Ohne Kreuz keine Krone - William Penn - E-Book

Ohne Kreuz keine Krone E-Book

William Penn

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Beschreibung

In 'Ohne Kreuz keine Krone' von William Penn taucht der Leser in eine Sammlung von Schriften ein, die sich mit dem christlichen Glauben und der Bedeutung von Leiden und Opfern befassen. Dieses Werk zeichnet sich durch eine klare und einfache Sprache aus, die jedoch tiefgründige Gedanken vermittelt, die zur Selbstreflexion anregen. Penns Betonung des spirituellen Wachstums durch das Überwinden von Schwierigkeiten und Prüfungen prägt den literarischen Kontext des Werkes, das im 17. Jahrhundert während der religiösen Verfolgung geschrieben wurde. Die Texte bieten Einsichten in die Quäkerphilosophie und verdeutlichen Penns Überzeugung, dass wahre Stärke durch den Glauben an Gott und die Bereitschaft, für seine Überzeugungen einzustehen, erreicht werden kann. William Penn, ein prominenter Quäker und früherer Kolonialbeamter, war inspiriert von seinem eigenen Glauben und seinen Erfahrungen mit religiöser Verfolgung, als er 'Ohne Kreuz keine Krone' verfasste. Als glühender Verfechter der Religionsfreiheit und sozialer Gerechtigkeit war Penns Ziel, die Leser zum Nachdenken anzuregen und zu ermutigen, ihren Glauben in schwierigen Zeiten nicht zu verlieren. Er beschreibt persönliche Erlebnisse und Erkenntnisse, die seine Überzeugungen geprägt haben und zeigt, wie Glaube und Standhaftigkeit zu einem erfüllten Leben führen können. Dieses Buch ist eine zeitlose Lektüre für all jene, die nach spiritueller Inspiration und Stärkung suchen. Penns einfühlsame und lehrreiche Schriften bieten nicht nur Einblicke in die Quäkerphilosophie, sondern regen auch dazu an, über die Bedeutung von Glauben und Durchhaltevermögen im eigenen Leben nachzudenken und zu reflektieren.

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William Penn

Ohne Kreuz keine Krone: Religiöser Beitrag über die Eigenschaft und Wirkung des heiligen Kreuzes Christi

Eine Abhandlung über die Eigenschaft und Wirkung des heiligen Kreuzes Christi
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Inhaltsverzeichnis

Vorrede
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Funfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel

Vorrede.

Inhaltsverzeichnis

Die große Angelegenheit des Lebens eines jeden Menschen ist die, daß er dem Zwecke seines Daseyns entspreche; und dieser ist: Gott zu verherrlichen und seine eigene Seele zu retten; – eine Verordnung des Himmels, die so alt als die Welt ist. Gewöhnlich bekümmert sich aber der Mensch am wenigsten um Das, was seine Hauptsorge und wichtigste Beschäftigung seyn sollte. Er ist abgeneigt, sich selbst kennen zu lernen, Untersuchungen über sein Daseyn, über den Ursprung, die Pflichten und das Ende seines Lebens anzustellen. Lieber wendet er seine Tage, – welche eben so viele Schritte zu seiner ewigen Wohlfahrt seyn sollten, – nur dazu an, daß er seinen Stolz, seinen Geitz und die Lüsternheit seines Herzens zu befriedigen sucht. Als wenn er bloß um sein selbst willen da sei, oder als ob er sich selbst das Daseyn gegeben habe, und daher keiner höhern Macht Rechenschaft schuldig, und ihrem Urteilsspruche nicht unterworfen sei.

In diesen verwilderten, beklagenswerthen Zustand, stürzt der Mensch, durch seinen Ungehorsam gegen das Gesetz Gottes in seinem Herzen, sich selbst; indem er das thut, was er, wie er wohl weiß, nicht thun sollte, und das unterläßt, was er, seiner Erkenntniß nach, thun müßte. So lange nun dieser Krankheitszustand bei dem Menschen dauert, macht er seinen Gott sich zum Feinde, und sich selbst der Liebe und Seligkeit unfähig, welche Gott durch seinen Sohn Jesum Christum der Welt geoffenbaret hat.

Gehörst du, mein Leser, zu dieser Klasse, so gebe ich dir den Rath: Kehre in dich selbst ein, und untersuche den Zustand deiner Seele. Christus hat dir Licht verliehen, daß du es thun kannst. Forsche sorgfältig; untersuche gründlich. Dein Leben hängt davon ab; es gilt das Heil deiner Seele, das du nicht wieder erlangen kannst, wenn du es einmal verloren hast. Wenn du hierin dich selbst betrügst, so ist der Verlust unersetzlich; du kannst um die ganze Welt dich nicht wiedererkaufen. Willst du denn um dieser niedrigen Welt willen dich selbst aufs Spiel setzen? die Zeit deines Heils versäumen, und deine Seele verlieren? – Ich gebe dir zu, daß du es mit einem Gott von großer Geduld zu thun hast; aber die Zeit, in der du Gottes Geduld auf die Probe setzest, muß doch auch ein Ende nehmen. Reitze daher den Gott, der dich erschaffen hat, nicht, dich endlich zu verwerfen. Weißt du, was das sagen will? – Es heißt, in den Abgrund, in die Hölle, in die ewige Seelenangst der Verdammten gestürzt werden. – O Leser! ich bitte dich, als Einer, der den Schrecken der Gerichte des Herrn erfahren hat, sei ernsthaft; sei fleißig und eifrig um dein Heil bemüht! Ja, auch als Einer, der den Trost, den Frieden, die Freude und Seligkeit der Wege der Gerechtigkeit kennt, ermahne ich dich, und lade dich ein, die Bestrafungen und Ueberzeugungen des Lichtes oder Geistes Christi in deinem eigenen Gewissen anzunehmen, und dich seinen Gerichten zu unterziehen; da du dich der Sünde schuldig gemacht hast. Das Feuer verbrennt nur die Stoppeln; – der Wind wehet nur die Spreu hinweg! Uebergieb dich mit Leib, Seele und Geist Dem, der Alles neu macht; der einen neuen Himmel und eine neue Erde, neue Liebe, neue Freude, neuen Frieden, neue Werke, ein neues Leben und einen neuen Wandel hervorbringt. Die Menschen sind durch die Sünde verderbt und gleichsam schlackig geworden; durch Feuer, (nämlich durch geistiges Feuer,) müssen sie von ihren Schlacken gereinigt, geläutert und zur Seligkeit fähig gemacht werden. Darum wird das Wort Gottes einem Feuer verglichen; der Tag des Heils einem Ofen, und Christus selbst dem Schmelzer, der das Silber läutert.

Wohlan, Leser! Höre mich ein wenig an. Ich suche dein Heil, das ist meine einzige Absicht; die wirst du mir verzeihen. – Der Schmelzer ist dir nahe; seine Gnade ist dir erschienen; sie zeigt dir die Lüste der Welt, und lehret dich, sie zu verleugnen. Laß dieselbe, als den geistigen Sauerteig des Himmelreichs, dein Herz durchdringen, und sie wird dich gänzlich umwandeln. Christus ist der wahre Arzt für die Seele; gebrauche seine Arznei, sie wird dich heilen. Er ist eben so unfehlbar als freigebig; er heilt umsonst, und mit Gewißheit. Eine Berührung seines Gewandes war ehemals hinreichend, die Genesung zu bewirken, und sie ist es noch. Seine Kraft ist noch dieselbe; und sie ist unerschöpflich, weil „in ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt.“ Und gelobet sei Gott für seine Allgenugsamkeit! „daß er mächtig ist, Allen zu helfen, und Alle selig zu machen, die durch ihn zu Gott kommen.“ Komm denn nur zu ihm, so wird er eine selige Veränderung in dir hervorbringen, ja er wird deinen nichtigen Leib seinem verklärten Leibe ähnlich machen. Er ist in der That der große Philosoph, die Weisheit Gottes, die Blei in Gold, nichtswürdige Dinge in köstliche verwandelt; denn er macht aus Sündern Heilige und aus Menschen fast Götter. – Was haben wir aber nun zu thun, um zu dieser Erfahrung zu gelangen, damit wir von seiner Macht und Liebe zeugen können? Dieses ist die Krone; aber wo ist das Kreuz? der bittere Kelch, die Feuertaufe? – Faß Muth, Leser! Sei wie Er! Erhebe, um der Alles übersteigenden Freude willen, dein Haupt über die Welt empor, und dein Heil wird dir in der That nahe seyn.

Das Kreuz Christi ist das Mittel, zu der Krone Christi zu gelangen. Dieses ist der Gegenstand der folgenden Abhandlung, die ich zuerst im Jahre 1668 während meiner Gefangenschaft im Tower (Thurm) zu London schrieb, und sie ist hernach, mit vielen Zusätzen vermehrt, wieder aufgelegt worden, damit du, mein Leser, für Christum gewonnen werden mögest, oder wenn du schon gewonnen bist, ihm näher gebracht werdest. Es ist der Pfad, auf welchen Gott in seiner unendlichen Güte meine Füße in der Blüthe meiner Jugend leitete, als ich ungefähr zwei und zwanzig Jahre alt war. Da nahm er mich bei der Hand, und führte mich hinweg von den Vergnügungen, Eitelkeiten und Hoffnungen der Welt. Ich habe sowohl die Gerichte Christi als auch seine Barmherzigkeit, und auch den Haß und Tadel der Welt geschmecket; und ich freue mich meiner Erfahrungen, die ich nun deinem Dienste in Christo widme. Es ist eine Schuld, die schon eine geraume Zeit auf mir lag, und deren Abtragung man längst von mir erwartete. Jetzt habe ich mich ihrer entledigt, und meine Seele davon befreiet. – Ich hinterlasse dieser Werk meinem Vaterlande und der ganzen Christenheit. Möge es Gott auf Alle, die es lesen, einwirken lassen! Möge er ihre Herzen ablenken von allem Neide und Hasse, und von aller Bitterkeit, die sie gegen einander, um vergänglicher Dinge willen, in einem solchen Grade hegen, daß sie jedes Gefühl von Menschlichkeit und Mitleiden dem Ehrgeitze und der Habsucht zum Opfer bringen, und die Erde mit Unruhe und Bedrückung erfüllen. Und mögen sie, indem sie den Geist Christi, – dessen Früchte Liebe, Friede, Freude, Mäßigkeit, Geduld, Bruderliebe und allgemeine Liebe sind, – in ihren Herzen aufnehmen, mit Leib, Seele und Geist einen dreifachen Bund schließen gegen die Welt, das Fleisch und den Teufel, die gemeinschaftlichen Feinde des Menschengeschlechts, und wenn sie dieselben, während eines Lebens der Selbstverleugnung, durch die Kraft des Kreuzes Jesu überwunden haben, endlich zur ewigen Ruhe im Reiche Gottes gelangen, und eine Krone der Gerechtigkeit empfangen!

Dieses, freundlicher Leser, ist der Wunsch und das Gebet deines wahrhaft christlichen Freundes

Wilhelm Penn.

Ohne Kreuz keine Krone.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

§. 1. Von der Nothwendigkeit des Kreuzes Christi überhaupt, und wie wenig dennoch die Christen sich darum bekümmern. §. 2. Ausartung des Christenthums von Reinheit in Lüste und Begierden, und von Mäßigkeit in Übermaß. §. 3. Weltliche Lüste und Vergnügungen sind so sehr das Ziel und Streben der Bekenner des Christenthums geworden, daß sie die Gottlosigkeit der Ungläubigen darin übertreffen. §. 4. Diese Ausartung bildet den zweiten Act des Trauerspiels, welches die Juden angefangen haben, und dieser ist ärger als der erste. – Bemerkungen über die Verachtung, welche die Christen auf ihren Heiland gebracht haben. §. 5. Die Sünde ist in der ganzen Welt von einerlei Natur und Beschaffenheit. – Alle Gottlosen gehören zu einer und derselben Gemeine; sind alle Kinder des Argen. – Bösewichter, welche Religion zu haben vorgeben, sind darum nur desto schlimmer. §. 6. Ein Wolf ist kein Lamm: ein Sünder kann, so lange er in Sünden beharret, kein Heiliger seyn. §. 7. Die Gottlosen verfolgen allezeit die Frommen; auch haben immer die falschen Christen die wahren verfolgt, weil diese ihrem Aberglauben nicht beipflichten wollten. – Von den sonderbaren und fleischlichen Begriffen, welche die falschen Christen vom Christenthume haben; und von der Gefahr eines solchen Selbstbetruges. §. 8. Diese Betrachtungen, und meine Empfindungen darüber, haben es mir zur Pflicht gemacht, die gegenwärtige Abhandlung, als eine Warnung gegen die Lüste der Welt, und als eine Einladung zum täglichen Aufnehmen des Kreuzes Christi, zu schreiben, und zu zeigen, daß dieses das von Christo uns verordnete Mittel zu unserer Seligkeit ist. §. 9. Ueber die Selbstverdammung der Gottlosen. – Wahre Religion und Gottesverehrung bestehen darin, daß man den Willen Gottes thue. – Von dem Vorzuge, den die Gerechten vor den Gottlosen im jüngsten Gerichte haben. §. 10. Gebet für die Christenheit, daß sie an jenem großen Gerichtstage der Welt nicht möge verworfen werden. – Sie wird ermahnet, zu erwägen, worin sie Christo ähnlich sei; und, wenn er ihr Heiland und Erlöser ist, wie, und wovon er sie erlöset habe, und was ihre eigene Erfahrung von diesem großen Werke sey? – Christus kam in die Welt, die Menschen von ihren Sünden, und also auch vom ewigen Zorne zu befreien; aber nicht, um sie in ihren Sünden selig zu machen. – Indem er sie von der Sünde erlöset, errettet er sie auch vom ewigen Tode, welcher der Sold oder Lohn der Sünde ist.

§. 1. Obgleich die Kenntniß und Ausübung der Lehre vom Kreuze Christi, als dem einzigen Eingange zum wahren Christenthume, und dem Pfade, den allezeit die Alten zu ihrer Seligkeit betraten, für die Seelen der Menschen von der höchsten Wichtigkeit ist; so wird dennoch diese Lehre, – ich sage es mit tiefer Betrübniß! – so wenig verstanden, so sehr vernachlässigt, und, – was noch schlimmer ist, – es wird ihr durch die Eitelkeit, den Aberglauben, und die Unmäßigkeit der Christenthumsbekenner so bitter widersprochen, daß wir entweder aufhören müssen, zu glauben, was der Herr Jesus Luk. 24, 27. uns sagt, wo er nämlich erklärt, „daß Niemand, der nicht sein Kreuz trägt und ihm nachfolgt, sein Jünger seyn könne,“ oder, – wenn wir dieses als Wahrheit annehmen, – nicht anders schließen können, als daß die Mehrheit der Bekenner des christlichen Namens, in der großen Angelegenheit der Religion und ihres eigenen Heils, auf eine bejammernswerthe Art sich täuschen und selbst betrügen.

§. 2. Wir mögen den Zustand der Völker, die auf die Wohlthat des heiligen Namens Jesu Anspruch machen, noch so nachsichtsvoll und liebreich beurtheilen, so müssen wir doch auch, wenn wir zugleich gerecht handeln wollen, nothgedrungen gestehen, daß ungeachtet der gnädigen Vortheile des Lichts und der Erkenntniß, und der Aufmunterungen zur Treue, welche in diesen letztern Jahrhunderten durch die Erscheinung, das Leben, die Lehren und Wunder, durch den Tod, die Auferstehung und Himmelfahrt Christi, nebst den Gaben seines heiligen Geistes den Menschen verliehen worden sind; ungeachtet der Schriften, Arbeiten, Leiden und Erduldungen des Martertodes seiner theuern Zeugen in allen Zeiten, nicht viel mehr als der bloße Name vom wahren Christenthume übrig geblieben zu seyn scheint. Und wo nun die alte heidnische Natur der Menschen sich dieses Namens anmaßet, oder ihr zügelloses Leben damit zu bedecken sucht, da sind die Bekenner desselben in der That nichts anders, als wirkliche, wiewohl verkleidete Heiden. Denn wenn sie auch nicht dieselben Götzen der Heiden anbeten, so beten sie doch Christum mit einem heidnischen Herzen an; und sie können auch nicht anders, so lange sie in gleichen heidnischen Lüsten leben. So gehören also beide: der Christ, der sich nicht selbst verleugnet, und der zügellose Heide zu einer und derselben Religion. Beide haben freilich verschiedene Gegenstände, an welche sie ihre Gebete richten, allein ihre Anbetung ist doch nur erzwungen, und bloße Zeremonie; denn die Gottheit, die sie im wahren Sinne verehren, ist der Gott dieser Welt, der große Beherrscher der weltlichen Lüste und Begierden. Vor ihm beugen sie sich mit allen Kräften der Seele und der Sinne. Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen, und wie sollen wir unsere Zeit hinbringen? Auf welche Art können wir uns Reichthum erwerben? Wodurch können wir unsere Macht vergrößern, unsere Besitzungen ausdehnen, unsere Namen und Familien in der Welt berühmt machen und verewigen? – Diese niedrige Sinnlichkeit faßt der geliebte Apostel Johannes sehr kurz und nachdrucksvoll in einigen Worten zusammen: "Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben," sagt er, "sind nicht vom Vater, sondern von der Welt,"[1] die im Argen liegt.

§. 3. Es ist eine traurige Bemerkung, aber durchaus nicht zu leugnende Wahrheit, daß diese weltlichen Lüste die Gegenstände des Nachsinnens, der Sorge und der Unterhaltung des größten Theils der unglücklichen Christenheit ausmachen, und – was das Elend noch vergrößert – mit der Zeit zugenommen haben. Denn, so wie die Welt älter geworden ist, hat sie sich auch verschlimmert. Die Beispiele früherer ausschweifenden Zeitalter, und die daraus zu ziehenden beklagenswerthen Folgerungen, haben das unsrige nicht abgeschreckt, sondern vielmehr noch gereizt; so, daß die Menschen unserer Zeit den alten Vorrath von Gottlosigkeit noch mehr angehäuft haben. Ja, sie haben die ihnen gegebenen bösen Beispiele so sehr übertroffen, daß sie, statt in bessern Zeiten Fortschritte in der Tugend zu machen, auf eine abscheuliche Art tief unter die Heiden herabgesunken sind. – Sie haben ihren Hochmuth, ihre wollüstige Ausgelassenheit, Unreinheit und Trunkenheit, ihr Fluchen, Schwören und Lügen, ihr Neiden und Verleumden, ihre Grausamkeit, Falschheit, Habsucht, Ungerechtigkeit und Unterdrückung, so allgemein verbreitet, und mit einem erfinderischen Geiste so hoch getrieben, daß sie darin den Ungläubigen zum Anstoße und Aergernisse gedient, und ihnen die stärkste Veranlassung gegeben haben, die heilige Religion mit Verachtung zu betrachten, für welche sie durch gute Beispiele der Christen hätten gewonnen werden können.

§. 4. Diesen traurigen Abfall von der ursprünglichen Reinheit der ersten Zeiten des Christenthums, als der Ruhm desselben in dem reinen Lebenswandel seiner Bekenner bestand, kann ich nicht anders als den zweiten und furchtbarsten Theil des Trauerspiels betrachten, welches die Juden mit dem glorreichen Heilande des Menschengeschlechts begannen. Diese, die durch die Macht der Unwissenheit, und der großen Vorurtheile, die sie gegen seine in den Augen der Welt unansehnliche Erscheinung hatten, so verblendet waren, daß sie ihn, als er erschien, nicht annehmen wollten, verfolgten ihn jedoch nur zwei oder drei Jahre, bis sie ihn zuletzt an einem Tage kreuzigten. Allein die Grausamkeit der falschen Christen ist von weit längerer Dauer. Nachdem sie, wie Judas, zuerst ihn anerkannt, und dann viele Jahrhunderte hindurch aufs schändlichste verrathen haben; hören sie nicht auf, ihn zu verfolgen und zu kreuzigen, indem sie von seiner Lehre, welche Selbstverleugnung und Heiligkeit vorschreibt, in ihren Sitten fortwährend abweichen, und durch ihren Lebenswandel ihrem Glaubensbekenntnisse beständig widersprechen. Von Solchen sagt uns der Verfasser der Epistel an die Hebraer, „daß sie ihnen selbst den Sohn Gottes von neuem wieder kreuzigen, und öffentlich zum Gespötte machen.“[2]Johannes nennt ihre verunreinigten Herzen in seiner Offenbarung: „die Gassen des geistlich so genannten Sodoms und Egyptens, wo unser Herr gekreuzigt ist.“[3]. Und so wie Christus ehemals sagte: „des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen seyn,“ [4] so befinden sich jetzt die Feinde Christi vornehmlich unter seinen eigenen Bekennern, unter welchen es nicht Wenige giebt, die ihn anspeien, ans Kreuz nageln und durchboren, und ihm Essig mit Galle vermischt zu trinken geben.[5] Dieses ist auch nicht schwer einzusehen; da diejenigen Menschen, die nach ihrer verderbten Natur, und unter demselben bösen Einflusse leben, worunter die gottlosen Juden standen, welche Christum äußerlich kreuzigten, ihn gewiß innerlich kreuzigen, und Alle, welche jetzt die Erscheinung und Zucht seiner Gnade in ihren eigenen Herzen verwerfen, gleiches Stammes und Geschlechtes mit jenen verhärteten Juden sind, die damals derselben Gnade widerstanden, als sie in Christo erschien und durch ihn geoffenbaret ward.

§. 5. Die Sünde ist, von einem Ende der Welt bis zum andern, von einerlei Natur und Beschaffenheit. Denn, wenn auch ein Lügner kein Trunkenbold, oder ein Flucher kein Hurer, und keiner von ihnen eigentlich ein Mörder ist; so gehören sie doch alle zu einer Gemeinschaft, sind Alle Zweige aus einer und derselben bösen Wurzel, Alle eines Geschlechts. Die Gottlosen haben nur einen gemeinschaftlichen Vater; wie Christus den Bekennern des Judenthums, die in jenem Zeitalter die sichtbare Kirche ausmachten, frei erklärte, indem er Ihre Ansprüche auf Moses und Abraham verwarf, und ihnen gerade heraus sagte, „wer Sünde thue, sey der Sünde Knecht; sie thäten die Werke des Teufels, und wären folglich des Teufels Kinder.“[6]. Diese Behauptung wird immer wahr bleiben, so lange dieselben Gründe dafür vorhanden sind. „Wem ihr euch zum Gehorsam ergebet,“ sagt Paulus, „dessen Knechte seid ihr.“[7] Und Johannes sagt in seiner allgemeinen Epistel an die ersten Gemeinen: „Lasset euch Niemand betrügen; wer Sünde thut, der ist vom Teufel.“[8] – War Judas darum ein besserer Christ, daß er „gegrüßet seist du, Meister!“ ausrief, und Christum küßte? Keinesweges. Es war vielmehr das Zeichen seines Verraths; die Losung, wodurch die blutdürstigen Juden Christum erkennen sollten, damit sie ihn greifen könnten. Judas nannte Christum Meister, und verrieth ihn; er küßte ihn, und verkaufte ihn zum Tode. So verhält es sich mit der Religion der falschen Namenchristen noch jetzt. Fragt man sie, ob Christus ihr Herr sei? so sind sie bereit auszurufen: Behüte uns Gott, daß es anders wäre! Freilich ist er unser Herr! – Wohlan denn! Haltet ihr aber auch seine Gebote? – O Nein! Wie könnten wir das? – Wie dürft ihr euch denn seine Jünger nennen? – Es ist unmöglich! antworten sie. Wie kann man verlangen, daß wir seine Gebote halten sollen? Das kann ja kein Mensch. – Wie? Es wäre unmöglich, das zu thun, ohne dessen Ausübung Christus es für unmöglich erklärt, ein Christ zu seyn? Ist Christus denn unbillig? Wird er „da ernten wollen, wo er nicht gesäet hat?“[9] oder etwas von uns verlangen, wozu er uns keine Fähigkeit gab? – So geht es zu, daß die falschen Christen mit Judas Christum ihren Herrn und Meister nennen, zu gleicher Zeit aber mit dem bösen Haufen der Welt sich verbinden, um ihn zu verrathen; daß sie ihn umarmen und küssen, soweit ein scheinbares Namenbekenntniß reicht, ihn aber treulos verkaufen, sobald es darauf ankommt, ihre herrschende Leidenschaft, der sie am meisten nachhängen, zu befriedigen.

§. 6. Möchte doch Keiner seine eigene Seele betrügen! „Man kann nicht Trauben von Dornen, oder Feigen von Disteln sammeln.“[10] Ein Wolf ist kein Lamm, und ein Geier keine Taube. Zu welcher äußern Religionsform, zu welcher religiösen Gesellschaft, oder zu welcher Kirche du dich auch bekennest, so ist es eine an dich und alle Menschen gerichtete Wahrheit Gottes, daß Diejenigen, welche die Form und den Schein der Gottseligkeit haben, aber durch ihr ungöttliches Leben die Kraft derselben verleugnen, nicht die wahre, sondern die falsche Kirche ausmachen, die, obgleich sie sich den Titel der Braut des Lammes, oder der Kirche Christi beilegt, dennoch jenes große Geheimniß, oder „die geheimnißvolle Babylon“ ist, welche der heilige Geist so passend „die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden“ nennt;[11] weil sie von der christlichen Keuschheit und Reinheit ausgeartet ist, in alle Greuel der heidnischen Babylon, einer prachtvollen Stadt der Vorzeit, die als Sitz der babylonischen Könige und der größten Hoffahrt und Ueppigkeit in der damaligen Welt berühmt war. Was nun diese mystische Babylon damals war, das ist sie auch noch jetzt: die größte Feindin der Sache und des Volks Gottes.

§. 7. Es bleibt auch wahr, daß die, welche vom Fleische geboren sind, diejenigen, welche aus dem Geiste geboren sind und die Beschneidung des Herzens erfahren haben,[12] hassen und verfolgen; weil sie nach Babylons Erfindungen, Lehrarten und Vorschriften, Gott nicht verehren und anbeten, und weder ihre nichtigen Traditionen als Lehren annehmen, noch im Leben und Wandel nach ihren verderbten Moden und Gebräuchen sich bequemen können. Wo dieses nun der Fall ist, da verwandelt die Abtrünnige sich in eine Verfolgerin. Denn es ist nicht genug, daß sie selbst von der ersten Reinheit des Christenthums abgewichen ist; nein! Andere sollen es ihr auch nachthun. Darum läßt sie auch denen, die an ihrer Ausartung keinen Antheil haben oder ihr Maalzeichen nicht annehmen wollen, keine Ruhe. – Wer ist auch wohl weiser als sie? die Mutterkirche? und wer kann mit dem Thiere, auf dem sie reitet, streiten?

Die Abtrünnigen und Abergläubigen sind immer stolz auf ihren Irrthum, und unduldsam gegen Andere, die nicht ihrer Meinung sind. Alle sollen ihnen beistimmen oder umkommen. Daher werden die erschlagenen Zeugen, und das Blut der Seelen unter dem Altare[13] innerhalb der Mauern dieser geheimnißvollen Babylon, dieser großen vesten Stadt der falschen Christen, gefunden, und von dem heiligen Geiste in der Offenbarung ihr zur Last gelegt. Es ist freilich nicht zu bewundern, daß sie, die zuerst den Herrn kreuzigte, hernach auch seine Knechte tödtete; aber höchst sonderbar und zugleich grausam ist es, daß sie ihren Bräutigam tödten, ihren Heiland ermorden kann; da sie doch diese beiden Benennungen, die ihr so viel eingebracht haben, so sehr zu lieben scheint, und auch durch dieselben, – wiewohl ohne allen gerechten Anspruch, – sich immer noch zu empfehlen sucht. Indessen sind ihre Kinder, durch ihren fortwährenden Ungehorsam gegen die Offenbarung des göttlichen Lichts in ihren Seelen, so gänzlich unter die Herrschaft der Finsterniß gerathen, daß sie vergessen haben, was der Mensch einst war, oder was sie jetzt seyn sollten, und wahres reines Christenthum, wenn sie es antreffen, nicht einmal kennen; wiewohl sie sich viel darauf einbilden, zu der Zahl der Bekenner desselben zu gehören. Ihre Begriffe vom Heil der Seele sind so fleischlich und falsch, daß sie Gutes bös, und Böses gut nennen. Sie halten Menschen wie Teufel für Christen, und Heilige für Teufel. – Obgleich nun die Erwägung der gottlosen Ungebundenheit ihres Lebens, da dieselbe ihr Verderben nach sich ziehet, schon das tiefste Bedauern erregen muß; so ist doch von allen Selbsttäuschungen, unter denen sie sich befinden, hinsichtlich ihres ewigen Zustandes, die verderblichste diese, daß sie in dem allgemeinen Wahne stehen, sie könnten Kinder Gottes seyn, während sie im Ungehorsame gegen seine heiligen Gebote leben; sie dürften sich für Jünger Jesu halten, obgleich sie sich weigern, sein Kreuz zu tragen; und sie könnten sich auch als Glieder seiner wahren Kirche betrachten, welche heilig und ohne Tadel seyn soll, ungeachtet sie ein unheiliges und tadelhaftes Leben führen. So sind sie mitten in ihren Sünden im Frieden, und halten sich in ihren Uebertretungen für sicher. Ihre eitle Hoffnung betäubt ihre bessere Ueberzeugung, und erstickt jede zarte Anmahnung zur Reue; so daß also ihr Irrthum in Ansehung ihrer Pflichten gegen Gott, eben so gefährlich als ihre Empörung gegen ihn ist. – So wandeln sie an Abgründen, und täuschen sich selbst mit schmeichelhaften Vorstellungen, bis das Grab sie verschlingt, und das Gericht des lebendigen Gottes sie aus ihrer Schlafsucht weckt, wo dann in der Qual der Gottlosen, als dem Lohne ihrer Werke, ihre armen unglücklichen Seelen ihren Irrthum empfinden werden.

§. 8. Dieses war von jeher das Schicksal aller weltlichgesinnten Christen, ist es noch und wird es immer seyn. Ein so furchtbares Ende, daß ich, wenn mich auch meine Pflichten gegen Gott und meine Mitmenschen nicht aufforderten, schon als bloßer Mensch, und als Einer, der das Schrecken der Gerichte des Herrn in dem Wege und in der Bewirkung seiner eigenen Seligkeit aus Erfahrung kennt, allein durch das Mitleid mich hinreichend bewogen fühlen würde, diese Abhandlung zu schreiben, um die Bekenner des Christenthumes gegen die abergläubischen Meinungen, Gebräuche und Lüste der Welt zu warnen, und sie zu der Kenntniß des Kreuzes Christi, und zum täglichen Gehorsam gegen dasselbe, als dem einzigen uns von Christo angezeigten und verordneten Mittel zur Seligkeit, einzuladen; damit Diejenigen, die sich jetzt des christlichen Namens bloß anmaßen, zum wahren Besitze der Sache gelangen, und durch die Kraft des Kreuzes, – gegen welches sie jetzt unempfindlich und todt sind; statt daß sie durch dasselbe der Welt gekreuzigt und abgestorben seyn sollten, – Theilhaber an der Auferstehung in Christo Jesu werden, und zu einem neuen Leben kommen mögen. Denn Alle, die wirklich in Christo sind, das heißt, die eine Erlösung durch ihn, und eine Vereinigung mit ihm erfahren haben, sind neue Kreaturen.[14] Diese haben einen neuen Willen empfangen, womit sie den Willen Gottes und nicht ihr eigenes Wollen vollbringen. Diese können in der Wahrheit beten, und sie verspotten Gott nicht, wenn sie sagen: „Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel.“ Diese haben ein neues Streben; sie trachten nach dem, das droben ist, und ihr ewiger Schatz ist Christus.[15] Sie haben einen neuen Glauben, der die Eigenschaft hat, daß er die Fallstricke und Versuchungen des Geistes der Welt überwindet, wenn sie in ihnen selbst oder durch Andere erscheinen. Sie haben endlich auch neue Werke, die nicht in abergläubischen Einrichtungen oder menschlichen Erfindungen, sondern in reinen Früchten des Geistes Christi bestehen, welche derselbe in ihnen hervorbringt; nämlich in Werken „der Liebe, der Freude, des Friedens, der Geduld, der Freundlichkeit, der Gütigkeit, des Glaubens, der Sanftmuth, der Keuschheit, gegen welche das Gesetz nicht ist.“ Von denen hingegen, die den Geist Christi nicht haben und nach demselben nicht wandeln, sagt uns der Apostel, daß sie nicht zu den Seinigen gehören;[16] und auf Solchen liegt der Zorn Gottes und die Verdammung des göttlichen Gesetzes. Denn, wenn, nach Pauli Lehre, „nichts Verdammliches an denen ist, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln;“[17] so sind, nach derselben Lehre, Diejenigen, die nicht nach diesem heiligen Geiste wandeln, auch nicht in Christo. Diese können also auch weder wahren Antheil an ihm haben, noch gerechte Ansprüche auf das durch ihn gebrachte Heil machen, und sind folglich der Verdammniß unterworfen.

§. 9. Es ist eine gewisse Wahrheit, daß die vorgebliche Religion der Gottlosen eine Lüge ist. „Die Gottlosen,“ sagt der Prophet, „haben keinen Frieden.“[18] Wahren Gemüthsfrieden können sie in der That auch nicht haben; da sie bei allen ihren Werken des Ungehorsams in ihrem Gewissen bestraft und von ihrem eigenen Herzen verdammt werden. Sie mögen gehen, wohin sie wollen, ihre Gewissensvorwürfe gehen mit ihnen, und oft verfolgt sie auch der Schrecken; denn es ist ein beleidigter Gott, der sie beunruhigt, und durch sein Licht ihnen ihre Sünden der Reihe nach unter Augen stellt. Zuweilen suchen sie ihn freilich durch ihre leibliche, selbstersonnene Andacht und Anbetung zu versöhnen; allein ihre Bemühungen sind vergeblich; denn die wahre Gottesverehrung bestehet darin, daß man den Willen Gottes thue, den sie aber so oft übertreten. Alles andere ist ein leeres Kompliment, wie es Jener machte, der da sagte, „er wolle gehen, und doch nicht ging.“[19] Zu andern Zeiten nehmen sie ihre Zuflucht zu Vergnügungen und Zerstreuungen in Gesellschaften, um die Stimme des göttlichen Bestrafers in ihren Herzen zu ersticken, oder seine Pfeile abzustumpfen, die beunruhigenden Gedanken zu verscheuchen, und sich außerhalb des Bezirkes dieses Störers ihrer Vergnügungen in Sicherheit zu begeben. Aber der Allmächtige erreicht sie dennoch früher oder später gewiß. Diejenigen, welche die Bedingungen seiner Barmherzigkeit verwerfen, können seiner endlichen Gerechtigkeit nicht entgehen. Vergeblich werden dann die unbußfertigen Empörer gegen sein Gesetz die Berge anrufen, und in den Höhlen der Erde Schutz suchen. Sein alldurchforschendes Auge wird ihre dicksten Bedeckungen durchdringen, und in ihrem Dunkel ein Licht anzünden, das ihre mit Schuld belasteten Seelen mit Schrecken erfüllen wird, und welches sie nie werden auslöschen können. Gewiß! ihr Ankläger ist bei ihnen, und sie können sich eben so wenig von ihm, als von sich selbst losmachen; er ist in ihrer Mitte und wird sich fest an sie halten. Derselbe Geist, der den Geistern der Gerechten Zeugniß giebt, wird gegen die ihrigen zeugen; ja, ihre eigenen Herzen werden sich laut gegen sie erheben. – „Wenn uns unser Herz verdammet,“ sagt Johannes, „so ist Gott noch größer als unser Herz, und er erkenne oder weiß Alles;"[20] das heißt: Wenn der Mensch der Verdammung seines eigenen Herzens nicht ausweichen kann, so wird er auch gewiß den Gerichten Gottes nicht entgehen können; da seine Macht unbegrenzt ist. An jenem Tage werden die stolzen und üppigen Christen einsehen lernen, daß Gott die Person nicht ansiehet; daß alle Sekten und Namen sich in zwei Gattungen: in Schafe und Böcke, nämlich in Gerechte und Ungerechte auflösen werden. Und selbst der Gerechte hat eine so genaue Prüfung durchzugehen, daß deßhalb ein heiliger Mann zu dem Ausrufe bewogen wurde: „Wenn der Gerechte kaum erhalten wird, wie will der Gottlose und Sünder erscheinen?“[21] Wenn also die Gedanken, Worte und Handlungen der Gerechten eine solche Prüfung bestehen und vor dem unpartheiischen Richter des Himmels und der Erde untersucht werden müssen, wie sollte der Gottlose davon ausgenommen seyn? Nein! Er, der nicht lügen kann, hat uns gesagt, daß Viele alsdann Herr! Herr! ausrufen, ihr Bekenntniß von ihm erheben, und alle die Werke, die sie in seinem Namen verrichtet haben, herzählen werden, um ihn geneigt zu machen, und dennoch mit dem schrecklichen Ausspruche verworfen werden sollen: „Weichet von mir ihr Uebelthäter; ich kenne euch nicht.“[22] Als sagte er: Geht nur fort, ihr Uebelthäter! Ihr habt euch zwar zu mir bekannt; aber ich will euch dennoch nicht anerkennen; denn euer eitles und böses Leben hat euch für mein heiliges Reich untüchtig gemacht. Gehet hin zu den Götzen, denen ihr gedienet habt; zu euern geliebten Lüsten, die ihr angebetet, und zu der argen Welt, deren Freundschaft ihr so sehr gesucht, und die ihr so hoch verehrt habt; laßt diese euch nun, wenn sie es können, von dem Zorne erretten, der, als der gerechte Lohn eurer Werke, über euch ausbrechen wird. – So endigt das Werk derer, die auf den Sand bauen; der Athem des Richters bläset es um, und sein Fall ist schrecklich. – O dann, dann wird es seyn, daß die Gerechten den Vorzug vor den Gottlosen haben werden! weßhalb auch schon in alten Zeiten ein Abtrünniger ausrief: „O möchte meine Seele den Tod des Gerechten sterben, und mein Ende wie das seinige seyn!“[23] Ja, denn der Urtheilsspruch lautet anders; der Richter lächelt freundlich! Er wirft einen Blick voller Liebe auf seine eigenen Schafe, und ladet sie mit den holden Worten ein: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters!“[24] Ihr, die ihr durch geduldiges Ausharren im Wohlthun schon lange der Unsterblichkeit entgegen sahet; ihr seyd die wahren Gefährten meiner Trübsale und meines Kreuzes gewesen, und habt mit unermüdeter Treue in der Unterwerfung unter meinen heiligen Willen muthvoll bis ans Ende ausgehalten, indem ihr auf mich, den Urheber eures köstlichen Glaubens, in Erwartung der Belohnung hinsahet, die ich Denen, die mich lieben, und nicht müde werden, verheißen habe. – „Nun gehet ein, zu eures Herrn Freude, und ererbet das Reich, das vom Anfange der Welt her für euch bereitet ist.“[24]

§. 10. O Christenheit! es ist das inbrünstige Gebet meiner Seele, daß, nach allem deinem hohen Bekenntnisse von Christo und von seiner sanften und heiligen Religion, dein unpassendes und dem Leben Christi so unähnliches Leben, dich an jenem großen Gerichtstage der Welt nicht verwerflich machen, und zuletzt um dein ewiges Heil bringen möge. Höre mich daher noch ein wenig an; ich bitte dich darum. Kann Christus wohl dein Herr seyn, wenn du ihm keinen Gehorsam leistest? oder kannst du dich seine Dienerin nennen, wenn du ihm gar nicht dienest? Irre dich nicht! „Was du säest, das wirst du auch ernten.“[25] Er ist gewiß dein Erlöser und Heiland nicht, so lange du seine Gnade in deinem Herzen verwirfst, durch welche er dich erlösen und selig machen will. Sage mir, wovon hat er dich erlöset? Hat er dich von deinen sündlichen Lüsten, von deinen weltlichen Begierden und von deinem eiteln Wandel erlöset? – Ist dieses nicht geschehen, so ist er auch dein Heiland und Erlöser nicht; denn, obgleich er sich Allen zum Erlöser und Heilande darbietet, so kann er es doch eigentlich und in der That nur für Diejenigen seyn, die sich durch ihn erlösen und selig machen lassen; und es können Keine von ihm selig gemacht werden, die nicht aufhören wollen, in den sündlichen Dingen zu leben, die sie von Gott trennen, und von welchen er sie zu erlösen in die Welt kam.

Christus ist gekommen, die Menschen von der Sünde und vom ewigen Tode, als dem Lohne derselben, zu erretten. Allein Diejenigen, die sich nicht durch die in ihren Seelen wirkende Kraft Christi von der Macht und Herrschaft, welche die Sünde über sie ausübt, erlösen oder befreien lassen, können auch von dem ewigen Tode, dem sichern Lohne der Sünde, in der sie leben, nie errettet werden.

In wie fern also die Menschen über die bösen Neigungen und fleischlichen Lüste, denen sie ergeben waren, den Sieg erlangt haben, in so fern sind sie wahrhaft erlöset und selig gemacht, und wirkliche Zeugen „der Erlösung, die durch Jesum Christum geschiehet.“ Dieses wichtige Werk des Erlösers wird auch durch seinen Namen angezeigt: „Seinen Namen,“ sagte der Engel des Herrn, „sollst du Jesus nennen; denn er wird sein Volk selig machen von seinen Sünden.“[26] Und Johannes sagte von Christo: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches die Sünden der Welt hinwegnimmt.“[27] Das heißt so viel als: betrachtet Ihn, den Gott gegeben hat, die Menschen zu erleuchten, und alle Diejenigen von ihren Sünden zu befreien und selig zu machen, die ihn, sein Licht und seine Gnade, in ihren Herzen aufnehmen, täglich sein Kreuz tragen, und ihm nachfolgen. Das sind Solche, die lieber dem Vergnügen der Befriedigung ihrer Lüste und Begierden entsagen, als gegen die Erkenntniß, die er ihnen von seinem Willen gegeben hat, sündigen, oder etwas thun, wovon sie wissen, daß sie es nicht thun sollten.

1. 1 Joh. 2, 16.

2. Hebr. 6, 6.

3. Offenb. 11, 8.

4. Matth. 10, 36.

5. Matth., 27.

6. Joh. 8, 34–45.

7. Röm. 6, 16.

8. 1 Joh. 3, 7. 8.

9. Matth. 25, 24.

10. Matth. 7, 16.

11. Offenb. 17, 5.

12. Gal. 4, 29.

13. Offenb. 6, 9.

14. Gal. 6, 14–16.

15. Kol. 3, 1. 2. 3.

16. Gal. 5, 22 23.

17. Röm. 8, 9. V. 1.

18. Jes. 48, 22.

19. Matth. 21, 30.

20. 1 Joh. 3, 20.

21. 1 Petri 4. 18.

22. Matth. 7, 23.

23. 4 Mose 23, 10.

24. Matth. 25, 34.

25. Gal. 6, 7.

26. Matth. 1, 21.

27. Joh. 1, 19.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

§. 1. Aus dem, was bisher gesagt ist, kann die Christenheit ihren Verfall und ihre große Verderbtheit erkennen. – Ihr Zustand ist wegen ihrer Ansprüche auf Christenthum nur desto schlimmer. §. 2. Bei Gott ist aber Barmherzigkeit und Versöhnung durch das Blut Jesu, wenn sie ihre Sünden bereuet und ihr Leben ändert. §. 3. Christus ist das Licht der Welt, welches die Finsterniß, nämlich das Böse in der Welt, bestraft; er wird im Innern der Seele erkannt. §. 4. Die Christenheit ist, wie die Herberge vor Zeiten, in welcher kein Raum für ihn war, voll anderer Gäste. – Sie wird angewiesen, an Christum zu glauben, ihn aufzunehmen und sich an ihn zu wenden. §. 5. Von der Eigenschaft des wahren Glaubens; er giebt Kraft, jede Erscheinung des Bösen zu überwinden. Dieses leitet zur Betrachtung des Kreuzes Christi, woran es bisher so sehr gemangelt hat. §. 6. Vom apostolischen Amte; Zweck und gesegnete Wirkungen desselben. – Charakter der apostolischen Zeiten. §. 7. Vortreifflchkeit des Kreuzes Christi, und sein Triumph über die heidnische Welt; ein Spiegel für die Christen, worin sie sehen können, was sie nicht sind und was sie seyn sollten. §. 8. Die Ursachen ihres Verfalles. §. 9. Die traurigen Wirkungen, die daraus erfolgt sind. §. 10. Aus der Erwägung der Ursache dieses Verfalles, kann das Mittel zu ihrer Wiederherstellung leicht erkannt werden; oder, da die tägliche Vernachlässigung des getreuen Aufnehmens des Kreuzes die Ursache desselben ist, so muß auch das tägliche getreue Tragen des Kreuzes das Mittel zu ihrer Wiederherstellung seyn.

§. 1. Aus Allem, was dir, o Christenheit, bisher gesagt ist, und vermöge jener bessern Hülfe, – wenn du dich derselben nur bedienen wolltest! – nämlich des Lichts, das Gott in dir angezündet hat, und welches noch nicht ganz erloschen ist, kannst du nun erkennen, wie groß und entsetzlich dein Fall ist. Dann wirst du auch einsehen, wie du ungeachtet deines offenbaren Verfalles, nichts destoweniger mit deinem leeren Bekenntnisse vom Christenthume deiner verderbten Selbstliebe geschmeichelt, und auf eine schreckliche Art dich selbst mit falschen Hoffnungen der Seligkeit getäuscht hast. Das Erstere macht deine Krankheit gefährlich, durch das Letztere wird sie aber fast unheilbar.

§. 2. Jedoch, da bei dem Gott des Mitleids Barmherzigkeit ist, damit man ihn fürchte, und da er keinen Gefallen an dem ewigen Tode armer Sünder hat, wenn sie auch Abtrünnige sind; sondern vielmehr will, daß Alle zur Erkenntniß der Wahrheit und zum Gehorsame gegen dieselbe gebracht, und errettet werden sollen: [1] so hat er seinen Sohn zur Versöhnung dargestellt, und zum Heilande gegeben, um die Sünden der ganzen Welt hinwegzunehmen, damit Diejenigen, die an ihn glauben und ihm folgen, in der Vergebung ihrer Sünden und ewigen Tilgung ihrer Uebertretungen die Gerechtigkeit Gottes erkennen möchten. [2] Siehe! hier ist das unfehlbare Heilmittel für dein Uebel, das Gott selbst verordnet hat; in der That eine köstliche Arznei, die niemals fehlschlägt; das große Universalmittel, dem alle Krankheiten weichen müssen.

§. 3. Du wirst aber vielleicht fragen: Was ist denn Christus? und wo ist er zu finden? Wie kann man diese Arznei für die Seele erhalten? und wie muß man sie anwenden, um ihre mächtige Heilkraft zu erfahren? Ich sage dir daher erstlich: Christus ist das große geistige Licht der Welt, welches alle Menschen, die in diese Welt kommen, erleuchtet, ihnen ihre Werke der Finsterniß und Gottlosigkeit zeigt und offenbar macht, und sie über die Ausübung derselben bestraft.[3] Zweitens: Er ist nicht fern von dir, wie der Apostel Paulus den Atheniensern von Gott erklärte;[4] und Christus selbst sagt: „Siehe! ich stehe vor der Thür und klopfe an; wenn Jemand meine Stimme höret, und die Thür aufthut, zu dem werde ich eingehen und Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir.“[5] Kann nun diese Thür, wovon Christus hier redet, wohl eine andere, als die des menschlichen Herzens seyn?

§. 4. Aber dein Herz war bisher, wie die Herberge vor Zeiten, so sehr von andern Gästen angefüllt, deine Neigungen waren so eifrig auf andere Gegenstände deiner Liebe gerichtet, daß für deinen Heiland kein Raum in dir übrig war. Darum ist das Heil noch nicht in deinem Hause eingekehrt, wiewohl es bis zu deiner Thür gekommen ist, und sich dir oft angeboten hat. Auch hast du es schon lange versäumt, obgleich du es zu besitzen vorgegeben hast. – Doch, wenn dein Heiland dich noch ruft, wenn er noch bei dir anklopft, das heißt: wenn sein Licht dir noch scheint, dich noch bestraft; so ist noch Hoffnung da, daß der Tag deines Heils noch nicht vorüber, noch nicht vor deinen Augen verborgen, – daß noch Reue möglich ist; da seine Liebe dir noch nachgehet, und seine heiligen Einladungen zu deiner Errettung noch fortdauern.

Darum, o Christenheit! glaube an ihn, nimm ihn auf, und mache die rechte Anwendung von ihm; dieses ist von unumgänglicher Nothwendigkeit, wenn deine Seele ewig mit ihm leben soll. Er sagte zu den Juden: „Wenn ihr nicht glaubet, daß ichs bin, so werdet ihr in euern Sünden sterben, und wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen“ [6] Weil sie nicht an ihn glaubten, nahmen sie ihn auch nicht an, und verloren also die Wohlthat seiner Erscheinung. Diejenigen aber, die an ihn glaubten, nahmen ihn an, und „Allen, die ihn annahmen,“ sagt uns sein eigener geliebter Jünger, „gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, die nicht von dem Geblüte, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.“[7] Das heißt: die nicht Kinder Gottes nach den Moden, Gebräuchen, Vorschriften und überlieferten Sagen der Menschen sind, die sich selbst den Namen der Kirche und des Volks Gottes beilegen; denn die wahren Mitglieder der Kirche Christi werden keinesweges nach dem Willen von Fleisch und Blut, oder nach der Erfindung fleischlichgesinnter, mit der Wiedergeburt und Kraft des heiligen Geistes unbekannter Menschen hervorgebracht; sondern wirklich von Gott, nämlich, nach seinem Willen und durch die in ihren Herzen wirkende, heiligende Kraft seines Geistes und Wortes des Lebens, wiedergeboren. Diese haben immer die rechte Anwendung Christi wohl verstanden; ihnen ist er in der That zur Versöhnung, Weisheit, Heiligung, Gerechtigkeit, Erlösung und Rechtfertigung gemacht.

Nun sage ich dir: Wenn du nicht glaubst, daß Er, der vor der Thür deines Herzens stehet und anklopft, der dir deine Sünden der Reihe nach vorhält, und dich zur Buße (d. i. zur Reue und Sinnesänderung) ruft, der Heiland der Welt sey, so wirst du in deinen Sünden sterben, und wohin er gegangen ist, dahin wirst du nie kommen. Denn, wenn du nicht an ihn glaubst, so ist es ganz unmöglich, daß er dir helfen und deine Seligkeit bewirken könne. Er konnte ehemals, wie wir lesen, an einigen Orten nicht viele mächtige Werke verrichten, weil die Menschen nicht an ihn glaubten.[8] Wenn du aber wahrhaft an ihn glaubst, so wird dein inneres Ohr auf seine Stimme in dir aufmerksam seyn, und dann wirst du die Thür deines Herzens seinem Anklopfen öffnen. Du wirst den Offenbarungen seines Lichts nachgeben, und die Belehrungen seiner Gnade werden dir sehr schätzbar seyn.

§. 5. Es liegt in der Natur des wahren Glaubens, daß er eine heilige Furcht, Gott zu beleidigen, eine tiefe Ehrfurcht vor seinen Geboten, und eine sehr zarte Aufmerksamkeit auf das innere Zeugniß seines Geistes in uns erzeugt. Dadurch sind zu allen Zeiten die Kinder Gottes sicher zur Herrlichkeit geführet worden. Denn, so wie Diejenigen, die wahrhaft glauben, Christum mit allen seinen Gaben in ihren Herzen aufnehmen, so ist es auch gewiß, daß Diejenigen, die ihn auf diese Weise aufnehmen, durch ihn Macht empfangen, Gottes Kinder zu werden. Sie empfangen nämlich innere Kraft und Fähigkeit, Alles zu thun, was er von ihnen fordert; Kraft, ihre Lüste zu bekämpfen; ihre Leidenschaften zu beherrschen; den bösen Regungen der verderbten Natur zu widerstehen; sich selbst zu verleugnen und die Welt in allen ihren schmeichelhaften und verführerischen Lockungen zu überwinden. Dieses ist das Leben des heiligen und gesegneten Kreuzes Christi, wovon in dieser Abhandlung noch nähere Erklärung gegeben wird, und welches du, o Mensch! aufnehmen mußt, wenn du je ein wahrer Jünger Jesu werden willst. Wie könnte auch sonst von dir gesagt werden, daß du Christum aufgenommen habest, oder daß du an ihn glaubest, wenn du noch immer sein Kreuz verwirfst. Denn, da Christum aufzunehmen das von Gott verordnete Mittel zur Seligkeit ist, so ist auch das tägliche Tragen seines Kreuzes der einzige wahre Beweis, daß man ihn wirklich aufgenommen habe, und darum hat er es auch Allen als das große Kennzeichen seiner Nachfolge mit den Worten auferlegt: „Wenn Jemand mit nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf, und folge mir.“[9]

Hieran hat es dir, o Christenheit! bisher so sehr gefehlt, und dieser Mangel ist die einzige Ursache deines traurigen Abfalles vom wahren Christenthume. Dieses nun wohl zu erwägen, ist eben sowohl deine Pflicht, als es dir zu deiner Wiederherstellung gewiß sehr behülflich seyn wird. Denn, so wie der Arzt durch die Kenntniß der Ursache einer Krankheit in den Stand gesetzt wird, ein richtiges und sicheres Urtheil über die anzuwendenden Heilmittel zu fällen, eben so wird es auch dir auf dem Wege deiner Genesung Licht und Aufschlüsse geben, wenn du die erste Ursache dieser geistlichen Krankheit und Schwäche, die dich befallen hat, recht einsiehest und reiflich erwägest. Um aber diese Absicht zu erreichen, wird es nöthig seyn, auf deinen ursprünglichen Zustand, und folglich auch auf die Arbeiten Derer, die zuerst in dem christlichen Weinberge arbeiteten, einen allgemeinen Ueberblick zu thun. Sollten dabei auch einige Wiederholungen vorkommen, so wird die Würde und Wichtigkeit der Sache sie auch ohne Entschuldigung schon erlauben.

§. 6. Das Amt der Apostel, wie einer der Ersten, die dasselbe bekleideten, uns sagt, bestand darin: „daß sie den Menschen die Augen öffnen sollten, damit sie sich von der Finsterniß zum Lichte, und von der Gewalt des Satans zu Gott bekehren möchten;“[10] das heißt: damit die Menschen, statt den Versuchungen und Eingebungen des Satans, des Fürsten der Finsterniß, oder der Ungerechtigkeit und Bosheit, – wovon eine Benennung immer nur ein figürlicher Ausdruck der andern ist, – statt diesem mächtigen Einflusse des Bösen, wodurch ihre Verstandeskräfte verfinstert und ihre Seelen in der Knechtschaft der Sünde gehalten würden, nachzugeben, ihre Gemüther auf die Erscheinung Christi, des Lichtes und Heilandes der Welt, richten möchten, der mit seinem göttlichen Lichte ihre Seelen erleuchtet, ihnen dadurch Erkenntniß ihrer Sünden giebt, die Versuchungen und Bewegungen zum Bösen in ihnen entdeckt, und sie innerlich bestraft, wenn sie denselben nachgeben und in das Böse einwilligen; damit sie auf diese Weise Kinder des Lichte würden, und auf dem Pfade der Gerechtigkeit wandeln möchten.

Zu diesem gesegneten Werke der Verbesserung begabte Christus seine Apostel mit Geist und Kraft, damit die Menschen nicht langer in der Sünde, und in der Unwissenheit von Gott und göttlichen Dingen sicher hinschlummern möchten, sondern zur Gerechtigkeit erwecket würden, und der Herr Jesus ihnen Leben geben könnte; damit sie vom Sündigen aufhören, dem Vergnügen eines ungöttlichen Lebens entsagen, mit wahrhaft reuvollem Herzen sich zu Gott wenden, und Gutes thun möchten, worin Friede geschmecket wird. Und wahrlich, Gott segnete die getreuen Arbeiten jener armen Handwerker, – welche dennoch nichtsdestoweniger seine großen Gesandten an das Menschengeschlecht waren, – in solchem Maße, daß in wenig Jahren viele Tausende, die wie ohne Gott, ohne Gefühl von ihm und ohne ihn zu fürchten, gesetzlos und gänzlich unbekannt mit den Wirkungen seines Geistes in ihrem Herzen, in fleischlichen Lüsten gefangen, in der Welt gelebt hatten, durch das Wort des Lebens in ihrem Innern getroffen und zu einem lebendigen Gefühle erweckt wurden; so daß sie die Erscheinung und Kraft des Herrn Jesu Christi, als eines Richters und Gesetzgebers, in ihren Herzen erkannten, indem das Licht seines heiligen Geistes die verborgenen Dinge der Finsterniß in ihnen offenbar machte und bestrafte, und aufrichtige Reue über jene todten Werke mit dem festen Vorsatze erzeugte, hinfort dem lebendigen Gott in einem neuen Leben des Geistes zu dienen. Diese lebten nun künftig nicht mehr sich selbst, und ließen sich auch nicht länger von den mannichfaltigen Lüsten hinreißen, durch welche sie von der wahren Furcht Gottes waren abgezogen und abgeleitet worden; denn das Gesetz des lebendigmachenden Geistes, wodurch sie „das Gesetz der Sünde und des Todes“ überwanden,[11] war nun ihre wahre Lust, und dieses betrachteten sie Tag und Nacht. Die Ehrfurcht vor Gott durfte ihnen nun nicht mehr durch menschliche Lehren beigebracht werden;[12] sie entsprang natürlich aus der Erkenntniß, die sie von ihm durch seine eigenen Wirkungen und Eindrücke in ihren Herzen empfangen hatten. Sie hatten ihre alten Herren: den Geist der Welt, die fleischlichen Leidenschaften, und den Einfluß des Feindes ihrer Seelen verlassen, und sich ganz der heiligen Leitung der Gnade Jesu Christi ergeben, welche sie lehrete: „das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste zu verleugnen, und züchtig, gerecht und gottselig in dieser Welt zu leben.“[13] Dieses ist das wahre Kreuz Christi, und hierin bestehet der Sieg, den es Allen giebt, die es wirklich aufnehmen und getreulich tragen. Durch dieses Kreuz starben sie dem alten Leben, das sie zuvor geführt hatten, täglich ab, und durch heilige Wachsamkeit gegen die geheimen Regungen des Bösen in ihren Herzen erstickten sie die Sünde in ihrer Geburt, im Augenblicke der Versuchung; so daß sie, wie der Apostel Johannes anräth, „sich bewahrten, und der Arge sie nicht antasten konnte.“[14]

Denn das Licht, mit welchem Christus sie erleuchtet hatte, und welches der Arge nicht ertragen kann, entdeckte ihn in allen seinen Annährungen und Angriffen auf ihre Seelen, und die Kraft, die sie durch ihren Gehorsam gegen die innern Offenbarungen dieses heiligen Lichtes empfingen, machte sie vermögend, ihm in allen seinen Kunstgriffen zu widerstehen, und ihn zu besiegen. Auf diese Art konnte nun nichts mehr ununtersucht durchgehen, was sonst gar nicht untersucht wurde. Jeder Gedanke mußte geprüft werden, und ehe nicht Ursprung und Zweck desselben völlig gebilligt werden konnten, verstatteten sie ihm keinen Raum in ihren Seelen. Während sie also auf diese Weise jeden Zugang in ihre Herzen genau bewachten, war nicht zu befürchten, daß sie Feinde für Freunde aufnehmen würden. – Schnell verschwanden nun auch der alte Himmel und die alte Erde, nämlich: der alte fleischliche oder jüdische, in Schatten und Bilder gehüllte Gottesdienst, und der alte irdische Sinn und Wandel, und Alles wurde täglich neu. „Man hielt den nicht mehr für einen Juden, der bloß äußerlich ein Jude war; auch war das keine Beschneidung, die äußerlich am Fleische geschah; sondern der war ein Jude, der es innerlich im Verborgenen war, und das war eine Beschneidung, die am Herzen, im Geiste und nicht im Buchstaben geschah, deren Lob nicht von Menschen, sondern von Gott war.“[15]

§. 7. In der That, die Herrlichkeit des Kreuzes leuchtete aus dem Leben der Selbstverleugnung Derer, die es trugen, so augenscheinlich hervor, daß es die Heiden mit Staunen erfüllte, und in sehr kurzer Zeit ihre Altäre so erschütterte, ihre Orakel so sehr um ihren Ruf brachte, die Menge so ergriff, daß es sogar bis an die Höfe drang, ihre Armeen überwand, und Priester, Obrigkeiten und Feldherren, als Trophäen seiner Macht und seines Sieges, im Triumphe nach sich zog.

So lange nun jener lautere Sinn unter den Christen herrschte, war auch die göttliche Gegenwart bei ihnen groß, und die Kraft, die sie begleitete, unüberwindlich. „Sie löschte des Feuers Gewalt, bändigte Löwen, wandte die Schärfe des Schwertes ab, trotzte den Werkzeugen der Grausamkeit, überzeugte Richter, und bekehrte Henkersknechte.“[16] Kurz, die Mittel, die ihre Feinde anwendeten, sie zu vertilgen, dienten nur, ihre Anzahl zu vermehren; und durch die tiefe Weisheit Gottes wurden selbst Diejenigen zu Beförderern der Wahrheit gemacht, welche mit allen ihren Anschlägen ihr entgegen zu wirken suchten. Damals ward bei den Christen kein eitler Gedanke, kein unnützes Wort, keine ungeziemende Handlung, nein, nicht einmal ein unbescheidener Blick gestattet. Putz und Kleiderpracht, Verbeugungen oder körperliche Ehrenbezeugungen waren keinesweges bei ihnen erlaubt; noch weniger aber fand man unter ihnen weder Beispiel noch Nachsicht für solche niedrige Unsittlichkeiten und schändliche Laster, als unter den jetzigen Bekennern des Christenthumes im Schwange gehen. Jene waren nicht besorgt, wie sie ihre kostbare Zeit vertreiben und verschwenden sollten; nein, sie suchten dieselbe vielmehr sorgfältig zu erkaufen;[17] damit ihnen genug davon übrig bliebe, das wichtige Heil ihrer Seelen zu bewirken, welches sie denn auch mit Furcht und Zittern sorgsam thaten. Daher hatten sie auch keine Bälle und Maskeraden, keine Schauspiele, keine Tanzparthieen, Gastereien und Spielgesellschaften. Nein! Nein! „Ihren himmlischen Beruf und ihre Erwählung sicher zu stellen“[18] war ihnen weit wichtiger und theurer, als der Genuß armseliger, geringfügiger Freuden der Vergänglichkeit. Denn, da sie, wie Moses, den Unsichtbaren gesehen, und erkannt hatten, daß seine liebende Güte besser als das Leben, der Friede seines Geistes besser als Fürstengunst ist; und daher den Zorn eines Cäsars nicht fürchteten; so wählten sie viel lieber die Trübsale der wahren Pilger Christi zu erdulden, als die Vergnügungen der Sünde zu genießen, – die doch auch nur von kurzer Dauer sind, – und schätzten die Schmach Christi unendlich höher, als die vergänglichen Schätze der Erde. Diese konnten endlich aber auch für Diejenigen, welche überzeugt waren, daß die mit dem wahren Christenthume verbundenen Prüfungen und Trübsale den Ergötzlichkeiten der Welt, und die Schmach Christi aller weltlichen Ehre weit vorzuziehen sei, gewiß keine Versuchung enthalten, die stark genug gewesen wäre, ihre aufrichtige Anhänglichkeit an die Religion Christi zu erschüttern.

§. 8. Aus diesem kurzen Abrisse von dem, was das Christenthum ehemals war, kannst du, o Christenheit! nun sehen, was du nicht bist, und was du folglich seyn solltest. Wie gehet es aber zu, daß wir statt eines so sanften, barmherzigen, sich selbst verleugnenden, duldenden, mäßigen, heiligen, gerechten und guten Christenthums, das Christo, dessen Namen es führet, so ähnlich war, jetzt ein abergläubisches, abgöttisches, verfolgendes, stolzes, leidenschaftliches, neidisches, boshaftes, selbstsüchtiges, trunkenes, wollüstiges, unreines, lügenhaftes, fluchendes, habsüchtiges, bedrückendes, betrügerisches Christenthum vorfinden? ein Christenthum, das aller Abscheulichkeiten, die man nur auf der Erde kennt, voll ist, und diese noch dazu in einem so hohen Uebermaße ausübt, daß es den schlimmsten der heidnischen Zeitalter zur Schande gereichen würde; indem es jene früheren Jahrhunderte noch mehr im Bösen selbst, als in der Zeitdauer desselben übertrifft. Ich frage, woher kommt dieser beklagenswerthe Verfall?

Die unzweifelbare Ursache dieser Entartung ist, wie ich behaupte, keine andere, als die innere Unachtsamkeit deines Gemüths auf das in dir scheinende Licht Christi, das dir zuerst deine Sünden zeigte, dich über dieselben bestrafte, und dich lehrte und fähig machte, sie zu verleugnen und ihnen zu widerstehen. Denn, so wie deine Gottesfurcht und heilige Enthaltung von allem Bösen dir zuerst nicht durch Menschengebote, sondern durch das göttliche Licht gelehret wurde, welches dir die geheimsten Gedanken und Absichten deines Herzens offenbarte und dein Innerstes erforschte, indem es dir deine Sünden der Reihe nach vor Augen stellte, dich über dieselben innerlich bestrafte, und keine unfruchtbare Gedanken, Worte oder Werke der Finsterniß ungerichtet durchgehen ließ; so geschah es auch hernach, als du anfingest, dieses göttliche Licht, diese innere Gnade aus der Acht zu lassen, die vorhin in deinem Herzen unterhaltene heilige Wachsamkeit zu vernachlässigen, und nicht, wie zuvor, gegen Alles, was der Ehre Gottes und deinem eigenen Frieden nachtheilig seyn konnte, auf deiner Hut zu stehen; daß der rastlose Feind der menschlichen Glückseligkeit diese Erschlaffung und Unwachsamkeit schnell benutzte, und dich oft mit Versuchungen überraschte, die jedesmal deinen Neigungen angemessen waren, und ihm daher den Sieg über dich leicht machten. – Kurz, du unterließest, das heilige Joch Christi aufzunehmen, und dein tägliches Kreuz zu tragen; du gabest deinen Neigungen zu viel nach, und führtest kein Gegenregister über deine Handlungen; denn du warest abgeneigt, Christo, deinem Lichte, dem großen Bischofe deiner Seele und Richter deiner Werke, in deinem Gewissen Rechenschaft zu geben. So geschah es denn, daß die heilige Furcht Gottes sich verminderte, die Liebe erkaltete, die Eitelkeit überhand nahm, und die Erfüllung deiner Pflichten dir lästig wurde. Nun trat leere Formalität an die Stelle der Kraft der Gottseligkeit; Aberglaube an die der Anordnung Christi; und obgleich Christus beständig den Zweck hatte, die Gemüther seiner Jünger vom äußern Tempel und von fleischlichen Gebräuchen und Zeremonien abzuziehen, und zur innern, geistlichen, der Natur und dem Wesen der Gottheit angemessenen Gottesverehrung anzuleiten, so wurden dennoch wieder ein weltlicher, von Menschen erfundener, prachtvoller Gottesdienst und ein weltliches Priesterthum eingeführt, und auch wieder Tempel und Altäre errichtet. „Da sahen die Kinder Gottes wieder nach den Töchtern der Menschen, wie sie schön waren.“[19] Es ward nämlich das durch Reue in dir geöffnete, reine Auge, das zuvor außer Christo keine Schönheit erblickte, wieder verdunkelt, und das Auge der Weltlust von dem Gotte dieser Welt von neuem geöffnet; die weltlichen Ergötzungen, welche Diejenigen, die sie lieb gewinnen, von Gott abziehen, erlangten nun, – wiewohl sie einst um Christi willen waren verleugnet worden, – ihren alten Reitz und ihre vorige Herrschaft über deine Neigungen wieder, und so wurden sie dann, – da du ihnen nachhingest, – auch wieder die Gegenstände der Betrachtung, der Sorge und der Freude deines Lebens.

Es blieb freilich immer noch eine äußere Form des Gottesdienstes und eine scheinbare, mündliche Verehrung Gottes und Christi übrig; das war aber auch Alles. Das Aergerniß und die Schmach des heiligen Kreuzes hörten auf, die Kraft der Gottseligkeit verschwand, an Selbstverleugnung ward nicht mehr gedacht. Man war allerdings sehr fruchtbar in Erfindung neuer Zeremonien und Verzierungen, allein desto unfruchtbarer im Guten; die köstlichen Früchte des Geistes blieben zurück. Denn Tausende von Schalen können nicht einen einzigen Kern, und viele todte Körper nicht einen lebendigen Menschen ersetzen.