den Norikern zu tun. Vielmehr ist es einer Mode des 16. Jahrhunderts geschuldet, als vieles latinisiert wurde. Helius Eobanus Hessus, ein Dichter jener Zeit, bezeichnete Nürnberg als »noris amoena« (liebliche Noris). Auch in lateinischen Urkunden wurde Nürnberg als »Noricum« oder »Norimberg« benannt. Und von da ist es nicht mehr weit zur heutigen Bezeichnung in romanischen Ländern. Italiener beispielsweise besuchen nicht den Christkindlesmarkt in Nürnberg (mit dem seltsamen Umlaut »ü«), sondern freuen sich einfach auf »Norimberga«.

Auch in lateinischen Urkunden wurde Nürnberg als »Noricum« oder »Norimberg« benannt. Und von da ist es nicht mehr weit zur heutigen Bezeichnung in romanischen Ländern.

Den meisten Einheimischen dürften diese sprachlichen Betrachtungen ziemlich egal sein. Wer in Nürnberg aufgewachsen und mit der ortsüblichen Mundart vertraut ist, ist eh Nürnberg zu Hause, sondern in »Närmberch« (so schreibt es der Nürnberger Autor Klaus Schamberger). Das ist nahe dran am quasi hochdeutschen Namen. Aus »Nürn« wird »Närm«. Doch auch im Dialekt ist der Name zu Varianten fähig. Der fränkische Erfolgsschriftsteller Fitzgerald Kusz (Schweig, Bub!) zum Beispiel verzichtet auf das »r« und spricht von »Nämberch«.

Sandstein

Geschenk der Erdgeschichte

Wo auch immer man sich in Nürnberg bewegt, zumal im Zentrum, sticht er einem ins Auge: der Sandstein. Nürnberg ist auf und mit Sandstein gebaut. Die Kaiserburg steht auf Sandstein. Zu ihren Füßen schimmert er in all seinen roten und braunen Schattierungen. Hier haben Geologen dieses markante Gestein auch erstmals wissenschaftlich untersucht und der so genannten Typlokalität deshalb den Namen »Burgsandstein« gegeben. Er kommt aber auch in anderen Teilen Frankens vor.

Die Festungsanlage, die Stadtmauer, die Frauenkirche, St. Sebald und St. Lorenz, stolze Bürgerhäuser wie das Pellerhaus, das Unschlitthaus oder die Mauthalle, unzählige private Anwesen und Wohnhäuser, Brücken, Mauern, Einfriedungen bis zu den Grabmalen auf dem St. Johannisoder Rochusfriedhof – es gibt wenige Städte in Deutschland, die so sehr vom einheimischen Gestein geprägt sind wie Nürnberg. Alle historischen und baugeschichtlichen Epochen von der Romanik und Gotik über die Renaissance, das Barockzeitalter (vor allem noch an St. Egidien abzulesen), die klassizistische Phase und die Gründerzeit bis in die Gegenwart spiegeln sich in diesem Baumaterial.

Nur große öffentliche und kirchliche Gebäude waren schon im Hochmittelalter in Steinbauweise entstanden. Auch patrizische Häuser dürften oft schon durchgehend mit Stein gebaut worden sein. Bescheidenere Gebäude errichtete man mit Fachwerk. Die Rohstoffe fand man lange im großen Reichswald und in den nahen Steinbrüchen. Das einfache Bürgerhaus verfügte meist über ein steinernes Erdgeschoss, die Etagen darüber waren in Fachwerkbauweise errichtet. Das Holz als Baumaterial verschwand jedoch immer mehr. Im 16. Jahrhundert verbot der Rat den Neubau von Fachwerkhäusern und bestimmte, dass nur noch Steinbauten errichtet werden durften. Allein das letzte Geschoss durfte Fachwerk aufweisen. Einerseits spielte der Brandschutz eine Rolle, andererseits geriet auch das Holz zur Mangelware, weil der Verbrauch enorm und die nachhaltige Forstwirtschaft noch nicht erfunden war. Seit 1622 musste »zu Verschonung des Walds und Abwendung Feuersgefahr« jedes neue Haus komplett aus Stein gebaut werden.

links Die verschiedenen Farbschattierungen des heimischen Sandsteins sind besonders gut unterhalb der Burgfreiung zu erkennen.

Der Stein legt in seiner optischen Vielfalt Zeugnis ab von der Stadt und ihrer Geschichte. Selten ist er monochrom. Er changiert, lässt auf engstem Raum verschiedene Farbnuancen zu. Heute strahlt er nach Jahrhunderten an der Oberfläche längst nicht immer in den prächtigsten Farben. Die Spuren der Zeit sind allerorten zu erkennen. Da und dort überzieht grünes Moos die Burgbastion. Viele Mauern und Fassaden sind grau bis schwarz: das Ergebnis jahrzehntelanger Umweltverschmutzung, vornehmlich ausgelöst durch den Autoverkehr, aber auch durch Qualm, Ruß und Abgase zahlreicher Kohleöfen, die lange Zeit in vielen Haushalten standen.

Das Schreyer-Landauer’sche Epitaph am Ostchor von St. Sebald, einst geschaffen von Bildhauer Adam Kraft (1455/60– 1509), ist das traurigste Beispiel der Beschädigung bis hin zur Zerstörung des Sandsteins. Das Relief stellt drei Szenen der Passion Christi dar. Hier leidet aber auch das Material. Über den Figuren liegt schon lange eine dunkle Patina. Jahrzehntelang war die Straße zwischen Rathaus und Sebalduskirche eine wichtige Ost-West-Verkehrsachse. Tausende von Fahrzeugen passierten sie tagtäglich – bis sie in eine Fußgängerzone verwandelt wurde. Zum Umdenken mag auch das traurige Antlitz historischer Fassaden beigetragen haben.

Entstanden ist der Burgsandstein im Erdmittelalter – vor rund 215 Millionen Jahren zur Zeit des Mittleren Keupers im Trias. Es handelt sich um ein Sedimentgestein mit mindestens 50 Prozent Sandkörnern, die aus Mineralien, meistens aus Quarz, bestehen. Er ist mittelbis grobkörnig. Eingelagertes Eisenoxid sorgt für die typische rotbraune Färbung. Ein erhöhter Quarzanteil macht den Stein besonders widerstandsfähig und witterungsbeständig.

Auf den Anhöhen rund um das Nürnberger Becken entdeckten die Menschen unter ihren Füßen das praktische Baumaterial. Schon im Mittelalter gab es in Nürnberg rund 30 Steinbrüche. Der Worzeldorfer Steinbruch im Süden der Stadt ist inzwischen der letzte seiner Art nicht nur in Nürnberg, sondern in ganz Mittelfranken. Die dort gebrochenen Steine tragen heute etwa zur Erneuerung schadhafter Stellen in der Nürnberger Stadtmauer bei. Sie boten auch den notwendigen Baustoff für die Rekonstruktion des Innenhofs des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Pellerhauses, die die Altstadtfreunde in eigener Regie – und finanziert mit Millionenspenden – zwischen 2008 und 2018 erfolgreich betrieben. Manche aufgelassenen Steinbrüche sind als Naturdenkmal erhalten wie zum Beispiel der Hohlsteiner Steinbruch, ebenfalls in Worzeldorf gelegen. Dieser Ort ist heute in Nürnberg der letzte Lebensraum der Gelbbauchunke.

Auf den Anhöhen rund um das Nürnberger Becken entdeckten die Menschen unter ihren Füßen das praktische Baumaterial.

Sandstein gehört zu Nürnberg. Der Berliner ArchitektVolker Staab hat dies erkannt und das heimische Naturmaterial im Neuen Museum respektvoll integriert. In den Sebalder Höfen am Laufertorgraben schuf er die längste neue Sandsteinfassade seit vielen Jahrzehnten – auch als Reminiszenz an die hier fehlende Stadtmauer. Da zur Bauzeit der Sebalder Höfe Burgsandstein nicht verfügbar war, kam hier der Rote Schweinstaler Sandstein (aus Rheinland-Pfalz) zum Einsatz. Sandstein ist ein Geschenk der Natur. Ein Geschenk der Erdgeschichte. Der spezifische Nürnberger Burgsandstein strahlt eine Wärme aus, der man tagtäglich begegnet.

Bratwurst

Kultprodukt seit 700 Jahren

Die Nürnberger Bratwurst, auch Nürnberger Rostbratwurst genannt, gehört zu dieser Stadt wie nur ganz wenige andere Produkte. Die Bratwurst ist omnipräsent. Beim Metzger, in einschlägigen Wirtshäusern, am Imbissstand, bei jeder Kirchweih und jedem Grillabend. Die Bratwurst gehört zu jedem Fest. Die Bratwurst ist Kult. Seit mehr als 700 Jahren.

Und sie ist eine kulinarische Botschafterin der Stadt welt-weit. Denn sie wird in nahezu alle Länder Europas, nach Asien und in die USA exportiert. Viele handwerkliche Metzgereien, aber auch vier große industrielle Betriebe produzieren Nürnberger Bratwürste. Pro Jahr werden rund 1,5 Milliarden Bratwürste hergestellt. Am 15. Juli 2003 hat die Nürnberger Bratwurst in Europa das Gütesiegel einer »geschützten geografischen Angabe« (g. g. A.) erhalten. Mit dem Eintrag in das EU-Qualitätsregister steht sie beispielsweise auf einer Stufe mit dem italienischen Parmaschinken oder dem Grana Padano – oder dem Nürnberger Lebkuchen.

Eine Nürnberger Bratwurst darf nur so genannt werden, wenn der Metzger sie im Stadtgebiet herstellt und sich dabei auch an eine vorgeschriebene Rezeptur hält. Das Ausgangs-material sind grob entfettetes Schweinefleisch, Salz und Pfeffer. Ganz typisch ist die Majoran-Würzung. Manche Metzger geben auch noch eine Prise Piment, Macisblüte oder Zitronenabrieb hinzu. Die Nürnberger Bratwurst ist mittelgrob gekörnt. Sie wird im engen Schafsaitling auf sieben bis neun Zentimeter abgedreht. Im rohen Zustand wiegt ein Exemplar 20 bis 25 Gramm.

links Frisch vom Grill – so schmeckt die Nürnberger Rostbratwurst vielen Menschen am besten.

Damit ist sie die kleinste aller Bratwürste. Ein Alleinstellungs-merkmal.

Das Prinzip der Bratwurstherstellung ist seit rund 7000 Jahren zeichnerisch bezeugt. Schon in der Odyssee wird beschrieben, wie ein Ziegenmagen mit Fleisch und Blut gefüllt und anschließend gegrillt wird. In Nürnberg findet die Bratwurst erstmals 1313 schriftliche Erwähnung. Zu jener Zeit achtete die Obrigkeit auch schon auf Qualität. Metzger und Bierbrauer waren für die Grundversorgung der Stadtgesellschaft mitverantwortlich. Es ging auch um das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung. Man stellte deshalb klare Regeln auf, was in die Pelle durfte. Vor allem kein minderwertiges Fleisch oder gar Abfälle. Stattdessen heißt es in der vom Rat erlassenen Satzung:

Vor 500 Jahren war die Nürnberger Bratwurst also etwa so groß und schwer wie eine fränkische Bratwurst unserer Tage.

»Alles Schweinelenden-Prät soll man in die Würste hacken.« Es handelte sich also um bestes Schweinefleisch, das in die Bratwurst wanderte. Nur spezialisierte Schweinemetzger durften die Nürnberger Bratwurst herstellen, und sie mussten ihre Produkte täglich den geschworenen, also vereidigten Metzgern und Marktmeistern vorlegen. Sie kontrollierten sie hinsichtlich der Rezeptur, Struktur, Fleischzusam-mensetzung und des Wassergehalts.

1497 legte eine Metzgersatzung Größe, Art der Füllung und Preis fest. Aus einem Nürnberger Pfund (etwa 560 Gramm) waren danach für Garküchen fünf Würste, für Privatleute aus der gleichen Menge vier Würste herzustellen. Vor 500 Jahren war die Nürnberger Bratwurst also etwa so groß und schwer wie eine fränkische Bratwurst unserer Tage. Nach einer Legende soll die Nürnberger Bratwurst irgendwann so klein geworden sein, wie sie heute ist, damit sie auch nach der Sperrstunde durch das Schlüsselloch des Wirtshauses gereicht werden konnte. Tatsächlich gab es in Notzeiten schon kleinere Exemplare der Bratwurst.

Nachhaltig klein geworden ist die Nürnberger Bratwurst schließlich im 19. Jahrhundert. Sehr wahrscheinlich steckte eine geschickte Marketingaktion der Metzger und Gastwirte dahinter. Zum einen ließen sich im Wirtshaus vier Bratwürste à 25 Gramm teurer verkaufen als eine Wurst à 100 Gramm. Zum anderen zeigte sich auch, dass der originelle Winzling sich von allen anderen bratwurstigen Wettbewerbern deutlich abhob. 1817 schrieb Johann Wolfgang von Goethe an einen Bekannten in Nürnberg: »Vielleicht senden Sie mir, während der kalten Jahreszeit, ein Kästchen mit Nürnberger kleinen Bratwürsten, die wir lange entbehrten.« Nürnberger Bratwürste wurden zur Marke. Der im 19. Jahrhundert beginnende Tourismus half mit, die »Nürnberger« immer bekannter zu machen. Für Nürnberg-Reisende gehörte es zur Pflicht, in einem der zahlreichen Bratwurstlokale – allen voran das ikonenhafte »Bratwurstglöcklein« (im Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich vernichtet) – einzukehren.

Seit gut drei Jahrzehnten haben Nürnberger Bratwürste auch im Bewusstsein der Bürger eine deutliche Aufwertung erfahren. Maßgeblich daran mitgewirkt hat der langjährige oberste Jurist der Stadt Hartmut Frommer (1941–2022). Er war der Motor und erste Vorsitzende des 1989 gegründeten Schutzverbands Nürnberger Bratwürste, in dem alle Bratwursthersteller Nürnbergs Mitglied sind. Der Verband bemühte sich erfolgreich um das g.-g.-A.-Label der Europäischen Union. Der Verein prüft die geografische Herkunft, achtet auf Qualität, kümmert sich um den Ausbau der Marke. Seit 2021 betreibt er am Trödelmarkt das Nürnberger Bratwurstmuseum. Noch Ende des 20. Jahrhunderts hatte Nürnberg versucht, sich von seinem angeblich nega tiven »Bratwurstimage« zu befreien. Davon kann keine Rede mehr sein. Was kann einer Stadt Besseres widerfahren, als über einen solchen unverwechselbaren kulinarischen Botschafter zu verfügen?

Gegrillte Nürnberger Bratwürste sind ein einfaches, aber wohlschmeckendes Gericht. Ihre traditionellen Beilagen wie Kartoffelsalat, Sauerkraut, Laugenbreze, Schwarzbrot, Senf und Meerrettich sind es nicht minder. Alles passt zum bodenständigen Nürnberg. Und wenn die Qualität stimmt, ist der Hochgenuss perfekt. Die Bratwurst kennt auch keine Standesoder Alters-grenzen. »Drei im Weggla« (Drei Bratwürste im Brötchen) – die gängige Darreichungsform am Imbissstand – schmeckt allen. In Zeiten des allzeit verfügbaren Fastfoods mit Burger, Falafel, Döner, Pizza und anderem behauptet sich die Bratwurst selbstbewusst und tapfer. Sie ist nicht nur typisch für Nürnberg, sondern auch etwas Verlässliches. Die Nürnberger Bratwurst stellt auch so etwas wie ein Stück Heimat dar. Sie ist eine kulinarische Botschafterin erster Güte, um die nach wie vor auch kein Tourist herumkommt.

Als klassische Begleitung zum Bratwurstgericht werden seit Jahrhunderten Wein und Bier gereicht. Bis zum Dreißigjährigen Krieg wurde in Nürnberg wie auch in ganz Süddeutschland mehr Wein als Bier getrunken. Beide Getränke waren vor allem Grundnahrungsund erst in zweiter Linie Genussmittel. Der Wein stammte aus den Regionen am Main, vom Neckar oder vom Rhein, aber im 14./15. Jahrhundert auch aus sonnigen Hanglagen westlich der Altstadt. Der Hauptumschlagplatz war der noch heute so genannte Weinmarkt.

Im Satzungsbuch 1302–10 wird in Nürnberg erstmals Bier erwähnt. Festgeschrieben wurde unter anderem, dass ausschließlich mit Gerste zu brauen sei. Typisch war ein untergäriges Rotbier. Dabei handelte es sich in der Regel um ein dünnes, weniger alkoholstarkes Bier. Viele Brunnen im Stadtgebiet erleichterten das Bierbrauen – ebenso wie die kühlen Felsenkeller im Burgberg, die bestens zum Gären und Lagern geeignet waren, sowie die nahen Hopfenanbaugebiete um Spalt (nachgewiesen seit 1376) oder Hersbruck, das seit dem 18. Jahrhundert zunehmende Bedeutung errang. 1579 existierten in Nürnberg – innerhalb des heutigen Altstadtrings – 42 Brauereien. Die Zahl verringerte sich in den nachfolgenden Jahrhunderten stetig. 1806 waren es noch 34. In der Industrialisierung nahm die Konzentration auf wenige Großunternehmen zu, die die handwerklichen Betriebe verdrängten. Nürnberg exportierte 1880 173 000 Hektoliter und stand damit an der Spitze in Bayern. Der Konzentrationsprozess ging weiter. 1925 gab es noch fünf Brauereien. 1994 fusionierten die beiden letzten Brauereien »Tucher« und »Patrizier«, in der auch ehemalige Fürther Brauereien aufgegangen waren. Seit 2008 produziert Tucher auf einem neuen Betriebsgelände mit einem Sudhaus, das sowohl auf Nürnberger als auch Fürther Stadtgebiet steht. Die Tucher Bräu ist indes längst nicht mehr selbstständig. Sie gehört zur Radeberger Gruppe im Oetker-Konzern. Gleichwohl hat sich das Traditions-unternehmen wieder auf die Pflege alter Marken besonnen.

Die großen Hopfenanbaugebiete rund um Nürnberg und die verkehrs-günstige Lage trugen mit dazu bei, dass Nürnberg Ende des 19. Jahrhun-derts zum Welthandelszentrum für Hopfen aufstieg. Mehr als 400 Firmen beschäftigten sich zeitweise mit dem Verkauf und Vertrieb von Hopfen. Viele Unternehmen lagen in jüdischer Hand und trugen so zum Prosperieren und Renom-mee der Stadt bei. Nach dem Zusammenbruch des Weltmarkts mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 konnte Nürnberg diese Stellung allerdings nicht mehr halten.

Nürnberg wird wieder Rotbierstadt. Das hat sogar Tucher zu einer Neuauflage des Nürnberger Ursprungsbiers animiert.

Die 1984 am historischen Standort des ehemaligen Roten Brauhauses in der Bergstaße gegründete Hausbrauerei Altstadthof hat sich seither dem handwerklichen Brauen verschrieben. Die Brauerei Schanzenbräu ist ein anderes Beispiel des lokalen Bier-Revivals. Nürnberg wird wieder Rotbierstadt. Das hat sogar Tucher zu einer Neuauflage des Nürnberger Ursprungsbiers animiert.

In der weltweiten Bedeutung sind die Nürnberger Bratwürste dem heimischen Bier weit voraus. Doch beide lokalen Genussprodukte bleiben eng miteinander und mit Nürnberg verbunden.

Lebkuchen

Beliebt nicht nur zur Weihnachtszeit

Mit der Bratwurst verfügt Nürnberg schon über eine exzellente kulinarische Botschafterin. Sie ist aber nicht allein. Auch Nürnberger Lebkuchen sind weithin bekannt, sogar berühmt, eine Marke, ein von nicht wenigen hochgeschätztes Gebäck, vornehmlich in der Weihnachtszeit. Vorformen von gebackenem Honigkuchen wurden schon vor 3500 Jahren in Ägypten gegessen. Im Mittelalter waren in deutschen Landen die Klöster auf die Herstellung spezialisiert. Sie setzten den Teig auf Oblaten, damit er nicht auf dem Backblech festklebte. Zunächst diente das Gebäck der Eigenversorgung. Die nahrhafte Kost war glück-licherweise auch in Fastenzeiten erlaubt. Zudem war sie wegen des hohen Zuckeranteils haltbar. Pilger nahmen sie deshalb auch gerne als Proviant mit.

Später zog die Lebkuchenherstellung zunehmend auch in die Städte ein. Nürnberg war dafür aus zwei Gründen prädestiniert. Zum einen bot das ausgeprägte Zeidelwesen im Reichswald – »des Deutschen Reiches Bienengarten« – die Voraussetzung für die Gewinnung von notwendigem Honig: ein Standortvorteil. Zum anderen sorgten die internationalen Handelsbeziehungen dafür, dass exotische Gewürze aus dem Orient zur Verfügung standen. Neben heimischen Nüssen verliehen auch Anis, Kardamom, Ingwer, Muskatblüte, Piment, Koriander, Nelken, fremdländische Mandeln und vor allem Zimt dem Nürnberger Lebkuchen seine gewisse Note. Die günstige Verkehrslage Nürnbergs ermöglichte zudem den Export.

links In handwerklichen Bäckereien wird jeder einzelne Lebkuchen mit viel Sorgfalt hergestellt.

Woher das Wort Lebkuchen kommt, ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt Ableitungen vom mittellateinischen libum (»Fladen«) und vom mittelhochdeutschen leip (»ungesäuertes Brot«), woraus sich der neuhochdeutsche »Laib« entwickelte. Andernorts heißen ähnliche Gebäcke Pfefferkuchen, Gewürzkuchen, Magenbrot oder Printen, englisch auch gingerbread (»Ingwerbrot«). Pfeffer war der Sammelbegriff für alle möglichen Gewürze. Belegt ist das Gebäck in Nürnberg schon im 13. Jahrhundert. Im Jahr 1395 taucht der Beruf des Lebküchners erstmals schriftlich auf. Schon 1487 erlangten die Nürnberger Lebkuchen eine besondere Berühmtheit. Kaiser Friedrich III. (1415–1493) ließ anlässlich des Reichstags an Kinder kleine Lebkuchen mit seinem Porträt verschenken, genannt Kaiserlein.

Lange Zeit war die Lebkuchenherstellung eine »Freie Kunst«. Jeder konnte sie ausführen. Oft hatten sich Bäcker spezialisiert. Doch die Lebküchner wollten als eigenes Handwerk anerkannt werden. Dagegen waren allerdings die übrigen Bäcker. Im Dreißigjährigen Krieg brach der Export zusammen. Am 17. April 1643 erließ der Rat eine Lebküchnerordnung, die die Lebkuchenherstellung in den Rang eines eigenen »Geschworenen Handwerks« erhob.

Neben den Lebküchnern gab es auch die Zuckerbäcker – eine solide Ausgangsposition für immer wieder auflebenden Streit. Durften die Lebküchner mit Zucker die Lebkuchen glasieren, auch wenn es ihnen nur erlaubt war, mit Sirup und Honig zu arbeiten? Die Zuckerbäcker sahen das anders. Sie wollten den Lebküchnern die Herstellung weißer Lebkuchen verbieten. 1808 entstand daraus sogar ein »Lebkuchenkrieg«. Schließlich entschied der erste bayerische König Maximilian I. (1756–1825) Anfang des 19. Jahrhunderts zugunsten der Lebküchner, die fortan Lebkuchen mit Schokoladen- und Zuckerguss herstellen durften. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1867 hatte sich der Kon-kurrenzstreit endgültig erledigt.

Längst hatte der Wettbewerb aber auch schon andere Formen angenommen. Die Dampfmaschine ermöglichte eine neue Massenproduktion. Es entstand eine Lebkuchenindustrie. Heinrich Häberlein begann als Erster. Die Firmen Metzger, Richter, Anker, später Wolff, Kißkalt oder Seim folgten. Georg Goess warb als »Älteste Lebküchnerei Nürnbergs« für sich, urkundlich bestehend seit 1610. Gottfried Wicklein rühmte sich eben-falls, die älteste Lebküchnerei zu betreiben, zurückzuführen auf das Jahr 1615 – dank der Vorfahren seiner Frau.

1926 versandte Ernst Otto Schmidt (1892–1961) erstmals Lebkuchen aus Nürnberg weltweit. Ein einfaches, aber innovatives Vertriebskonzept, bei dem der Zufall Regie führte. Schmidts Bruder überließ ihm einem Güterwaggon voller Lebkuchen, die er von einem Kunden in Zahlung genommen hatte. Schmidt versandte die süße Ware in alle Welt. Später kaufte er Lebkuchen bei lokalen Bäckern ein. Bald entschloss er sich – zunächst in einer kleinen Backstube – zur eigenen Produktion. 1933 hatte das Unternehmen bereits rund hundert Mitarbeiter. 1938 enteigneten die Nationalsozialisten Schmidt. Den Zweiten Welt-krieg überstand die Firma nicht. 1948 konnte Schmidt mit dem Neuaufbau seines Betriebs beginnen. Die Brüder Martin und Rudolf Burkhardt traten in die Firma ein. Zwischen den dreien muss ein besonderes Verhältnis bestanden haben, denn 1960 adoptierte Schmidt die Geschwister. Nach seinem Tod ein Jahr später führten die Adoptivsöhne den Familienbetrieb weiter, doch Rudolf (1980) und Martin (1983) starben relativ früh. Ab 1983 leitete Rudolfs Witwe, die Grundschullehrerin Henriette Schmidt-Burkhardt, das Unternehmen. Die zupackende Geschäftsfrau machte in den nachfolgenden drei Jahrzehnten aus Lebkuchen-Schmidt nach Angaben des Unternehmens »den erfolgreichsten Lebkuchen-Versandhändler der Welt«. Seit der Übernahme der Traditionslebküchnerei Wicklein 1988 wird auch der Einzelhandel beliefert. Nach dem Tod der Patriarchin 2014 wurde das Unternehmen in eine gemeinnützige Stiftung überführt.

Ab 1983 leitete Rudolfs Witwe, die Grundschullehrerin Henriette Schmidt-Burkhardt, das Unternehmen.

Ab 1957 erweiterte der »Eiskönig« Theo Schöller (1917– 2004) sein Warenangebot auch um die winterliche Saisonware Lebkuchen. Erst erwarb er eine Fürther Lebkuchenfirma, 1976 kam die Nürnberger Firma Haeberlein & Metzger dazu. Auch andere Firmen wie Seim oder ein Aachener Printen-Hersteller gehörten zum Schöller-Lebkuchenimperium. Ende der 1980er-Jahre verkaufte Schöller schon 49 Prozent seiner Anteile an die Südzucker AG, 1998 wurde die Backwarensparte aufgegeben, 2002 erwarb der Nestlé-Konzern den Rest des Schöller-Konzerns. Das letzte Eiswerk in der Nürnberger Nordstadt wurde 2017/18 geschlossen. Lebkuchen aus dem Hause Schöller gibt es schon lange nicht mehr.

Je nach Anteil der verschiedenen Zutaten wie Nüssen, Mandeln, Mehl oder Glasur werden Lebkuchen in verschiedene Sorten unterteilt. »Feinste Elisen-Lebkuchen« – angeblich benannt nach der Tochter eines Lebküchners – gelten als am hochwertigsten. Sie müssen mindestens 25 Prozent Nüsse oder Mandeln, dürfen aber nur maximal zehn Prozent Getreidemehl enthalten. So ist es auch im Deutschen Lebensmittelbuch festgeschrieben. Manche Lebküchner verzichten aber auch komplett auf Mehl. »Nusslebkuchen« bestehen zu mindestens 20 Prozent der Teigmasse aus Nüssen (Walnüsse, Haselnüsse, aber auch Mandeln) und dürfen ebenfalls nur höchstens zehn Prozent Mehl enthalten. Für »Feine Oblatenlebkuchen« reichen mindestens 12,5 Prozent Nussanteil. Beim Mehl gibt es keine Begrenzung. »Oblatenlebkuchen« kommen mit sieben Prozent Ölsamen aus, von denen die Hälfte Nüsse oder Mandeln sein müssen.

Nürnberg hat eine lange Lebkuchen-Tradition. Das süße Gebäck bleibt ein sympathisches (und kalorienreiches) Aushängeschild.

So viel Qualität hat auch Konsequenzen für das Produkt. Seit 1. Juli 1996 verfügt der Nürnberger Lebkuchen über das europaweite g.-g.-A.-Siegel. Nur Lebkuchen, die in Nürnberg hergestellt werden und den Qualitätskriterien genügen, dürfen auch Nürnberger Lebkuchen genannt werden. Es gab aber schon einen Vorläuferschutz im Jahr 1927.

Nürnberg hat eine lange Lebkuchen-Tradition. Das süße Gebäck bleibt ein sympathisches (und kalorienreiches) Aushängeschild. Es strahlt Wärme aus und ist positiv besetzt. Auch wenn es sich um ein saisonales Gebäck handelt, gehört es unverzichtbar zu Nürnberg. Es wird das ganze Jahr produziert, wenn auch nur in kleineren Mengen als in der Vorweihnachtszeit. Dann verlassen beispielsweise bei Lebkuchen-Schmidt im Drei-Schicht-Betrieb täglich rund drei Millionen Lebkuchen die Backstraße. Dabei bestehen manche alte Herstellernamen nur noch als Marken. Haeberlein-Metzger, Seim, Wolff und Weiss etwa gehören längst zur Aachener Lambertz-Gruppe. Aber es wird zum Teil weiter in Nürnberg produziert. Doch neben E. Otto Schmidt mit seinen Produkten führen viele Bäcker und handwerkliche Betriebe die reiche Tradition fort. Firmen wie Düll, Fraunholz, Eckstein, Mirus oder Woitinek haben heute ihren eigenen Klang – und viele Fans.

Mundart

»Der allerschönste Dialekt«

Franken gliedert sich in verschiedene Dialektgebiete, Nürnberg wird dem oberostfränkischen Sprachraum zugeordnet. Darunter gibt es weitere Differenzierungen, selbst zwischen den Nachbarstädten Nürnberg und Fürth. Mädchen heißen in Nürnberg Maadla, in Fürth Maadli. So hat wahrscheinlich der eine Nürnberger Dialekt nie existiert. Und wenn es ihn gab, dann hat er sich wie jede Sprache stetig verändert. Inzwischen hört man ihn immer weniger in der Fußgängerzone oder beim Einkauf. Ob er einmal verschwindet? Dabei bietet jede Mundart – die Nürnberger besonders – eine ungeheure Vielfalt des Ausdrucks, die jeder Standardoder Hochsprache überlegen ist.

Der Nürnberger Gymnasiallehrer, Sprachwissenschaftler, Autor und Dialektforscher Herbert Maas (1928–2014) hat die Nürnberger Mundart als »Stiefkind unter den deutschen Stadtdialekten« bezeichnet. Er führte das unter anderem darauf zurück, dass Nürnberg nie Mittelpunkt eines Landes gewesen war und große Dichter fehlten, die diese Sprache bekannt gemacht hätten, so wie etwa Ludwig Thoma das Bairische, Gerhart Hauptmann das Schlesische oder Johann Nestroy das Wienerische. Auch der Klang der Nürnberger Mundart sei nicht allzu ansprechend. Manche sagen sogar, der Nürnberger Dialekt sei ordinär.

Manchmal schämen sich Nürnberger ihres Dialekts. Das kann auch für ein fehlendes Selbstbewusstsein sprechen. Dazu passt die Neigung zur Verkleinerung oder Verniedlichung. Das Christkind ist das Christkindla (Christkindlein), ein Schnapsglas heißt Schdamberla und ein eher schwächlicher, nicht so heller Mensch ist ein Männla. In jüngster Zeit wird sogar die beliebte Begrüßungsund Abschiedsformel Servus zum Servusla.

links Herausragende Vertreter der Nürnberger Mundart: Klaus Schamberger (links) und Fitzgerald Kusz.

Im Nürnbergerischen und anderen fränkischen Dialekten gibt es in der Aussprache der Konsonanten »p« und »b« oder

»t« und »d« keinen Unterschied. Sie werden alle weich gesprochen, etwa besonders schön in der bereits im Jahr 1800 mit der Sprichwörtersammlung des reichsstädtischen Beamten Benedict Wilhelm Zahn (1738–1819) festgehaltenen Redewendung Bäiderla af alle Subbm (Petersilie auf jeder Suppe). Das Sprachbild bezeichnet einen Menschen, der überall dabei ist und sich selbst recht wichtig nimmt.

Man erkennt den Nürnberger Mundartsprecher manchmal leicht daran, wenn er versucht, sich hochdeutsch zu artikulieren. Dann kann es passieren, dass er im Bemühen, sich besonders korrekt zu verhalten, ein wenig übertreibt und selbst weich auszusprechende Konsonanten hart betont. Was auch ein sublimer Versuch sein kann, Sympathie zu erwecken.

Über Jahrhunderte fand die Nürnberger Mundart keinen schriftlichen Niederschlag. Selbst der bekannte Schuhmacher und Poet Hans Sachs (1495–1576) – ein paar Jahrhunderte später Hauptfigur in Richard Wagners Werk Die Meistersinger von Nürnberg – bemühte sich trotz mancher Dialekt-ausdrücke nicht, nürnbergerisch zu schreiben. Es änderte sich erst mit dem frühen, bedeutenden Mundartdichter Konrad (eigentlich: Johann Conrad) Grübel (1736–1809). In seinen lustigen Gedichten beschrieb der Flaschnermeister volksnah seine Mitmenschen. Zahlreiche Handwerksmeister folgten seinem reimenden Beispiel.

In den vergangenen zwei Jahrhunderten erlebte die Nürnberger Dialektliteratur einige Aufs und Abs. Oft prägten sie Hobbydichter.

In den vergangenen zwei Jahrhunderten erlebte die Nürnberger Dialektliteratur einige Aufs und Abs. Oft prägten sie Hobbydichter. Es ging um Alltagsbeobachtungen, Befindlichkeiten und um die Pflege des lokalen Egos. Manche Texte blieben an der Oberfläche oder verloren sich ins Heiter-Belanglose. Einige Autoren nutzten aber auch immer die Kraft der Mundart zur Gesellschaftskritik. In den 1960er-Jahren standen sich Traditionalisten, vor allem Vertreter des Collegiums Nürnberger Mundartdichtung, und eine neue Generation von Autoren gegenüber, die in ihren Gedichten auch auf Reime verzichteten – in der hiesigen Mundartdichtung eine ungeheure Neuerung. Heute mag es keinen Gegensatz mehr geben, oder die Gegensätze haben sich zumindest abgeschwächt. Dabei macht sich der 1988 gegründete Cadolzburger ars vivendi verlag (man beachte die selbst gewählte Kleinschreibung) seit den 1990er-Jahren besonders verdient um die Pflege des Dialekts. Verleger Norbert Treuheit hat sich zum Ziel gesetzt, gute Mundartliteratur in moderner Gestaltung herauszugeben und damit auch ein junges Publikum anzusprechen. Der Verlag bietet renommierten Autoren wie Günther Hießleitner, Gerhard C. Krischker, Gerhard Falkner, Helmut Haberkamm, Klaus Schamberger oder Fitzgerald Kusz ein Forum. Auch der Verlag Nürnberger Presse hat früh den Stellenwert der Mundart erkannt, insbesondere durch die Herausgabe mehrerer Buchtitel von Herbert Maas.

Hauke Stroszeck (Pseudonym: Lothar Kleinlein, wunderbar gewählt, denn der Klein macht sich mit dem lein noch mal kleiner. Nürnbergerischer geht es nicht.) oder Fitzgerald Kusz sind wichtige Protagonisten einer neuen Nürnberger Mundartlyrik. Und Kusz ist der erste und einzige Nürnberger Dialekt-schriftsteller, der vor allem mit seinem erfolgreichsten Bühnenstück Schweig Bub! im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus bekannt geworden ist. Nach der Uraufführung in den (kleinen) Nürnberger Kammerspielen am 6. Oktober 1976 wurde das fränkische Volksstück über 700-mal in den Städtischen Bühnen, bald im großen Schauspielhaus, aufgeführt. Mit Schweig, Bub! hat Kusz gezeigt, wie nah der Dialekt am »Volk« ist, wie er perfekt dazu dienen kann, unter dem Mantel des Vertrauten – der Mundart – und mit Hilfe humoriger Pointen die Verwerfungen in Familie und Gesellschaft offenzulegen. In diesem Stück kann viel gelacht werden. Aber es bleibt einem oft im Halse stecken. Ein fränkisches Familiendrama, das in der Hochsprache wohl nicht seine Wucht hätte entfalten können. Das Volksstück wurde in 13 deutsche Dialekte sowie ins Flämische übersetzt und auf viele Bühnen und in Hörspielfassungen gebracht.

Neben Kusz ist heute der wirkungsvollste Protagonist des Nürnbergerischen der Journalist und Autor Klaus Schamberger. Seit Jahrzehnten bedient sich Schamberger in unzähligen Zeitungsglossen und vielen Büchern oft der Mundart, um Heiteres, aber immer wieder auch sehr Ernstes, den Lesern nahezubringen. Er mag seine Heimatstadt Nürnberg. Und weil er sie mag, entgeht sie auch nicht seiner wortgewandten Kritik. Verpackt in die Mundart, kommt sie gefälliger daher. Sie ist eine raffinierte Camouflage. Aus Schambergers Gedichten spricht auch immer wieder eine überraschende Zärtlichkeit.

Die Mundart spielt(e) ebenso im Lied eine Rolle. Auf der Kleinkunstbühne reüssierte Hermann Strebel (1877–1949, von vielen liebevoll Strebala genannt, wieder eine Verkleinerungsform) mit Couplets und Mundartvorträgen seit Beginn des 20. Jahrhunderts, auch in seinem eigenen Kabarett im Hotel Wittelsbach. Von ihm stammt die nachhaltigste Hommage an den Nürnberger Dialekt: sein Lied »Das ist doch der allerschönste Dialekt«, in dem sich Mundartausdruck an Mundartausdruck reiht, darunter auch manch derber. Sie wird heute noch auf den musikalischen Bühnen gepflegt. Der fränkische Humorist Herbert Hisel (1927–1982), zunächst Ingenieur bei der Grundig AG, startete 1961 eine bundesweit steile Karriere als Humorist mit fränkischem Zungenschlag. Er hatte mit dem Nürnberger Dialekt viel Erfolg und machte ihn weithin bekannt. Schließlich erhielt er acht Goldene Schallplatten.

Die Peterlesboum, das Gesangs- und Gitarrenduo Willi Händel (1930–2022) und Karl Vogt (1926–1988), traten seit 1958 mit eigenem Programm auf. Vor allem im Fasching feierten sie mit ihren Ohrwürmern im Nürnberger Dialekt große Erfolge. Sie nahmen Schallplatten auf und trugen so die einheimische Mundart auch in andere Gefilde. Mit dem Tod von Karl Vogt waren die Peterlesboum Geschichte. Die Peterlesboum Revival Band (seit 1995) unter der Regie von Conny Wagner (1945–2016) erweckte Melodien und Intentionen des Originals wieder zu neuem Leben.

In den Liedermacherzeiten der 1970er-Jahre kam die Mundart wieder besonders zu Ehren: Günter Stössel (1944–2023), Dichter, Kabarettist und Songschreiber (und im Brotberuf technischer Redakteur bei der Kraftwerk Union in Erlangen) vereinte Dialekt mit Blues, Folk und Ragtime. Er übersetzte auch zwei Asterixbände in die Nürnberger Mundart. In zahlreichen Hörfunksendungen brachte er über viele Jahre einem großen Hörerkreis die Eigenwilligkeiten des Dialekts näher. Der Lieder-macher und Buchhändler Maximilian Kerner (1949–2005) übertrug mit Stössel Wilhelm Buschs Max und Moritz ins Fränkische. Mit seinem Lied »Iiech bin a Glubberer« legte Kerner 1995 ein musikalisches Bekenntnis für seinen Herzensverein 1. FC Nürnberg ab, bei dem Seitenhiebe auf den FC Bayern München nicht fehlen durften. Auch Musikgruppen wie die Frankenbänd oder Wassd scho? Bassd scho! pflegen das tradierte Liedgut und die Mundart.

Insgesamt war und ist die Verbreitung der Nürnberger (und fränkischen) Mundart via Fernsehen überschaubar.

Mediale Präsenz der Mundart ist für ihre Relevanz wichtig. Insgesamt war und ist die Verbreitung der Nürnberger (und fränkischen) Mundart via Fernsehen überschaubar. Während Generationen von deutschen Fernsehzuschauern das Kölsche aus dem Millowitsch-Theater, das domestizierte Plattdeutsche aus dem Hamburger Ohnsorg-Theater oder das Altbaierische aus unzähligen Komödienstadeln kennenlernen durften, fehlten fränkische Töne auf der Mattscheibe. Erst über die Kabarettszene mit Protagonisten wie dem Unterfranken Frank-Markus Barwasser (»Pelzig«), dem Bamberger Manfred Härder (»Mäc Härder«), Roman Sörgel (1966–2023) aus Nürnberg (»Bembers«), Bernd Regenauer (»Nützel«) oder Matthias Egersdörfer (auch als Spurensicherer Michael Schatz seit 2015 im Franken-Tatort vertreten) wurden das Nürnbergerische und Fränkische medial hoffähig. Für ein großes Revival fränkischer Mundart sorgt die Kult-Sendung des Bayerischen Rundfunks (BR) Fastnacht in Franken. Die Prunksitzung des Fastnachtverbands Franken in Veitshöchheim wird seit 1987 vom BR live im Fernsehen gesendet und ist längst der Quotenbringer des BR. Die Nürnberg-Fürther Mundart sprechenden Komiker Volker Heißmann und Martin Rassau (»Waltraud und Mariechen«) sind Erfolgsgaranten. Dass es gelegentlich deftig zugeht, passt zum Dialekt.

Thomas Schmauser hat in dem im Jahr 2003 ausgestrahlten Münchner Tatort mit dem Titel Der Prügelknabe den vertretungsweise aus Nürnberg entsandten Hauptkommissar Wolfgang Hackl großartig gespielt. Leider aber hat das Drehbuch die Figur zum Deppen degradiert. »Mehr als 6,6 Millionen Fernsehzuschauer bekamen wieder einmal das Klischee des piefigen, kleingeistigen und besserwisserischen Franken serviert. Kommissar Hackl ist vom Bayerischen Rundfunk zu einer Aufbereitung be kannter Vorurteile der Altbayern gegenüber den Franken missbraucht worden«, urteilte damals der Nürnberger Landtagsabgeordnete und spätere bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Der von Thomas Schmauser, aufgewachsen in Oberfranken, gesprochene Dialekt trug zu dem Negativbild bei.

Die gebrauchte Lautschrift ist oft sehr unterschiedlich. Jeder Mundartautor versucht seine eigene schriftliche Wiedergabe zu finden.

Mundart ist in erster Linie eine gesprochene Sprache. Die gebrauchte Lautschrift ist oft sehr unterschiedlich. Jeder Mundartautor versucht seine eigene schriftliche Wiedergabe zu finden. Wie schon an anderer Stelle vermerkt, heißt beispielsweise der Stadtname bei Schamberger Närmberch, bei Kusz Nämberch. Es hat nie ein Wörterbuch der Nürnberger Mundart gegeben – bis 1962, als das Buch von Herbert Maas mit dem Titel Wou die Hasen Hoosn und die Hosen Huusn haaßn im Verlag Nürnberger Presse erschien. Der akribische Sprachforscher hat mit diesem Wörterbuch seinem eigenen Dialekt ein Denkmal gesetzt. Maas hat dabei auch deutlich gemacht, dass Hochsprache und Mundart zwei verschiedene Sprachen sind. Manche Ausdrücke und Wendungen ergeben in der wörtlichen Übersetzung auch keinen Sinn. Einer seiner vielen Belege lautet: Heid feiermer der Ooma iern Gebordsdooch; dou houd si ä Schwärzn zammzuung. Wörtlich übersetzt lautet der zweite Satzteil: »Da hat sich eine Schwärze zusammengezogen.« Was soll das bedeuten? Zum Ausdruck bringt die Dialektformulierung dies: »Heute feiern wir Omas Geburtstag; viele Leute sind zu Besuch gekommen.« Der Nürnberger verschluckt auch gerne Konsonanten und Silben. Aus »leben« wird leem oder aus »morgen« morng. »Ein wenig« heißt ä weng. Was sich auch noch steigern lässt in Form von ä weng weng (»ziemlich wenig«).

Auch im 21. Jahrhundert wird weiter Nürnberger Mundart gesprochen. Sie zeichnet sich durch Vielfalt, Direktheit, manchmal Derbheit, aber auch durch eine gewisse Gelassenheit, Lakonie und Understatement aus. Die Wendung bassd scho (passt schon) ist vielschichtig. Sie kann die Antwort auf die Frage sein, wie es einem gehe. Das kann bedeuten: »Alles ist bestens, mir geht es gut«, aber auch: »Es könnte besser gehen, aber ich will nicht darüber reden.« Schließlich ist bassd scho aber vor allem das höchste fränkische Lob.

Der vielleicht bekannteste Nürnberger Begriff ist Allmächd!, auch in der Variante Allmächdis Leem! Ein Ausdruck des Erstaunens und Erschreckens, mit dem jeder Nürnberger in der Fremde als solcher identifiziert wird. Fitzgerald Kusz hat dem Wort ein Gedicht gewidmet: »allmächd / also suwoss / allmächd / also suwoss / gibt’s doch ned / allmächd / also suwoss / moumä gsäing hoom / allmächd / also suwoss / na«

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Romantisch, langweilig, sympathisch

Im Juli 1992 versetzte Der Spiegel der kollektiven Nürnberger Psyche einen schweren Treffer. Das Nachrichtenmagazin hatte die Stadt als »langweiligste Großstadt Deutschlands« ausgemacht. Auslöser für den leicht hämischen Beitrag waren Analysen einer städtischen Arbeitsgruppe, die wissen wollte, wie der Rest Deutschlands auf die Stadt schaut. Das sah nicht gut aus. Begriffe wie »beschaulich«, »provinziell« oder »spießig« dienten als Beschreibung. »Das erstrebte Großstadtflair«, so Der Spiegel, »verfliegt im Duft von Pfefferkuchen und Blauen Zipfeln, einer säuerlichen Wurstspezialität.« Abgesehen davon, dass in Nürnberg Pfefferkuchen Lebkuchen heißen und Blaue Zipfel keine Wurstspezialität sind, sondern es sich um die Zubereitungsart von Bratwürsten im Essigsud handelt, hatte Der Spiegel es der Stadt so richtig gegeben.