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Sie ist die wichtigste Mission meines Lebens.
Zwei Dinge weiß ich mit absoluter Sicherheit: Zweite Chancen muss man sich verdienen und ich werde Emma Parker heiraten. Vor zehn Jahren war ich so verwirrt, wütend und voller Zorn, dass ich Emma vor mir schützen musste. Es blieb mir kein anderer Ausweg als Jetty Beach über Nacht zu verlassen und somit auch die Liebe meines Lebens zu enttäuschen.
Zehn Jahre war ich nun bei den Marines und diese Zeit hat mich zu einem anderen Menschen gemacht. Meine Wut und mein Zorn sind verraucht und ich habe jetzt nur ein Ziel: die Liebe meines Lebens zurückzugewinnen und ihr zu beweisen, dass sie mir vertrauen kann. Es ist die Mission meines Herzens und Scheitern ist keine Option …
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Seitenzahl: 312
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Sie ist die wichtigste Mission meines Lebens.
Zwei Dinge weiß ich mit absoluter Sicherheit: Zweite Chancen muss man sich verdienen und ich werde Emma Parker heiraten.
Vor zehn Jahren war ich so verwirrt, wütend und voller Zorn, dass ich Emma vor mir schützen musste. Es blieb mir kein anderer Ausweg als Jetty Beach über Nacht zu verlassen und somit auch die Liebe meines Lebens zu enttäuschen.
Zehn Jahre war ich nun bei den Marines und diese Zeit hat mich zu einem anderen Menschen gemacht. Meine Wut und mein Zorn sind verraucht und ich habe jetzt nur ein Ziel: die Liebe meines Lebens zurückzugewinnen und ihr zu beweisen, dass sie mir vertrauen kann.
Es ist die Mission meines Herzens und Scheitern ist keine Option …
Über Claire Kingsley
Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen.
Sie kann sich ein Leben ohne Kaffee, ihren Kindle und all den Geschichten, die ihrer Fantasie entspringen, nicht mehr vorstellen. Sie lebt im pazifischen Nordwesten der USA mit ihrem Mann und ihren drei Kindern.
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Claire Kingsley
Operation: Get Her Back
Übersetzt von Kerstin Fricke aus dem amerikanischen Englisch
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
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Kapitel 1: Emma
Kapitel 2: Hunter
Kapitel 3: Emma
Kapitel 4: Hunter
Kapitel 5: Hunter
Kapitel 6: Emma
Kapitel 7: Hunter
Kapitel 8: Emma
Kapitel 9: Hunter
Kapitel 10: Emma
Kapitel 11: Hunter
Kapitel 12: Emma
Kapitel 13: Hunter
Kapitel 14: Emma
Kapitel 15: Hunter
Kapitel 16: Emma
Kapitel 17: Emma
Kapitel 18: Hunter
Kapitel 19: Emma
Kapitel 20: Hunter
Kapitel 21: Emma
Kapitel 22: Emma
Kapitel 23: Hunter
Kapitel 24: Emma
Kapitel 25: Hunter
Kapitel 26: Emma
Kapitel 27: Emma
Epilog: Hunter
Nachwort
Impressum
Der Korken der Champagnerflasche fliegt mit einem lautem Ploppen in die Luft. Ich besitze keine Champagnerflöten, daher gieße ich mir etwas in ein normales Weinglas. Ich mache es randvoll. Warum auch nicht? Ich feiere zwar allein, aber das heißt doch noch lange nicht, dass ich nicht feiern darf.
Auf dem Heimweg habe ich an einer piekfeinen Bäckerei angehalten und mir ein Stück Schokoladenkäsekuchen gegönnt, das herrlich dekadent aussieht: dunkelbraun und mit einem glänzenden Zickzackdekor aus Zartbitterschokolade gekrönt. Ein Minzblatt und eine frische Himbeere darauf bringen etwas Farbe ins Spiel. Wunderhübsch! Mir ist danach, mich zu belohnen, und das ist genau das Richtige. Schließlich kann man nicht jeden Tag die Tatsache feiern, dass man rechtsgültig geschieden ist.
Der ganze Papierkram ist unterschrieben, dokumentiert und was noch alles nötig war, damit ich meine Freiheit wieder habe. Es war ein langes Jahr von dem Augenblick, in dem ich meine Tasche gepackt und gegangen bin, bis zu diesem – dem Moment, in dem mein neues Leben beginnt.
Wir machen alle Fehler, wenn wir jung sind. Dummerweise gehörte zu meinem ein rechtsverbindlicher Vertrag und das Versprechen, für den Rest meines Lebens bei Wyatt zu bleiben. Ich wusste schon damals, als ich das Ehegelübde sprach, dass es ein Fehler war. Wahrscheinlich macht mich das zu einem schrecklichen Menschen. Ich habe mich die ganze Hochzeitsfeier über gefragt, wie lange die Ehe wohl halten würde. Konnte ich wirklich bis ans Ende meiner Tage mit ihm glücklich sein? Würde die Sache gut gehen?
Spoiler: Es ging in die Hose.
Ich verlege meine Party für eine Person an den winzigen Küchentisch und setze mich. Dabei versuche ich, nicht zu enttäuscht darüber zu sein, dass ich ganz allein in meinem schäbigen Apartment bin. Ich habe schon von Frauen gehört, die richtige Scheidungspartys feiern – mit ihren Freundinnen in Lokale mit Strippern gehen und sich betrinken. Wie gern würde ich ebenfalls ausgehen und mal etwas Albernes oder Verrücktes machen oder einfach die Sau rauslassen. Aber dafür bräuchte ich Freundinnen, mit denen ich ausgehen könnte, und die Ehe mit Wyatt war in dieser Hinsicht leider überhaupt nicht förderlich. Er mochte keinen meiner Freunde, daher habe ich sämtliche Freundschaften einschlafen lassen, um keinen Streit vom Zaun zu brechen.
Ich habe so vieles vernachlässigt. Freunde. Meine Familie. Mich selbst.
Geknickt nippe ich an meinem Champagner. Er war zwar billig, schmeckt aber ganz gut. Das Stück Käsekuchen hat fast so viel gekostet wie die Flasche. Ich nehme einen Bissen, schließe die Augen und seufze leise. Der Kuchen ist jeden Penny wert. Er ist wundervoll cremig und schmeckt herrlich nach Schokolade. Etwas Besseres habe ich seit langer Zeit nicht gegessen.
Mir geht durch den Kopf, was Wyatt wohl sagen würde, wenn er mich hier sehen könnte, wie ich Champagner trinke und Schokoladenkuchen esse. Vermutlich irgendetwas Gemeines darüber, dass ich mich gehen lasse. Danach würde er lachen und so tun, als wäre das nur Spaß gewesen, und mich dann empfindlich nennen, wenn ich mich darüber beschwere.
Scheiß auf den Kerl.
Ich trinke noch einen Schluck Champagner. Vielleicht hätte ich doch was Stärkeres kaufen sollen. Allerdings bin ich ziemlich pleite, daher waren der Champagner und der Kuchen schon Luxus. Anwälte sind nicht billig, und Wyatt hat mir so viele Steine in den Weg gelegt, wie er nur konnte. Das war auch nicht anders zu erwarten gewesen. Ich wollte gar nichts von ihm – nicht den Wagen, die Haushaltsgeräte oder die Möbel. Das konnte er von mir aus alles behalten. Mir ging es nur um meine Freiheit. Ich wollte meinen Namen zurückhaben und die Chance auf ein Leben, ohne ständig einen Eiertanz aufführen und auf Zehenspitzen um einen launischen Mistkerl herumschleichen zu müssen. Letzten Endes konnte er mich nicht daran hindern, die Scheidung durchzuziehen. Seine Miene bei unserer letzten Begegnung vor Gericht sagte mir eindeutig, dass ihn diese Tatsache ziemlich schockierte. Er hatte tatsächlich geglaubt, er könnte mich behalten.
Aber das kann niemand. Nicht jetzt, und auch nicht in Zukunft. Ich habe ganz offiziell die Nase voll von Männern.
Ich lasse mir mit dem Käsekuchen Zeit und schenke mir Champagner nach. Es ist Donnerstag, daher muss ich morgen arbeiten, doch zu meinem Glück arbeite ich von zu Hause. Ich bin Lektorin für ein Unternehmen, das Websites entwickelt – und diesen Job hatte ich schon seit einem Jahr, bevor Wyatt Wind davon bekam. Er wollte nicht, dass ich arbeite, und anfangs glaubte ich, tun zu müssen, was er will, damit unsere Ehe funktioniert, und habe mich dem nicht widersetzt. Ich war so eine Idiotin. Zum Glück hat mir mein Abschluss in Englisch zu dieser Stelle verholfen, die es mir letzten Endes auch ermöglicht hat, Wyatt zu verlassen.
Das zweite Glas Champagner ist schneller leer als das erste. Ich zappe durch die Shows im Fernseher und sehe doch nur beiläufig hin. Da sich Champagner bestimmt nicht lange hält, schenke ich mir noch mal nach. Wo ich schon mal in der Küche bin, werfe ich auch gleich einen Blick in die Schüssel unter dem Spülbecken, um mich zu vergewissern, dass sie nicht voll ist. Dieses blöde Leck. Dieses blöde Apartment. Die Wohnung ist schon seit meinem Einzug der reinste Albtraum, und bisher sind nicht einmal die Hälfte aller Probleme beseitigt.
Bei meinem Job läuft alles gut, und er war der erste Schritt meines Plans, mein Leben zurückzuerobern. Wyatt zu verlassen und mir eine Wohnung zu suchen war der zweite. Dieses Apartment macht nicht viel her, aber es ist meins und ich muss es mit niemandem teilen. Das ist doch ein Fortschritt. Jetzt, da die Scheidung durch ist, kann ich darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Projekt »Hol Emma zurück« sollte eigentlich in vollem Gang sein, aber ich bin mir nicht mal sicher, was das überhaupt bedeutet. Bei der Hochzeit war ich einundzwanzig und wusste noch gar nicht richtig, wer ich eigentlich bin. Die folgenden sechs Jahre habe ich mit dem Versuch verbracht, diejenige zu sein, von der ich glaubte, dass Wyatt sie sich wünschte.
Jetzt habe ich beim besten Willen keine Ahnung mehr, wer ich wirklich bin.
Ein lautes Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken, und ich kleckere etwas Champagner auf meine Jeans. Mist! Ich hole tief Luft, um mich zu beruhigen. Es ist neunzehn Uhr an einem Donnerstag. Wer kann das sein?
Oh Gott! Hat Wyatt etwa herausgefunden, wo ich wohne?
Im Grunde genommen verstecke ich mich gar nicht vor ihm. Das Zusammenleben war zwar die Hölle, aber er wird nicht gewalttätig oder so. Doch der Gedanke, er könnte wissen, wo ich bin, gefällt mir gar nicht. Außerdem habe ich ihm nichts mehr zu sagen. Wenn ich ihn nie wiedersehe, wäre mir das nur recht.
Ich könnte so tun, als wäre ich nicht zu Hause, und hoffen, dass derjenige einfach wieder geht. Wenn es jedoch der Hausmeister ist, dann hätte ich nicht nur das undichte Rohr am Spülbecken, sondern noch eine ganze Liste weiterer Dinge, deren Reparatur mir schon längst versprochen wurde. Diese Wohnung liegt tatsächlich direkt neben einem waschechten Crack-Haus, und die Nachbarn rauchen so viel Gras, dass ich seit meinem Einzug bestimmt schon ein Dutzend Mal high war. Aber die Miete ist billig und die Gegend gar nicht mal so schrecklich. Wenn es der Hausmeister ist, sollte ich wohl besser aufmachen.
Nach einem weiteren tiefen Atemzug gehe ich zur Wohnungstür. Von der Couch sind es gerade mal vier oder fünf Schritte. Mein Apartment ist wirklich winzig. Wenn es Wyatt ist, sage ich ihm einfach, dass er verschwinden soll, und schließe die Tür. Danach kann er klopfen, so lange er will, reinlassen muss ich ihn deswegen noch lange nicht. Und wenn es der Hausmeister ist, kann ich ihm wegen des miserablen Zustands der Wohnung wenigstens mal die Meinung sagen.
Ich ziehe die Tür auf – ganz schnell, als wollte ich ein Pflaster runterreißen. Aber da ist niemand. Der Flur ist leer, und auch auf der Treppe ist keiner zu sehen. Ich stecke den Kopf raus und sehe mich um, kann jedoch keine Menschenseele entdecken.
Seltsam.
Als ich die Tür schon wieder zuziehen will, fällt mir das gefaltete Blatt Papier vor der Schwelle auf. Ich stoße die Luft aus und merke erst jetzt, dass ich sie angehalten habe. Was regst du dich denn wegen nichts auf, Emma?
Das ist bestimmt nur Werbung. In diesem Haus werden ständig irgendwelche Flyer verteilt. Nachdem ich die Tür geschlossen und wieder verriegelt habe, schnappe ich mir meinen Champagner und setze mich, um mir das Schreiben genauer anzusehen. Ich falte das Blatt auseinander und sehe ganz oben das Apartment-Logo. Mein Blick rast über die Seite, und bei jedem Wort zieht sich mein Magen noch mehr zusammen.
Befall.
Insekten.
Gefährlich.
Verlassen Sie das Gebäude.
Ich soll mein Apartment wenigstens eine Woche lang nicht mehr betreten? Ab morgen? Verdammt noch mal, das kann doch nicht ihr Ernst sein! Wo soll ich denn hin? Die können mich doch nicht einfach so vor die Tür setzen. Mir ist völlig egal, dass sie mir für die Zeit keine Miete berechnen; ich brauche einen Platz zum Schlafen.
Als ich mich geknickt aufs Sofa sinken lasse, fällt mir der Zettel aus den schlaffen Fingern. Mist! Das ist nicht das erste Mal, dass es in diesem blöden Haus Schwierigkeiten gibt. Zuerst waren es die Rohre. Danach hat das Dach geleckt. Drei Tage lang musste ich ohne Strom auskommen, weil mit der Elektrizität irgendwas nicht in Ordnung war. Und jetzt das? Ich sollte mir wirklich etwas Neues suchen.
Aber jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich habe keine Freunde, die ich anrufen und bitten kann, mich auf ihrer Couch übernachten zu lassen. Ein Hotelzimmer kann ich mir dummerweise nicht leisten. Jedenfalls noch nicht. So eine Scheidung ist echt teuer.
Damit bleibt nur noch die Familie. Ich könnte bei meiner Mom unterkommen. Allerdings ist sie vor ein paar Jahren in eine kleine Wohnung gezogen und hat nicht besonders viel Platz. Zudem ist es für mich die reinste Folter, längere Zeit (also mehr als eine Stunde) in ihrer Nähe verbringen zu müssen. Damit bleibt nur noch eine Person übrig: Gabriel.
Ich suche die Nummer meines Bruders in meinen Kontakten und rufe ihn an.
»Hey, Schwesterherz«, meldet er sich. »Du hast mich gerade noch erwischt. Ich muss nämlich gleich los. Was gibt’s?«
Gabriel ist Chefkoch im Ocean Mark, einem wunderschönen und guten Restaurant draußen in Jetty Beach, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Er lebt nur für diesen Job.
»Okay, dann mache ich es kurz. Ich muss aus meiner Wohnung raus, während die hier Schädlingsbekämpfungsmittel oder was auch immer versprühen, und kann nirgendwo anders hin.«
»Du musst gar nicht weiterreden, Emma«, erwidert er. »Selbstverständlich kannst du so lange bei mir wohnen. Ich bin sowieso kaum zu Hause.«
»Danke, Gabe«, sage ich.
»Wann kommst du?«
»Morgen.«
»Okay«, meint er. »Wenn ich bei der Arbeit bin, geh einfach rein. Und komm im Restaurant vorbei, dann mache ich dir was Leckeres zu essen.«
Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. Gabe kann unglaublich gut kochen. »Das Angebot nehme ich doch gern an.«
»Schön. Bis dann.«
Seufzend lege ich auf. Mein Bruder ist ein netter Kerl, und es wird schon nicht so schlimm werden, eine Weile bei ihm zu wohnen. Es ist vielmehr die Stadt, vor der ich mich fürchte.
Ich hasse Jetty Beach derart abgrundtief, dass es wahrscheinlich nicht mehr gesund ist. Obwohl ich den Großteil meines Lebens dort verbracht habe, vermeide ich es nach Möglichkeit, dorthin zurückzukehren. Es ist Jahre her, dass ich länger als einen Tag dort verbracht habe. Selbst nach der Trennung von Wyatt bin ich nicht zu meiner Mom oder zu Gabriel gegangen. Stattdessen habe ich die ersten Nächte im Hotel gewohnt und war sehr glücklich damit, weil es bedeutete, dass ich nicht nach Hause musste.
Und jetzt soll ich wieder dorthin?
Ich schließe die Augen und lasse den Kopf gegen die Kissen sinken. Eigentlich ist die Stadt gar nicht mal so schlimm, sie birgt nur viel zu viele Erinnerungen – sowohl schöne als auch schlimme. Die schlimmen kamen zuletzt, und das Ende war so schrecklich, dass ich all den Schmerz mit diesem Ort verbinde. Wann immer ich durch diese blöde kleine Küstenstadt fahre, sehe ich nur ihn.
Hunter.
Ich schlage gegen den Boxsack und spüre den Rückschlag durch meinen Arm und meinen Rücken vibrieren. Nach einem Schritt zur Seite setze ich den nächsten Schlag an. Mir läuft der Schweiß über die nackte Brust und den Rücken. Selbst wenn ich nicht mehr laufen kann, will ich verdammt sein, wenn ich zulasse, dass ich aus der Form komme. Mein Atem geht schnell, Adrenalin schießt durch meine Adern. Bämm! Meine Faust knallt laut gegen das Leder, und die Kette klirrt.
Ich lasse mich zu Boden fallen und hänge noch zwanzig Push-ups dran. Es ist später Nachmittag, und dies ist mein zweites Training für heute, doch ich bin viel zu ruhelos, um einfach nur rumzusitzen.
Mein Handy klingelt, und ich stehe auf und gehe ran. »Hi, Mom.«
»Hi, Hunter«, begrüßt sie mich. »Kannst du heute Abend auf dem Weg hierher noch Brot mitbringen?«
Ach ja, das Familienessen. »Klar. Was hättest du denn gern?«
»Baguette.«
»Wird erledigt.«
»Danke, Schatz«, sagt sie. »Wir sehen uns dann in ein paar Stunden.«
»Ja, Mom, bis nachher.«
Ich lege auf, greife nach einem Handtuch und wische mir das Gesicht ab. Maureen ist zwar nicht meine leibliche Mutter, aber in jeder anderen Hinsicht meine Mom. Mein Dad hat sich verdünnisiert, als ich noch ein Baby war, und ich war kein einfaches Kind. Meine Mutter war alleinerziehend und hatte zwei Jobs, und so wurden die Jacobsens zu meiner zweiten Familie. Irgendwann verbrachte ich mehr Zeit in ihrem Haus als in meinem, ging nach der Schule dorthin und blieb, bis meine Mutter von der Arbeit kam. Sie haben ihrem jüngeren Sohn Ryan ein Etagenbett gekauft, damit ich einen Platz zum Schlafen hatte, wann immer ich dort blieb – was ziemlich häufig passierte.
Dann wurde meine Mutter krank und ich ging so gut wie gar nicht mehr nach Hause.
Maureen und Ed haben sich um mich gekümmert, während meine Mutter die Chemotherapie durchmachte. Und als diese nicht anschlug und sie dem Krebs erlag, bin ich einfach bei ihnen geblieben. Damals war ich dreizehn und hatte keine anderen Verwandten. Sie haben mich jedoch nie offiziell adoptiert – ich habe meinen Nachnamen Evans behalten, allerdings hauptsächlich zum Andenken an meine Mutter –, aber Maureen war irgendwann Mom.
Als Kind habe ich sie nicht einmal so genannt. Ich hatte immer das Gefühl, als hätte ich nicht das Recht dazu. Auch wenn sie mich mit offenen Armen bei sich aufgenommen und genauso geliebt haben wie Cody und Ryan, kam ich mir wie ein Außenseiter vor. Sie stellten mich sogar als ihren Sohn vor, aber ich nannte sie stets Maureen und Ed, bis zu dem Tag, an dem ich ihr Haus verließ und zu den Marines ging.
Ich war schon erwachsen, als ich sie zum ersten Mal Mom nannte. Das war an dem Tag, an dem ich sie anrief und fragte, ob ich wieder zurückkommen dürfe. Ich lag frisch operiert im Krankenhaus und erholte mich von einem Autounfall bei einem Einsatz im Ausland. Damals war mir klar, dass man mich aus medizinischen Gründen entlassen würde. Das war meine dritte OP, und die Ärzte hatten mir mitgeteilt, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Ich lag dort, starrte das grelle Licht über dem Bett an und wusste, dass es Zeit war, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Damals hatte ich mich ohne ein Wort mitten in der Nacht aus dem Haus gestohlen und nichts als eine Nachricht zurückgelassen.
Neun Jahre später wurde es Zeit zu reden, und ich rief Maureen an.
Darf ich bitte nach Hause kommen, Mom?
Sie weinte. Ich weinte ebenfalls, was ich ohne die geringste Scham zugebe. Ich war körperlich am Ende, gebrochen und todtraurig. Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
Zu meinem großen Erstaunen nahmen mich die Jacobsens wieder bei sich auf. Zugegeben, Ryan verpasste mir eine, als er mich das erste Mal sah, aber das hatte ich auch verdient. Nachdem wir uns ausgesprochen hatten, waren beide Jacobsen-Brüder froh, dass ich wieder zu Hause war. Und ich habe das letzte Jahr über versucht, meine Schuld auszumerzen, auch wenn ich genau weiß, dass mir das nie ganz gelingen wird.
Da ich völlig durchgeschwitzt bin, sollte ich besser duschen gehen. Ich ziehe mir das T-Shirt wieder an und gehe nach draußen zu meinem Pick-up. Meine Wohnung ist zwar in der Stadt, aber mir gehört auch ein großes Grundstück außerhalb von Jetty Beach. Hier arbeite ich, und ich habe mir direkt auf dem Gelände ein Fitnessstudio eingerichtet. Daher komme ich auch gern her, wenn ich nicht arbeite. Es ist so friedlich. Allerdings sollte ich beim Essen nicht wie eine schmutzige Socke riechen, daher fahre ich nach Hause und mache mich frisch.
Etwa eine Stunde später fahre ich zum Haus meiner Eltern und sehe dem Essen mit einem mulmigen Gefühl im Bauch entgegen. Mom kann hervorragend kochen, daher spricht allein das für die wöchentlichen Familienessen. Aber seit Ryan letzten Monat geheiratet und sich Cody verlobt hat, komme ich mir wie das fünfte Rad am Wagen vor. Ryan und Nicole gehen mir mit ihrem verzückten Frischvermähltengetue ziemlich auf die Nerven, und Cody und Clover sind unfassbar peinlich, weil sie sich ständig berühren und küssen müssen, selbst wenn wir dabei sind. Letzten Endes sitze ich immer neben Mom, rede mit ihr über ihren Garten und wehre ihre Fragen über mein Liebesleben ab, während ich versuche, das Geturtel am Tisch zu ignorieren.
Draußen gießt es in Strömen, was für Jetty Beach selbst im Juli nicht ungewöhnlich ist. Ich gehe hinein und finde alle in der Küche. Mom holt gerade eine große Lasagne aus dem Ofen, und der Duft nach Überbackenem zieht durch das ganze Haus. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, und ich bin fest davon überzeugt, die Liebesbekundungen meiner Brüder heute Abend zu ertragen, wenn ich dafür so etwas Leckeres vorgesetzt bekomme.
»Hallo, mein Junge«, begrüßt mich Dad. Mir geht noch immer das Herz auf, wenn er mich so nennt. Das hat er schon immer getan, schon seit dem Tod meiner Mutter. Er hat mich immer genau so wie Cody und Ryan behandelt. Als ich jünger war, bildete ich mir ein, er wäre strenger mit mir als mit ihnen, aber rückblickend muss ich gestehen, dass es bei mir auch nötig war. Ich fühle mich noch immer schuldig, weil ich es ihnen damals derart schwer gemacht habe.
»Hey, Dad«, erwidere ich. »Mom, das riecht unglaublich.«
»Hast du das Brot mitgebracht?«, fragt Mom.
Ich lege die Tüte mit den vier Baguettes auf die Arbeitsplatte. »Selbstverständlich.«
»Guter Junge.« Mom tätschelt mir die Wange.
Wir anderen decken den Tisch und stellen alles bereit, während Mom das Brot im Ofen röstet. Danach setzen wir uns. Aufgrund des Wetters essen wir drinnen am großen Esstisch neben der Küche und nicht auf der großen Dachterrasse. Der Regen plätschert gegen die hohen Fenster, sodass man den Strand nicht mehr richtig erkennen kann. Wie immer sitze ich neben Mom und wappne mich, weil sie garantiert gleich wieder anfängt zu jammern, wie schlecht der Regen für ihre Tomaten sei.
Das Essen wird rumgereicht, und wir füllen unsere Teller.
»Und«, Mom reicht Nicole das Brot, »wann können wir mit dem ersten Enkelkind rechnen?«
Nicole läuft puterrot an und lässt beinahe den Brotkorb fallen.
»Mom!«, protestiert Ryan. »Ist das dein Ernst?«
Cody fängt schallend an zu lachen. Ich muss mir eine Hand vor den Mund halten, damit man mein Grinsen nicht sieht.
»Was ist denn?«, erwidert Mom. »Ihr seid seit einem Monat verheiratet, da ist das doch eine naheliegende Frage.«
Nicole sieht aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken. Ich versuche, sie mit einem Blick aufzumuntern.
»Ich will euch doch gar nicht unter Druck setzen, Schatz«, fährt Mom fort. »Ich bin bloß neugierig.«
»Okay, gut, dann sei doch wegen was anderem neugierig«, schlägt Ryan vor. »Sag mal, Cody, ich hab gehört, Clover und du habt überlegt, einfach durchzubrennen und auf eine richtige Hochzeitsfeier zu verzichten.«
Ich tue so, als müsste ich husten, um mein Lachen zu übertönen. Wir sind heute Abend anscheinend in Höchstform.
»Wie bitte?« Mom dreht sich zu Cody um und setzt ihre Verhörmiene auf. »Ihr wollt keine Hochzeitsfeier?«
Cody bedenkt Ryan mit einem zornigen Blick. »Wir haben noch nichts entschieden, sondern nur über unsere Optionen nachgedacht.«
Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn Cody und Clover nach Las Vegas durchbrennen, auch wenn selbst das schon fast zu normal wäre. Clover ist süß, aber auch ein bisschen durchgeknallt. Wenn sie erklären würde, in einem Steinkreis in Europa heiraten zu wollen oder etwas in der Art, würde mich selbst das nicht wundern.
»Na, das ist ja was.« Mom wirkt ziemlich fassungslos. »Keine Hochzeitsfeier? Es muss ja nichts Großes sein, aber feiern solltet ihr auf jeden Fall. Möchtet ihr denn nicht eure Familie um euch haben?«
»Das können wir doch immer noch besprechen, wenn es so weit ist. Bis jetzt haben wir ja nicht mal einen Termin.« Cody sieht mich an. »Apropos Termin. Hunter, gehst du noch mit der Kleinen aus, über die wir mal gesprochen haben?«
War ja klar, dass das kommen würde.
Mom sieht mich mit großen Augen an. »Hast du eine Freundin, Hunter?«
Ryan muss sich das Lachen verkneifen.
»Nein, ich habe keine Freundin«, antworte ich. »Ich war ein paarmal mit einer Frau aus, aber es hat irgendwie nicht gefunkt.«
»Ach, das passt doch ganz gut«, meint Mom.
Jetzt starren wir sie alle erstaunt an.
»Wieso denn das?«, hake ich nach. »Warum ist das gut? Du hast sie doch gar nicht kennengelernt.«
»Oh, sie ist bestimmt sehr nett«, sagt Mom. »Aber es wäre doch jammerschade, bei Emmas Scheidung und all dem.«
Schweigen breitet sich aus, und es macht fast den Anschein, als würde sich keiner trauen, noch zu atmen.
Es gelingt mir nicht, meine Reaktion zu unterdrücken. Ich lasse die Gabel fallen und beäuge sie. »Was hast du gesagt?«
Mom runzelt besorgt die Stirn. »Bitte entschuldige, Hunter, ich dachte, du wüsstest das. Emma Parker ist seit Kurzem geschieden. Ich weiß ja, dass ihr vor langer Zeit mal zusammen wart, und ich dachte …«
»Du dachtest was?«, frage ich sehr leise. »Dass ich sie mal anrufe und bitte, mit mir auszugehen?«
»Na ja …«
»Die Idee ist ja sehr nett«, gebe ich zu. »Aber das mit uns ist lange her.«
Mom legt eine Hand auf meine und sagt zu meiner Überraschung nichts weiter dazu.
Wir widmen uns abermals dem Essen, und es dauert nicht lange, bis die Unterhaltung wieder in Gang kommt – und sich glücklicherweise Themen zuwendet, bei denen sich keiner von uns unbehaglich fühlen muss. Ich versuche, mich auf die Lasagne zu konzentrieren, nehme den Geschmack jedoch kaum wahr.
Emma Parker.
Ich habe mich auf den ersten Blick in Emma Parker verliebt. Wir waren zehn Jahre alt, und ihre Familie war gerade nach Jetty Beach gezogen. Der Lehrer hat sie direkt neben mich gesetzt. Sie hatte eine rosafarbene Schleife in ihrem dichten blonden Pferdeschwanz.
Während der folgenden sechs Jahre habe ich sie stur ignoriert, obwohl sie immer freundlich zu mir war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit meiner Verliebtheit umgehen sollte, daher verbarg ich sie vor allen und sprach mit keiner Menschenseele darüber. Allerdings machte ich auch nicht diese jungenhafte Art mit, bei der man ein Mädchen neckt, um ihr seine Zuneigung zu bekunden. Ich ging ihr einfach aus dem Weg. Selbst damals hatte ich offenbar schon Angst, alles zu vermasseln. Ich war ein zorniges Kind und hatte häufig Schwierigkeiten. Emma war ruhig und niedlich, und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie mit mir befreundet oder gar meine Freundin sein wollte.
An der Highschool fand ich mit dem Sport eine gute Methode, meine aufgestaute Wut rauszulassen, und brachte endlich den Mut auf, sie zu bitten, mit mir auszugehen. Wir gingen ins Kino, wo ich den halben Film über mit mir rang, bis ich endlich ihre Hand nehmen konnte. Als wir uns berührten, war es, als würde ein Stromstoß durch mich hindurchschießen. Wir keuchten beide auf und starrten geradeaus auf die Leinwand. Sie verschränkte die Finger mit meinen, und es war magisch.
Danach waren wir unzertrennlich. Emma war bei all meinen ersten Malen dabei. Das erste richtige Date. Der erste Kuss. Wir haben unsere Jungfräulichkeit zusammen auf einer Luftmatratze auf der Ladefläche meines alten Pick-ups verloren. Sie war meine erste Liebe.
Meine einzige Liebe.
Und ja, ich bin derjenige, der die Sache vermasselt hat.
Ich ging zu den Marines in dem Wissen, dass ich ihr damit wehtun würde. Damals glaubte ich, es wäre meine einzige Chance. Ich wollte, dass sie ihr Leben weiterlebt – dass sie einen anderen findet und glücklich ist.
Als ich vor etwas über einem Jahr nach Hause kam, musste ich feststellen, dass ihr Leben in der Tat weitergegangen war. Diese Erkenntnis traf mich härter als erwartet. Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass sie noch Single ist und auf mich wartet – ich war immerhin neun Jahre weg gewesen. Aber herauszufinden, dass sie geheiratet hatte, war ein schwerer Schlag.
Doch ich hatte nicht das Recht, mich deswegen aufzuregen. Es war meine Entscheidung gewesen, von hier wegzugehen. Trotzdem tat es weh und schmerzte an einer Stelle tief in meiner Seele, von der ich geglaubt hatte, sie wäre sehr gut abgeschirmt.
Also habe ich es hinter mir gelassen. Auch wenn ich mich noch so gern mit Emma versöhnt hätte, wäre es gemein gewesen, mich wieder in ihr Leben zu drängen. Ich hätte das allein für mich getan und nicht für sie. Wenn sie ihr Glück gefunden hatte, dann konnte ich ihr nur alles Gute wünschen. Und so war ich ihr fern geblieben.
Aber jetzt ist sie geschieden?
Ich überstehe das Essen, ohne Fragen zu stellen, obwohl mich meine Neugier fast auffrisst. Was ist passiert? Ich weiß rein gar nichts über den Mann, den sie geheiratet hat, und sie lebt nicht mehr in der Stadt. Wie hat meine Mom davon erfahren? Ist Emma am Boden zerstört, oder handelt es sich um eine einvernehmliche Trennung? Kehrt sie nach Jetty Beach zurück, oder wohnt sie weiterhin draußen in Cedar Hills?
Nach dem Nachtisch entschuldige ich mich mit der Ausrede, morgen früh raus zu müssen, und fuhr nach Hause. Vielleicht hätte ich meine Mom einfach fragen sollen, was sie sonst noch weiß, doch es geht mich eigentlich gar nichts an. Die Tatsache, dass Emma nicht länger verheiratet ist, ändert rein gar nichts. Ich muss mich dennoch aus ihrem Leben raushalten.
Oder etwa nicht?
Laute Musik leistet mir auf der Fahrt zu Gabriels Wohnung Gesellschaft, aber selbst das reicht nicht. Sogar der Highway ist voller Erinnerungen. Man sollte doch glauben, dass mich das nach einem Jahrzehnt nicht mehr trifft. Ich komme an der Stelle vorbei, an der mein Wagen im letzten Schuljahr liegen geblieben ist, und mir dreht sich der Magen um. Damals kam Hunter in seinem alten, heruntergekommenen Pick-up her und hat mich abgeholt. An der Forest Hill Road, wo sich die Teenager von Jetty Beach zum Rumknutschen treffen, wird mir leicht übel. Ich möchte gar nicht an das denken, was hier passiert ist (Spoiler: Es war unglaublich).
Am Ortseingangsschild steht Willkommen in Jetty Beach, und ich würde mich am liebsten übergeben. Es ärgert mich ungemein, dass mir dieser Ort derart zusetzt. Ich war zwei Jahre lang mit Hunter zusammen – als ich noch ein dummer Teenager war –, und es hat deutlich länger gedauert, über ihn hinwegzukommen, als bei dem Mistkerl, den ich tatsächlich geheiratet habe. Mir will kein einziger Ort einfallen, der mich traurig machen würde, weil er mich an Wyatt erinnert. Genervt wäre ich möglicherweise, weil ich so viele Jahre an ihn vergeudet habe, aber bestimmt nicht traurig.
Ich schalte auf einen anderen Sender um, der die Top Twenty der Woche spielt. Ja, moderne Musik von heute. Nichts Altes. Ich lasse die Vergangenheit hinter mir und habe das Projekt dieses Jahres zwar »Hol Emma zurück« genannt, dabei ist es in Wirklichkeit ein Neuanfang. Ich bin ganz für neue Dinge und will nach vorn blicken.
Gabriel ist nicht zu Hause, als ich bei ihm ankomme, daher lasse ich mich selbst rein. Sein Haus sieht aus wie eine typische Junggesellenabsteige, was ich ihm jedoch nicht vorwerfen kann. Er hat sich ebenfalls vor ein paar Jahren scheiden lassen. Ich glaube, er trauert seiner Frau, die ihn verlassen hat, immer noch hinterher.. Wenn es auf dieser Welt jemanden gibt, der mich noch mehr in Rage versetzt als Wyatt, dann ist das Amanda. Die blöde Kuh hat meinem Bruder das Herz gebrochen und kann von Glück reden, dass sie nach Brasilien gegangen ist oder wo immer sie sich jetzt rumtreiben mag. Ich würde ihr wirklich gern eine runterhauen. Normalerweise bin ich sehr fürs Reden und nicht mutig genug, einen anderen Menschen zu schlagen, aber bei ihr könnte ich glatt eine Ausnahme machen. Verdient hätte sie es.
Trotzdem ist es hier gemütlich, und selbstverständlich hat er eine super Küche. Ich überlege, sein Angebot anzunehmen und noch zum Restaurant zu fahren, aber es ist schon spät und er hat noch genug zu essen im Kühlschrank. Ich tue mir etwas auf, mache es mir auf seiner Couch bequem und sehe mir belanglose Realityshows an, während ich darauf warte, dass er nach Hause kommt.
Einige Stunden später werde ich davon wach, dass die Haustür geöffnet wird. Ich muss irgendwann eingeschlafen sein. Rasch glätte ich mir das Haar und versuche, so zu tun, als hätte ich die ganze Zeit ferngesehen.
»Hey, Emma«, sagt Gabe.
Ich stehe auf und umarme ihn. »Hey. Wie war die Arbeit?«
»Viel zu tun«, antwortet er. »Hast du was gegessen?«
Ich muss lächeln. Natürlich will er das als Erstes wissen. »Ja. Ich habe deinen Kühlschrank geplündert.«
»Gut«, meint er. »Wie lange muss ich dich jetzt ertragen?«
»Etwa eine Woche, denke ich. Vielleicht auch zwei.«
Er verschwindet kurz in seinem Schlafzimmer und kommt in einem weißen T-Shirt und Jogginghose wieder raus. »Du solltest dir wirklich was anderes suchen. Wie lange läuft dein Mietvertrag?«
»Ich kann zum nächsten Monatsende kündigen«, antworte ich. »Und du hast ja recht. Aber ich kann mir nichts Besseres leisten.«
»Wieso ziehst du nicht vorerst her?«
»Hierher?« Ich starre ihn entgeistert an. »Nach Jetty Beach?«
»Nein, ich meine hierher.« Er deutet zu Boden. »In meine Wohnung. Ich habe doch ein Zimmer übrig. Du hättest gleich zu mir ziehen sollen. Nur für eine Weile, bis du wieder auf eigenen Beinen stehst. Dieses Apartment ist doch der letzte Mist.«
Ich straffe die Schultern. »Ich weiß, dass es übel ist, aber ich stehe auf eigenen Beinen. Ich habe einen Job und komme gut allein zurecht.«
»Natürlich tust du das, Emma. So habe ich das auch nicht gemeint. Ich will damit nur sagen, dass ich hier drei Schlafzimmer habe und so gut wie nie zu Hause bin. Es gibt keinen Grund dafür, dass du in so einer Absteige hausen musst.«
Er hat ja recht; es wäre durchaus sinnvoll, wenn ich für eine Weile bei ihm einziehe. Als er mir das letztes Jahr direkt nach der Trennung von Wyatt vorgeschlagen hat, war er erstaunt, weil ich abgelehnt habe, und ich brachte es nicht übers Herz, ihm das zu begründen. Er würde mich doch nur für völlig bescheuert halten. Wer schert sich denn schon um Dinge, die vor zehn Jahren passiert sind? Wieso sollte mich das noch belasten? Seine Frau hat ihn verlassen – und ich weiß, dass es eine schlimme Trennung war –, und er lebt noch immer in dem Haus, in dem sie zusammen gewohnt haben.
Was sagt das über mich aus, dass ich das Bedürfnis habe, einer ganzen Stadt abzuschwören, nur weil mich mein Freund aus Highschoolzeiten verlassen hat?
»Weißt du was, du hast ja recht«, gebe ich nach. »Ich ziehe für eine Weile zu dir. Sobald sie das Ungeziefer beseitigt haben, hole ich meine Sachen ab.«
Er strahlt mich an, und ich lasse mich auf einen Barhocker sinken.
»Weiß Mom, dass du in der Stadt bist?«, erkundigt er sich.
»Noch nicht.«
»Wirst du sie besuchen?«
»Irgendwann schon. Begleitest du mich?«
Er wirft mir einen Seitenblick zu. »Muss ich?«
»Komm einfach mit. Lass uns gleich morgen zu ihr fahren, dann haben wir’s hinter uns«, schlage ich vor.
Er stöhnt auf. »Weißt du, was bei meinem letzten Besuch bei Mom passiert ist? Sie wollte mich verkuppeln.«
Jetzt bin ich es, die leise stöhnt. »Mit wem?«
»Keine Ahnung. Ich habe es nicht so weit kommen lassen«, sagt er. »Aber wart’s nur ab. Du bist bestimmt als Nächste dran.«
»Oh, bloß nicht.« Mir wird ganz anders. »Das ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann. Glaubst du, sie gewährt mir vielleicht eine Gnadenfrist? Ich bin doch gerade erst frisch geschieden.«
»Du kennst doch unsere Mutter«, erwidert er. »Sie hat garantiert schon eine Liste geschrieben.«
Ich schüttele den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Das kann sie vergessen. Ich gehe mit niemandem aus. Vielleicht nie wieder.«
Gabe holt eine Flasche Jameson-Whiskey und zwei Gläser aus dem Schrank. »Darauf sollten wir trinken.«
»Worauf?«
»Auf das Nicht-Ausgehen«, antwortet er.
»Darauf kann ich auf jeden Fall trinken.«
»Und darauf, dass wir Singles bleiben«, sagt er.
»Scheiß auf Beziehungen«, stimme ich zu.
Er grinst mich an, und wir trinken beide.
»Ja, scheiß auf Beziehungen. Willst du noch einen?«, fragt er.
Wärme breitet sich in meinem Bauch aus. »Weißt du was? Ich nehme gern noch einen.«
»Das hör ich gern«, meint Gabe.
Er schenkt uns beiden nach, und ich leere mein Glas. Das ist ein angenehmes Gefühl. So leicht habe ich mich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gefühlt.
»Du musst morgen bestimmt arbeiten«, überlege ich laut.
»Es ist Samstag«, meint er. »Natürlich muss ich morgen arbeiten.« Er leert sein Glas. »Aber erst ab Mittag. Ich fahre morgen früh zum Bauernmarkt. Es gibt da einen Farmer, mit dem ich gern sprechen würde. Magst du mitkommen?«
Da ich ja nicht den ganzen Tag in Gabes Wohnung rumsitzen kann und der Bauernmarkt keine besonderen Erinnerungen birgt, stimme ich zu. »Gern.«
»Super«, sagt er. »Aber wir müssen früh aufstehen. Ich möchte da sein, wenn sie um neun aufmachen.«
Wir unterhalten uns noch eine Weile, und ich bringe ihn auf den neuesten Stand. Ich fühle mich ein bisschen schuldig, weil ich nicht mehr Zeit mit meinem Bruder verbracht habe, vor allem, weil er jetzt auch allein ist. Meine Abneigung gegen diese Stadt hat mich mehr beeinflusst, als gut für mich ist. Es ist doch nur ein Ort.
Außerdem ist Hunter ja nicht mal da. Er ist jetzt seit zehn Jahren weg. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ich an ihn erinnert werde, und damit komme ich schon klar. Vielleicht brauche ich das sogar als Therapie. Ich werde mehr Zeit in der Stadt verbringen und darauf hoffen, dass sich Jetty Beach nicht nur als Quell schlechter Erinnerungen entpuppt. Möglicherweise kann ich diesen Bann sogar langsam loswerden.
Und ihn gleich mit dazu.
* * *
Der Bauernmarkt ist reizend. Er findet auf einer Freifläche gleich außerhalb der Innenstadt statt und besteht aus Reihen weißer Baldachine, unter denen Lebensmittel, Kunsthandwerk und alle möglichen anderen Dinge angeboten werden. Seit meiner Kindheit hat sich hier eine Menge getan, denn damals verkaufte nur eine Handvoll Händler Obst und Gemüse. Gabe findet den Mann, mit dem er reden will, und ich warte in der Nähe. Die Sonne scheint, es ist jetzt schon warm, aber vom Wasser weht eine leichte Brise herüber. Uns erwartet ein wunderschöner Tag. Der Markt füllt sich schnell, immer mehr Menschen strömen vom Parkplatz herbei, und Stimmengewirr hängt in der Luft.