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Die Grundlage für diesen Essay bilden Thomas Manns ›Drei Berichte über okkultistische Sitzungen‹. Er wohnte im Dezember 1922 im Hause des Hypnoseforschers und Neurologen Albert von Schrenck-Notzing diesen Sitzungen bei. Verfasst wurde der Text im Januar und Februar 1923, anschließend trug Mann im Rahmen zahlreicher Lesungen in vielen europäischen Städten daraus vor. Wie er die »okkulten Erlebnisse« bewertet? Der humoristische Ton und eine feine Ironie sind unverkennbar, zudem wird die Erfahrung im ›Zauberberg‹ aufgegriffen und mit eindeutig fantastischen Elementen übersteigert – auch dies ein Hinweis auf Manns tendenziell distanzierte Haltung. Unbeeindruckt ließen ihn die Erlebnisse dennoch keineswegs. Der Essay wurde zunächst in limitierter Luxusausgabe bei Alf Häger in Berlin veröffentlicht, danach jeweils geringfügig gekürzt in der Neuen Rundschau 35 vom März 1924 sowie in einigen internationalen Zeitschriften. Vermutlich existierte eine ausführlichere, ursprüngliche Handschrift, die als Grundlage der jeweiligen Überarbeitungen diente, sie ist jedoch nicht erhalten.
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Seitenzahl: 63
Thomas Mann
Okkulte Erlebnisse
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Während die Welt voll ist von Problemen, durch deren Erörterung der Schriftsteller oder Redner sich vielleicht ein öffentliches Verdienst erwerben könnte: geistigen, künstlerischen, sittlichen, gesellschaftlichen Problemen, deren Würde und Wichtigkeit demjenigen zugute kommt, der sie behandelt, – unterstehe ich mich, vor Sie zu treten mit einem Thema, das ich selbst gar nicht umhin kann als schrullenhaft, abwegig, gewissermaßen ehrlos zu empfinden, und durch dessen Wahl ich zweifellos das geringschätzige Befremden der meisten von Ihnen errege. Aber wählt man sein Thema? Nein, man schreibt und redet von dem, was einem auf den Nägeln brennt – von nichts anderem, möge das andere auch würdigste Wichtigkeit für sich in Anspruch nehmen dürfen, das aber, was einem den Sinn gefangen hält, reiner Unfug sein. Und mir nun ist das ehrsame Konzept verdorben durch Eindrücke so intrikater Natur; ich bin in Verwirrung gesetzt durch persönliche Erfahrungen und Beobachtungen, die zugleich in dem Grade läppisch und in dem Grade unerklärlich sind (wenn es Grade der Unerklärlichkeit gibt), daß ich nicht darüber hinwegkomme, daß ich mich für die Beschäftigung mit den lauteren, der Sphäre gesunder, wenn auch verfeinerter Menschenvernunft angehörigen Themen, mit denen ich soviel mehr Ehre einlegen könnte, für den Augenblick wenigstens verdorben finde. Ich sage »verdorben«, denn es ist wirklich und deutlich eine Art von Verderbnis, die ausgeht von der Welt, die mir im Sinne liegt, dem wahrscheinlich nicht tiefen, aber untergründigen, trüben und vexatorischen Lebensgebiet, mit dem ich mich leichtsinnigerweise in Berührung gesetzt: eine Verführung fort von dem, was mir obliegt, zu Dingen, die mich nichts angehen {612}sollten, die aber gleichwohl auf meine Phantasie und meinen Intellekt einen so scharfen, fuselartigen Reiz ausüben (fuselartig im Vergleich mit dem Wein des Geistes und der Gesittung), daß ich wohl verstehe, wie man ihnen lasterhafterweise verfallen und über einer monomanischen, närrisch-müßigen Vertiefung in sie der sittlichen Oberwelt auf immer verlorengehen kann.
Es ist nicht anders: ich bin den Okkultisten in die Hände gefallen. Nicht gerade den Spiritisten – obgleich sich, wie ich glaube, auch solche in der Gesellschaft befanden, an welcher ich neulich teilnahm. Immerhin muß man da unterscheiden. Die spiritistische Lehrmeinung ist nicht nur nicht obligatorisch in der an Zahl nachgerade gar nicht mehr so geringen internationalen Gelehrtengemeinde, deren Mitglieder sich Okkultisten nennen, weil sie dem Studium von Phänomenen ergeben sind, die – vorläufig – mit den Gesetzen der uns bekannten Naturordnung in Widerspruch zu stehen scheinen, sondern jene Art, gewisse Rätsel zu »erklären«, die Geistertheorie also, wird von vielen dieser Forscher sogar mit der Geste wissenschaftlicher Solidität und Strenge abgelehnt, obgleich, wie man hinzufügen muß, das Mittel, dessen sie sich zur Erzeugung der okkulten Vorgänge bedienen, die supranormale, oder jedenfalls anormale Veranlagung gewisser, menschlich und geistig übrigens in der Regel durchaus nicht besonders hochstehender Personen – obgleich, sage ich, dieses Mittel, der Somnambulismus der sogenannten Medien, jeden Augenblick ins Transzendente und Metaphysische hinüberspielt. Aber Metaphysik ist natürlich nicht Spiritismus, und namentlich: dieser ist nicht jenes. Das ist ein Niveau-Unterschied solchen Grades, daß er zum wesentlichen Unterschiede wird, und nichts ist begreiflicher, als daß philosophische Metaphysik sich den Spiritismus vom Leibe zu halten trachtet. In der Tat ist {613}Spiritismus, der Glaube an Geister, Gespenster, Revenants, spukende »Intelligenzen«, mit denen man sich in Beziehung setzt, indem man eine Tischplatte anredet, und zwar nur, um die größten Dummheiten zur Antwort zu erhalten – in der Tat also ist Spiritismus eine Art von Gesindestuben-Metaphysik, ein Köhlerglaube, der weder den Gedanken idealistischer Spekulation gewachsen noch des metaphysischen Gefühlsrausches im entferntesten fähig ist. Ein Meisterwerk des metaphysischen Gedankens ist »Die Welt als Wille und Vorstellung«. Das klassische opus metaphysikum der Kunst besitzen wir in Wagners »Tristan und Isolde«. Man braucht an so hohe Intuitionen nur zu erinnern, um die ganze klägliche Unwürde dessen begreifen zu lassen, was sich Spiritismus nennt und was nicht sowohl Metaphysik als eine Sonntagnachmittagszerstreuung für Köchinnen ist.
Ist aber Menschenwürde ein Wahrheitskriterium? In gewissem Sinne: ja. Einen Mann, dessen Tun und Trachten sich an der Grenze des okkulten Gebietes bewegt, Herrn Krall aus Elberfeld, bekannt durch seine Zöglinge, die »rechnenden Pferde«, hörte ich sagen: »Wenn es Geister gibt, so hat man allen Grund, sich ein recht langes Leben zu wünschen, denn abgeschmackter, kindischer, ratloser, verworrener und erbärmlicher könnte nichts sein, als die Existenzform dieser Wesen, ihren angeblichen Manifestationen nach zu urteilen«. Das erinnert an die berühmte Äußerung, die der Schatten des Achill am kimmerischen Strande anläßlich der spiritistischen Séance des Odysseus tut. »Nichtig und sinnlos« nennt der Pelide das Dasein der Verstorbenen, und der heidnische Sinn mag immerhin solche Vorstellungen von dem Leben nach dem Tode hegen, ohne zugleich an diesem Leben als Wahrheit, Glaubenssatz, Tatsache irre zu werden. Dagegen wird der christlich geborene Menschengeist sich schwer entschließen, ein Jenseits {614}anzunehmen, in dem es blöder, nichtsnutziger und armseliger zuginge, als auf der uns bekannten Ebene; und wenn, wie es ja nicht selten begegnet, eine »Intelligenz« sich vermittelst des Tisches als der Geist des Aristoteles oder Napoleon Bonapartes in menschliche Gesellschaft einführt, die Verlogenheit dieser Behauptung aber durch hundert Albernheiten, Bildungsschnitzer und offenbar hochstaplerische Flausen belegt: dann genügen Geschmacksgründe, um das Urteil zu rechtfertigen, sie sei nicht nur nicht Aristoteles oder Napoleon, sondern sie sei überhaupt nicht, sie tue nur so, als ob sie wäre, und ein Eingehen auf solches Getu sei unter aller humanen Würde.
Das alles wäre nun schön und gut, wenn nicht immer ein Zweifel bliebe, ob dem Begriff der Würde und des guten Geschmacks ausschlaggebende Rechte zukommen dort, wo es sich um Wissenschaft, um die Erforschung der Wahrheit, also um jenen Prozeß handelt, in dem die Natur durch den Menschen sich selbst ergründet. Würde gibt es nur in der Sphäre des reinen Geistes, zu dessen Provinzen die Metaphysik im Sinne erkenntnistheoretisch-transzendenter Spekulation gehört. Wenn aber Metaphysik empirisch wird; wenn sie sich herbeiläßt oder die Verpflichtung zu fühlen beginnt oder der Verführung unterliegt, dem Weltgeheimnis experimentell auf die Spur zu kommen – und das tut sie im Okkultismus, da dieser nichts ist als empirisch-experimentelle Metaphysik –; so darf sie nicht darauf rechnen, ihre Hände rein zu halten, ihrer Haltung Würde zu wahren, außer derjenigen, die ehrlichem Wahrheitsdienste unter allen Umständen gewahrt bleibt: sie muß sich vielmehr darauf gefaßt machen, es mit viel Schmutz und Narretei zu tun zu bekommen. Denn im Mediumismus und Somnambulismus, der Quelle der okkulten Phänomene, mischt sich das Geheimnis des organischen Lebens mit den übersinnlichen Geheimnissen, und diese Mischung ist trüb. {615}Hier nämlich handelt es sich nicht länger um Geist, Niveau, Geschmack, um nichts in Kühnheit Schönes; hier ist Natur